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Einen ganzen Tag und eine volle Nacht hat es geschneit. Einen Fuß hoch liegt der Schnee auf dem Lande. Die Zeit der schweren Not brach herein für viele Tiere. Für alle, die am Boden ihre Nahrung suchen, ist Hans Magerkohl Küchenmeister geworden.
Feldmaus und Wühlratte haben zu leben; die eine führt zwischen Schnee und Land ihre Gänge über die Raine und Kleestücke und nährt sich mehr schlecht als recht von Wurzeln, Sämereien und Gewürm, und der anderen ist der Schnee nicht unlieb, denn er schützt die Erde vor dem Hartfroste und gestattet ihr ein bequemes Wühlen. Auch Spitzmaus und Maulwurf leiden nicht unter dem Schnee; im faulen Waldlaube findet die eine, tief in der Erde, wohin der Frost nicht langt, der andere Fraß genug. Schlimmer geht es schon dem Hasen; wo der Wind den Schnee antrieb, kann der Hase an die Saat gelangen; wo der Schnee aber hoch liegt, da muß der Hase sich mit der Rinde der Bäume und Sträucher behelfen, und auch das Kaninchen muß sich auf diese Art durchhelfen und ähnlich das Reh, das sich an Zweigspitzen äst.
Für die Finken, Ammern und Haubenlerchen sieht es böse aus; hier und da ragt dürres Kraut über den Schnee hinaus und schüttet seinen Samen auf die Schneedecke, aber das ist eine magere Kost, und wenn auf den Landstraßen die Pferde nicht für Futter sorgten und bei dem Dreschen nicht allerlei abfiele, so ging es Buchfink, Hänfling, Bergfink und Grünling, Goldammer und Haubenlerche fast so schlecht wie den nordischen Ringeltauben, die weiter nichts zu fressen haben als Futterkohl heute und Futterkohl morgen und übermorgen noch einmal Futterkohl, der ihnen auf die Dauer ebenso schlecht bekommt wie dem Hasen.
Würde der Mensch nicht ein Einsehen haben, so mancher Vogel erläge dem Hunger. Aber überall in den Gärten und vor den Fenstern haben gutherzige Leute Futterplätze errichtet, und in allen Anlagen stehen Futterhäuschen, wo sich die hungrigen Schnäbel atzen können. Da kommen sie alle zusammen, sowohl die, die bittere Not leiden, und auch die, denen es noch ganz gut geht, wie die Meisen, Baumläufer und Spechte, deren Tisch immer gedeckt ist, mit Ausnahme der Tage, am denen Rauhfrost Baum und Busch im starre Krusten hüllt. Alle finden sie unter den bedeckten Futterhäuschen Nahrung, Fink und Spatz und Meise, Häher und Amsel, Kernbeißer und Goldammer und mit ihnen Waldmaus und Zwergmaus.
Noch in anderer Weise sorgt der Mensch für die darbenden Vögel. An der Kante der Stadt liegen gewaltige Schuttplätze, auf denen Reihen grauer Wagen den Hauskehricht ausschütten. Ganze Berge von Asche und Schlacken häufen sich dort jeden Tag auf, und zwischen dem Müll, den Scherben, dem zerbrochenen Geschirr, den Emailletöpfen und Konservendosen, Lumpen, Schirmgerüsten, Hüten und Papierfetzen liegen Knochen, Fischreste, Eingeweide, Hühnerköpfe, Brotrinden, Obstkröpfe, Gemüsestücke, Hanfkörner, Wurstpellen, Margarinebrötchen, Kuchenkrümel und hunderterlei Dinge, die der Mensch nicht achtet und in den Abfallkasten wirft, die aber Tausenden von Vögeln in der bitteren Zeit das Leben fristen.
Vor allem sind es die Krähen, die sich hier zusammenfinden. Sobald es hell wird, verlassen sie ihre Schlafplätze in den Wäldern; in gewaltigen, bald geschlossenen, bald aufgelockerten Flügen, Hunderte oder Tausende von Stücken umfassend, kommen sie herangestrichen, die Wintermorgenstille mit ihrem Gequarre und Gekrächze belebend und die graue Luft mit einem Wirbel schwarzer Flecke erfüllend. Das wogt auf und ab, flutet hin und her, ballt sich zusammen, reißt auseinander, fällt herunter, flattert empor, bis schließlich der ganze weite Schuttplatz von den schwarzen und grauen Vögeln übersät ist.
Wagengeknarre und Peitschenknall klingt heran, laute Stimmen kommen näher. Alle Krähen machen lange Hälse, einige flattern empor, aber bald senken sie sich wieder herab, denn die meisten von ihnen kennen die Müllwagen und warten der guten Dinge, die sie bringen. Wagen auf Wagen wird ausgestürzt, und sobald einer seinen Inhalt entleert hat, flattert das Krähenvolk heran und sucht nach Beute. Hunderte von schwarzen Schnäbeln stochern und hacken und zerren in dem Müll umher, Hunderte von Schwingen sind in Bewegung, denn ist auch Nahrung für alle da, keine Krähe gönnt der anderen einen Bissen. Sobald eine eine Wursthaut oder einen Knochen erwischt hat, spreizt sie schon die Flügel über ihren Fund und sucht sich damit abzustehlen, aber vier, fünf, sechs ihrer Genossinnen setzen ihr nach und stecken heiser krächzend nach ihr, bis sie zur Erde taumelt, den Raub in die Krallen nimmt und so lange mit dem scharfen Schnabel verteidigt, bis die neidische Gesellschaft abstreicht.
Vielerlei von Krähenvögeln sind es, die sich hier auf dem großen Kummerplatze vor der Stadt zusammengefunden haben. Die kleinsten, aber frechsten und gewandtesten sind die Dohlen, deren helle Augen listig umherspähen, und sowie sich ein guter Brocken zeigt, schlüpft die Dohle herbei, faßt ihn und ehe sich die Krähen besonnen haben, ist der Spitzbube fort und läßt von Ferne sein gellendes Hohnlachen ertönen. Am unbeholfensten stellen sich die blanken Saatkrähen an. Obgleich ihre Schnäbel spitzer und länger sind als die der anderen Krähen, so sind die Saatkrähen längst nicht so frech wie die Raben- und Nebelkrähen und müssen sich mit den kleinen Abfällen begnügen, denn jeden guten Bissen jagen ihnen die anderen Krähen ab, vor allem die Nebelkrähen, die frechsten von allen, deren Unverschämtheit alle Grenzen überschreitet.
Der Winter trieb sie aus den Wäldern Rußlands und den Steppen Sibiriens westwärts. Zu Hunderttausenden kamen sie angerückt, überschwemmten Preußen, Pommern, Mecklenburg, Posen und die Mark, drängten immer weiter nach dem Westen, überflogen die Elbe und fielen hungrig in das Brutgebiet der Rabenkrähe ein. Ist es Frechheit oder ist es Dummheit, daß sie so unverschämt sind? Die Rabenkrähe, den Menschen und seine Tücke kennend, flieht die geschlossene Ortschaft und kommt nur bis an ihre Ränder; die Nebelkrähe aber spaziert in den Höfen der Dörfer umher und läßt sich auf den Dächern der Großstadt nieder, und erspäht sie tief unter sich etwas Gutes, dann schwebt sie herab und holt sich von der Straße den Happen. Sobald die Pause vorüber ist, läßt sie sich im Schulhofe nieder und sucht nach Brotrinden; sie lauert auf den Mauern des Schlachthofes, bis die Gehilfen den Rücken drehen, und dann stößt sie nieder und fliegt mit einem Fleischfetzen von dannen. Bevor das Leitungsnetz über den Städten entstand, übernachtete sie sogar zu Hunderten auf den Dächern, aber seitdem zieht sie den Wald vor. Sonst aber benehmen sie, die Vögel des einsamen Bruchwaldes und der menschenarmen Steppe, sich so, als wären sie, wie der Spatz, neben den Menschen aufgewachsen, und nur die von ihnen, die im ostelbischen Deutschland und im europäischen Rußland brüten, sind weniger vertraut und verhalten sich so wie die Rabenkrähen.
