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Jubiläumsausstellung 1898
15. mai 1898
Wenn man an der scholle klebt, kommt es einem niemals zum bewußtsein, welche schätze die heimat birgt. Das vorzügliche wird zum selbstverständlichen. Hat man sich aber draußen umgesehen, dann tritt ein umschwung in der wertschätzung des heimischen ein. Götter werden gestürzt, pygmäen erhoben.
Als ich vor jahren die heimat verließ, um die architektur und das gewerbe auf der andern seite des atlantischen Ozeans kennen zu lernen, da war ich noch voll von der überlegenheit des deutschen kunsthandwerkes. In Chicago ging ich mit stolzem hochgefühl durch die deutsche und österreichische abteilung. Mit mitleidigem lächeln blickte ich auf die amerikanischen regungen des »kunstgewerbes«. Und wie hat sich das in mir geändert! Der jahrelange aufenthalt drüben hat es bewirkt, daß mir noch heute die schamröte ins gesicht steigt, wenn ich bedenke, welche blamage sich das deutsche kunsthandwerk in Chicago geholt hatte. Die stolzen prachtleistungen, die stilvollen prunkstücke, sie waren nichts weiter als banausische verlogenheit.
Zwei gewerbe waren es, die unser prestige retteten. Unser prestige, nicht das deutsche, denn die deutschen wurden auch von diesen zwei gewerben im stiche gelassen. Es waren die ledergalanterie-fabrikation und die gold- und silberschmiedekunst. Sie taten es nicht in gleicher weise. Während es jene auf allen gebieten ehrlich meinte, traf man diese auch teilweise im verlogenen lager. Immerhin bewies sie aber, daß sie auch ehrlich zu kämpfen vermag.
Damals aber hatte ich eine stille wut über diese sachen. Da gab es portemonnaies, zigarren- und zigarettentaschen, bilderrahmen, schreibzeuge, koffer, taschen, reitpeitschen, stöcke, silbergriffe, feldflaschen, alles, alles glatt, ohne ornamentalen schmuck, die silberwaren waren höchstens gerieft oder gehämmert. Ich schämte mich dieser arbeiten. Das war kein kunstgewerbe, das war mode. Und mode! Welch schreckliches wort! Für einen echten und rechten kunstgewerbler, der ich noch damals war, das reine schimpfwort.
Gewiß, die Wiener kauften solche sachen gern. Den bemühungen der Kunstgewerbeschule zum trotz, nannte man solche sachen »geschmackvoll«. Vergeblich wurden die schönsten gegenstände der früheren kunstepochen hervorgesucht und zur anfertigung empfohlen. Die gold- und silberschmiede taten schließlich auch wie ihnen geheißen wurde. Man ließ sich zeichnungen von den berühmtesten männern anfertigen. Aber die danach gearbeiteten gegenstände waren unverkäuflich. Die Wiener blieben eben unverbesserlich.
(Anders in Deutschland. Da wurden die portemonnaies und zigarettentaschen mit den schönsten renaissance- und rokokoornamenten übersät und fanden reißenden absatz. Stilvoll hieß die losung.) Mühsam konnte man den Wiener dazu bewegen, seine wohnungseinrichtung der neuen lehre untertänig zu machen. Aber bei seinen gebrauchsgegenständen und am eigenen leibe folgte er nur seinem eigenen geschmacke und der fand da alle ornamente ordinär.
Damals also war ich noch anderer meinung. Jetzt aber stehe ich nicht an, zu erklären, daß mich damals in puncto geschmack das dümmste gigerl übertroffen hätte. Die scharfe amerikanische und englische luft hat alle voreingenommenheit gegen die erzeugnisse meiner eigenen zeit von mir genommen. Ganz gewissenlose menschen haben es versucht, uns diese zeit zu verleiden. Stets sollten wir rückwärts schauen, stets uns eine andere zeit zum vorbilde nehmen. Wie ein alp ist es nun von mir gewichen. Jawohl, unsere zeit ist schön, so schön, daß ich in keiner anderen leben wollte. Unsere zeit kleidet sich schön, so schön, daß, wenn ich die wahl hätte, mir das gewand irgend einer zeit auszuwählen, ich freudig nach meinem eigenen gewande griffe. Es ist eine lust zu leben.
In dieser zeit der handwerklichen charakterlosigkeit muß man es diesen beiden zweigen des österreichischen kunstgewerbes zu hohem verdienst anrechnen, daß sie rückgrat genug besaßen, sich der allgemeinen zeitverleugnung nicht anzuschließen. Ehre aber auch den Wienern, die diese beiden zweige, aller kunstgewerblichen reformen zum trotz, durch ihre kauflust unterstützten. Heute können wir es getrost aussprechen: Die ledergalanterie und die gold- und silberindustrie bilden den standard des österreichischen kunstgewerbes auf dem weltmarkte.
Die industriellen dieser branchen haben eben nicht erst gewartet, bis der staat durch einführung englischer Vorbilder der allgemeinen stagnation ein ende bereitet, wie es sich jetzt in der möbelindustrie als notwendig herausstellt, sondern haben frisch und fest schon vor fünfzig jahren an den englischen ideen neue kräfte gesammelt. Denn englisch ist diese industrie von a bis z. Und trotzdem macht sich kein niedergang, wie die schwarzseher der möbelbranche prophezeien wollen, bemerkbar. »England ist der ruin des kunstgewerbes.« Sie sagen kunstgewerbe und meinen das akanthusornament. Das ist wohl wahr. Aber unsere zeit legt mehr gewicht auf die richtige form, auf das solide material, auf die exakte durchführung. Und das ist kunstgewerbe!
In der ausstellung macht sich von diesen ideen, insbesondere was die gold- und silberschmiede anbetrifft, noch recht wenig bemerkbar. Noch fehlt es an mut der überzeugung. Noch fühlt man den einfluß, der vom Stubenring ausgeht. Noch hat man sich von dieser seite nicht vollständig frei gemacht. Die schaufenster der Kärntnerstraße, des Grabens und Kohlmarktes geben uns ein besseres bild vom wiener geschmacke als der Silberhof, dem man die furcht anmerkt, da »oben« und unter den anderen kunstgewerblern nicht für voll zu gelten, wenn man nicht »stilvolle« sachen bringen würde. Aber immerhin sieht man noch genügend proben von echtem, handwerklichem können, von eigener werkstatterfindung, von einer kunst, die wohl einfach ist, aber den vorzug hat, in der werkstatt ihren ursprung zu haben und nicht von außen in sie hineingetragen wurde.
Die lederarbeiter hatten es besser. Die waren noch nicht so sehr in die abhängigkeit von der Kunstgewerbeschule geraten. Ihre internationale anerkennung verdanken sie dem glücklichen umstande, daß der staat es unterlassen hatte, eine diesbezügliche fachschule ins leben zu rufen. Die hätte uns noch gefehlt. Den berühmten architekten an der spitze, und dann ade, du alte, tüchtige handwerkstradition! Der reißbrettdilettantismus hätte auch hier von allen formen besitz genommen, wie in den anderen unglücklichen gewerben, die in schulen zugrunde gerichtet wurden. Die ältesten reiseutensilien wären aus alten handschriften und denkmälern rekonstruiert worden und die österreichische lederindustrie hätte sich mit gothischen koffern, renaissance-hutschachteln und griechischen zigarettentaschen lächerlich machen können. Allerdings erst in Chicago, weil wir auf einen export dann niemals hätten rechnen können.
22. mai 1898
Gut gekleidet sein, wer möchte das nicht? Unser jahrhundert hat mit den kleiderordnungen aufgeräumt und jedem steht nun das recht zu, sich wie der könig anzuziehen. Als gradmesser für die kultur eines staates kann der umstand gelten, wie viele seiner einwohner von dieser freiheitlichen errungenschaft gebrauch machen. In England und Amerika alle, in den Balkanländern nur die oberen zehntausend. Und in Österreich? Ich wage diese frage nicht zu beantworten.
Ein amerikanischer philosoph sagt irgendwo: Ein junger mann ist reich, wenn er verstand im kopf und einen guten anzug im kasten hat. Der mann kennt sich aus. Der kennt seine leute. Was nützte aller verstand, wenn man ihn nicht durch gute kleider zur geltung bringen könnte. Denn die Engländer und Amerikaner verlangen von jedem, daß er gut gekleidet ist.
Die Deutschen tun aber noch ein übriges. Sie wollen auch schön gekleidet sein. Tragen die Engländer weite hosen, so weisen sie ihnen sofort nach – ich weiß nicht, ob mit hilfe des alten Vischer oder des goldenen schnittes – daß dies unästhetisch sei und nur die enge hose anspruch auf schönheit machen könne. Polternd, schimpfend und fluchend lassen sie ihre hose von jahr zu jahr breiter werden. Die mode ist eben eine tyrannin, klagt man dann. Doch was ist das? Ist eine umwertung der werte vorgenommen worden? Die Engländer tragen wieder enge beinkleider, und genau mit denselben mitteln wird der beweis um die schönheit der hose nach der andern seite hin geführt. Werde einer klug daraus.
Die Engländer aber lachen ob der schönheitsdurstigen Deutschen. Die Venus von Medici, das Pantheon, ein bild von Botticelli, ein lied von Burns, ja, das ist schön! Aber eine hose!? Oder ob das jaquet drei oder vier knöpfe besitzt!? Oder ob die weste hoch oder tief ausgeschnitten ist!? Ich weiß nicht, mir wird immer angst und bang, wenn ich über die schönheit solcher sachen diskutieren höre. Ich werde nervös, wenn ich schadenfroh im hinblicke auf ein kleidungsstück gefragt werde: »Ist das vielleicht schön?«
Die Deutschen aus der besten gesellschaft halten es mit den Engländern. Sie sind zufrieden, wenn sie gut angezogen sind. Auf schönheit wird verzichtet. Der große dichter, der große maler, der große architekt kleiden sich wie diese. Der dichter-, maler- und architektling aber macht aus seinem körper einen altar, auf dem der schönheit in form von samtkragen, ästhetischen hosenstoffen und sezessionistischen krawatten geopfert werden soll.
Gut angezogen sein, was heißt das? Das heißt korrekt angezogen sein.
Korrekt angezogen sein! Mir ist, als hätte ich mit diesen worten das geheimnis gelüftet, mit dem unsere kleidermode bisher umgeben war. Mit worten wie schön, schick, elegant, fesch und forsch wollte man der mode beikommen. Darum handelt es sich aber gar nicht. Es handelt sich darum, so angezogen zu sein, daß man am wenigsten auffällt. Ein roter frack fällt im ballsaale auf. Folglich ist der rote frack im ballsaale unmodern. Ein zylinder fällt auf dem eise auf. Folglich ist er auf dem eise unmodern. Alles auffallen gilt aber in der guten gesellschaft für unfein.
Dieser grundsatz ist aber nicht überall durchführbar. Mit einem rocke, der im Hydepark unbeachtet bleiben würde, kann man in Peking, in Sansibar und auf dem Stephansplatz sehr wohl auffallen. Er ist eben europäisch. Man kann doch nicht verlangen, daß sich derjenige, der auf der höhe der kultur steht, in Peking chinesisch, in Sansibar ostafrikanisch und auf dem Stephansplatz wienerisch anzieht! Der satz erhält daher eine einschränkung. Um korrekt gekleidet zu sein, darf man im mittelpunkte der kultur nicht auffallen. Manche dieser ideen habe ich in meinen vorträgen im schneidermeisterkurse des Technologischen Gewerbe-Museums zum ausdrucke gebracht.
Der mittelpunkt der abendländischen kultur ist gegenwärtig London. Wie könnte es einem wohl passieren, daß man bei einem spaziergange in gegenden gerät, in denen man sehr von seiner umgebung abstechen würde. Man müßte also von straße zu straße seinen rock wechseln. Das geht nicht an. Nun aber haben wir alle eventualitäten erschöpft und wir können unseren lehrsatz vollständig formulieren. Dieser lautet: Ein kleidungsstück ist modern, wenn man in demselben im kulturzentrum bei einer bestimmten gelegenheit in der besten gesellschaft möglichst wenig auffällt. Dieser englische gesichtspunkt, der jedem vornehm denkenden zusagen dürfte, begegnet aber in den deutschen mittel- und niederkreisen lebhaftem widerspruch. Kein volk hat so viele gigerl wie die Deutschen. Ein gigerl ist ein mensch, dem die kleidung nur dazu dient, sich von seiner umgebung abzuheben. Bald wird die ethik, bald die hygiene, bald die ästhetik herangezogen, um dieses hanswurstartige gebaren erklären zu helfen. Vom meister Diefenbach bis zu professor Jäger, von den »modernen« dichterlingen bis zum wiener hausherrnsohn geht ein gemeinsames band, das sie alle geistig miteinander verbindet. Und trotzdem vertragen sie sich nicht miteinander. Kein gigerl gibt zu, eines zu sein. Ein gigerl macht sich über das andere lustig, und unter dem vorwande, das gigerltum auszurotten, begeht man immer neue gigerliaden. Das moderne gigerl oder das gigerl schlechtweg, ist nur eine spezies aus dieser weit verzweigten familie.
Dieses gigerl haben die Deutschen im verdacht, daß es die herrenmode angibt. Das ist eine ehre, die diesen harmlosen geschöpfen nicht zukommt. Aus dem gesagten geht schon hervor, daß sich das gigerl nicht einmal modern kleidet. Damit wäre ihm aber auch nicht gedient. Das gigerl trägt eben das, was seine umgebung für modern hält.
Ja, ist denn das nicht mit modern identisch? Keineswegs. Daher sind auch die gigerl einer jeden stadt verschieden. Was in A imponiert, hat in B schon seinen reiz verloren. Wer in Berlin noch bewundert wird, läuft gefahr, in Wien ausgelacht zu werden. Die vornehmen kreise aber, die es zu kleinlich finden, sich um solche dinge zu kümmern, werden stets jenen änderungen der mode den vorzug geben, die am wenigsten den mittelklassen zum bewußtsein kommen. Durch kleiderordnungen sind sie nicht mehr geschützt, und es ist ihnen nicht angenehm, gleich am nächsten tag von jedermann kopiert zu werden. Dann würde man sich allerdings sofort nach ersatz umsehen. Um dieser ewigen jagd nach neuen stoffen und schnitten enthoben zu sein, wird nur zu den diskretesten mitteln gegriffen. Jahrelang wird die neue form wie ein offenes geheimnis der großen Schneider sorgsam gehütet, bis sie endlich durch ein modejournal ausgeplaudert wird. Dann dauerts noch ein paar jahre, bis selbst der letzte mann im lande davon kenntnis erhält. Und nun kommen erst die gigerl an die reihe, die sich der sache bemächtigen. Aber durch die lange wanderschaft hat sich die ursprüngliche form gar sehr geändert, sie hat sich auch der geographischen lage untergeordnet.
Man kann die großen schneider der ganzen welt an den fingern abzählen, die jemanden nach den vornehmsten prinzipien anzuziehen imstande sind. Es gibt manche millionenstadt der alten welt, die eine solche firma nicht aufweisen kann. Selbst in Berlin war keiner zu finden, bis ein wiener meister, E. Ebenstein, eine filiale daselbst errichtete. Vor Ebenstein war der berliner hof gezwungen, sich einen guten teil seiner garderobe bei Poole in London anfertigen zu lassen. Daß wir überhaupt gleich einige dieser namen in Wien besitzen, haben wir nur dem glücklichen umstande zu verdanken, daß unser hochadel ständiger gast im drawinig room der königin ist, viel in England arbeiten ließ und auf diese weise jenen vornehmen ton in der kleidung nach Wien verpflanzte, die die wiener schneiderei auf einen im auslande beneidenswerten höhepunkt brachte. Man kann wohl sagen, daß auf dem kontinent die oberen zehntausend in Wien am besten gekleidet sind, denn auch die anderen schneider wurden durch diese großen firmen auf ein höheres niveau gehoben.
Die großen firmen und ihre nächsten nachkommen haben alle ein gemeinsames merkmal: Die furcht vor der öffentlichkeit. Man beschränkt sich womöglich auf einen kleinen kundenkreis. Wohl sind sie nicht so exklusiv wie manche londoner häuser, die sich einem nur auf eine empfehlung Albert Edwards, des Prinzen von Wales, öffnen. Aber jeder prunk nach außen ist ihnen fremd. Es hat der ausstellungsleitung mühe gekostet, einige der besten in Wien zum exponieren ihrer erzeugnisse zu bewegen. Man muß anerkennen, daß sie sich sehr geschickt aus der schlinge gezogen haben. Man stellte eben nur solche objekte aus, die sich einer nachahmung entziehen. Am geschicktesten war Ebenstein. Er bringt eine demidress (hier fälschlich smoking genannt) für die Tropen (!), eine hunting vest, eine preußische regimentsinhaber-damenuniform und einen coaching coat mit gravierten perlmutterknöpfen, von denen jeder einzelne ein kunstwerk ist. A. Keller bringt einen frock coat mit den obligaten grauen beinkleidern, mit dem man beruhigt nach England reisen könnte, neben vorzüglichen uniformen. Gut gemacht scheint auch das norfolkjaquet zu sein. Uzel & Sohn zeigen die spezialität ihrer werkstatt: Hof- und staatsuniformen. Sie müssen wohl gut sein, sonst könnte die firma ihren alten rang auf diesem gebiete nicht so lange behaupten. Franz Bubacek hat sportkleider des kaisers zur ausstellung gebracht. Der schnitt des norfolkjaquets ist neu und korrekt. Hr. Bubacek beweist durch dessen ausstellung viel mut, er fürchtet die nachahmung nicht. Dasselbe kann man auch von Goldmann & Salatsch behaupten, die ihre spezialität, die uniformen des yachtgeschwaders, bringen. Joseph Scalley zeigt eine reiche kollektion von uniformen in der bekannten akkuratesse dieser firma. Emerich Schönbrunn bildet vielleicht einen übergang. Manche stücke beweisen wohl, daß man vornehm zu arbeiten imstande ist, doch zeigt man auch, daß man konzessionen an andere kreise zu machen geneigt ist.
Mit dem unbedingten lobe wäre ich aber hier zu ende. Die kollektivausstellung der genossenschaft der kleidermacher Wiens verdient es nicht. Bei der kundenarbeit muß man manchmal beide augen zudrücken, da der kunde durch das betonen seiner eigenen wünsche oft für manche geschmacklosigkeit verantwortlich ist. Hier aber hätten die gewerbsleute zeigen können, daß sie über ihrer kundschaft stehen, daß sie wohl den kampf mit den großen firmen aufnehmen könnten, wenn man sie frei schalten und walten ließe. Die meisten aber haben diese gelegenheit verabsäumt. Schon in der wahl des stoffes zeigen sie ihre unkenntnis. Aus dem covert coat-stoff macht man paletots, aus paletotstoffen covert coats. Aus norfolkstoff macht man saccoanzüge, aus glattem tuch gehröcke.
Mit dem schnitt ist es nicht besser bestellt. Wenige sind von dem standpunkte ausgegangen, vornehm zu arbeiten, die meisten wendeten sich an die gigerl. Und die können da in zweireihigen westen, karrierten anzügen mit samtkrägen schwelgen. Eine firma leistet sich sogar auf einem jaquet blaue samtärmelaufschläge! Ja, wenn das nicht modern wird ...
Ich nenne hier einige, die sich von diesem hexensabbath ein wenig fern gehalten haben. Anton Adam ist gut, schneidet aber seine westen zu tief aus, Alois Decker kann ebenfalls genannt werden, Alexander Deutsch hat einen guten winterpaletot, Joseph Hummel einen guten ulster und norfolk, P. Kroupa schadet leider seinem sonst korrekten gehrock mit einer borte. Emanuel Kuhl ist vornehm, ebenso Leopold Kurzweil, Johann Neidl und Wenzel Slaby haben je einen richtigen gehrockanzug. Joseph Rosiwall zeigt einen guten frack. Gern hätte ich noch eine firma genannt, die ihre erzeugnisse offen zur ausstellung brachte. Aber als ich an dem norfolkjaquet versuchte, die falte zu lüften, die angebracht ist, um dem arm durch gefalteten stoff bewegungsfreiheit zu gönnen, war es mir unmöglich. Sie war falsch.
29. mai 1898
Es tut mir leid, nicht immer loben zu können. Ich bin genötigt, hie und da ein wort des tadels zu bringen. Aus den vielen zuschriften, die ich erhalte, ersehe ich, daß man mir das verübelt. Das wiener gewerbe ist es freilich nicht immer gewöhnt, ernsthaft kritisiert zu werden. Sehr zu seinem schaden. Die vielen hurrahartikel, mit denen so oft die ausstellungen begrüßt werden, haben wie die treibhauswärme erschlaffend auf das handwerk gewirkt, und von einem leisen luftzug fürchtet man schon, daß das verwöhnte schoßkind einen schnupfen davontragen könnte. Wenn ich gleichfalls davon überzeugt wäre, würde ich das blasen sein lassen. So aber glaube ich, daß das kind von so gesunden eltern ist, daß es das bißchen zug sehr wohl vertragen kann. Auch wird es ihm zur abhärtung sehr dienlich sein.
Viele meiner gedanken werden befremden erregen. Ich betrachte eben die ausstellung nicht vom wienerischen, sondern vom ausländischen Standpunkte. Absichtlich. Denn ich schreibe ausdrücklich im hinblicke auf die pariser Ausstellung. Ich will die wiener gewerbetreibenden auf jene produkte aufmerksam machen, die bei ihnen so selbstverständlich sind, daß sie es gar nicht für der mühe wert halten, sie auszustellen, die aber in der ganzen welt für unübertrefflich gelten. Zugleich sollen aber die Wiener davor gewarnt werden, jene erzeugnisse, die im auslande besser gemacht werden können, in Paris zu exponieren.
Ja, wissen denn das die gewerbetreibenden nicht selbst, was sie am besten machen können? O nein. Gerade so wenig, wie es der dichter, der maler, der künstler überhaupt, weiß, noch wissen kann. Stets wird er jenem kinde seiner muse den größten wert beilegen, bei dem er sich am meisten geplagt hat. Was aber seiner natur, seiner anlage am meisten entspricht, das, was er mühelos gegeben hat, dasjenige, was am stärksten den stempel seiner individualität trägt, sein ureigenstes, das wird ihm nie als besonders hervorragend erscheinen können. Nur die übereinstimmende ansicht des publikums kann ihm das richtige urteil über seine leistungen beibringen. Aber der Wiener hat das urteil von London, von Paris und New-York so selten gehört. Und da scheint mir der richtige augenblick gekommen zu sein, da er daran geht, am ende des jahrhunderts sich diesem urteil zu unterwerfen. In Paris sollten wir den leuten zeigen, was wir können, und nicht das, was wir nicht können, aber gern können wollten. Diese sachen zu exponieren, würde uns wenig nützen. Lieber weniger kunstreiche objekte, als solche, die man, und mög' es auch nur eine nuance sein, in einer anderen abteilung besser sehen kann.
In Paris wird wohl die für die nächsten jahre brennendste frage gelöst werden, die gegenwärtig unser kunstgewerbe beherrscht: Die alten stile oder der moderne stil. Die anderen kulturländer haben in dieser sache längst entschiedene stellung genommen und werden darum auch in Paris durch ihr entschlossenes festes auftreten imponieren. Selbst das Deutsche Reich, das mit posaunenschall in Chicago einzog, um dann, als es merkte, daß diese grandezza nicht wohl angebracht sei, sich bescheiden zurückzog, um bei den Amerikanern in die schule zu gehen, selbst das Deutsche Reich also, das so lange rückständig war, hat sich mit ungestüm den übrigen kulturvölkern angeschlossen. Nur wir sind noch zurückgeblieben, so zurückgeblieben, daß unsere gewerbetreibenden die rettende hand, die ihnen hofrat von Scala bietet, mit trotz zurückwiesen und sogar eine eigene zeitung ins leben gerufen haben, welche die neue richtung bekämpfen soll. In Deutschland wurden in den letzten monaten vier zeitungen zur propagierung der richtung gegründet, und wenn jemand ein gegenblatt herausgeben wollte, würde er mit unbändiger heiterkeit aufgenommen werden. Wir sind nicht dümmer als die andern draußen. Im gegenteil! Wir haben sogar etwas, was den meisten abgeht – unseren sieghaften, guten wiener geschmack, um den uns mancher beneiden könnte. Schuldtragend sind nur unsere unvernünftigen schulen, die unser kunstgewerbe in seiner natürlichen entwicklung gehemmt haben.
Die lösung dieser brennenden frage aber lautet: Alles, was frühere jahrhunderte geschaffen haben, kann heute, soferne es noch brauchbar ist, kopiert werden. Neue erscheinungen unserer kultur (eisenbahnwagen, telephone, schreibmaschinen usw.) müssen ohne bewußten anklang an einen bereits überwundenen stil formal gelöst werden. Änderungen an einem alten gegenstande, um ihn den modernen bedürfnissen anzupassen, sind nicht erlaubt. Hier heißt es: Entweder kopieren oder etwas vollständig neues schaffen. Damit will ich aber nicht gesagt haben, daß das neue, das entgegengesetzte von dem vorhergehenden ist.
Meines wissens wurde diese forderung noch nie so genau präzisiert ausgesprochen, obwohl man sie in den fachkreisen des auslandes und in letzter zeit im Österreichischen Museum ähnliches hören kann. Aber gearbeitet hat man nach dieser regel schon seit jahren. Diese forderung ist doch selbstverständlich. Die kopie eines alten bildes ist auch ein kunstwerk. Wer gedenkt nicht der prächtigen kopien alter italienischer meister von Lenbach in der Schack-Galerie zu München. Aber der wahren kunst unwürdig sind die bewußten versuche, im stile eines alten meisters neue gedanken zu fassen. Sie mußten daher immer fehlschlagen. Gewiß kann ein moderner künstler durch das fortgesetzte studium einer bestimmten schule, durch eine vorliebe und verehrung für eine bestimmte zeit oder einen bestimmten meister diese art sich so zu eigen machen, daß seine geistesprodukte stark den stempel seines meisters tragen. Ich erinnere nur an den altmeisterlichen ton Lenbachs, an die Quattrocento-gestalten der Engländer. Nie aber kann der wahre künstler einmal à la Botticelli, das nächstemal à la Tizian und ein andermal à la Rafael Mengs malen.
Wie würde man von einem literaten denken, der heute ein werk im stile Äschylos', morgen ein gedicht im stile Gerhard Hauptmanns und übermorgen einen schwank im stile Hans Sachs' dichten würde und noch den traurigen mut besäße, seine impotenz durch das eingeständnis seiner vorbilder zu offenbaren. Und nun denken wir uns eine staatliche dichterschule, in der die künstlerische jugend im zwange einer solchen doktrin entmannt werden soll, in der das literarische helotentum zum prinzip erhoben würde. Die ganze welt würde die opfer einer solchen methode bedauern. Und diese schule existiert, allerdings nicht für die literatur, aber für das kunstgewerbe.
Aber an einem gegenstande, den wir kopieren wollen, darf man auch nichts ändern. Da wir vor unserer eigenen zeit keine hochachtung empfinden, so fehlt sie uns auch für eine vorhergegangene. Stets haben wir an den alten produkten etwas auszusetzen. Wir geben uns stets der glücklichen täuschung hin, etwas daran besser machen zu können. So haben wir ja auch die Deutsche Renaissance durch die »schönen« verhältnisse tot gehetzt. Geändert muß also werden, »verschönern« nennt man das. Aber schon nach jahren sehen wir, daß diese vermeintlichen verschönerungen keine verbesserungen waren, daß das alte vorbild oder eine genaue kopie davon in alter ursprünglichkeit glänzt, während uns sein abklatsch mit den zahlreichen »verschönerungen« unausstehlich geworden ist. Das ist doch dem gewerbetreibenden eine heilsame lehre gewesen? Beileibe nicht! Er denkt nur daran, daß diese verschönerungen nicht radikal genug gewesen seien. Denn gefallen will ihm das alte ding noch lange nicht. Jetzt weiß er wieder neue verbesserungen. Und nach jahren fängt das spiel wieder von vorne an und so fort, bis in unsere gegenwart, wenn nicht der neue leiter unseres Österreichischen Museums dieser mehr komischen, als tragischen sysiphusarbeit ein ende bereitet hätte. Werke, die in einem anderen stil als in dem gegenwärtigen des Stubenrings zur ausstellung gelangen wollen, müssen von jetzt an genaue kopien sein.
