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Wochenschrift »Die Zeit«

30. Oktober 1897

 

Schulausstellung der Kunstgewerbeschule

Die schule des Österreichischen Museums, unsere Kunstgewerbeschule, stellt seit dem 9. d. m. die leistungen des letzten schuljahres aus. Man sieht wieder die gewohnten arbeiten, ausgeführt mit gewohnter präzision und in den tagesblättern erhebt sich der gewohnte beifall. Und wirklich, wenn man in den soliden italienischen räumen Ferstels die stilleben, blumenstücke, akte, heiligenbilder, szenen à la Tadema, porträts, statuen, reliefs, holzschnitte, zeichnungen für möbelpublikationen u. a. betrachtet, dann müßte auch der strengste beobachter sagen: Hier ist viel geleistet worden.

Die malerei, die bildhauerei und die graphischen künste besitzen an der schule am Stubenring so eine art akademie zweiter güte. Unserer kunsthochschule am Schillerplatz wird konkurrenz gemacht und wenn auch die leistungen der anstalt wegen kürze der studienzeit nicht einzuholen sind, so wird doch im edlen wettstreit manches erreicht. Am Schillerplatz kommt man dadurch rascher zur erkenntnis, daß es doch notwendig ist aus dem stillstand aufzuwachen und am Stubenring erzeugt man künstler zweiten ranges.

Dagegen, glaubt man vielleicht, sollte niemand etwas einzuwenden haben. Das ist falsch. Denn es gibt etwas, auf dessen kosten dieses preislaufen stattfindet. Und das ist das gewerbe, das handwerk.

Sagen wir es gerade heraus: Durch ein solches gebaren wird das kunstgewerbe direkt betrogen. Die kleine summe, die laut dem budget für das unterrichtsministerium, dem kunstgewerblichen Unterricht zugewiesen ist, geht da seinem zwecke vollständig verloren. Wir Österreicher, die in dieser beziehung wegen der unzureichenden mittel von kleinlichster sparsamkeit sein sollten, lassen unser kunsthandwerk auf kosten der »großen kunst« hungern und darben.

Dieses unrecht wird schon seit jahrzehnten begangen, ohne daß sich ein anwalt für das betrogene handwerk gefunden hätte. Für unsere kunstgewerbetreibenden ist es ja schon lange kein geheimnis mehr: Die kräfte, die aus dieser anstalt hervorgehen, sind für die werkstatt, für das leben, für das publikum unbrauchbar. Vollgepfropft mit falschen ideen, ohne kenntnis des materials, ohne feingefühl für das vornehme und kommende, ohne kenntnis der gegenwärtigen strömungen, helfen sie entweder die große zahl der kleinen maler und bildhauer vermehren, oder holen dann im auslande, wenn genügende assimilationsfähigkeit vorhanden ist, das fehlende ihrer künstlerischen erziehung nach. Dann sind sie eben für uns verloren. Wir selbst können sie nicht in die schule nehmen, dazu fehlt uns die kraft. Im gegenteil! Wir erwarten von dieser anstalt den anstoß, der uns ins rollen bringen soll.

Wir sind lange stillgestanden und stehen noch still. Die ganze welt ist im kunstgewerblichen während des letzten dezenniums unter der führung Englands mutig marschiert. Die distanz zwischen uns und den anderen wird immer größer und größer, und es ist höchste zeit, daß wir den anschluß nicht verpassen. Selbst Deutschland hat sich im laufschritt hinterher gemacht und wird den sieghaften zug bald erreichen. Welch neues leben im auslande. Die maler, die bildhauer, die architekten verlassen ihre bequemen ateliers, hängen die liebe kunst an den nagel und stellen sich an den amboß, an den webstuhl, an die drehscheibe, den brennofen und die hobelbank! Weg mit aller zeichnerei, weg mit der papierenen kunst! Nun gilt es dem leben, den gewohnheiten, der bequemlichkeit, der brauchbarkeit, neue formen und neue linien abzugewinnen! Drauf und dran, gesellen, die kunst ist etwas, was überwunden werden muß.

