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Einundzwanzigster Abschnitt.

Von der Verehrung des höchsten Wesens als der Grundlage der Tugend.

§ 134. Das, was jeder edeldenkende, rechtschaffene Mann, dem die Erziehung einigermaßen am Herzen liegt, seinem Sohne außer den Glücksgütern, die er ihm hinterläßt, wünschen kann, besteht, wie ich glaube, in folgenden vier Stücken: Tugend, Klugheit, Wohlverhalten und Wissenschaft. Ich würde noch hinzufügen: eine gesunde und starke Leibeskonstitution und eine zur Heiterkeit und Fröhlichkeit gestimmte Gemütsart. (Campe im Rev.-Werk IX, S. 407, Anm.) Ich will mich hier nicht darauf einlassen, zu untersuchen, ob diese Ausdrücke ihrer wahren Bedeutung nach nicht einer den anderen in sich schließen, oder ob sie wirklich ganz verschiedene Gegenstände bezeichnen. Ich nehme diese Worte hier bloß nach dem populären Gebrauch, und in dieser Hinsicht, hoffe ich, wird es weiter keiner Erklärung bedürfen, um zu verstehen, was ich darunter meine.

§ 135. Ich stelle die Tugend voran als die erste und notwendigste Eigenschaft eines jeden gesitteten Menschen. Sie ist ihm unentbehrlich, um in seinen eigenen und in fremden Augen einen Wert zu behaupten, und ohne sie kann man weder in dieser noch in einer anderen Welt glücklich sein.

§ 136. Als die erste Grundlage dazu muß dem Gemüte früh ein richtiger Begriff von Gott eingeprägt werden, als dem höchsten und unabhängigsten Wesen, dem Urheber und Schöpfer aller Dinge, von dem wir alles Gute empfangen, der uns liebt und dem wir alles zu verdanken haben. Demzufolge muß man das Herz des Kindes mit Liebe und Ehrerbietung gegen dieses höchste Wesen erfüllen. Dies ist zum Anfange genug, ohne daß eine weitere Erklärung nötig ist. Denn wenn man das Kind zu früh mit der Geisterlehre bekannt machen und zu voreilig ihm metaphysische Ideen von der unbegreiflichen Natur des unendlichen Wesens beibringen wollte, so möchte man seinen Kopf nur mit irrigen Vorstellungen anfüllen oder ihn durch unverständliche Vorstellungen verwirren. Man sage ihm bloß bei einer schicklichen Gelegenheit, daß Gott alle Dinge gemacht hat und regiert, alles hört und sieht und denen, die ihn lieben und ihm gehorchen, auf alle Weise Gutes tut. Wenn man so mit Kindern von Gott redet, so wird man finden, daß in ihrem Gemüt bald mehr Gedanken von selbst aufsteigen werden, welche man dann, wenn sie irrig sind, berichtigen muß. Ja, ich halte dafür, daß es überhaupt wohlgetan sein würde, wenn die Menschen überall bei diesem Begriff von Gott stehenblieben, ohne ihre Neugier in Erforschung eines Wesens, das alle Geschöpfe für unbegreiflich erkennen müssen, je weiter zu treiben; denn viele, deren Denkkraft weder stark noch aufgehellt genug ist, um das gehörig zu unterscheiden, was außer- oder innerhalb unseres Erkenntnisvermögens liegt, stürzen sich durch solche Grübeleien nur in Aberglauben oder Unglauben. Entweder stellen sie sich Gott als ein ihnen selbst ähnliches Wesen vor, oder sie glauben gar keinen, weil sie außer dem Menschen kein anderes Wesen begreifen können. Man gewöhne die Kinder, alle Abend und Morgen Gott, ihrem Schöpfer, Beschützer und Wohltäter, in faßlichen und kurzen Gebeten ihre Verehrung zu bezeigen, so wie es ihrer Fähigkeit und ihrem Alter angemessen ist: dies wird für ihre Religion, Erkenntnis und Tugend von größerem Nutzen sein als alle metaphysischen Untersuchungen über jenes unerforschliche Wesen.

