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Zwei Feuilletons im »Neuen Wiener Tagblatt«

20. april 1900

Mein Auftreten mit der Melba

Als ich im jahre 1895 externer berichterstatter des »New-Yorker Bannerträger« war, fand ich eines tages im briefkasten folgendes billet:

Sehr geehrter Herr!

Bitte mich morgen zwischen 11-12 in der Redaktion aufzusuchen.

John Smith,
Chefredakteur des »New-Yorker Bannerträger«.

Ich verfüge mich zur festgesetzten stunde in die Frankfurtstreet, wo mir der chefredakteur folgende frage vorlegte:

»Sagen sie Hr. L., können sie musikreferate schreiben?« Ich wollte ihm hierauf mitteilen, daß ich vollständig unmusikalisch sei und mich besonders zusammennehmen müsse, um einen violinschlüssel von einem haustorschlüssel zu unterscheiden. Allein ich unterdrückte diese antwort. Es fiel mir ein, von einem weisen manne, bei meiner ankunft im neuen lande, folgende lebensregel gehört zu haben: »Wenn sie in Amerika jemand fragt, ob sie dies oder jenes können, so antworten sie vor allem mit einem stolzen und freudigen ja! Dann kann es ihnen nicht schlecht gehen.«

Ich sagte daher: »Aber natürlich Hr. Smith, das ist ja gerade mein fach!«

»Das trifft sich ja ausgezeichnet. Wie sie wissen, schreibt Hr. Schulze, der besitzer der bekannten klavierschule, unsere konzertreferate. Da wir aber keine freibillets für die oper besitzen, so hat bisher Hr. Alexander Neumann, der fast mit allen logenbesitzern bekannt ist, auf diese weise das opernreferat übernehmen können. Hr. Neumann verläßt uns aber und geht zur englischen presse über. Wollen sie nun die oper übernehmen? Allerdings können wir ihnen für die aufführung nur ein stehparterre-entree bezahlen. Lassen sie sich aus der kasse 1 dollar 50 ausfolgen. Morgen ist saisoneröffnung. Wir erwarten bis spätestens 1 uhr nachts den bericht.«

Ich ging. Der kassier zahlte mir den dollar und die fünfzig cents aus. Mir war etwas bange geworden. Die sache schien mir nicht recht geheuer. Ich begab mich sofort in das kaffee Manhattan in der Golaschebene und studierte die musikberichte sämtlicher blätter. Ich sah bald: Hauptsache sind die fachausdrücke. Das imponiert. Es-dur, dreigestrichenes C, kontrapunkt, dynamik, crescendo. Nach drei stunden wußte ich genug. Ruhig sah ich nun dem morgigen tag entgegen.

Ein bekannter war am nebentisch aufgestanden, zahlte und zog den rock an. Wir begrüßten uns. »Wie gehts? – wohin? – ins Metropolitan Opera House? – was dort?« »Ich bin wohlbestallter statist an diesem kunstinstitut und habe probe. Übrigens, was wollen sie, in Amerika muß man ergreifen, was sich einem bietet.«

Diese entschuldigung sagte er wohl, weil ich ein etwas merkwürdiges gesicht machte. Das merkwürdige gesicht rührte aber von einem ganz anderen gedanken her. Wie wäre es, kalkulierte ich, wenn ich mich diesem manne anschließen würde? Ich könnte dann einundeinhalb dollars ersparen und doch die vorstellung mitmachen und dann statieren dürfen, wer wollte das nicht?!

Ich sagte daher: »Sie irren, lieber freund, ich finde ihren beruf im gegenteil beneidenswert. Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich zehn jahre der komparserie der Wiener Hofoper angehört habe. Das ist ja gerade mein fach! Würden sie mich nicht mitnehmen?«

Mein freund lächelte gönnerhaft. »Kommen sie, ich will es versuchen. Wir bestiegen den cablecar und waren in zehn minuten an der ecke der 49. straße des Broadway. Hier wurde ich dem statistenführer vorgestellt.