Angesichts dieser stets wachsenden begeisterung für die gute gewerbliche bewegung, müssen wir es tief bedauern, daß unsere künstlerische jugend halb teilnahmslos zur seite steht. Selbst diejenigen, die berufen wären, kokettieren, wie wir gesehen haben, mit den absoluten künsten. Das umgekehrte, daß die künstler auf das handwerk zurückgehen, ist natürlich schon gar nicht der fall. Sollte denn wirklich so wenig begeisterungsfähigkeit in unseren jungen stecken?

Aus den wenigen arbeiten in der ausstellung, die sich auf die angewandte kunst beziehen, können wir uns eine antwort auf diese frage schon geben. Es ist, als ob dem schüler zu gunsten eines starren dogmas die eigene seele aus dem körper hinausgezeichnet, korrigiert, konstruiert, modelliert und doziert worden wäre. Die natur wird studiert – aber ohne erfolg. Denn dieses studium ist doch für das kunstgewerbe nur mittel zum zweck. Der zweck, der erreicht werden soll, ist aber der, das in der natur vorhandene zu stilisieren, oder besser gesagt, dem material, aus dem es gebildet werden soll, dienstbar zu machen. Dazu fehlt aber in der schule der mut und die kraft, sowie die materialkenntnis. Das dogma aber, an dem diese schule zugrunde gehen muß, ist die ansicht, daß unser kunsthandwerk von oben herab, von ateliers aus reformiert werden soll. Revolutionen aber kommen immer von unten. Und dieses »unten« ist die werkstatt.

Bei uns herrscht noch die ansicht, daß nur dem der entwurf eines stuhles zugetraut werden kann, der die fünf säulenordnungen in- und auswendig kennt. Ich glaube, ein solcher mann müßte vor allem anderen etwas vom sitzen verstehen. Denn von einer falschen säulenordnung kann man für den zu komponierenden stuhl sicherlich nichts profitieren. Ich spiele hier auf die entasis einer dorischen Ordnung an, die gleich einer jonischen säule konstruiert ist. Das ist doch etwas, was dem dorischen geiste direkt ins gesicht schlägt. Gehen wir aber weiter. Die modellzeichner, die als Zeichner publizistischer werke hervorragendes leisten, eine tätigkeit haben, die doch sicherlich zur graphischen kunst gerechnet werden muß, versagen vollständig, sobald es sich um eigene entwürfe handelt. Unkenntnis des materials bei den naturdetails – man beobachte nur die untischlerische profilierung – und ödes kopieren, spranzen nennt es der fachmann, in den dekorativen Zeichnungen zu innenräumen, sind die gemeinsamen merkmale aller drei spezialateliers unserer schule.

Den lehrer kann dabei kein vorwurf treffen: Es ist der geist, der über der ganzen anstalt schwebt.

Man müßte das gesagte nur wiederholen, wenn man auf die dekorative malerei zu sprechen käme. Auch hier tüchtige arbeiten, solange die malerei allein das wort hat. Auf das gewerbe angewendet, verpuffen die besten zeichnungen. Naturalistisch gezeichnete kürbisse, um ein beispiel herauszuheben, fein säuberlich und recht plastisch schattiert – tun's nicht. Besonders, wenn sie gar als wandfriestapete unter dem plafond gedacht sind, so daß man in einem solchen unglückszimmer nicht stark aufzutreten wagt: Denn schließlich könnten sie einem auf den kopf fallen. Für die aufrechterhaltung dieser illusion bürgt die tüchtige zeichnung. Man könnte blatt für blatt auf diese weise durchgehen, aber dieses eine beispiel wird wohl von der Gedankenlosigkeit, die nur so weit sieht als das reißbrett reicht, hinlänglich Zeugnis geben.

Wir können uns der hoffnung hingeben, daß dies die letzte derartige ausstellung gewesen ist. Dem kunsthandwerk wird wohl endlich gegeben werden, was des handwerks ist. Mit dem neuen direktor, hofrat v. Scala, ist ein neuer geist in das haus gezogen. Möge dieser geist stark und rücksichtslos genug sein, dem alten genius gegenüber den hausherrn zu spielen. Das österreichische handwerk erwartet das.

