Hermann Löns
Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen
Hermann Löns

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Die Wasserspitzmaus

Da, wo der Wühlbach aus dem Walde hervortritt, hat ihn der Bauer geteilt und zur Hälfte nach den Wiesen abgeleitet. Der Hauptbach ist wild und ungestüm und poltert dahin wie ein Berggewässer. In dem abgeteilten Arme fließt das Wasser langsamer, und so gedeihen alle Pflanzen üppig dort, hell- und dunkelblättriger Hahnenfuß, Merk und Laichkräuter.

Es wimmelt deshalb dort von allerlei Getier, von Schnecken, Egeln, Jungfer- und Schwimmkäferlarven, Köcherwürmern, Bachflohkrebsen und Ruderwanzen; auch huschen Elritzen hin und her und Stichlinge. Darum jagt der Eisvogel dort Tag für Tag und noch ein anderer kleiner Fischer.

Die Wasserspitzmaus ist es, ein seltsames Tierchen, gleicherweise gewandt zu Lande wie zu Wasser, ein Taucher und Schwimmer trotz dem Otter, ein keckes Räuberchen, das sich an alles Getier heranwagt, das schwächer ist, ein rastloses, unstetes, unruhiges Wesen, immer in Bewegung, immer auf Beute aus, denn es hat einen hungrigen Magen und eine schnelle Verdauung.

Ein schrilles Zwitschern erklingt am Bachborde. Unter dem Steilufer zieht sich ein glatter Streifen dicht über dem Wasser hin, hier und da von einem Binsenbusche verdeckt. Das ist der Jagdwechsel der Wasserspitzmaus. Da huscht sie hin und her, auf Kerbtiere Jagd machend. Dem Laufkäfer helfen seine wehrhaften Kneifzangen und sein ätzender Mundsaft wenig; die Spitzmaus ist schnell mit ihm fertig. Auch eine dicke, braune Graseulenraupe muß daran glauben, und eine Bernsteinschnecke findet ebenfalls ein schnelles Ende.

Unglaublich schnell trippelt der kleine Räuber auf seinem Passe entlang, ab und zu zwitschernd. Da plumpst es über ihm im Bache. Eine zweite Spitzmaus schwimmt auf die erste zu. Ein Männchen ist es, dem die Luft die Witterung des Weibchen zuwehte. Eine lustige Jagd beginnt, denn das Weibchen tut so, als läge ihm an dem ungestümen Bewerber gar nichts. Hin und her hetzt das Männchen das Weibchen, bis es sich in das Wasser rettet, darin untertaucht und auf der Bachsohle entlang rennt. Aber das Männchen folgt ihm und treibt es wieder an das Ufer.

Jetzt sind es auf einmal drei Stück geworden; ein zweites Männchen gesellte sich dem Paare zu. Nun wird die Sache ernst, denn die Tierchen haben ein hitziges Geblüt und sind ebenso verliebt wie eifersüchtig. Schon haben sich die beiden Männchen am Wickel und kugeln sich giftig zwitschernd am Bachende umher bis sie in das Wasser rollen. Das eine hat genug und flüchtet; das andere sucht die Spur des Weibchens und setzt aufs neue hinter ihm her.

Ein Weilchen ist es still am Bache. Die Eisvögel streichen mit scharfen Ruf über ihn hin, Finken und Ammern kommen und tränken sich, die Kuhstelze trippelt an ihm entlang und springt nach Fliegen, und hastig schießen die Wasserwanzen auf ihm hin und her. Da taucht eine Spitzmaus in ihm auf und noch eine, das Männchen und das Weibchen. Sie scheinen sich inzwischen geeinigt zu haben. Zärtlich zwitschernd rudern sie auf der Oberfläche umher. Ab und zu taucht die eine oder die andere unter und vertauscht ihre schwarze Färbung mit einer silberweißen, weil das dichte, feine Haarkleid eine Menge Luft mit unter das Wasser nimmt. Zu sonderbar sieht es aus, wenn sie so auf dem Grunde des Baches umherrennt und bald mit einer Köcherfliegenlarve, bald mit einem Stichlinge zwischen den nadelscharfen Zähnen am Ufer auftaucht und gierig zwitschernd die Beute verzehrt.

