Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Im öden Ort

Die Nachtschwalbe

In der Meggenheide ist es nicht recht geheuer, vorzüglich um die Ulenflucht. Wenn der Fuchs im Moore Bier braut, geht der Helljäger um, pfeift seiner Meute und klappt mit der langen Rüdemannspeitsche, und die tote Spinnerin läßt ihr Rad schnurren.

Das hat die alte Magd im Heidkruge den Stadtleuten erzählt, die dort in der Sommerfrische sind. Die tuen so, als glaubten sie es, aber im stillen lächeln sie über das alte Mädchen und seine Spukgeschichten.

Eines Abends aber, als sie den Richteweg durch die Meggenheide eingeschlagen, wird ihnen doch etwas bänglich zu Sinnen. Wie Gespenster sehen die Wacholderbüsche aus und wie Unholde die zerzausten Krüppelkiefern.

Gerade hat der kecke Sekundaner mit einem schlechten Witze des Schwesterleins gedrückte Stimmung aufgefrischt, da ertönt ein greller Pfiff. Erschreckt fährt der Backfisch zusammen, die Frau faßt fester des Mannes Arm, der Sekundaner sieht sich scheu um, und selbst das Haupt der Familie bekommt schnellere Füße.

Noch einmal erklingt der scharfe Pfiff, und noch einmal, und dann hört man das Klatschen der langen Peitsche und das Schnurren des gespentischen Spinnrades. Ein dunkler, schmalflügeliger Vogel flattert lautlos über den Leuten, umkreist sie, tanzt auf und ab, verschwindet im Schatten und tanzt wieder vor ihnen her. Bald hier, bald da erklingt der seltsame Pfiff, ertönt das unheimliche Klatschen, und laut schnurrt das gespenstische Rad. Mit nassen Stirnen und klopfenden Herzen kommen die Leutchen im Kruge an.

Am anderen Morgen sucht das Mädchen zwischen Holz und Heide aus Wohlverleih und Knabenkraut einen bunten Strauß für den Mittagstisch. Als es sich wieder bückt, flattert mit heiserem Rufe etwas Graues vor ihr auf, verschwindet in der Heide, schwebt wieder heran, läßt sich nieder, glotzt aus großen dunklen Augen, spreizt ein gespenstisch gefärbtes Gefieder, trippelt auf hexenhafte Art hin und her, und jetzt schreit das Mädchen auf, läßt die schönen Blumen fallen und läuft, was es laufen kann, denn vor sich erblickte sie zwei große, graue, häßliche, glotzäugige Klumpen, schrecklich anzusehen, Kröten oder sonst etwas Entsetzliches, wie es ihm noch nie begegnete.

Man kann schon ängstlich werden, wenn abends in stiller Heide die Nachtschwalbe ruft und schnurrt und mit den Flügeln klatscht, und wer nicht weiß, was er vor sich hat, ist leicht geneigt, ihre Jungen für bösartige Ungeheuer zu halten, denn mit ihren dicken, flachen Köpfen, den gewaltigen roten Rachen und den mächtigen schwarzen Augen sehen sie ganz absonderlich aus und in ihrem Jugendgefieder ähneln sie anfangs verschimmelten Erdklumpen und späterhin jungen Zaunigeln, und ihre Bewegungen sind durchaus nicht anheimelnd. Wer aber die Nachtschwalbe kennt, der liebt sie und freut sich, begegnet er ihr.

Am Tage ist es nicht leicht, sie zu finden, und meist Sache des Zufalls. In der buschigen Heide, am Rande des Kiefernwaldes, im trockenen Moor liegt sie, flach an den Boden gedrückt oder platt auf einen Ast geschmiegt und läßt den Wanderer bis auf wenige Schritte herankommen. Plötzlich erhebt sie sich mit einem merkwürdig trocken klingenden Rufe, einem rauhen »dak, dak«, flattert mit einigen ungeschickten Flügelschlägen empor, schwenkt gewandt um die Büsche und Stämme und ist verschwunden. Der Wanderer hat gesehen, wo sie einfiel. Er geht vorsichtig hin. Hier muß es sein. Er späht und späht, aber er sieht nichts als Heide, Sand, Renntiermoos und Pfeifengras. Da klingt es wieder dicht vor ihm »dak, dak«, und unbeholfen flattert der graue Lappen fort und verschwindet wieder. Ein Dutzend Male versucht der Sucher sein Glück noch, aber nie gelingt es ihm, den Vogel eher zu erspähen, als bis er hoch wird; das grau, braun, schwarzbraun und rostgelb gemusterte Gefieder verschmilzt völlig mit dem Erdboden oder dem Aste.

