Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wie herrlich ist es, doch, außerhalb der sonst gewohnten Umgebung aufzuwachen, den Kopf auf einem fremden Kissen, unter fremder Decke liegend und dazu noch eine Aussicht durch das Fenster auf die Höhen des Gebirges mit ihren blauen Nebelschleiern, auf den Himmel mit seinen winzigen, sich leise wiegenden Porzellanwölkchen, zu genießen.
Zu meiner Schande muß ich eingestehen, daß ich zehn Stunden hindurch wie ein Stein geschlafen habe. ›Das kommt von der Gebirgsluft‹, würde Frau Mohn begeistert hinausschmettern, wenn ich ihr davon erzählen könnte. Das erzählt sie übrigens allen neuen Gästen. Und sie würde sehr enttäuscht sein, wenn sie keine Gelegenheit hätte, diese Wendung anzubringen. Es ist ihr Stichwort hier oben. Jedenfalls aber schlief ich so fest, daß meinetwegen der Chicagobandit Orsini hätte kommen können. Er hätte ruhig durchs Haus wandern, den Koffer mit den Juwelen holen und mit ihm verschwinden können. Ich hätte nichts gemerkt.
Ich rasierte mich gerade, als es an der Tür klopfte.
»Telefon für Herrn Bjelke!«
Ich wollte eben sagen, ich wäre noch nicht aufgestanden, besann mich aber rechtzeitig, denn ein Polizist muß immer »aufgestanden« sein. Es war nicht meine Absicht, meinem neuen Freund, dem Kommissar, einen schlechten Eindruck von der Oslo-Polizei zu übermitteln. Ich bat also nur, man möge ihm sagen, daß ich später selbst anrufen würde.
Aber das Mädchen kam gleich darauf zurück.
»Der Kommissar wünscht Herrn Bjelke persönlich.«
Das hätte ich nun beinahe vergessen. Er tat ja seine Pflicht, die ich ihm selbst auferlegt hatte. Er gab sich nicht eher zufrieden, bis er mich persönlich gesprochen hatte. Ich mußte mich also beeilen, wenn ich nicht riskieren wollte, daß er selbst – nach meinen Anordnungen – mit seinen Leuten hierher kam. Vielleicht würde er sogar die Schützenvereinigung noch dazu alarmieren. Resigniert wischte ich mir die Seife vom Gesicht und beugte mich dem Schicksal – ich ging zum Telefon.
Bei ihm gab es nichts Neues. Hier gab es auch nichts zu melden, außer, daß wir zwei Ausländer mit dem Zuge erwarteten – zwei Holländer. Ich bat den Kommissar, den beiden Leuten auf jede Weise behilflich zu sein. Er versprach es.
Dann ging ich zu den Russen. Sie waren in der denkbar besten Laune. Nichts hatte sich ereignet – alles war ruhig geblieben. Es müßten auch schon ganz durchtriebene Burschen sein, die sie überlisten könnten. Das sah ich an den Vorsichtsmaßregeln, die sie getroffen hatten. Davidow, Churgin und der geheimnisvolle Koffer teilten gemeinsam das Zimmer. Es liegt im nordöstlichen Teil des Hotels. Der Koffer ist am Stützbein des Ofens befestigt. Oginsky wohnt allein im anderen Zimmer. Die Zwischentür steht des Nachts über offen und sie lösen sich gegenseitig mit der Wache ab. Einer von ihnen ist ständig wach. Eine scharfgeladene Parabellumpistole liegt auf dem Tisch neben einem merkwürdig aussehenden Ding, – einer Gasmaske. Ich fragte, ob sie gleich in den Krieg ziehen wollten? Oginsky blieb aber ernst und ging auf meinen Scherz nicht ein. Er meinte, es sei die leichteste Sache der Welt, von wem man wollte und was man wollte zu rauben, wenn man Tränengas anwendete. Die Überfallenen könnten leicht völlig wehrlos gemacht werden, wenn sie nicht entsprechende Sicherungsmaßnahmen trafen. Man hätte solche Dinge in Moskau genug erlebt – zumindest in der letzten Zeit.
»Man kann doch den Geruch spüren«, flocht ich ein.
