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§ 111. Das Weinen ist ein Fehler, den man bei Kindern nicht dulden muß, nicht nur weil es einen unangenehmen und unanständigen Lärm im Haufe verursacht, sondern auch aus noch weit triftigeren Gründen in Rücksicht auf die Kinder selbst, aufweiche überall das Hauptaugenmerk bei der Erziehung gerichtet werden muß.
Der Grund, warum sie weinen, ist zweierlei, entweder ist es Eigensinn und Herrschsucht oder Weichlichkeit und Klagsucht.
1. Oft schreien sie bloß, weil sie ihren Willen haben wollen. Wenn sie das, was sie verlangen, nicht anders erlangen können, so glauben sie ihr Recht oder ihre Ansprüche durch Weinen und Schluchzen geltend zu machen. Es ist dies nichts anderes als eine Fortsetzung ihrer Forderung und eine Art von Protestation gegen die vermeinte Bedrückung und Ungerechtigkeit derer, die ihren Willen nicht erfüllen wollen.
§ 112. 2. Manchmal aber ist das Weinen auch die Wirkung des Schmerzes und eines wirklichen Übels, das ihnen Tränen auspreßt.
Beide Gattungen lassen sich, wenn man genau acht hat, leicht durch den verschiedenen Ausdruck der Mienen, Gebärden und besonders durch den Ton der Stimme voneinander unterscheiden; keines von beiden aber darf geduldet und noch weniger gereizt werden.
1. Das Schreien und Weinen aus Zorn und Halsstarrigkeit darf man ihnen keineswegs verstatten, weil man dadurch nur ihrem Willen und denjenigen Leidenschaften schmeicheln würde, die wir durchaus bei ihnen unterdrücken müssen. Weint ein Kind auf die Art, wie dies öfters geschieht, wenn es etwa gestraft wird, so geht eben dadurch alle Frucht davon gänzlich verloren; denn jede Züchtigung, wobei das Kind in der Widerspenstigkeit beharret, dient bloß dazu, es noch mehr zu verschlimmern. Alle Verweise und Strafen sind übel angebracht und fruchtlos, wenn der Sinn nicht gebrochen wird, wenn das Kind nicht lernt, seine Leidenschaften unterdrücken und seinen Willen der Vernunft der Eltern unterwerfen, damit es dereinst seiner eigenen Vernunft gehorchen könne. Läßt man aber Kinder bei irgendeiner Gelegenheit, wo man ihnen etwas versagte, weinend davongehen, so bestärken sie sich nur in ihren Begierden; sie geben durch das fortgesetzte Schmollen ihr Recht zu erkennen und fassen den Entschluß, ihren Wunsch bei der ersten besten Gelegenheit zu befriedigen. Hier offenbart sich ein anderer Grund, warum man Schläge nicht zu oft brauchen darf, denn wenn es bis zu diesem Äußersten kommt, so ist es nicht genug, dem Knaben etwa nur einen oder zwei Streiche zu geben, sondern man muß so lange damit fortfahren, bis der Wille wirklich gebeugt ist und sich der Knabe geduldig der Züchtigung unterwirft, welches man am besten aus dem Ton des Weinens wahrnehmen kann, und wenn er auf euer Gebot damit einhält. Außerdem sind Schläge nur leidenschaftliche Tyrannei, und bloß dem Körper wehe tun, ohne das Gemüt zu bessern, verdient Grausamkeit, nicht Züchtigung genannt' zu werden. Man sieht hieraus zugleich, inwiefern solch ein Benehmen den Veranlassungen zu dergleichen Strafen von seiten der Kinder vorbeugt. Denn übt man sie jedesmal ohne Leidenschaft mit gesetztem Wesen und doch mit Nachdruck aus, zählt man ihnen die Schläge und Streiche nicht in wütendem Affekt und schnell hintereinander, sondern langsam zu, mit untermischten Vorstellungen und mit sorgfältiger Beobachtung des Eindrucks, den sie machen, hält man damit so lange an, bis das Kind zum Nachgeben, zur Reue und Unterwerfung gebracht worden, so werden solche Strafen nur selten nötig sein und es wird sich vor den Fehlern, die ihm dieselben zugezogen, sorgfältigst hüten. Überdies wird bei einem solchen Verfahren die Züchtigung weder allzu gelinde, und darum fruchtlos, noch von der anderen Seite zu strenge ausfallen; weil man damit aufhört, sobald man spürt, daß der Sinn des Kindes gebrochen und gebessert ist. Schelte und Schläge sollten immer so gemäßigt und gelinde sein als möglich; im Affekt des Zornes aber wird selten das rechte Maß beobachtet, sondern gemeiniglich überschritten und dadurch um so weniger der Zweck erreicht.
