Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Die Kriegstrompete

In dem Hinterzimmer der Weinstube »Zur roten Rebe«, wo »der Verein der Vereinslosen« seinen üblichen freitäglichen Vormitternachtsfrühschoppen abhielt, herrschte heute eine ganz besondere Stimmung. Es hatte sich nämlich etwas Sonderbares begeben. Der Privatdozent Dr. Aloys Mießner, Volksforscher von Fach, wegen seiner sanften Gesinnung und seines mädchenhaften Benehmens »Miezchen« genannt, war zwei Sitzungen lang überfällig gewesen und heute zum erstenmal wieder erschienen.

Man hatte derweilen in Erfahrung gebracht, warum er so lange ausgeblieben war. Der Amtsrichter hatte es von dem Bezirkskommissar gehört. Mießner, dieses »zielbewußte Bählamm«, wie ihn der etwas wilde und dreidrähtige Sportmaler nannte, hatte in der Silvesternacht, nachdem er nachweislich in der »Roten Rebe« zwei Viertel offenen Wein und eine Flasche Sauerbrunnen getrunken hatte, auf der Friedrichstraße plötzlich ein schauderhaftes, in Berlin noch nie vernommenes Geheul ausgestoßen, hatte sich dann mit geschwungenem Wanderstabe auf den nächsten Schutzmann gestürzt und ihn über den Helm gekeilt. Dafür hatte er die Nacht auf der Wache zubringen müssen. Das hatte ihn so mitgenommen, daß es dem Amtsrichter schwer wurde, ihn seinen Gewissensbissen zu entreißen und in die »Rote Rebe« zu schleifen, wo er mit Hurra und Holdrio aufgenommen wurde.

»Prost Doktorchen! Zum Wohl, Miezchen! Wohlsein, Lämmchen!« so ging es eine ganze Weile. Der Sportmaler brüllte: »Ich habe Euch für Eure liebe Braut schon als tobsüchtiges Lamm abgemalen.« Der dicke Doktor fühlte in den Puls, erklärte ihn für abnorm normal und meinte: »Sypertrophische Solidität!« Der Polizeitleutnant sprach als Gast gar nichts, sondern lächelte nur milde, und der Baurat sagte: »Ruhe, laßt Miezchen erzählen!«

Doktor Mießner nippte an seinem Glase und begann: »Ihr wißt, Leute, wie viel ich Silvester getrunken habe, meine gewohnte halbe Flasche hier. Vorher bin ich nirgenswo anders gewesen und nachher auch nicht. Und zu Hause trinke ich fast nie etwas. Ich will nicht mit Solidität protzen; ich kann einfach nicht mehr trinken.« Er goß sich Wasser in sein Glas, worüber, wie jedesmal, der Amtsrichter einen Schüttelfrost und der Sportmaler Krampfadern an den Schläfen bekam, langte ein Bündel, das er hinter sich auf einen Stuhl gelegt hatte, her, wickelte das Papier auseinander und holte eine große, spitze, bunt geflammte und mit wunderlichem Federschmucke verzierte Meerschnecke hervor, die er hoch hielt und dem Maler hinreichte.

»Die ist schuld daran,« erklärte er; »ihr mögt es glauben oder nicht. Es ist eine Kriegstrompete von der Gazellenhalbinsel. Mein Kompennäler Johann von Klemm, der, wie ihr wißt, Offizier auf der ›1870‹ ist und ein paar Jahre in der Welt herumgondelte, hat mir das Ding mitgebracht. Er hat es für einen Stehkragen, ein kaputtes Benzinfeuerzeug und eine Schnurrbartbinde von einem Oberzauberer eingehandelt. Er warnte mich, darauf zu blasen, denn der Zauberer habe ihm gesagt, wer die Trompete höre, müsse Menschenblut vergießen.«

Er verlängerte den verlängerten Wein mit Sauerwasser abermals und erzählte weiter: »Natürlich hielt ich das als Mann der exakten Wissenschaften für qualifizierten Unsinn, und kaum war Klemm fort, so tutete ich aus Leibeskräften los. Es hörte sich an, als wenn Hecks Löwen nach Frühstück rufen. Ich hatte sofort ein unbequemes Gefühl, was aber vielleicht davon kam, daß der alte Oberst über mir mit dem Absatz auf den Fußboden trat und die junge Witwe unter mir mit dem Besenstiel gegen die Decke stieß, worauf ich meine musikalischen Übungen natürlich sofort einstellte. Und dann ging ich hierher.«