§ 137. Hat man nun der Seele des Kindes nach und nach, seiner Fähigkeit entsprechend, einen solchen Begriff von Gott eingeprägt und es gelehrt, ihn zu preisen und anzubeten, als den Urheber seines Daseins und alles Guten, das es selbst zu tun oder zu genießen fähig ist: so enthalte man sich, ihm von dem Wesen der Geister weiter etwas zu sagen, bis der fernere Religionsunterricht hierzu Gelegenheit geben wird.

§ 138. Aber auch dann noch, und überhaupt solange es noch Kind ist, bewahre man sein Gemüt vor allen Eindrücken und Vorstellungen von Geistern oder Gespenstern oder anderen Dingen, die es im Finstern furchtsam machen können. In diese Gefahr geraten Kinder gewöhnlich durch den Unverstand des Gesindes, welches gewohnt ist, sie dadurch in Furcht und Gehorsam zu halten, daß es ihnen von schwarzen Männern, Poltergeistern und anderen Dingen vorschwatzt, welche ihnen, wenn sie allein sind und besonders im Finstern, Grausen erwecken. Dies muß man sorgfältig verhüten; denn obwohl man Kinder durch dergleichen Schreckbilder von manchen kleinen Fehlern abhalten kann, so ist das Mittel doch in der Tat schlimmer als das Übel selbst; es werden dadurch der Einbildungskraft Vorstellungen eingedrückt, die ihnen überall Furcht und Schrecken einjagen. Sind den Kindern einmal solche Spukgeschichten beigebracht, so pflegt der Eindruck davon wegen des damit verbundenen Grausens so stark zu sein und so fest zu haften, daß er sich schwer oder wohl gar nie wieder ganz vertilgen läßt. Solange er aber nicht ganz erloschen ist, werden die Kinder häufig mit seltsamen Einbildungen geplagt, können nicht allein sein und bleiben oft ihr ganzes Leben hindurch furchtsam im Finstern. Mir haben erwachsene Männer, die in ihrer Kindheit so behandelt waren, geklagt, daß, obwohl sie die Torheit und Ungereimtheit jener absurden Vorstellungen hätten einsehen lernen und vollkommen überzeugt wären, daß sie im Finstern ebensowenig als bei hellem Tage sich vor unsichtbaren Wesen zu fürchten Ursache hätten, jene Schreckbilder doch immer bei der ersten besten Gelegenheit in ihrer Einbildungskraft wieder erwachten und nicht ohne Mühe verbannt werden könnten.