Wie steht es nun nach diesen gesichtspunkten – sie mögen die richtigen sein oder nicht, aber es sind die außerösterreichischen – mit unserer bronzeindustrie? Sehr verschieden. Jene sachen, die sich der kompetenz der schulen entzogen haben, sind natürlich wieder die besten. Vielleicht wurden sie aber gerade deswegen nicht ausgestellt. Ich meine jene reizenden bronzenippes, die in den natürlichen farben eine wiener spezialität bilden, welche das entzücken eines jeden grabenflaneurs ausmachen. Unter japanischer beeinflußung ist da etwas echt wienerisches entstanden, das uns mit berechtigtem stolze erfüllen kann. Wohl fragte ich danach, doch überall wurde mir die antwort zuteil, daß man für diese »gewöhnlichen« sachen keinen raum habe. Mit großer genugtuung wies man aber auf die kunstwerke, die man sich eigens für die ausstellung von den berühmtesten architekten und professoren zeichnen ließ.
Alle stile wurden von diesen herren mißhandelt. Eine ausnahme fand ich wohl, doch lobe ich nur unter vorbehalt. Es sind dies kirchliche gegenstände im romanischen und gothischen stile. Diese epochen sind mir nicht so bekannt, wie die der renaissanceperiode. Darauf ist vielleicht mein gefallen daran zurückzuführen. Doch will es mir erscheinen, als hätte sich architekt Richard Jordan möglichst genau an die alten vorbilder gehalten, die wir bei der firma Franz Ludwig Adler & Sohn in der vorzüglichsten ausführung bewundern können.
Durch diese erwägungen werden die rein figuralen arbeiten natürlich nicht gestreift. Wir sehen solche von A. M. Beschorner in monumentaler größe mit der auf diese wirkung berechneten ausführung und die trefflichen bronzegüsse von J. Kalmar, die einer intimen wirkung durch ihre vorzügliche technik sicher sein können. Wenn man nur unter den bildwerken eine bessere auswahl getroffen hätte!
In den gebrauchsgegenständen gibt die Kunstgewerbeschule den ton an. Welche mühe kostet es doch, einen richtigen kohlenkasten oder einen ofenvorsetzer in Wien zu erhalten! Und wie schwer ist es doch, für türen oder fenster gute beschläge zu finden! Renaissance-, barock- und rokokoschwielen haben wir nacheinander in den letzten zwei dezennien durch die türgriffe bekommen, schrieb ich schon einmal irgendwo. Gibt es doch in Wien nur eine ordentliche türklinke, die mir erreichbar ist und zu der ich immer wallfahre, sobald ich in ihre nähe komme. Sie befindet sich in dem neuen hause auf dem Kohlmarkt (atelier Zwickel) und entstammt der künstlerhand professor Königs. Aber nicht hingehen, mein lieber leser, sie würden mich sonst im verdachte haben, daß ich sie foppen wollte. So unauffällig ist sie. An einem patentierten stock- und schirmhalter der firma Balduin Heller's Söhne ist noch erwähnenswert, daß dieser, gott sei dank, kein ornament aufweist. Derselbe ist daher nicht genug empfehlenswert. In einer zeit, in der jede türklinke, jeder bilderrahmen, jedes tintenfaß, jede kohlenschaufel, jeder pfropfenzieher hurrah schreit, verdient solche bescheidenheit doppelte unterstützung.
Auch die messingbetten, die wir erst vor einigen jahren von England übernommen haben, und die uns damals ihrer distinguierten einfachheit wegen so gefielen, haben sich schon bestens akklimatisiert und schreien ihr hurrah mit den türklinken, bilderrahmen, kohlenschaufeln usw. usw. um die wette.
5. juni 1898
Ein Präludium
Rechts und links vom Silberhof haben die tischler ihre erzeugnisse aufgestellt. Es sind kojen geschaffen worden und in diesen wurden musterzimmer aufgestellt. So geschieht es schon seit jahren bei jeder ausstellung. Dem publikum wird auf diese weise gesagt: So sollst du wohnen!
Das arme publikum! Selber darf es seine wohnung nicht einrichten. Da käme ein schöner Galimathias heraus. Das versteht es gar nicht. Die »stilvolle« wohnung, diese errungenschaft unseres jahrhunderts, verlangt ein außerordentliches wissen und können.
Das war nicht immer so. Noch bis zu anfang unseres jahrhunderts kannte man diese sorge nicht. Vom tischler kaufte man die möbel, vom tapezierer die tapete, vom bronzegießer die beleuchtungskörper und so fort. Das stimmte aber doch nicht zusammen? Vielleicht nicht. Aber von diesen erwägungen ließ man sich auch gar nicht leiten. Damals richtete man sich so ein, wie man sich heute anzieht. Vom schuster nehmen wir die schuhe, vom schneider rock, hose und weste, vom hemdenfabrikanten kragen und manschetten, vom hutmacher den hut, vom drechsler den stock. Keiner kennt den andern, und doch stimmen alle sachen zusammen. Warum? Weil alle im stile des jahres 1898 arbeiten. Und so arbeiteten auch die handwerker der wohnungsindustrie in früheren zeiten alle in einem gemeinsamen stile, in dem jeweilig herrschenden, im modernen.
Da geschah es auf einmal, daß der moderne stil in mißkredit kam. Es würde zu weit führen, das warum hier zu erörtern. Hier genügt es wohl, zu sagen, daß man mit seiner zeit unzufrieden wurde. Modern zu sein, modern zu fühlen und zu denken, galt als oberflächlich. Der tiefe mensch versenkte sich in eine andere zeitperiode und wurde entweder als Grieche oder mittelalterlicher Symbolist oder als renaissancemann glücklich.
Dem ehrlichen handwerker aber war dieser schwindel zu viel. Da konnte er nicht mit. Er verstand wohl, wie er seine kleider im schrank verwahren sollte, er verstand wohl, wie sich seine nebenmenschen ausruhen wollten. Nun sollte er aber für seine kundschaft, je nach ihrem geistigen glaubensbekenntnisse griechische, romanische, gothische, maurische, italienische, deutsche, barocke und klassizistische schränke und sessel bauen. Aber noch mehr. Ein zimmer sollte in diesem stile, das nächste im andern eingerichtet werden. Wie gesagt, er konnte absolut nicht mit.
Da wurde er denn unter kuratel gesetzt. Unter dieser befindet er sich heute noch. Zuerst warf sich der studierte archäologe als vormund auf. Nicht lange aber. Der tapezierer, dem man nicht viel anhaben konnte, da er in früheren jahrhunderten am allerwenigsten zu tun hatte und daher nicht gut verhalten werden konnte, alte muster nachzuahmen, hatte seinen vorteil bald heraus und warf eine unzahl neuer formen auf den markt. Es waren das möbel, die so vollständig gepolstert waren, daß man das holzwerk des tischlers nicht mehr erkennen konnte. Man jubelte den sachen zu. Das publikum hatte die archäologie nachgerade satt und war froh, möbel in sein heim zu bekommen, die seiner zeit angehörten, die modern waren. Der tapezierer hatte seinen vorteil bald erkannt. Der brave mann, der in früheren zeiten fleißig die heftnadel geführt und matratzen gestopft hatte, ließ sich nun die haare wachsen, zog ein samtjaquet an, band sich eine flatternde krawatte um und wurde zum künstler. Auf seinem firmenschilde löschte er das wort »Polsterer« aus und schrieb dafür »Dekorateur«. Das klang.
Und nun begann die herrschaft des tapezierers, eine schreckensherrschaft, die uns jetzt noch in allen gliedern liegt. Samt und seide, seide und samt und Makartbouquets und staub und mangel an luft und licht, und portièren und teppiche und arrangements – gott sei dank, daß es nun damit vorbei ist.
Die tischler bekamen einen neuen vormund. Das war der architekt. Der wußte gut mit der einschlägigen fachliteratur umzugehen und konnte daher mit leichtigkeit alle in sein fach einschlagenden aufträge in allen stilarten ausführen. Wollt ihr ein barockes schlafzimmer? Er macht euch ein barockes schlafzimmer. Wollt ihr einen chinesischen spucknapf? Er macht euch einen chinesischen spucknapf. Er kann alles, alles in allen stilarten. Er kann jeden gebrauchsgegenstand aller zeiten und völker entwerfen. Die lösung des geheimnisses seiner geradezu unheimlichen produktivität besteht in einem stück pauspapier, mit dem er sich nach erhaltenem auftrag, sobald er nicht selbst dem buchhändler eine größere hausbibliothek schuldig ist, in die bücherei der Kunstgewerbeschule begibt. Nachmittags sitzt er schon fest am reißbrett und liniert das barocke schlafzimmer oder den chinesischen spucknapf herunter.
Aber einen mangel hatten die zimmer der architekten. Sie waren nicht gemütlich genug. Sie waren kahl und kalt. Gab es früher nur stoffe, so gab es jetzt nur profile, säulen und gesimse. Da wurde denn wieder der tapezierer herbeigeholt, der die gemütlichkeit per meter an türen und fenstern aufhing. Aber wehe dem armen raum, wenn die stores und die portièren zum reinigen herabgenommen werden mußten. Dann konnte es kein mensch in dem öden zimmer aushalten, und die hausfrau schämte sich bis in den tiefsten grund ihrer seele hinein, wenn sich zu der zeit, in der die gemütlichkeit und traulichkeit des raumes ausgeklopft wurde, ein besuch einfand. Das war um so seltsamer, als doch die Renaissance, der diese zimmer größtenteils nachgebildet waren, diesen behelf überhaupt nicht kannte. Und doch war die gemütlichkeit dieser räume sprichwörtlich geworden.
Bei uns herrscht noch gegenwärtig der architekt, und wir sehen, wie sich der maler und der bildhauer anschicken, sein erbe anzutreten. Werden die es besser machen? Ich glaube nicht. Der tischler verträgt keinen vormund, und es wäre die höchste zeit, wenn man die vollständig ungerechtfertigt verhängte kuratel aufheben würde. Allerdings dürfte man dann nichts unmögliches von ihm verlangen. Unser tischler kann deutsch, deutsch, wie es in Wien im jahre 1898 gesprochen wird. Scheltet ihn nicht dumm oder unbeholfen, wenn er nicht zu gleicher zeit mittelhochdeutsch, französisch, russisch, chinesisch und griechisch spricht. Das kann er freilich nicht. Aber auch in seiner eigenen sprache ist er ein wenig aus der übung gekommen, nachdem er nun ein halbes jahrhundert verhalten wurde, alle idiome nachzuplappern, die ihm vordiktiert wurden. Verlangt daher nicht gleich eine virtuose behandlung seiner sprache. Lasset ihm zeit, sich dieselbe wieder langsam anzueignen.
Ich weiß wohl, daß man mit solchen worten weder dem tischler noch dem publikum helfen kann. Der tischler ist durch die jahrzehntelange bevormundung so verschüchtert, daß er sich nicht traut, mit seinen ideen hervorzukommen. Und so ist es auch das publikum. Hofrat v. Scala, der direktor des Österreichischen Museums, hat aber praktisch helfend eingegriffen. Er zeigte an englischen möbeln, die er kopieren ließ, daß das publikum auch vom tischler empfundene, vom tischler erdachte und vom tischler gemachte möbel kaufe. Diese möbel hatten kein profil und keine säulen und wirkten nur durch ihre bequemlichkeit, durch ihr solides material und durch ihre genaue arbeit. Das waren die wiener zigarettentaschen ins tischlerische übersetzt. Gar mancher meister wird sich damals gedacht haben: So einen stuhl, den könnte ich eigentlich auch machen, zu dem brauche ich keinen architekten. Noch einige solche Weihnachtsausstellungen, und wir haben eine andere tischlergeneration. Das publikum aber ist schon da und wartet der dinge, die da kommen sollen.
Ja, das publikum wartet. Das beweisen mir die vielen briefe, die ich bekomme, mit bitten, handwerker zu nennen, die modern arbeiten können. »Bitte um gütige mitteilung von adressen einiger möbelfabriken, welche den von hofrat v. Scala vorgezeichneten weg des fortschrittes eingeschlagen haben. Ich beabsichtige, einen salon zu möblieren, doch wo ich anklopfe, empfiehlt man mir Louis XV., Louis XVI., Empire usw., immer wieder«, wird mir aus der provinz geklagt. Das gibt zu denken.
Im saale des Gewerbevereines klagten sich die wiener kunstgewerbetreibenden jüngst ihre not. Hofrat v. Scala sei an allem schuld. »Sehen sie, herr architekt«, klagte mir ein kunstgewerbetreibender nach der versammlung, »sehen sie, uns geht es jetzt recht schlecht. Unsere guten zeiten sind vorbei. Vor zwanzig jahren, ja, da konnte man ein lusterweibchen für hundert gulden verkaufen. Und wissen sie, wie viel ich heute für dasselbe lusterweibchen bekomme?« Er nannte wirklich eine kleine summe. Der mann dauert mich. Er schien von dem wahne erfaßt zu sein, daß er sein ganzes leben lang lusterweibchen machen müsse. Wenn man ihn nur davon abbringen könnte. Denn die leute wollen keine lusterweibchen. Sie wollen neues, neues, neues. Und das ist ein wahres glück für unsere gewerbetreibenden. Im geschmacke des publikums ist ein steter wechsel. Die modernen erzeugnisse werden die höchsten preise, die unmodernen die niedrigsten preise erzielen. Also, wiener kunstgewerbler, ihr habt die wahl. Diejenigen unter euch aber, die durch ein volles lager unmoderner möbel der modernen bewegung mit angst entgegensehen, haben nicht das recht, sich dieser bewegung entgegenzustemmen. Am allerwenigsten dürfen sie an den leiter eines staatlichen institutes, das, wie das Österreichische Museum, die interessen aller gewerbetreibenden zu wahren hat, mit der aufforderung herantreten, eine richtung einzuschlagen, die den verkauf ihres möbelmagazins erleichtern würde. Auf solche transaktionen kann sich ein staatsbeamter nicht einlassen.
Heute will ich nur über den rahmen sprechen, den die wiener tischler in der Rotunde für ihre erzeugnisse gewählt haben. Die Tischlergenossenschaft einen sehr mittelmäßigen, die Kunstgewerbeabteilung des Niederösterreichischen Gewerbevereines einen vorzüglichen. Man werfe mir nicht ein, daß dieser mehr geld gekostet hätte. Der architekt dieser abteilung hätte es nie fertig gebracht, in stein gravierte römische majuskel auf bretter zu bringen, welcher schöne effekt noch dazu durch die kunst des anstreichers hervorgebracht wird. Also imitation zur zweiten potenz! Und die Wiener sind leider schon glücklich so weit, nicht einmal das einfache talmi gelten zu lassen. Architekt Pletschnik aber, dem der Wiener Gewerbeverein die gelegenheit geboten hat, sein außerordentliches können zu zeigen, wofür dem verein der dank aller modern denkenden gebührt, hat sich seiner aufgabe in geradezu ungewohnter weise entledigt. Ein hauch der vornehmheit geht durch diese exposition, der leider nicht auf rechnung aller ausgestellten gegenstände zu setzen ist. Dazu sind sie zu ungleichwertig. Die einzelnen kojen sind mit dunkelgrünem samt umrahmt, auf dem ein aus pappe ausgeschnittenes und mit lichtgrüner seide überzogenes ornament angebracht ist, das durch silberne scheiben und durch die silbernen buchstaben außerordentlich gehoben wird. Darüber spannt sich ein weißes velum mit einem mattvioletten ornament, das die velumdekoration zum erstenmal in Wien befriedigend löst. Reiche posamentriearbeiten – die posamentierer können sich beim architekten Pletschnik bestens bedanken, daß er die beleuchtungsfrage in einem ihnen so genehmen sinne gelöst hat – bergen die glühlampen. Ein reizender und eigenartiger effekt. Dazu ein roter teppich. Man beobachte nur das publikum, mit welcher andacht es durch diese räume geht. Sogar der fußabstreicher wird eifrig benützt.
12. juni 1898
In meinem letzten berichte habe ich recht ketzerische forderungen aufgestellt. Weder der archäologe, noch der dekorateur, noch der architekt, noch der maler oder der bildhauer soll uns die wohnung einrichten. Ja, wer soll es denn dann tun? Nun ganz einfach: Jeder sei sein eigener dekorateur.
Allerdings werden wir dann in keinen »stilvollen« wohnungen wohnen können. Aber dieser »stil«, der stil mit den gänsefüßchen, ist auch gar nicht nötig. Was ist denn dieser stil überhaupt? Er läßt sich schwer definieren. Meiner meinung nach fand jene wackere hausfrau auf die frage, was stilvoll sei, die beste antwort: Wenn auf dem »nachtkastel« ein löwenkopf ist, und dieser löwenkopf ist dann auf dem sofa, auf dem schrank, auf den betten, auf den sesseln, auf dem Waschtisch, kurz auf allen gegenständen des zimmers gleichfalls angebracht, so heißt dieses zimmer stilvoll. Hand aufs herz, meine herren gewerbetreibenden, haben sie nicht redlich dazu beigetragen, eine solche widersinnige meinung ins volk zu bringen? Nicht immer war es ein löwenkopf. Aber eine säule, ein knopf, eine balustrade wurde immer in alle möbel hineingepreßt, bald verlängert, bald verkürzt, bald verdickt, bald verdünnt.
Solche zimmer tyrannisierten ihren armen besitzer. Wehe dem unglücklichen, wenn er es gewagt hätte, sich selbst etwas hinzuzukaufen! Denn diese möbel vertrugen absolut kein anderes in ihrer nähe. Bekam man etwas geschenkt, konnte man es nirgends hinstellen. Und wenn man die wohnung wechselte und im neuen heim nicht genau dieselben zimmergrößen vorfand, dann war es auf immer mit der »stilvollen« wohnung vorbei. Dann mußte vielleicht gar der altdeutsche dekorationsdivan in den blauen rokokosalon gestellt werden und der barocke schrank in das empiresitzzimmer. Schrecklich!
Wie gut hatte es doch dagegen der dumme bauer oder der arme arbeiter oder die alte jungfer. Die hatten solche sorgen nicht. Die waren nicht stilvoll eingerichtet. Eines kam von da her, das andere von dort. Alles durcheinander. Doch was ist das? Die maler, denen man doch so viel geschmack zugetraut hatte, ließen unsere prächtigen wohnungen links liegen und malten immer interieurs der dummen bauern, der armen arbeiter und der alten jungfern. Wie man nur so etwas schön finden kann? Denn schön ist, so wurde gelehrt, nur die stilvolle wohnung.
Aber die maler hatten recht. Sie, die für alle äußerlichkeiten des lebens, dank ihrer geübten und trainierten augen, einen viel schärferen blick haben als andere menschen, haben das hohle, das aufgeblasene, das fremde, das unharmonische unserer stilvollen wohnungen stets erkannt. Die menschen passen nicht zu diesen räumen und die räume nicht zu diesen menschen. Wie sollten sie denn auch? Der architekt, der dekorateur kennt seinen auftraggeber kaum dem namen nach. Und wenn der bewohner diese räume hundertmal käuflich erworben hat, es sind doch nicht seine zimmer. Sie bleiben immer das geistige eigentum desjenigen, der sie erdacht hat. Auf den maler konnten sie daher nicht wirken, es fehlte ihnen jeder geistige zusammenhang mit dem bewohner, es fehlte ihnen jenes etwas, das sie eben im zimmer des dummen bauern, des armen arbeiters, der alten jungfer fanden: Die intimität.
Ich bin gott sei dank noch in keiner stilvollen wohnung aufgewachsen. Damals kannte man das noch nicht. Jetzt ist es leider auch in meiner familie anders geworden. Aber damals! Hier der tisch, ein ganz verrücktes krauses möbel, ein ausziehtisch mit einer fürchterlichen schlosserarbeit. Aber unser tisch, unser tisch! Wißt ihr, was das heißt? Wißt ihr, welche herrlichen stunden wir da verlebt haben? Wenn die lampe brannte! Wie ich als kleiner bub mich abends nie von ihm trennen konnte, und vater immer das nachtwächterhorn imitierte, so daß ich ganz erschreckt ins kinderzimmer lief! Und hier der Schreibtisch! Und hier der tintenfleck darauf. Schwester Hermine hat hier als ganz kleines baby die tinte ausgegossen. Und hier die bilder der eltern! Welch schreckliche rahmen! Aber es war das hochzeitsgeschenk der arbeiter des vaters. Und hier der altmodische sessel! Ein überbleibsel aus dem hausstande der großmutter. Und hier ein gestickter pantoffel, in dem man die uhr aufhängen kann; schwester Irmas kindergartenarbeit. Jedes möbel, jedes ding, jeder gegenstand erzählt eine geschichte, die geschichte der familie. Die wohnung war nie fertig; sie entwickelte sich mit uns und wir in ihr. Wohl war kein stil darin. Das heißt kein fremder, kein alter. Aber einen stil hatte die wohnung, den stil ihrer bewohner, den stil der familie.
Als die zeit immer gebieterischer die forderung nach der stilvollen wohnung erhob – alle bekannten waren schon altdeutsch eingerichtet, und da kann man doch nicht zurückbleiben – da wurde der ganze alte plunder hinausgeworfen. Plunder für jeden anderen, für die familie ein heiligtum. Der rest ist – tapezierer.
Nun haben wir es aber satt bekommen. Wir wollen wieder in unseren eigenen vier wänden herren sein. Sind wir geschmacklos, gut, so werden wir uns geschmacklos einrichten. Haben wir geschmack, um so besser. Von unserem zimmer wollen wir uns aber nicht mehr tyrannisieren lassen. Wir kaufen alles zusammen, alles, wie wir es eben nach und nach brauchen können, wie es uns gefällt.
Wie es uns gefällt! Ja, da hätten wir ja doch den stil, nach dem wir solange gefahndet, den wir immer in die wohnung herein haben wollten. Ein stil, der nicht von den gleichen löwenköpfen, sondern von dem geschmacke oder, wegen meiner, ungeschmacke eines menschen, einer familie abhängig war und sich danach gestaltete. Das gleiche, gemeinsame band, das alle möbel im raume miteinander verbindet, bestände eben darin, daß sein besitzer die auswahl getroffen hat. Und selbst wenn derselbe, insbesondere was die farbenauswahl anbelangt, etwas sprunghaft vorgehen sollte, es gäbe noch immer kein unglück. So eine mit der familie gewordene wohnung verträgt schon etwas. Wenn man nämlich in ein »stilvolles zimmer« auch nur ein nippesstückchen hineinstellt, das nicht dazu gehört, so kann das ganze zimmer verdorben werden. Im familienzimmer geht es sofort in dem raume vollständig auf. Ist doch so ein zimmer wie eine violine. Die kann man einspielen, jenes einwohnen.
Unberührt von diesen ausführungen bleiben selbstverständlich jene räume, die nicht zum wohnen benützt werden. Bad und die toilette werde ich vom installateur, die küche vom betreffenden fachmanne einrichten lassen. Und vollends solche räume, die zum empfange der gäste, zu den festlichkeiten, zu außergewöhnlichen gelegenheiten benützt werden. Da rufe man den architekten, den maler oder bildhauer, den dekorateur herbei. Es wird schon jeder denjenigen finden, den er verdient. Denn zwischen dem produzenten und dem konsumenten besteht ein geistiger kontakt, der freilich für die wohnräume nicht ausreichen kann.
So war es ja immer. Auch der könig wohnte in einem zimmer, das mit ihm und durch ihn geworden war. Aber seine gäste empfing er in den vom hofarchitekten geschaffenen räumen. Und wenn dann die braven untertanen durch die goldenen räume geführt wurden, dann entrang sich wohl der braven untertanenbrust der seufzer: »Ach hat's der gut! Wenn du doch auch so schön wohnen könntest!« Denkt sich doch der brave untertan den könig nicht anders als im purpurnen hermelinmantel mit dem szepter in der hand und der krone auf dem haupt spazierengehend. Was wunder, wenn die braven untertanen sofort, sobald sie zu gelde kamen, sich auch diese vermeintlichen königlichen wohnräume anschafften. Hat's mich doch genug gewundert, daß ich noch nie jemanden im purpur herumlaufen sah.
Nach und nach haben wir auch zu unserm schreck gesehen, daß der könig sehr einfach wohnt, und da gab es denn auch einen plötzlichen rückzug. Einfachheit auch in den festräumen, war trumpf. In anderen ländern ist man wieder im vormarsche begriffen, während wir uns erst zum rückzuge anschicken. Erspart kann uns dieser nicht werden, wie es unsere gewerbetreibenden – ach so gerne – haben möchten. Geschmack und lust an der abwechslung sind immer verschwistert. Heute tragen wir enge hosen, morgen weite und übermorgen wieder enge. Das weiß jeder schneider. Ja, da könnten wir uns ja die periode der weiten hosen ersparen. O nein! Die brauchen wir, damit uns die engen hosen wieder gefallen. Auch wir brauchen eine periode der einfachen festräume, um auf die reichen wieder vorbereitet zu werden. Wollen unsere gewerbetreibenden die einfachheit schneller überwinden, so gibt es nur ein mittel: Sie müssen sie akzeptieren.
Gegenwärtig fängt sie bei uns erst an. Das kann man wohl am besten aus dem umstande entnehmen, daß das meistbewunderte zimmer in der Rotunde auch das einfachste ist. Ein schlafzimmer mit bad ist es. Hoftapezierer Schenzel hat es verfertigt und es ist für denjenigen bestimmt, der es selbst entworfen hat. Ich glaube, daß dies vielleicht den stärksten reiz auf die sich stauenden beschauer ausübt. Es übt den ganzen zauber des individuellen und persönlichen aus. Niemand anderer könnte darin wohnen, niemand anderer könnte es so voll und ganz auswohnen, erwohnen, wie der besitzer selber, Otto Wagner.
Hofrat Exner hat das zimmer sofort für die pariser Weltausstellung erworben, wo es die bestimmung haben wird, den Parisern die fromme täuschung vorzuführen, wie die Wiener schlafen und baden. Unter uns können wir uns ja eingestehen, daß wir noch nicht so weit sind. Aber eine große umwandlung wird dieses zimmer in unserem wohnungswesen hervorrufen. Denn, wie ich schon früher hervorgehoben habe, den leuten gefällt es. Das Österreichische Museum hat da durch seine Weihnachtsausstellung glücklich vorgearbeitet. Man denke nur, die Wiener finden jetzt sogar ein messingbett schön. Kein reiches, sondern das einfachste, das man sich denken kann. Und dabei hat der tapezierer nicht einmal den versuch gemacht, die messingstäbe durch stoffe zu verleugnen, wie es bisher immer gang und gäbe war. Messingbetten mußten nämlich immer »gefüttert« werden. Eine glatte, grüngefärbte und polierte wandvertäfelung umgibt das zimmer, in die teilweise wertvolle stiche eingelassen sind. Eine ottomane mit einem eisbärenfell, zwei messingnachtkästchen, zwei schränke und zwei kabinette, ein tisch, zwei fauteuils und einige sessel füllen das zimmer aus. Über der wandvertäfelung sind naturalistische kirschbaumzweige als wandverkleidung gestickt. Ebenso ist auch das velum über dem bette dekoriert. Der weißgetünchte plafond hat im kreise angeordnete, an seidenschnüren hängende glühlampen und demgemäß in gips modellierte strahlen. Die farbige wirkung, hervorgerufen durch das grüne holz, das gelbe messing, das weiße fell und die roten kirschen ist eine außerordentliche. Über die sessel dieses zimmers zu sprechen, behalte ich mir noch vor. Aber für heute sei schon gesagt, daß der teppich unrichtig ist. Die rosenbeete, in denen wir früher herumsteigen mußten, haben wir gründlich abgetan. Ich glaube nicht, daß es angenehmer wirkt, durch den teppich die illusion erweckt zu bekommen, daß man über bloßgelegte baumwurzeln stolpern könnte. Der kirschenbaum sendet nämlich seine wurzel über den ganzen fußboden.