Denn sie sind nicht weniger schlau als die Rabenkrähe. Sie wissen ganz genau, daß in der Stadt kein Gewehr losgeht, sie können den harmlosen Spaziergänger gut von dem Manne mit dem Gewehre unterscheiden. Bis auf zehn Schritte lassen sie in den Anlagen den Menschen herankommen, und die Hunde halten sie offensichtlich zum Narren. Bis auf zwei, drei Fuß halten sie den Hund aus, und erst dann fliegen sie auf, um sich bald wieder hinzusetzen und das Spiel so lange zu treiben, bis der Hund ärgerlich davonläuft. Das tut die Rabenkrähe niemals; sie ist viel übelnehmerischer und mißtrauischer und liebt es gar nicht, rückt ihr der Mensch nahe. Sonst aber gleicht sie ihr bis auf die graue Färbung von Rumpf und Oberhals völlig. Die Maße der einen sind genau so wie die der anderen, ihre Lebensweise ist völlig die gleiche, die Eier haben dieselbe Farbe, die Nester unterscheiden sich in nichts voneinander, und die einzigen Unterschiede sind eine geringere Vergröberung der Stimme bei der Nebelkrähe und eine geringe Verschiedenheit in dem Aufbau der Eischale. Aber ein Unterschied zwischen beiden ist da, der ganz gewaltig in die Augen springt, ein Unterschied ganz eigener Art, darin bestehend, daß die Elbe in Deutschland die Grenze zwischen den beiden Färbungsformen bildet; westlich der Elbe herrscht allein die schwarze, im Osten die graue Abart vor. Diese Tatsache steht einzig da in der Tierwelt Deutschlands. Wohl hat der Osten eine ganze Menge von Pflanzen und Tieren, die dem Westen fehlen, und das Umgekehrte ist auch wieder der Fall; daß aber eine Tierart durch einen Fluß in zwei getrennte Unterarten geteilt wird, die sich bis auf die Färbung in nichts unterscheiden, das ist eine Tatsache, der man als Gegenstück höchstens die Verbreitung des schwarzen Rehes beigesellen kann, das im Gegensatz zu der roten Stammform ein ausgesprochenes Tier der Ebene ist und das Hügel- und Bergland meidet.
Im deutschen Vaterlande leben viele eigenartige Vögel, ausgezeichnet durch Farbe, Gestalt, Nestbau und Lebensweise; der interessanteste von allen aber ist die Krähe. Wohl ist der Dompfaff des Ostens viel größer als der des Westens, der östliche Raubwürger besitzt im Gegensatze zu der westlichen Form einen kleineren Flügelspiegel und behält einen Rest der Jugendzeichnung auf der Brust, das Moorrebhuhn ist kleiner und düsterer als das der Getreidesteppe, Garten- und Weidenmeise, so ähnlich sie auf den ersten Blick erscheinen, sind nach Stimme, Maßen, Gefiederbeschaffenheit und Nistweise völlig verschiedene Vögel. Aber hier handelt es sich um Fälle, die erklärbar sind, für die wir Gegenstücke genug haben, während für den Grund der örtlichen Benennung der beiden Formen der echten Krähe jede Erklärung fehlt. Und so nennt der eine Forscher jede eine Art, der andere verbindet sie zu einer Art, der dritte nennt die Nebelkrähe, der vierte die Rabenkrähe als Stammform, und schließlich ist das ganze Ergebnis das, daß jeder ebensoviel Recht wie der andere oder ebensowenig hat, und daß die Natur einmal wieder beweist, daß der Artbegriff ein Notbehelf, Systematik eine Eselsbrücke ist.
Lebte östlich der Elbe und in ganz Asien nur die graue Krähenform, so wäre ein Schluß einfach. Die freilebende Dachratte von Südeuropa, Vorderasien und Südafrika ist bräunlich und weißbäuchig, die ihr anatomisch und morphologisch fast gleiche Hausratte, ein Gebäudetier, ist einfarbig schieferschwarz. Die Haubenmeise von Norddeutschland ist heller als die westliche Form. Liegt es nicht nahe, danach anzunehmen, daß der Westen die dunklen Formen begünstige, entweder wegen seines mehr insularen Klimas oder wegen irgendwelcher schwer feststellbaren Kultreinflüsse? Aber da kommt die Zoogeographie mit der unbequemen Tatsache, daß wohl die Graukrähe über Ostelbien, Schottland, Skandinavien, Rußland und Sibirien fast unumschränkt herrscht, daß sie aber weiter östlich, hinter Tomsk, ihre Herrschaft mit der Rabenkrähe teilen und am Jenissei ganz an sie abtreten muß, so daß in der Mongolei und in China und Japan wieder Schwarz allein herrscht.
Mit der Theorie von dem Einflusse des westlichen Klimas ist es also nichts; und da das Unerklärliche das Interessanteste im zoologischen Sinne ist, so darf man dreist behaupten: unsere Krähe, nämlich die Rabenkrähe, Corvus corone L. und die Nebelkrähe C. cornix L., oder die Raben- und Nebelkrähe, C. corone = cornix, oder schlechthin, die echte Krähe, ist der interessanteste deutsche Vogel, vom morphologischen und zoogeographischen Standpunkte aus vielleicht überhaupt der interessanteste der bekannten Vögel. Mögen auch dort, wo die Grenzen beider Formen zusammenstoßen, an der hannöversch-märkischen Grenze oder an anderen Stellen des Elbgebietes oder sonstwo in Europa und Asien, Mischehen und Übergänge vorkommen, so daß man bei vielen Museumsstücken nicht sagen kann, ob man eine Raben- oder eine Nebelkrähe vor sich habe, das ändert die Sache nicht, denn im großen und ganzen heißt es überall: hüben Schwarz, drüben Grau, und die unerklärliche Tatsache, daß es von einer Tierart zwei Formen gibt, die auf verschiedene, im Grunde dieselben Lebensbedingungen gewährende Gebiete beschränkt sind, bleibt bestehen.
Aus der Abneigung, die die Graukrähe gegen das Gebirge zeigt, so daß sie als Wintergast bei uns so gut wie ganz dem Berglande fernbleibt und höchstens durch Schneestürme dorthin verschlagen wird, kann man auch nur auf sie selber den Schluß ziehen, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich ein reines Steppentier ist, aber das wäre ein zu waghalsiger Gedankensprung, schlösse man daraus, daß die Rabenkrähe eine gewandelte Hügel- und Berglandsform der Graukrähe sei. Nur das eine steht fest: der Linnäussche Artbegriff versagt hier ebensosehr wie die von dem alten Brehm schon begründete, heute aber erst planmäßig vorwärtsschreitende Subtilformenforschung.
Ob grau, ob schwarz, es ist derselbe Vogel. Unter den Hunderten von Stücken, die auf dem großen Schuttplatze umherspazieren, sind einzelne Übergänge zu finden, aber nicht zwei Stücke, die in den Maßen oder in den anatomischen Verhältnissen so voneinander abweichen, daß man Artunterschiede darauf begründen könnte. In der Stimme, in den Bewegungen, im Flugbilde, in der gesamten Lebensweise ist nicht der geringste Unterschied zu finden. Ob die Krähe im Emslande oder am Ob, in den finnischen Schären oder in den Klippenwäldern Dalmatiens horstet, ob sie hoch auf Bäumen im deutschen Walde, auf niederem Gebüsch in der Tundra baut oder gar in der baumlosen Steppe zum Erdbrüter wird, ob schwarz oder grau, die eine lebt und benimmt sich wie die andere, die eine wie die andere ist eben: die Krähe. Wer die Krähe Westfalens kennt, der kennt auch die von Ostpreußen, und wer die russische Krähe beobachtet, wird die der Alpen nicht anders finden.
