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»Tut mir leid, Ferrars, aber ich fürchte, es wartet Ihrer eine große Enttäuschung.«
»Eine Enttäuschung? Inwiefern?« gab Ferrars fragend zurück, als er mit John Meyers im Bureau ihres Verbündeten, Wendell Haynes, zusammentraf. »Warum eine Enttäuschung? Ist die Sache nicht ganz in Ordnung?«
»O ja.«
»Keine Hindernisse?«
»Nein.«
»Niemand, der Ansprüche erhebt?«
»Nein. Der Erbschaftsantritt ist in denkbar einfachster Weise reguliert. Sobald der Erbe sein Anrecht nachgewiesen hat, kann er sofort in den Besitz des Vermögens, etwa Lstr. 200,000 gelangen.«
»Gäbe also einen amerikanischen Millionär?« scherzte Ferrars. »Das käme eben recht, besonders da die junge Dame hier ist. Doch zur Sache! Sie haben also den verabredeten Aufruf erlassen?«
»Ja und zwar in sehr kräftiger Form, um die säumigen Erben in Bewegung zu setzen.«
»Tat es diese Wirkung?«
»Ja.«
»Dann verstehe ich nicht, weshalb Sie vorhin meinten, ich würde enttäuscht sein.«
»Weil ich fürchte, daß die Person, die sich gemeldet, nicht diejenige ist, die Sie zu finden hofften.«
Ferrars unterdrückte ein Lächeln. »Beschreiben Sie mir doch diese Person,« sagte er gleichmütig.
Ohne zu antworten hielt ihm der Advokat eine Visitenkarte hin, die den Namen Frau Gaston Latham trug. Ferrars warf einen flüchtigen Blick darauf. »Ist das die einzige Erbin?« fragte er.
»Nein, es sind noch zwei Mädchen von neun und zwölf Jahren da.«
»Und ihre Papiere?«
»Sind in vollster Ordnung. Sie ist die zunächst Erbberechtigte.«
»Das heißt nach den Brierlys,« schaltete Ferrars ein.
»Sie lebt hier in der Stadt?« fuhr der Detektiv fort. »Hat sie die Kinder bei sich?«
»Nur das jüngere. Das ältere Mädchen ist wegen irgend eines Gebrechens in einer Anstalt. Es scheint dies ein großes Herzeleid für die Mutter zu sein, denn in ihrer Sorge um das kranke Kind hat sie bisher gar keinen Gedanken für die Erbschaft gehabt. Jedenfalls ist sie wohl nicht diejenige, die Sie zu sehen erwarteten.«
»Hm – so!« Ferrars lehnte sich in lässiger Haltung in den Sessel zurück. »Erzählen Sie mir doch ein wenig von dieser Frau, lieber Meyers. Ist sie jung oder alt? Hübsch oder häßlich?«
Ein satyrisches Lächeln umspielte die Lippen des Advokaten, als er die Antwort gab: »Frau Gaston Latham ist durchaus zu einer reichen Erbin geeignet. Sie würde eine hübsche Schloßfrau abgeben und das Geld der Prisley in nobler Weise unter die Leute bringen.«
»Schade, daß sie nie Gelegenheit dazu haben wird!« warf Ferrars gelassen ein. »Und nun bitte, – ihre Personalbeschreibung!«
»Hm –« begann Meyers nicht ohne versteckte Ironie, »sie ist etwas unter Mittelgröße und – hm – ein wenig plump, das heißt, nicht gerade graziös. Ihr Haar ist weiß, dennoch sieht sie nicht älter aus wie vierzig. Sie hat den frischen, britischen Teint, blaue Augen, die aber einer Brille bedürfen, und eine etwas schrille Stimme, die zuweilen etwas affektiert klingt. Im Übrigen ist sie eine sehr gescheite, anziehende kleine Frau und – wenn auch das Sie interessiert – der Advokat lächelte verschmitzt – »sie trägt mit Vorliebe graue und mattlila Toiletten.«
»Das ist ein großer Fehler,« bemerkte Ferrars scheinbar gleichgültig. »Starke Damen dürften sich nie in helle Farben kleiden.«
Meyers zwinkerte mit den Augen. »Mir scheint, lieber Freund,« sagte er in scherzendem Ton, »diese Frau Latham ist Ihnen nicht ganz unbekannt.«
»Das stimmt!« nickte Ferrars schmunzelnd. »Ich habe bereits von der Dame gehört, glaubte aber nicht, in ihr eine Erbberechtigte zu finden. Sie erinnern sich vielleicht, daß ich früher ab und zu von einer Frau Jamieson sprach?«
Meyers bejahte.