Wer die Nachtschwalbe am Tage im Freien beobachten will, der kann das nur am Neste. Das heißt, ein Nest im üblichen Sinne baut sie nicht. Im Gewirre von dürrem Farnkraut, Gras und Reisig, unter einem Wacholderbusche, zwischen dem sparrigen Gezweige einer krüppeligen Kiefer scharrt sie sich mit den schwachen, bis auf die Zehen gefiederten Füßchen eine ganz flache Nestmulde und legt auf den blanken Boden ihre großen, walzenförmigen, beiderseits gleichmäßig abgerundeten Eier, deren Färbung und Zeichnung ebenso dem Erdboden angepaßt ist wie ihr Gefieder. Wer sie dort aufjagt, Geduld hat und stille sitzen gelernt hat, der kann sie gut betrachten.

Eine Viertelstunde sitzt er still und stumm auf dem Baumstumpfe. Da flattert es an ihm vorüber und fällt auf dem Sande ein. Wie es so daliegt, sieht es wie ein fast fußlanges Stück Rinde aus, das Nachtschwalbenweibchen, und das große schwarze Auge, das es dem Beobachter zukehrt, könnte er für einen Käfer halten. Aber jetzt richtet es den Kopf auf, an dem ein winziges, von langen, steifen, schwarzen Schnurrhaaren beschattetes Schnäbelchen sitzt, das der Vogel nur zum Putzen des Gefieder benutzen kann. Aber die Mundspalte ist so groß, daß in dem geöffneten Rachen ein derber Mannesdaumen bequem Platz hat, und so kam der harmlose Vogel in den Verdacht, er hinge sich an den Ziegen fest und saugte ihnen die Milch aus.

Da der Beobachter ganz still sitzt, fühlt der Vogel sich sicher. Ungeschickt trippelt er dem Neste zu, mit hochgehaltenen Flügeln sich das Gehen erleichternd. Dabei zeigt er die feine Musterung seines Gefieders, wie sie nur noch ein einziger deutscher Vogel, der schnurrige Wendehals, aufweisen kann. Es ist ein Erdvogelgefieder nach der Zeichnung und ein Nachtvogelfederkleid nach der Beschaffenheit, so weich, daß es einen lautlosen, sanften Flug ermöglicht, wie ihn ein Vogel braucht, dessen Beute schnelle Falter sind, deren feine Sinne sie befähigen, jedem verdächtigen Luftdruck blitzschnell auszuweichen.

Es ist ein Vergnügen, der jagenden Nachtschwalbe zuzusehen. In geradem Fluge schießt sie dicht über das dunkle Heidland. Jäh steigt sie steil empor, schlägt einen blitzschnellen Bogen und kommt mit offenem Rachen dem Kiefernschwärmer entgegen, der im rasenden Fluge dem Hochwalde entgegensaust auf der Suche nach einem Weibchen. Mitten in seinem Liebesfluge öffnet sich vor ihm der rote Schlund, nimmt ihn auf, der Rachen schließt sich laut klappend, und während vier silbergraue Flügel einzeln in den Sand fallen, ist die Nachtschwalbe schon dort angelangt, wo in stürmischem, unberechenbarem Zickzackfluge ein dicker rostroter Spinner über die Heide taumelt. Auch seine Flügel flattern zu Boden, und gleich darauf fallen die langen Beine einer Heuschrecke in das Moos, die allzu keck von einem langen Halme ihre Gitarre spielte, und auch die mit blankem Golde eingelegten Flügel der Gammaeule, der Grille seltsam getriebene Schwingen und des Mistkäfers stahlblaue Decken zeigen des Morgens an, wo der rote Rachen zuklappte.

