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Erstes Kapitel.
Bei den zwei Schwestern

»Wenn wir doch nur erst den verwünschten Berg herauf wären«, stöhnte Frau Amtsgerichtsrat Mühlmann.

»Meine Zunge klebt mir am Gaumen«, sagte ihr Mann.

Und der dicke Doktor fügte hinzu: »Ich bin überhaupt der Meinung, wir haben uns verlaufen.«

»Das wäre ja schrecklich«, seufzte die alte Dame.

»Ja«, meinte der Doktor, »das kommt von diesem verwünschten Kletterpartien, noch dazu in einem Lande, wo einem kein Mensch in der eigenen, guten Muttersprache Bescheid sagen kann.«

»Aber Onkel Doktor«, fiel ihm die junge Tochter der Rätin in's Wort, »da vor uns auf den Steinen sitzt ja ein kleines Mädchen, das wird uns gewiß den Weg zeigen können bis hinauf nach dem Ort.«

»Zeigen würde sie ihn schon können«, brummte der Doktor »aber, Nelly, wie willst Du Dich mit ihr verständigen? Solch italienisches Bauernmädel versteht ja doch kein Sterbenswörtchen unserer lieben Heimatssprache.«

Nelly bedauerte bei sich, daß sie noch nicht in der ersten Klasse der Mädchenschule angelangt war, in der eine richtige Italienerin jede Woche einmal eine Sprachstunde gab, was den großen Mädchen vielen Spaß machte. Aber Nelly war erst in der zweiten Klasse, obgleich sie schon vierzehn Jahre zählte. Sie war zart und bleichsüchtig und deshalb hatten ihre Eltern sie auch mit auf die große Reise nach dem Süden genommen, die den alten Leuten im Grunde mehr Anstrengung als Freude bereitete.

Die kleine Reisegesellschaft war mittlerweile bei dem Steinhaufen angekommen, auf dem das kleine Italienermädchen saß und ihrer Ziege zuschaute, die an den spärlichen Kräutern rundum nagte.

Völlig außer Atem blieb der Doktor vor der Kleinen stehen und pustend und sich Kühlung zufächelnd, keuchte er: »Mädel, wenn Du uns doch den Weg nach dem Ort zeigen wolltest?«

Wer beschreibt aber sein Erstaunen, als die Kleine in reinem Deutsch entgegnete:

»Bis nach Anacapri könnte ich gut mitgehen.«

»Blitzmädel«, rief der Doktor hocherfreut, »wo hast Du denn Dein Deutsch gelernt!«

»Beim Herrn Lehrer,« lautete die Antwort.

»Was?« fragte jetzt auch Nelly, »lernen bei Euch so kleine Mädchen schon Deutsch in Eurer Dorfschule, wir haben doch nur in der ersten Klasse italienisch.«

Die Kleine rief ihre Ziege: »Bella« und schritt dann leichtfüßig vor den Fremden her.

»Nicht so fix, nicht so fix,« rief die alte Rätin ein paar Mal.

Aber die Kinder hörten nicht, denn Nelly ging schon an der Seilte der kleinen Italienerin und überhäufte sie mit Fragen.

»Wie heißt Du denn?« war das erste.

»Dina, und Du?«

»Nelly.«

»So heißt gar keiner bei uns.«

»Wie heißen sie denn bei Euch?«

»Nun, Concetta und Brigitta und Maria, Dina heiße ich auch allein in ganz Anacapri.«

»Und wo wohnst Du?« fragte Nelly von Neuem.

»Bei der Gitta und der Nunzia in der großen Villa, die dem Herrn aus Rom gehört, und wo auch der Herr Lehrer wohnt.«

»Das ist wohl die Schule?« fragte Nelly.

»Nein«, entgegnete Dina, »die Schule ist weiter im Dorf, aber da gehe ich selten hin.«

»Müßt Ihr denn nicht alle Tage in die Schule gehen, außer während der Ferien?« meinte Nelly von Neuem erstaunt.

»Ach nein,« entgegnete Dina, »wir müssen doch bei der Gartenarbeit helfen und können nicht alle Tage in die Schule gehen. Und weißt Du, ich lerne ja auch bei dem Herrn Lehrer.«

»Und der unterrichtet nicht in der Schule?« fiel ihr Nelly erstaunt in's Wort.