»Nun, ich habe erfahren, daß sie in einem gewissen Hause in Bloomsbury wohnt und wenn sie verreist ist, ihre Briefe dorthin mit der Adresse: Frau Gaston Latham schicken läßt.«
»Ah!« Der Advokat schwieg einen Augenblick, dann blickte er dem Detektiv scharf ins Gesicht. »Offen gestanden, Ferrars, ich dachte, Sie rechneten auf ganz andere Reflektanten für die Erbschaft Prisley und daß Frau Latham auf keinen Fall die von Ihnen Erwartete sei. Stört das nicht Ihre Pläne?«
»Durchaus nicht, ich bin weder überrascht noch enttäuscht und habe mehr denn je die Überzeugung, daß wir hier in London der Lösung des Geheimnisses nahe sind. Ist Herr Haynes völlig in der Sache orientiert?«
»So weit ich es selber bin.«
»Nun, dann wollen wir jetzt mit ihm weiter beraten, denn wir werden wahrscheinlich seines Beistandes bedürfen.«
Sobald der englische Anwalt sich zu ihnen gesellt hatte, ergriff Ferrars das Wort, faßte das Ergebnis der bisherigen Nachforschungen kurz zusammen und entwickelte seinen Plan. »Sie sehen, meine Herren,« schloß er, »ich könnte einen kühnen Streich führen und die Verdächtigen sofort verhaften, allein der Fall ist kompliziert; auch möchte ich unseren Gegnern keine Möglichkeit geben zu entschlüpfen. Überdies weiß ich den Namen des Einen noch nicht, aber ich habe Scotland Yard in Anspruch genommen und so wird man ihn wohl bald ausfindig machen.«
»Werden Sie ihn dann verhaften lassen?« fragte Meyers.
»Nein. So lange er London nicht verläßt, mag er frei kommen und gehen, natürlich unter scharfer Überwachung. Seine Beteiligung an der Sache ist mir noch nicht ganz klar, besonders nicht seine Anwesenheit in Glenville. Möglicherweise spielt er nur eine Nebenrolle, aber durch ihn finden wir vielleicht den Anstifter des Verbrechens.«
»Ist es nicht riskiert,« wandte Haynes ein, »dem Mann, der doch sicher ein geriebener Bursche sein wird, so viel Spielraum zu lassen?«
»Pah!« gab der Detektiv sorglos zurück, »wenn ich seinen Namen auch nicht weiß, so weiß ich doch, was er ist. Es gibt Spitzbuben in der Welt, die immer neue Schurkereien ersinnen, dabei aber oft genug keinen Heller haben. Dieser Mensch ist ein Spieler. In Chicago versetzte er die Uhr, die aus Charles Brierlys Zimmer gestohlen worden war, trotzdem er wußte, welcher Gefahr er sich damit aussetzte. Allein er brauchte Geld. Sobald er im Spiel gewonnen hatte, löste er sie aus Furcht vor Entdeckung wieder aus. Er ahnt nicht, daß wir hier sind, noch weniger, daß er überwacht wird. Seine Spielwut treibt ihn uns sicher bald ins Garn, denn wenn er verliert, versetzt oder verkauft er zweifellos die Wertsachen, die in Brierlys Schreibtisch lagen. Fräulein Grant hatte sie oft gesehen.«
»Warum glauben Sie, daß dieser Mann sie hat?«
»Erstens, weil sie nur als Vorwand, um die Polizei irre zu führen, gestohlen wurden, und zweitens, weil der Dieb keine Zeit verlor, sie weiterzuschaffen. Eine Teilung erscheint mir ausgeschlossen, doch nun erzählen Sie mir, bitte, von Ihrer Unterredung mit Frau Latham.«