Der März geht zu Ende, das Land ist längst schneefrei; Fink und Ammer, Amsel und Haubenlerche leiden keine Not mehr. Die Sonne hat schon Macht bekommen und lockt allerlei Gewürm aus Fallaub und Stammritze.
Der große Schuttplatz vor der Stadt hat aber immer noch seine Gäste. Dünner sind die Flüge der Krähen geworden; die Rückwanderung der Graukrähen hat schon begonnen, und auch von den Rabenkrähen fand sich manche zu ihrem Brutgebiete zurück.
Ein Teil aber blieb dem Schuttplatze noch treu. Jeden Morgen stellen sich die Flüge ein, jeden Abend streichen sie nach ihrem Schlafwalde zurück, den rosenroten Himmel mit schwarzen Flecken bedeckend und mit heiserem Gekrächze die Lieder der Singdrosseln unter sich in den Wäldern überschreiend.
Über Mittag aber, wenn die Sonne am wärmsten ist, kommen sie auf zärtliche Gedanken. Auf einem alten Blecheimer sitzt eine Nebelkrähe, streckt den Hals lang nach vorne, sträubt die Kehlfedern, reißt den Schnabel auf und ruft gurgelnd: »Gulak, Gulak, Gulak!«
Zwei Rabenkrähen taumeln wie betrunken in der Luft umher, rufen »Kru« und »Kru« und stechen sich, als wenn es um einen besonders fleischreichen Knochen ginge, aber es ist nicht Futterneid, sondern Zärtlichkeit, was sie dazu bringt, sich so unklug zu benehmen.
Überall klingt es »Terr, Err, Kerr«, und dann wieder »Arr, Karr, Harr«, und hinterher: »Kra, Kräh, Harrah«, und hier und da und dort wirbelt ein Paar in der Luft umher, steigt, fällt, schießt dahin, schwebt im Minnefluge.
Im freien Felde liegt ein Teich, und um ihn erheben sich sechs hohe Schwarzpappeln. In jeder von ihnen sitzen Krähen. Eine Rabenkrähe balzt: »Gulk, gulk, gulk«. Eine Nebelkrähe fallt mit tiefem »Gulak, Gulak« ein. Eine andere Rabenkrähe steckt bald den Schnabel in die Luft, bald nach der Erde hin, legt den Kopf jetzt auf den Rücken, nun auf die Seite, ihn bald öffnend, bald schließend.
Sie singt. Ihr Gesang ist nicht so schön wie der der Graudrossel, der vom Walde herüberschallt, nicht so gut wie der der Amsel dort in dem Baumgarten, ja noch lange nicht so gut wie der des Finken, der unter ihr in der Pappel aus Leibeskräften seine Strophe schmettert, aber für eine Krähe ist es eine ganz gute Leistung. Wenn nicht allzu viele Schnarr- und Schluchzlaute darin wären und etwas mehr Kunstpausen, als gerade nötig sind, und wenn nicht einige Töne darunter wären, von denen man nicht weiß, ob sie mehr an einen Bauchredner oder an einen Menschen, dem äußerst schlecht geworden ist, erinnern, so könnte man es wirklich beinahe Gesang nennen.
So aber ist es doch wohl mehr ein Schnalzen in der Art, wie es Häher und Pfingstvögel und die Würger lieben, ein formloses Gemisch quirlender, schnalzender, krähender, rasselnder Laute, so leise, so bescheiden, daß der, der es noch nie hörte, nicht auf den Gedanken kommt, daß eine Krähe der Sänger sei. Aber schon schließt die Sängerin mit einem lauten Krächzrufe und streicht ab, ihr Weibchen mit sich nehmend. Die große Gesellschaft paßt ihnen nicht mehr; sie haben das Bedürfnis allein zu sein. Drei Meilen vor der Stadt entfernt liegt ein gewaltiger Wald, von einem breiten Bache durchflossen, an der einen Seite von Ackerland, an der anderen von Wiesen, Weiden und Moor begrenzt, reich an Blößen und Kulturen, von mächtigen Schneisen zerschnitten, alte und junge, Laub- und Nadelbestände aufweisend, zum Teil flach, zum Teil hügelig, von tiefen und flachen Gräben durchsetzt, sandige Höhen und bruchige Senkungen bergend, bunt am Pflanzen- und Tierleben.
Auf den Wiesen tummeln sich Kiebitz und Bekassine, an den quelligen Stellen wurmt die Schnepfe. Das Gelächter des Schwarzspechtes und das Gekicher des Turmfalken übertönt das Knurren des Taubers und das vielstimmige Konzert unterschiedlicher Singvögel, in der Dickung stehen die Rehe, an Hasen mangelt es nicht, und Kaninchen sind auch da, und an Fröschen und Käfern ist Überfluß. Da kann ein Krähenpaar es schon aushalten und auch mehrere.
Gerade auf den Wald streicht das Krähenpaar zu, aber hundert Schritte davor biegt die eine ab, stößt einen Warnruf aus und steigt empor, und die andere macht ihr das alles nach. Höher, immer höher steigt das Paar, schwebt über den Wald hin und äugt unter sich. Und dann stoßen beide gellende Warnlaute aus und rudern hastig weiter, denn an der Waldkante entlang geht der Hegemeister mit seinem Schweißhunde.
Bei einem großen Windbruche baumen die Krähen auf. Sie weiß es bestimmt, das Weibchen, daß hier etwas nicht in Ordnung ist. Denn die alte Samenfichte, in der sie drei Jahre hintereinander gehorstet hat, steht wohl noch da, aber ringsumher ist es kahl geworden. Einige Wurfböden liegen noch umher und allerlei Astholz, aber der Bestand selbst ist bis auf einige Überhälter verschwunden. Also wird man einen neuen Horstbaum suchen müssen, denn mitten auf der blanken Blöße zu brüten, das ist doch zu gefährlich.
Vorläufig eilt das aber noch nicht. Deshalb erst einmal nach dem Bache hin, wo es allerlei gute Dinge gibt. Sieh da, sieh da, auch heute ist da etwas. Ein dreipfündiger Hecht ist mit dem Hochwasser in den Graben geschwommen und zappelt nun hinter dem Verhau, das angeschwemmtes Astwerk und Genist bildet, elend umher. Rechts und links von dem Graben fußen die Krähen auf den Zweigen und äugen mit langen Hälsen hinunter. Platsch! Der Hecht macht einen Satz, daß der Schlamm laut quatscht. Die Krähen flattern entsetzt fort, denn sie erschraken zu sehr. Aber schon sind sie wieder da. Eine fliegt an den Grabenbord. Hops, macht der Hecht einen Sprung in die Höhe und die Krähe einen zur Seite.
Jetzt kommt auch die andere. Mit viel Kopfverrenkungen und Halsverdrehungen gehen sie bis an das schlammige Wasser. Der Hecht liegt wie tot da, ab und zu nach Luft schnappend. Ob ich es wage? denkt die eine Krähe und schreitet in das Wasser hinein. Einen fürchterlichen Hieb läßt sie auf das Genick des Fisches herniedersausen und fährt sofort zurück, aber doch nicht so weit, daß sie nicht ein gutes Teil von der rostbraunen Brühe abbekäme, die der Schwanz des Fisches umherstreut.