Ein juwel ist das bad. Die gesamte wandverkleidung, der fußbodenbelag, der ottomanenüberzug und die pölster bestehen nämlich aus jenem wolligen stoff, aus dem unsere bademäntel verfertigt werden. Er hat ein diskretes violettes muster erhalten, und das weiß, violett und silber der vernickelten möbel, der toilettegegenstände und der badewanne geben die farbenstimmung an. Die badewanne besteht nämlich aus spiegelglas, das durch nickel montiert wird. Sogar die gläser auf dem waschtisch – facettenschliff – sind nach Wagner'schen zeichnungen ausgeführt. Natürlich auch die reizende toilettegarnitur.
Ich bin ein gegner jener richtung, die etwas besonders vorzügliches darin erblickt, daß ein gebäude bis zur kohlenschaufel aus der hand eines architekten hervorgehe. Ich bin der meinung, daß dadurch das gebäude ein sehr langweiliges aussehen erhält. Jede charakteristik geht dabei verloren. Aber vor dem Otto Wagner'schen genius streiche ich die segel. Otto Wagner hat nämlich eine eigenschaft, die ich bisher nur bei wenigen englischen und amerikanischen architekten gefunden habe; er kann nämlich aus seiner architektenhaut heraus- und in eine beliebige handwerkerhaut hineinschlüpfen. Er macht ein wasserglas – da denkt er wie ein glasbläser und ein glasschleifer. Er macht ein messingbett – er denkt, er fühlt wie ein messingarbeiter. Alles übrige, sein ganzes großes architektonisches wissen und können hat er in der alten haut gelassen. Nur eines nimmt er überall mit: Seine künstlerschaft. 19. juni 1898
Das Otto-Wagner-Zimmer – das moderne schlafzimmer und bad in der Kunstgewerbeabteilung des Gewerbevereines – ist schön, nicht weil, sondern obgleich es von einem architekten herrührt. Dieser architekt ist eben sein eigener dekorateur gewesen. Für jeden anderen ist dieses zimmer unrichtig, weil es seiner eigenart nicht entspricht, daher unvollkommen, und daher kann von schönheit nicht mehr die rede sein. Das ist wohl ein widerspruch.
Unter schönheit verstehen wir die höchste vollkommenheit. Vollständig ausgeschlossen ist daher, daß etwas unpraktisches schön sein kann. Die erste grundbedingung für einen gegenstand, der auf das prädikat »schön« anspruch erheben will, ist, daß er gegen die zweckmäßigkeit nicht verstößt. Der praktische gegenstand allein ist allerdings noch nicht schön. Dazu gehört mehr. Die alten Cinquecento-Leute haben sich wohl am präzisesten ausgedrückt. Sie sagten: Ein gegenstand, der so vollkommen ist, daß man ihm, ohne ihn zu benachteiligen, weder etwas wegnehmen noch zugeben darf, ist schön. Das wäre die vollkommenste, die abgeschlossenste harmonie.
Der schöne mann? Es ist der vollkommenste mann, jener mann, der durch seinen körperbau und durch seine geistigen eigenschaften die beste gewähr für gesunde nachkommen und für die erhaltung und ernährung einer familie bieten kann. Das schöne weib? Es ist das vollkommene weib. Ihr liegt es ob, die liebe des mannes zu entflammen, die kinder selbst zu stillen, ihnen eine gute erziehung zu geben. Sie hat dann die schönsten augen, praktische, scharfe augen und nicht kurzsichtige, blöde, sie hat die schönste stirne, das schönste haar, die schönste nase. Eine nase, durch die man gut atmen kann. Sie hat den schönsten mund, die schönsten zähne, zähne, mit denen man die speisen am besten zerkleinern kann. Nichts in der natur ist überflüssig. Den grad des gebrauchswertes, verbunden mit der harmonie zu den übrigen teilen, nennen wir reine Schönheit.
Wir sehen also, daß sich die schönheit eines gebrauchsgegenstandes nur in bezug auf seinen zweck erklären läßt. Für ihn gibt es keine absolute schönheit. »Seht doch, welch schöner schreibtisch!« – »Schreibtisch? – der ist ja häßlich!« – »Es ist aber gar kein schreibtisch, es ist ein billard.« – »So, ein billard, gewiß, es ist ein schönes billard.« – »O, sehen sie doch, welch herrliche zuckerzange!« – »Waaas, herrlich, ich finde diese zuckerzange geradezu fürchterlich!« – »Aber es ist ja eine kohlenschaufel!« – »Ja dann, gewiß, es ist eine herrliche kohlenschaufel!« – »Welch wunderschönes schlafzimmer Hr. – setzen sie den namen des dümmsten menschen her, den sie kennen – besitzt.« – »Was, Hr. X. Y. Z.? Und das finden sie wunderschön?« – »Ich habe mich geirrt, es gehört für oberbaurat professor Otto Wagner, C.-M. (Klubmitglied), dem größten architekten seiner zeit.« – »Dann ist es in der tat wunderschön.« Die schönste, malerischeste osteria mit dem echtesten schmutz wäre für andere leute als italienische bauern häßlich. Und da hätten die leute recht.
Und so ist es auch mit jedem einzelnen gebrauchsgegenstande. Sind z. b. die sessel im Wagner-Zimmer schön? Für mich nicht, weil ich schlecht darauf sitze. So wird es wohl allen anderen leuten auch gehen. Es ist aber leicht möglich, daß Otto Wagner sich auf diesen sesseln sehr gut ausruhen kann. Für sein schlafzimmer, also einen raum, in dem man keine gäste empfängt, sind sie daher, vorausgesetzt, daß er bequem sitzt, schön. Geformt sind sie wie die griechischen stühle. Aber im laufe der jahrtausende hat die technik des sitzens, die technik des ausruhens eine bedeutende umänderung erfahren. Sie stand nie still. Bei allen völkern und zu allen zeiten ist sie verschieden. Stellungen, die für uns, man denke nur an die morgenländer, äußerst anstrengend wären, können für andere menschen als ausruhen gelten.
Gegenwärtig wird von einem sessel nicht nur verlangt, daß man sich auf ihm ausruhen kann, sondern auch, daß man sich schnell ausruhen kann. Time is money. Das ausruhen mußte daher spezialisiert werden. Nach geistiger arbeit wird man sich in einer anderen stellung ausruhen müssen, als nach der bewegung im freien. Nach dem turnen anders als nach dem reiten, nach dem radfahren anders als nach dem rudern. Ja, noch mehr. Auch der grad der ermüdung verlangt eine andere technik des ausruhens. Dieselbe wird, um das ausruhen zu beschleunigen, durch mehrere sitzgelegenheiten, die nacheinander benützt werden, durch mehrere körperlagen und stellungen geschehen müssen. Haben sie noch nie das bedürfnis gehabt, besonders bei großer ermüdung, den einen fuß über die armlehne zu hängen? An sich ist das eine sehr unbequeme stellung, aber manchmal eine wahre wohltat. In Amerika kann man sich diese wohltat immer verschaffen, weil dort kein mensch das bequeme sitzen, also das schnelle ausruhen, für unfein hält. Dort kann man auch auf einen tisch, der nicht zum essen dient, seine füße ausstrecken. Hier aber findet man in der bequemlichkeit seines nebenmenschen etwas beleidigendes. Gibt es doch noch menschen, denen man auf die nerven treten kann, wenn man die füße im eisenbahnkupee auf die gegenüberliegenden sitze streckt oder sich gar hinlegt.
Die Engländer und Amerikaner, die von einer so kleinlichen denkungsweise frei sind, sind denn auch wahre virtuosen des ausruhens. Im laufe dieses jahrhunderts haben sie mehr sesseltypen erfunden, als die ganze welt, alle völker mit eingeschlossen, seit ihrem bestande. Dem grundsatze gemäß, daß jede art der ermüdung einen anderen sessel verlangt, zeigt das englische zimmer nie einen durchgehend gleichen sesseltypus. Alle arten von sitzgelegenheiten sind in demselben zimmer vertreten. Jeder kann sich seinen ihm am besten passenden sitz aussuchen. Eine ausnahme bilden bloß jene räume, die nur zeitweise von allen insassen zu demselben zwecke benützt werden. So der tanzsaal und das speisezimmer. Der drawing room aber, unser salon, wird seiner bestimmung gemäß leichte, also leicht transportable sessel aufweisen. Auch sind diese nicht zum ausruhen da, sondern um bei leichter anregender konversation die sitzgelegenheit zu bieten. Auf kleinen, kapriziösen sesseln plaudert sich's leichter als im großvaterstuhl. Daher werden auch solche sessel – man konnte sie im vorjahre bei der Scala'schen Weihnachtsausstellung im Österreichischen Museum sehen – von den Engländern gebaut. Die Wiener, die entweder ihre bestimmung nicht kannten oder vielleicht einen patentsessel für alle sitzeventualitäten im auge hatten, nannten sie daher unpraktisch.
Überhaupt möge man mit dem worte unpraktisch recht vorsichtig umgehen. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß unter umständen eine unbequeme stellung bequem sein kann. Die Griechen, die von einem sessel verlangten, daß er der krümmung des rückgrates recht großen spielraum gewähre – man denke nur an die zusammengekauerten gestalten Alma Tadema's – würden auch unsere rückenlehnen unbequem finden, da wir unsere schulterblätter gestützt haben wollen. Und was würden sie erst zu dem amerikanischen schaukelstuhl sagen, mit dem nicht einmal wir etwas anzufangen wissen! Wir gehen nämlich von dem grundsatze aus, daß man sich auf einem schaukelstuhl auch schaukeln müsse. Ich glaube, daß diese falsche anschauung durch die falsche benennung entstanden ist. In Amerika heißt nämlich der stuhl » rocker«. Mit dem worte rocking wird aber auch eine wiegende, wippende bewegung bezeichnet. Der rocker ist nämlich im prinzip nichts anderes als ein stuhl mit zwei beinen, bei dem die füße des sitzenden die vorderbeine bilden müssen. Entstanden ist er aus dem bequemen sitz, den man sich verschafft, wenn man den schwerpunkt nach hinten verlegt, so daß die vorderbeine gehoben werden. Die hinterkufen des sitzmöbels verhindern das umkippen des stuhles. Vorderkufen, wie unser schaukelstuhl, hat der amerikanische rocker nicht, da es keinem menschen drüben einfallen würde, sich zu schaukeln. Aus diesem grunde sieht man in manchen amerikanischen zimmern nur rockers, während sie hier noch recht unpopulär sind.
Praktisch soll also jeder stuhl sein. Wenn man den leuten daher nur praktische sessel bauen würde, würde man ihnen die möglichkeit bieten, sich ohne hilfe des dekorateurs vollkommen einzurichten. Vollkommene möbel geben vollkommene zimmer. Unsere tapezierer, architekten, maler, bildhauer, dekorateure usw. mögen sich daher nur, sobald es sich um wohnräume und nicht um prunkräume handelt, darauf beschränken, vollkommene, praktische möbel in den handel zu bringen. Gegenwärtig sind wir in dieser beziehung auf den englischen import angewiesen, und man kann leider unseren tischlern keinen besseren rat geben, als diese typen zu kopieren. Gewiß hätten unsere tischler, wenn man ihnen nicht den kontakt mit dem leben durchschnitten hätte, ganz ohne alle beeinflussung ähnliche sessel erzeugt. Denn zwischen dem tischlermöbel einer kulturanschauung und ein und derselben zeit gibt es nur so kleine unterschiede, daß sie nur dem genauen kenner auffallen können.
Recht komisch wirkt es, wenn sich zur neige unseres jahrhunderts stimmen bemerkbar machen, die gebieterisch eine emanzipation vom englischen einfluß zu gunsten eines österreichischen nationalstiles verlangen. Auf den fahrräderbau angewendet, würde dies beiläufig so lauten: »Gebt das verwerfliche kopieren englischer fabrikate auf und nehmt euch das echt österreichische holzrad des obersteirischen knechtes Peter Zapfel« – oder hat der brave anders geheißen? – »zum muster. Dieses rad paßt besser zur alpenlandschaft als die häßlichen englischen räder.« Und das erscheint für diese richtung als hauptsache.
Die möbel haben von jahrhundert zu jahrhundert immer mehr verwandtschaftliche züge angenommen. Schon am anfange dieses jahrhunderts konnte man die unterschiede zwischen einem wiener sessel und einem londoner chair nur schwer sehen. Das war zu einer zeit, als man wochenlang in der postkutsche sitzen mußte, um von Wien nach London zu kommen. Und nun finden sich sonderbare heilige, die im zeitalter der expreßzüge und der telegraphen künstlich eine chinesische mauer um uns errichten wollen. Doch das ist unmöglich. Ein gleiches essen wird ein gleiches eßbesteck, ein gleiches arbeiten und ein gleiches ausruhen einen gleichen sessel zur folge haben. Eine versündigung an unserer kultur wäre es aber, wenn man die forderung an uns stellen würde, unsere speisegewohnheiten aufzugeben und wie der bauer mit der ganzen familie aus einem napf zu essen, bloß weil die art unseres essens aus England stammt. Für das sitzen gilt dasselbe. Unsere gewohnheiten stehen den englischen viel näher als denen des oberösterreichischen bauern.
Unsere tischler wären also zu denselben resultaten gekommen, wenn man sie hätte gewähren lassen und wenn sich nicht die architekten hineingemischt hätten. Wäre in der annäherung der formen dasselbe tempo eingehalten worden, wie es seit der renaissance- bis in die kongreßzeit eingeschlagen war, dann gäbe es auch in der tischlerei keine länderunterschiede mehr, wie sie in den blühenden architektenfreien gewerben schon lange nicht mehr bestehen: Im wagenbau, in der juwelierkunst, in der ledergalanterie. Denn zwischen einem londoner und wiener tischlerverstand besteht kein unterschied, zwischen dem londoner tischler und dem wiener architekten liegt aber eine ganze welt.
26. juni 1898
Man zeige die töpfe, die ein volk hervorgebracht, und es läßt sich im allgemeinen sagen, welcher art es war und auf welcher stufe der bildung es stand, sagt Semper in der vorrede zu seiner keramik. Gottfried Semper: »Der Stil«. Nicht nur den töpfen wohnt diese offenbarungskraft inne, möchte man hinzufügen. Jeder gebrauchsgegenstand kann uns von den sitten, dem charakter eines volkes erzählen. Aber die produkte der keramik besitzen diese eigenschaft sinnfälliger.
Semper gibt uns gleich ein beispiel. Er bildet jenes gefäß ab, mit dem in Ägypten, und jenes, mit dem in Hellas das wasser von den frauen ins haus gebracht wurde. Das erstere ist der nileimer, die situla, ein gefäß, das beiläufig jenen kupferkesseln ähnelt, mit dem die Venetianer ihr wasser schöpfen. Es gleicht einem oben abgeschnittenen riesenkürbis, hat keinen fuß und einen henkel wie ein feuereimer. Die ganze gestaltung des landes, seine topo- und hydrographie kann uns dieser schöpfeimer offenbaren. Wir wissen sofort: Das volk, das sich dieses gefäßes bedient, muß in der tiefebene, an den ufern eines trägen flusses leben. Welcher unterschied aber bei dem griechischen gefäße! Semper sagt über dieses: »... die hydria, deren bestimmung darin besteht, das wasser nicht zu schöpfen, sondern es, wie es vom brunnen fließt, aufzufangen. Daher die trichterform des halses und die kesselform des rumpfes, dessen schwerkraftsmittelpunkt der mündung möglichst nahe gelegen ist; denn die etruskischen und griechischen frauen trugen ihre hydrien auf ihren häuptern aufrecht, wenn voll, horizontal, wenn leer. Wer den versuch macht, einen stock auf seiner fingerspitze zu balanzieren, wird dieses kunststück leichter finden, wenn er das schwerste ende des stockes zuoberst nimmt; dieses experiment erklärt die grundform der hellenischen hydria (der rümpf gleicht nämlich einer herzförmigen rübe), die ihre vervollständigung erhält durch zwei horizontale henkel im niveau des schwerpunktes, zum heben des vollen, und eines dritten, vertikalen, zum tragen und aufhängen des leeren gefäßes, vielleicht auch als handhabe für eine dritte person, welche der wasserträgerin beisteht, das volle gefäß auf den kopf zu heben.«
So weit Semper. Idealen menschen hat er damit sicherlich einen stich ins herz gegeben. Wie, diese herrlichen griechischen vasen mit ihren vollendeten formen, formen, die nur allein geschaffen schienen, von dem schönheitsdrange des hellenischen volkes zu erzählen, sie verdanken ihre form nur der baren nützlichkeit? Der fuß, der rumpf, die henkel, die größe der mündung wurden nur von dem gebrauche diktiert? Ja dann sind ja diese vasen am ende gar praktisch! Und wir haben sie immer für schön gehalten! Wie einem das nur passieren konnte! Denn, so wurde stets gelehrt: Das praktische schließt die schönheit aus.
In meinem letzten artikel habe ich das gegenteil zu behaupten gewagt, und da mir so viele zuschriften zugekommen sind, die mir bewiesen, daß ich im unrecht wäre, so muß ich mich schon hinter die alten Hellenen verschanzen. Ich will ja nicht in abrede stellen, daß unsere kunstgewerbetreibenden auf einer höhe stehen, die jeden vergleich mit einem anderen volke oder einer anderen zeit vollständig ausschließt. Aber ich möchte zu bedenken geben, daß sich die alten Griechen auch etwas auf die schönheit verstanden. Und die arbeiteten nur praktisch, ohne auch nur im geringsten an die schönheit zu denken, ohne einem ästhetischen bedürfnisse nachkommen zu wollen. Und wenn dann ein gegenstand so praktisch war, daß er nicht mehr praktischer gemacht werden konnte, dann nannten sie ihn schön. Und so taten es auch die kommenden völker, und auch wir sagen: Diese vasen sind schön.
Gibt es noch heute leute, die so wie die Griechen arbeiten? O ja. Es sind die Engländer als volk, die ingenieure als stand. Die Engländer, die ingenieure, sind unsere Hellenen. Von ihnen erhalten wir unsere kultur, von ihnen ergießt sie sich über den ganzen erdball. Sie sind die menschen des neunzehnten jahrhunderts in ihrer vollendung ...
Diese griechischen vasen sind schön, so schön wie eine maschine, so schön wie ein bicycle. Unsere keramik kann sich größtenteils mit den erzeugnissen des maschinenbaues in dieser beziehung nicht messen. Natürlich nicht vom wiener standpunkte aus, sondern vom griechischen. Am anfange des jahrhunderts war unsere keramik ganz im klassischen fahrwasser. Auch hier griff der architekt »rettend« ein.
Ich war einmal in einer operette, die in Spanien spielte: Anläßlich einer freudigen festlichkeit – ich glaube, daß der hausherr geburtstag feiert – wird ein chor von estudiantes herbeigeholt, um auf diese weise dem komponisten gelegenheit für ein spanisches lied, dem kostümier aber betätigung für so und so viele hosenrollen zu bieten. Sie singen – ob hochzeit, geburtsfest, kindstaufe, ob jubiläum oder namenstag ist, das ist ihnen gleich: – denn
Wir haben nur ein lied,
Das paßt auf alle fälle,
Wir sind damit zur stelle usw., usw.
Das zauberlied lautet:
Wir lassen ihn, wir lassen ihn hoch leben.
Ich zitiere nur aus dem gedächtnisse, da es schon zehn jahre her ist.
Solche estudiantes waren unsere architekten. Sie wußten auch nur ein lied. Es hatte zwei strophen: Das profil und das ornament. Und mit demselben profil und demselben ornament wurde alles bearbeitet und gearbeitet, fassaden und notentaschen, tintenfässer und klaviere, schlüsselschilder und ausstellungen. Auch glas- und tonwaren. Zuerst wurde ein strich gezogen, links davon, je nachdem der künstler rechts- oder linkshändig war, darauf losprofiliert, profiliert, daß es eine freude war zuzusehen. Die profile flossen nur so aus dem bleistift heraus. Plättchen, hohlkehle, plättchen, wulst, plättchen, hohlkehle, plättchen, wulst, dazwischen mal ein karnies. Dann wurde dieses profil herübergepaust, und der rotationskörper war fertig. Nun kam die zweite strophe: Das ornament. Auch das wurde mit hilfe der geometrie gelöst, mit der man, wie es im liede heißt, allerdings nicht den inhalt der gurke ergründen, aber rotationskörper abwickeln kann. Kurz, es war herrlich.
Da kamen die bösen Engländer und trübten den herren vom reißbrett die freude. Sie sagten: Nicht zeichnen, sondern machen. Geht ins leben, damit ihr wißt, was verlangt wird. Und wenn ihr das leben erfaßt habt, dann stellt euch vor den schmelzofen oder vor die drehscheibe. Da ließen denn 99 perzent der künstler das töpfemachen sein.
Hier ist man allerdings noch nicht so weit. Aber der englische geist ist auch schon in unsere handwerker gefahren und rebelliert gegen die vorherrschaft der architektur. Mit geheimer freude hörte ich neulich, wie sich ein kollege bei mir darüber beschwerte, daß ihm ein töpfer rund heraus erklärte, nach seiner zeichnung nicht arbeiten zu wollen. Nicht einmal den versuch wollte er machen. Er wollte sich eben nicht mehr retten lassen. Recht hat der mann, erklärte ich dem architekten. Der hat mich wohl für einen narren gehalten.
Es ist die höchste zeit, daß sich unser handwerk auf sich selbst besinnt und jede unberufene führung von sich abzuschütteln sucht. Wer mitarbeiten will, sei willkommen. Wer vor der surrenden töpferscheibe in der arbeitsschürze, vor dem glühenden schmelzofen mit entblößtem oberkörper mitschaffen will, sei gepriesen. Jene dilettanten aber, die vom bequemen atelier aus dem künstler, kunst kommt von können, dem schaffenden, vorschreiben, vorzeichnen wollen was er schaffen sollte, mögen sich auf ihr gebiet beschränken, das der graphischen kunst.
Aus England kam die emanzipation des handwerkers, und daher zeigen die neuen gegenstände alle englische form. Aus England kam der neue glasschliff ( cut glass), den wir steindlschliff oder walzenschliff nennen. Linien von prismatischem querschnitt bilden ein geometrisches ornament über das ganze glas. Das geradlinige ornament erhält den ersten, das rundlinige den zweiten namen. Diese technik hat bei uns eine solche höhe erreicht, daß wir schon mit Amerika konkurrieren können (einem lande also, wo sie in höchster blüte steht), was uns bei der geschicklichkeit unserer glasschleifer nicht wunder nehmen darf. Viele sachen sind aber auch feiner, vornehmer, distinguierter in der form. Die amerikanischen steindlschliffe zeigen alle einen überschwang in der form, der mir nicht zeitgemäß dünkt. Fast alle aussteller haben gute proben.
Zum erstenmal sieht man auf österreichischem boden verfertigte Tiffanygläser. Der sohn des amerikanischen goldschmiedes Tiffany, Louis C. Tiffany, hat mit hilfe venetianischer glasarbeiter und durch die neuesten errungenschaften der glasflußtechnik ein neues dekorationsprinzip des glases entdeckt. Nicht durch schleifen oder malen, sondern durch das kunstreiche eintauchen in immer verschiedenfarbige glasmassen wird während des blasens aus einem stück – zum unterschiede von der arbeitsart der Venetianer, die während des blasens zusammenschweißen – eine gefäßform gebildet, die wohl das höchste vorstellt, das uns moderne kunst zu bieten imstande ist. Die Neuwelter sachen sind insbesondere in der farbengebung recht zahm. Aber immerhin, der anfang ist gemacht und hoffentlich gelingt es, auch künstler für die glashütte zu gewinnen.
Nicht so zuversichtlich kann man über die tonindustrie sprechen. Die porzellanmalerei hält noch an der geleckten tradition des vorigen jahrhunderts fest. In steingut und majolika gibt es formen. Formen! Man findet da unter anderm eine aschen- und zigarettenstummelschale, die aus dem konkaven schilde unseres kaiserhauses besteht. Gibts da kein heroldsamt, das sich einmischen könnte? Bei den glaswaren gibt es sicherlich viel minderware. Man geht aber stillschweigend daran vorüber. Aber in der keramischen abteilung lesen wir die selbstbewußte aufschrift: »Alle dessins und formen sind in allen ländern gesetzlich geschützt.« Du lieber gott! Sollte man nicht da eher alle länder vor diesen dessins und formen gesetzlich schützen? Solche gedanken müssen einem kommen, wenn sich das geschmacklose so vorzudrängen sucht.
Werke, wie sie die kopenhagener manufaktur, seit jüngster zeit Meissen, Rockwood bei Cincinatti, die Deutschen Läuger, Schmutz-Baudiss und Heider hervorbringen, wird man vergeblich suchen. Ein herrliches material, neu, ganz neu, ist vorhanden, eine österreichische erfindung – das eosin. Doch harrt es noch der künstlerhand, die ihm den stilgerechten dekor verschaffen soll. Mit den abgezeichneten Raguenetornamenten – abteilung orientalische kunst – oder imitation des marmorierten emailgeschirnes ist es nicht getan. Nur fein und zart bleiben, das Raguenetornament scheint mir dem eosin angemessener zu sein.
In der großen exposition der firma Ernst Wahliss bilden die musterteller zu den bisher gelieferten großen services wieder das entzücken jedes kunstfreundes. Hier hat diese firma eine höhe erklommen, die auf der welt einzig dasteht. Alle fürstenhäuser, die geburts- und geldaristokratie aus allen weltteilen, lassen sich hier ihr porzellanservice anfertigen. Der indische Rajah- und der amerikanische Krösusteller liegen hier nebeneinander. Wie ein symbol vom beginne der herrschaft einer kultur für die gesamtwelt, wie ein symbol vom gleichmäßigen englischen essen und vom gleichmachenden wiener geschmacke muten mich diese teller an. 3. juli 1898
»Neustadt! – aussteigen!« Es wird ausgestiegen. »Wir wollen aber nach Steffelsdorf.« – »Ja, dann müssen sie noch etwa zwei stunden mit der post fahren.« – »Wie, zwei stunden noch herumrumpeln, das ist ja schrecklich« ... Wir sind in Österreich.
»Kingston – aussteigen!« Auch hier wird ausgestiegen. Man will aber nach Longsdale. – »Ja, dann müssen sie noch zwei stunden mit der post fahren.« – »Was, noch mit der post, das ist ja herrlich« ... Wir sind in England.
Wir Österreicher werden uns aber denken: Das müssen doch recht wunderbare heilige sein, die am ende des neunzehnten jahrhunderts das hocken in der postkutsche dem fahren auf der bequemen eisenbahn vorziehen. Aber denken wir doch über uns selbst nach. Wir fahren ja auch im fiaker lieber als in der dampfbahn oder elektrischen bahn. Allerdings nur dort, wo wir gesehen werden. Denn ohne das gaffende publikum macht uns auch das schnellste zeugl keine freude. Seien wir ehrlich, gestehen wir das nur ruhig ein.
Dem Engländer aber macht schon das fahren an sich freude. Er hat noch herz und sinn für die poesie der landstraße. In der stadt besteigt er ein cab oder hansom nur im notfalle. Selbst die vornehmste lady setzt sich in den omnibus oder die trambahn und ist froh, im sommer einen platz auf der Imperiale zu erhalten. Bei uns drückt man sich verschämt in das innere des wagens hinein und ist kreuzunglücklich, wenn uns ein bekannter im omnibus erwischt hat. Geht's aber hinaus, dann setzt man sich in die bahn mit all den anderen zusammen.
Gehts in England hinaus, dann setzt man sich in den postwagen, in die mail coach. Nicht ins enge coupé, nicht in den landauer, sondern hoch auf das dach des wagens setzt man sich hin, männlein, weiblein, kinder, alles bunt durcheinander, spannt vier pferde vor, und der guard, der kondukteur, bläst auf einer langen trompete die lustigsten stücke. Und das sitzt nicht oben lässig und gelangweilt in die lehne zurückgebeugt, das sagt nicht zu dem fußgänger: Geh', sieh mich an!, sondern das lacht und freut sich und ist lustig und guter dinge. Eine große familie.
