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Lydia erwachte. Ihr war es, sie habe mit jemand gesprochen, daran erkannte sie, daß sie geschlafen hatte. Oh! wie gut geschlafen, mit allen Erleichterungen für ein unruhiges Herz und ein Gewissen, das vergessen will. »Un lit à jeunes mariés, le traversin bien résistant, la tête ne s'enfonçant pas dans l'oreiller, le matelas suivant de lui-même les contours du corps et le reposant doucement. Il n'y a que la France pour me rendre heureuse de mon lit.« Sie lobte das Bett vor allem, weil sie nicht einsank. Versinken wollte sie nicht.
Den Kopf recht unklar, fragte sie: »Ist aber dies mein Bett? War ich nicht hier, woher in aller Welt bin ich gekommen?« Sie sah in ein Zimmer, das ihr neu war. Geschlossene Läden siebten das Licht, dahinter lag Sonne, viel zu hell, als daß es früher Morgen wäre. Sie hatte geglaubt, eine ganze Nacht sei ihr, frei vom Bewußtsein, vergangen. Sie wußte wieder; enttäuscht ließ sie den Nacken auf das Kissen zurückfallen.
Für Minuten gelang es ihr, die Untersuchung ihrer Lage hinauszuschieben. Sie streckte die Beine ohne anzustoßen, was, wie sie sonst gebettet war, nicht vorkam. Sie tastete über den weichen Stoff aus Kamelhaar, nach dem oberen Belag, Flaum und Seide. Da entdeckte sie, daß ein seidener Schlafanzug sie bekleidete. Die Frage ist, ob sie hier noch völlig wachte. Der Marchese del Grillo fiel ihr ein, deutlicher, als sie ihn bei klarem Bewußtsein erblickt hätte. Eine Absicht lenkte sie, während sie es aufgab zu denken. Mit einem Traum, der allmählich tiefer wurde, entzog sie sich Verantwortungen.
Das Volksstück vom Marchese del Grillo spielte in einem alten römischen Theater, unfern Piazza Colonna. Der Typ einer Handlung für alle Zeiten, kann es an derselben Stelle noch heute spielen. Sie versuchte den Weg durch ein Gewirr krummer Gassen wiederzufinden; damals, mit Kowalsky, entdeckten sie die Herrlichkeit durch Zufall. »Kowalsky war groß in Unternehmungen auf Geratewohl, ihm glückten sie. Kein Pedant, ein spekulatives Genie – mich hat nur er erzogen, ich war ihm die Mühe wert, ihm allein bin ich verbunden«, träumte sie.
»Wir sitzen in einer abgebröckelten Loge neben der Bühne, die Wand ist auf dieser Seite ein Spiegel, längst erblindet, aber lüstern umrahmt von vorspringenden Figuren, weniger einen Arm oder Kopf. Wir sehen in ein Parkett von Salamiverkäufern mit Familie. Die Kinder freuen sich schon über den geschlossenen Vorhang, und ich auch, während die Musik spielt. So gut ging es uns. Freuen sie sich noch? Der Vorhang verdiente bemerkt zu werden: allegorisches achtzehntes Jahrhundert; ein Dichter, Metastasio, wurde bekränzt, von wem anders als von ausgezogenen poules, die den Titel von Göttinnen führten. In Wirklichkeit haben sie sich Adelspartikel beigelegt. Auch vorbei. Übrigens ging der Vorhang widerstrebend in die Höhe.
Nächtlicher Winkel im unberührten Rom von einst. Zwischen den hohen, schmalen Häusern, alle fest geschlossen, ist kein Stück Himmel sichtbar, Sterne sind nicht für hier; aber über der Mitte, an gesenkter Kette schwankt ein großer Käfig, darin die Talgfunzel. Nicht sie, sondern die Kerzenstümpfe der Rampe beleuchten die einzige Gestalt, einen armen Teufel auf seinem Kohlensack. Er trinkt heute den letzten Liter, spricht seinen komisch tristen Monolog von dem Leben der Großen – quoi, un grand lit au matelas bien tassé, à la couverture de soie –, spricht ihn, daß alle Kinder lachen, ich auch. Trinkt aus, schläft ein.
Sein Schnarchen ist ungeheuer, weither hört es der Marchese del Grillo. Das ist eine Eccellenza mit Grillen wie ein Heuschreck. Er liebt das Unvorgesehene wie wir, Kowalsky und ich. Durch das nächtliche Rom geht er in Erwartung einer erfreulichen Betätigung, Versuchen mit Menschen. Nebensache, ob den Objekten wohl oder wehe geschieht. Seine Bedienten tragen Fackeln, der Schauplatz wird ganz hell.