Aber jetzt liegt er still. Die andere Krähe wackelt heran. Das saß! Mitten in das eine Auge fuhr ihr Schnabel. Hoch wirft sich der unglückliche Fisch empor, und die Krähen weichen zurück, aber sobald er wieder liegt, trifft ein Schnabelhieb sein linkes Auge, daß er geblendet ist. Er schießt nach rechts, er fährt nach links, und jedesmal, wenn er an das Ufer kommt, trifft ihn ein sicherer Hieb. Jetzt bleibt er auf der Seite liegen und öffnet verendend den Rachen. Es regnet Schnabelhiebe. Noch ein Sprung, ein wildes Plätschern, und dann dreht er den weißen Bauch nach oben.
So, das wäre gemacht! Aber bei der schweren Arbeit hat man ganz vergessen, aufzupassen, ob die Luft rein ist. Das Krähenmännchen schwingt sich in die Eiche und späht umher, fliegt dann auf die Spitze der Fichte gegenüber, äugt rechts und links den Bach hinauf und hinab, steigt empor und übersieht die Gestelle und taucht wieder in das Astgewirr hinab. Da unten ist das Weibchen schon mitten in der Arbeit. Es hat so lange unter der Kiemenspalte herumgehackt und -gezerrt, bis die Haut zerriß. Leber ist das feinste, was es auf der Welt gibt, aber das allerfeinste ist doch Hechtleber, vorausgesetzt, daß es keine Quappenleber gibt, denn das ist die Höhe der Gefühle.
»Therr,« fragt das Männchen leise, und das heißt: »Laß mir auch etwas übrig!« Das Weibchen hat dazu keine Lust und bezieht für seine Happigkeit einen Schnabelhieb. Nun langt das Männchen in die Brustöffnung und zerrt die Leber hervor, und das Weibchen reißt das Herz heraus, verschlingt es, flattert empor, um nachzusehen, ob nicht unterdessen der Hegemeister mit seinem Schießgewehre nähergekommen ist. Aber weit und breit ist nicht zu sehen als der alte Bock, der sein Bastgehörn spazieren führt, und auf dem Ende der Schneise der Hase, der da junges Gras mümmelt. Und wenn auf dem einen Ende des Gestelles ein Reh und auf dem anderen ein Hase sich vertraut äsen, dann ist dazwischen alles in Ordnung. Man kann also getrost weiter vespern.
Hecht ist ganz entschieden besser als ein alter Knochen mit wenig daran und viel Asche darum und Dutzenden von neidischen Schnäbeln in der Nähe, ganz entschieden ist er besser. Es ist nur schade, daß er bloß eine Leber und ein Herz hat. Aber das Rückenfleisch ist auch nicht zu verachten, obgleich das Bauchfleisch noch zarter ist. Ganz vorzüglich aber ist das Gehirn; viel gibt es davon nicht, aber der Geschmack ist fast so gut als der von halbgebrüteten Kiebitzeiern oder nackten Jungmäusen.
Aber was war das da eben? Das klang ja beinahe, als wenn der Häher warnte. Tatsächlich, es ist der Häher; er warnt gefährlich. Darum von der Erde weg auf einen sicheren Ast. Hier ist irgendetwas nicht in Ordnung. Der Bock hat mit dem Äsen aufgehört und tritt in den Bestand, der Hase macht einen Kegel, und jetzt setzt er über den Graben. Aber der Förster ist nirgendwo zu sehen. Was mag nur los sein, daß der Häher so fürchterlich schimpft? Ach so, Reinecke Rotvoß, der Schleicher, ist es! Da taucht er auf der Brücke auf und prüft den Wind, und jetzt schnürt er unter dem Winde gerade auf den Hecht los.
Das geht nicht, geht auf keinen Fall! Das wäre ja noch schöner. Erst quält man sich eine volle Stunde mit dem Fische ab, und nun soll man ihn loswerden? »Karr« und »Kerr« erschallt es über dem Fuchse. Verdutzt bleibt er stehen und äugt falsch nach oben. Dann schnürt er weiter. Und wieder krächzt es und, ehe er es sich versieht, hat er einen Stich weg und jetzt wieder einen, und während er wild nach links schnappt, hat er rechts noch einen Schmiß fort und das Gekrächze wird immer schlimmer, denn nun sind es schon vier Krähen, und wer weiß, ob nicht bald sechs oder acht da sind. Mit einer mächtigen Flucht taucht der Fuchs in der Dickung unter.
Die vier Krähen sitzen rechts und links von der Schneise auf den Ästen und verpusten sich. Dann stiebt das eine Paar ab, und das andere kehrt zu dem Hecht zurück. Im Holze fällt ein Schuß, und wütendes Krähengeschrei folgt darauf. Das Krähenpaar steigt über den Wald und kreist. Da unten im Bruche kreist ein Krähenmännchen und kreischt jämmerlich, und durch das Bruch geht der grüne Mann mit seinem roten Hunde, und an seinem Rucksack baumelt etwas Blankes, Schwarzes hin und her. Hoch über ihm kreist schrecklich krächzend das Männchen.
Langsam rudernd folgt das Krähenpaar bis an die Waldkante nach und bäumt dort auf. Der Mann und der Hund verschwinden in der großen Wiese, hinter der das Dorf liegt. Da fliegt das Paar zurück. Das verwitwete Männchen gesellt sich zu ihm. Es tut anfangs so, als läge ihm nur an der Gesellschaft etwas, aber das andere Männchen weiß, mit welchen Plänen es umgeht, und sobald es nahekommt, sticht es nach ihm. Das Gequarre ist bald hier, bald da im Walde, bald über den Kronen, bald im Geäste, jetzt auf der Wiese und nun im Bruche. Schon hat der Kauz gerufen, die Grausdrossel stellt ihr Singen ein, kein Rotkehlchen tickt mehr im Unterholze, die Himmelsziegen meckern schon über der Wiese, der Mond steht auf dem Walde, und immer noch geben die Krähen keine Ruhe. Das rechtmäßige Männchen jagt sein Weibchen vor sich her und in den dicksten Fichtenbestand hinein, aber er wird den Nebenbuhler nicht los, und so müde es auch ist, es muß ihn immer abwehren. Erst als Wolken über den Mond steigen, hört der Lärm auf.
Ein grauer Morgen kommt herauf, die Luft ist weich und warm. Morkend und pfuitzend streicht eine Schnepfe über die Blöße. Langsam ziehen die Rehe das Gestell entlang. Laut heult der Kauz. Irgendwo in den hohen Föhren schläft das Krähenpaar, aber der Krähenwitwer ist schon wach. Er sitzt auf dem Wipfel der Eiche und hält Umschau nach dem Paare, denn er denkt den Kampf um das Weibchen fortzusetzen. Es wird heller und heller. Die Rotkehlchen ticken überall, die erste Drossel pfeift, die Himmelsziegen hören mit ihrem Gemecker auf. Dem Krähenwitwer wird das Warten zu langweilig. Er streckt den Kopf vor, bläst die Kehle auf und wirft seinen hohlen Balzruf in die Stille. Ein sanftes »Arr« und ein wütendes »Err« antwortet ihm aus den hohen Föhren. Er wirft sich von seinem Aste und schwebt über die Lichtung. Noch ist er nicht in der Mitte, da löst sich ein brauner Wisch aus der Eiche und flattert hinter ihm her. Ein jämmerliches Angstgeplärre stößt er aus, denn er fühlt die acht Krallen des Habichts in seinen Weichen. Sein Angstruf findet doppelten Widerhall. Fort ist alle Eifersucht, aller Haß bei dem Krähenmännchen, sausenden Fluges, laut um Hilfe schreiend, streicht es heran und hinter ihm folgt das Weibchen. Mit todhaßwütendem Quarren hassen beide auf den Habicht und hetzen ihn durch den Wald. Von der Wiese, von dem Moore, von den Weiden kommt Zuzug; alle die Krähen, die in dem Walde schliefen und auf der Fahrt nach dem großen Schuttplatze vor der Stadt waren, wenden um und eilen herbei. Aus hundert schwarzen Schnäbeln klingt das haßerfüllte Arr, Err und Örr, und laut tönt das Sausen und Brausen der vielen Schwingen über dem Forste.