Dieses vergnügen kann sich in England jeder gönnen. Die starke nachfrage hat es verbilligt. Von jedem großen hotel geht zu einer bestimmten stunde der wagen ab. Man fährt hinaus, weit, weit hinaus, wo es keine zuschauer mehr gibt. Vom wiener standpunkte sicherlich ein zweckloses vergnügen. Wer aber reich ist und pferde hält, der besitzt selbst eine coach. Ein richtiger postwagen ist das allerdings nicht mehr, es ist eine privatpost und heißt dann drag. Die freunde werden häufig zu einer coachingparty eingeladen. Dann bläst einer der beiden grooms, und die bewohner der vorstädte reißen die fenster auf und summen die frischen postillonweisen mit.
Das entspricht so recht dem englischen volkscharakter, der tiefen liebe zur natur. Niemandem ist die maschine verhaßter als dem Engländer. Wo er sich von ihr emanzipieren kann, tut er es. Die maschine gehört ins geschäft, von seinem privatleben sucht er sie fernzuhalten. Er ist derjenige, der für die poesie des landlebens am empfänglichsten ist. Man muß in England gelebt haben, um den satz, den ich einmal in einer zeitungsnotiz fand, verstehen zu können: Noch heute fährt der englische adel gerne im postwagen und läßt die dienerschaft per bahn fahren.
Vielleicht bringen wir es auch einmal so weit. Viele leute glauben, es wäre ein unglück, wenn wir etwas nationales aufgeben und etwas englisches dafür eintauschen würden. Ich glaube nicht. Hat es uns doch nicht geschadet, daß wir die kindische furcht vor den bergen – im vorigen jahrhundert hielten wir nur das flache land für schön und das gebirge für häßlich – fallen ließen und von den Engländern die liebe zum hochgebirge übernommen haben. Aber die Engländer meinten es nicht nur platonisch. Sie blieben nicht unten im tale und starrten die gipfel an, sondern stiegen hinauf, trotz des kopfschüttelns der Deutschen, die über den »verrückten« Engländer ganz paff waren. Und heute? Sind wir denn nicht alle Engländer geworden?
Haben wir uns die poesie der berge erschlossen, so werden wir wohl auch in bälde die schönheit der landstraße genießen. Unser wagenbau ist bereit. Der steht schon seit langem auf englischer höhe. Unsere fabrikanten brauchen sich gar keine gewalt anzutun. Was sie schön finden, hält auch der englische wagenbauer für schön, so daß man zwischen einem englischen und einem wiener wagen keinen auffallenden unterschied entdecken kann. Der Engländer und der Wiener haben nur einen ehrgeiz: Vornehme wagen zu bauen. Und beide kommen zu denselben resultaten.
Was ein echter deutscher kunstgewerbler ist, wird sich über diese resultate recht ärgern. »Da sieht man wieder«, so kalkuliert der mann, »daß die Engländer keinen geschmack besitzen. Und die Wiener auch nicht.« Wehmütig gedenkt er der herrlichen karossen aus dem 17. und 18. jahrhundert, gedenkt ihrer gleißenden pracht, ihres reichen schmuckes, ihrer glänzenden vergoldung. Ja, wenn sich doch so ein fabrikant einmal an ihn wenden würde. Aber nein, diesen leuten und ihrer kundschaft gefällt sogar dieses geschmacklose zeug. So denkt der alte. Der junge aber, der den kopf voll papierner ornamente hat – das papier heißt » The Studio« – möchte am liebsten dem wagen einen »modernen« dekor geben und ornamente auf den unglücklichen wagen loslassen.
Der wagenbauer aber sagt zu ihnen: »Was habt ihr nur, der wagen ist ja ganz gut.« – »Aber er hat keine ornamente.« Und beide zeigen ihm ihre entwürfe. Da lacht der wagenbauer und sagt: »Na, da gefällt mir mein wagen schon besser.« – »Ja, warum denn?« – »Weil er kein ornament hat.«
Weil er kein ornament hat! Wie hoch steht der wagenbauer über dem kunstgewerbler, mag dieser nun architekt oder maler oder tapezierer sein. Erinnern wir uns doch ein wenig an einige kapitel kulturgeschichte. Je tiefer ein volk steht, desto verschwenderischer ist es mit seinem ornament, seinem schmuck. Der Indianer bedeckt jeden gegenstand, jedes boot, jedes ruder, jeden pfeil über und über mit ornamenten. Im schmucke einen vorzug erblicken zu wollen, heißt, auf dem Indianerstandpunkte stehen. Der Indianer in uns aber muß überwunden werden. Der Indianer sagt: Dieses weib ist schön, weil es goldene ringe in der nase und den ohren trägt. Der mensch auf der höhe der kultur sagt: Dieses weib ist schön, weil es keine ringe in der nase und den ohren trägt. Die schönheit nur in der form zu suchen und nicht vom ornament abhängig zu machen, ist das ziel, dem die ganze menschheit zustrebt.
Und wieder haben unser wagenbau-, sowie unsere leder-, galanterie- und taschnergewerbe, ihre höhe nur dem glücklichen umstande zu verdanken, daß keine diesbezügliche fachschule gegründet wurde. Denn auf allen den vielen fachschulen wird das gewerbe auf den Indianerstandpunkt herabgedrückt. Und doch hätte ein zweig des wagenbaues eine fachschule sehr nötig gehabt und noch immer sehr nötig. Der architekt hätte da nichts verderben können, weil man ihn gar nicht gebraucht hätte. Ich meine eine fachschule für den nutzwagenbau.
Der nutzwagenbau hat in anderen ländern eine höhe erreicht, die eine tiefe kluft mit unseren erzeugnissen herbeigeführt hat. Unsere unternehmer hatten es gott sei dank nicht nötig, sich darum zu kümmern. Wurden doch alle verbesserungen und veränderungen nur von dem einen wunsche diktiert: Die arbeitskräfte beim auf- und abladen zu verringern. Aber hier ist die menschliche arbeit noch so billig, daß man sich wegen solcher dinge keine sorgen zu machen braucht. Soll hier ein stein von vier kubikmetern aufgeladen werden, so sind mindestens zwanzig mann dabei beschäftigt. Beim abladen kann man die nämliche manipulation beobachten. Kostenpunkt: Nicht der rede wert. Anders in Amerika. Dort fährt der fuhrmann vor, macht eine kleine handbewegung, die ihn nicht im geringsten anstrengt und höchstens drei minuten dauert, und fährt davon. Und der stein? Ist schon darauf. Abgeladen wird ebenso. Das ganze geheimnis dieser prozedur besteht nur in der ingeniösen konstruktion des wagens. Der stein wird nicht auf dem wagen, sondern unter dem wagen, etwa 30 zentimeter über dem boden schwebend, transportiert. Der kutscher fährt vor, also über den aufzuladenden stein, lüftet denselben etwas, um ketten drunter zu stecken, und dreht dann an einer kurbel, die den stein hebt. Und so wird für alles, für kohle sowohl wie für das spiegelglas der großen auslagen, ein eigener wagen gebaut. Da könnte eine schule helfen uns den alten zopf abzuschneiden. Wir brauchen diese schule wie einen bissen brot, ergo – werden wir wohl noch recht lange warten können.
Das luxusfuhrwerk hat in den letzten jahren eine bemerkenswerte umwälzung erfahren. Auch hier droht Wien zurückzubleiben. Es handelt sich um die große verbreitung, welche die C-feder gewonnen hat. Der leser wird sich erinnern, daß die gewöhnlichen equipagen federn besitzen, die aus zwei kreissegmenten bestehen, die ein zweieck bilden. Man nennt sie druckfedern. Vornehmere wagen besitzen überdies noch federn, die wie ein C gekrümmt sind. Der kasten ist zwischen denselben, auf riemen hängend, angebracht. Diese art der wagen, der wagen auf acht federn oder wie der fachausdruck lautet, der wagen à huit ressorts, hat sich zum alleinigen beherrscher in allen weltstädten für alle fahrten in der stadt, bei welchen auf repräsentation gesehen wird, aufgeschwungen. Nur Wien bleibt zurück. Nicht als ob unsere wagenbauer dieser art nicht gewachsen wären. Aber die aufträge bleiben aus. Der grund für diese merkwürdige tatsache ist in dem umstande zu suchen, daß das obersthofmeisteramt diese wagentype noch nicht eingeführt hat. Unsere wagenindustrie erwartet es mit sehnsucht. Ist doch unser hof noch der einzige, der keine wagen à huit ressorts benützt. Hohe herren müssen in einem coupé fahren, das mit einem anderen anstrich und mit gewechselter garnierung (polsterung) sofort auf dem fiakerstandplatze erscheinen könnte.
In der Rotunde repräsentiert sich unser wagenbau prächtig. Unsere großen firmen, Armbruster, Lohner, Schustala (jetzt Nesselsdorfer Gesellschaft), ragen nicht nur durch die große anzahl der schauobjekte hervor. Minderwertiges sieht man überhaupt nicht, wohl die einzige industrie, von der man dieses wort gebrauchen könnte. Armbruster hat auch – der konservatismus zeugt für die vornehmheit dieser firma – zwei interessante wagentypen aus den fünfziger und sechziger jahren ausgestellt. Beide sind britschen. Auch ein drag ist ausgestellt, das bis auf einzelheiten auch ganz korrekt ist. Bei Lohner sehen wir eine mail coach. Interessant ist es, mit hilfe der regeln, die der londoner Coaching Club für diese beiden wagentypen aufgestellt hat, unsere wagen auf diese korrektheit zu prüfen. Dieser klub veranstaltet jährlich zwei meetings, von denen das erste am samstag vor dem Derby und das zweite kurz nach dem Ascot-Rennen auf dem Paradeplatze der Horse-Guards stattfindet. Für London ist das stets ein volksfest. Zugelassen werden nur solche drags und coaches, die eben diese regeln einhalten. Die folgenden abweichungen fallen natürlich nicht den fabrikanten, sondern den bestellern zur last, da doch kein fabrikant absichtlich einen unkorrekten wagen bauen wird.
Bei Armbruster's drag – der kasten ist schwarz und das gestell und die räder sind gelb, dunkelblau durchschnitten – fällt vor allem der unrichtige platz des wappens auf. Es gehört in das untere feld des wagenschlages und sollte bedeutend größer sein. Im innern fehlen die hutriemen, die taschen an den türen und die haken, an denen die laternen aufgehängt werden sollen. Denn bei tage müssen die laternen im innern des wagens untergebracht sein. Am hinteren sitze – man beobachte deren rückenlehnen und vergleiche sie mit der Lohner'schen coach – hat der reservevorlegebalken über den ortscheiten zu hängen. Das hervorragendste merkmal des drag bildet nämlich diese rücklehne. Der sitz ist nur für zwei grooms berechnet und hat daher keine rücklehne, zum unterschiede von der coach, die am rücksitze platz für zwei gäste und den guard gewähren muß. Die coach hat falsche scharniere für den hinteren koffer. Sie sollten an der rechten seite angebracht sein und nicht unten, wie beim drag, da die aufgeschlagene koffertür als tisch zu dienen hat. Richtig ist aber hier das riemennetz zwischen den mittleren sitzen, während es beim drag fehlen sollte. Die rücklehnen sollen nicht zum umklappen eingerichtet sein. Dem drag ist dies erlaubt. Wir sehen also, daß beide vehikel die grenzen, die ihnen der Coaching Club festgestellt hat, gegenseitig überschritten haben. In der farbe sind beide korrekt.
Lohner zeigt noch eine vorzügliche Victoria à huit ressorts und eine solche auf druckfedern. Die Nesselsdorfer Gesellschaft fällt insbesondere durch ein char-à-banc (jagdwagen) in lichtem holz und schweinsleder auf. Ein reizender effekt. J. Weigl exponiert einen amerikanischen kutschierwagen (buggy), wie man ihn in dieser vollendung auch in seinem stammlande vergeblich suchen würde. Überhaupt möchte ich vor den neuesten »errungenschaften« des amerikanischen wagenbaues warnen. Technisch sind sie wohl unerreichbar. In der form aber kann man häufig mißgriffe sehen. So fängt man jetzt drüben an, den wagen mit verunglückten akanthusblättern aufzuputzen. Indianerstandpunkt.
17. juli 1898
Man könnte sich unser säkulum ganz gut ohne tischler denken – wir würden dann eiserne möbel gebrauchen. Wir könnten ebenso gut den steinmetz streichen – der zementtechniker würde seine arbeiten übernehmen. Aber ohne den plumber gäbe es kein neunzehntes jahrhundert. Er hat ihm seinen stempel aufgedrückt, er ist uns unentbehrlich geworden. Und doch müssen wir ihn französisch benennen. Wir sagen zu ihm installateur.
Das ist falsch. Denn dieser mann ist der träger der germanischen kulturanschauung. Die Engländer waren die hüter und wahrer dieser kultur, und daher gebührt ihnen auch der vorrang, wenn wir für den mann uns anderwärts nach einer benennung umsehen müssen. Zudem stammt das wort aus dem lateinischen – plumbum, das blei, und ist daher sowohl für die Engländer als auch für uns kein fremdwort, sondern ein lehnwort.
Durch einundeinhalb jahrhunderte schon beziehen wir unsere kultur aus zweiter hand: Von den Franzosen. Wir haben uns nie gegen die führerschaft Frankreichs aufgelehnt. Jetzt, wo wir nun merken, daß wir von den Franzosen dupiert wurden, jetzt, wo wir einsehen, daß die Franzosen die ganze zeit über von den Engländern am gängelbande geführt wurden, machen wir gegen die englische, die germanische kultur front. Von den Franzosen geleitet zu werden, war uns sehr angenehm; der gedanke aber, daß eigentlich die Engländer die führer sind, macht uns nervös.
Und doch hat die germanische kultur ihren siegeszug über den ganzen erdball angetreten. Wer ihr entgegenkommt, wird groß und mächtig: Die Japaner. Wer sich ihr entgegenstemmt, bleibt zurück: Die Chinesen. Wir müssen die germanische kultur akzeptieren, und wenn wir Deutsche uns noch so sehr dagegen sträuben. Es hilft uns nichts, auch wenn wir zeter und mordio gegen die »englische krankheit« anstimmen. Unsere lebensbedingung, unsere existenz hängt davon ab.
Die Engländer lagen etwas abseits vom großen weltgetriebe. Und wie uns die Isländer das germanische mythos durch jahrtausende treu bewahrt haben, so brach an der englischen küste und an den schottischen bergen die romanische welle, die auch den letzten rest germanischer kultur aus den deutschen landen hinweggeschwemmt hatte. Die Deutschen wurden Romanen im fühlen und denken. Nun erhalten sie durch die Engländer ihre eigene kultur wieder zurück. Und wie der Deutsche immer in bekannter zähigkeit an dem einmal erworbenen festhält, so sträubt er sich jetzt auch gegen die englische kultur, weil sie ihm neu erscheint. Hatte es doch schon Lessing mühe gekostet, den Deutschen die größe germanischer denkungsart zu erschließen. Etappenweise mußte eine position gegen die verschiedenen Gottscheds genommen werden, und erst neulich tobte der kampf in der tischlerwerkstätte.
Unsere Gottscheds und mit ihnen alle nachahmer französischer kultur und lebensgewohnheit, stehen auf einem verlorenen posten. Vorbei ist die furcht vor den bergen, vorbei die scheu vor der gefahr, vorbei die angst vor dem straßenstaub, dem waldgeruch, der ermüdung. Vorbei ist die angst vor dem schmutzigwerden, die heilige scheu vor den wassern. Als die romanische weltanschauung noch regierte, zur zeit des großen Ludwig also, da hat man sich nicht schmutzig gemacht, aber man hat sich auch nicht gewaschen. Gewaschen hat sich nur das gemeine volk. Die vornehmen wurden emailliert. »Das muß ein schönes schwein sein, das sich jeden tag waschen muß«, sagte man wohl damals ... In Deutschland spricht man wohl noch heute so. Las ich doch erst diese antwort neulich in den »Fliegenden«, die dort von einem vater gebraucht wird, als ihm sein kleiner bub die verordnung des lehrers mitteilt, sich täglich waschen zu müssen.
Die angst vor dem schmutzigwerden kennt der Engländer nicht. Er geht in den stall, streichelt sein pferd, setzt sich darauf und fliegt über die weite heide. Der Engländer macht alles selbst, er jagt, steigt auf die berge und sägt bäume. Das zusehen macht ihm keine freude. Auf der englischen insel hat die germanische ritterlichkeit ein asyl gefunden und hat sich nun von neuem die welt erobert. Zwischen Maximilian dem letzten ritter und unserer epoche liegt die lange zeit der romanischen fremdherrschaft. Karl VI. auf der Martinswand! Ein unmöglicher gedanke! Die allongeperücke und die alpenluft! Da hätte wohl der kaiser die spitzen der berge nicht als einfacher jäger besteigen dürfen. Er hätte höchstens, wenn er den für die damalige zeit seltsamen wunsch geäußert hätte, in der sänfte hinaufgetragen werden müssen.
In dieser zeit hatten die plumber nichts zu tun und auf diese weise sind sie auch um ihren namen gekommen. Wohl gab es wasserleitungsanlagen, wasser für springbrunnen, wasser zum anschauen. Aber für bäder, für douchen, für water-closets wurde nicht gesorgt. Beim waschen ging man mit dem wasser sehr sparsam um. In den deutschen dörfern mit romanischer kultur kann man noch heute waschbecken erhalten, mit welchen wir schon zu Engländern gewordene städter mit dem besten willen nichts anzufangen wissen. Das war nicht immer so. Deutschland war im mittelalter durch seinen wasserverbrauch berühmt. Die großen öffentlichen badestuben (nur der bader, der friseur, ist uns davon noch übrig geblieben) waren täglich überfüllt, und jedermann nahm täglich wenigstens ein bad. Und während in den späteren königsschlössern überhaupt keine bäder zu finden sind, war das badezimmer im deutschen bürgerheim der glänzendste und prächtigste raum des hauses. Wer kennt nicht das berühmte badezimmer im Fuggerhause in Augsburg, dieses juwel deutscher Renaissancekunst! Und sport und spiel und das edle waidwerk, das alles wurde, als die germanische weltanschauung maßgebend war, nicht nur von den Deutschen gepflegt.
Wir sind zurückgeblieben. Als ich vor einiger zeit eine amerikanische dame fragte, welches ihr der bemerkenswerteste unterschied zwischen Österreich und Amerika dünkte, antwortete sie mir: The plumbing! – Die installationsarbeiten, heizung, beleuchtung und die wasserleitungsanlagen. Unsere hähne, ausgüsse, water-closets, waschtische usw. sind noch weit, weit hinter den englischen und amerikanischen einrichtungen zurück. Daß wir, wenn wir uns die hände waschen wollen, erst auf den korridor gehen müssen, um das wasser im kruge zu holen, daß es toiletten ohne waschgelegenheit gibt, das erscheint dem Amerikaner als das auffallendste. In dieser beziehung verhält sich Amerika zu Österreich, wie Österreich zu China. Man wird einwenden, daß es solche einrichtungen auch schon bei uns gibt. Gewiß, aber nicht überall. Auch in China gibt es englische waschgelegenheiten, für die reichen sowohl als für die fremden. Aber das gros des volkes kennt sie nicht.
Eine wohnung ohne badezimmer! In Amerika eine unmöglichkeit. Der gedanke, daß es am ende des 19. jahrhunderts ein land von millionen gibt, dessen einwohner nicht alle täglich baden können, wäre für Amerika eine ungeheuerlichkeit. Daher kann man auch in den niedersten vierteln New-Yorks um 10 cents im massenquartier reinlicher und angenehmer schlafen als in unserem dorfgasthause. Daher gibt es in Amerika nur einen einzigen wartesaal für alle klassen, in dem auch bei dem größten andrange nicht der geringste geruch zu verspüren ist.
In den dreißiger jahren machte einer vom jungen Deutschland – es war Laube in den »Kriegern« – einen großen ausspruch: Deutschland gehört ins bad. Bedenken wir doch recht: Eigentlich brauchen wir gar keine kunst. Wir haben ja noch nicht einmal eine kultur. Hier könnte der staat rettend eingreifen. Statt das pferd beim schwanz aufzuzäunen, statt das geld auf die erzeugung der kunst zu verwenden, versuche man es mit der erzeugung einer kultur. Neben akademien baue man auch badeanstalten und nebst professoren stelle man auch bademeister an. Eine höhere kultur hat schon eine höhere kunst zur folge, die dann, wenn sie sich offenbaren will, mit oder ohne hilfe des staates zutage tritt.
Aber der Deutsche – ich denke nur an die große allgemeinheit – verbraucht zu wenig wasser für den körper und für das haus. Er tut es nur, wenn er muß, wenn ihm gesagt wird, daß es seiner gesundheit zuträglich ist. Ein schlauer bauer in Schlesien und ein schlauer geistlicher herr in den bayrischen bergen haben das wasser als heilmittel verordnet. Das half. Leute von der ausgemachtesten wasserscheu pritschelten jetzt im wasser. Und gesund werden die leute auch. Das ist ganz natürlich. Wer kennt nicht die geschichte von dem Eskimo, der einem reisenden gegenüber über ein altes brustleiden klagte. Der reisende klebte ihm ein heftpflaster auf die brust und verhieß dem ungläubigen patienten heilung bis zum nächsten tage. Das pflaster wurde abgenommen, die schmerzen waren gewichen und damit eine dicke schmutzschichte, die an dem pflaster hängen geblieben war. Eine wunderkur!
Traurig ist, daß viele menschen nur mit hilfe solcher mittel zum waschen und baden zu bewegen sind. Wäre das bedürfnis allgemein vorhanden, der staat müßte ihm rechnung tragen. Und wenn nicht jedes schlafzimmer seinen eigenen baderaum hätte, so müßte der staat riesenbäder bauen, gegen welche sich die thermen des Caracalla wie eine badestube ausnehmen würden. Der staat hat ja ein interesse daran, das reinlichkeitsbedürfnis im volke zu heben. Denn nur jenes volk kann wirtschaftlich mit den Engländern gleichen schritt halten, das diesen im wasserverbrauche nahe kommt; nur jenes volk ist berufen die weltherrschaft von den Engländern zu übernehmen, das diese im wasserverbrauche übertreffen wird.
Der plumber aber ist der pionier der reinlichkeit. Er ist der erste handwerker im staate, der quartiermacher der kultur, der heute maßgebenden kultur. Jedes englische waschbecken mit dem wassereinlauf und abguß ist ein merkmal englischen fortschrittes. Jeder englische herd mit seinen einrichtungen für das braten und rösten des fleisches am offenen feuer ist ein neuer sieg des germanischen geistes. Auch auf der wiener speisekarte macht sich eine solche umwälzung bemerkbar. Der verbrauch des roastbeefs, der am rost gebratenen steaks und cutlets wird immer größer, während der verbrauch des wiener schnitzels und backhendels, dieser italienischen gerichte, und der geschmorten, gekochten und gedünsteten französischen speisen immer mehr zurückgeht.
Am schwächsten sind wohl unsere badeeinrichtungen. Statt die wanne mit weißen kacheln auszukleiden, nimmt man hierzulande lieber färbige, damit, wie mir ein fabrikant – er hat nicht ausgestellt – naiv versicherte, der schmutz weniger gesehen werde. Die blechwannen werden, statt mit weißer farbe, der einzigen, die dafür taugt, auch dunkel emailliert. Schließlich gibt es blechbadewannen, die den schein erwecken wollen, daß sie aus marmor bestehen. Es gibt leute, die das glauben, denn auch diese marmorierten finden ihre käufer. Auch für jene braven Leute, die noch auf dem Indianerstandpunkte stehen – bekanntlich ornamentiert der Indianer alles, was ihm erreichbar ist – wurde bestens vorgesorgt. Man findet Rokokoventile und Rokokohähne und auch einen Rokokowaschtisch. Ein wahres glück ist es, daß einige firmen sich auch der Nichtindianer angenommen haben. So sehen wir bei M. Steiner vorzügliche, ganz glatte und daher elegante amerikanische kopfdouchen – eine neue erfindung – und bei H. Esders tüchtige und korrekte einrichtungen sowohl in form wie in farbe. Vom rein technischen standpunkte wäre noch erwähnenswert, daß die kurbelventile in der plumberei jetzt, im zeitalter der radventile, gar keine berechtigung mehr haben. Das ist ein alter zopf, der abgeschnitten zu werden verdient. Das kurbelventil ist nicht billiger, nützt sich jedoch früher ab und hat viele andere unzukömmlichkeiten zur folge. Wenn aber unsere plumber nicht wollen, so möge das publikum in seinem eigenen interesse nachhelfen und auf die anbringung von radventilen dringen.
Die hebung des wasserverbrauches ist eine der dringendsten kulturaufgaben. Mögen dabei unsere wiener plumber ihre pflicht voll und ganz erfüllen, um uns dem großen ziele näher zu bringen, mit den übrigen kulturvölkern des Abendlandes auf derselben kulturhöhe zu stehen. Denn sonst könnte uns etwas sehr unangenehmes, etwas sehr beschämendes passieren. Sonst könnten – wenn nämlich beide völker in dem bisherigen tempo vorgehen – die Japaner die germanische kultur früher erreichen, als die Österreicher.
24. juli 1898
Wie wird die mode gemacht? Wer macht die mode? Das sind gewiß sehr schwierige probleme.
Dem Wiener Hutmodeverein war es vorbehalten, diese frage wenigstens auf dem gebiete der kopfbedeckung, spielend zu lösen. Er setzt sich nämlich zweimal des jahres um den grünen tisch und diktiert nun dem ganzen erdball jene hutform, die in der folgenden saison getragen werden soll. Für den ganzen erdball, daran muß festgehalten werden. Es soll ja keine wiener nationaltracht geschaffen werden, eine, deren sich unsere wasserer, fiaker, strizzis, gigerl und andere wiener lokaltypen bedienen. O nein, für die strengen sich die mitglieder des Hutmodevereins nicht die köpfe an. Für den gentleman allein wird die hutmode bestimmt, und da die kleidung eines solchen mit den verschiedenen volkstrachten, außer bei der ausübung eines sportes, der an die scholle gebunden ist, bekanntlich nichts gemein hat, da sich der gentleman auf der ganzen welt gleich trägt, so gibt also der Wiener Hutmodeverein den ton für alle kopfbedeckungen abendländischer kultur an.
Wer hätte sich die lösung dieser frage so einfach gedacht! Mit ehrfurcht betrachte ich nun den ehrsamen hutmachermeister, der sich mit seiner stimme für die nochmalige erhöhung des seidenhutes eingesetzt und auf diese weise mit der majorität von einer stimme diese maßregel durchgeführt hat. Er allein hat alle pflastertreter von Paris bis Yokohama gezwungen, sich nächstes jahr einen noch höheren seidenhut aufzusetzen, wenn sie überhaupt zur guten gesellschaft gerechnet werden wollen. Aber was wissen die pflastertreter von Paris bis Yokohama! Was wissen die von dem braven meister im XI. bezirk! Die faseln vielleicht von der tyrannei der mode, im günstigsten falle von der mode, der launischen göttin! Wenn die es ahnen würden! Der brave meister im XI. bezirk ist der tyrann, der gott!
Nicht auszudenken wären die folgen, wenn dieser mann am erscheinen bei der hutmodewahl verhindert worden wäre: Sei es durch einen schnupfen, sei es, weil die gestrenge ehehälfte ihm den abend nicht freigegeben, sei es, daß er es ganz vergessen hätte. Dann müßte die ganze welt einen niedrigeren zylinder tragen. Aber es steht zu hoffen, daß die mitglieder des Hutmodevereines angesichts ihrer kolossalen verantwortung der welt gegenüber sich durch nichts abhalten lassen werden, ihr votum zweimal des jahres abzugeben.