§ 113. 2. Manche Kinder pflegen bei jedem kleinen Ungemach zu schreien und brechen über den geringsten Unfall, der sie trifft, in Tränen und Wehklagen aus. Diesen Fehler bemerkt man bei den meisten Kindern. Denn Weinen ist das erste und natürlichste Mittel, wodurch sie ihre Leiden und Bedürfnisse zu erkennen geben, ehe sie sprechen lernen. Allein durch das Mitleid, welches man diesem zarten Alter schuldig zu sein glaubt, wird diese Unart törichterweise verstärkt und dauert, wenn sie auch schon sprechen können, lange fort. Ich gebe zu, es ist Pflicht, mit Kindern Mitleid zu haben, wenn ihnen etwas zustößt, man muß es aber nicht durch Bedauern an den Tag legen. Schaffet ihnen alle Hilfe und Erleichterung, die ihr könnt, doch beklagt sie nicht. Dies macht sie nur weichlich und zärtlich gegen jede Ungemächlichkeit und erschlafft den edleren Teil ihres Wesens, der allein der Empfindung fähig ist, und läßt tiefere Wunden daselbst zurück, als sonst geschehen würde. Statt dessen muß man sie vielmehr gegen alle Leiden abhärten, besonders gegen die körperlichen; denn nur für wahre Ehre und Schande müssen sie ein feines und zartes Gefühl haben. Da aber das menschliche Leben so vielen Ungemächlichkeiten ausgesetzt ist, so dürfen wir nicht gegen jedes kleine Ungemach empfindsam sein. Ein Übel, dem das Gemüt nicht nachhängt, macht geringen Eindruck und verursacht uns wenig Leiden; nur das Leiden der Seele verursacht größtenteils und verlängert die Qual. Diese Härte und Unempfindsamkeit ist der beste Talisman gegen die gewöhnlichen Plagen und Widerwärtigkeiten des Lebens, und da diese Gemütsverfassung mehr durch Übung und Gewöhnung als durch andere Mittel erworben wird, so sollte man in Zeiten damit den Anfang machen. Glücklich ist, wer früh hierzu angeführt wird. So wie aber jene Weichlichkeit der Seele, der man auf alle Weise vorbeugen und abhelfen muß, bei Kindern durch nichts mehr bestärkt wird als durch das Weinen, so kann auch nichts sie besser heilen, als wenn man den Kleinen diese Äußerung abgewöhnt. Ziehen sie sich etwa durch einen Stoß oder Fall eine kleine Verletzung zu, so sollte man, statt sie zu beklagen, lieber das, wobei ihnen dies begegnete, sie noch einmal vornehmen lassen. Denn außerdem, daß sie dadurch aufhören würden zu schreien, so würde dies ein wirksameres Mittel gegen ihre Unachtsamkeit sein und sie behutsamer machen, nicht zu fallen, als Schelte oder Bedauern. Die Verletzung sei übrigens, wie sie wolle, so muß man doch ihr Schreien und Weinen stillen; denn das wird fürs Gegenwärtige ihnen mehr Ruhe und Linderung verschaffen und für die Zukunft sie abhärten.
§ 114. Bei der ersten Gattung des Schreiens, wenn es nämlich aus Bosheit geschieht, muß man das Kind mit Strenge zum Schweigen bringen. Richtet ein Blick oder ein ausdrückliches Verbot nichts aus, so müssen es Schläge tun. Denn da Stolz, Eigensinn und Zorn die Quelle desselben ist, so muß der Wille, in dem der Fehler liegt, gebrochen und durch hinlängliche Schärfe zur Unterwerfung gebracht werden. Bei der anderen Gattung des Weinens aber, welches gewöhnlich von der Weichheit des Gemüts herrührt, muß man eine ganz andere Methode und sanftere Mittel gebrauchen. Anfangs mag es vielleicht helfen, wenn man den Kindern zuredet, ihre Gedanken auf einen anderen Gegenstand lenkt oder ihres Weinens lacht. Hierin aber muß man sich genau nach den Umständen und nach der besonderen Gemütsart der Kinder richten. Es lassen sich hierüber keine allgemeine, unwandelbare Regeln vorschreiben, die Klugheit der Eltern und Erzieher muß hier allein entscheiden. Aber so viel glaube ich im allgemeinen erinnern zu dürfen, daß man auch diese Art des Weinens jederzeit unterdrücken müsse; der Vater muß demselben durch sein Ansehen allemal Einhalt tun und zwar mit desto größerem Ernst in Mienen und Worten, je älter und starrsinniger das Kind ist. Doch muß man es dabei bewenden lassen, daß es aufhört, zu weinen und sich ungebührlich zu betragen.