Dem Habicht wird schwül. Er flattert niedrig über den Boden im Altholze hin und sucht ein Versteck. Wo die vier jungen Fichten sich eng aneinander drängen, fällt er ein und schlüpft unter, die tote Krähe fest im Griffe haltend. Aber den Krähen entgeht er nicht. Err, klingt es hier, Arr, tönt es da, und rund um den Busch krächzt und quarrt und saust es hundertfach. Eine kleine Weile hält er den Lärm aus, dann fällt er ihm auf die Nerven, und plötzlich bricht er hervor und stiebt der Kieferndickung zu. Aber ein Dutzend Krähen verlegen ihm den Weg und zwingen ihn umzukehren, und dort ist wieder ein Dutzend und dort noch eins. Am Fuße der alten Eiche flattert er nieder, immer noch die Krähe im Fange haltend. Sein krummer Schnabel ist weit offen, seine bunte Brust geht auf und ab, seine Flügel sind gespreizt, sein Stop weit gefächert. Err, da hast zu eins! Arr, und noch eins! Orr, und das von mir! Kerr, und eins von mir dazu! Dicht über seinem Kopf hin saust es unaufhörlich, und seine gelben Augen gewahren nichts als ein betäubendes Geflatter von schwarzen, gespreizten Schwingen und einen Wirbel blanker Leiber. Überall Krähen, in der Luft, am Boden, auf den Bäumen, und in jedem Augenblicke werden es mehr.
Er sieht es ein, hier hilft ihm nur die Flucht. Mit jähem Rucke schwingt er sich auf und streicht erst niedrig über den Boden hin, steigt dann und sucht die dichte Fichte zu gewinnen. Aber vier Krähen kommen ihm entgegen, und er macht einen Bogen nach der Föhrendickung. Aber auch dort geht es ihm nicht viel besser, und wieder muß er herunter und an dem Stamme der Fichte Rückendeckung nehmen. Drei, vier, fünf, ein ganzes Dutzend der schwarzen Rächer sitzen um ihn herum auf dem Boden und in den Zweigen und schreien ihn mit heiseren Stimmen an, und über ihm schreit und saust und hinter ihm kreischt und braust es. Da läßt er seine Beute fahren, schwankt im Zickzack um die Stämme und stürzt sich in das krause Astwerk einer Föhre, um in demselben Augenblicke im Donner des Schusses herabzustürzen. Er war dem Hegemeister gerade vor das Rohr gekommen. Der hörte die wilde Jagd herankommen und drückte sich hinter einen Stamm.
Mit Entsetzensgeschrei stiebt das Krähenvolk auseinander, kreist lärmend noch einige Zeit über dem Forste und verteilt sich. Das eine Paar aber strebt dem Bache zu, um den Rest des Hechtes zu verzehren. Aber es ist nichts mehr zu finden; über Nacht war der Iltis da und hat blanken Tisch gemacht. So geht es denn nach den Wiesen. Da gibt es Mäuse und Maulwürfe, und wenn die nicht zu finden sind, Frösche. Die Tümpel sind voll von laichenden Taufröschen. Ruhig und besonnen spazieren die beiden Schwarzröcke in der Wiese umher. Da ist eine Raupe und hier ein Käfer und dort ein Wurm und da wieder einer, und da hüpft ein junges Moorfroschmännchen, den Kopf voll von Liebesgedanken; sie alle sterben einen schnellen Tod. Aber was ist da? Bewegte sich dort nicht die Erde? Ganz vorsichtig und doch schnell geht die Krähe näher, bis sie dicht an dem Maulwurfshaufen ist. Mit schrägem Kopfe steht sie da und lauert. Jetzt bewegt sich die Erde wieder, der Haufen vergrößert sich, und mitten darin taucht ein rosenrotes Schnäuzchen auf. Gerade als es verschwinden will, hackt der spitze Schnabel zu und reißt den Maulwurf heraus. Heftig strampelt er, aber es hilft ihm nichts. Die Klauen der Krähe greifen ihn, und drei sichere Hiebe mit dem Schnabel machen ihm den Garaus. Auf dem Aste der breitkronigen Eiche wird er verspeist.
Die andere Krähe wackelt an dem Waldgraben entlang. Ein halbwüchsiges Waldmäuschen hat schon daran glauben müssen und nach ihm eine junge Waldeidechse, die heute zum ersten Male nach langem Winterschlafe die Sonne sah. Aber was ist das da in dem welken Laube unter dem Weißdornbusche? Ein graubraunes Wollklümpchen, sogar zwei! Hick hack, hick hack, ist die Krähe beim bösen Werke. Ein jämmerliches Quietschen ertönt, und sofort ist die zweite Krähe auch da. Hick hack, hick hack. Aus ist es mit den beiden frischgesetzten Junghäschen. Gestern Fisch, heute Hasenbraten. Ach ja, es läßt sich hier schon ganz gut leben. Noch acht Tage, dann legen die Kiebitze. Sie machen freilich einen schrecklichen Lärm, nimmt man ihnen die Eier fort, aber das wird man allmählich gewöhnt. Und was noch sonst alles im Walde brütet! Da ist die Singdrossel und die Amsel und der Fink und die Ammer, und im Moore sind Pieper und Bekassine und, nicht zu vergessen, das Birkhuhn und die Kriekente. Und im Walde gibt es Blindschleichen, Glattnattern und Kreuzottern, die alle ganz gut schmecken, und wenn im Bache die dummen Neunaugen laichen, ist es ein Hauptspaß, sie samt dem Steinchen, an dem sie festsitzen, an das Ufer zu zerren. Auch Schmetterlinge gibt es mit Leibern so dick, wie eine junge Maus, und Käfer, fett wie Schnecken, und unterschiedliche Arten von Mäusen. Ja, es ist ein vorzüglicher Wald, dieser Wald hier, ein wahrer Prachtwald. Nur vor dem Förster muß man sich zu wahren wissen, denn er ist noch gefährlicher als Fuchs und Habicht.
Aber dafür ist er auch meist so unvernünftig grünspangrün angezogen, daß eine halbwegs geweckte Krähe ihn schon von weitem äugt. Und auch dann, wenn er Walduniform anhat, kennt man ihn leicht, denn sein Gesicht leuchtet weithin im Walde, und seine Flinte blitzt noch weiter in der Sonne. Das aber, was da ankommt, das ist einer von den Menschen, die keiner Krähe etwas tun, denn er geht schnell und flötet dabei. Und der große Raubvogel, der dort angesegelt kommt, ist ein ganz ungefährlicher Bussard. Aber deswegen kann man ihn doch fortjagen. Laut quarrend hassen die Krähen auf den Mäusejäger, treiben ihn über die Wiese und kehren dann zurück. Es war nur einer von den Späßen, die sie sich gern erlauben. Auch der Hund, der da herumbummelt, hat dort nichts zu suchen. Also: Auf ihn! Schon macht er, daß er nach dem Dorfe kommt.