Ich glaube von meinen lesern die frage zu vernehmen: Ja, lassen sich denn die pariser, londoner, newyorker und bombayer hutmacher die hutmode von den wiener meistern bestimmen? Kleinlaut muß ich antworten: Leider nicht. Diese schlechten menschen, das perfide Albion natürlich an der spitze, kümmern sich nicht einmal um diese wahlergebnisse. Ja, dann sind eigentlich diese wahlen vollständig ohne zweck? Eigentlich – ja. Diese wahlen sind eine harmlose spielerei, genau so harmlos, als wenn es die bukarester oder chicagoer hutmacher tun würden. Die hutform des vornehmen mannes, der mit seinem hute überall, auf der ganzen welt, für vornehm gehalten werden will, wird dadurch nicht tangiert.
Doch halt, gar so harmlos ist diese spielerei doch nicht. Es gibt nämlich mehr vornehme leute, als es unsere hutmacher gemeiniglich annehmen. Und da diese keine hüte tragen wollen, deren vornehmheit mit dem aufhören der schwarz-gelben grenzpfähle zu ende ist, unsere hutmacher aber auf beschluß des Hutmachervereines solche erzeugen, so sind sie gezwungen, sich englische hüte anzuschaffen. Und wir sehen, wie der verbrauch der englischen hüte in Österreich, trotzdem sie bei gleicher qualität um 100 perzent teurer sind, in demselben maße von jahr zu jahr zunimmt, als sich die type des Hutmodevereines von der in der guten gesellschaft herrschenden entfernt. Das stimmt um so trauriger, wenn man bedenkt, daß wir dank unseres ausgezeichneten filzes und der billigen preise die konkurrenz mit der ganzen welt aufnehmen könnten. Die einführung des wiener hutes im auslande scheitert stets an der unkorrekten form und ausführung.
Unsere ersten firmen haben bei ihrer kundschaft, also in den vornehmen kreisen, mit den typen des Hutmodevereines die schlechtesten erfahrungen gemacht und haben die gefolgschaft bei diesem verein bald aufgegeben. Bei Pleß oder Habig wird man diese formen auch vergeblich suchen. Auch im export machte sich die emanzipation bald bemerkbar. Habighüte trifft man nun auf dem ganzen erdball, in New-York sowohl als in Rio de Janeiro. Ich sehe aber nicht ein, warum der hofhutmacher, der dank seiner ausländischen verbindungen und dank seines vornehmen kundenkreises sich die korrekte type verschaffen kann, andere hüte führen soll, als der meister in der provinz.
Der Hutmodeverein brauchte nur, statt einen hut als modern auszugeben, welcher der phantasie eines seiner mitglieder entsprungen ist, jene form zu publizieren, die in der ganzen welt, und zwar in den vornehmsten kreisen als modern gilt. Das hätte zur folge, daß der export sich heben und der import zurückgehen würde. Schließlich wäre es auch kein unglück, wenn jedermann, bis in die kleinste provinzstadt einen genau so vornehmen hut tragen würde, wie der wiener aristokrat. Die zeit der kleiderordnungen ist ja vorüber. So aber bedeuten manche beschlüsse dieses vereines eine direkte schädigung unserer hutindustrie. Der zylinder wird gegenwärtig etwas niedriger als in der letzten saison getragen. Der verein aber beschloß für den zylinder des kommenden winters eine abermalige erhöhung. Und die folge davon? Die englischen hutmacher bereiten sich schon jetzt auf einen außergewöhnlichen massenimport von seidenhüten für den österreichischen markt vor, da der moderne zylinder im nächsten winter nicht bei jedem wiener hutmacher zu haben sein wird.
Auch nach anderer richtung könnte sich die tätigkeit des vereines segensreich gestalten. Unser österreichischer nationalhut, der lodenhut, beginnt die reise um den erdkreis anzutreten. In England ist er schon. Der Prinz von Wales hat ihn bei seinen jagdausflügen in Österreich kennen und schätzen gelernt und ihn in seine heimat mitgenommen. Hier hat er sich nun die englische gesellschaft, herren sowohl als damen, erobert. Fürwahr ein heikler zeitpunkt, zumal für die lodenhutindustrie. Es fragt sich nämlich, wer der englischen gesellschaft die lodenhüte machen soll. Gewiß die Österreicher, und zwar so lange, als die Österreicher jene formen erzeugen, welche die englische gesellschaft will. Dazu gehört aber eine unendliche feinfühligkeit, eine genaue kenntnis der gesellschaft, sensibilität für vornehmheit und eine feine witterung für das kommende. Durch den brutalen majoritätsbeschluß am grünen tische kann man diesen kreisen keine formen aufoktroyieren. Das weiß wohl der große fabrikant, ich glaube aber, daß auch der kleine meister an dem günstigen zeitpunkte, der für sein erzeugnis eingetreten ist, partizipieren soll. Für ihn sollte daher der Hutmodeverein, wenn er sich dieser schwierigen frage gewachsen fühlt, die sache in die hand nehmen. Vielleicht weiß das aber auch der große fabrikant nicht. Dann werden die Engländer die lachenden erben sein, welchen der große schatz zufallen wird, den der kleine hutmacher im alpenland durch ein jahrtausend sorgfältig gehütet hat.
Die Engländer sind nämlich ganz andere geschäftsleute als die Österreicher. Für jeden markt werden andere hüte gearbeitet. Wir dürfen uns keiner täuschung hingeben; auch der englische hut, den wir auf dem wiener platz erhalten, ist ein kompromiß zwischen dem modernen hut und dem hut des Hutmodevereines. Auch für die wilden völker werden jene gegenstände erzeugt, die eben dort den meisten anklang finden. Die Engländer behandeln uns wie die wilden. Und sie tun recht daran. Auf diese weise verkaufen sie sehr viele hüte an uns, während sie mit dem hut, der in der besten gesellschaft getragen wird, also mit dem modernen hute, recht schlechte geschäfte machen würden. Sie verkaufen dem Wiener nicht jenen hut, der modern ist, sondern jenen, der dem Wiener modern gilt. Und das ist wohl ein großer unterschied.
Den korrekten verkaufen sie nur in London. Als meine londoner hüte zu ende gingen, ging ich hier auf die suche nach dem correct shape. Da fand ich denn, daß die hier verkauften englischen hüte mit jenen in London nicht übereinstimmen. Ich gab einem hutmacher den auftrag, mir aus England jenen hut zu verschaffen, dessen fasson auch von den mitgliedern der königlichen familie getragen würde. Die garantie des londoner hauses machte ich zur bedingung. Kostenpunkt nebensache. Da kam ich aber schön an. Nach monatelangen ausflüchten, nachdem schon eine erkleckliche summe vertelegrafiert wurde, brach die englische firma die unterhandlungen für immer ab. Dem Hutmodeverein aber wäre es ein leichtes, sich diese formen zu verschaffen. Auf schnelligkeit käme es da gar nicht an. Wir könnten sehr zufrieden sein, gegenwärtig jenen hut zu bekommen, den die englische gesellschaft vor drei jahren getragen hat. Das wäre für uns noch ein so hypermoderner hut, daß er in Wien noch niemandem auffallen würde. Und das kann man von einem modernen hut verlangen. Die mode schreitet langsam, langsamer als man gewöhnlich annimmt. Gegenstände, die wirklich modern sind, bleiben es auch lange. Hört man aber von einem kleidungsstück, das schon in der nächsten saison unmodern wurde, das heißt mit anderen worten unangenehm auffiel, dann kann man auch behaupten, daß es nie modern war, sondern sich fälschlich als modern ausgab.
Betrachtet man die ausstellung unserer hutmacher in der Rotunde, so tut einem das herz weh, wenn man bedenkt, daß eine so tüchtige industrie nicht mehr am export beteiligt ist. Geschmacklosigkeiten trifft man gar nicht – das bildnis unseres kaisers im hutfutter ausgenommen – und selbst die kleinsten meister sind imstande, hüte von so vorzüglicher qualität herzustellen, wie die ersten häuser. Wie hoch muß diese industrie stehen, wenn man bedenkt, daß man dies von anderen bekleidungsbranchen leider nicht behaupten kann. Ein jeder wollte nur durch seine innere tüchtigkeit wirken, und die bekannten ausstellungsmätzchen, durch abenteuerliche formen die aufmerksamkeit der beschauer auf sich zu lenken, wurden durchwegs verschmäht. Dadurch ist dieser ganze teil der ausstellung auf einen feinen, vornehmen ton gestimmt. Die Hutmacher-Genossenschaft vereinigt in einer vitrine zwölf aussteller – große und kleine meister, alle der qualität nach vorzüglich. Unsere firmen – Habig, Berger, Ita und Skrivan – zeichnen sich auch durch die reichhaltigkeit ihrer expositionen aus. Über die korrektheit der form ein urteil abzugeben, kann ich mir leider nicht mehr erlauben – ich bin schon seit zwei jahren in Wien. Was aber die elegante ausstattung anbelangt, möchte ich den hüten von Ita den preis zuerteilen.
Unserem Hutmodeverein aber wäre zu wünschen, daß er den anschluß an die übrigen kulturvölker suchte und fände. Die schaffung einer österreichischen nationalmode ist ein phantom und aus dem starren festhalten an ihm würde unserer industrie unberechenbarer schaden erwachsen. China beginnt seine mauer niederzureißen, und es tut gut daran. Dulden wir es nicht, daß leute aus falschem lokalpatriotismus um uns eine chinesische mauer errichten.
7. august 1898
» Tempora mutantur, nos et mutamur in illis!« Die zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen. Und so tun es auch unsere füße. Bald werden sie klein, bald groß, bald spitz, bald breit. Und der schuster macht nun bald große, bald kleine, bald spitze, bald breite schuhe.
Das geht allerdings nicht so einfach. Von saison zu saison wechseln unsere fußformen nicht. Dazu braucht es jahrhunderte oder zum mindesten eines menschenalters. Denn im handumdrehen kann man aus einem großen fuß keinen kleinen machen. Da haben es die anderen bekleidungskünstler doch besser. Starke taille, schwache taille – hohe schultern, tiefe schultern, und so vieles andere kann man durch einen neuen schnitt, durch watte und andere hilfsmittel bald abändern. Aber der schuster muß sich streng an die jeweilige fußform halten. Will er kleine schuhe einführen, so muß er geduldig warten, bis das großfüßige geschlecht abgestorben ist.
Aber nicht alle menschen haben zur selben zeit die gleiche form der füße. Leute, die ihre füße mehr gebrauchen, werden größere, leute, die sie selten gebrauchen, werden kleinere füße bekommen. Wie soll sich da der schuster helfen? Wessen fußform soll für ihn maßgebend sein? Denn auch er wird bestrebt sein müssen, moderne schuhe zu arbeiten. Auch er will vorwärts kommen, auch er ist von dem bestreben erfüllt, seinen erzeugnissen eine möglichst große kaufkraft zu verleihen.
Er macht es daher, wie es alle übrigen gewerbe tun. Er hält sich an die fußform derjenigen, die zeitweilig die soziale herrschaft inne haben. Im Mittelalter herrschten die ritter, die reiter, leute, die durch das häufige sitzen auf dem pferde kleinere füße als das fußvolk besaßen. Daher war der kleine fuß modern, und durch eine verlängerung (schnabelschuhe) wurde der eindruck der schmalheit, auf den es vorzugsweise ankam, noch verstärkt. Als aber das rittertum in verfall geriet, als der zu fuß gehende bürger in den städten zum höchsten ansehen anlangte, da kam der große, breite fuß des langsam einherschreitenden patriziers in die mode. Im 17. und 18. Jahrhundert hat das stark ausgeprägte höfische leben das zufußgehen wieder in verfall gebracht, und durch den starken gebrauch der sänfte kam der kleine fuß (der kleine schuh) mit hohem absatz (hacken) zur herrschaft, der wohl für park und schloß, nicht aber für die straße taugte.
Das wiederaufleben der germanischen kultur brachte wieder das reiten zu ehren. Alles, was im vorigen jahrhundert modern fühlte und dachte, trug den englischen reitschuh, den stiefel, auch wenn man kein pferd besaß. Der reitstiefel war das symbol des freien menschen, der nun endlich die schnallenschuhwirtschaft, die hofluft, das gleißende parkett überwunden hatte. Wohl blieb der fuß klein, doch der hohe hacken, den der reiter nicht brauchen kann, blieb weg. Das ganze darauffolgende jahrhundert, also das unserige, war daher von dem bestreben erfüllt, einen möglichst kleinen fuß zu besitzen.
Aber schon im laufe dieses jahrhunderts begann der menschliche fuß eine wandlung durchzumachen. Unsere sozialen verhältnisse haben es mit sich gebracht, daß wir auch von jahr zu jahr schneller gehen. Zeit ersparen, heißt geld ersparen. Auch die vornehmsten kreise, also leute, die genügend zeit hatten, wurden mitgerissen und beschleunigten ihr tempo. Ist doch heutzutage einem rüstigen fußgänger eine gangart selbstverständlich, die im vorigen jahrhundert die läufer vor den wagen gebrauchten. So langsam zu schreiten, als sich die leute in früheren zeiten fortbewegten, wäre uns heute unmöglich. Dazu sind wir zu nervös. Noch im 18. jahrhundert marschierten die soldaten in einem tempo, das uns wie ein abwechselndes stehen auf einem fuß erscheinen und uns sehr ermüden würde. Die zunahme der gehschnelligkeit wird wohl am besten von der tatsache illustriert, daß das heer Friedrichs des Großen in der minute 70 schritte machte, ein modernes heer aber 120 schritte macht. (Unser exerzierreglement schreibt 115 bis 117 schritte in der minute vor. Dieses tempo kann aber gegenwärtig nur mit mühe eingehalten werden, da die soldaten von selbst zu größerer schnelligkeit drängen. Diesem zuge der zeit wird auch eine neuauflage des reglements – sicherlich nicht zum schaden der schlagfertigkeit der armee – rechnung tragen müssen.) Man kann demnach ausrechnen, wieviel schritte unsere Soldaten und somit alle menschen, die schnell vorwärts kommen wollen, in hundert jahren in der minute marschieren werden.
Völker mit höher entwickelter kultur gehen rascher als solche, die noch zurückgeblieben sind, die Amerikaner schneller als die Italiener. Kommt man nach New-York, so hat man immer das gefühl, als ob es irgendwo ein unglück gegeben hätte. Auch der Wiener aus dem vorigen jahrhundert würde heute in der Kärntnerstraße den eindruck erhalten, daß etwas passiert sei.
Also wir gehen schneller. Das heißt mit anderen worten, daß wir uns mit der großen zehe immer stärker vom erdboden abstoßen. Und tatsächlich wird unsere große zehe immer kräftiger und stärker. Das langsame dahinwandeln hat eine verbreiterung des fußes zur folge, während das rasche gehen durch die stärkere entwicklung der hauptzehe zu einer verlängerung des fußes führt. Und da die übrigen zehen, insbesondere die kleine, mit dieser entwicklung nicht gleichen schritt halten, da diese durch den geringen gebrauch geradezu verkümmern, so hat dies auch eine verschmälerung des fußes zur folge.
Der fußgänger hat den reiter abgelöst. Der fußgänger ist nur eine verstärkung des germanischen kulturprinzips. Durch eigene kraft vorwärts kommen heißt die parole für das nächste jahrhundert. Das pferd war der übergang vom sänftenträger zum eigenen ich. Unser jahrhundert aber erzählt die geschichte von reiters glück und ende. Es war das richtige pferdejahrhundert. Der stallgeruch war unser vornehmstes parfüm, die pferderennen unsere volkstümlichsten nationalspiele. Der reiter war der verzogene liebling des volksliedes. Reiters Tod, Reiters Liebchen, Reiters Abschied. Der fußgänger war null. Die ganze welt ging wie ein reiter angezogen. Und wollten wir uns schon ganz schön anziehen, so nahmen wir den reitrock, den frack. Jeder student hatte seinen gaul, die straßen waren von reitern belebt.
Wie ist das anders geworden! Der reiter ist der mann der ebene, des flachen landes. Es war der freie englische landedelmann, der pferde züchtete und von zeit zu zeit beim meet erschien, um hinter dem fuchs über die fencen zu springen. Und nun wurde er von dem manne abgelöst, der in den bergen haust, dessen freude darin besteht, höhen zu ersteigen, sein leben dafür einzusetzen, durch eigene kraft sich über die menschlichen heimstätten zu erheben, dem hochländer, dem Schotten.
Der reiter trägt stiefel, lange hosen, die über die knie reichen und dort einen recht engen schluß haben sollen ( riding breeches). Die kann der fußgänger, der hochgebirgler nicht brauchen. Er trägt – ob er nun in Schottland oder in den Alpen lebt – schnürschuhe, strümpfe, die nicht über das knie reichen dürfen, und ganz freie knie. Der Schotte trägt dann den bekannten rock, der älpler die lederhose – im prinzipe ist es dasselbe. Auch die stoffe sind verschieden. Der mann der ebene trägt glatte tuche, der mann des gebirges rauhe gewebe. ( Home spuns und loden.)
Das besteigen der berge wurde dem menschen zum bedürfnisse. Dieselben menschen, die noch vor 100 jahren einen so gewaltigen horror vor dem hochgebirge hatten, fliehen aus der ebene in die berge. Bergsteigen, durch eigene kraft, den eigenen leib immer höher hinaufzuschieben, gilt uns gegenwärtig als die edelste leidenschaft.
Sollten von jener edlen leidenschaft – man erinnere sich, daß auch im vorigen jahrhundert das reiten als noble passion bezeichnet wurde – sollten also von jener edlen leidenschaft alle jene ausgeschlossen werden, die nicht im hochlande leben? Man suchte nach einem mittel, es auch diesen zu ermöglichen, man suchte nach einer vorrichtung, jene bewegung auch in der ebene auszuführen: Das bicycle wurde erfunden.
Der bicyclist ist der bergsteiger der ebene. Er kleidet sich daher wie dieser. Hohe stiefel und lange hosen kann er nicht brauchen. Er trägt hosen, die um die knie weit sind, unter ihnen als stulpen schließen, damit sich die umgelegten strümpfe um dieselben herumlegen können (umgelegt werden sie sowohl in den Alpen als in Schottland, um nicht hinabzurutschen). Auf diese weise hat das knie unter der hose genügend spielraum, um ohne hindernis aus der gestreckten beinstellung in die kniebeuge überzugehen. Nebenbei sei hier erwähnt, daß es in Wien leute gibt, welche die bedeutung der stulpen gar nicht kennen und die strümpfe unter die stulpen stecken. Sie machen einen ähnlich komischen eindruck, wie die unterschiedlichen stritzows, die im sommer die Alpen unsicher machen. Als fußbekleidung trägt der radfahrer aber wie der hochgebirgler schnürschuhe.
Die schnürschuhe werden das nächste jahrhundert beherrschen, wie die reitstiefel dieses jahrhundert. Die Engländer haben den übergang direkt gefunden und tragen noch heute beide formen. Wir aber haben uns für die übergangszeit einen scheußlichen zwitter zurechtgelegt, die stieflette. Die ganze unangenehme erscheinung der stiefletten wurde uns sofort offenbar, als die kurze hose kam. Da sah man sofort: Ohne die wohltätige verdeckung durch die hose kann man stiefletten nicht tragen. Unsere offiziere trugen strupfen, um sie zu verdecken, und waren mit recht unglücklich, wenn die uniformierungsvorschrift strenger gehandhabt wurde, welche die strupfen bei den fußtruppen verbietet. Für uns aber sind die stiefletten tot, so tot, wie der frack bei tageslicht, dessen komischen eindruck wir erst erhalten, wenn wir ihn auf der straße spazieren führen. Bei der größten hitze müssen wir einen überzieher darüber ziehen oder uns in den wagen setzen. Und komisch wirken: – daran ist bisher jedes kleidungsstück zugrunde gegangen.
Durch den pedestrischen sport ist der fuß unserer vornehmen kreise nicht mehr so klein wie ehemals. Er wird zunehmend größer. Die großen füße der Engländer und Engländerinnen fordern nicht mehr unsere spottsucht heraus wie ehemals. Auch wir steigen auf die berge, haben bicycle und haben – horribile dictu – englische füße bekommen. Doch trösten wir uns. Die schönheit des kleinen fußes, insbesondere beim manne, beginnt langsam zu verblassen. Aus Amerika kam mir neulich eine beschreibung Rigo's zu. Einer seiner bekannten tut das in folgender weise: »Ich habe den Zigeuner gekannt.« Nun folgt eine beschreibung, in der es dann heißt: »Unter den hosen guckten ein paar ekelhaft kleine füße hervor.« Ekelhaft kleine füße! Das wirkt überzeugend. Aus Amerika kommt die neue lehre: Ekelhaft kleine füße! Heiliger Clauren, wenn du das noch erlebt hättest! Du, dessen helden nie genug kleine füßchen erhalten konnten, um in edler männlichkeit in den träumen hunderttausend deutscher Jungfrauen zu erscheinen. Tempora mutantur ...
Auch die knöpfelschuhe seien hier erwähnt, die man nur als lackschuhe gelten lassen kann. Es sind schuhe zum nichtstun. Dort, wo glatte lackschuhe, bei galauniformen, getragen werden müssen, trägt man in England und in den hiesigen aristokratischen regimentern lackstiefel mit (unter der hose) wichslederschäften. Als tanzschuhe haben aber nur tanzlackschuhe berechtigung ( pumps).
Über die wiener schuhmacher und die wiener fußgänger das nächstemal.
14. august 1898
Als an dieser stelle eine entgegnung auf den artikel, der die tätigkeit des Hutmodevereins besprach, veröffentlicht wurde, konnte man sich die tragweite dieser maßnahme doch nicht recht vorstellen. Die folgen sind nun da. Die interessenten sind von einer dementierwut befallen. Jedermann, der anderer meinung ist, findet es jetzt selbstverständlich, daß seine ansichten auch zum abdrucke gelangen. Es wird in aller form dementiert. So »erlaubt sich ein Hr. S. – seit zwanzig jahren in der schuhmacherbranche tätig! – wie er hinter seiner unterschrift samt dem ausrufungszeichen versichert – um aufnahme der nachstehenden berichtigenden zeilen zu ersuchen.« Und nun folgt eine reihe mit »unrichtig ist, daß ...« beginnenden abschnitten.
Vielleicht sind die leser neugierig, was wohl Hr. S. berichtigt. Greifen wir einige punkte auf gut glück heraus. Unrichtig ist, so versichert Hr. S. wörtlich, der vergleich des bergsteigens mit dem radfahren. Oder: Unrichtig ist, daß jeder student seinen gaul hatte. Oder: Unrichtig ist, daß die schnürschuhe das ganze nächste jahrhundert beherrschen werden. Ein anderer herr, Hr. Sch., bittet ebenfalls um aufnahme seiner zeilen, hoffend, dadurch einiges zur hebung unserer ohnehin gedrückten österreichischen schuhindustrie beitragen zu können. Dabei ist ihm aber ein malheur passiert. Die enthusiastischen zeilen, die ich dem Hutmodeverein widmete, hat er für bare münze gehalten, denn er polemisiert gegen meine behauptung, daß das bergsteigen, marschieren und radfahren die schnürschuhe in aufnahme gebracht haben, und meint dann wörtlich: »Forschen wir also nach anderen gründen. Ich denke hier an das lichte schuhwerk, welches dem schnürschuh eine solche verbreitung gab; die schuster forcierten den schnürschuh und brachten hübsche formen heraus. Also da liegt der hund begraben. Der schuster macht die mode. Hr. Loos erzählte uns neulich so hübsch die geschichte vom Hutmodeverein, wie der mode macht. Hier findet man dasselbe.«
Nun, alles kann wohl nicht aufnahme finden, was um aufnahme bittet. Der unfreiwillige komiker ist immer amüsant – aber dieses blatt ist kein witzblatt. Jene zuschrift, welche die tätigkeit des Hutmodevereines verteidigte, bot eine interessante ergänzung zu meinen angriffen und hat zur klärung der situation vieles beigetragen. Stärker noch als meine argumente, vernichtender als meine vorwürfe haben sie jenem wahlmodus wohl für immer ein ende bereitet. Stärker und vernichtender, weil sie aus dem eigenen lager kamen. Mit recht fragte das publikum, wie es wohl mit dem guten geschmacke jenes lagers bestellt ist, das uns die hutformen angibt. Daß es menschen gibt, welche die formen des Hutmodevereines für vornehm genug halten, wurde niemals in abrede gestellt. Doch wie sehen sie aus, wie ist ihr geschmack? Die zuschrift des Hrn. Keßler drückte das präzis aus. Er hält es mit seinem geschmacke vereinbar, wenn man das porträt seiner majestät in das hutfutter hineindruckt. Er beruft sich dabei auf die Bukowina, wo mit den bildnissen der nationalmänner ähnlich verfahren wird. Das publikum ist also jetzt im klaren. Hie England, hie Bukowina! Die zuschriften der herren aus der schuhbranche tragen aber zur klärung gar nicht bei. Im allgemeinen laufen alle darauf hinaus, daß durch die aufnahme des schnürschuhs die österreichische schuhmacherei geschädigt wird, da er die stieflette, die merkwürdigerweise für den österreichischen nationalschuh gehalten wird, verdrängt. Diese anklage ist natürlich unhaltbar. Denn schuhe und stiefel werden verbraucht, ob sie nun nach diesem oder jenem System gemacht sind. Dem schuhmacher ist das gleichgültig. Nicht so dem gummizugfabrikanten, der eben jetzt auf die herstellung anderer erzeugnisse bedacht sein muß. Gegen den zug der zeit kann kein mensch arbeiten, und millionen zentner druckerschwärze können die stieflette nicht mehr zu neuem leben erwecken.
Das lehrt uns wohl die ausstellung selbst. In der vitrine der Schuhmacher-Genossenschaft, die 192 schuhe zur ausstellung bringt, zählen wir nur drei damen-, drei herren- und drei uniformstiefletten. Die statistik ist eine unbarmherzige sprache. Und in zehn jahren? Da werden wir wohl auch die letzten neun vergeblich suchen.
Nach den englischen schustern machen wohl unsere schuhmacher die besten schuhe der welt. Man wird wohl in den verschiedenen europäischen hauptstädten hervorragende schuster aufzählen können, aber der gleichmäßige, tüchtige durchschnitt erhebt die Österreicher in bezug auf die fußbekleidung über jedes andere volk. Dies ist um so mehr zu verwundern, als unsere schuster für ihre leistungen schlecht gezahlt werden. Das publikum drückt die preise immer mehr und mehr, und das manko wird, wenn der gewerbsmann nicht zugrundegehen will, in den schuhen selbst ausgeglichen. O glaubt ja nicht, daß es dem schuster freude macht, schlecht zu arbeiten. Aber ihr zwingt ihn dazu. Er träumt von dem besten leder, der besten arbeit. Wie gern möchte er einen tag länger bei den schuhen verweilen. Wie ungern zwingt er seine gehilfen, schneller zu arbeiten, wohl wissend, daß dadurch manche schlamperei ungerügt bleiben muß. Aber das leben ist unerbittlich. Es macht ihm diese freude nicht. Er muß, muß und muß die schuhe um diesen preis fertigstellen, und daher entschließt er sich schweren herzens, den guten, aber langsamen gehilfen zu entlassen und bei dem rohmaterial zu sparen. Schon beim zwirn muß angefangen werden. Ihr aber, denen es ein besonderes vergnügen macht, euren schuster wieder um einen gulden gedrückt zu haben, ihr, die ihr doch diesen gulden mit leichtigkeit für einen besseren fauteuil im theater ausgebt, sobald eure sitze vergriffen sind, ihr seid die ärgsten feinde unseres gewerbestandes. Das handeln und feilschen und drücken wirkt demoralisierend auf produzent und konsument.
Und trotzdem so gute schuhe. Unsere schuhmacher sind eben tüchtige menschen. Es steckt viel geist und individualität in ihnen. Es ist kein zufall, daß der größte dichter und der größte philosoph, den uns das handwerk geschenkt hat, schuster sind. Und wie viel Hans Sachse und Jakob Böhmes saßen und sitzen noch auf dem schusterschemel, die ähnlich gefühlt und gedacht, aber nie geschrieben haben. Vielleicht hat das deutsche volk deswegen so gute schuster, weil jedem tüchtigen, individuellen, daher nach der meinung der eltern schlechten buben, warnend zugerufen wird: Wenn du nicht folgst, kommst du zu einem schuster in die lehr'. Und manchmal wird's wirklich gemacht.