»Nein, der wohnt bei der Gitta und Nunzia,« erwiderte die Kleine und fügte dann wichtig hinzu: »er hat ein Stendium (Stipendium wollte sie sagen), das ist nämlich das Reisegeld, was er gekriegt hat, um hierherzukommen und hier wieder gesund zu werden. Der arme Herr Lehrer war so blaß und krank, als er kam und lag immer zu Bett, aber jetzt klettert er schon manchmal mit mir, wenn ich mit der Bella an den Abhängen herumsteige, daß sie frisches Gras kriegt, denn in den Garten darf sie nicht, da frißt sie der Gitta alles Gemüse ab.«

Nelly hörte gespannt der kleinen Italienerin zu, die nun begann von Gitta und Nunzia zu erzählen, von dem Garten und den Eigenschaften ihrer Ziege, die, wie sie behauptete, die schönste Milch gäbe, die den Herrn Lehrer so bald gesund gemacht hatte.

Es währte eine kleine halbe Stunde, da hatten die Fremden unter Dinas Leitung das Örtchen Anacapri erreicht, und Dina schritt nun mit ihnen auf der breiten Landstraße vorwärts, die nach Capri führte, wo die Fremden in einem Hotel Wohnung genommen hatten. Sie konnten jetzt den Weg nicht mehr verfehlen, und Dina blieb deshalb vor einem großen Thor am Ende des Orts stehen, um ihrer neuen Freundin die Hand zum Abschied zu reichen.

»In diesem großen Hause wohnst Du«, sagte Nelly, »ei, hier ist es aber hübsch.«

»Das große Haus gehört dem Herrn aus Rom«, entgegnete Dina, »wir wohnen in dem niedrigen Anbau daneben. Nunzia hält nur das Haus in Ordnung bis der Herr wiederkommt, und Gitta besorgt den Garten.«

Während sie so sprachen hatte sich eine, zwischen den Weinstöcken knieende Gestalt aufgerichtet und kam nun auf die Kinder zu. Es war Gitta, die, neugierig, sehen wollte was da draußen vor sich ging. Der Rat und die Rätin sowie der alte lustige Doktor Reinhart, der Hausarzt und Freund der Familie, waren mittlerweile auch herangekommen und bedankten sich bei Dina für ihre Führung. Ja der Doktor drückte ihr sogar ein schönes Silberstück in die Hand, das das Kind sofort Gitta aushändigte, die dafür in einem Schwall von italienischen Worten, von denen die Fremden keine Silbe verstanden, den Segen Gottes für ihre Wohlthat anrief. Nelly händigte Dina den Rest ihres Frühstücks, ein großes Stück Kuchen und eine noch halbgefüllte Düte mit Chokolade ein und beschloß unter Zustimmung ihrer Eltern, daß sie bald wieder nach Anacapri kommen und unter Dinas Führung von hier aus noch andere Spaziergänge unternehmen wollten. Der Gitta, die nun ihrerseits nichts von den Verhandlungen verstand, mußte Dina schnell Alles aus italienisch wiederholen, und Nelly konnte sich nicht genug wundern, daß die Kleine, die drei Jahre jünger war als sie, schon deutsch und italienisch zu sprechen wußte.

Auf dem Rückweg plauderte sie die ganze Zeit ihren Eltern von Dina vor, die ihr über die Maßen gefallen hatte und der Doktor pflichtete ihr bei und meinte lachend, die Kleine müsse, wenn sie nur rein gewaschen sei und Strümpfe und Schuh an den Füßen, sowie ein ordentliches Kleidchen auf dem Leibe habe, eine ganz nette Schwester für Nelly abgeben. Die blauen Augen paßten ohnehin nicht zur Italienerin, wenn auch ihre schwarzen Locken lebhaft damit in Widerspruch ständen.

Während die Fremden in der heißen, italienischen Mittagssonne dem Hotel zuschritten, hatte Gitta das Kind in den Garten gezogen, wo die Kleine berichten mußte wo und wie sie die Fremden getroffen hatte, die ihr das schöne Geldstück geschenkt hatten. Mit Geld konnte man sich Gittas Herz leicht gewinnen. Sie berechnete sich sofort was man für das Silberstück Alles kaufen konnte und war sehr einverstanden, daß Dina öfter die Fremden führen sollte. Denn soviel konnte ihr das Kind ja garnicht im Garten helfen, wie sie da an einem Vormittag ohne jede Anstrengung verdiente, und voll Freuden teilte Gitta ihrer Schwester Nunzia mit wie leicht sich das Kind Geld verdienen könnte und wie ihnen damit Alles, was sie an dem Kinde gethan hatten, zurückerstattet werden würde.