»Waren sie beim militär?« fragte er.

»Gewiß«, sagte ich, »ich war zehn jahre offizier, das ist ja gerade mein fach!«

»Dann sind sie engagiert.« Darauf rief er in die kulisse: »Die wache ist komplett!«

Bald wurden mir die seltsamen worte klar. Man gab »Carmen« und die wache, die im ersten akt von Don José angeführt wird, sollte aus lauter gedienten militärs bestehen. Auf das richtige »klappen« der lanzengriffe wurde großer wert gelegt. Wir konstatieren bald mit genugtuung, daß sich unter den 14 mann wache 11 gewesene offiziere befanden, die teils der deutschen, teils der österreichischen armee angehört hatten. Wir wurden einexerziert und der aufzug der wache klappte binnen kurzem ausgezeichnet.

Der abend kam. Jean de Reszke sang den José, sein bruder Eduard den Escamillo, die Calvé, die Carmen und die Melba die Micaëla. Erlassen sie mir alle details. Das wichtigste ereignis war, daß uns Jean de Reske am schlusse der Vorstellung zehn dollars überreichen ließ.

Die vorstellung war zu ende. Fieberhaft kleidete ich mich um, ließ mir mein honorar, 50 cents, auszahlen und fuhr mit der hochbahn in die redaktion. Knapp ein uhr nachts hatte ich mein manuskript fertig und las mit befriedigung ungefähr folgendes: »Sehr gefallen hat uns frau Melba, besonders ihre oberen orgelregister sind sehr schön, aber der kontrabaß, der kontrabaß! Und der generalpunkt scheint auf gespannten oktaven zu stehen. Alles in allem bildet die sonore mittellage mit dem dreifach gestrichenen C eine wirkungsvolle kadenz.«

Jawohl, es war eine leistung. Die vielen fachausdrücke mußten wohl oder übel imponieren.

Stolz begab ich mich nach hause, und schlief froh und glücklich ein. Am nächsten morgen – der Zeitungsmann hatte wie immer den »New-Yorker Bannerträger« vor die tür gelegt – las ich meinem noch schlafenden mitwohner, dem baron N., meine meisterdarbietung mit lauter stimme vor.

Der baron erwachte zusehends. Dann sagte er: »Ich weiß nicht, was mir fehlt. Aber ich höre ganz merkwürdige sachen. Vielleicht bin ich nicht ganz ausgeschlafen. Lies mir die geschichte noch einmal vor.«

Ich las noch einmal. Sein gesicht nahm den ausdruck des entsetzens an: Dann brach er los:

»Aber du dreimal gestrichener unglückswurm. Was hast du denn da angerichtet.« Kurz, er schimpfte und nannte mich einen kretin.

Und nun erklärte er mir satz für satz. Langsam dämmerte mir die erkenntnis, daß ich mich blamiert hatte. Ich war vernichtet. Ich traute mich nicht mehr auf die gasse. Jedermann mußte mir meine schmach von der stirne ablesen. Und dann – ich erbleichte – die redaktion!

Der baron war schon lange in sein office gegangen. Ich brütete noch immer stumpf dahin. Es war elf uhr geworden. Der Zeitungsmann brachte das abendblatt der »New-Yorker Staatszeitung«. Unser abendblatt erschien erst um halb zwölf uhr mittags. Die englischen abendblätter erscheinen gewöhnlich schon vor sonnenaufgang.

Mechanisch griff ich nach der zeitung. Da – was war das! – Ich las wie im fieber:

Scharfe abfuhr!

Der musiksudler von der »Morgenposaune« erfährt sie!!! Eine tat des »New-Yorker Bannerträger«!!!