»Da ist wenig zu sagen,« entgegnete Haynes. »Ihrer Anweisung gemäß hielt ich die Dame hin und verabredete eine weitere Besprechung, die nunmehr in Ihrer Gegenwart stattfinden wird.«
Ferrars schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, wir müssen unseren Plan ein wenig ändern. Die Sache ist nämlich die –« er blickte mit eigentümlichem Lächeln zu Meyers hinüber – »ich habe jetzt erst erfahren, daß eine Dame, die ich kenne, eine Freundin der Frau Latham ist und bei ihr in Bloomsbury wohnt. Es wäre mir doch peinlich, vor dieser Dame als Gegner ihrer Freundin zu erscheinen. Aus diesem Grunde will ich lieber nicht direkt zugegen sein. Da Sie die Verhandlungen begonnen haben, Herr Haynes, könnten Sie dieselben ganz gut allein weiterführen. Werden Sie es übernehmen?«
»Recht gern, nur müssen Sie mir noch einige Winke geben.«
»Die sollen Sie haben,« nickte Ferrars zufrieden. »Wann wollte die Dame wiederkommen?«
»Sobald ich ihr eine Stunde bestimme.«
»Nun, dann bescheiden Sie sie auf morgen zwei Uhr hierher. Sie soll aber allein kommen. Natürlich möchte ich Zeuge der Unterredung sein. Könnten Sie es einrichten, daß Herr Meyers und ich ungesehen zuhören?«
»O ja,« nickte Haynes, »das ließe sich einrichten. Sehen Sie jene zwei Türen nebeneinander. Sie führen in meine Privatgemächer. Ich werde dem Bureaudiener Auftrag geben, das hohe Büchergestell da an der Wand vor die Türe rechts zu rücken; die Tür lassen wir dann offen und Sie können von dem Raum dahinter alles bequem hören. Zur Not kann ich auch noch meinen Schreibtisch und die Stühle etwas näher an die Tür stellen lassen.«
»Ausgezeichnet! Doch noch eins: ich hätte die Dame auch gern gesehen.«
»Auch dafür wäre gesorgt,« lachte der findige Advokat, »wenn Sie sich etwas unkenntlich machten und sich mit dem Rücken gegen das Licht, an das Pult meines Schreibers setzten. Nach einer Weile schicke ich Sie unter einem Vorwand hinaus und Sie können sich durch die Türe links zu Herrn Meyers auf den Lauscherposten begeben.«
Ferrars war damit einverstanden und nachdem alles verabredet worden, trennten sich die Herren. Beim Betreten seiner Wohnung fand der Detektiv ein Billet vom Polizeiinspektor Hirsch, den er mit der Aufsuchung des Spielers betraut hatte. Dieser wünschte ihn dringend zu sprechen und so begab sich Ferrars eilig nach Scotland Yard.
»Wir haben den Burschen gefunden,« berichtete ihm der Inspektor. »War leichte Arbeit. Kenne meine Leute. Können Gift drauf nehmen, lieber Freund, wenn so einer, der nur vom Spielen und Wetten lebt, mal eine Weile fort war, sucht er bei seiner Rückkehr unbedingt eine von den Dutzend Spielhöllen auf, die wir aufs Genaueste kennen. Ich ließ also dort Umschau halten und – –«
»Sie fanden ihn?« unterbrach ihn Ferrars gespannt.