Kaum ist sie damit fertig, so geht es wieder auf die Jagd. In unaufhörlicher Bewegung ist das spitze Rüsselchen. Unter jedes Blatt, hinter jeden Halm, über allen Moospolstern schnüffelt es herum. Jetzt ist ein großer Fang gemacht: eine junge Zwergmaus tolpatscht der Spitzmaus gerade entgegen. Sofort ist sie an der Kehle gefaßt. Sie quietscht jämmerlich und hampelt und strampelt heftig. Aber nun ergibt sie sich und wird hinter den breiten Vorhang aus Lebermoos gezerrt, der hier den Spitzmauspaß überwölbt. Flugs begibt sich auch das Spitzmausweibchen dahin, und nun kommt es trotz der heißen Liebe zu einer bitterbösen Beißerei, denn der erste und oberste Spitzmausgrundsatz lautet: Selber essen macht fett.

Mißmutig pfeifend schlüpft das Weibchen von dannen, von dem Zaunkönig mit großem Gezeter begrüßt, denn er traut den Spitzmäusen nichts Gutes zu. Er hat auch recht, denn nestjunge Vögelchen sind vor ihnen nicht sicher. Aber die gibt es nicht alle Tage. So muß denn erst ein feister Grashüpfer daran glauben, und dann kommt eine große Wasserjungfer an die Reihe. Sie krümmt sich gewaltig und rasselt vor Angst mit den Flügeln. Einige Augenblicke später ist aber nicht viel mehr von ihr übrig, und der Bach entführt ihre silbernen Schwingen. Auch ein Maikäfer, der in das Wasser hineinschnurrte, teilt ihr Schicksal. Nur die dürren Wasserläufer bleiben verschont; es ist zu wenig an ihnen daran. Auch um die Taumelkäfer kümmert sich die Spitzmaus nicht; sie stinken ihr doch zu sehr.

Auf der anderen Seite des Baches liegt eine Viehkoppel, und darin ist ein Tränketeich, zur Hälfte mit Laichkraut bewachsen. Dort geht es noch lustiger zu als in dem Bache, denn da treibt eine Spitzmausmutter mit ihren halbwüchsigen Jungen ihr Wesen. Das ist ein Gekribbel und Gekrabbel, ein Geplumpse und Geplantsche und ein unaufhörliches Getrippel und Getrappel und ein fortwährendes Zwitschern und Piepsen. Bald hier, bald da wuselt eines der Jungen über die ledrigen Laichkrautblätter, oder paddelt in dem freien Wasser umher, oder rennt am Ufer entlang, Angst und Schrecken unter den Uferwanzen verbreitend, die nach allen Seiten von dannen hüpfen. Jetzt rennen alle Jungen dahin, wo die Alte eben rief. Sie hat eine lange, dicke Schwimmkäferlarve aus dem Teiche herausgeholt, die sich fürchterlich wehrt und ihre gefährlichen Giftzangen drohend spreizt. Aber die Spitzmaus zermalmt ihr den Kopf, die Jungen zerfleischen ihr den Leib und rächen die Kaulquappen, die dem Giftwurm zum Opfer fielen.

Gleich darauf glückt der Alten noch ein besserer Fang. Eine große grüne Heuschrecke, die eben einen Weißling griff, sprang zu kurz und fiel in das Moos. Aus ist es mit ihr, denn sofort packte die Spitzmaus zu. Ein wahrer Festschmaus ist das für die vier Jungen, denn die Heuschrecke ist dick und feist. Im Umsehen ist sie zerpflückt, und nur die dürren Beine, die Flügel und die Fühler bleiben von ihr übrig. Aber die Jungen sind noch lange nicht satt und wimmeln eilfertig bald zwischen den Binsen und dem Heidekraute, bald auf dem Laichkraut oder in dem Weidenbusche umher, oder tauchen der Alten nach, die alle Augenblicke mit neuer Beute hervorkommt und sie den Jungen zur Hälfte überläßt, um sofort wieder auf Jagd zu gehen.

So geht es von früh bis spät, und auch in der Nacht sind die Spitzmäuse im Gange, gerade als ob sie keinen Schlaf nötig hätten. Und auch im Winter, wenn Randeis den Bach einengt, stöbern sie Tag und Nacht nach Beute umher. So leicht ist dann die Ernährung nicht wie in der besseren Zeit; es fehlen die Heuhüpfer, die Raupen und Regenwürmer; Schnecken, Köcherfliegenlarven und im Moose versteckt schlafende Käfer und ab und zu ein Stichling und eine Elritze sind alles, was sich erbeuten läßt, oder ein Pferdeegel. Um diese Zeit ist die Wasserspitzmaus beinahe nur Fischerin. Kommt aber die schöne Zeit wieder, dann jagt sie ebensoviel auf dem Lande, auf dem sie ebensogut Bescheid weiß wie unten im Bache oder auf dem Grunde des Teiches.

 


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