Sehr gut, der bestickte, bestirnte Herr, die goldenen Lakaien im Halbkreis hinter sich, die Szene, ein Winkel des Elends, ihm nicht unwillkommener als jede Kolonnade, jeder Palast. Witziger Gleichmut ist sein Stempel. Sein Gegenspieler, der berußte, bezechte Schläfer auf dem Sack, sagt ihm zu. Die einzige Antwort des armen Teufels auf die lautesten Anrufe, sein um so lärmenderes Schnarchen, bringt den Herrn auf Ideen. Der Kerl ist nicht wach zu bekommen, er braucht Stunden und Stunden pour cuver son vin. Ihn kann man forttragen. Welch ein gründliches Vergessen wird ihm erst beschieden sein in einem richtigen Bett, le matelas à sa parfaite convenance, des coussins douillets – et à son réveil … Verwandlung.
Die Verwandlung geschieht nicht geräuschlos, weit davon. Der Schläfer aber atmet sanft. Er liegt nunmehr in dem Bett seiner Träume, hat nie gewußt, wie es tat; et il sourit aux anges, dans un rêve improbable.«
Hier vergaß Lydia, Worte zu bilden, sogar in ihrem Innern keine. Sie sah, sie hörte. Eine liebliche Traummusik kehrte wieder, aus dem verfallenen Teatro Metastasio, wo sie so süß nicht gewesen ist, bis in das märchenhafte Gemach, wohin Lydia schlafend versetzt wurde – nein, nicht sie: le pauvre bougre de charbonnier: sie hat sich mit ihm verwechselt. Endlich bewegt er sich, reckt und streckt sich, seine faltigen Lider bleiben vor Wollust geschlossen.
Aber sie gehen ihm auf, schon endet der reine Genuß. Was er sieht, macht ihm Erstaunen, und mehr noch Sorge. Wie kommt er zu der Pracht und Herrlichkeit. Es muß der Wein sein. Er hat sich im Rausch verirrt; oder träumt er noch? Er zwickt sich. Nein, die Vision hält stand. Er stützt sich auf, um ihr die Stirn zu bieten, wenn auch angstvoll. Die Dekoration ist überwältigend, angenommen, man sähe nichts, wie es wirklich ist. Denn hier sind die Möbel an die Wand gemalt, die Türen bewegen sich unverlangt, statt eines Plafond hängt geraffter Samt aus Papier, mitten hinein in die Säulen. Farben, rot und grün.
Falsch, das sind vielmehr die Wände, die Lydia umgeben, grüner Samt mit aufgenähten rosa Sträußen. Wieder falsch, der nachgeahmte Samt gehört dem wundervollen Gemach, wo der erwachte Kohlenträger sich die Augen reibt. Sein volkstümliches Gesicht, die dicke Nase, wulstige Lippe, dahinter breite weiße Zähne, dieser Mund der Unmäßigkeit und des Geschreis, alles, mitsamt den Schultern, gebaut für ungeheure Lasten, widerspricht unbedingt seinem vornehmen Aufenthalt: man muß lachen.
Die Kinder jubeln – noch heute. Lydia hört sie; ihre Eltern, vom Markt und aus den Läden, haben sich schrecklich gefreut über ihren poveretto trasfigurato, den entrückten armen Teufel, der nicht viel anders aussieht als sie. Von jetzt ab ist das meiste zum Lachen. Wie die Tür, die schon immer unruhig war, sich entschließt und einen Schwarm von Dienerschaft einläßt, bezopft, betreßt, unnahbar und devot. Der Sohn des Volkes unter seinem hohen Baldachin mit Pfauenfedern oben will ihrem Gebieter, dem Haushofmeister, die Hand küssen: ein klügerer Gedanke, als er meint, denn es ist der Marchese del Grillo.
Dieser stößt ihm, des Verständnisses wegen, seine Faust gegen die Schulter, hierauf belehrt er den Kohlenträger feierlich, wenngleich intim. Ob er noch träume und alles vergessen habe, seinen vornehmen Stand, hohen Adel, den Stern auf seiner Brust, und daß heute morgen der Gouverneur ihm seine Aufwartung machen wolle. Beppo hört vor allem »Stern«; er betrachtet seine leibliche Gestalt, den fabelhaft geblümten Schlafrock, in dem er sie wiedersieht – und wahrhaftig, der Stern ist da. Wenn aber der Stern da ist, wird auch der Gouverneur kommen, und die Dinge sind, wie sie sind.