 

18. dezember 1897

Weihnachtsausstellung im Österreichischen Museum

Bürgerlicher Hausrat – Das Leflerzimmer

Man kann es nicht leugnen: die Sammlung von kopien alter möbel, die jetzt im Österreichischen Museum zu sehen ist, hat sensation gemacht. Sie bildet das tagesgespräch. Man dünkt sich in die besten zeiten des österreichischen kunstgewerbes zurückversetzt; damals als Wien in der gewerblichen kunst im ersten treffen stand, damals als noch der unvergessene Eitelberger das regiment am Stubenring führte, kann die teilnahme des publikums an der schmückenden kunst kaum größer gewesen sein. Man liest wieder die berichte der tagesblätter über die neuen pfade und wege, man debattiert, man streitet. Ja noch mehr, man geht wieder in die weihnachtsausstellung hinein.

Was ist nun eigentlich geschehen? Das Österreichische Museum hat einen neuen direktor erhalten und dieser neue direktor hat uns ein neues gebiet eröffnet. Er hätte dem modernen stil eingang verschafft, sagen die einen. Er hätte den anglizismus eingeführt, sagen die zweiten. Er betone das praktische im gebrauchsgegenstande, sagen die dritten. Wer hat nun recht? Eigentlich alle. Aber das richtige wort haben sie nicht gefunden. Er hat, so sage ich, den bürgerlichen hausrat entdeckt.

Ich weiß, daß diese erklärung allgemeines kopfschütteln hervorrufen wird. Haben wir nicht die besten gegenstände aller zeiten und wessen stände sie immer angehörten, gesammelt, in den museen aufbewahrt und studiert; haben wir nicht die besten bürgerlichen stücke der Gothik, der Renaissance, der Barocke und des Empire benützt und nachgeahmt? – Haben wir uns nicht stets bürgerlich eingerichtet?

Nein, das haben wir nicht. Unsere frauen und töchter schliefen in einem bette, in dem schon Maria Antoinette, das unglückliche kaiserkind, in Trianon, von glanz, glück und pracht geträumt hatte. Der herr fleischhauermeister blickte mit stolz auf ein altdeutsches sofa, dessen motive der wandvertäfelung des prunkzimmers im rathaus zu Bremen entnommen sind und eine kombination eines stückchens derselben – die ganze vertäfelung würde sich ja zu teuer stellen – mit einer gepolsterten truhe bilden. Und in dem salon eines wohlhabenden börseaners rekeln sich die gäste in fauteuils, die vollständig jenem gleichen, von dem aus einst Napoleon der weit seine gesetze diktiert hat. Sogar das kaiserliche »N« darf nicht fehlen. Und doch hat der Korse diesen thron nur einmal benützt. Sonst haben er und seine gäste sich mit weniger anspruchsvollen möbeln begnügt.

Aber warum ist uns der bürgerliche hausrat so wenig bekannt? Weil unverhältnismäßig wenig davon auf uns gekommen ist. Denn der bürger brauchte seine möbel auf, er benützte sie täglich und schließlich heizte er damit ein. Für pracht- und prunkzimmer hatte er kein geld. Und wenn doch ein oder das andere stück sich erhalten hat, so fand sich selten ein museum, das dem alten haustiere ein asyl gewährt hätte. Es zeichnete sich eben weder durch kunstvolle arbeit, noch durch edles material aus. Und hatte es sich doch da oder dort ein bescheidenes plätzchen in einer sammlung erobert, so wurde es gewiß übersehen. Ganz anders das fürstenmöbel. Das wurde nie oder selten in gebrauch genommen und zeigte seinen vornehmen, nichtstuerischen charakter dadurch an, daß es motive der hohen architektur aufwies und mit reichem zierat versehen war. Wenn es aber auch für den praktischen gebrauch untauglich war, war es doch freilich in seinem kreise nicht zwecklos. Sein zweck war, zu repräsentieren und von dem reichtume, der pracht, der kunstliebe und dem geschmacke seines besitzers zeugnis abzulegen. Das fürstenmöbel hat sich daher zweifellos mit recht konserviert und bildet den stolz und die freude eines jeden museums.