»Natürlich«, antwortete Churgin. »Wenn man wach ist, kann man es merken, aber wenn man nun schlafen sollte oder auch nur liest, kann es leicht zu spät sein. Man kann Tränengas gut durch die Ventilatoren oder das Schlüsselloch einblasen. Und – ja – besser ist besser.«
Es müssen wirklich große Werte sein, die diese Leute mit sich herumschleppen. Die gründlichen und auf mich etwas übertrieben und lächerlich wirkenden Vorsichtsmaßregeln deuten darauf hin, und außerdem sprachen sie von ihrem heimlichen Feind wie von einem Teufel. Ihre Art gibt aber auch einen Einblick in die augenblicklichen Sicherheitsverhältnisse in Rußland. Vielleicht macht sie das Gefühl außerhalb der eigenen Grenzen zu sein, unsicher, gleich wo sie sich auch befinden mögen. Es verschwanden schon zu viel Menschen. Zugeben muß ich, daß sie sehr modern sind, sowohl in der Ausrüstung wie auch in ihrer Fantasie.
*
Von Mansfeld ist ein merkwürdiger Mann. Ich traf ihn beim Frühstück in der Halle. Er ist von mittlerer Größe, schlank und sehnig. Er hat nur ein Auge. Das andere ist aus Glas. Sein ganzes Wesen deutet auf den ausgesprochenen Willensmenschen. Eine scheinbar unbändige Kraft liegt über ihm. Ich schätze ihn auf ungefähr fünfunddreißig Jahre, aber sein Gesicht ist durchfurcht wie bei einem Greis. Nur das Auge strahlt seinen Partner an – das heißt – das gesunde Auge. Das Glasauge bildet, starr wie bei einem Fisch, einen schimmernden und unheimlichen Kontrast zu dem gesunden. Es wird etwas gemildert durch das Monokel, das von Mansfeld ständig trägt.
Wir sprachen vom Skilaufen. Er hatte großes Vergnügen daran und übte jeden Tag sehr fleißig. Er ist auch schon in den Alpen gelaufen und hatte jetzt die Absicht, sich so durchzutrainieren, daß er an den Übungen des norwegischen Heeres im Wintermanöver teilnehmen könnte. Er fragte mich, ob wir nicht einmal zusammen laufen könnten?
*
Nina Newa und das Ehepaar Fink-Martens kamen zum Frühstück nicht herunter. Dagegen wurde ich den anderen Gästen vorgestellt. Mr. Davis ist ein sechs Fuß großer, breitschultriger Mann. Trägt einen eisgrauen Bart und ist eisern schweigsam. Seine Nase deutet auf eine täglich mehrmals angewendete Mischung von sehr viel Whisky und wenig Wasser. Der französische Professor zeigt sich als ein kleiner, korpulenter Herr mit langem Haar bis auf die Schulter. Seine Frau? – Man könnte sie sich gut als Bardame in jedem Nachtrestaurant vorstellen. Sie ist stark geschminkt und gepudert und duftet wie ein Parfümladen. Ihre enganliegende Sporttracht möchte ich sehen, wenn sie die erste Skifahrt hinter sich hat.
Dann kommt Iversen. Er ist guter Kamerad mit allen im Hotel und prahlt nach allen Himmelsrichtungen, ohne jedoch eine Sprache zu beherrschen. »Will you please reichen mir das – Madame –« sagt Iversen und zeigt auf einen Gegenstand. Begeistert ist er, wenn Madame Martier ihm kokett das Senfglas statt der Sardinen reicht. Im übrigen steht sein Sportdreß durchaus nicht hinter dem der Französin zurück. Beide sehen aus, als hätte man sie aus irgendeinem boshaften Witzblatt herausgeschnitten. Er trägt Knickerbocker wie ein Zuave, dazu gelbe Strümpfe und Schuhe. Eine kurze Weste, eine Baskenkappe und ein herrlicher bunter Schlips vervollständigen unseren Eindruck von Iversen. Aber genug von ihm.
Die Wirtin erwartete heute keine Gäste mehr, aber ich klärte sie auf, damit sie sich auf den Besuch der Holländer einrichten konnte. Sie versprach auch, sofort den Schlitten zur Station zu senden.
*
Da alles ruhig schien und außerdem nichts von Banditen zu sehen war, unternahm ich nach dem Frühstück eine Skipartie in die Berge. Wieder packte mich die eigentümliche Stimmung, die über dem Schneegebirge an einem schimmernden Frühlingstag liegt. Alles war glänzend weiß. Ich mußte die Augen vor dem Glitzern und Funkeln des Schnees verschließen. Jedes Kristall ist eine Welt für sich. Und die Luft! Und die Sonne! Eine wohltuende Wärme legt sich über den ganzen Körper. Man fühlt sich frei und leicht und die Sorgen werden winzig klein und ohne Bedeutung. Eine halbe Stunde ungefähr lief ich aufwärts, nur mit meiner eigenen Person als gemütlichen Gesellschafter. Schneehühner flogen auf.