Weniger lobenswert sind unsere schuh träger. Im letzten aufsatze wurde erwähnt, daß sich der schuster an die fußform der herrschenden gesellschaftsklasse halten muß. Für die passen dann die schuhe. Aber leute, die solche füße nicht haben, verlangen von ihrem schuster dieselbe form. Die folgen sind die zahlreichen verkrüppelten füße, die man nur bei jenen leuten treffen kann, die der herrschenden gesellschaftsklasse nicht angehören. Für diese eitelkeit wird aber der schuhmacher allein verantwortlich gemacht. Der billige preis gestattet nicht, einen eigenen leisten für den kunden anzufertigen, und daher wird, wenn auch schon ein alter leisten durch das auflegen angepaßt werden könnte, die genaue richtung des schuhes, von der das gleichmäßige austreten abhängig ist, nicht erreicht werden. Diese genaue richtung der fußsohle, wohl eines der schwierigsten probleme der schuhmacherei, bestimmt sich nicht nur aus dem grundrisse des fußes, sondern größtenteils aus dem gange und den gewohnheiten des trägers.
Schuhmacher, die teure schuhe liefern, haben leider einen kleineren verdienst als solche, die schon darauf ausgehen, minderwertige ware herzustellen. Nehmen wir zum beispiele den achtzehn-gulden-schuster und den sechs-gulden-schuster. Jener läßt einen leisten schneiden, der, mit seiner eigenen arbeit gerechnet, sechs gulden kostet, läßt die oberteile von einem gehilfen anfertigen, dem er, seiner vorzüglichen arbeit wegen, drei gulden taglohn bezahlt, und verbraucht für die oberteile drei gulden an material. Der sechs-gulden-schuster nimmt einen alten leisten und bezieht die oberteile um zirka zwei gulden fertig aus der fabrik. Auf diese weise hat jener bisher 66 perzent, dieser 33 perzent des ganzen preises für die schuhe aufgewendet. Aber auch für die konservierung des schuhwerkes wird zu wenig getan. Man sucht die kosten guter hölzer zu sparen und verbraucht daher mehr schuhwerk als jene leute, die ihre schuhe während der nacht über hölzer spannen.
Die ausstellung zeigt uns, seitdem die »unsittlichen« schuhe verbannt sind, tüchtiges schuhwerk. Daß es erst der unsittlichkeitserklärung bedurft hatte, schuhe zu entfernen, die keinen anderen zweck haben, als die blicke der beschauer auf sich zu lenken, ist bedauerlich. Viel würdiger für den ganzen stand wäre es gewesen, wenn man die schuhe ihrer unbrauchbarkeit wegen gleich von allem anfange an zurückgewiesen hätte. Der findige reklameschuster wird uns doch nicht allen ernstes glauben machen wollen, daß diese stiefel zum erlernen des fußspitzentanzes dienen könnten. Das ist eine zumutung, die auch leute, die vom tanzen nichts verstehen, beleidigend finden müssen. Wir aber wollen sehen, was unsere schuhmacher leisten können, ehrliche, tüchtige schusterarbeit, nicht wie sie reklame machen können. Eine ausstellung sei ein fest der arbeit und nicht der reklame. Doch halt. Dasselbe schicksal verdienen auch drei paar schuhe, die wie straßenschuhe gearbeitet sind, grüne peluchesohlen haben und von denen ein paar sogar mit golddruck, nach der art alter bucheinbände, versehen ist.
Wir können beruhigt sein. Wir in Österreich werden mit gutem schuhwerk in das kommende jahrhundert treten. Und gutes schuhwerk wird im nächsten jahrhundert nötig sein, denn das wird marschieren. Mit prophetischem blick hat Walt Whitman, der Amerikaner, der größte dichter, den die Germanen seit Goethe hervorgebracht haben, dieses jahrhundert gesehen. Er singt:
Stehen sie still, die alten rassen?
Fallen sie? Ist aus die lehre? Sind sie müd' jenseits der see?
Nun der große ruf wird unser, und die last, und auch die lehre,
Pioniere! Pioniere!
Wenig kümmert uns vergang'nes.
Uns're welt ist neuer, größer, wechselvoller uns're welt.
Frisch und stark ergreifen wir sie, welt der arbeit und des marsches,
Pioniere! Pioniere!
Nein, wir stehen nicht still, alter Walt Whitman. Noch fließt in uns das alte, marschbereite germanenblut. Auch wir werden das unsrige dazu beitragen, die stehende und sitzende welt umzuwandeln in eine welt der arbeit und des marsches.
21. august 1898
Erschien zwei jahre später im sonderheft »Frauenkleidung« in den »Dokumenten der Frauen«
Damenmode! Du gräßliches kapitel kulturgeschichte! Du erzählst der menschheit geheime lüste. Wenn man in deinen seiten blättert, erbebt die seele angesichts der fürchterlichen verirrungen und unerhörten laster. Man vernimmt das wimmern mißbrauchter kinder, das gekreisch mißhandelter weiber, den ungeheuren aufschrei gefolterter menschen, das geheul derer, die am scheiterhaufen starben. Peitschenhiebe klatschen, und die luft bekommt den brenzlichen geruch gebratenen menschenfleisches. La bête humaine ...
Aber nein, der mensch ist keine bestie. Die bestie liebt, liebt einfach und wie es die natur eingerichtet hat. Der mensch aber mißhandelt seine natur und die natur mißhandelt den eros in ihm. Wir sind bestien, die man in ställe gesperrt, bestien, denen die natürliche nahrung vorenthalten wird, bestien, die auf befehl lieben müssen. Wir sind haustiere.
Wäre der mensch bestie geblieben, dann wäre einmal im jahre die liebe in sein herz gezogen. Aber die mühsam zurückgehaltene sinnlichkeit macht uns jederzeit zur liebe tauglich. Um den lenz wurden wir betrogen. Und diese sinnlichkeit ist nicht einfach, sondern kompliziert, nicht natürlich, sondern widernatürlich.
Diese unnatürliche sinnlichkeit kommt in jedem jahrhunderte, ja in jedem jahrzehnte in anderer weise zum ausbruche. Sie liegt in der luft und wirkt ansteckend. Bald verbreitet sie sich gleich einer pest, die man nicht verbergen kann, bald schleicht sie durch das land gleich einer geheimen seuche, und die menschen, die von ihr befallen sind, wissen sie vor einander zu verbergen. Bald ziehen die flagellanten durch die welt und die brennenden scheiterhaufen werden zum volksfest, bald zieht sich die lust in die geheimsten falten der seele zurück. Aber wie dem auch sei: Marquis de Sade, der kulminationspunkt der sinnlichkeit seiner zeit, dessen geist die grandiosesten martern ersann, deren unsere phantasie fähig ist, und das liebe, blasse mädchen, dessen herz freier aufatmet, nachdem es den floh geknickt hat, sie sind eines stammes.
Das edle am weibe kennt nur eine sehnsucht: Sich neben dem großen, starken manne zu behaupten. Diese sehnsucht kann gegenwärtig nur in erfüllung gehen, wenn sie die liebe des mannes erringt. Die liebe macht ihr den mann untertan. Diese liebe ist aber nicht natürlich. Wäre dem so, würde sich ihm das weib nackt nähern. Das nackte weib ist aber für den mann reizlos. Es kann wohl die liebe des mannes entflammen, nicht aber erhalten.
Man wird euch erzählt haben, daß die schamhaftigkeit dem weibe das feigenblatt aufgenötigt hat. Welcher irrtum! Die schamhaftigkeit, dieses mühsam durch raffinierte kultur konstruierte gefühl, war dem urmenschen fremd. Das weib bekleidete sich, sie wurde für den mann zum rätsel, um ihm die sehnsucht nach der lösung ins herz zu senken.
Die erweckung der liebe ist die einzige waffe, die das weib im kampfe der geschlechter gegenwärtig besitzt. Die liebe aber ist eine tochter der begierde. Die begierde, den wunsch des mannes zu erregen, ist des weibes hoffnung. Der mann kann das weib durch seine stellung, die er sich in der menschlichen gesellschaft errungen hat, beherrschen. Ihn beseelt der drang nach vornehmheit, den er auch in seiner kleidung zum ausdrucke bringt. Jeder raseur möchte wie ein graf aussehen, während der graf sich niemals bestreben wird, für einen raseur gehalten zu werden. Und in der ehe erhält die frau durch den mann ihre soziale marke, gleichviel ob sie kokotte oder fürstin gewesen ist. Ihre stellung geht vollständig verloren.
Das weib ist daher gezwungen, durch ihre kleidung an die sinnlichkeit des mannes zu appellieren, unbewußt an seine krankhafte sinnlichkeit, für die man nur die kultur seiner zeit verantwortlich machen kann.
Während also die veränderung in der männerkleidung in der art bewirkt wird, daß die großen massen in ihrem drange nach vornehmheit nachstürzen, und auf diese weise die ursprünglich vornehme form entwerten, die wirklich vornehmen – oder besser die, die von der menge für solche gehalten werden – sich nun aber nach einer neuen form umsehen müssen, um sich zu unterscheiden, wird der wechsel in der frauenkleidung nur von dem wechsel der sinnlichkeit diktiert.
Und die sinnlichkeit wechselt stetig. Gewisse verirrungen häufen sich gewöhnlich in einer zeit, um dann anderen platz zu machen. Die verurteilungen nach den §§ 125 bis 133 unseres strafgesetzes sind das verläßlichste modejournal. Ich will nicht weit zurückgreifen. Ende der siebziger und anfang der achziger jahre strotzte die literatur jener richtung, die durch ihre realistischen aufrichtigkeiten zu wirken suchte, von beschreibungen üppiger frauenschönheit und flagellationsszenen. Ich erinnere nur an Sacher-Masoch, Catulle Mendes und Armand Sylvestre. Bald darauf wurde die volle üppigkeit, die reife weiblichkeit durch die kleidung scharf zum ausdrucke gebracht. Wer sie nicht besaß, mußte sie fälschen: le cu de Paris. Nun trat die reaktion ein. Der ruf nach jugend erscholl. Das weibkind kam in die mode. Man lechzte nach unreife. Die psyche des mädchens wurde zerpflückt und literarisch verwertet. Peter Altenberg. Die Barrisons tanzten auf der bühne und in der seele des mannes. Da verschwand aus der kleidung der frau, was weiblich ist, um den kampf gegen das kind aufzunehmen. Sie log sich ihre hüften hinweg, starke formen, früher noch ihr stolz, waren ihr unbequem. Der kopf nahm durch frisur und die großen ärmel den ausdruck des kindlichen an. Aber auch diese zeiten sind vorüber. Man wird mir einwenden, daß sich aber gerade jetzt die schwurgerichtsverhandlungen über diese verbrechen in der erschreckendsten weise mehren. Gewiß. Das ist der beste beweis, daß sie aus den höheren kreisen verschwinden, um nun ihre wanderschaft nach unten anzutreten. Denn der großen masse stehen nicht die mittel zu gebote, sich aus jener schwüle hinauszuretten.
Ein großer, konstanter zug ging wohl durch dieses jahrhundert. Das werden wirkte stärker als das gewordene. Der frühling wurde erst in diesem säkulum zur bevorzugtesten jahreszeit. Die blumenmaler früherer zeiten haben niemals knospen gemalt. Die professionellen schönheiten am hofe der französischen könige erreichten ihre vollste blüte erst mit dem vierzigsten jahre. Aber heute hat sich auch für jene, die sich vollständig gesund halten, halten sage ich, dieser zeitpunkt in der entwicklung des weibes um zwanzig jahre nach aufwärts vollzogen. Stets wählt daher die frau formen, die das merkmal der jugend tragen. Ein beweis: Lege die photographien aus den letzten zwanzig jahren einer frau nebeneinander. Und sie wird ausrufen: »Wie alt habe ich vor zwanzig jahren ausgesehen!« Und auch du wirst zugeben müssen: Auf dem letzten bilde erscheint sie am jüngsten.
Wie ich schon bemerkt habe, gibt es auch parallelströmungen. Die wichtigste, deren ende noch gar nicht abzusehen ist, dabei die stärkste, weil sie von England ausgeht, ist jene richtung, die das raffinierte Hellas erfand – die liebe Platos: Das weib sei dem manne nur ein guter kamerad. Auch dieser strömung wurde rechnung getragen und sie führte zur schaffung des tailor made costume, des vom herrenschneider gemachten kleides. In jener gesellschaftsschichte aber, in der auch auf die vornehme abstammung der frau gesehen wird, im hochadel, wo durch kämmererswürde die abstammung der frau noch nach generationen mitspricht, kann man eine emanzipation von der herrschenden damenmode bemerken, indem man dort dem nämlichen zuge nach vornehmheit huldigt. Die leute können sich dann nicht genug über die in der aristokratie herrschende einfachheit wundern.
Aus dem gesagten geht hervor, daß die führung in der herrenkleidung der mann inne hat, der die höchste soziale position einnimmt, die führung in der damenmode aber jene frau besitzt, die für die erweckung der sinnlichkeit das meiste feingefühl entwickeln muß, die kokotte.
Die kleidung der frau unterscheidet sich äußerlich von der des mannes durch bevorzugung ornamentaler und farbiger wirkungen und durch den langen rock, der die beine der frau vollständig bedeckt. Diese beiden momente zeigen uns schon, daß die frau in den letzten jahrhunderten stark in der entwicklung zurückgeblieben ist. Keine kulturperiode kannte einen so großen unterschied in der kleidung des freien mannes und des freien weibes als die unsrige. Denn auch der mann trug in früheren epochen kleider, deren saum bis zum erdboden reichte, farbig war und reich geschmückt. Die grandiose entwicklung, die unsere kultur in diesem jahrhunderte genommen hat, hat das ornament glücklich überwunden. Ich muß mich hier wiederholen. Siehe »Neue Freie Presse«, juni 1898: Das Luxusfuhrwerk. Je tiefer die kultur, desto stärker tritt das ornament auf. Das ornament ist etwas, was überwunden werden muß. Der Papua und der verbrecher ornamentiert seine haut. Der Indianer bedeckt sein ruder und sein boot über und über mit ornamenten. Aber das bicycle und die dampfmaschine sind ornamentenfrei. Die fortschreitende kultur scheidet objekt für objekt vom ornamentiertwerden aus.
Männer, die ihr verhältnis zu vorhergehenden epochen betonen wollen, kleiden sich heute noch in gold, samt und seide: Die magnaten und der klerus. Männer, denen man eine moderne errungenschaft, die selbstbestimmung, vorenthalten will, kleidet man in gold, samt und seide: Lakaien und minister. Und der monarch hüllt sich bei besonderen gelegenheiten in hermelin und purpur, ob es nun seinem geschmacke entspricht oder nicht, als erster diener des staates. Auch beim soldaten wird durch farbige und goldstrotzende uniformen das gefühl der hörigkeit erhöht.
Das lange, bis zu den knöcheln reichende gewand aber ist das gemeinsame abzeichen derer, die nicht körperlich arbeiten. Als körperliche und erwerbende tätigkeit noch unvereinbar war mit freier, adeliger abkunft, trug der herr das lange kleid, der knecht die hose. So ist es heute noch in China: Mandarin und kuli. So betont bei uns der klerus seine nicht auf den erwerb gerichtete tätigkeit durch die soutane. Wohl hat der mann der obersten gesellschaftsschichten sich das recht auf freie arbeit erworben, bei festlichen anlässen trägt er aber noch immer ein kleidungsstück, das bis zu den knien reicht, den gehrock. In England wird bei audienzen der königin, bei der parlamentseröffnung, bei hochzeiten usw. der gehrock getragen, während in den rückständigen staaten der frack auch am tage bei den erwähnten anlässen getragen wird.
Der frau aus diesen kreisen wurde eine reine erwerbstätigkeit noch nicht zugestanden. In jenen schichten, in denen sie das recht auf erwerb erlangte, trägt sie auch die hose. Man denke an die kohlengräberin in den belgischen schichten, an die sennerin der Alpen, an die crevettenfischerin der nordsee.
Auch der mann mußte für das recht des hosentragens kämpfen. Das reiten, eine tätigkeit, die nur körperliche ausbildung, aber keinen materiellen gewinn erzielt, war die erste etappe. Dem blühenden, reitfreudigen rittertum des XIII. jahrhunderts haben die männer die fußfreie kleidung zu danken. Diese errungenschaft konnte ihnen das XVI. jahrhundert, in dem das reiten aus der mode kam, nicht mehr rauben. Die frau hat erst in den letzten 50 jahren das recht der körperlichen ausbildung erlangt. Ein analoger vorgang: Wie im XIII. jahrhundert dem reiter, wird im XX. jahrhundert der radfahrerin das zugeständnis der fußfreien kleidung und der hose gemacht. Und damit ist der erste schritt zur gesellschaftlichen sanktion der frauenarbeit getan.
Das edle am weibe kennt nur eine sehnsucht, sich neben dem großen starken manne zu behaupten. Diese sehnsucht kann gegenwärtig nur erfüllt werden, wenn sie die liebe des mannes erringt. Aber wir gehen einer neuen, größeren zeit entgegen. Nicht mehr die durch den appell an die sinnlichkeit, sondern die durch arbeit erworbene wirtschaftliche unabhängigkeit der frau wird eine gleichstellung mit dem manne hervorrufen. Wert oder unwert der frau wird nicht durch den wechsel der sinnlichkeit fallen oder steigen. Dann werden samt und seide, blumen und bänder, federn und farben ihre wirkung versagen. Sie werden verschwinden.
28. august 1898
Was ist mehr wert, ein kilo stein oder ein kilo gold? Die frage ist wohl lächerlich. Aber nur für den kaufmann. Der künstler wird antworten: Für mich sind alle materialien gleich wertvoll.
Die Venus von Milo ist gleich wertvoll, ob sie nun aus schotterstein – in Paros werden die straßen mit parischem marmor geschottert – oder aus gold bestünde. Die Sixtinische Madonna würde keinen kreuzer teurer zu stehen kommen, wenn Rafael auch einige pfund gold in die farben gemischt hätte. Der kaufmann, der daran denken muß, die goldene Venus im bedarfsfalle einzuschmelzen oder die Sixtinische Madonna abzuschaben, wird wohl anders rechnen müssen.
Der künstler aber hat nur einen ehrgeiz: Das material in einer weise zu beherrschen, die seine arbeit von dem werte des rohmaterials unabhängig macht. Unsere baukünstler aber kennen diesen ehrgeiz nicht. Für sie ist ein quadratmeter mauerfläche aus granit wertvoller als aus mörtel.
Und doch ist der granit an und für sich wertlos. Draußen auf dem felde liegt er, jedermann kann ihn an sich nehmen. Oder er bildet ganze berge, ganze gebirge, die man nur abzugraben braucht. Man schottert mit ihm die straßen, man pflastert mit ihm die städte. Es ist der gemeinste stein, das gewöhnlichste material, das uns bekannt ist. Und doch sollte es leute geben, die ihn für unser wertvollstes baumaterial halten?
Diese leute sagen material und meinen die arbeit. Die menschliche arbeitskraft, kunstfertigkeit und kunst. Denn der granit verlangt eine große arbeit, um ihn dem berge zu entreißen, große arbeit, ihn nach seinem bestimmungsort zu bringen, arbeit, ihm die richtige form zu geben, arbeit, ihm durch schleifen und polieren das gefällige aussehen zu verleihen. Und vor der polierten granitwand wird unser herz in ehrfurchtsvollem schauer erbeben. Vor dem material? Nein, vor der menschlichen arbeit.
Also wäre der granit doch wertvoller als der mörtel? Das ist damit noch nicht gesagt. Denn eine wand mit der stuckdekoration von der hand Michelangelos wird auch die bestpolierte granitmauer in schatten stellen. Nicht nur die quantität, sondern die qualität der arbeitsbietung wird den wert eines jeden gegenstandes bestimmen helfen.
Wir leben in einer zeit, die der quantität der arbeit den vorzug gibt. Denn diese läßt sich leicht kontrollieren, ist jedermann sofort auffällig und erfordert keinen geübten blick oder sonstige kenntnisse. Da gibt es keine irrtümer. Soundsoviel taglöhner haben soundsoviel stunden zu soundsoviel kreuzern daran gearbeitet. Das kann sich jedermann ausrechnen. Und man will jedermann den wert der dinge, mit denen man sich umgibt, leicht verständlich machen. Sonst hätten sie ja keinen zweck. Da werden dann jene stoffe angesehener sein, die eine längere arbeitszeit erfordern.
Das war nicht immer so. Früher baute man mit jenen materialien, die einem am leichtesten erreichbar waren. In manchen gegenden mit backstein, in manchen mit stein, in manchen wurde die mauer mit mörtel überzogen. Die so bauten, kamen sich wohl neben den steinarchitekten nicht ganz vollwertig vor? Ja warum denn? Das fiel niemandem ein. Hätte man steinbrüche in der nähe, so würde man eben mit stein gebaut haben. Aber von weit her steine zum bau zu bringen, erschien ihnen mehr eine frage des geldes als eine frage der kunst. Und früher galt die kunst, die qualität der arbeit, doch mehr als heutzutage.
Solche zeiten haben auch auf dem gebiete der baukunst stolze kraftnaturen gezeitigt. Fischer von Erlach brauchte keinen granit, um sich verständlich zu machen. Aus lehm, kalk und sand schuf er werke, die uns so mächtig ergreifen wie die besten bauwerke aus den schwer zu bearbeitenden materialien. Sein geist, seine künstlerschaft beherrschte den elendsten stoff. Er war imstande, dem plebejischen staube den adel der kunst zu verleihen. Ein könig im reiche der materialien.
Gegenwärtig aber herrscht nicht der künstler, sondern der taglöhner, nicht der schöpferische gedanke, sondern die arbeitszeit. Und auch dem taglöhner wird schrittweise die herrschaft aus den händen gewunden, denn es hat sich jemand eingefunden, der quantitative arbeitsleistung besser und billiger herstellt, die maschine.
Aber jede arbeitszeit, ob sie die maschine oder der kuli verrichtet, kostet geld. Wenn man aber kein geld hat? Dann beginnt man die arbeitszeit zu erheucheln, das material zu imitieren.
Die ehrfurcht vor der quantität der arbeit ist der fürchterlichste feind, den der gewerbestand besitzt. Denn er hat die imitation zur folge. Die imitation hat aber einen großen teil unseres gewerbes demoralisiert. Aller stolz und handwerksgeist ist aus ihm gewichen. »Buchdrucker, was kannst du?« – »Ich kann so drucken, daß man es für lithografiert hält.« – »Und lithograf, was kannst du?« – »Ich kann lithografieren wie gedruckt.« – »Tischler, was kannst du?« – »Ich kann ornamente schnitzen, die so flott aussehen, als hätte sie der stukkateur gemacht.« – »Stukkateur, was kannst du?« – »Ich imitiere gesimse und ornamente so genau, mache haarfugen, die jeder für echt hält, daß sie wie die beste steinmetzarbeit aussehen.« – »Das kann ich auch!«, ruft stolz der klempner, »wenn man meine ornamente streicht und sandelt, so kann niemand auf den gedanken kommen, daß sie aus blech sind.« – Traurige gesellschaft!
Es geht ein geist der selbstentwürdigung durch unser gewerbe. Man wundere sich nicht, daß es diesem stand nicht gut geht. Solchen leuten soll es gar nicht gut gehen. Tischler auf, sei stolz, daß du ein tischler bist! Der stukkateur macht ornamente. Neidlos und wunschlos sollst du an ihm vorbeigehen. Und du, stukkateur, was geht dich der steinmetz an? Der steinmetz macht fugen, muß leider fugen machen, weil kleine steine billiger zu stehen kommen als große. Sei stolz darauf, daß deine arbeit die kleinlichen fugen, die säule, ornament und mauer zerschneiden, nicht aufweist, sei stolz auf deinen beruf, sei froh, kein steinmetz zu sein!
Aber ich rede in den wind. Das publikum will keinen stolzen handwerker. Denn je besser einer imitieren kann, desto mehr wird er vom publikum unterstützt. Die ehrfurcht vor den teuren materialien, das sicherste zeichen für das parvenüstadium, in dem sich unser volk befindet, will es nicht anders. Der parvenü findet es beschämend, sich nicht mit diamanten schmücken zu können, beschämend, kein pelzwerk tragen zu können, beschämend, nicht im steinpalast zu wohnen, seitdem er in erfahrung gebracht hat, daß diamanten, pelzwerk und steinfassaden viel geld kosten. Daß das fehlen von diamanten, pelzwerk oder steinfassaden auf die vornehmheit keinen einfluß hat, ist ihm unbekannt. Er greift daher, da es ihm an geld gebricht, zu surrogaten. Ein lächerliches unterfangen. Denn diejenigen, die er betrügen will, diejenigen, deren mittel es erlauben würden, sich mit diamanten, pelzwerk und steinfassaden zu umgeben, können nicht getäuscht werden. Die finden solche anstrengungen komisch. Und für die unterstehenden sind sie wieder unnötig, wenn man seiner überlegenheit bewußt ist.
In den letzten jahrzehnten hat die imitation das gesamte bauwesen beherrscht. Die tapete ist aus papier, aber das durfte sie beileibe nicht zeigen. Seidendamast, gobelins oder teppichmuster mußte sie daher erhalten. Die türen und fenster sind aus weichem holz. Da aber hartes holz teurer ist, so mußten sie wie solches gestrichen werden. Das eisen mußte durch bronze- oder kupferanstrich diese metalle imitieren. Dem zementguß aber, einer errungenschaft dieses jahrhunderts, stand man vollständig hilflos gegenüber. Da es an und für sich ein prachtvolles material ist, hatte man nur einen gedanken bei seiner verwertung, einen gedanken, den man jedem neuen stoff zuerst entgegenbringt: Was kann man mit ihm imitieren? Man gebrauchte ihn als surrogat für stein. Und da der zementguß so außerordentlich billig ist, trieb man recht parvenümäßig die weitestgehende verschwendung. Eine wahre zementseuche ergriff das jahrhundert. »Ach, lieber Hr. architekt, können sie nicht noch um fünf gülden kunst mehr auf die fassade bringen?«, sagte da wohl der eitle bauherr. Und der architekt nagelte so viel gulden kunst auf die fassade, als von ihm verlangt wurde, und manchmal etwas darüber.
Gegenwärtig wird der zementguß zur imitation von stukkateurarbeiten verwendet. Bezeichnend für unsere wiener verhältnisse ist es, daß ich, der gegen die vergewaltigung der materialien, gegen die imitation energisch front machte, mit der bezeichnung materialist abgefertigt wurde. Man beobachte nur den sophismus: Es sind die leute, die dem material einen solchen wert beilegen, daß sie seinetwegen vor keiner charakterlosigkeit zurückschrecken und zu surrogaten greifen.
Die Engländer haben uns ihre tapeten herübergebracht. Ganze häuser konnten sie leider nicht herüberschicken. Aber an den tapeten sehen wir schon, was die Engländer wollen. Das sind tapeten, die sich nicht schämen, aus papier zu sein. Warum auch? Es gibt gewisse wandverkleidungen, die mehr kosten. Aber der Engländer ist kein parvenü. In seiner wohnung wird man nie auf den gedanken kommen, daß das geld nicht gereicht hatte. Auch seine kleiderstoffe sind aus schafwolle und bringen dies ehrlich zur schau. Würde die führung in der kleidung den Wienern überlassen werden, so würden wir die schafwolle wie samt und atlas weben. Die englischen kleiderstoffe, also unsere kleiderstoffe, zeigen nie das wienerische: »I möcht' gern, aber i kann nöt«, obwohl sie nur aus wolle bestehen.
Und so wären wir denn bei einem kapitel angelangt, das in der architektur die wichtigste rolle spielt, bei jenem prinzipe, welches das abc jedes architekten bilden sollte, dem prinzipe der bekleidung. Der erläuterung dieses prinzips sei der nächste artikel vorbehalten.