Unverschämt werden wie ein Großer, ist Sache eines Augenblickes. Der Marchese bekommt einen Tritt in den Hintern, damit er schneller nach Wein läuft. »Du Bauernlümmel willst meine Exzellenz verdursten lassen!« Nein, Durst soll er nicht leiden. Der Marchese Haushofmeister läßt sechs Lakaien mit Limonade antreten, jeder eine Kristallschale voll, der Arme muß alle austrinken, die vornehme Sitte will es, sagt sein Vorgesetzter. Er sieht, auch die hohen Herren haben jemand, dem sie gehorchen. Rückfall in Kleinheit und Demut.
Er habe sich immer vorgenommen, klagt er, als ob er noch in Lumpen ginge: wenn er reich wäre, käme er selbst an die Reihe zu befehlen, nach seiner Laune werde getanzt. »Befehlen Sie. Wir werden tanzen.« Das läßt er sich nicht zweimal sagen, die Gesellschaft soll aufführen. Was denn? Eine Pavane. »Aber das ist ein trauriger Tanz. Befehlen Euer Gnaden lieber, daß wir springen wie die Schäfer, wer die Beine höher wirft! Eure Kammermädchen haben reizende Beine.«
»Die werden sie noch nötig haben, wenn wir zu Bett gehen«, entscheidet der verzauberte Prinz, nicht ohne vorläufige Gesten. »Die Pavane allein ist meiner würdig.« Um anzusehen, was ihm geboten wird, nimmt er seinen Thron ein. Vielmehr versucht er es. Da auch dieses Möbel nur auf die Kulisse gemalt ist, fällt er zu Boden – was alle Zuschauer erfreut, die Mitwirkenden beachten es nicht. Sie entwickeln ihre altertümlichen Schritte, waren gleich dafür angetan; die Gesellschaft hat sich verändert.
Kavaliere und Damen sind aufgetreten, der Haushalt des Marchese del Grillo, einer schöner als der andere, der Prächtigste natürlich er selbst. Sein Staatskleid ist ihm plötzlich angewachsen, flammend bestirnt, über und über durchwirkt mit lauterem Gold. »Wer das nicht gewohnt ist, muß in dem Rock verrückt werden«, spricht auf seinem Parterreplatz der Kohlenträger, der begreiflicherweise seinen Haushofmeister nicht wiedererkennt. Er hält ihn für den versprochenen Gouverneur.
Dennoch faßt er auch einen richtigen Gedanken. »Die Freunde aus der Schenke sollten dabeisein, wie ich die ganze Welt zum Affen mache, sogar den Gouverneur! Keiner würde mir glauben, daß ich es bin. Aber seht gut hin, dann bin ich es, Beppo, der sie tanzen läßt!«
Rosenfarbener Samt eines Rockes, der seitlich ausschweift, dazu weißseidene Kniehosen. Das ist der vorderste der schönen Herren, auch Wangen hat er rosig und weiß. Mit einer Anmut, daß du jauchzen, einer sanften Trauer, daß du weinen möchtest, bewegt er sich gegen eine Dame hin; was ist die Dame? Ein Flimmern ist sie, leicht, hell, ungreifbarer Schein, du meinst ihn nicht gesehen zu haben. Sie tut einen Schritt, eine Wendung, du starrst auf ihre Rückseite, den Turm gepuderter Haare: herab rieseln Perlen. Wo bleibt die Schöne? Nichts bleibt dir, als vor den Augen ein Nachglanz, in der Nase wohlriechende Luft. Das sind die Geschöpfe des Äthers. Der Zuschauer seufzt. Sei es was immer, die ätherische Ferne und verlangsamte Bewegung, Gestalten und Klänge, die zweifeln lassen, ob sie leben – die Pavane macht traurig.
Die feierlich betonte Musik – sie umfließt den geisterhaften Tanz, hinter der Szene wird sie nunmehr aufgeführt –, diese herrschaftlichen Klänge vertragen keine vorlaute Störung vonseiten eines ganz gewöhnlichen Menschen, der, wenn auch buntgeblümt, auf eingebildeten Möbeln hockt, Beutel in die Leinwand drückt und sich herausnimmt, laut zu seufzen. Mehr als das: er stöhnt, er röchelt. Was hat der grobe Pulcinella, daß er die Aufmerksamkeit von der schönen Welt auf sein alltägliches Gesicht zieht? Er hat zu viel Limonade getrunken, das ist es. »Ich will hinaus!« brüllt er und hält sich den Bauch.
