Oskar Loerke
Atem der Erde
Oskar Loerke

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Atlas

Erinnern

        Ein Bergreich strahlt im Urbesinnen.
Im eisgehörnten Grau vergoß kein Mensch den Schweiß,
Es ragt so hoch, daß niemand weiß,
Woher die Zehenstapfen rühren,
Die steil von ihm zu Tale führen.
Seeleinwärts hat der Weg dahin begonnen,
Aber die Sicht, die ich gewonnen,
Ist nicht mehr innen;
Denn ich fühle:
Die Ewigen sitzen im Felsengestühle
Und prüfen mit jungen Augen.

Um sie liegen viele kühle
Bäche an eisiger Steinbrust und saugen.

Zu ihren Füßen schläft unbedeckt
Das Echo auf seinem alten Lager.
Antwort weiß es, leicht geweckt,
Den Donnern, die es überfallen,
Dem Affen, dem schalewerfenden Nüssenager,
Hüpfendem Stein und den Menschen allen,
Versteht alle Sprachen, zieht keine vor,
Nie fragt es, wer Freundschaft und Feindschaft sich schwor.

Wer aber schwor? – in tieferen erdigen Schichten
Steigen tausend Fäden Rauch,
Da sind wir beim Weben und Wälderlichten,
Bauen Blumen, Weizen, Lauch,
Schleifen, noch niedrer in Städten gerottet,
Unser Leben hinter uns her,
Im platten Ebnen, längst entgottet,
Vernichten wirs in Kriegers Wehr.

Aber schöner als die Helden
Sind alle, die den Erdkreis schmücken
Mit zuhörendem Lächeln,
So meinen die Ewigen über dem Echo.

Auf zu ihnen geht kein Bote,
Nur fernstes Erinnern wächst ihnen zu
In eines jungen Rehes Pfote,
Aus Nüstern einer jungen Kuh.

Aber die Menschenherzen hängen
Ihnen in traurigen Liedern kaum nach,
Daneben liegt immer ihr Herdgemach,
Da rupfen sie täglich und sengen
Heilige Singvögel im Küchenrauche:
Es öffnen sich Senkgruben dumpfer Bauern,
Marmorgebild sinkt geköpft in die Jauche,
Und sie vermauern
Die Nischen, vor denen sie ehmals baten
Unter knienden Kindern um Schwere der Saaten.

Dazwischen wiegt sich in Bäumen das Jahr,
Die Woge des Herbstes rollt im Wind
Rot dem andern Ufer zu,
Wo die Wogen alle vergehen
Und niemals wieder sind.
Unter kahlen Ästen stehen
Die rückgebliebnen Berge klar.

Dann kommen die Tage,
Wo wir am Winterfeuer sitzen
Und Mais enthülsen.

Dann wieder andre, da einer wie du
Aufträumt aus grünem warmen Kraut
Und spürt beim Brande kahler Felsenspitzen:
Die Waltenden sind zu ihm eingeschwebt.
Er kann den Stieg zu ihnen nicht beginnen.

Und er weiß nicht, wie schon im Urbesinnen
Der Adamsapfel hinter seiner Haut
Sich bei verborgnem Glückesschluchzen hebt.

Die Unsichtbaren sehn es und schweigen
Mit zuhörendem Lächeln.

 


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