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Sechster Abschnitt.

Sorgfalt für das Äußere der Kinder.

§ 67. Was die sogenannten Manieren Vgl. §§ 141 und 146. anlangt, womit man die Kleinen so häufig quält und worüber ihre weisen Wärterinnen und Aufseher ihnen so manche schöne Ermahnung erteilen, so glaube ich, daß sie besser durch Beispiele als durch Regeln erlernt werden. Entfernt man zunächst die Kinder nur von roher ungesitteter Gesellschaft, so wird ihre kleine Eitelkeit sie von selbst antreiben, sich so artig und anständig zu betragen wie andere, weil sie sehen, daß man sie deshalb lobt und achtet. Sollte jedoch der Knabe in diesem Stück etwas nachlässig sein und seinen Hut nicht mit dem erforderlichen Anstande abziehen oder eine Verbeugung machen, so wird ein Tanzmeister diesem Mangel bald abhelfen und all die rohe Simplizität, die unser Modenvolk als bäuerisches Wesen schilt, rein herunterhobeln. Da außerdem meiner Meinung nach nichts fähiger ist, den Kindern Anstand und gesittetes Betragen zu geben und sie zugleich zum Umgange mit älteren Personen zu befähigen als das Tanzen, so, dünkt mich, sollte man den Unterricht hierin so früh anfangen, als sie desselben fähig sind. Denn obgleich diese Geschicklichkeit bloß auf der äußeren Zierlichkeit der Stellungen und Bewegungen des Körpers beruht, so trägt sie doch meines Erachtens vieles dazu bei, eine männliche Denkungsart und ein gesetztes Betragen zu erwecken. Im übrigen aber sollte man die Kleinen mit allen Schnörkeleien ängstlicher Komplimentenschneiderei ungequält lassen.

Über solche Fehler, die mit den Jahren von selbst verschwinden, sollte man sich keine Unruhe machen. Und folglich auch darüber nicht, daß Kinder, solange sie noch klein sind, nicht alle Höflichkeitsregeln in acht nehmen, wenn nur sonst der Grund der wahren Höflichkeit in ihrem Herzen anzutreffen ist; dieser aber muß allerdings sehr frühzeitig gelegt werden. Ist die zarte Seele nur mit wahrer Verehrung gegen Eltern und Lehrer, d. h. mit Liebe und Achtung gegen sie und mit Scheu, sie zu beleidigen, erfüllt, empfindet sie Wohlwollen und Wertschätzung gegen alle andere Menschen, so wird das Kind schon von selbst die schicklichsten Mittel ausfindig machen, um diese Empfindungen auszudrücken. Man flöße ihm nur die Grundsätze echter Menschenliebe und Gutherzigkeit ein, mache sie ihm durch Lob und Beifall und allerlei angenehme Nebenumstände in der Ausübung so geläufig und habituell als immer möglich: und wenn sie dann in seiner Seele einmal Wurzel gefaßt haben, so kann man gewiß versichert sein, daß das Gefällige im Umgange, der angenehme Anstrich guter Manieren, zu seiner Zeit sich von selbst einfinden wird. Ich setze nämlich voraus, daß man den Knaben, sobald er den Händen seiner Wärterin entwachsen ist, einem wohlerzogenen Manne zur ferneren Bildung anvertraut.