Aus, plötzlich aus mit dem wunderreichen Ballett, dafür kommt die unvermeidliche Szene der chaise percée. Bleiche Mädchen – auch Salamiverkäufer haben blutarme Töchter – müssen ihren Traum dahingeben und bekommen zu sehen, was auf Träume folgt, den Nachtstuhl. Ihre Väter und kleinen Geschwister wollen zu lachen haben, das nächste und beste sind die natürlichen Bedürfnisse. Wie sie befriedigt werden, sieht und hört man nicht. Die Lakaien sind wieder da, wie eine Mauer umschließen sie die agierende Person, nur die neugierigen Kammerzofen trachten, durch Lücken zu spähen.
Das ist die Komik selbst, besonders, da der gemeine Mensch ein neues Hemd braucht, das seine hat gelitten, wie er laut zur öffentlichen Kenntnis gibt. Wer aber soll ihm das frische hinhalten? Der Gouverneur. Mit der Erleichterung hat der Bursche seine Unverschämtheit zurück, keinen anderen verlangt er für die Handreichung als den Gouverneur – der ihm vornehm entgegenkommt. Der Marchese del Grillo versteht Scherz, ginge es auch auf seine Kosten. Nicht, daß er dem Lümmel richtig das Hemd anzöge: mit der einen Hand reicht er es über die Lakaien hinweg und hinab, wirft es dem Tropf um den Kopf. Mit der anderen hält er sich, nur angedeutet, die Nase zu – fragt hierbei das Publikum, ob es Rosen riecht, worauf es witzig antwortet. Auch die Leute wollen nicht nur lachen, sondern dabeisein.
Diese Szene war allgemein mitzufühlen, die nächste wird ihr nichts nachgeben. Der Kohlenträger, noch immer in dem bestirnten Schlafrock, der die reine Pracht ist, bemerkt nunmehr, daß es an der Zeit zu essen wäre. Kaum sitzt er vor dem Huhn aus Pappe, das der Stab seines Haushofmeisters herbeigezaubert hat, da fallen ihm die Frauen ein. Mühe genug hat er zu erklären, welche es sein soll; er muß seinen Teller retten, die Lakaien in ihrem Diensteifer drohen alles unter seinen Händen wegzuziehen. Was denn, die schönste soll es sein! Der Klarheit wegen nennt er den Marchese ein Rindvieh.
Der Marchese hat begriffen: seine eigene Freundin ist die Erwählte. Überlegen genug, keine Umstände zu machen, führt er die Dame an ihrer erhobenen Hand herein. Der Arm schwebt schimmernd, die ganze Person, bei ihrem zweiten Erscheinen, ist derselbe schwerelose, unfaßbare Schein und Schimmer, wie ihr erster Anblick, als sie tanzte. »Die Pavane!« murmeln die dicken Lippen des armen Teufels – von ganz unten her. Anstatt ihr entgegenzutänzeln, sein Kompliment und seinen Hof zu machen, legt er beide gefalteten Hände mitsamt dem Gesicht auf das Tafeltuch, die fleischige Nase schnuppert herüber, die groben Wangen zucken, wie vom Zähneklappern, und unter den angestrengten Lidern ist der Blick ein Hundeblick.
»Voilà que je tremble«, hat er in seinem Dialekt gesprochen, und mit Seufzen: »Ah! le donne.« So ist der Wahn des Armen: mit Angst fängt er an. Die Berauschtheit kommt bei dem ersten Glas Wein. Er, der nach Litern rechnet! Immer neue Flaschen werden aufgetragen, der Haushofmeister winkt sie herbei, die Dame nippt, lächelt, begeistert den Knecht. Mit ihrem Fächer berührt sie ihn, er will erwidern. Seine ungeschlachte Hand möchte den Fächer halten, dann ihren kleinen Finger, bei der dritten Flasche schon mehr. Aber alles mißlingt, denn jedesmal rutscht sein Stuhl nach hinten aus; er klammert sich, die Füße hochgezogen, an den Sitz, sonst fiele er.
Die Sache ist, daß unter dem Tisch ein Lakai versteckt ist. Sooft sein Herr, der Marchese, sich räuspert oder niest, zieht der Unsichtbare den Stuhl weg: der Gefoppte meint, das Parkett sei glatt, er selbst nicht mehr standhaft. Auch dies ist richtig. Sein Zustand schreitet vor, er hat den Eindruck, unter himmlischen Geschöpfen zu schweben, ja, wie sie, auf- und niederzusteigen; denn was er sieht, ist mehr als der eine Engel, unter seinen Blicken werden es mehrere, und selten bleiben sie am gleichen Fleck. Aber sie reden zu ihm, das ist Musik – die wirkliche Musik lockt allerdings um die Wette mit ihnen –, nennen ihn einen schönen Jungen, lieblich erklären sie ihm ihre Empfänglichkeit für seine Reize.
