Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als ich zuerst den Plan faßte, die innere und äußere Geschichte des florentinischen Volkes zu schreiben, war es meine Absicht, die Erzählung mit dem Jahre des Heils 1434 zu beginnen, wo das Haus der Medici, in Folge der Verdienste Cosimos und seines Vaters Giovanni, größeres Ansehen denn irgend eine Familie in Florenz erlangte. Denn ich dachte, daß Messer Lionardo von Arezzo und Messer Poggio, zwei vortreffliche Historiker, alles was vor jener Zeit sich zugetragen, genau erzählt hätten. Nachdem ich aber ihre Schriften aufmerksam durchgelesen, um zu sehen, welche Anordnung und Darstellungsweise sie gewählt, wie um meinem Werke durch Nachahmung der ihrigen bei den Lesern geneigtere Aufnahme zu verschaffen: fand ich, daß sie in der Beschreibung der von den Florentinern mit fremden Fürsten und Völkern geführten Kriege sehr genau gewesen, während sie die häuslichen Zwiste und die Feindschaften der Parteien, wie die daraus hervorgegangenen Wirkungen, teils ganz verschwiegen, teils in solcher Kürze erwähnt haben, daß den Lesenden weder Nutzen noch Genuß daraus erwachsen kann. Die taten sie, meiner Meinung nach, entweder weil jene Vorgänge ihnen so unbedeutend erschienen, daß sie dieselben für unwürdig hielten, durch Geschichtswerke auf die Nachwelt zu kommen, oder aber aus Besorgnis, die Nachkommen derjenigen zu kränken, die in solchen Erzählungen dem Tadel unterliegen müßten. Beide Gründe – möge es ihnen nicht mißfallen – scheinen mir ausgezeichneter Männer unwürdig. Denn wenn irgend etwas in der Historie unterhält oder belehrt, so ist es die ausführliche Beschreibung; wenn irgendeine Lehre den Bürgern, welche Republiken lenken, Vorteil bringt, ist es die Erläuterung des Ursprungs von Haß und Uneinigkeit in den Städten, auf daß sie, klug geworden durch anderer Unglück, einträchtig bleiben mögen. Wirkt jedes Beispiel anderer Staaten, so wirkt zweifach, so ist zweifach nützlich das Beispiel der eignen Heimat. Waren je die Parteikämpfe in einer Republik beachtenswert, so waren es die der Stadt Florenz: denn die meisten andern Freistaaten, von denen Nachrichten auf uns gekommen, hatten an einer Veruneinigung genug, welche je nach den Umständen die Mehrung ihrer Macht oder ihren Untergang verursachte. Florenz aber, damit nicht zufrieden, hat Zwist auf Zwist gehäuft. In Rom entstand, wie jeder weiß, nach der Vertreibung der Könige, der Kampf zwischen Adel und Volk und währte bis zum Ende der Freiheit. So war's in Athen, so in den andern Freistaaten, welche in jenen Zeiten blühten. In Florenz aber spalteten sich erst die Adeligen unter sich selber, dann veruneinigten sich Adel und Volk, zuletzt Volk und Pöbel, und nicht selten geschah es, daß eine dieser Parteien, wenn sie die Oberhand behielt, wiederum in zweie zerfiel. Diese Kämpfe führten so viele Hinrichtungen, so viele Verbannungen, den Untergang so vieler Familien mit sich, wie nie in einer andern Stadt, von der wir Kunde haben. Und ich bin in Wahrheit der Meinung, daß kein Beispiel die Macht unserer Vaterstadt so sehr erläutert, wie die Geschichte dieser Fehden, welche hingereicht hätten, jede, auch die größte und mächtigste Stadt, zugrunde zu richten. Die unsere hingegen schien jedesmal blühender daraus hervorzugehen. So groß war die Tüchtigkeit jener Bürger, so groß die Kraft ihres Geistes und ihres Mutes in Erhöhung ihrer selbst und ihrer Heimat, daß die, welche von solchen Übeln