Ich blieb stehen und schaute ihnen nach.
Alles war still, tiefe und weiße Stille.
Plötzlich in der Ferne ein Schuß! Er mußte unterhalb des Hotels gefallen sein. Ich machte meinen vorschriftsmäßigen Umsprung und sauste in großen Bogen und Schleifen den Weg zurück.
Unterwegs hörte ich noch ein paar Schüsse und dachte: ›Zum Teufel, ich habe meine Pistole im Zimmer liegen lassen.‹
Es war wunderbarer Pulverschnee, und fünf Minuten nach dem ersten Schuß sauste die gesamte Polizeistärke der Gegend, bestehend aus meiner Person, bewaffnet mit zwei Skistöcken, auf den Kampfplatz klar zum Angriff.
Auf dem Platz vor dem Hotel stand Oginsky. Daneben sah ich von Mansfeld und Iversen. Sie schossen auf Flaschen mit Oginskys gutem Parabellum …
Man beherrscht sich in solchen Situationen, tut, als sei man ungerührt und als ob es so eine Gewohnheit sei, in voller Schußfahrt plötzlich aufzutauchen. Man bleibt stehen, untersucht die Bindungen oder setzt die Mütze zurecht. Was soll man sonst auch tun? Es ist besser, man tut, als sei man nur ein stark interessierter Zuschauer.
Sie schossen auf ungefähr 25 Meter. Iversen traf neunmal hintereinander daneben. Der Schnee neben dem Ziel spritzte nach allen Seiten. Der Deutsche hielt den ersten Schuß etwas zu weit rechts – er stand wie der konzentrierte Wille selbst. Der zweite Schuß zerschmetterte die Flasche. Dann schoß Oginsky und traf gleich beim ersten Male. Auch ich brauchte zwei Schüsse, aber ich hatte von Mansfeld gegenüber den Vorteil, daß ich wußte, wie man halten mußte, um einen sicheren Schuß aus der Parabellum zu tun.
»Jetzt haben wir unsere Kunst und damit unsere Gefährlichkeit öffentlich demonstriert«, sagte Oginsky und schaute mich merkwürdig an, während er ins Haus ging. Ich wußte nicht, was er wollte.
Oginsky und von Mansfeld hatten übrigens einander früher schon getroffen, wie sich bei dieser Gelegenheit herausstellte. Sie sahen sich 1928 in Lemberg. Was hatte von Mansfeld 1928 in Lemberg zu suchen? Und Oginsky? –
*
Ich kam, nachdem ich die Ski verwahrt hatte, ins Haus, als die wohlmeinende und nichtsahnende Frau Mohn gerade im Speisesaal die neuen Gäste bekannt machte. Das heißt, sie stellte uns nur Fink-Martens, seiner Frau und Nina Newa vor. Die Sängerin war kalt wie Eis und neigte nur leicht den Kopf, als sie den Russen vorgestellt wurde. Beim Anblick Oginskys verzog sie nicht eine Miene. Der aber stand wie festgenagelt und starrte sie entgeistert an. Ich hatte aber keine Gelegenheit, die beiden näher zu beobachten, denn Fink-Martens griff ein, um die peinliche Situation zu beenden. Er wandte sich an mich. Nun hätte man endlich einen Norweger hier oben, der den Ausländern zeigen könnte, was Skilaufen wäre, meinte er. Er selbst sei schon zu alt. – Dann stellte er Nina Newa vor.
»Prinzessin Charming!«
Und Charme hatte sie. Wenn man sie nur anblickte, mußte man es sofort bemerken. Mir gegenüber war sie ebenso liebenswürdig wie sie den Russen gegenüber kalt gewesen war. Sie und ihre beiden norwegischen Freunde saßen etwas abseits an einem kleinen Tisch für vier Personen. Fink-Martens bot mir den vierten Platz an, und ich nahm dankend an.
»Meine Frau und ich gehören schon zum alten Eisen und sind gerade keine geeignete Gesellschaft für Sie – Nina«, sagte Fink-Martens gutmütig. »Sie brauchen etwas jüngere Gesellschaft, die auch aufpassen kann, seitdem Ihre Landsleute sich hier oben breit machen.«
Nina Newa sprach das Norwegisch mit einem putzigen Akzent, aber sehr, pikant. Sie wird die Ostertage über hier oben bleiben … Im April gibt sie ein Konzert in Hamburg. Danach wird sie die Schönheiten des deutschen Landes besuchen. Fink-Martens schalt mit ihr, als sei sie ein Schulmädel und korrigierte ständig ihre Aussprache. Sie lachte nur und amüsierte sich darüber.