Das war erst der kopf, wie man im amerikanischen zeitungsdeutsch sagt, und nun las ich: Wir haben häufig auf das schändliche treiben des burschen hingewiesen, der seine totale unkenntnis musikalischer dinge zum schaden des ganzen deutschtums auf der halbinsel Manhattan in der »Morgenposaune« absetzt. Dieser elende skribler ist ein Schandfleck im blanken ehrenschilde des deutschen Amerikas. Wir standen bisher gegen dieses individuum allein da. Mit genugtuung können wir heute konstatieren, daß der »New-Yorker Bannerträger« (obwohl sein besitzer der mosaischen konfession angehört) das kreuz genommen hat. Unser bewährter kollege dieser tapferen zeitung hat die unart und weise dieses subjekts trefflich in seinem heutigen opernreferate zu allgemeiner freude aller wahren kunstfreunde kopiert, an den pranger gestellt und dadurch dem allgemeinen gespötte preisgegeben. Wir glauben, daß die »Morgenposaune« sich von diesem schlage nicht mehr erholen wird. Wir können uns nicht versagen, dieses opernreferat, kurz gesagt, diese satirische großtat, für unsere leser abzudrucken.

Und nun folgte mein referat.

Ich tanzte zuerst ein von mir auf der stelle komponiertes bacchanale, warf mich in meinen winterrock, in die hochbahn und trat dem redakteur meines blattes fast die tür ein. So stürmte ich mit der »Staatszeitung« in der hand dahin. John Smith, der chefredakteur, sah mich erstaunt an. »Wie, sie wagen es noch, in unsere redaktion zu kommen?« herrschte er mich an. Ich übersah sofort die situation. Der mann hatte offenbar das abendblatt der »New-Yorker Staatszeitung« noch nicht gelesen. Ich lächelte daher überlegen und sagte: »Ich glaubte nicht, daß wir der ›Morgenposaune‹ irgend welche rücksichten schuldig wären!«

»Was geht uns dieses schundblatt an! Uns haben sie blamiert!«

»Wie? Sollten sie vielleicht der einzige sein, der die tiefe satire nicht verstanden hätte? Sie scheinen nicht zu wissen, daß gerade die satire mein fach ist. Na, da hat die ›Staatszeitung‹ die sache doch schneller aufgefaßt.«

Er las. Man erspare mir zu schildern, wie sehr der mann sich schämte.

Am nächsten morgen las man in der »Morgenposaune«: »Unser musikreferent ist von seinem posten zurückgetreten.«

Am übernächsten morgen erhielt ich einen schweren brief. Ich öffnete ihn erwartungsvoll. Er enthielt die mitteilung, daß die New-Yorker Musik Critik Association mich zu ihrem ehrenmitgliede ernannt hat.

Und so hatte ich mit dieser meiner ersten und letzten musikkritik eine erfahrung gemacht, die der philosoph, der literar- oder kunsthistoriker niemals machen kann. Dem glücken die fachausdrücke immer, sobald er über malerei, architektur oder gewerbe schreibt. Niemand wird es ihm nachrechnen, ob das »sprengwerk« vielleicht ein »hängewerk« ist. Materialgerecht, tischlerisch, verzapfung, gehrung und ähnliche werkstattworte kann er ganz nach freiem ermessen über sein referat austeilen. Er kann ruhig behaupten, daß Ruskin bereits gestorben sei, wenn er auch glücklicherweise nächste woche schon, unter allgemeiner teilnahme der gebildeten welt, seinen 80. geburtstag feiert. Und er kann furchtlos dem maler nachsagen, daß ihm die lichtwirkung besonders gelungen sei: Zauberisch scheint der mond durch das geöffnete fenster in's gemach, wenn auch das vermutliche fenster ein spiegel und der mond reflektiertes kerzenlicht ist. Das sind dinge, die natürlich nur in einem amerikanischen blatte vorkommen können. Und in der musik sollte es wirklich nötig sein, noten zu kennen und zu wissen, was generalbaß und kontrapunkt ist?

Eine ungerechtigkeit bleibt es auf alle fälle, trotzdem die sache bei mir gut abgelaufen ist.