Im Grunde war es nicht so gar viel, was die Gitta und Nunzia oder vielmehr Brigitta und Annunziata, wie sie eigentlich hießen, an Dina gethan hatten. Sie hatten freilich Dina nach dem Tode ihrer Mutter zu sich in's Haus genommen, aber dafür erhielten sie von der Gemeinde eine kleine Unterstützung, und Dina half immerhin bei der Gartenarbeit, ging mit Bella auf die Weide und brauchte außerdem so wenig. Ein alter Rock der Schwestern diente ihr als Bekleidung und was sie zum essen bedurfte, gab für alle drei reichlich der große Garten ihres Herrn her. Ein Bett brauchte Dina auch nicht, sie schlief neben ihrer Bella auf dem Stroh, auch hatte sie eine alte Pferdedecke in dem Keller der Villa gefunden, mit der sie sich zudeckte, wenn es ja einmal kalt war.

Auf ihre Eltern besann sich Dina kaum. Ihr Vater war ein deutscher Maler gewesen, der Dinas Mutter, die Anna, das schönste Mädchen seinerzeit auf der ganzen Insel Capri, sehr lieb gewonnen und zur Frau genommen hatte. Bald nach der Heirat waren sie nach Rom gezogen, wo Dina geboren wurde. Als sie fünf Jahre alt war, verunglückte ihr Vater auf einer Tour im Gebirge und wurde der Mutter tot heimgebracht, und der Anna fuhr der Schreck so in die Glieder, daß sie von da an gelähmt war. Ein Freund ihres Mannes brachte sie nach Capri zurück, doch sie kränkelte immer und nach kurzer Zeit starb auch sie. Nun stand Dina ganz allein in der Welt, und es war noch ein Glück, daß sie bei den beiden, alten Schwestern, Gitta und Nunzia, ein Unterkommen fand, denn sonst hätte sie verhungern können. Daß sie als Waise ganz allein in der Welt stand, dafür hatte das Kind bei dem Tode seiner Mutter natürlich noch kein Verständnis gehabt und sie fand sich bald genug in das neue Leben. Ja, es gefiel ihr sogar viel besser auf den Berghängen Capris herumzuklettern oder mit Gitta im Garten zu graben, zu pflanzen und zu jäten, als in der großen Stadt Rom, wo sie in einem großen Hause viele Treppen hoch gewohnt hatten und sie nie allein ausgehen konnte. Zuerst hatte sie kein Wort italienisch verstanden, denn ihr Vater hatte streng darauf gehalten, daß mit dem Kinde nur deutsch gesprochen wurde, aber bald hatte sie es gelernt sich zu verständigen. Nur die schweren Worte waren ihr nicht gelungen, weshalb sie aus Brigitta und Annunziata Gitta und Nunzia gemacht hatte, wie die beiden Schwestern nach Dinas Benennung der Kürze halber bald im ganzen Dorfe hießen. Dinas bester Freund war nun die Ziege der Schwestern geworden. Es war aber auch wirklich, als ob Bella das Kind verstände, wenn dieses zu ihr sprach. Man sah die beiden nie eins ohne das andere und hatte Bella ihre junge Herrin ja einmal aus den Augen verloren, dann mäckerte das arme Tier so jämmerlich, als würde es zur Schlachtbank geführt. Nächst Bella hatte Dina am meisten Zutrauen zu Gitta gefaßt, sie war die gutmütigere von den beiden Schwestern, außerdem konnte ihr Dina, wie gesagt, bei ihren wirtschaftlichen Verrichtungen zur Hand gehen, während Nunzia, die die Obliegenheit hatte, die Villa immer sauber zu halten und die Papageien des Herrn zu füttern, keiner Menschenseele den Zutritt zu den festverschlossenen Räumen gestattete. Ja, nicht einmal die Papageien durfte Dina allein besuchen, nur ab und zu hatte sie sie von fern gesehen, wenn Nunzia ihnen Futter und Wasser brachte. Ein Dorn im Auge war es Nunzia gewesen, als der Herr aus Rom eines Tages schrieb, das eine Zimmer im rechten Flügel der Villa sollte zurecht gemacht werden, zur Aufnahme eines jungen Doktors aus Deutschland, der ihm warm empfohlen sei und der sich in der Villa auf Capri erholen sollte von einer schweren Krankheit.