»Nicht nur das – wir brachten auch seinen Namen heraus. Er heißt Harry Levey, sein Spitzname lautet: der streitsüchtige Harry.«
»Dacht' mir's wohl, daß er in die Kategorie gehöre,« bemerkte Ferrars nachdenklich. »Was ist seine Hauptbeschäftigung?«
»Kartenspielen und Wettbetrügereien. Smithson, der ihn von früher kennt, behauptet, daß er sich mit jeder faulen Sache abgibt, wenn seine Taschen leer sind. Wir fanden ihn gestern in einer Spielhölle; er hatte viel Geld verloren. Schlechtgelaunt suchte er seine Wohnung in Soho auf und ging heute früh nach Houndsditch, wo er in verschiedenen Cafés mit Juden verhandelte.«
»Wahrscheinlich wegen eines Darlehens,« warf Ferrars ein. »Nun, behalten Sie ihn weiter im Auge; morgen abend jedoch will ich ihn selbst einmal beobachten.«
Er machte sich einige Notizen und dann saßen die Zwei noch ein Stündchen gemütlich plaudernd bei einem guten Glase Wein und einer echten Havanna. Sie waren seit Jahren befreundet und hatten sich nach Ferrars langer Abwesenheit viel zu erzählen. Gegen zehn Uhr wollte der Detektiv sich verabschieden, doch in diesem Augenblick trat Smithson ein, um dem Chef zu melden, Harry Levey befinde sich zur Stunde im Vaudeville-Theater, werde aber von seinem, Smithson's, Kollegen überwacht. »Er hat einen jungen Grünschnabel bei sich,« schloß der Beamte seinen Bericht, »und 's scheint, als wollten sie sich 'ne lustige Nacht machen.«
Ferrars hatte sich rasch erhoben. »Wollen Sie mich begleiten, Hirsch?« wandte er sich an den Inspektor. »Es wäre mir sehr erwünscht. Außerdem hätte ich gern ein Legitimationsabzeichen – man weiß nie, was geschehen kann.«
»Sehr wahr, Sie großer Philosoph!« lachte der Inspektor und dann machte er sich mit Ferrars auf den Weg nach dem Vaudeville-Theater. Dort angekommen, betraten sie das glänzend erleuchtete Vestibül, doch kaum hatten sie es zur Hälfte durchschritten, als Hirsch seinen Gefährten am Arm ergriff und in den Schatten eines Pfeilers drückte. »Still!« raunte er ihm zu. »Da kommt Hobson. Entweder hat er sein Wild aus den Augen verloren oder – na, ich werde ihn gleich befragen. Warten Sie hier auf mich.«
Er mischte sich unter die hereinflutenden Theatergäste und gleich darauf sah Ferrars ihn neben einem stutzerhaft gekleideten jungen Menschen stehen, der sich bemühte, seinen glimmenden Zigarrenstummel wieder anzufachen. Den Inspektor schien er gar nicht zu erkennen, als dieser an ihm vorüberging, denn sein Gesicht blieb unbeweglich und er beschäftigte sich ausschließlich mit seiner Zigarre.
Nach zwei Minuten stand Hirsch wieder neben Ferrars. »Ihr Klient hat's hier schon satt,« flüsterte er, »Hobson hat erlauscht, daß er mit dem jungen Grünschnabel, wie Smithson ihn nannte, in's Savoytheater geht. Er wird den Jüngling wohl rupfen, wenn nichts dazwischen kommt. Hobson behält ihn auf jeden Fall im Auge. Wollen Sie auch in's Savoy?«
»Selbstverständlich,« entgegnete Ferrars mit leichter Ungeduld und mit einer Hast, die ihm sonst nicht eigen, bahnte er sich den Weg auf die Straße hinaus. Auch hier ließ seine Eile nicht nach und so hatten sie bald das nicht sehr entfernte Savoytheater erreicht. Sie postierten sich am Eingang, die Ankunft Harry Leveys und seines Begleiters erwartend. Es dauerte auch nicht lange, so tauchten aus dem Straßendunkel zwei Gestalten auf, die eine groß, breitschultrig, mit regelmäßigen, aber rohen Gesichtszügen; die zweite bedeutend kleiner, mit einem auffallend weibischen, verlebten Gesicht. Beide waren im Gesellschaftsanzug.