4. september 1898
Sind für den künstler alle materialien auch gleich wertvoll, so sind sie doch nicht für alle seine zwecke gleich tauglich. Die festigkeit und die herstellbarkeit verlangen materialien, die mit dem eigentlichen zwecke des gebäudes nicht im einklang stehen. Hier hat der architekt die aufgabe, einen warmen, wohnlichen raum herzustellen. Warm und wohnlich sind teppiche. Er beschließt daher, einen solchen auf den fußboden auszubreiten und vier teppiche aufzuhängen, welche die vier wände bilden sollen. Aber aus teppichen kann man kein haus bauen. Sowohl der fußteppich als auch der wandteppich erfordern ein konstruktives gerüst, das sie in der richtigen lage erhält. Dieses gerüst zu erfinden, ist erst die zweite aufgabe des architekten.
Das ist der richtige, logische weg, der in der baukunst eingeschlagen werden soll. Denn auch die menschheit hat in dieser reihenfolge bauen gelernt. Im anfange war die bekleidung. Der mensch suchte schutz vor den unbilden des wetters, schutz und wärme während des schlafes. Er suchte sich zu bedecken. Die decke ist das älteste architekturdetail. Ursprünglich war sie aus fellen oder erzeugnissen der texilkunst. Diese bedeutung erkennt man noch heute in den germanischen sprachen. Diese decke mußte irgendwo angebracht werden, sollte sie genügend schutz für eine familie bieten! Bald kamen die wände dazu, um auch seitlichen schutz zu bieten. Und in dieser reihenfolge entwickelte sich der bauliche gedanke sowohl in der menschheit als auch im individuum.
Es gibt architekten, die das anders machen. Ihre phantasie bildet nicht die räume, sondern mauerkörper. Was die mauerkörper übrig lassen, sind dann die räume. Und für diese räume wird nachträglich jene bekleidungsart gewählt, die ihnen dann passend erscheint. Das ist kunst auf empirischem wege.
Der künstler aber, der architekt, fühlt zuerst die wirkung, die er hervorzubringen gedenkt, und sieht dann mit seinem geistigen auge die räume, die er schaffen will. Die wirkung, die er auf den beschauer ausüben will, sei es nun angst oder schrecken, wie beim kerker; gottesfurcht, wie bei der kirche; ehrfurcht vor der staatsgewalt, wie beim regierungspalast; pietät, wie beim grabmal; heimgefühl, wie beim wohnhause: fröhlichkeit, wie in der trinkstube; diese wirkung wird hervorgerufen durch das material und durch die form.
Ein jedes material hat seine eigene formensprache, und kein material kann die formen eines anderen materials für sich in anspruch nehmen. Denn die formen haben sich aus der verwendbarkeit und herstellungsweise eines jeden materials gebildet, sie sind mit dem material und durch das material geworden. Kein material gestattet einen eingriff in seinen formenkreis. Wer es dennoch wagt, den brandmarkt die welt als fälscher. Die kunst hat aber mit der fälschung, mit der lüge nichts zu tun. Ihre wege sind zwar dornenvoll, aber rein.
Den Stefansturm kann man wohl in zement gießen und irgendwo aufstellen – er ist aber dann kein kunstwerk. Und was vom Stefansturm gilt, gilt auch vom Palazzo Pitti und was vom Palazzo Pitti gilt, gilt auch vom Palazzo Farnese. Und mit diesem bauwerke wären wir mitten drin in unserer Ringstraßenarchitektur. Eine traurige zeit für die kunst, eine traurige zeit für die wenigen künstler unten den damaligen architekten, die gezwungen wurden, ihre kunst dem pöbel zuliebe zu prostituieren. Nur wenigen war es vergönnt, durchwegs bauherren zu finden, die groß genug dachten, den künstler gewähren zu lassen. Am glücklichsten war wohl Schmidt. Ihm zunächst kam Hansen, der, wenn's ihm schlecht ging, im terracottabau trost suchte. Fürchterliche qualen muß wohl der arme Ferstel ausgestanden haben, den man in letzter minute zwang, ganze fassadenteile seiner universität in zementguß anzunageln. Die übrigen architekten dieser epoche wußten sich, mit wenigen ausnahmen, von solchen gefühlsduseleien frei.
Ist es anders geworden? Man erlasse mir die beantwortung dieser frage. Noch herrschen die imitation und die surrogatkunst in der architektur. Ja, noch mehr. In den letzten jahren haben sich sogar leute gefunden, die sich zu verteidigern dieser richtung hergeben – einer allerdings anonym, da ihm die sache nicht reinlich genug erschien – so daß der surrogatarchitekt nicht mehr nötig hat, klein beiseite zu stehen. Jetzt nagelt man schon die konstruktion mit aplomb auf die fassade und hängt die trag»steine« mit künstlerischer berechtigung unter das hauptgesims. Nur herbei, ihr herolde der imitation, ihr verfertiger aufpatronierter intarsien, verpfusche-dein-heimfenster und der papiermachéhumpen! In Wien erblüht euch ein neuer frühling, der boden ist frisch gedüngt!
Aber ist der wohnraum, der ganz mit teppichen ausgelegt ist, keine imitation? Die wände sind ja nicht aus teppichen gebaut! Gewiß nicht. Aber diese teppiche wollen nur teppiche sein und keine mauersteine, sie wollen nie für solche gehalten werden, zeigen dies weder durch farbe oder muster, sondern bringen ihre bedeutung als bekleidung der mauerfläche klar zutage. Sie erfüllen ihren zweck nach dem prinzipe der bekleidung.
Wie schon eingangs erwähnt, ist die bekleidung älter als die konstruktion. Die gründe der bekleidung sind mannigfacher art. Bald ist sie schutz gegen die unbill des wetters, wie der ölfarbenanstrich auf holz, eisen oder stein, bald sind es hygienische gründe, wie die glasierten steine in der toilette, zur bedeckung der mauerfläche, bald mittel zu einer bestimmten wirkung, wie die farbige bemalung der statuen, das tapezieren der wände, das fournieren des holzes. Das prinzip der bekleidung, das zuerst von Semper ausgesprochen wurde, erstreckt sich auch auf die natur. Der mensch ist mit einer haut, der baum mit einer rinde bekleidet.
Aus diesem prinzip der bekleidung stelle ich aber auch ein ganz bestimmtes gesetz auf, das ich das gesetz der bekleidung nenne. Man erschrecke nicht. Gesetze, so heißt es gewöhnlich, machen jeder entwicklung ein ende. Und dann sind ja die alten meister auch ganz gut ohne gesetze ausgekommen. Gewiß. Wo der diebstahl eine unbekannte sache ist, wäre es müßig, diesbezügliche gesetze aufzustellen. Als die materialien, die zur bekleidung verwendet werden, noch nicht imitiert wurden, hat man, keine gesetze ausgetüftelt. Nun aber scheint es mir hoch an der zeit zu sein.
Dieses gesetz lautet also: Die möglichkeit, das bekleidete material mit der bekleidung verwechseln zu können, soll auf alle fälle ausgeschlossen sein. Auf einzelne fälle angewendet, würde dieser satz lauten: Holz darf mit jeder farbe angestrichen werden, nur mit einer nicht – der holzfarbe. In einer stadt, deren ausstellungskommission beschloß, alles holz in der Rotunde »wie mahagoni« anzustreichen, in der das fladern der einzige anstrichdekor des holzes ist, ist dieser satz sehr gewagt. Es scheint hier leute zu geben, die das für vornehm halten. Da die eisenbahn- und trambahnwagen, wie der gesamte wagenbau aus England stammt, so sind diese die einzigen hölzernen objekte, die absolute farben zur schau tragen. Ich wage nun zu behaupten, daß ein solcher trambahnwagen – insbesondere der elektrischen linie – mir in den absoluten farben besser gefällt, als wenn er, dem schönheitsprinzipe der ausstellungskommission zufolge, wie mahagoni gestrichen wäre.
Aber auch in unserem volke schlummert, allerdings verscharrt und vergraben, das wahre gefühl für vornehmheit. Sonst würde die bahnverwaltung nicht mit dem umstande rechnen können, daß die braune, also in der holzfarbe gestrichene dritte klasse weniger vornehme gefühle wachruft als die grüne zweite und erste.
Auf drastische art hatte ich einst einem kollegen dieses unbewußte gefühl nachgewiesen. In einem hause befanden sich im ersten Stockwerke zwei Wohnungen. Der mieter der einen wohnung hatte auf seine kosten die fensterkreuze, die sonst braun gefleckt waren, weiß streichen lassen. Wir hatten eine wette abgeschlossen, nach welcher wir eine bestimmte anzahl von personen vor das haus führen wollten und diese, ohne sie auf den unterschied in den fensterkreuzen aufmerksam zu machen, fragen wollten, auf welcher seite ihrem gefühle nach der Hr. Pluntzengruber und auf welcher seite der fürst Liechtenstein wohne, welch beide parteien wir uns in das haus einzumieten erlaubten. Einstimmig wurde die holzgefladerte seite für die pluntzengruberische erklärt. Mein kollege streicht seither nur mehr weiß.
Die holzfladerei ist natürlich eine erfindung unseres jahrhunderts. Das mittelalter strich das holz vorwiegend grellrot, die Renaissance blau, die Barocke und das Rokoko im innern weiß, außen grün. Unsere bauern haben sich noch so viel gesunden sinn bewahrt, daß sie in absoluten farben streichen. Wie reizend wirkt nicht auf dem lande das grüne tor und der grüne zaun, die grünen jalousien zu der weißen, frisch getünchten wand. Leider hat man sich schon in einigen ortschaften den geschmack unserer ausstellungskommission angeeignet.
Man wird sich noch der moralischen entrüstung erinnern, die im surrogat-kunstgewerbelager entstand, als die ersten in ölfarbe gestrichenen möbel aus England nach Wien kamen. Nicht gegen den anstrich wendete sich die wut dieser braven. Hatte man doch auch in Wien, sobald weiches holz zur verwendung kam, mit ölfarbe gestrichen. Daß aber die englischen möbel wagten, ihre ölfarbe so frank und frei zur schau zu tragen, statt hartes holz zu imitieren, brachte diese sonderbaren heiligen sehr in harnisch. Man verdrehte die augen und machte so, als ob man die ölfarben überhaupt noch nie angewendet hätte. Vermutlich sind diese herren der meinung, daß man ihre gefladerten möbel und bauarbeiten bisher für hartes holz angesehen hat.
Wenn ich mit solchen anschauungen bei der exposition der anstreicher keine namen nenne, so glaube ich des dankes dieser genossenschaft sicher zu sein.
Auf die stukkateure angewendet, würde das prinzip der bekleidung lauten: Der stuck kann jedes ornament erhalten, nur eines nicht – den Ziegelrohbau. Man sollte glauben, daß das aussprechen einer solchen selbstverständlichkeit unnötig sei, aber erst neulich hat man mich auf ein bauwerk aufmerksam gemacht, dessen geputzte wand rot gefärbelt und mit weißen fugen versehen wurde. Auch die so beliebte küchendekoration, die steinquadern imitiert, fällt hieher. Und so dürfen alle materialien, die zur wandverkleidung dienen, also tapeten, wachstuch, stoff und teppiche, ziegel und steinquadern nicht zur darstellung bringen. Und dadurch wird man auch verstehen, warum die trikotbeine unserer tänzerinnen so unästhetisch wirken. So darf gewirkte wäsche in jeder farbe gefärbt werden, nur nicht fleischfarben.
Ein bekleidendes material kann seine natürliche farbe behalten, wenn das gedeckte material ebenfalls dieselbe farbe aufweist. So kann ich das schwarze eisen mit teer bestreichen, ich kann holz mit einem andern holz bedecken (fournieren, marquetieren usw.), ohne das bedeckende holz färben zu müssen; ich kann ein metall mit einem andern metall durch feuer oder galvanisch überziehen. Doch verbietet es das prinzip der bekleidung, durch einen farbstoff das darunter befindliche material nachzuahmen. Daher kann eisen wohl geteert, mit ölfarbe gestrichen oder galvanisch überzogen, nie aber mit bronzefarbe, also einer metallfarbe, verdeckt werden.
Hier verdienen auch die chamotte- und kunststeinplatten erwähnung, die einesteils das terrazzopflaster (mosaik), andernteils persische teppiche imitieren. Gewiß finden sich leute, die's glauben – die fabriken müssen ja ihr publikum kennen.
Doch nein, ihr imitatoren und surrogatarchitekten, ihr irrt euch doch. Die menschliche seele ist etwas zu hohes und erhabenes, als daß ihr sie durch eure mittel und mittelchen hinters licht führen könntet. Das gebet des armen bauernmädchens wird in einer kirche, die in echtem material gebaut ist, mit größerer kraft zum himmel dringen, als wenn sie mit der gleichen inbrunst ihre andacht zwischen marmorgestrichenen gipswänden verrichtete. Unseren armseligen körper habt ihr allerdings in eurer gewalt. Nur fünf sinne stehen ihm zu gebote, echt von unecht zu unterscheiden. Und dort, wo der mensch mit seinen sinnesorganen nicht mehr hinreicht, dort beginnt so recht eure domäne, dort ist euer reich. Aber nochmals, ihr irrt euch. Malt auf die holzdecke, recht, recht hoch die besten intarsien – die armen augen werden es auf gut und treu hinnehmen. Aber die göttliche psyche glaubt euch euren schwindel nicht. Die fühlt in den besten »wie eingelegt« gemalten intarsien doch nur ölfarbe.
25. september 1898
Neulich geriet ich mit einem bekannten in streit. Was ich über kunstgewerbliche fragen schrieb, wollte er wohl gelten lassen. Aber die mode- und bekleidungsthemen gingen ihm gegen den strich. Er warf mir vor, daß ich die ganze welt uniformieren wolle. Was soll denn dann aus unseren herrlichen nationaltrachten werden!
Hier wurde er poetisch. Er gedachte seiner kindheit, gedachte der herrlichen sonntage in Linz, gedachte des landvolkes, das festlich geschmückt sich zum kirchgang versammelte. Wie prächtig, wie schön, wie malerisch! Wie ist das nun alles anders geworden! Nur die alten leute hielten an der alten tracht fest. Die jungen aber äffen schon den stadtleuten nach. Man möge lieber das volk für die alte tracht wieder zu gewinnen suchen. Das wäre die aufgabe eines kulturliteraten.
»Also diese alte tracht hat ihnen gefallen?« warf ich ein. – »Gewiß.« – »Und sie wünschen daher, daß diese tracht für ewige zeiten erhalten bleibe.« – »Das ist mein sehnlichster wunsch!«
Nun hatte ich ihn, wo ich ihn haben wollte. »Wissen sie,« sprach ich zu ihm, »daß sie ein ganz gemeiner, egoistischer mensch sind. Wissen sie, daß sie einen ganzen stand, einen großen herrlichen stand, unseren bauernstand, ausschließen wollen von allen segnungen der kultur. Und warum? Damit ihr auge, sobald sie sich aufs land begeben, malerisch gekitzelt werde! Warum laufen sie denn nicht so herum? Ah, sie möchten sich schönstens bedanken. Aber sie verlangen von anderen menschen, daß sie ihnen zuliebe in der landschaft staffage spielen, um ihr trunkenes literatenauge nicht zu beleidigen. Ja, stellen sie sich doch einmal hin und machen sie einmal den wurstl für den Hrn. kommerzienrat, der unverfälschte Alpen genießen will. Der bauer hat eine höhere mission zu erfüllen, als für die sommerfrischler die berge stilvoll zu bevölkern. Der bauer – der spruch ist schon bald hundert jahre alt – ist kein spielzeug!«
Auch ich gebe zu, daß mir die alten trachten sehr gut gefallen. Das gibt mir aber noch kein recht, von meinem nebenmenschen zu verlangen, sie meinetwegen anzulegen. Die tracht, die in einer bestimmten form erstarrte kleidung, die sich nicht mehr weiter entwickelt, ist immer das zeichen, daß ihr träger es aufgegeben hat, seinen zustand zu verändern. Die tracht ist die verkörperung der resignation. Sie sagt: Ich muß es aufgeben, mir im kampfe um das dasein eine bessere stellung zu erobern, ich muß es aufgeben, mich weiter zu entwickeln. Als der bauer noch frisch und fröhlich kämpfte, als er von den grünsten hoffnungen erfüllt war, da wäre es ihm nicht im traume eingefallen, denselben rock anzuziehen, den sein großvater getragen hatte. Das Mittelalter, die bauernkriege, die Renaissance, kennen das starre festhalten an den kleidungsformen nicht. Der unterschied zwischen der kleidung des städters und des bauern wurde nur durch die verschiedene lebensführung bedingt. Städter und bauer verhielten sich damals zu einander wie heute städter und farmer.
Da verlor der bauer seine selbständigkeit. Er wurde zum leibeigenen. Leibeigener mußte er bleiben, er und seine kindeskinder. Wozu sollte er sich da anstrengen, sich durch sein kleid über seine umgebung zu erheben, also eine änderung in seiner kleidung herbeizuführen? Es nützte ja doch nicht. Der bauernstand wurde zur kaste, dem bauer jede hoffnung abgeschnitten, diese kaste zu verlassen. Völker, die sich in kasten gesondert haben, haben diesen zug alle gemeinsam, das starre, jahrtausendlange festhalten an der tracht.
Dann wurde der bauer frei. Aber nur äußerlich. Innerlich fühlt er sich doch noch dem städter gegenüber minderwertig. Das sind die herren. Die jahrhundertelange knechtschaft liegt ihm noch zu sehr in den gliedern.
Nun aber kommt eine neue generation. Die hat der tracht den krieg erklärt. Dabei hat sie eine gute verbündete, die dreschmaschine. Wo die einmal ihren einzug hält, ist es für immer mit dem malerischen plunder vorbei. Der geht nun dahin, wo er hingehört: In die maskenleihanstalt.
Das sind herzlose worte. Sie müssen aber ausgesprochen werden, weil in Österreich zufolge einer falschen sentimentalität sich sogar vereine gebildet haben, die bestrebt sind, dem bauer das brandmal seiner knechtschaft zu erhalten. Und doch hätten wir vereine, welche den umgekehrten weg einschlagen, viel notwendiger. Denn von der kleidung, wie sie die großen kulturvölker tragen, sind auch wir städter noch weit entfernt. Äußerlich sehen wir ja ganz passabel aus. Da können wir es schon mit den anderen aufnehmen. Wir können es, wenn wir uns von einem ersten wiener schneider anziehen lassen, schon zuwege bringen, auf londoner, newyorker und pekinger pflaster für zivilisierte europäer gehalten zu werden. Wehe uns aber, wenn uns die oberfläche der bekleidung stück für stück abfiele und wir in der wäsche dastünden! Da würde man gewahr werden, daß wir unsere europäische kleidung nur wie einen maskenzug anlegen, denn unter derselben tragen wir noch die nationale tracht.
Aber entweder – oder. Wir müssen uns entschließen. Entweder wir haben den mut der überzeugung, uns von der übrigen menschheit abzusondern und legen eine nationaltracht an. Oder aber, wir wollen uns an die übrige menschheit halten und kleiden uns wie diese. Äußerlich aber den modernen kulturmenschen spielen zu wollen und mit jenen kleidungsstücken, die dem fremden blicke erreichbar sind, anderen die augen auszuwischen, zeigt nicht von vornehmer denkungsart.
Während uns in der oberkleidung eine ganze welt von dem landmann trennt, unterscheidet sich unsere unterkleidung, unsere wäsche in nichts von der des bauern. In Ungarn trägt man dieselben unterhosen wie der csikos, in Wien dieselben, die der niederösterreichische bauer trägt. Was ist es nun, was uns so sehr in der wäsche von den übrigen kulturvölkern trennt?
Es ist die tatsache, daß wir um mindestens 50 jahre hinter dem stadium zurückstehen, das England gegenwärtig der gewirkten wäsche gegen die gewebte wäsche erkämpft hat. In der oberkleidung haben wir ja im laufe dieses jahrhunderts keine großen umwälzungen zu verzeichnen. Um so einschneidender sind sie in der unterkleidung. Vor hundert jahren noch hüllte man sich ganz in leinwand. Im laufe dieses jahrhunderts aber ist man schrittweise daran gegangen, dem wirkwarenerzeuger wieder sein gebiet zurückzuerstatten. Schrittweise ging man vor, das heißt von körperteil zu körperteil. Man begann mit den füßen und ging nach aufwärts. Gegenwärtig gehört dem wirker der ganze unterkörper, während sich der oberkörper noch gefallen lassen muß, daß das trikothemd durch ein leinwandhemd verkleidet wird.
Man begann mit den füßen. Auf diesem standpunkte stehen wir nun auch. Auch wir tragen keine fußlappen mehr, sondern strümpfe. Aber wir tragen noch leinwandunterhosen, einen artikel, der in England und Amerika schon ausgestorben ist.
Wenn ein mann aus den Balkanstaaten, die noch immer fußlappen tragen, nach Wien käme, und er würde eine wäschehandlung aufsuchen, um seine landesübliche fußbekleidung zu kaufen, so würde ihm die unfaßbare mitteilung werden, daß man fußlappen nicht zu kaufen bekommt. Aber auf bestellung könne er sie wohl haben. Ja, was tragen denn die menschen hier? – Fußsocken. – Fußsocken? Das ist ja sehr unbequem. Und zu heiß im sommer. Trägt denn niemand mehr fußlappen? – O ja, die ganz alten leute. Aber die jungen fänden wieder fußlappen unbequem. Der gute mann aus den Balkanstaaten entschließt sich dann schweren herzens, den versuch mit den socken zu machen. Damit hat er eine neue staffel der menschlichen kultur eingenommen.
Philippopel zu Wien verhält sich wie Wien zu New-York. Versuchen wir dort daher – nicht fußlappen, man würde uns gar nicht verstehen – sondern leinwandunterhosen einzukaufen. Ich muß den leser schon bitten, das vorhergehende gespräch noch einmal zu lesen und dafür die worte »mann aus den Balkanstaaten« in »Wiener« und »fußlappen« in »leinwandunterhosen« umzuwandeln. Denn genau so würde sich dasselbe abwickeln. Ich spreche aus eigener erfahrung. Dann hat man das originalgespräch, das durch die fußlappen nur für wiener verhältnisse verständlich gemacht wurde.
Wer die gewebten stoffe bequemer findet als die gewirkten, möge sie nur immer tragen. Denn es wäre ein unsinn, den leuten eine kulturform aufzuoktroyieren, die ihrem innersten wesen nicht entspricht. Tatsache ist, daß dem menschen auf der höhe der kultur die leinwand unbequem wird. Wir müssen also abwarten, bis wir Österreicher auch ihre unbequemlichkeit empfinden. Die zunehmende ausbreitung der leibesübungen, des sports, der aus England kommt, hat auch die damit verbundene abneigung gegen leinwandwäsche zur folge. Auch die gestärkte hemdbrust, kragen und manschetten sind dem sport hinderlich. Die ungestärkte hemdbrust ist die vorläuferin des ungestärkten kragens. Beide haben nur die aufgabe, dem trikothemd und dem flanellhemd die wege zu ebnen.
Die trikotwäsche birgt allerdings eine große gefahr. Eigentlich ist sie nur für leute bestimmt, die sich um ihrer selbst willen waschen. Viele Deutsche aber erblicken in dem anlegen der gewirkten wäsche einen freibrief dafür, sich nicht waschen zu müssen. Kommen doch aus Deutschland alle erfindungen, die das waschen ersparen sollen. Aus Deutschland kam die zelluloidwäsche, die falsche hemdbrust, die krawatte mit angesetzter brust aus demselben stoffe. Aus Deutschland stammt die lehre, daß das waschen der gesundheit nicht zuträglich und daß man ein trikothemd jahrelang tragen könne – so lange es sich die umgebung nicht ernstlich verbietet. Dem Amerikaner ist der Deutsche ohne blühend weiße, aber falsche hemdbrust ganz undenkbar. Das beweist die karikatur des Deutschen, die sich die amerikanischen witzblätter zurechtgelegt haben. Man erkennt den Deutschen an dem zipfel der hemdbrust, der ihm immer bei der weste heraussieht. Nur noch eine zweite klasse von menschen trägt laut der amerikanischen karikatur das falsche vorhemd, der tramp, der landstreicher.
Die falsche hemdbrust bedeutet wahrlich kein symbol engelhafter reinheit. Um so unangenehmer ist es, daß dieses für den kulturzustand eines volkes traurige kleidungsstück in der ausstellung in jener abteilung zu finden ist, in der unsere besten Schneider ausgestellt haben. Das drückt die ganze vornehme exposition.
Ein neuer geschäftstypus: Tailors and outfitters. Der outfitter hält alles auf lager, was zum anzuge des mannes gehört. Seine aufgabe ist keine leichte. Für jeden artikel, den er verkauft, ist er dem käufer dafür verantwortlich, daß er einen vornehmen eindruck hervorruft. Von einem gut geführten modegeschäft kann man verlangen, daß man blind hineingreifen kann, ohne demselben etwas geschmackloses, also unvornehmes entnehmen zu können. Der großen masse darf der outfitter keine konzessionen machen. Die ausrede, daß auch für den andern geschmack gesorgt werden müsse, darf vom geschäfte ersten ranges nie angewendet werden. Er darf sich niemals irren. Ist ihm einmal ein irrtum passiert, so hat er seinen kunden gegenüber die verpflichtung, den betreffenden artikel aus seinem geschäfte zu entfernen. Fürwahr, keine leichte aufgabe. Denn es ist schwer, die führende rolle im modefache zu erwerben, noch schwerer aber, sich in dieser rolle zu erhalten. Und doch wird nur der kleinste teil der waren in seiner werkstatt hergestellt. Er ist vorwiegend händler. Zum gewerbetreibenden verhält er sich ähnlich wie der sammler, der direktor einer gemäldegalerie zum künstler. Auch jenem liegt die verpflichtung ob, aus der fülle des geschaffenen das beste auszuwählen. Das ist geistesarbeit genug, um ein menschendasein auszufüllen.
Man muß diese gedanken aussprechen, wenn man mit anonymen sendungen überschwemmt wird, die gewöhnlich die »verdächtigungen« aussprechen, daß der von mir günstig besprochene seine waren nicht selbst herstellt. Selbst wenn ich in diesem umstande etwas erblicken würde, könnte ich mich doch nicht damit befassen, der provenienz der waren nachzuprüfen. Ich bin kein detektive. Mir ist es gleichgültig, wo sie entstanden sind. Hauptursache ist, daß der geschäftsmann diese waren in dieser ausführung zu liefern imstande ist. Ob er nun eine eigene werkstätte hält oder die arbeit auf einige fremde werkstätten verteilt, ist für die objekte gleichgültig. Denn nur diesen gelten meine besprechungen.
Vorzügliche waren enthält auch die exposition der wirkwarenerzeuger. Nach weißer gewirkter wäsche, der einzig korrekten, kann man aber vergebens umschau halten. Bekanntlich tragen gegenwärtig auch unsere damen weiße, blauweiße strümpfe, oder werden sie diese in Wien vielleicht erst tragen?
Daß man unter den zahlreichen ausstellern für damenmode so viel schon fertig gebundene krawatten findet, ist betrübend. Schon beim manne sehen diese maschen recht gewöhnlich aus. Die halsbinde, die vorne einen knoten oder schleife zeigt, hinten zusammengehalten wird, gehört in die rubrik der papierwäsche und similibrillanten. Ganz schweigen will ich von jenen doppelt um den hals gewundenen krawatten, die diesen schönen effekt mit hilfe eines mit seidenstoff überzogenen stückes pappendeckel und einiger »patente« zu erreichen suchen, den favorithalsbinden unserer vorstadtelegants. Daß aber unsere wiener mädchen und frauen sich solcher surrogate für das binden einer schleife bedienen, zeigt, daß der oft gerühmte wiener chic im aussterben begriffen ist. Ich wünschte mir ein geschäft in Wien, dessen besitzer jedem, der nach fertigen krawatten fragen sollte, stolz antworten könnte: Fertige krawatten? Nein! Die führen wir nicht!