Er selbst kann nicht noch schändlicher gereizt werden. Plötzlich formt sein Mund sich rund, der mächtige Trichter einer Posaune, und stößt unmißverständliche Worte aus. Das Wunderbare, aber wen kann fortan etwas wundern: das Engelsbild antwortet. Es ergeht sich in den Ausdrücken gewisser Mädchen, die er kennt, nur gemeiner. Er sucht abwechselnd oben und unten, überzeugt, wenn er sie fände, wäre es eine alte Bekannte. Er wird es nie erfahren. Kurze Augenblicke erkennt er wohl einen bestimmten Umriß, unterscheidet etwas wie Perlenschimmer: ein Busen. Per bacco, der schöne Teil nähert sich seinen unsicheren Händen, die zupacken. Da entführt sein böser Stuhl ihn im weiten Bogen, plumps, liegt er unten. Liegt und schnarcht alsbald. Hat aufgehört sowohl zu suchen, das Glück, als auch zu finden, seine Narrheit.
Aus allen Kulissen hat der Haushalt des Marchese zugesehen, wie der Bauer um den Verstand gebracht wird. Ihr Kichern und wohltönendes Kreischen gehörte zu den himmlischen Harmonien, die er sich einbildete. Jetzt trauen sie sich hervor, etwas zögernd manches süße Persönchen, da sie fürchten oder vorschützen, er könnte sie plötzlich in die Waden beißen. Nichts davon, sondern ihnen ist erlaubt, die hingewälzte große Puppe ein wenig mit dem Fächer zu schlagen. Der Kavalier der kleinen Flimmerdame kommt auf die Idee, wenn es nicht ihre eigene ist, sie aufzuheben und ihre Füßchen in den seidenen Pantoffelchen dermaßen hinzuführen über die gemeine Gestalt, daß sie ihr den Schlafrock öffnen können, ja, sie wirklich entblößt hätten: viel fehlt nicht.
Das neugierige Kind hat entdeckt, daß in dem knappen Hemd die Formen des Mannes gewinnen, an Breite und Kraft. Beinahe sicher stände etwas nie Erblicktes bevor, wenn ihre Fußspitze von seinem Knie das Hemd aufwärts schöbe, was sie auch schon versucht. Achtung! Der Kavalier – er ist in rosa Samt und weißseidenen Kniehosen – sieht ein Unglück kommen, unliebsame Vergleiche drohen. Er stellt seine Schöne etwas hart auf die Füße, empfängt anmutig ihr zorniges Händchen auf seiner Backe – um so zärtlicher die Versöhnung. Wer überlegen beiwohnt, betonte Unberührtheit, aber unterdrückte Flüche – ist der Marchese del Grillo.
Es ist wahr, daß sie sich ihm auf die Knie gesetzt hat und sein witziges Gesicht streichelt: ihr wird es zu fett, den Einwand hält sie keineswegs zurück. Mag er erraten, daß die Verführung des Tölpels auch ihr selbst mitgespielt hat, denn alles rächt sich oder belohnt sich, je nachdem. Sollte der Marchese einer Aufklärung bedürfen, nun gut, sie spricht zu ihm in denselben unmißverständlichen Ausdrücken, die sie vorher mit dem Sohn des Volkes wechselte.
Der Marchese erwidert so passend er es versteht; fragt schließlich, ob er ihrem neuen Geschmack entsprechen, den Kerl dabehalten solle. Sie ist beleidigt, bricht in unbeherrschtes Weinen aus; unter Tränen, aber nicht mehr engelhaft, sondern rauh verlangt sie: »Fort mit dem besoffenen Rüpel, woher Ihr das Miststück geholt habt!« Das ist ein Wort. Der vornehme Herr trocknet, unter Schonung der Malerei, das liebliche Antlitz seiner chère maîtresse und entläßt sie, in wessen Arme? Oh! er ist zu vornehm für ungelegene Beobachtungen, er sieht nichts, aber ihr lange erwarteter Busen sinkt endlich an das Jabot des rosasamtenen Kavaliers.
Dem Heer seiner Lakaien befiehlt der Marchese: »Schafft das da fort! Zieht ihm seine Lumpen wieder an, legt ihn auf seinen alten Sack! An derselben Stelle, wo er lag!« Über das Bild, das reichliche Zustimmung und geräuschvollen Beifall findet, fällt der Vorhang. Dies ist kein Publikum, das die bescherten Genüsse zergliedert. Kinder und Leute im Verein haben gelacht, bis sie satt sind, haben mit ihrer beweglichen Einbildung die schöne Welt durchlaufen, vom zauberhaften Ballett, das im Grunde traurig gewesen war, zu dem heiteren Nachtstuhl, und weiter, wie einer von ihnen zum besten gehalten, um jeden Verstand gebracht wird – die reizenden Samt- und Seidenen gewinnen nur an Verliebtheit und Süßigkeit.