Widerwillig hatte Nunzia das freundliche Sonnenzimmer eingeräumt, und es hatte nicht lange gewährt, da war ein Wagen vorgefahren und ein blasser, hagerer, junger Mann hatte Einlaß begehrt. Dina hatte dabei gestanden wie Nunzia den jungen Mann in sein Zimmer geführt hatte, aber die Nunzia hatte, ganz gegen ihre Gewohnheit, kein Wort dabei gesprochen, drohend nur hatte sie mit den Schlüsseln geklirrt, als brächte sie den Fremden in ein Gefängnis. Und doch hatten die Augen des jungen Mannes so froh und dankbar auf allem geruht, auf der schönen Villa, den blühenden Blumen und weit unten auf dem sonnigen, blauen Meer.

Als er in seinem Zimmer war, hatte er sich gleich zu Bett gelegt und war lange nicht aufgestanden, und da hatte ihm Dina immer das Essen gebracht, denn Nunzia mochte mit dem Eindringling nichts zu schaffen haben und Gitta hatte keine Zeit. Von den Speisen, die ihm die Schwestern kochten, hatte der junge Mann zwar immer nur wenig angerührt, aber die fette Milch von Bella, die ihm Dina stets frischgemolken und noch warm an's Bett trug, hatte er mit Wohlbehagen geschlürft, das hatte Dina voll Verständnis beobachtet.

Als er sich etwas besser fühlte, hatte er sich dann mehr mit den Kindern beschäftigt, und Dina, die sonst ein kleiner Wildfang war, und nur gern auf den Felsen herumkletterte oder sich mit Bella umhertrieb, hatte dem deutschen Doktor ganz still zugehört und bei ihm buchstabieren und rechnen und schreiben gelernt. In die Schule mochte sie um nichts in der Welt, auf den engen Bänken zu sitzen war für sie eine Qual. Aber wenn der Doktor ein hübsches Buch mitnahm in den Garten und ihr das erklärte und die Worte sie lesen lehrte, so war das ein Spaß und noch hübscher war es, wie er, als er besser war, sie und Bella auf kleinen Gängen begleitete, ihr Blumen und Pflanzen erklärte und ihr für alles auf deutsch Namen und Gattungen beibrachte. Dina hatte bei ihm spielend gelernt, was ihr sonst vielleicht sehr schwer gefallen wäre, und der Herr Lehrer hatte durch seine Güte leicht ihr ganzes Kinderherz gewonnen.

Hans Schenk, so hieß er, war Privatdozent der Naturwissenschaft an der Universität Berlin. Häufig erzählte er Dina von seinen vielen großen Schülern, die sich Studenten nannten, und Dina war es dann stets sehr wunderbar erschienen, daß solche großen, ausgewachsenen Menschen auch noch etwas lernen konnten. Wenn sie so alt sein würde, meinte sie, wüßte sie alles, und die großen Studenten hätten wohl nicht so früh bei dem Herrn Lehrer angefangen zu lernen wie sie. Was ein Privatdozent war, konnte sie sich nicht vorstellen, für sie war und blieb Hans Schenk der Herr Lehrer, wie sie ihn von Anfang an, seit er ihr Unterricht gegeben, getauft hatte.

»Herr Lehrer«, mit diesen Worten war sie nach der Begegnung mit den Fremden zu ihrem Freund in's Zimmer gestürmt, »heute habe ich richtige Deutsche gesehen, wie Du es bist«.

»Haben sie mit Dir gesprochen?«

»Ja, ich habe Nelly auch von Dir erzählt und einer war dabei, den nannten Sie: Onkel Doktor. Er sah aber garnicht aus wie Du und Du heißt doch auch Doktor. Bald kommen sie wieder, mich abzuholen, gehst Du dann mit uns? Ach bitte, bitte, lieber Herr Lehrer? Denn Nelly denkt sonst, Du sitzt auf dem Katheder in der Schule und hast einen dicken Bauch und eine große Brille auf der Nase, wie der wirkliche Lehrer drunten in Anacapri.«

»Aber Dina«, fiel ihr Doktor Schenk in's Wort, der jetzt erst den Kopf von seiner Arbeit erhob, mit der er gerade beschäftigt war, »Du hast ja Bella wieder mit in die Stube gebracht. Wenn das Nunzia wüßte.«

»Nunzia ging eben an mir vorbei nach der Post«, meinte die Kleine, »und dann weißt Du«, fügte sie entschuldigend hinzu, »Bella ist mir auch nur heimlich nachgelaufen. Ich will sie gleich in den Stall schließen, oder ich mußte Dir doch erst 'mal die Düte zeigen, die mir Nelly geschenkt hatte. Ein Stück darfst Du Dir sogar herausnehmen«. Damit hielt sie ihrem Herrn Lehrer die gefüllte Düte hin.