»Ein Stündchen kann ich noch mit Ihnen zusammen sein,« bemerkte der Inspektor zu Ferrars, als sie den beiden Männern ins Innere des Theaters folgten, »dann ruft mich die Pflicht.«
Auf seinen Platz angelangt, widmete der Detektiv seine ganze Aufmerksamkeit dem »streitsüchtigen Harry,« der seine Blicke wie suchend durch das Haus gleiten ließ. Mit Hilfe eines Opernglases begann nun auch Ferrars Umschau zu halten; dabei machte er eine Entdeckung, die sein höchstes Interesse erregte. Während des Zwischenaktes verließ ihn der Inspektor, und da sich der größte Teil des Publikums, auch Harry Levey und sein Begleiter, ins Foyer begab, so tat Ferrars ein Gleiches. Die von ihm so eifrig Beobachteten ließen sich in der Nähe des Büffets nieder, um eine Kleinigkeit zu genießen. Unauffällig nahm der Detektiv an einem etwas entfernteren Tischchen dicht an einer Säule Platz, winkte den Oberkellner heran, mit dem er leise einige Worte wechselte, worauf ihm dieser eine halbe Flasche Wein und einige Sandwiches brachte. Ohne selbst gesehen zu werden, schaute Ferrars von Zeit zu Zeit zu Harry Levey hinüber. Dabei sah er, wie der Mann ein paar Worte auf ein Blatt Papier kritzelte, das er einem der jüngeren Kellner mit einer geflüsterten Weisung übergab. Ferrars machte dem Oberkellner ein Zeichen, der daraufhin seinem Untergebenen wie zufällig in den Weg trat, als dieser dem anderen Ende des Salons zusteuerte.
»Kit,« raunte der Gestrenge dem Kleinen zu, »schieb mir mal das Blättchen da in die Hand und warte hier unter den Taxuspflanzen, bis ich's Dir wieder bringe. Flink! Keine Widerrede!« Der junge Bursche gehorchte und im nächsten Augenblick sah sich Ferrars im Besitz des mit Bleistift geschriebenen Billets. Es enthielt nur zwei Zeilen:
»Fahre nach dem Café Royal und reserviere das Kabinett Nr. 9. Ich komme bald nach.«
Auf demselben Weg, wie Ferrars es erhalten hatte, ging das Blättchen wieder in Kits Hände zurück, der es nun ungehindert an die ihm von Harry Levey bezeichnete Person abliefern konnte.
Das Glockenzeichen zum Wiederbeginn ertönte; alles flutete in den Zuschauerraum zurück; nur Ferrars folgte nicht dem Strom, sondern verließ das Theater und fuhr nach dem Café Royal. Hier wies er dem Pächter sein Legitimationszeichen sowie eine Karte des Inspektors Hirsch vor, worauf man ihm auf sein Verlangen das Kabinett Nr. 8 überließ. »Wenn jemand darnach fragt,« instruierte er den Kellner, indem er ihm ein Geldstück in die Hand drückte, »so sagen Sie, es sei jetzt leer, aber für Mitternacht reserviert.«
Sobald er allein war, rückte Ferrars seinen Stuhl dicht an die sehr dünne Zwischenwand, drehte das Gas so niedrig wie möglich und wartete geduldig. Schon nach kurzer Zeit wurde nebenan die Türe geöffnet; er vernahm das Rascheln eines Frauengewandes, dann blieb eine Weile alles still.
Als dann wieder die Türe geöffnet und ein schwerer Schritt vernehmbar wurde, wußte Ferrars, daß, wenn er wollte, er jetzt die Hand auf diejenigen legen konnte, die er so lange und anfangs so vergeblich gesucht hatte.
»Sind wir hier ganz ungestört?« erklang die Stimme des Mannes. »Wollen uns erst mal erkundigen.« Er klingelte dem Kellner, bei dem er Wein bestellte und der ihm auf seine Frage mitteilte, die benachbarten Kabinette seien leer, Nr. 8 jedoch für Mitternacht reserviert.