Daher verzehren nunmehr Kinder und Leute eine Menge Zuckerwerk. Auch Limonade fließt durch die Kehlen, mehr als vorher in den Bauch des Kohlenträgers, hoffentlich ohne die Folgen. Lydia und ihr Gatte benutzen die Pause, um Kinder mit Leckereien zu füttern. Den Schauspielern, die bis jetzt ein Papphuhn hatten, schicken sie aus der nächsten Küche ein wirkliches Abendessen. Man war gnädig. Übrigens hatten sie vom Schauspiel genug, was kann noch viel kommen. Sie bleiben wegen der Zuschauer und damit die Komödianten nicht meinen, sie hätten gelangweilt. Man war taktvoll.
Wie erwartet, öffnet sich die Szene an der Straßenkreuzung, die wir kennen, das längst gehörte Schnarchen war laut geworden schon hinter dem Vorhang. Jetzt ist er oben; derselbe Käfig mit dem Lichtstumpf schwankt, weil gerade erst aufgehängt, an der Kette über dem Schläfer. Er liegt, die Beine eingezogen, auf seinen Sack gewälzt. Für ihn hat das Stück nicht stattgefunden, er weiß von nichts. Nur wir erinnern uns, weshalb wir ihn auslachen dürfen.
Seine Freunde sitzen drüben vor der Schenke, die diesmal noch offenhält, sehr spät in der Nacht ist es nicht. Sein Röcheln stört die Kameraden. »Auf!« rufen sie. »Erwache, du Faulpelz!« Wenn sie ahnen könnten, wie fleißig er Abenteuer bestanden hat! Er hört nicht. Sie werden handgreiflich, er scheint nicht zu fühlen. Sie heben ihn auf, denn es ist sein Schicksal, schlafend fortgetragen zu werden von seinem Sack. Aber sie erlauben ihm nicht, auf dem Tisch weiterzupennen. Wovon er dermaßen betrunken sei, fragen sie, bis er antwortet. »Ich habe nicht getrunken. Geträumt hab ich.« Worauf er die Bilder seines Traumes mühselig zusammensucht.
»Ich war ein großer Herr«, berichtet er, beim Gelächter der anderen. »Da ist nichts zu lachen, ein richtiger Herr, mit Dienern zum Prügeln, einem Huhn zum Essen und mehr Wein, als ich bei mir behalten konnte. Meine Gesellschaft waren Kavaliere und Damen, anzusehen wie gemalt, aber sie tanzten vor mir, das ist gewiß, sie wurden es nicht müde.« Seine Freunde rufen dazwischen: »Nur du hast geschnarcht.« – »Noch nicht, ich schwöre es. Zuerst geschah das Vornehmste von allem, was war es? Ah! ich hab's, der Nachtstuhl.« Sie fragen, was das sei. »Das Vornehmste«, wiederholt er. »Ich thronte, und der Gouverneur selbst zog mir das Hemd an.« Dies war zuviel, für Träume sogar. Alles verstummte.
»Du hast gar kein Hemd«, fand einer und befriedigte das allgemeine Mißtrauen. Umsonst beteuerte der Träumer: »Aus Spinnengewebe war mein Hemd!« Vom Eifer der Erinnerung wird er wach und wacher. »Aber die Dame!« brüllt er plötzlich. »Sie trug kein Hemd, nur Perlen. Sie war aus Luft und schwebte. Ich habe ihren Busen geküßt«, rühmt er sich, mit herabgesetzter Stimme, denn ihr geht auf einmal die Kraft aus.
Jemand, der am Tisch nicht zugegen ist, sagt: »Du lügst« – worüber der Arme heftig erschrickt. Lügt er? Oder hat dennoch das kostbare Fleisch mit seinen dicken Lippen befühlt? Wer das wüßte! Es zu glauben, war schön, die beste seiner Erinnerungen war es gewesen. Indessen, von der dunklen Mauer löst sich ein Schatten: der will es wissen. Hat wohl mitgeträumt? »Nur du lügst. Erzähle mir noch, daß du Schultern wie meine hast!«
Schon hat er den Oberkörper entblößt, er will hochkommen und kämpfen. »Achtung! Beppo!« warnen seine Freunde, während sie ihn auf seinem Stuhl halten. »Abwarten, wer das ist!« wird ihm zugeflüstert. Allerdings wäre es gefährlich, einen Mann im Domino anzugreifen. Unter dem gewöhnlichen schwarzen Überwurf mag ein Schlechtgekleideter stecken, aber wehe, wenn es ein Gestickter, Bestirnter wäre.