Sieh, sieh, also darum schnüffelte Spitz dort umher! Er hat ein Junghäschen gewittert. Nun, das können Krähen besser noch gebrauchen als ein Hund. Aber es kann schon hübsch laufen und drückt sich in das Eichengestrüpp. Hick, hack! Es geht ja schwer, die Schnäbel durch das Gezweig zu bringen, aber Ausdauer führt zum Ziele. So, der Hieb saß! Jämmerlich klagt der Kleine. Aber was ist das da, was da angestoben kommt? Wahrhaftig, die Alte! Nun wird der Fall verwickelt, denn so eine Hasenmutter versteht niederträchtig zu trommeln. Da fliegt schon eine Feder und da noch eine. Tatsächlich, es ist keine Möglichkeit an den Junghasen heranzukommen, einmal der Zweige wegen und dann, weil die Alte ihn deckt. Aber horch, klagt drüben an dem Teiche nicht noch ein Junghase? Es ist so. Also dahin! Halt, halt, zurück, es ist der Grünrock! Aber da donnert der Schuß schon, wie ein schwarzer Lappen fällt das Krähenmännchen auf die Wiese, und das Weibchen fuchtelt mit Angstgetöse von dannen.
»Gelichter!« brummt der Förster, hängt die Krähe in den Hühnergalgen und geht heim. Abends ist er wieder draußen mit seinen Söhnen und baut sich aus Fichtenzweigen einen dichten Schirm um vier Pfähle, und am Morgen sitzt er darin und davor auf der Juhle, mit dem bernsteingelben Glotzaugen um sich spähend, Hans, der Uhu. Ein Häher flattert über die Wiese, äugt die Eule, baumt in der Eiche auf und schimpft mörderisch. Endlich streicht er ab. Ein Brachvogelpaar kommt flötend angeschwebt, haßt auf den Uhu und zieht weiter. Ein Krähenpaar rudert in hoher Luft dahin, wendet, kreist, krächzt Mord und Brand, stößt auf den Uhu und baumt auf. Ein Doppelschuß erdröhnt, und beide stürzen auf die Wiese. Eine einzelne Krähe streicht vorüber, äugt den Uhu, stößt ein Angstgekreische aus und macht, daß sie fortkommt. Der Förster lacht in seinen Bart hinein; er weiß, daß es eine alte Standkrähe ist, die ganz genau Bescheid weiß, daß der Uhu schießen kann. Aber jetzt kommt ein Krähenpaar angestrichen und stößt auf den Uhu. Die eine fällt im Feuer, die andere verliert zwei Schwanzfedern und rettet sich mit Angstgekrächze in den Wald.
Es ist das Weibchen, das vorgestern den Hecht und gestern die Junghasen entdeckte. Zwei Tage bleibt es ledig, am dritten hat es ein Männchen. Es ist keine Rabenkrähe, dafür hat es am Rumpfe zu viel Grau, und es ist auch keine Nebelkrähe, denn das Grau ist zu trübe. Es ist ein Bastard. Seine Mutter war eine Rabenkrähe, sein Vater eine Nebelkrähe, die aus irgendeinem Grunde diesseits der Elbe blieb und sich eine schwarze Gefährtin suchte.
Das Bastardmännchen ist ein Oberschlauberger. Seine Frechheit ist geradeso groß wie seine Vorsicht. Es stiehlt dem Oberholzbauer sein Butterbrot und geht schon auf tausend Schritte ab, wenn der grüne Rock des Försters auftaucht, aber es geht zwei Fuß hinter dem pflügenden Knechte her und liest die Engerlinge, Drahtwürmer und die Eulenpuppen auf, die die Pflugschar zutage bringt. Es belästigt den Habicht so lange, bis der es vorzieht, nicht mehr in dieser Ecke zu jagen, und es paßt scharf auf die Kiebitze auf, und ehe sie es sich versehen, hat es das Gelege gefunden und frißt die Eier aus. Selbst beim scheußlichsten Regenwetter und beim eisigen Ostwinde weiß es Nahrung zu finden.
So paßt es gut zu dem schwarzen Weibchen, das sehr klug veranlagt, aber ein Jahr jünger und darum unerfahrener ist, und wenn auch zwei Rabenkrähenmännchen es ihm eine ganze Woche lang streitig machen, seine Unverschämtheit treibt sie schließlich in die Flucht. Nun gibt es gegen Mittag ein seltsames Leben in dem sumpfigen Erlenbestande bei dem Bache. Quarrend und schnalzend treibt die graue Krähe die schwarze, bis sie sich gibt, und dann gaukelt das Männchen um sie herum, schnalzt ihr seinen sonderbaren Singsang vor und macht sich mit Schnabelklappen und Schwingengeschwirre so niedlich, wie es nur kann.
Der alte Bock, der hier seinen Stand hat, äugte erst ganz verdutzt, als das Geflügel und Geflatter über ihm losging, aber er gewöhnte sich schnell daran. Etwas unheimlicher aber wird es ihm, als es einige Tage darauf immer kick, knick geht, gerade als wenn ein Menschenfuß beim leisen Pürschen ab und zu einen dürren Stengel abträte. Das sind die beiden Krähen, die von Baum zu Baum fliegen und bald hier, bald da einen Zweig abbrechen. Das machen sie so heimlich und geräuschlos, als handelte es sich um ein schweres Verbrechen, und es sind doch nur wertlose Erlen- und Birkenreiser und keine Tragreiser von Edelobst, wie sie die Krähe, wo sie sie haben kann, mit Vorliebe zum Unterbau für ihren Horst nimmt. Aber auch an das leise Abknicken gewöhnte sich der Bock sehr bald, und in wenigen Tagen fand er heraus, daß die neue Nachbarschaft für ihn von Nutzen sei. Es ist ja der Zaunkönig da, das Rotkehlchen, der Laubvogel, die Weidenmeise, die Singdrossel, die Amsel und der Häher, die ihm alle jeden Menschen anzeigen, aber auf keinen von ihnen ist so viel Verlaß wie auf die Krähen. Da ist nichts auf eine Viertelmeile im Umkreise, das ihnen entgeht, und das sie nicht vermelden. Jeden Menschen, der sich blicken läßt, verkünden sie, aber auf unterschiedliche Art. Die Waldarbeiter und die Kinder, die Dürrholz lesen, werden anders angesagt als der Käfersammler, denn er ist den Krähen fremd, und anders ist der Ruf, der den Gendarm offenbart, der ab und zu durch den Wald geritten kommt. In dem Arr oder Krah, mit dem diese Leute gemeldet werden, liegt weiter nichts als die Feststellung einer mehr oder minder bemerkenswerten Tatsache; läßt sich dann der Forstläufer blicken oder der Hegemeister oder gar der Forstmeister, der schon seit drei Jahren den alten Bock weidwerkt, dann klingt der Warnruf so gellend, daß der Bock sofort Bescheid weiß. Aber die Krähen haben auch wieder von dem Bocke Nutzen, denn er hat einen Sinn mehr als sie, die Nase, und wenn der Hegemeister sich auch noch so vorsichtig unter dem dichten Gezweige der Fichten heranpürscht, um zu sehen, ob er nicht die Krähen beschleichen kann, die ihm das Fasanengelege plünderten, des Bockes dröhnender Baß verrät ihn. Außerdem sind noch die hellsichtigen Tauben da, die mit klatschendem Flügelschlage abreiten, naht sich irgend etwas Verdächtiges dem Bruche.