befreit blieben, durch ihre Tugend eher die Vaterstadt aufrecht zu halten vermochten, als die Ungunst der Verhältnisse durch Schwächung ihrer Zahl imstande war, sie zu Boden zu drücken. Wäre das Glück Florenz so hold gewesen, daß, nachdem es sich der Obergewalt des Kaiserreichs entzogen, es eine Regierungsform angenommen hätte, durch welche Eintracht befördert worden wäre: so weiß ich nicht, welche Republik der alten und neuen Zeiten ihm hätte vorangehen oder mit ihm wetteifern dürfen an Waffenruhm und Gewerbtätigkeit. Denn man sieht, wie nach Vertreibung der Gibellinen, deren Zahl so beträchtlich war, daß sie Toscana und die Lombardei füllten, die Guelfen mit den Daheimgebliebenen im Kriege gegen Arezzo, ein Jahr vor der Schlacht von Campaldino, von eignen Bürgern zwölfhundert schwerbewaffnete Reiter und zwölftausend zu Fuß ins Feld stellten. In dem Kriege hierauf gegen Filippo Visconti, Herzog von Mailand, wo die Stadt ihre eignen Hilfsmittel zu erproben hatte, nicht aber ihre eignen Waffen, indem der kriegerische Geist damals schon untergegangen war: gaben die Florentiner in fünf Jahren drei Millionen fünfmalhunderttausend Goldgulden aus, und nachdem dieser Krieg zu Ende geführt war, begnügten sie sich nicht mit dem Frieden, sondern zogen gegen Lucca, um ihre Macht mehr noch an den Tag zu legen. Ich vermag also nicht zu begreifen, weshalb diese Mißhelligkeiten nicht würdig sein sollten, beschrieben zu werden.
Wurden aber jene berühmten Schriftsteller durch die Scheu, das Andenken derer, von welchen sie zu reden hatten, anzugreifen, von der Schilderung dieser Vorgänge zurückgehalten, so irrten sie und kannten wenig den Ehrgeiz der Menschen und deren Begierde, den Namen ihrer Vorfahren und ihren eignen zu verewigen. Sie vergaßen, daß viele, denen es nicht gelungen ist, durch irgendeine lobenswerte Handlung sich Ruhm zu verschaffen, durch tadelnswürdige Taten ihn zu erlangen sich bemüht haben. Ebensowenig bedachten sie, daß Handlungen, die etwas Großes in sich haben, wie es bei öffentlichen Angelegenheiten der Fall ist, welcher Art sie auch sein, welchen Zweck sie auch haben mögen, mehr Ehre bringen denn Tadel.
Diese Umstände, nachdem ich sie ernstlich erwogen, bewirkten eine Veränderung meines Planes, so daß ich meine Erzählung mit den Anfängen unserer Stadt zu beginnen beschloß. Da es nun nicht in meiner Absicht liegt, mich an anderer Platz zu stellen, so werde ich bis zum Jahre 1434 nur die Vorfälle im Innern ausführlich erwähnen, als es zum Verständnis der ersteren erforderlich sein wird. Nach dem genannten Jahre werde ich den einen wie den andern Teil in ihren Einzelheiten durchführen. Damit endlich diese Geschichte allerorts verständlicher werde, beschreibe ich, bevor ich von Florenz handle, auf welche Weise in Italien die damals bestehenden Regierungen sich gestaltet haben. Alle diese Dinge, italienische wie florentinische, werden in vier Büchern enthalten sein. Das erste derselben gibt eine Übersicht der Geschichte Italiens vom Untergange des Römischen Reiches bis zum Jahre 1434. Das zweite geht von dem Ursprunge der Stadt Florenz bis zu dem nach der Vertreibung des Herzogs von Athen gegen den Papst geführten Kriege. Mit dem im Jahre 1414 erfolgten Tode des Königs Ladislaus von Neapel wird das dritte enden, und das vierte bis zum Jahr 1434 gelangen, von welcher Zeit an die Ereignisse in der Stadt, wie außerhalb bis auf unsere Tage umständlicher beschrieben werden sollen.