Von diesen ausstellungsobjekten hat das jahrhundert einen falschen gebrauch gemacht, indem es sie zum praktischen muster nahm. Die schranken, die das königtum dem hochadel gegenüber, dieser wieder dem niederen adel und dieser dem bürgertume gegenüber errichtet hatte, waren gefallen und jeder konnte sich nach seinem geschmacke einrichten und kleiden. Es kann uns also eigentlich nicht wunder nehmen, wenn jeder hausknecht wie bei hofe eingerichtet und jeder kellnerjunge wie der Prinz von Wales gekleidet sein will. Gefehlt aber wäre es, in diesem umstande einen fortschritt erblicken zu wollen. Denn die fürstenmöbel, hervorgegangen aus einem immensen überfluß, haben große summen gekostet. Da aber der allgemeinheit dieser reichtum nicht zu gebote steht, so kopiert sie die formen auf kosten des materials und der ausführung, wodurch die halbheit, die hohlheit und jenes schreckliche ungeheuer, das unserem gewerbe das ganze mark aus den knochen zu saugen droht, die imitation, ihren einzug hält.

Und auch das leben, das wir führen, steht mit den gegenständen, mit denen wir uns umgeben, im widerspruche. Man vergißt, daß man neben dem thronsaal ein wohnzimmer haben muß. Man läßt sich von den stilvollen möbeln ruhig malträtieren. Man stößt sich beulen in die kniee und sitzt sich ornamente in den rücken und dorthin ein, wo er aufhört. Von den verschiedenen ornamentierten handgriffen unserer gefäße haben wir im laufe der letzten zwei dezennien, nacheinander renaissance-, barock- und rokokoschwielen bekommen. Aber wir haben nicht gemuckst, denn jene, die sich dagegen aufgelehnt hätten, wären als ignoranten und menschen, denen jedes höhere verständnis für die kunst fehlt, an den pranger gestellt worden.

Allein, was ich hier anführe, gilt nur für den kontinent. Drüben, jenseits des Ärmelkanals, wohnt ein volk von freien bürgern, das der alten schranken schon lange entwöhnt ist, so daß parvenüanwandlungen hier keinen boden mehr finden. Sie verzichteten auf fürstenprunk und fürstenpracht in ihren wohnungen. Kleiderordnungen kannten sie schon lange nicht mehr und sie fanden daher auch keine sonderliche befriedigung darin, die großen nachzuahmen. Ihre eigene bequemlichkeit ging ihnen über alles. Und unter dem einflusse dieses bürgertums machte sogar der adel in diesem lande langsam einen wandel durch. Er wurde einfach und schlicht.

Ein land, das ein so selbstbewußtes, freies bürgertum aufweist, mußte den bürgerlichen stil in der wohnung bald zur höchsten blüte bringen. Die besten kräfte können sich hier für ihn einsetzen, sie können sich für diese aufgabe konzentrieren, während in anderen ländern dem meister ersten ranges das fürstenmöbel zufallen wird, und der bürgerliche hausrat sich mit kräften zweiten ranges begnügen muß. Man betrachte nur die beiden bedeutendsten musterzeichner Englands und Frankreichs aus derselben epoche. Nehmen wir zum beispiel Thomas Chippendale und Meissonier, den dessinateur Ludwigs XV. Bei diesem finden wir nur entwürfe für des königs prunk- und festräume, für Chippendale ist schon der anspruchlose titel seines kupferstichwerkes charakteristisch: The Gentleman and Cabinetmaker's Director, being a Collection of Designes of Householdfurniture.