Der Marchese del Grillo ist sicher, daß der nackte Rüpel ihn nicht erkennen wird. Er unterläßt es, seinen Dreispitz, den weder Spange noch Gemme auszeichnet, über die Stirn zu ziehen. Solche Leute sehen kein Gesicht, nur Kleider. Der Domino verrät nichts. Wirklich entgegnet der Arme: »Wie wollt ihr mir abstreiten, was ich träume. Ihr seid mir nie begegnet.« Hier bekommt der Marchese seinen witzigen Mund, einem Gebildeten müßte gerade dies auffallen. Er spricht: »Aber den Busen, den du geküßt haben willst, kenne ich; weiß übrigens, wie Träume enden. Vor dem Kuß erwacht man.« Er blickt rundum, findet auch Bestätigung; nicht, daß diese Leute ihm gefolgt wären, aber sie hören Autorität, die Gewohnheit, zu befehlen.
Der Marchese setzt sich zu ihnen, seinem Opfer, dem Träumer, von weitem gegenüber. Er ruft nach Wein – für alle; er selbst nimmt keinen besseren, bekäme ihn auch nicht. Im Gegenteil schilt er die Kellnerin, dieser sei zu gut für seine Kasse, sie wolle stehlen, aber bei ihm gerate sie an den Falschen – was sie pünktlich beantwortet mit einem Namen, dem die Zartheit fehlt. Sie hat keine. Sie ist robust und bedenkenlos, ein Schlag, den sogar ein Laie unschwer einschätzen wird. Der Marchese nimmt sie gemäß ihren Sitten, er reißt sie auf sich nieder, entblößt von ihr soviel er kann. Das Busentuch hing lose genug im Schnürleib, aus dem kurzen Rock fahren alsbald die Beine stark wie Säulen.
Das Unglück will, daß die nackten Füße über den Tisch hin in zwei verschiedene Gesichter treffen. Ihre Inhaber wollten gerade trinken; sie haben nicht begriffen, wer ihnen das Glas von der Lippe stößt, sie beschuldigen einander, mehrere bezeugen dies und das, der Streit greift um sich. Der Lärm erlaubt dem unerkannten großen Herrn, sein geheimes Abkommen zu treffen mit der schweren, aber lockeren Dirne. Sie hat unbändig gelacht. Plötzlich stockt sie; besieht ihre Hand; etwas ist doch hineingeglitten? Ja wirklich, ein Goldstück. »So seid Ihr es denn, Exzellenz«, sagt sie, bekommt Kuhaugen und die Stimme eines Kindes. Ihre Erfahrung hat nur die Dirne befähigt, den Marchese del Grillo zu erkennen.
Er verspricht ihr seine Anerkennung mit einem zweiten Doublon zu beweisen, wenn sie schweigen könne – sie legt die Hand an das offene Herz. Und wenn sie seine Weisungen auf das Wort befolge. »Ganz Eure Dienerin!« Dann gleiten in ihr Ohr seine Befehle, kitzelnd wie das Gold in der Hand. Sie weiß Bescheid und erhebt ihre Stimme, oh! kindlich nicht, alles eher. Sie übertönt die Betrunkenen. »Seid still! Euch werf ich hinaus. Nur mit dem Tier, dem Beppo, hab ich etwas auszumachen.« Sie schreit es rauh, pflanzt sich vor dem Träumer auf, ohne Einleitung überhäuft sie ihn mit Beschimpfungen.
Alle hören und schweigen, er auch, aber er allein mit dieser verstörten Miene. Die Unflätigkeiten hat er heute schon einmal gehört – aus einem überirdischen Munde, dennoch dieselben. Hat sie erwidert, einer Dame, die nach Belieben unsichtbar wurde, so fein und schön war sie. Gleichwohl forderte sie ihn unmißverständlich heraus, wie diese. Ließ ihn, wie diese, nach ihrem Busen greifen. Nur, daß der geträumte Busen nichts war als Perlenschimmer, flüchtig, gleich verweht, nie mehr zu erhoffen. Hier wird ihm derbes braunes Fleisch angeboten und zöge sich keinesfalls vor seinen Händen zurück. Er hat es sonst berührt, hätte auch jetzt nichts dagegen. Statt dessen …
Da ist ein Traum – nicht mehr glaubhaft – eine Vision – die er in Wahrheit nicht gehabt hat, er weiß sich zu gemein für sie. Statt zu nehmen, was ihm angeboten, heult er los. Das Wasser läuft über seine Polischinellen-Nase, er klemmt sie in seinen gebogenen Arm, um sie abzuwischen und auch, weil er sich versteckt. An dieser Stelle nun, als er sie weder sehen kann noch für wirklich hält, nicht einmal den Traum von ihr – ist sie da. Die unmögliche Schönheit tritt leibhaftig auf.