 

26. april 1900

Von einem armen, reichen Manne

Von einem armen, reichen manne will ich euch erzählen. Er hatte geld und gut, ein treues weib, das ihm die sorgen, die das geschäft mit sich brachte, von der stirne küßte, einen kreis von kindern, um die ihn der ärmste seiner arbeiter beneidet hätte. Seine freunde liebten ihn, denn was er angriff, gedieh. Aber heute ist es ganz, ganz anders geworden. Und das kam so:

Eines tages sagte sich dieser mann: Du hast geld und gut, ein teures weib und kinder, um die dich der ärmste arbeiter beneiden würde. Aber bist du denn glücklich? Siehe es gibt menschen, denen alles fehlt worum man dich beneidet. Aber ihre sorgen werden hinweggescheucht durch eine große zauberin, die kunst. Und was ist dir die kunst? Du kennst sie nicht einmal dem namen nach. Jeder protz kann seine visitkarte bei dir abgeben, und dein diener reißt die flügel auf. Aber die kunst hast du noch nicht bei dir empfangen. Ich weiß wohl, daß sie nicht kommt. Aber ich werde sie aufsuchen. Wie eine königin soll sie bei mir einziehen und bei mir wohnen.

Er war ein kraftvoller mann, was er anpackte wurde mit energie ausgeführt. Das war man immer bei seinen geschäften gewohnt. Und so ging er noch am selben tage zu einem berühmten architekten, und sagte ihm: »Bringen sie mir kunst, die kunst in meine vier pfähle. Kostenpunkt nebensache.«

Der architekt ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ging zu dem reichen manne hin, warf alle seine möbel hinaus, ließ ein heer von parkettierern, spalierern, lackierern, maurern, anstreichern, tischlern, installateuren, töpfern, teppichspannern, malern und bildhauern einziehen und hui, hast du nicht gesehen, war die kunst eingefangen, eingeschachtelt, wohlverwahrt in den vier pfählen des reichen mannes.

Der reiche mann war überglücklich. Überglücklich ging er durch die neuen räume. Wo er hinsah, war kunst, kunst in allem und jedem. Er griff in kunst, wenn er eine klinke ergriff, er setzte sich auf kunst, wenn er sich in einem sessel niederließ, er vergrub sein haupt in kunst, wenn er es ermüdet in die kissen vergrub, sein fuß versank in kunst, wenn er über die teppiche schritt. Mit einer ungeheuren inbrunst schwelgte er in kunst. Seitdem auch sein teller mit artistischem dekor versehen war, schnitt er sein boeuf à l'oignon noch einmal so fest entzwei.

Man pries ihn, man beneidete ihn. Die kunstzeitschriften verherrlichten seinen namen, als einen der ersten im reiche der mäzene, seine zimmer wurden zum vorbild und zur darnachachtung abgebildet, erläutert und erklärt.

Aber sie verdienten es auch. Jeder raum bildete eine abgeschlossene farbensymphonie. Wand, möbel und stoffe waren in der raffiniertesten weise zusammengestimmt. Jedes gerät hatte seinen bestimmten platz und war mit den anderen zu den wunderbarsten kombinationen verbunden.

Nichts, gar nichts hatte der architekt vergessen. Zigarrenabstreifer, bestecke, lichtauslöscher, alles, alles war von ihm kombiniert worden. Aber es waren nicht die landläufigen architektenkünste, nein, in jedem ornamente, in jeder form, in jedem nagel war die individualität des besitzers ausgedrückt. (Eine psychologische arbeit, deren schwierigkeit jedermann einleuchten wird.)