Man wird also wohl begreifen, daß in einer sammlung bürgerlicher möbel dem Engländer der löwenanteil zufallen muß. Hat er doch sogar manchem deutschen bürgermöbel ein heim bereitet, das seitdem bei uns vergessen wurde und jetzt auf dem wege über England zu uns zurückkommt. Dafür gibt es interessante beispiele; eines derselben sei hier erwähnt: Der grellrote, lackierte stuhl mit gelbem strohgeflecht, der uns heute so enorm englisch anmutet (sprösselstuhl oder hühnersteige nennt man ihn bei uns spottweise), findet sich in zahlreichen deutschen interieursbildern des XVIII. jahrhunderts, vor allem bei Chodowiecki.

Noch ein anderer umstand macht die große zahl der englischen muster erklärlich. England war auch das erste land, das gegen die imitation zu felde zog. Nun beginnen auch wir langsam gegen sie front zu machen. Falsche brillanten und falsches pelzwerk gelten schon bei uns, gott sei dank, nicht mehr für fein. Wir müssen es unserer Weihnachtsausstellung danken, daß sie die neue lehre auch auf die wohnungseinrichtungen anzuwenden, uns anregt. Wer nicht das geld für einen ledergepreßten stuhl hat, der nehme einfach einen strohsessel. Mancher wird davor zurückschrecken. Ein strohsessel, wie ordinär! Nur zu, meine lieben Wiener, ein strohsitz ist gerade so wenig ordinär, wie keine diamanten, oder ein einfacher tuchkragen am winterrock. Bloß die imitierten diamanten, pelzkragen und ledersitze, die sind es.

Und so bricht sich denn auch bei uns die erkenntnis bahn, daß man, wenn das geld für das reiche und dekorative nicht ausreicht, das hauptgewicht auf das solide und praktische legen muß. Die gemalten intarsien, die aus sägespänen und leim gepreßten holzschnitzereien, die »verpfusche dein heim«-fenster und andere patente aus der rüstkammer der imitation, die wie hartes holz gestrichenen türen und fenster, verschwinden langsam aus dem bürgerhause. Der bürgerstolz ist erwacht, das parvenüsystem kommt langsam aus der mode.

Der clou dieser ausstellung ist ein interieur, das eine kompagniearbeit eines Wieners, des malers Heinrich Lefler, des bildhauers Hans Rathansky, der architekten Franz Schönthaler jun. und Josef Urban bildet. Im tagesgespräch heißt es kurzweg das Leflerzimmer. Diese kurze bezeichnung war unbedingt notwendig, denn die letzten wochen war sie in aller munde. Hochumjubelt von den jungen, tiefgeschmäht von den alten, gilt dieses zimmer als erste regung der Moderne in der schmückenden und angewandten kunst auf wiener boden.

Modern sieht dieses zimmer allerdings aus. Wenn man aber näher zusieht, ist es nur unser gutes, altes, deutsches renaissance-gschnaszimmer im modernen lichte. Nichts fehlt. Die holzvertäfelung mit den aufpatronierten holzintarsien, der ehemalige altdeutsche dekorationsdivan (gott habe ihn selig), dem immer die angenagelten blechernen löwenköpfe abgerissen wurden, die mit vieler mühe und not den persischen überwurf hielten und dessen römer und altdeutsche krüge so schön herumwackelten, wenn man die geringste bewegung ausführte, sie alle, alle wurden mit herübergenommen und haben sich so schön maskiert, daß man sie im ersten augenblick gar nicht wieder erkennt. Während z. b. beim alten »dekorationsdivan« einem altdeutsche krüge auf den kopf fallen konnten, fallen jetzt englische vasen herunter, aber das freilich sicher. Ein großer fortschritt, wenn man bedenkt, daß damit gewissermaßen die halbheit vermieden ist und das keramische gewerbe durch den starken verbrauch gewinnen muß.

Wir sehen alle schon, wo dieses zimmer hinaus will. Es bringt uns moderne formen im alten geiste. Wir haben daher kein recht, von einem modernen zimmer zu sprechen. Man hätte der modernen kunst einen großen gefallen erwiesen, wenn man alte formen im neuen geiste angewendet hätte.