Nachdem der Kellner den Wein gebracht und sich zurückgezogen hatte, vernahm Ferrars auf seinem Lauscherposten die ziemlich barsch klingende Stimme des Mannes: »Warum beschleunigst Du die Sache nicht? Ich sagte Dir doch, wir seien sicher. Über den Ozean kommt jetzt niemand. Wie lange willst Du noch zögern?« »Gar nicht mehr,« entgegnete die Frauenstimme. »Hast Du nicht den Aufruf in der Zeitung gelesen? Man sucht nach den Erben, und der Advokat hat mir gesagt, wenn ich mich nicht meldete, ginge die Sache an einen anderen Gerichtshof, was wieder zeitraubende Untersuchungen mit sich bringen würde. Ich werde also jetzt die Papiere vorlegen, doch wenn sie mißtrauisch sind oder meine Identität bezweifeln – – Nimm mal an, es tauche im letzten Augenblick jemand auf, der sie gekannt hat –«
»Unsinn!« wehrte der Mann verächtlich ab.
»Oder sich meiner erinnert – –«
»Das sind Hirngespinste! Lathams erste Frau starb vor so langen Jahren und noch dazu fernab in Schweden. Freunde besaß sie wenige, Verwandte gar keine.«
»Manchmal fürchte ich,« wandte die Frau nochmals ein, »daß die Kinder sich eines Tages der Sache erinnern werden.«
»Gib Dich doch nicht mit solchen Phantastereien ab!« brummte der Mann. »Die Zeit ist da – jetzt heißt es handeln. Du hast alle Papiere, den Taufschein sowohl wie die Testamentsabschrift. Wer will nachweisen, daß die erste Frau Latham starb, daß sie, hier wie in Amerika, der letzte Nachkomme der Prisley war? Du bist auf dem Kontinent getraut worden und im Besitz ihrer Juwelen und Familienpapiere. Ihre Kinder nennen Dich Mutter, weil sie es nicht anders wissen.«
»Und sie – hassen mich!« warf die Frau bitter ein.
Der Mann lachte cynisch auf. »Das spielt keine Rolle dabei. Bedenke – wir brauchen das Geld. Haben wir nicht alles aufs Spiel gesetzt? Wie lange können wir noch anständig weiterleben, wenn Dir nicht bald die Erbschaft zufällt? Ich muß Geld haben – um jeden Preis! Oder willst Du Deinen Bruder verhungern sehen?«
»Still! Du bist nicht mein Bruder – nur mein Schwager.«
»Das bleibt sich gleich. Übrigens, was wolltest Du mir heute abend so Wichtiges sagen?«
»Daß mich jene Advokaten auf morgen bestellt haben.«
»Ah – und ich als Dein nächster Verwandter muß Dich wohl begleiten und für diesen schweren Gang Deine Stütze sein?«
»Keineswegs. Man verlangt ausdrücklich, ich solle allein kommen. Geh Du aber doch mit mir. Nur bitte ich Dich, nicht noch die ganze Nacht zu durchschwärmen und morgen nüchtern zu bleiben. Es hängt viel von dem Eindruck ab, den wir auf sie machen werden. Wenn die Sache mißglückt –«
»Das kann sie nicht,« lautete die entschiedene Antwort. »Bist Du nicht die nächste Erbberechtigte?«
Ferrars erhob sich und verließ geräuschlos das Kabinett. Er hatte genug gehört! In der Vorhalle traf er den Polizeibeamten Hobson, der, weil nicht in Uniform, niemand auffiel.
»Behalten Sie den Mann scharf im Auge, Hobson,« wies Ferrars ihn an. »Sagen Sie auch dem Inspektor, er möge einen Verhaftsbefehl wegen Betrugs und versuchten Mordes bereit halten, denn morgen muß Harry Levey hinter Schloß und Riegel sitzen.«
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