Solange die Kinder noch sehr klein sind, muß man mit manchen Unachtsamkeiten derselben Geduld haben, wenn sie nur weder Stolz noch Bosheit anzeigen, sobald aber das eine oder das andere sich in ihren Handlungen zutage legt, so muß man es sogleich durch die eben angezeigten Mittel verbessern. Was ich übrigens von den Manieren gesagt habe, will ich keineswegs so verstanden wissen, als wollte ich diejenigen, die sich darauf verstehen, abhalten, Kindern, wenn sie noch sehr jung sind, zu einem artigen Betragen Anleitung zu geben. Es ist in der Tat sehr viel wert, wenn sie von dem Zeitpunkt an, da sie gehen lernen, Leute um sich haben, welche hierzu die gehörige Geschicklichkeit und Methode besitzen. Das, worüber ich mich beschwere, ist bloß das verkehrte Benehmen, womit man dabei Zu Werke geht. Kinder, die niemals zu dem, was man ein anständiges Betragen nennt, Anweisung gehabt haben, werden oft (und besonders in Gegenwart fremder Personen) gescholten, daß sie dies oder jenes, was zu den guten Manieren gerechnet wird, unterlassen, wobei man denn nicht ermangelt, sie mit Verweisen und Regeln zu überhäufen, wie sie den Hut abnehmen, wie sie sich verbeugen sollen usw. Zwar gibt man sich dabei das Ansehen, als wolle man bloß die Kinder dadurch bessern, meistenteils aber geschieht es nur, um nicht selbst beschämt zu werden. Ja nicht selten leuchtet aus der leidenschaftlichen Heftigkeit, mit der man alle Schande auf die armen Kleinen zu wälzen sucht, die Besorgnis nur zu deutlich hervor, die Anwesenden möchten die schlechte Aufführung des Kindes dem Mangel der guten Anweisung und Aufsicht beimessen.

Sicherlich werden die Kinder durch alle solche Gelegenheitsreden um kein Haar besser. Man muß sie zu einer anderen Zeit lehren, was sie zu tun haben, ihnen durch wiederholte Versuche und Übung erst zeigen, was schicklich und anständig ist, nicht aber verlangen, daß sie gleich auf der Stelle das verrichten sollen, was man ihnen vorsagt, ohne daß sie dazu gewöhnt worden oder wissen, wie sie sich dabei anzustellen haben. Sie dergestalt bei jeder Gelegenheit zu tadeln und auszuschelten, heißt nicht sie unterrichten, sondern vergeblich quälen und in Unruhe setzen. Billig sollte man über Fehler, an denen sie selbst nicht schuld sind, und von denen sie sich durch bloßes Reden unmöglich befreien können, ihnen gar nichts sagen. Weit besser wäre es, mit ihrer kindischen Unachtsamkeit und Einfalt bis zu reiferen Jahren Geduld zu tragen, als sie oft mit übel angebrachten Vorwürfen zu überhäufen, die nie einen heilsamen oder zweckmäßigen Eindruck zurücklassen können. Ist ihr Herz nur wohlgebildet und mangelt es ihnen nicht an der inneren Grundlage der wahren Höflichkeit, so wird Zeit und Aufmerksamkeit auf sich selbst, sowie die Jahre herankommen, die äußere Rauheit, welche von dem Mangel besserer Anführung herrührt, großenteils von selbst abschleifen – wenn sie nur in guter Gesellschaft aufwachsen, ist diese aber schlecht, so werden alle Regeln in der Welt und die besten Ermahnungen nicht vermögend sein, sie wohlgesittet zu machen. Denn das kann man als eine gewisse Wahrheit annehmen, daß das, was am meisten auf die Kinder wirkt, die Gesellschaft ist, in der sie leben, und das Verhalten derer, die um sie sind – nicht aber die Lehren und Ermahnungen, welche man ihnen erteilt, sie mögen auch noch so schön und gründlich sein und ihnen täglich eingeschärft werden. Kinder – und in der Tat auch Männer – handeln meistenteils aus Nachahmung. Wir sind insgesamt in gewisser Hinsicht Chamäleons, welche die Farbe der Dinge neben sich annehmen; es darf uns dieses also auch bei Kindern nicht befremden, auf die allezeit das mehr Eindruck macht, was sie sehen, als was sie hören.