So können die Krähen in Muße in der hochschäftigen, dichtkronigen Kiefer, die sich zwischen den Erlen und Birken erhebt, ihren Horst bauen und ungestört ihre Eier ausbrüten und in Frieden ihre Jungen großziehen, zumal es an Futter nicht gebricht. In dem Bruche selbst und an den Rändern der Gräben wimmelt es von grünen und braunen Fröschen, da schlüpfen mehrere Arten Mäuse, auf den Gestellen sind vielerlei Heuschrecken und Käfer, und das Unterholz birgt eine Menge von Nestern mit leckeren Eiern und fetten Jungvögelchen. Die Felder, Wiesen und Weiden vor dem Horst wimmeln von allerhand Getier, und in den Brüchen und Mooren ist noch mehr davon zu finden. Das Krähenpaar hat es leicht, seine Jungen satt zu bekommen, und fortwährend fliegen die Alten auf und ab und schleppen Atzung heran, den Mistkäfer wie die Maus, die Eidechse und die Kreuzotter, den jungen Kiebitz und die eben ausgeschlüpfte Kriekente, und die Jungen wachsen und gedeihen und sind in wenigen Wochen so groß, daß sie den Nestrand ganz plattgetreten haben. Noch einige Wochen später sitzen sie schon in den Zweigen der Kiefer und flattern bald den Alten etwas entgegen, bis der Tag kommt, wo sie den Horst verlassen und mit unsicheren Flügelschlägen in schrägem Fluge über das Bruch hinflattern. Für zwei von ihnen ist der erste Flug der letzte; das eine schlägt der Habicht, das andere reißt der Fuchs. Die drei anderen aber, eine schwarzgraue, wie der Vater, und zwei kohlschwarze, wie die Mutter, kommen glücklich davon.
Nun hebt ein herrliches Leben an. Den Morgen und den Vormittag lernen die Jungen unter Führung der Eltern auf den Wegen und Wiesen sich ihre Nahrung suchen. Anfangs ist das recht schwer, denn der Heuhüpfer kann mächtig springen, die Frösche sind scheußlich flink, und die Maus ist immer gerade da gewesen, wo der Schnabel eben hinhackt, die Blindschleiche hält sich im Grase schrecklich fest und die Eidechse ist schon längst verschwunden, ehe man sie recht gewahrt hat. Manche Dinge sieht man überhaupt nicht. Da liegen in einem runden Loche im Grase fünf kleine, runde, buntgesprenkelte Steine. Steine schmecken nicht, also läßt man sie liegen. Aber die Mutter holt einen hervor, beißt ihn durch, und siehe da, es ist etwas Weiches darin, das ganz ausgezeichnet schmeckt. Dann liegt da auf dem Sandwege ein hartes, rundes, schwarzes Ding, das sich gar nicht bewegt. Wer kann es wissen, daß es ein Pillenkäfer ist? Der Vater, und nun wissen es die Jungen auch. Und Eidechsen fangen ist gar nicht so schwer. Man wartet, bis sie in ihr Sandloch geschlüpft ist, und dann stellt man sich so, daß man seinen eigenen Schatten hinter sich hat, und rührt sich nicht, und wenn es eine Viertelstunde dauert. Sobald sie aber herauskommt, wupps, zugehackt, und man hat sie. Ebenso ist es mit der Maus, und mit dem Maulwurf ist es ähnlich, nur daß man bei diesem darauf achten muß, wo sich das Fallaub oder die Erde bewegt. Anders ist es wieder mit den jungen Lerchen, Piepern, Bekassinen und Kiebitzen. Die sind auf einmal verschwunden, als wären sie in die Erde gekrochen. Aber wenn man genau zusieht, dann liegt hier ein Ding, das sieht wie ein verschimmeltes Stück Schafdung aus, und faßt man zu, dann hat man einen Jungvogel.
Noch vielerlei gibt es, was die Jungen lernen müssen. Die großen Tiere, die auf zwei Beinen gehen, sind sehr gefährlich, denn das sind Menschen. Manche sind harmlos, aber so genau kann man das nie wissen. Wenn sie beim Gehen Lärm machen oder auf Wagen sitzen, sind sie meist unschädlich, und auch alle die, die unten breiter als oben sind, und von deren Beinen man nur kleine Stücke sieht, haben nichts zu bedeuten. Man tut aber immer gut, sie nicht auf mehr als auf hundert Flügelschläge herankommen zu lassen. Die einzigen Menschen, denen man trauen kann, das sind die, die hinter zwei Pferden das Feld auf und ab gehen und den Boden wund machen, so daß allerlei Getier zum Vorscheine kommt, und auch die, die im Walde graben oder Bäume umhacken, sind im allgemeinen nicht zu fürchten. Aber die, die grün aussehen und auf der linken Schulter etwas Blankes und hinter sich meist einen Hund haben, das sind die allerschlimmsten, und jede anständige Krähe hat die Pflicht, es weit und breit anzusagen, wenn ein grünröckiger Mensch in Sicht kommt. Man ist nie vor ihnen sicher, und wo irgendein Busch oder Strauch oder ein Graben ist, da muß man, wenn man beim Mausen oder Nestersuchen ist oder sonst etwas vorhat, ab und zu in die Höhe fliegen und spähen, ob nicht in dem Graben oder hinter dem Busche ein solcher Mensch ankommt. Außerdem hat man sorgfältig auf das Benehmen aller klugen Tiere acht zu geben. Solange der Bock sich äst und der Hase rund ist, ist die Luft rein; wenn aber der Bock aufwirft und der Hase lang wird, ist irgend etwas nicht in Ordnung. Da, wo die Grille zirpt oder der Frosch quarrt, ist keine Gefahr; wenn aber die Tauben sehr laut abstreichen, wenn ein Vogel warnt, oder der Häher oder der Specht oder der Kiebitz Lärm schlägt, dann ist irgend etwas in Unordnung, und wenn der Hase oder der Bock plötzlich wegläuft, oder der Bock laut schimpft, dann ist die Sache sehr bedenklich.
Es ist unglaublich viel, was eine junge Krähe alles lernen muß, ehe sie ohne die Eltern in der Welt fertig werden kann. Es ist zum Beispiel ganz ungefährlich, um die Zeit, wenn die Bauern alle auf der Wiese beim Heuen sind, zwischen ihnen herumzugehen und nach Jungmäusen zu suchen. Dagegen muß man, wenn man im Dorfe Kirschen holen will, sich sehr dabei vorsehen. Manchmal steht ein Mensch auf dem Felde und rührt sich nicht; dann ist es gar kein Mensch, sondern eine Vogelscheuche, aber man tut doch gut, alles was ungefähr wie ein Mensch aussieht, erst lange Zeit zu beobachten. Wenn ein Mensch sich auf dem Felde zu schaffen macht und fortgeht, und man findet dort nachher ein Stück Fleisch, das ist immer hochverdächtig. Findet man im Walde eine Eule, so darf man sie so plagen, wie man will; sitzt aber auf freiem Felde die große Eule auf einem Pfahle, so ist die Sache faul, denn diese Eule kann schießen. Wenn man zu mehreren ist, muß man den Habicht fortjagen; ist man allein, so tut man gut, sich zu verstecken.