Ist es eine Lust, dem Jagdfluge des Nachtvogels zuzuschauen, so ist es eine Wonne, sein Minnegegaukel zu belauschen. Zwischen Moor und Heide, eingefaßt von schwarzem Walde, liegt eine große Blöße. Ein abgetriebener Windbruch ist es. Silbern schimmern die Stümpfe der Fichten und Kiefern im Zwielicht, und zwischen ihnen wuchern Brombeeren und Himbeeren, Kreuzkraut und Weidenröschen, Adlerfarn und Pfeifengras. Am Tage läutet der Schwarzspecht hier die silberne Glocke, schmettern Zaunkönig und Braunelle ihre Lieder, schwebt der Baumpieper mit kräftigem Schlage hinab; wenn aber die Amsel mit Gezeter ihren Schlafbusch sucht und im Holze die Ohreule seufzt und unkt, aus der Dickung der Bock tritt und die Kreuzotter das Mauseloch verläßt, dann erhebt sich über der Rodung ein seltsames Leben.

Ein großer, schmalflügeliger Vogel rüttelt plötzlich in der Mitte der Blöße, läßt ein gellendes »kruit kruit« hören, tanzt mit steil emporgereckten Schwingen in herrlichem Bogenfluge auf und ab, pfeift wieder gellend, klatscht laut die Schwingen zusammen und klebt mit einem Male auf der Armlehne des Hochsitzes, den der Jäger sich hier aufstellte, und ein seltsames Schnurren beginnt, ein minutenlanges, anhaltendes, weithin hörbares »Oerrrr«, das mit einem sanften »Errrrr« vom Rande der Blöße beantwortet wird. Von dem Hochsitz löst sich das schwarze Ding, jauchzt seinen wilden Pfiff, tanzt auf und ab, schwebt klatschend fort, und nun tanzen zwei Schatten über die Rodung, haschen sich, fliehen sich, verlieren und finden sich, bis ein dritter erscheint, ein vierter auftaucht, die ganze Blöße von dem Jauchzen und Klatschen hallt und von dem Schnarren und Spinnen schallt, bis mit einem Schlage die Spukgestalten verschwunden sind und fern das Geplärre der Frösche im Moore und das Schrillen der Grillen in der Heide allein die Stille ausfüllen, bis wiederum zwei der pfeifenden, klatschenden Gespenster auftauchen, sich hin und her jagen, die Grillen und Frösche mit ihrem Geschnarre übertönen und abermals von der Dunkelheit verschluckt und von der Stille aufgenommen werden. Gegen Morgen hin, wenn die Grillen schweigen und die Frösche verstummen, sind sie wieder da und treiben noch ein Weilchen ihr sonderbares Spiel, um endlich, wenn der Tau die Halme biegt, im Gestrüppe unterzutauchen, wo sie den Tag verschlafen.

Stört sie dort nicht der Mensch oder ein Hund oder die Schnuckenherde, dann rührt sich die Nachtschwalbe kaum vom Fleck. Ab und zu spreizt sie einen Flügel, daß die hellen Flecken an den Schwingen aufleuchten, fächert den Schwanz, legt sich auf die Seite, rekelt sich, putzt ihr Gefieder oder säubert es mit dem Schnabel und den Krallen von den Federläusen, pudert sich mit dem weichen Sande und genießt die Sonne, bis diese hinter die Heidhügel steigt und die Dämmerung aus dem Forste schleicht. Dann treibt es den Nachtvogel hervor aus seinem Verstecke zu frohem Minnefluge oder wilder Jagd.

Wenn aber die Heide ihr Feiertagskleid anlegt, die Tage kürzer und die Nächte kühler werden, nicht so viele dicke Falter und fette Käfer mehr fliegen, dann ist der Dämmerungsvogel plötzlich verschwunden, und ehe eine Woche vergeht, jagt er afrikanische Falter und Käfer mit seinen Verwandten, die dort beheimatet sind.

Um die Mitte des Aprils treibt es ihn aber wieder fort aus dem Lande der Palmen, und auf der stillen deutschen Heide klingt dann sein gellender Pfiff, hallt sein lauter Fittichschlag, tönt sein endloses Schnarren, und die Leute im Dorfe sagen dann: der Helljäger geht um.

 


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