Der architekt aber wehrte alle ehren bescheiden ab. Denn, sagte er, diese räume sind gar nicht von mir. Da drüben in der ecke steht nämlich eine statue von Charpentier. Und wie ich es jedem verübeln würde, ein zimmer als seinen entwurf auszugeben, sobald er vielleicht nur eine meiner türschnallen verwendet hätte, gerade so wenig kann ich mir nun herausnehmen, diese zimmer als mein geistiges eigentum auszugeben. Das war edel und konsequent gesprochen. Mancher tischler, der vielleicht sein zimmer mit einer Walter Crane'schen tapete versehen hatte, und doch die darin befindlichen möbel sich zuschreiben wollte, weil er sie erfunden und ausgeführt hatte, schämte sich in den tiefsten grund seiner schwarzen seele hinein, als er diese worte erfuhr.

Kehren wir nach dieser abschweifung zu unserem reichen manne zurück. Ich habe ja schon gesagt, wie glücklich er war. Einen großen teil seiner zeit widmete er von nun an dem studium seiner wohnung. Denn das muß gelernt sein; das sah er wohl bald. Da gab es gar viel zu merken. Jedes gerät hatte einen bestimmten platz. Der architekt hatte es gut mit ihm gemeint. An alles hatte er schon vorher gedacht. Für das kleinste schächtelchen gab es einen bestimmten platz, der gerade dafür gemacht war.

Bequem war die wohnung, aber den kopf strengte sie sehr an. Der architekt überwachte daher in den ersten wochen das wohnen, damit sich kein fehler einschleiche. Der reiche mann gab sich alle mühe. Aber es geschah doch, daß er ein buch aus der hand legte, und es im gedanken in jenes fach schob, das für die zeitungen angefertigt war. Oder, daß er die asche seiner zigarre in jene vertiefung des tisches abstrich, die für den leuchter bestimmt war. Hatte man einmal einen gegenstand in die hand genommen, so war des ratens und des suchens nach dem alten platz kein ende und manchmal mußte der architekt die detailzeichnungen aufrollen, um den platz für eine zündholzschachtel wieder zu entdecken.

Wo die angewandte kunst solche triumphe feierte, durfte die angewandte musik nicht zurückbleiben. Diese idee beschäftigte den reichen mann sehr. Er machte eine eingabe an die tramwaygesellschaft, in der er ersuchte, sich statt des sinnlosen läutens des parsivalglockenmotives zu bedienen. Allein er fand bei der gesellschaft kein entgegenkommen. Dort war man für moderne ideen noch nicht genug empfänglich. Dafür wurde ihm gestattet, die pflasterung vor seinem hause auf eigene kosten ausführen zu lassen, wodurch jedes fuhrwerk gezwungen wurde, im rhythmus des Radetzkymarsches vorbei zu rollen. Auch die elektrischen läutewerke in seinen räumen erhielten Wagner- und Beethoven-motive und alle berufenen kunstkritiker waren voll des lobes über den mann, der der »kunst im gebrauchsgegenstande« ein neues gebiet eröffnet hatte.

Man kann sich vorstellen, daß alle diese verbesserungen den mann noch glücklicher machten.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß er es vorzog, möglichst wenig zu hause zu sein. Nun ja, von so viel kunst will man sich auch hie und da ausruhen. Oder könnten sie in einer bildergalerie wohnen? Oder monate lang in »Tristan und Isolde« sitzen? Nun also! Wer wollte es ihm verdenken, wenn er neue kräfte im café, im restaurant oder bei freunden und bekannten für seine wohnung sammelte. Er hatte sich das anders gedacht. Aber der kunst müssen opfer gebracht werden. Er hatte doch schon so viele gebracht. Sein auge wurde feucht. Er dachte vieler alter dinge, die er so lieb gehabt hatte und die er doch manchmal vermißte. Der große lehnstuhl! Sein vater hatte immer sein nachmittagsschläfchen darin gemacht. Die alte uhr! Und die bilder! Aber die kunst verlangt es! Nur nicht weich werden!