Das alles und noch viel mehr lernten die jungen Krähen den Sommer über unter Führung der Alten. Sie lehrten sie, im Bogenfluge am Rande des Roggenfeldes entlang zu fliegen, eine Ähre zu haschen und abzureißen und sie, wenn ein bis zwei der milchigen Körner herausgepickt waren, fortzuwerfen und sich eine neue zu holen. Sie lehrten sie die Stellen unter den Brücken zu finden, wo selbst um die Mittagszeit das Wasser kühl ist, und zeigten ihnen die Buchten im Flusse, wo die abgestandenen Fische und die ertränkten jungen Hunde und Katzen antreiben. Sie wiesen ihnen die blauen Fliegen und die rot und schwarz gestreiften Käfer, die unfehlbar anzeigen, wo ein totes Tier oder ein Wildgescheide liegt, und machten es ihnen klar, wie man aus dem Benehmen eines Hasen oder eines Vogels erkennt, wo er seine Jungen oder seine Eier hat, und wie man es macht, dorthin, wo ein Schuß fällt, vorsichtig heranzustreichen und aufzupassen, ob man nicht ein Stück Wild findet, das dem Jäger entgangen ist. Wenn der Wind von Osten kommt, ist auf dem Moore wenig zu finden, um so mehr aber, ist die Luft still und scheint die Sonne sehr warm. Wenn ein Hase klagt, kann man nie wissen, ob es ein Hase oder ein Mensch ist, der Krähen schießen will; deshalb muß man vorsichtig von hinten und in guter Deckung heranstreichen. Findet man ein größeres Tier, das krank ist, so hackt man ihm zuerst die Augen aus, damit es nicht fortlaufen kann. Der schlimmste Fehler für die Krähe ist die Einseitigkeit. Ist in Wald und Moor noch so viel Futter, so muß man doch ab und zu zu Felde fliegen oder beim Dorfe herumstöbern, damit man sich in der kargen Zeit dort zurecht findet. Wenn es irgend geht, soll sich die Krähe Gesellschaft suchen; vier Augen sehen doppelt soviel als zwei, und je mehr da sind, um so besser ist es.
Der Sommer geht hin, der Herbst zieht in das Land; die einzelnen Krähenfamilien schlagen sich zu Flügen zusammen und treiben sich, bald sich für sich haltend, bald mit Dohlen und Saatkrähen gemischt, im Lande umher, heute in den Marschen, morgen auf den Stoppeln der Geest, übermorgen auf den Rübenfeldern des Lehmlandes, ungeheure Mengen von Drahtwürmern, Engerlingen und Mäusen vertilgend und Massen verwerfender Stoffe forträumend, auch manches angeschossene Rebhuhn, manchen kümmernden Hasen überfallend und tötend. Sinkt der Abend über das Gefilde, färbt sich der Himmel rosig, dann ziehen sie, geführt von den ortskundigen Stücken, krächzend und quarrend nach einem fernen Walde, ihn noch eine Stunde lang mit dem Getöse ihrer rauhen Stimmen und dem Rauschen ihrer harten Schwingen erfüllend, bis der letzte Rosenschein am Himmelsrande erlischt und die Nacht hereinbricht. Jeder Morgen bringt dem Fluge neuen Zuzug; und um das Dreifache nimmt er zu, als Ostelbien, Skandinavien, Rußland und Nordasien die zahllosen Mengen von Nebelkrähen in das Land der Rabenkrähen schickt. Da wird allmählich das Futter spärlich in Feld und Wiese, Moor und Heide, und immer mehr drängen die Scharen nach den Siedlungen der Menschen, erst nach den Dörfern, dann nach den Landstädten und zuletzt zu den Großstädten, wo die Rieselfelder und Schuttplätze liegen, die allwinterlich die Tausende und Abertausende und Abertausende von Krähen ernähren müssen.
Es ist viel über den Nutzen und Schaden der Krähen gestritten worden. In der Jagdpresse, die sich bis vor kurzem noch auf einem ganz einseitigem Standpunkte befand, wird die Raben- und Nebelkrähe als ein Vogel hingestellt, der jagdlich nur Schaden stiftet. Es ist selbstverständlich, daß ein so starker und kluger Vogel allerlei Schaden in jagdlicher Hinsicht anrichtet. Auf weiter, buschloser Strecke ist ein Nebelkrähenpaar imstande, einen kümmernden Hasen zu Tode zu hetzen, auch wird es einem Krähenpaar nicht allzu schwer fallen, ein frischgesetztes Rehkitz zu meucheln. Der eben gesetzte Junghase, das Feldhuhn-, Fasanen-, Wachtel- und Entengelege, das die scharfen Augen der Krähen erspähen, ist verloren, und so manches Junghuhn, so manches Fasanenkücken, so manche Jungente findet den Tod durch ihre Schnäbel.
Das ist die eine Seite der Sache. Bedenkt man aber, daß der Krähe in erster Reihe kümmerndes, angeschossenes und krankes Wild zum Opfer fällt, so kann man von einem Nutzen sprechen, beseitigt sie solche sowieso verlorenen Stücke, die zum Teil als Seuchenverschlepper dem Jagdinhaber schweren Schaden stiften. Wenn ferner ein Feldhuhn, eine Fasanenhenne, eine Wildente so dumm baut, daß das Gelege von den Krähen erspäht wird, so ist es vielleicht auch gut, daß die Krähe dafür sorgt, daß sich die Dummheit der Mutter nicht vererbe. Im allgemeinen bieten die Satz- und Hegezeit der Krähe so viel Kleingetier als Futter, daß sie nur verhältnismäßig selten nach Wild suchen wird, und sie wird in der Hauptsache von solcher Beute leben, die ihr, wie Insekten, Mäuse usw., am bequemsten zugänglich ist. So wird dort, wo die Krähen nicht gerade in zu großer Anzahl auftreten, was bei der Raben- und Nebelkrähe kaum irgendwo der Fall ist, ihr jagdlicher Schaden durchschnittlich geringer sein, als man annimmt.
Nachweislich stiftet sie aber auch in anderer Hinsicht Unheil. Sie bricht zum Bau ihres Nestes mit Vorliebe die brüchigen Tragreiser von Obstbäumen ab, tritt außerdem, besonders an Landstraßen, an Obstbäumen sehr viel die Pfropfreiser ab, plündert auch vielfach in ziemlich erheblicher Weise die Obstbäume, besonders die Kirschen, reißt bei der Würmersuche die Saatbüschel heraus und pflückt milchige Getreideähren in solchen Mengen ab, daß sie dadurch ganz erheblichen Schaden stiftet, plündert auch die Erbsen- und Bohnenfelder. Entgegen steht aber der sehr große Nutzen, den sie in landwirtschaftlicher Beziehung durch die Vertilgung von Engerlingen, Drahtwürmern, Maikäfern, Brachkäfern und Mäusen stiftet. Somit dürfte Regierungsrat Prof. Dr. G. Rörig von der Versuchsanstalt für Land- und Forstwirtschaft zu Dahlem, der Tausende von Krähen auf ihren Mageninhalt untersuchte und die Ergebnisse veröffentlichte, recht haben, wenn er behauptet, daß, von Sonderfällen und Sonderverhältnissen, wie sie für Fasanerien in Frage kommen, abgesehen, die Raben- und Nebelkrähen in der Hauptsache mehr Nutzen als Schaden anrichten.
Bei der Bewertung der Krähe darf aber nicht allein ihr unmittelbarer Nutzen in Frage kommen. Es ist auch zu bedenken, wie schwer die Krähen dem Fuchs, dem Marder und dem Habichte ihr Handwerk machen. Außerdem, und das ist auch ein wichtiger Punkt, ist der ästhetische Wert der Krähen von großer Bedeutung. Ein blankes Krähenpaar auf der grünen Aprilsaat, der gelben Auguststoppel oder dem weißen Schneefelde, ein Krähenflug, der unter dem graublau und rosenrot getönten Abendhimmel dahinzieht, der zärtliche Balzruf der Krähe im kahlen Vorfrühlingswalde, ihr Krächzen im sturmzerzausten Herbstwalde, das alles gehört zu der deutschen Landschaft.
Darum: schadet sie hier und da, so soll der Jäger oder der Landwirt sich ihrer erwehren, wie er kann; aber behalten wollen wir sie in der Landschaft, die blanke, kluge Krähe, Deutschlands interessantesten Großvogel.