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Nicht so am nächsten Tage, als er, um eine volle Stunde später als gewöhnlich – denn er war durch eine Sitzung aufgehalten worden – in seine Straße einbog.
Noch weniger als der gestrige lud dieser Tag zum Sitzen im Freien ein: es hatte geregnet, die Bänke waren noch naß, und von den Zweigen der Bäume tropfte es nieder.
Aber er saß da. Dieselbe Haltung: Blick nach oben, Hände in den Taschen.
Ein hirnverbrannter Idiot! murmelte Staatsanwalt Sierlin vor sich hin, als er ihn wieder so dasitzen sah, man müßte ihn einsperren lassen, den Narren, damit er sich nicht die Schwindsucht holt ... Obwohl er sich sagte, daß ihn dieser Fremde und sein Gebaren nicht das geringste anging, unterließ er es doch nicht, nach dem Essen einen Blick hinüberzuwerfen, um zu sehen, ob er noch immer dasaß. Es war reine Neugier. Wie lange hielt es so ein Mensch bei solchem Wetter auf einer Bank im Freien aus? –
Wie wenn der so Beobachtete nur auf diesen Augenblick gewartet hätte, erhob er sich, tat ein paar Schritte und überschritt dann den Fahrdamm, geradewegs auf seine Haustür zukommend, aber ohne aufzusehen. Er sah ganz so aus wie ein Mensch, der sich entschlossen hat, einen langgehegten Entschluß endlich auszuführen.
Staatsanwalt Sierlin, am Fenster, war sich keinen Augenblick darüber im unklaren, daß dieser Entschluß einem Besuche bei ihm galt. Daher also die ersten Begegnungen; daher dies Sitzen und Warten auf der Bank gestern und eben. In jedem nächsten Augenblick würde die Klingel ertönen und Marie mit der Frage kommen, ob der Herr Staatsanwalt zu sprechen seien.
Er kannte den Menschen nicht, und er würde ihn natürlich abweisen lassen. Aber er hatte jetzt eine Erklärung für sein seltsames Benehmen. Ein Bittsteller natürlich, der endlich Mut gefaßt hat. Aber für amtliche Dinge – und nur um solche konnte es sich handeln – war er nur in seinen Berufsstunden auf dem Amt, und auch da nur in bestimmten, von ihm vorher genehmigten Fällen, zu sprechen.
Er trat in das Zimmer zurück und wartete.
Er wartete vergebens.
Es klingelte weder, noch erschien das Mädchen. Hatte er wieder den Mut verloren, oder stand er noch immer zögernd in dem jetzt wieder stärker einsetzenden Regen vor der Haustür?
Er machte das Fenster auf und sah hinaus.
Die Straße war leer; der Unbekannte verschwunden.
Er hat gewiß das Ungehörige seines Verhaltens eingesehen und gibt es auf, mich in meinem Hause sprechen zu wollen, dachte er, als er das Fenster schloß und sich die Regentropfen von Stirn und Bart wischte. Ich werde amtlich von ihm hören.