Wer sie vom Tisch her bemerkt, ist ihr ami sérieux, der Marchese. Er sitzt gegenüber der Kulisse, die eine Seitengasse bedeutet. Estelle – jetzt heißt sie Estelle – ist mit ihrem amant de coeur: ihn übersieht der Marchese nie, ob in rosenfarbenem Samt oder dunkler Kapuze. Auch sie hat sich verhüllt, sie schimmert nicht mehr oder nur so wenig. Ein Stückchen weißer Haut glänzt schwach hervor aus einem weiten schwarzen Ärmel ihres Mantels, der auf dem Reifrock liegt. Ein Augenblick, schon ist es anstatt des weißen Armes das weiße Gesicht, in den Falten der Spitzenhaube, das matt aufblinkt. Denn der riesige Lakai, den das Pärchen als Führer sowie Beschützer mitgenommen hat, ändert nach Bedarf die Richtung seiner abgeblendeten Laterne.
Sie trifft die Augen des jungen amant, er triumphiert. »Wir kommen im rechten Moment«, spricht die helle Stimme des jugendlichen Liebhabers. Wendung der Laterne: die bitterbösen Augen der bleichen Liebhaberin. »Schweig! Genug, daß ich sehe.« Was sie erblickt: über den Heulenden mit den entblößten Muskeln wirft sich, auch nicht voll bekleidet, die Dirne. Kräftig wie er selbst, hebt sie ihn vom Stuhl. Aufschluchzen der enttäuschten Dame. Ihr Kavalier, aus dem Dunkeln: »Für einmal hätte ich ihn dir gegönnt.« Vorn der Marchese: »Ich auch.« Die Schöne, erstickter Ton des aufrichtigen Leides: »Schade.« Frage ihres Begleiters, gerade wird er wieder aufgeblendet: »Daß eine andere ihn schon hat?« Sie bleibt verdunkelt. Schmerzlich lieblich wie verlorene Perlen entgleiten ihr die Worte: »Daß er mir noch jetzt gefällt.«
Alsbald wird die Laterne ganz umgewendet. Ihr Schein streift die Kulisse, verläßt sie wieder – diese Personen haben aufgehört zu existieren. Desgleichen ist das Stück hier aus. Oder wenn nicht bis auf den Rest, die Besucher der Logen jedenfalls sind hier aufgebrochen. Nach den letzten Sätzen wird es zu spät sein, bequem hinauszukommen; man vermeide die Menge, die vielfach duftet und unnütz drängt. Das Theater übrigens ist alt und eng, die Vorschriften der Brandpolizei finden keine Anwendung.
Lydia in ihrem Bett, wo dies alles noch einmal spielt, will wissen, wie es damals geendet hätte. Aber fehlt denn etwas? Der Kohlenträger hat von Estelle – sie nennt seine unerreichbare Schönheit Estelle – nicht einmal geträumt. Er sieht ein, daß er statt ihrer das liederliche Mensch aus der Kneipe geliebt haben muß, betrunken wie er war, gegen Morgen. Den Tag hat er auf seinem Sack verschlafen, ohne Traum: er weiß von keinem, weggelöscht ist, was für seinesgleichen nie da war. Er würde sich auslachen, wenn er sich nicht schon beweinte.
Der launige große Herr hat seine Sache trefflich gelenkt. Zuletzt darf er der Dirne zublinzeln. Es heißt: »Nimm ihn mit!« Von drüben heißt das Blinzeln: »War heute nicht das erste Mal. Aber das erste Mal, daß es zwei Doublonen kostet.« Dies bestätigt der große Herr mit breitem Schmunzeln. Der arme Teufel wird nie mehr Rühmens machen von seinen Erlebnissen einer Nacht. Insofern sie zu weit gingen, ihrem Urheber vielleicht beanstandet würden, sind sie nunmehr unschädlich. Seine sorglose Heiterkeit ist hergestellt, sein Wohlwollen ungetrübt, wie er es kennt. Was sind seine Launen? Menschenfreundlich sind sie. Sich und andere in witziger Weise lustig machen: mehr will er nicht. Läßt auch nichts aus. Die pauvres bougres, wie sie da sitzen, bekommen zu saufen, bis sie von den Stühlen rutschen. Da wirft er seinen Mantel über den Kopf und verschwindet.