Versuchen wir es, auf die einzelnen arbeiten überzugehen. Lefler lieferte eine entzückende tapete, die das weitaus beste im zimmer ist. Unsere österreichische tapetenindustrie hat dem nichts ähnliches an die seite zu stellen. Man denke: Eine moderne tapete, die nichts englisches an sich hat, der man auf den ersten blick die wienerische provenienz ansieht. Vorzüglich sind auch die applikationspolster und teppiche. Der mohairteppich »Drachenkampf« verrät auch ein tüchtiges beherrschen der technik. Aber über die technik strauchelte Lefler schon bei den entwürfen zu den glasfenstern. Er liefert zwei: Das eine nennt sich Aschenbrödel, das zweite Dornröschen. Beide verraten ein schwanken zwischen zwei techniken, der glasmalerei und der amerikanischen arbeit mit glasflüssen. Das Aschenbrödel wirkt noch harmonisch, da hier die glasmalerei nur dort angewendet wurde, wo es unbedingt notwendig war, z. b. an den gesichtern. Aber das Dornröschen ist unverzeihlich. Die gemalte rosenhecke ist ein schlag gegen die ehrliche glaserarbeit; mit welcher freude würde ein glastechniker die gelegenheit ergriffen haben, seine kunst an den rosen zu zeigen. Jedes rosenblatt ein anderer glasfluß! Diese rosen schreien nach der amerikanischen technik, um so mehr, als sie daneben an weniger wichtigen punkten gezeigt wird. Daher wirkt dieses fenster so unharmonisch. Nachahmenswert dünkt mir der versuch, das mittelfenster frei zu lassen, um den ungestörten ausblick ins freie zu gewinnen. Alles in allem zeigen die Leflerschen arbeiten ein frisches drauflosgehen und ein entschiedenes talent, sich neuen techniken unterzuordnen.

Das kann man von den übrigen arbeiten nicht behaupten. Die imitierten intarsien in der wandvertäfelung und die banale tapeziererarbeit des plafonds lassen auf einen mangel an vornehmheit schließen. Ein prächtiger holzschrank wird durch künstlich patinierte bronzereliefs verdorben, die, wenn echt, der reinlichkeit ihres besitzers kein gutes zeugnis ausstellen würden. Man bedenke doch, daß sich die grüne patina auf den bronzegegenständen durch das jahrtausendlange liegen in der feuchten erde gebildet hat, daß sie aber vollständig fehlte, solange die gegenstände noch im gebrauche waren. Von unseren modernen konnte man doch erwarten, daß sie diesem schwindel entgegentreten werden! Über das bordbrett als bekrönung des leicht gearbeiteten sofas habe ich schon eingangs gesprochen. Auch die uhr, auf der man die zeit nicht ablesen kann, ist vertreten. Früher war das des »stilvollen« zifferblattes wegen unmöglich, jetzt, weil es viereckig ist.

Man würde daher unrecht tun, wenn man für dieses zimmer die moderne innendekoration verantwortlich machen wollte. Der moderne geist verlangt vor allem, daß der gebrauchsgegenstand praktisch sei. Für ihn bedeutet Schönheit die höchste vollkommenheit. Und da das unpraktische niemals vollkommen ist, so kann es auch nicht schön sein. Zum zweiten verlangt er unbedingte wahrheit. Ich habe ja oben schon gesagt, daß die imitation, die pseudoeleganz, gott sei dank, endlich unmodern wird. Und drittens verlangt er individualität. Das heißt, daß sich im allgemeinen der könig wie der könig, der bürger wie der bürger und der bauer wie der bauer einzurichten habe und daß im besonderen wieder jeder könig, jeder bürger und jeder bauer seine charaktereigenschaften in seiner wohnungseinrichtung zum ausdruck bringen soll. Die aufgabe moderner künstler ist es, den geschmack der menge, innerhalb seiner verschiedenen charakteristischen standesabstufungen zu heben, indem sie die bedürfnisse der jeweilig geistig vornehmsten erfüllen. Haben das unsere vier künstler getan? Entspricht ihr damenzimmer der vornehmheit an der aristokratin? Nein. Der vornehmheit an der fabrikantin auch nicht und schon gar nicht der vornehmheit an der bürgersfrau. Es entspricht der vornehmheit an der kokotte.


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