Wie dauerhaft und schreckbar dergleichen Bilder sind, wenn sie der Seele sehr früh eingeprägt worden, wird folgende merkwürdige und wahre Geschichte beweisen. In einer Stadt im westlichen Teile von England lebte ein verrückter Mensch, den die Jungen zu necken pflegten, wenn er ihnen in den Weg kam. Als er einst einen solchen Knaben auf der Straße erblickte, ging er in den Laden eines Schwertfegers, bemächtigte sich eines bloßen Degens und lief hinter dem Knaben her. Dieser, als er ihn so bewaffnet sah, machte sich auch auf die Beine, lief, was er konnte, und hatte zum Glück Kraft und Geschwindigkeit genug, noch eben seines Vaters Haus zu erreichen, ehe der Wahnwitzige ihn einholte. Die Tür war bloß zugeklinkt; und als er die Klinke bereits in der Hand hatte, wandte er sich noch einmal um, zu sehen, wie nahe ihm sein Verfolger sei. Dieser war bereits am Eingange und hatte den Degen schon aufgehoben, um nach ihm zu hauen, so daß der Knabe nur noch gerade so viel Zeit hatte, in das Haus zu springen und die Tür hinter sich zuzuschlagen, um dem Streiche zu entgehen. Doch sein Körper entging ihm nur, nicht aber sein Geist. Denn diese schreckliche Vorstellung machte darin einen so tiefen Eindruck, daß er viele Jahre, wo nicht das ganze Leben hindurch gedauert hat. Er versicherte mir noch als erwachsener Mann, da er mir die Geschichte erzählte, daß er sich nicht erinnern könne, jemals nach der Zeit wieder zu dieser Tür eingegangen zu sein, ohne sich vorher umzusehen, er möchte sonst auch noch so viel im Kopfe gehabt, oder, ehe er an die Tür gekommen, noch so wenig an den Wahnwitzigen gedacht haben. – Wenn man Kindern nichts weismachte, so würden sie sich im Dunkeln nicht mehr fürchten als bei hellem Sonnenschein. Die Finsternis würde ihnen als Einladung zum Schlaf ebenso willkommen sein wie das Licht zum Spiel. Sie würden zwischen beiden Zeiten gar keinen Unterschied machen und die eine nicht für gefährlicher oder schreckbarer halten als die andere. Sollte aber jemand von den Leuten, die um sie sind, sie auf die Gedanken bringen, daß es nicht einerlei sei, ob sie im Finstern wären oder bloß die Augen schlössen, so muß man ihnen dieses Vorurteil so gut als möglich auszuroden suchen. Man sage ihnen, daß Gott alle Dinge zum Besten der Menschen eingerichtet und die Nacht dazu gemacht habe, damit sie desto besser und ruhiger schlafen können, daß sie sich überall unter seinem Schutz befinden und im Finstern ihnen nichts Übles begegnen könne. Andere Begriffe von Gott und von guten Geistern können bis auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, von dem wir nachher reden wollen, und was die bösen Geister anlangt, so ist es sehr wohl getan, wenn man die Einbildungskraft der Kinder so lange damit verschont, bis sie zu dieser Kenntnis reif sind.

§ 139. Hat man nun durch eine richtige Vorstellung von Gott und durch Anleitung zum Gebet in der Seele des Kindes den Grund zur Tugend gelegt, so ist die nächste Sorge, ihm strenge Wahrheitsliebe in allen seinen Reden und überhaupt gute Gesinnungen einzuflößen. Es muß wissen, daß ihr ihm lieber zwanzig Fehler verzeiht als einen einzigen, den es durch Verletzung der Wahrheit zu bemänteln sucht. Lehrt es ferner die Menschen aufrichtig lieben und gut von ihnen denken: dies ist die wahre Grundlage des rechtschaffnen Mannes. Denn überhaupt entsteht alle Ungerechtigkeit daraus, daß wir uns selbst zu sehr und andere zu wenig lieben.

Dies ist es, was ich über diesen Gegenstand im allgemeinen zu sagen hatte. Ich halte es für hinreichend, um in einem Kinde den Grund zur Tugend zu legen. So wie es größer wird, muß man den Hang seiner natürlichen Neigung beobachten und diesen sodann, je nachdem er auf der einen oder anderen Seite von dem geraden Wege der Tugend abweicht, durch gehörige Mittel wieder auf denselben zurückführen. Denn wenig Adamssöhne sind so glücklich, daß in ihrer natürlichen Anlage nicht irgendein Übergewicht anzutreffen sein sollte, welches durch Erziehung entweder ganz weggeschafft oder ins Gleichgewicht gebracht werden muß. Mich hierüber in ein genaues Detail einzulassen, würde die Grenzen dieser kurzen Abhandlung überschreiten. Meine Absicht ist nicht, alle und jede Tugenden und Laster durchzugehen und zu zeigen, wie jede Tugend erworben und jedes besondere Laster ausgerottet werden müsse, wiewohl ich einige der gewöhnlichsten Fehler berührt und die Mittel, sie zu verbessern, angezeigt habe.


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