Aber, o weh, bald wäre sie ihr aus der Hand gefallen, denn eben sah sie durch das offene Fenster, wie Nunzia, einen Brief in der Hand, aus das Haus zuschritt. Wollte sie jetzt herunter, dann wäre sie ihr unfehlbar auf der Treppe begegnet, da gab es nichts zu besinnen, und ehe sich's der Doktor versah, war Dina mitsammt ihrer Ziege in seinem Kleiderschrank am Fenster verschwunden, dessen Thür sie sacht hinter sich zuzog.

Es war die höchste Zeit gewesen, denn schon betrat Nunzia, mit ihrem Brief für den Doktor in der Hand, das Zimmer. Mit einem kurzen Gruß reichte sie ihm das Schreiben und wollte sich eben wieder zurückziehen. Bereits hatte sie die Thür geöffnet, da erscholl es aus der Fensterecke vernehmlich: »mäh, m – äh!«

Bella war es in dem Kleiderschrank zu eng und stickig geworden und sie mäckerte deshalb nach frischer Luft. Doch schnell besonnen hatte Dina mit ihrer linken Hand, die rechte brauchte sie um die Schrankthür festzuhalten, ihr die Schnauze zugehalten und das Mäckern verstummte.

Nunzia meinte nicht anders, als die Ziege sei wohl wieder in den Garten ausgebrochen. Sie trat deshalb von der geöffneten Thür noch einmal zurück an's Fenster und bog sich hinaus, um das Tier zu entdecken. Nichts war jedoch zu sehen.

Bella indessen im Schrank wollte sich nicht das Maul zuhalten lassen, sie begann unruhig zu zerren und auszuschlagen. Dina konnte mit der rechten Hand nicht die Schrankthür loslassen und mit der linken allein war das ungeberdige Tier nicht zu halten. »Bum« knallte es mit den Hinterbeinen gegen die Schrankthür, und schon sprang diese auf und Bella in wildem Satze heraus gerade auf Nunzia zu, die rittlings auf sie zu sitzen kam, während Dina mit den Kleidern des Doktors – ein wirrer Knäuel – in's Zimmer kollerte.

Der Doktor brach in ein herzliches Lachen aus, Nunzia aber setzte ihr empörtestes Gesicht auf, als sie wieder glücklich auf den Beinen stand. Bella jagte die Treppe herunter, und Dina wußte sich nicht anders zu helfen, als schnell aus dem Fenster und an dem Weinstock herunterkletternd, ihr Heil in der Flucht zu suchen.

So standen sich der Doktor, der noch immer seines Lachens nicht Herr werden konnte und Nunzia, die ihrem Ärger in einer Flut von bösen Worten Luft machte, alsbald wieder allein gegenüber. Dina aber getraute sich den ganzen Tag nicht, Nunzia unter die Augen zu kommen, sogar zum Essen ließ sie sich nicht blicken, sondern nahm mit ein paar Apfelsinen, die sie sich von den Bäumen brach und in einem Schlupfwinkel an der hohen Gartenmauer verzehrte, vorlieb.

Nunzia hatte sich eine exemplarische Strafe für das wilde Ding ausgedacht, aber die gutmüthige Gitta setzte Alles daran sie bis zum Abend zu besänftigen und mit Hilfe des Silberstücks, von dem sie Nunzia die Hälfte abzugeben versprach, gelang ihr das auch schließlich.

Als Dina am Abend leise durch die Küche, wo die beiden Schwestern noch am Herd saßen, nach ihrem Strohlager schlich, bekam sie nur einen bitterbösen Blick von der gestrengen Nunzia zugeworfen. Dessen ungeachtet entschlief sie jedoch, den Arm um den Hals ihrer Bella geschlungen, auf ihrem weichen Stroh bald so sanft und selig und süß wie nur je.

Dina

Dina.


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