Oginsky und von Mansfeld trafen sich zu Mittag am selben Tisch wieder. Auf irgendeine zauberhafte Weise war eine Flasche Cognac auf ihren Tisch geraten. Die beiden sprachen der Flasche recht reichlich zu. Als Polizist hätte ich das Trinken untersagen müssen – wir haben doch das herrliche Alkoholverbot – aber ich war auch nur Gast hier und wollte zunächst auch nur als solcher gelten. Außerdem hat einmal ein wohlmeinender Pastor vorgeschlagen, den Branntweinausschank nördlich vom Polarkreis zu gestatten. Wenn ein Pastor die Verantwortung für einen solchen Vorschlag übernehmen will, warum sollte es ein Inspektor mit robustem Gewissen nicht auch können, wenn er sich oberhalb jeder Baumgrenze befand?
*
Der Kaffee wird im Solfjell-Hotel unmittelbar nach dem Mittagessen eingenommen. Wir vier blieben noch eine Weile in dem großen, holzgetäfelten Raum neben dem Speisesaal sitzen. In der anderen Ecke, uns gerade gegenüber, saßen Oginsky und von Mansfeld. Die Flasche hatten sie mitgenommen und tranken zwischen dem Kaffee ihren Cognac. Hartnäckig schaute Oginsky überall anders hin nur nicht auf uns. Manchmal blätterte er auch in den Zeitungen, die vor ihm auf dem Tische lagen.
Plötzlich erhob er sich – ich bemerkte, daß er schon nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand – ging zum Klavier hinüber und spielte irgend etwas vom Blatt. Ich kannte die Melodie nicht, aber sie war schön und einschmeichelnd. Ich wandte mich an Nina Newa, um sie zu fragen. Da entdeckte ich auf ihrem Gesicht denselben abwesenden Ausdruck wie am gestrigen Abend. Unverwandt schaute sie auf Oginsky. Ihre Augen waren fern und wie verloren. Das Gesicht hatte alle Farbe verloren.
Und dann – während ich Nina immer noch anschaute – ging Oginsky plötzlich und ziemlich brutal über in die »Internationale«. Er spielte sie fließend und mit donnernden Akkorden. Nina Newa fuhr vom Stuhl hoch und verließ mit hocherhobenem Kopf demonstrativ das Zimmer.
Das ganze dauerte nur einen kurzen Augenblick. Oginsky drehte den Klavierstuhl herum und lachte heiser und gezwungen.
Wir anderen fühlten uns peinlich berührt und Fink-Martens machte eine ziemlich grobe Bemerkung auf Deutsch, daß man sich derlei in einem Hotel verbitte. Man sei zusammengekommen, um sich zu erholen und darum habe man aufeinander Rücksicht zu nehmen. Einer Dame gegenüber sei dieses Benehmen jedenfalls unter keinen Umständen angebracht. Auch von Mansfeld murmelte ähnliches. Oginsky sagte nichts. Er saß nur und schaute vor sich hin.
»Nina Newa hat für die Bolschewiken wohl nicht viel übrig?« fragte ich später Fink-Martens. »Sie ist wohl Emigrantin?«
»Ja, sie mußte schon als junges Mädchen fliehen. Sie gehört einer hervorragenden russischen Familie an, aber fast alle Verwandten wurden von den Bolschewiken ermordet. Sie schweigt sich völlig über die Vergangenheit aus, und es ist durchaus nicht verwunderlich, daß dieser Auftritt sie sehr verletzte – arme Kleine.«
Ich pflichtete ihm bei.
»Hoffentlich kann man diese Kerle bald wieder los werden«, meinte Fink-Martens. »Ich werde einmal mit Frau Mohn darüber sprechen.«
Und der brave Schiffsreeder begab sich entrüstet und entschlossen ins Privatkontor, um sein Vorhaben auszuführen.
*
Um 17 Uhr kam durchs Telefon vom Kommissar die unerwartete Neuigkeit, daß niemand mit dem Zuge gekommen war. Ich suchte sofort Davidow und Churgin auf. Sie befanden sich auf ihrem Zimmer. Oginsky war nirgends zu sehen.