Einmal geschah es, daß er seinen geburtstag feierte. Frau und kinder hatten ihn reich beschenkt. Die sachen gefielen ihm ausnehmend und bereiteten ihm herzliche freude. Bald darauf kam der architekt, um nach dem rechten zu sehen und entscheidungen in schwierigen fragen zu treffen. Er trat in das zimmer. Der hausherr kam ihm freudig entgegen, denn er hatte vieles auf dem herzen. Aber der architekt sah nicht die freude des hausherrn. Er hatte etwas ganz anderes entdeckt und erbleichte: »Was haben sie denn für hausschuhe an«, stieß er mühsam hervor.

Der hausherr besah seine bestickten schuhe. Aber er atmete erleichtert auf. Diesmal fühlte er sich ganz unschuldig. Die schuhe waren nämlich auch nach dem originalentwurfe des architekten gearbeitet worden. Er antwortete daher überlegen:

»Aber Hr. architekt! Haben sie schon vergessen? Die schuhe haben sie ja selbst gezeichnet!«

»Gewiß«, donnerte der architekt, »aber für das schlafzimmer. Sie aber zerreißen mit diesen zwei unmöglichen farbeflecken die ganze Stimmung. Sehen sie denn das gar nicht ein?«

Der hausherr sah wohl ein. Er zog rasch die schuhe aus, und war todfroh, daß der architekt nicht noch seine strümpfe unmöglich fand. Sie gingen nach dem schlafzimmer, wo der reiche mann wieder seine schuhe anziehen durfte.

»Ich habe«, begann er hier zaghaft, »gestern meinen geburtstag gefeiert. Meine lieben haben mich mit geschenken förmlich überschüttet. Ich habe sie rufen lassen, lieber Hr. architekt, damit sie uns ratschläge geben, wie wir die sachen am besten aufstellen könnten.«

Das gesicht des architekten verlängerte sich zusehends. Dann brach er los:

»Wie kommen sie dazu, sich etwas schenken zu lassen! Habe ich ihnen nicht alles gezeichnet? Habe ich nicht auf alles rücksicht genommen? Sie brauchen nichts mehr. Sie sind komplett!«

»Aber,« erlaubte sich der hausherr zu erwidern, »ich werde mir doch noch etwas kaufen dürfen!«

»Nein, das dürfen sie nicht! Nie und niemals! Das fehlte mir noch. Sachen, die nicht von mir gezeichnet sind? Habe ich nicht genug getan, daß ich ihnen den Charpentier gestattete? Die statue, die mir den ganzen ruhm meiner arbeit raubte! Nein, sie dürfen nichts mehr kaufen!«

»Aber wenn mir mein enkerl eine kindergartenarbeit schenkt?«

»Dann dürfen sie sie nicht nehmen!«

Der hausherr war vernichtet. Aber noch hatte er nicht verloren. Eine idee, jawohl, eine idee!

»Und wenn ich mir in der Sezession ein bild kaufen wollte?« fragte er triumphierend.

»Dann versuchen sie, es doch irgendwo aufzuhängen. Sehen sie denn nicht, daß für nichts mehr platz ist? Sehen sie denn nicht, daß ich für jedes bild, das ich ihnen hergehängt habe, auch einen rahmen auf der wand, auf der mauer, dazu komponiert habe? Nicht einmal rücken können sie mit einem bilde. Probieren sie doch, ein neues bild unterzubringen.«

Da vollzog sich in dem reichen manne eine wandlung. Der glückliche fühlte sich plötzlich tief, tief unglücklich. Er sah sein zukünftiges leben. Niemand durfte ihm freude bereiten. Wunschlos mußte er an den verkaufsläden dieser stadt vorübergehen. Für ihn wurde nichts mehr erzeugt. Keiner seiner lieben durfte ihm sein bild schenken, für ihn gab es keine maler mehr, keine künstler, keine handwerker. Er war ausgeschaltet aus dem künftigen leben und streben, werden und wünschen. Er fühlte: Jetzt heißt es lernen, mit seinem eigenen leichnam herumzugehen. Jawohl! Er ist fertig! Er ist komplett!


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