2. Oktober 1898
Man kann die interieurs, die in unserer Jubiläums-Ausstellung zu sehen sind, in drei kategorien einteilen. Die erste bemüht sich, alte möbel so getreu als möglich zu kopieren, die zweite will modern sein, und die dritte versucht es, alte möbel für neue bedürfnisse umzuändern.
Für heute will ich mich mit der ersten kategorie befassen. Die zweite habe ich bereits in den aufsätzen über das Otto-Wagner-Zimmer des längeren gewürdigt, die übrigen räume sollen das nächstemal beschrieben werden. Über die dritte kategorie aber muß ich mit stillschweigen hinweggehen.
Ich glaube, daß man einem toten meister, wenn nicht verehrung, so doch so viel achtung entgegenbringen kann, daß man seine werke unangetastet läßt. Es wäre eine entwürdigung, begangen an den manen Rafaels, wenn man eine kopie der Sixtinischen Madonna in der weise anfertigen würde, daß man den grünen vorhang rubensrot ummalen, die beiden engel mit anderen köpfen versehen und an stelle des heiligen Sixtus und der heiligen Barbara den heiligen Aloisius und die heilige Ursula setzen würde. Nur nicht übertreiben, höre ich den tischler sagen. Gewiß, das wird man nicht machen. Rafael war ein maler. Aber bei einer tischlerarbeit ...
Die großen tischler der Renaissance und der Barocke sollten aber von ihren epigonen geradeso in ehren gehalten werden, wie es unsere maler mit ihren alten meistern tun. Das erfordert die standesehre. Man kann neues malen und tischlern, man kann altes kopieren, streng kopieren, so streng, als es unserer zeit möglich ist, bis zum aufgeben der eigenen persönlichkeit, aber denjenigen, die sich an den alten wissentlich vergreifen, sei ein energisches » hands off!« zugerufen.
Man wird einwenden, daß es nicht gut getan ist, auch das zu kopieren, was den alten meistern anders zu machen nicht möglich war. Das glas ist schlecht und besteht nur aus kleinen stücken. Sicherlich hätte der große meister, wenn ihm unsere hochentwickelte glasindustrie zur verfügung gestanden wäre, davon gebrauch gemacht.
Gewiß hätte er das. Dann aber hätte er auch einen anderen vorwurf für ein glasgemälde gewählt, dann hätte er auch einen andern entwurf angefertigt. Stets hat man mit diesen vermeintlichen verbesserungen schiffbruch gelitten. Diese figuren und diese anordnung passen nur für dieses material, und falls man ein modernes glas anwenden würde, müßte man auch moderne figuren zeichnen. Mißfällt einem etwas an dem alten meister, dann lasse man ihn ganz in ruhe. Größenwahn ist es aber, ihn verbessern zu wollen.
Man wird es in manchen kreisen nicht gerne sehen, daß ich dem kopieren das wort rede. Andere jahrhunderte haben auch nicht kopiert. Das ist nur unserer zeit vorbehalten gewesen. Das kopieren, das nachahmen alter stilformen ist aber eine folge unserer sozialen verhältnisse, die mit jenen der vorigen jahrhunderte nichts gemein hatten.
Die französische revolution hat den bürger frei gemacht. Nichts konnte ihn davon abhalten, geld zu erwerben und von dem gelde jeden beliebigen gebrauch zu machen. Er konnte denselben gebrauch davon machen, wie der adelige, ja der könig sogar. Er konnte in goldenen kutschen fahren, seidenstrümpfe tragen und schlösser kaufen. Warum sollte er das nicht? Das war sogar seine pflicht. Es gibt leute, die noch nach dem ancien régime gravitieren. Allerdings, sagen sie, habe ich jetzt das recht, mich wie der Prinz von Wales anzuziehen. Aber ich bin kein königssohn. Ich bin nur ein einfacher bürgersmann. Nein, lieber bürgersmann, du hast nicht nur das recht, sondern du hast auch die pflicht, dich wie der Prinz von Wales anzuziehen. Gedenke, daß du ein enkel bist. Dein urgroßvater und dein vater haben gekämpft, vielleicht ihr blut vergossen. Ein könig und eine kaiserintochter mußten ihr haupt für diese idee auf das schafott legen. Nun ist es an dir, von dem erkämpften den richtigen gebrauch zu machen.
Wie sich der prinz anzog, hatte unser bürgertum bald heraus. Denn kleider nützen sich bald ab, und wenn die alten unbrauchbar sind, bestellt man neue. Da war es nun ein leichtes, zu demselben schneider zu gehen und ihm zu sagen: Repete! Anders war es aber mit dem wohnen. Der hochadel und das königtum besaßen einen solchen überfluß an alten möbeln, daß sie auf einige zeit, auf jahrhunderte hinaus, versorgt waren. Wozu sollte man auch aus purer neuerungssucht das geld zum fenster hinauswerfen? Im gegenteil, man freute sich des alten besitzes, durch den man sich von dem reich gewordenen bürgertum distinguierte. Denn das hatte damals, als man noch das heft in der hand hielt, nicht die mittel, sich derartiges anzuschaffen. Unbewohnte festräume, also richtige möbelmagazine, hatte es nicht. Der bürger brauchte seine möbel auf. Wollte er sich nun mit denselben sachen umgeben, so war er gezwungen, kopien davon anfertigen zu lassen.
Das ist kein fehler. Es mag parvenümäßig sein, aber es ist die vornehmheit am parvenü. Der wunsch, sich mit kopien oder abbildungen alter kulturerzeugnisse zu umgeben, die einem wohlgefallen, deren originale aber einem unerreichbar sind, ist sicherlich sehr menschlich. Die photographie eines alten bauwerkes, der abguß eines bildwerkes, die kopie eines Tizian werden imstande sein, einem die glücklichen empfindungen zurückzurufen, die man bei der betrachtung der originale empfunden hat.
Man erinnert sich des kampfes, den Sandor Jaray im vorjahre mit dem direktor unseres Kunstgewerbe-Museums, hofrat v. Scala, ausgefochten hatte. Wenn man aber die exposition Jaray betrachtet, so fragt man sich erstaunt: Wozu der lärm! Hofrat v. Scala hat sich mit seinen fundamentalgrundsätzen die gegnerschaft der jetzigen machthaber in der Kunstgewerbeschule und der kunstgewerbevereine zugezogen. Der erste grundsatz, den ich eingangs durchgeführt habe und nach dem nun in allen kulturländern gearbeitet wird, lautet: Kopieren, aber streng kopieren. Der zweite lautet: Für den modernen möbelbau ist der englische tonangebend. Beides wird in den genannten lagern auf das energischeste bekämpft. Man glaubt dort noch immer im geiste einer anderen zeit neues schaffen zu können. Man fühlt dort nicht, daß der gothische gaskandelaber genau so ein nonsens ist, wie die gothische lokomotive. Der zweite grundsatz aber, offenbar weil in ihm das wort englisch vorkommt, wirkt wie ein rotes tuch.
Sehen wir zu, wie Sandor Jaray Hrn. v. Scala durch die tat bekämpft. Er stellt einen salon im stile Ludwigs XV. aus, ein speisezimmer in italienischer Barocke, einen salon im – nach Ilg – »Maria-Theresia-Stil«, einen salon in Empire, alles getreue kopien, und nun kommt das moderne, ein – horribile dictu – englisches herrenzimmer. Man sieht also, daß Sandor Jaray Kunstgewerbeverein predigt, aber hofrat v. Scala trinkt.
Gegen den theoretiker Jaray mußte ich mich einmal in scharfen worten äußern, für den praktiker Jaray fehlen mir die worte des lobes. Man kann getrost sagen: Noch nie hat ein wiener gewerbetreibender in allen stücken, sowohl der qualität als der quantität, vollendeteres geboten. Gewiß ist die quantität sehr bemerkenswert, denn es gehört eine eminente arbeitskraft und leistungsfähigkeit dazu, außer laufenden geschäften eine solche anzahl mustergültiger objekte zum gleichen termin fertigzustellen. Was die wiener kunstindustrie an bedeutenden dekorativen talenten aufzuweisen hat, wurde herangezogen, um das speisezimmer auszugestalten. Wir sehen sopraporten von Matsch, einen kamin von Schimkowitz und reliefs von Zelezny. Wohin auch das auge fällt, es sieht keinen fehler. Alles ist strenge kopie, streng im geiste der zeit. Und das ist eine kunst, eine ganz bedeutende kunst. Denn es ist viel leichter, eine neue Madonna in rafaelischer manier hinzumalen, als der Sixtinischen gerecht zu werden.
Bernhard Ludwig hat außer drei modernen räumen einen salon, die kopie eines raumes im fürstbischöflichen schloß zu Würzburg ausgestellt. Wände, plafond und möbel sind im grünen Vernis Martin hergestellt. Das ist ein reizender effekt, den sich allerdings nur leute gestatten können, die dazu einen roten salon bauen, um schnell, wenn es nötig sein sollte – und es wird nötig sein – als antidoton einige minuten aufenthalt in demselben zu nehmen.
J. W. Müller zeigt ein herrenzimmer in deutscher Renaissance. Wie anheimelnd, wie gediegen! An liebevoller tüchtiger tischlerarbeit sucht es seinesgleichen. Welche achtung vor dem können des alten meisters offenbart sich in jeder linie, jedem beschlage! Nichts wurde geändert, selbst die alten deutschen »unschönen« verhältnisse, wohl die härteste probe auf das empfinden eines modernen menschen, wurden beibehalten. Recht so. Denn hier heißt es entweder – oder. Wie schön! Wie herrlich! Der moderne, tüchtige wiener meister, der dem alten kollegen aus dem XVI. jahrhunderte zum siege verhilft. Wie sagt doch Hans Sachs mit Richard Wagner? Ehrt eure deutschen meister, dann bannt ihr gute geister. Nun wissen wir: Sandor Jaray, Bernhard Ludwig und J. W. Müller sind gute geisterbanner.
9. Oktober 1898
Auch solche gibt es in der ausstellung. Möbel, die ganz »stillos« sind, möbel, die in keinem ehemaligen stile unterzubringen sind. Sie sind weder ägyptisch noch griechisch, weder romanisch noch gothisch, weder aus der Renaissance noch der Barockzeit. Jedermann sieht es ihnen auf den ersten blick an: Das sind möbel aus dem jahre 1898.
Das ist ein stil, der sich nicht lange halten wird. Das soll er auch gar nicht. Nur ein jahr lang dauert seine herrschaft. Dann kommt der stil vom jahre 1899 daran, der wieder ganz anders aussehen wird. Uns wird das nicht so recht zum bewußtsein kommen, aber die museumsdirektoren der nächsten jahrhunderte werden es schon herausfinden und richtig etikettieren.
Es gibt leute, die es sehr bedauerlich finden, daß sich unser stil nicht lange halten wird. Die gehören nach China. Dort hält sich alles jahrtausende lang. Die anderen kennen aber nur eine lust im leben, es besser zu machen als der andere. Da ergeben sich die neuen formen von selbst.
Sandor Jaray und Müller segeln noch unter fremder flagge. Sie nennen ihre modernen räume englisch. Hoftischler Müllers reizendes kabinett ist es auch. Man kann stimmen hören, die so etwas unpatriotisch finden. Wir haben bisher nun alle völker und zeiten nachgeahmt. Wir waren zufrieden, wenn unsere tischler holländisch, französisch, italienisch und spanisch arbeiteten. Die Mauren, Perser, Inder und Chinesen haben wir bis aufs i-tüpferl kopiert und waren auf die unterschiedlichen japanischen boudoirs nicht wenig stolz. Nun frage ich: Warum um alles in der welt bekommen wir nervenanfälle, wenn es sich um englische räume handelt? Was ist's mit den Engländern? Warum machen wir bei ihnen eine ausnahme?
Das zimmer von J. W. Müller ist aber auch in anderer beziehung sehr bemerkenswert. Es zeigt uns, daß man mit billigen mitteln eine neue und originelle wirkung erzielen kann. Reiche arbeit ist gewiß eine sehr gute sache. Man vergesse aber nicht, daß unsere kunstgewerbetreibenden nicht nur für millionäre, sondern auch für alle anderen zu sorgen haben. Einfache möbel wurden ja in den letzten jahrzehnten auch von unseren ersten firmen hergestellt. Nur stellte man sie nie aus und tat so, als ob man sich ihrer schäme. Und als hofrat v. Scala in der Weihnachtsausstellung auch einfache möbel zur schau stellte, da ging ein sturm der entrüstung durch unsere gewerbewelt. Es wäre aber besser, wenn diese mit unserem mittelstande auf den ausstellungen mehr fühlung nehmen würde, als es bisher geschehen ist. Dann würde sie am besten ihren gefährlichsten feind bekämpfen können, die imitation. Denn nicht der glaser, der glatte, farblose fenster einschneidet, ist der feind des glasmalers, sondern der diaphanien-papierfabrikant; nicht der tischler, der glatte möbel erzeugt, ist der feind des holzbildhauers, sondern der sägespäneleim-ornamentenpresser.
Sandor Jarays englisches zimmer ist nicht englisch. Ein persischer teppich im zimmer macht es noch nicht zu einem persischen. Ein japanischer paravent und einige dazugehörige nippes machen ein zimmer noch nicht japanisch. Eine dame von altem englischen adel, die ich in die Jaray-Exposition führte, erkannte sofort sämtliche stilperioden. » This is Louis XVI., this Italian, this Rococo, this Empire! But what is that?« – » That is english«, antwortete ich.
Das zimmer ist sicherlich nicht englisch. Das ist aber kein fehler. Es ist wienerisch. Alles atmet liebenswürdigkeit und eleganz. Uns kommt's nur so englisch vor, weil eine menge von englischen formen darin verwendet wurde. Das ist freudig zu begrüßen. Man verwerte alle anregungen, die von draußen kommen. Das haben die deutschen renaissancemeister auch getan. Nur die toten lasse man in ruh.
Den stolz und den mittelpunkt der Bernhard Ludwig'schen ausstellung bildet das speisezimmer, ein raum, von dem der wiener möbelindustrie eine neue aera entsprießen wird. Was macht das zimmer so bedeutend? Daß der größte ornamentale holzbildhauer unserer zeit ihm den dekorativen schmuck verliehen hat.
Es ist ein merkwürdiges zimmer. Es ist die wiege dieses größten aller lebenden holzschneider. Vor diesem zimmer wußte es noch keiner, auch er selbst nicht. Als Bernhard Ludwig den plan faßte – es war sechs wochen vor der eröffnung der ausstellung – ein speisezimmer aus eichenholz mit holzschnitzereien anzufertigen, war er sich der tragweite seines besinnens noch nicht bewußt. Dieser bildhauer, Franz Zelezny ist sein name, war ihm als tüchtiger mann wohl bekannt. Zelezny hatte bisher den ruf, die beste, stilvollste arbeit zu liefern. Aber Bernhard Ludwig wollte es anders. Er zeichnete nur die reine tischlerarbeit und ließ den platz für die ornamente frei. »Hier, lieber Zelezny, machen sie mir etwas hinein.« – »In welchem stil?« – »In ihrem stil!«
In seinem stil! Wie das dem manne ins herz und mark ging. In seinem eigenen stile, so wie er sichs stets erdacht, erträumt und ausgemalt hatte, während er, der künstler, die banausenarbeit des möbelzeichners in form umwandeln mußte. Sollte es also doch dazu kommen! Und er begann. Anfangs ängstlich, nicht ganz auf seine bärenkraft vertrauend, wurde er schritt für schritt stärker und freier. Was Gothik, was Rokoko; hier ist die natur und nun d'rauf los!
Hier ist die natur und nun stilisiere, wird in der schule gelehrt. O über diese stilisierenden kunstgewerbeprofessoren! Da gibt einer ein werk heraus mit stilisierten pflanzen und tieren. Fragt man ihn, für welches material alle diese sachen stilisiert sind, so erhält man zur antwort: Ja, die kann man ganz nach belieben verwenden.
Das ist natürlich ein unsinn. Ein stilisieren nach dem sinne der zeichenlehrer gibt es nicht. Der zeichenlehrer kann allerdings stilisieren, aber nur für das reißbrett, für die fläche. Er kann ein tier, eine pflanze, einen gegenstand auf die ebene bringen. Das geht natürlich nicht so leicht. Er muß striche machen, die nicht in der natur enthalten sind, andere striche wieder auslassen. Trotzdem kann er, insbesondere, wenn er sich des pinsels und der leinwand bedient und zum maler wird, der natur am weitesten beikommen.
Das will jeder handwerker, jeder künstler. Der steinmetz im Mittelalter fing sich einen salamander. Warte, kerl, dich haue ich in stein aus. Als wasserspeier. Und er hieb drauf los. Sieh' her, bruder maler, wie fein ich das abporträtiert habe. Ist es nicht der salamander, wie er leibt und lebt?
Der bruder maler schüttelte das haupt. In bezug auf das sehen hatte er mehr übung. Das ist ja leicht begreiflich. Während der steinmetz sein auge nur ausnahmsweise zum vergleichen mit der natur gebrauchte, während er sich das gehirn damit zermarterte, dem gerechten steinmetzgrunde einen neuen grundriß abzuringen, einen neuen vierpaß innerhalb der regel und des gesetzes zu erfinden, während ihm die Rochlitzer Sezession zu denken gab, jene ungetreue hütte, die abtrünnig wurde vom alten steinmetzbrauche, hatte der maler nur eine arbeit zeit seines lebens zu überdenken: Hinter die geheimnisvollen formen der natur zu kommen, formen, die doch jeder sah und die doch niemand zu papier bringen konnte.
Der bruder maler schüttelte das haupt. »Aber lieber bruder steinmetz,« redete er, »du bist im argen wahne, wenn du glaubst, daß dein werk mit dem tier auch nur die geringste ähnlichkeit hat. Sieh doch die vorderbeine! Die sind viel zu lang. Und hier der hals, und hier, und hier ...«
Der steinmetz wurde böse. Ja, wie soll sich denn das tier auf die fiale aufstützen, wenn man ihm nicht die vorderbeine länger macht. Für alles hatte er eine entschuldigung oder er gab dem maler unrecht. Er hatte recht. So sah er's und so war es auch.
Man bedenke nur. Der mann hat seit dem vierzehnten jahre täglich zwölf stunden in der hütte gearbeitet. Was wunder, daß er die welt anders sah, als der maler. Wenn man zeit seines lebens immer nur in stein arbeitet, da beginnt man steinern zu denken und steinern zu sehen. Der mann hat ein steinernes auge, das alle dinge versteinert. Der mann hat eine steinerne hand bekommen, eine hand, die alles von selbst in stein umwandelt. Unter seinem blicke, unter seiner hand erhält das akanthus-, das rebenblatt ein anderes aussehen, als unter dem blicke, der hand des goldschmiedes. Denn dieser sieht alles golden. Und je höher der meister steigt, desto mehr verliert er das, was ihm von der werkstatt anhaftet. Er kommt der natur immer näher und näher, bis er endlich die werkstatt überwunden hat. Die gräser, farne, käfer, schmetterlinge und eidechsen am Rothschild'schen aufsatze von Wenzel Jamnitzer gleichen naturabgüssen. Und so stellt sich die arbeit des handwerkers und künstlers als ein großer kampf zwischen material und natur dar. Der zeichenlehrer aber lehrt: Hauptsache ist das stilisieren. Die regeln dafür werde ich in der nächsten stunde vortragen.
Zelezny hat nicht stilisiert. Er ist der meister mit dem blick, der hand, dem alles in holz sich formt, der künstler, der nicht erst seine blumen und blätter auf dem reißbrett verstümmelt. Er schafft direkt in holz, und dadurch erhält sein ornament jene frische und jenes selbstbewußtsein, das allen werken des genius eigen ist. Leute, die sich an geleckter tüftlerarbeit ergötzen, wird er nicht zu freunden werben. Das ist nicht die sklavenarbeit der Antike, die imstande war, ein und dasselbe ornament, perlenschnur und eierstab, kilometerweise zu liefern; das ist die arbeit des freien arbeiters aus dem ende des neunzehnten jahrhunderts, der aus freude an der eigenen arbeit schafft, schnell schafft und viel schafft.
23. oktober 1898
Hier steht ein sessel. Der sessel ist das kunstprodukt an und für sich. Wenn ich den sessel male, so ist dieser gemalte sessel nur die abbildung dieses kunstproduktes, also das kunstwerk aus zweiter hand.
Versuchen wir dasselbe beispiel auf buchstaben anzuwenden. Buchstaben können in stein gemeißelt, in bronze gegossen, mit der feder hingeschrieben werden. Man kann mit hilfe von licht und schatten und der perspektive, die stein- und bronzebuchstaben zu papier bringen. Das sind aber nur abbildungen von buchstaben, nicht die buchstaben selbst. Die buchstaben für das papier haben keine andere stärke als die der druckerschwärze.
Buchstabe A ist das kunstprodukt aus erster hand, der buchstabe an und für sich.
Es gibt tischler, denen es freude macht, möbel zu verfertigen, die nur für vorlagenwerke taugen. Und so gibt es auch buchdrucker, die ihren stolz dareinsetzen, abbildungen von geschriebenen, gemeißelten und gegossenen worten zu schaffen. Da werden typen gewählt, die prachtvolle schatten werfen, und die ganze arbeit muß schließlich nochmals dadurch herausgehoben werden, daß man das ganze auf eine tafel setzt, welchen effekt man durch einen rechts und unten angebrachten schattenstrich hervorruft. Aber auch damit begnügt man sich nicht. Man versucht auch, buchdruckerarbeit nachzubilden. Und da wird entweder ein blatt papier mit der stecknadel angeheftet, dort das papier scheinbar aufgerissen und etwas durchgesteckt, hier wieder ein eselsohr hineingeknickt. Da wird ein kartenblatt schief gestellt, so daß die buchstaben perspektivisch immer kleiner und kleiner werden müssen, dort wirft dieses nachgebildete blatt gar schatten auf das wirkliche papier. Das sind kunstwerke aus zweiter hand.
Der richtige buchdrucker will aber nicht druckarbeiten nachbilden, sondern will selbst der schöpfer neuer werke werden. Wenn daher von buchdruckerarbeiten gesprochen wird, wird natürlich nur von diesen die rede sein können. Verschwiegen darf hier nicht werden, daß es sogar typen gibt, die gezeichnete, lithografierte und geschriebene buchstaben nachahmen. Diese gehören in das kapitel der imitation.
In neuerer zeit wurde den künstlern durch die große verbreitung des plakats eine neue aufgabe gestellt. Es galt, das schwierige problem zu lösen, wie buchstaben, richtige buchdruckerbuchstaben, mit abbildungen so vereinigt werden könnten, daß sie zusammen ein vollendetes kunstwerk darstellen.
Die arbeit war nicht leicht. Die vereinigung zweier verschiedener stile aus dem gebiete der graphischen kunst ist unmöglich. Man denke sich den effekt aus, den beispielsweise eine alpenlandschaft in der gewöhnlichen ölfarbenmanier hervorrufen würde, wenn man in den blauen äther oder in den grünen see mit gewöhnlicher druckschrift die worte hineinbringen würde: »Alpenkräutersekt ist der beste!« Man braucht es gar nicht zu denken, man kann es ohnedies häufig wirklich sehen.
Da galt es nun, sich in der bildlichen darstellung den buchstaben anzuschließen. Die lithographen hatten es leicht. Cheret, der lithograph, hatte sie gelehrt, lithografierte menschen zu zeichnen. Aber für die buchdrucker war nicht gesorgt. Wer sollte es auch? Der mann, der das neue, das niedagewesene schaffen sollte, konnte nur ein buchdrucker sein. Der mann mußte nur in druckerschwärze denken können, die ganze welt sollte ihm wie ein großes stück papier vorkommen, auf das der liebe herrgott mensch und vieh, hof und haus, baum und berg, himmel und stein hinaufgedruckt hat. Einer, der ohne zu spekulieren, ohne zu spintisieren, vollständig naiv und aus innerstem drange heraus gedruckte menschen schaffen konnte, menschen aus druckerschwärze, menschen, von denen man nie annehmen würde, daß sie ihr papier verlassen könnten, menschen, von denen niemand das verlangen trägt zu wissen, wie sie von der seite oder von hinten aussehen würden. Wie würde der zeichenlehrer sagen? Stilisierte menschen.
Dieser buchdrucker kam. Es ist Bradley, der Amerikaner, der nun in Springfield, Massachusetts, lebt. Er ist das prototyp des stolzen, starren schriftsetzers, der mit dem gedruckten buchstaben nicht zeichnerkunststücke aufführen läßt. Bei ihm gibts keine mätzchen, keine typen, die sich über die anderen erheben. Seine buchstaben springen nie herum. In der offizin wurde ja stets strenge darauf gesehen, daß die lettern eine mathematische gerade bilden. Das setzt sich fest. Luftperspektive, also den wechsel des farbtones bei zunehmender entfernung innerhalb einer farbfläche kennt er nicht. Hier hört ein farbton auf, hier setzt der andere an. Er sieht sehr primitiv. Er sieht nur zwei farben und die farblosigkeit, die für ihn weißes papier bedeutet. Denn mit zwei »buchdruckfarben« muß er auskommen. Aber mit diesen zwei tönen wirkt er stärker, als unsere maler mit ihrem neunfarbendruck. Seine welt ist klein, klein, wie es die welt des handwerkes schon einmal ist. Aber in dieser welt ist er könig.
Unsere wiener drucker haben keine herrschergelüste. Sie haben sich das szepter vom maler und architekten entreißen lassen, die natürlich in ihrer art damit umgehen. Buchdruckerarbeit können sie nicht liefern, gerade so gut wie ein maler wohl einen schuh malen, aber niemals machen kann. Denn, glaubt mir, die schusterarbeit ist gerade so schwer oder leicht zu erlernen, wie die anderen gewerbe alle. Der einzige grund, warum uns die maler noch keine schuhe machen, nachdem sie sich doch schon bald aller werkstätten bemächtigt haben, ist, daß unsere füße empfindlicher sind, als unsere augen. Die halten einiges aus.
Es war nicht immer so. Als die menschen noch zartere augen hatten, da verlangte man auch, daß man im lesen und denken nicht durch schlechten druck und schlechtes papier gequält werde. Man gab dem buche nach rechts, links und unten eine angemessene breite weißen papieres, damit die finger, mit denen man das buch gefaßt hatte, sich in entsprechender entfernung aufhielten. Heute muß man mitten in den druck hineintappen. Nur ein druckwerk, das gegenwärtig aus einer österreichischen offizin herausgeht, kann sich mit den besten arbeiten aller zeiten messen. Es ist die vom Österreichischen Museum herausgegebene monatsschrift »Kunst und Kunsthandwerk«, die in der Hof- und Staatsdruckerei gedruckt und von Artaria verlegt wird, the finest periodical of the world, wie ich sie schon einmal genannt habe.
Leute, die alles von einem guten buche verlangen, was man von einem guten buche verlangen kann, werden bei uns selten auf ihre rechnung kommen. Das ist um so mehr zu bedauern, als die technische leistungsfähigkeit der wiener firmen auf graphischem gebiete in Europa unerreichbar ist. Wo gibt es auf der welt eine firma wie Angerer & Göschl, von deren wichtigkeit man erst im auslande kenntnis erhält? Wir haben uns zu sehr an sie gewöhnt. Oder wer kennt nicht in England und Amerika die farbenholzschnitte der engel von Fra Angelico da Fiesole, die dort erst den Prä-Rafaelismus zur popularität gebracht haben? Erzeugt aber werden sie in Wien. Den fix und fertigen Prä-Rafaelismus beziehen wir dann aus England.
Unter den druckern ragt vor allem die druckerei von Adolph Holzhausen hervor, die allerdings nur wissenschaftliche werke druckt und auf diese weise die schwierigkeit der belletristischen literatur leicht umschifft. Denn das ist merkwürdig: Die wissenschaftlichen werke repräsentieren sich fast alle tüchtig und vornehm, während die schöne literatur sich alle möglichen Verunstaltungen gefallen lassen muß.