Die beiden Russen waren gerade damit beschäftigt, ein Code-Telegramm zu enträtseln. Vor einigen Minuten hatten sie es durchs Telefon erhalten. Sie schienen von der unfreiwilligen Verzögerung durch das Zuspätkommen der Holländer nicht sehr erbaut zu sein. Das konnte ich aus ihrem Gebaren entnehmen. Sie sagten jedoch kein Wort darüber. Endlich waren sie mit ihrem Telegramm fertig. Es war englisch abgefaßt und lautete offen:
›Komme allein! Verspätung durch Krankheit.
So hieß der steinreiche, holländische Juwelier, der den Käufer spielen sollte.
Die beiden Russen debattierten heftig in ihrer Sprache, schienen sich aber langsam zu beruhigen.
Die Geschichte würde ihren Aufenthalt um einen ganzen Tag verlängern – –
Nun – gut.
*
Nina Newa zeigte sich nicht bei der Abendmahlzeit. Oginsky kam herunter. Er schien wieder völlig nüchtern zu sein. Jedenfalls konnte man nichts mehr an ihm bemerken, was auf Trunkenheit hindeutete.
Man geht zeitig schlafen im Solfjell-Hotel. Es ist ja ein ausgesprochenes Sporthotel. Nach dem Essen gingen daher die meisten Gäste sofort auf ihre Zimmer. Ich versuchte, die Zeit durch Zeitungen und Bücher am Kaminfeuer totzuschlagen, um die unvermeidliche Telefonmeldung des Kommissars abzuwarten. Ich schrieb auch ein wenig an meinem Rapport.
So war beinahe eine Stunde vergangen, als ich durch Frau Mohns Stimme gestört wurde. Sie schimpfte sehr laut mit einem der Mädchen, und ich konnte jedes Wort durch die dünnen Holzwände wahrnehmen.
»Maja – wie oft habe ich Ihnen gesagt, daß ich keinen Besuch auf den Zimmern der Gäste wünsche!«
Es schien, als ob das Mädchen protestierte, aber es sprach so leise, daß ich ihre Worte nicht genau verstand. Die Wirtin unterbrach sie auch wieder:
»Sie brauchen nicht zu leugnen. Ich sah Sie das Zimmer Nummer 20 betreten, und Sie sind fast eine halbe Stunde dort geblieben. Hier ist ein ordentliches Hotel und wenn es noch einmal geschieht, können Sie auf der Stelle gehen – –«
Die Stimmen verloren sich.
Ich wunderte mich, daß Frau Mohn so energisch sein konnte. Zimmer Nummer 20 – war das Zimmer Oginskys.
*
Endlich kam das Gespräch. Wieder konnte ich den Kommissar damit beruhigen, daß das Idyll hier oben noch nicht im geringsten gestört wäre. – Dann ging auch ich auf mein Zimmer, um mich schlafen zu legen. Im Korridor blieb ich noch etwas stehen, da ich mir allen Ernstes überlegte, ob ich mir nicht eine Flasche Bier mit ins Zimmer nehmen sollte.
Da hörte ich, wie eine Tür geöffnet wurde und im Halbdunkel sah ich Oginskys Gestalt. Er ging sehr schnell über den langen Flur, blieb vor Nina Newas Zimmer stehen und klopfte leise an. Dreimal, wie ich hörte. Ich beobachtete ihn erstaunt. Dann fiel auf einmal ein breiter Lichtstreifen auf den Flur, und ich hörte, wie Oginsky einige Worte auf russisch flüsterte. Nina Newa antwortete ebenso leise.
Dann verschwand er in ihrem Zimmer, und die Tür schloß sich.
Wütend war ich, obgleich es mir im Grunde genommen gleich sein sollte, wer wen besuchte. Aber was mochte diese heimliche Zusammenkunft bedeuten? Um Entschuldigung konnte Oginsky doch zu dieser Zeit unmöglich bitten. Aus diesem Grunde würde Nina ihn nie eingelassen haben.
Plötzlich hatte ich einen Gedanken.
Ich begab mich wieder in das Eßzimmer und suchte zwischen den Notenheften umher. Beethoven gab es, Schubert, Grieg, Sinding und noch einige leichtere Sachen. Endlich fand ich auch das Heft, aus dem der Russe heute mittag gespielt hatte.
Es war: von Pergolese ›Tres giorni son che Nina – –‹
Ich kenne mich im Italienischen nicht besonders gut aus, aber nach meiner Meinung bedeutete es etwas ähnliches wie:
›– drei Tage war Nina die – – –‹