S 68. Ich habe schon oben eines großen Übels erwähnt, welches den Kindern von den Bedienten zugefügt wird, indem diese durch ihre Schmeicheleien den Verweisen der Eltern alles Unangenehme zu benehmen suchen und dadurch das Ansehen der letzteren schwächen. Hier ist noch ein anderer wichtiger Schaden, der den Kindern aus den bösen Beispielen der niedrigen Klasse der Dienstboten zuwächst. Wenn es möglich wäre, so sollten sie von diesem Umgange gänzlich entfernt bleiben; denn diese schlechten Muster, sowohl in Rücksicht auf Tugend als auf Höflichkeit, können den Kindern, wenn sie in ihre Gesellschaft geraten, äußerst verderblich werden. Von solchem ungezogenen und liederlichen Gesinde lernen sie sehr oft niedrige Redensarten, unanständige Streiche und Laster, die ihnen außerdem vielleicht ihr ganzes Leben hindurch unbekannt geblieben sein würden.

§ 69. Es ist in der Tat eine schwere Sache, diesem Übel vorzubeugen, und der kann sich wahrlich glücklich preisen, der niemals einen ungeschliffenen und lasterhaften Bedienten hat und seine Kinder vor dieser Ansteckung zu verwahren imstande ist. Da man indes in diesem Stücke doch soviel tun muß als man nur immer kann, so sollten die Kinder womöglich alle ihre Zeit in der Gesellschaft ihrer Eltern Locke führt hier in einer Fußnote den Sueton, Plutarch und Diodor von Sizilien an, um zu zeigen, daß auch die Römer die Erziehung der Kinder für das wichtigste und eigenste Geschäft der Eltern gehalten haben. Sueton erzählt, Augustus habe seine Enkel selbst lesen, schwimmen und andere Anfangsgründe gelehrt, wenn er allein gewesen, so hätten sie immer mit ihm speisen und auch auf Reisen ihn stets begleiten müssen. Vom Cato meldet Plutarch, daß er für seinen Sohn von der Wiege an selbst die größte Sorgfalt getragen und sich die dringendsten Geschäfte (die öffentlichen ausgenommen) nicht davon habe abhalten lassen. Seine Gemahlin stillte ihr Kind selbst, und als es einigermaßen zu Verstande kam, unterrichtete er es selbst im Lesen, obgleich er unter seinen Sklaven einen geschickten Sprachlehrer hatte. Denn er wollte nicht, wie er selbst sagte, daß sein Sohn einem Sklaven eine so kostbare Sache zu verdanken habe oder darüber von ihm gezüchtigt werden sollte. Er unterrichtete ihn daher selbst in der Grammatik, in der Rechtswissenschaft und in allen kriegerischen Übungen, als Reiten, Fechten, Wurfspießwerfen, Ringen usw. Überdies, sagt man, hätte er auch Geschichten für ihn abgefaßt und sie selbst mit großen Buchstaben aufgeschrieben, damit sein Sohn noch vor seinen» Eintritt in die Welt die großen Männer der vergangenen Zeit und ihre schönen Handlungen kennen lernen möchte, um sich nach diesen großen Mustern zu bilden. Er nahm sich so sehr in acht, fügt Plutarch hinzu, in Gegenwart seines Sohnes einen schmutzigen Ausdruck hören zu lassen, als ob er sich in der Gesellschaft einer vestalischen Jungfrau befunden hätte. oder derer zubringen, deren Aufsicht sie anvertraut sind. In dieser Absicht muß man ihnen dabei soviel Freiheit gestatten, als ihr Alter zu erfordern scheint und ihnen, solange sie unter der Eltern oder des Erziehers Augen sind, ja keinen unnötigen Zwang anlegen. Denn wenn sie wie in einem Gefängnis gehalten werden, so darf man sich gar nicht wundern, daß ihnen dies nicht ansteht. Sie mögen immerhin Kinder sein, mögen spielen und handeln wie Kinder, nur Böses dürfen sie nicht tun, sonst kann man ihnen alle Freiheit gestatten. Damit sie hiernächst auch die Gesellschaft ihrer Eltern wirklich liebgewinnen, so müssen sie in dieser und aus ihren Händen alles, was ihnen etwa lieb und angenehm ist, erhalten. Man muß also auch den Bedienten schlechterdings verbieten, sich durch starke Getränke, Wein, Obst, Spielsachen und andere solche Dinge einzuschmeicheln, die sie etwa reizen könnten, ihren Umgang zu suchen.


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