Er zog an seiner Zigarre, merkte, daß sie ausgegangen war, zündete sie wieder an, zeigte auf die Trompete, die der Polizeileutnant in der Hand hielt, und dozierte: »Seht euch das Ding einmal genau an, Leute! Sieht es nicht halb albern, halb unheimlich aus? Warum sind die Kiele der beiden schwarzen Federn so sonderbar ausgekerbt und ihre Fahnen so seltsam eingeschnitten? Weshalb ist an der einen eine weiße Hühnerfeder angeknotet und an der anderen ein Bündchen Federkiele und ein Büschel Bast? Dieses ganze Gebommel und Gebammel ist mir unheimlich, und ich traue ihm nicht. Seht mal, warum hängt aus diesem scheinbar so regellosen Büschel Hühnerfedern die so künstlich verlängerte Fahne heraus? Und welchen Zweck hat hier das Büschel von schwarzen, gekräuselten Pflanzenfasern, und in dem andern das Sträußchen schlichter gelber Bastfetzen? Möglich, daß es weiter nichts bedeutet, als eine primitive Chronik über so und so viele Rachezüge und Kopferbeutungen, vielleicht hat das aber nicht nur eine Bedeutung, sondern auch eine Wirkung. Auf mich hat es wenigstens eine gehabt, entweder dieser abscheuliche Zierrat oder der Ton der Trompete.«

Der Amtsrichter, der die Schnecke gerade in der Hand hielt, wollte sie an den Mund setzen, ließ es aber, als Mießner abwehrte und rief: »Bitte nicht!« Dann erzählte er weiter: »Schon als ich vor zwei Wochen hier bei euch saß, war mir so wunderlich zumute. Es kam mir vor, als wenn ihr alle tätowierte Gesichter hattet und nackt wäret. Ihr redetet in einer unbekannten Sprache, prahltet von erbeuteten Köpfen und erzähltet von kannibalischen Festessen. Schließlich hielt ich das nicht mehr aus und drückte mich vor Mitternacht heimlich. Und dann kam es!«

Er lächelte halb verlegen, halb spöttisch, als er fortfuhr: »Gerade als ich auf die Friedrichstraße kam, läuteten die Glocken das neue Jahr ein und das Volk überließ sich in der üblichen ruhestörenden Weise seinen Gefühlen. Auf einmal stand ich ganz allein mit meiner Kriegskeule, die schon mein Vatersvatersvater geführt hatte, in einem Palmenhaine. Ich hörte das Löwengebrüll der Kriegstrompete vor mir; es rief mich. Ich lief, was ich konnte und kam rechtzeitig genug noch an den Strand, um meinem Volke gegen fremde Menschen, die weiße Gesichter, blaue Augen, rote Backen, gelbe Schnurrbärte und schwarze, blank beschlagene Kopfzierden trugen, beizustehen, ich stieß den Kriegsruf meines Stammes aus und schlug den vordersten der Feinde mit der Keule über den Kopfschmuck. Da stürzten sich drei, viere von den Fremdlinen auf mich, ich wurde überwältigt, na, und das Ende, das weiß der Herr Polizeileutnant da besser, als ich. Jedenfalls war ich ganz nüchtern, als ich auf die Wache kam.«

Solch Gelächter, wie nach dieser Erzählung war lange nicht in der Hinterstube der »Roten Rebe« gewesen. Als sich die Heiterkeit gelegt hatte, reichte man die Trompete noch einmal herum, und obwohl Mießner warnte, blies ein jeder darauf, daß es dröhnte und donnerte. Mießners Gesicht wurde immer ängstlicher; plötzlich stand er auf, sagte er habe Kopfschmerzen und ging fort.

Am anderen Morgen las er in der Zeitung, daß sich vor der »Roten Rebe« ein höchst peinlicher Auftritt abgespielt habe. Schlag zwölf Uhr wären aus der als hochanständig bekannten Weinstube die Mitglieder eines Stammtisches, lauter gebildete Herren von Stellung, unter gellendem Geheul mit geschwungenen Stöcken herausgekommen und hätten auf Schutzleute, Dienstmänner, Eilboten und Chauffeure losgeschlagen. Ein ganzes Aufgebot von Schutzleuten sei nötig gewesen, um sie zu überwältigen und zur Wache zu bringen.

Das habe ich mir doch gleich gedacht, sagte Doktor Mießner zu sich selber, und wußte nicht, ob das, was er empfand, Schuldbewußtsein oder Schadenfreude war.

 


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