Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1779 – 1783
Die Schwachheiten großer Leute bekannt zu machen, ist eine Art von Pflicht; man richtet damit Tausende auf, ohne jenen zu schaden. Der Brief von d'Alembert über Rousseau im Mercure de France, Sept. 1779. verdient bekannter zu sein.
*
Die Menschen versprechen sich jetzt so viel von Amerika und dessen politischem Zustande, daß man sagen könnte, die Wünsche, wenigstens die heimlichen, aller aufgeklärten Europäer hätten eine westliche Abweichung, wie unsere Magnetnadeln.
*
Von dem Erziehungsbuche bis zum Erziehungsbesen.
*
Eine Jungfer Hausfrau, oder eine Frau Hausjungfer.
*
Herr Camper erzählte, daß eine Gemeinde Grönländer, als ein Missionair ihnen die Flammen der Hölle recht fürchterlich malte, und viel von ihrer Hitze sprach, sich alle nach der Hölle zu sehnen angefangen hätten.
*
Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.
*
Die Suppe schmeckte so abscheulich, daß, um zu glauben, es sei auf eine Vergiftung abgesehen, man nur nötig gehabt hätte, ein großer General oder ein König zu sein.
*
Die Augen eines Frauenzimmers sind bei mir ein so wesentliches Stück, ich sehe oft darnach, denke mir so vielerlei dabei, daß, wenn ich nur ein bloßer Kopf wäre, die Mädchen meinetwegen nichts als Auge sein könnten.
*
Was man feine Menschenkenntnis nennt, ist meistens nichts als Reflexion, Zurückstrahlung eigener Schwachheiten von anderen.
*
Wer sich selbst recht kennt, kann sehr bald alle anderen Menschen kennen lernen. Es ist alles Zurückstrahlung.
*
Es ist doch sonderbar, daß das, was die Menschen im Genie vortrefflich nennen, so selten ist. Ein Shakespeare, Ein Newton, Ein Franklin usw. Warum sind dieser Menschen so wenige, da es doch Gott gleich leicht war, den Dummkopf und das Genie zu schaffen? Ich weiß keine andere Antwort, als daß das Genie allezeit eingeschränkt ist und es nötiger war, Menschen zu haben, die zu allem, als die zu Einem Dinge taugen.
*
Wer sich nicht auf Mienen versteht, ist immer grausamer oder gröber, als andere Leute; deswegen kann man auch gegen kleine Tiere eher grausam sein.
*
Ich sagte bei mir selbst: das kann ich unmöglich glauben, und während dem Sagen merkte ich, daß ichs schon zum zweitenmal geglaubt hatte.
*
Menschen, die sich auf die Beobachtung ihrer selbst gut verstehen und sich damit heimlich groß wissen, freuen sich oft über die Entdeckung eigner Schwachheit, wo die Entdeckung sie betrüben sollte. So sehr viel mehr gilt bei manchen der Professor als der Mensch.
*
Es ist zwar sehr wahr, daß die meisten Menschen, die keiner Liebe fähig sind, auch für die Freundschaft wenig taugen. Man sieht aber doch auch oft das Gegenteil.
*
Es ist der gemeine Fehler aller Leute von wenig Talenten und mehr Belesenheit als Verstand, daß sie eher auf künstliche Erklärungen verfallen als auf natürliche.
*
Das ganze Knochengebäude unserer Denkungsart und unsers Glaubens wird formiert aus unseren Helden, und Musterwahl geht zu einer Zeit vor, wo wir die wenigste Erfahrung und Überlegung haben, und wirkt doch am Ende auf unsere Überlegung, wo nicht auf die Folgen unserer Erfahrung.
*
Man muß nie den Menschen nach dem beurteilen, was er geschrieben hat, sondern nach dem, was er in Gesellschaft von Männern, die ihm gewachsen sind, spricht.
*
Die Menschen haben immer Witz genug, wenn sie nur keinen haben wollen.
*
Es ist ja doch nun einmal nicht anders: die meisten Menschen leben mehr nach der Mode als nach der Vernunft.
*
Es gibt Gesichter in der Welt, wider die man schlechterdings nicht Du sagen kann.
*
Die Muttermilch für den Leib macht die Natur; für den Geist wollen unsere Pädagogen sie machen.
*
Ist es nicht sonderbar, daß man das Publikum, das uns lobt, immer für einen kompetenten Richter hält; aber sobald es uns tadelt, es für unfähig erklärt, über Werke des Geistes zu urteilen?
*
Es ist schade, daß man bei Schriftstellern die gelehrten Eingeweide nicht sehen kann, um zu erforschen, was sie gegessen haben.
*
Es gibt eine wahre und eine förmliche Orthographie.
*
Der eine hat eine falsche Rechtschreibung und der andere eine rechte Falschschreibung.
*
Ist das nicht ein herrlicher Zug in Rousseau's Bekenntnissen, wo er sagt, er habe mit Steinen nach Bäumen geworfen, um zu sehen, ob er selig oder verdammt würde? Großer Gott, wie oft habe ich Ähnliches getan, ich habe immer gegen den Aberglauben gepredigt und bin für mich immer der ärgste Zeichendeuter. Als N... auf Tod lag, ließ ich es auf den Krähenflug ankommen, wegen des Ausgangs mich zu trösten. Ich hatte, wenn ich am Fenster stand, einen hohen Turm mir gegenüber, auf dem viele Krähen waren. Ob rechts oder links vom Turm die erste Krähe erschien. Sie erschien von der linken, allein da tröstete ich mich wieder damit, daß ich nicht festgesetzt hatte, welches eigentlich die linke Seite des Turms genannt zu werden verdiente. Es ist vortrefflich, daß Rousseau sich mit Fleiß einen dicken Baum aussuchte, den er also nicht leicht fehlen konnte.
*
In allen Dingen in der Welt gibt es ein Coup d'Oeil, das heißt, jeder vernünftige Mensch, der etwas hört oder sieht, urteilt instinktmäßig darüber. Er schließt z.B. aus dem Titel des Buchs und dessen Dicke auf den innern Wert. Wohlverstanden, ich sage nicht, daß diese Dinge sein eigentliches Urteil lenken, sondern nur, daß er mit dem ersten Anblicke einer Sache auch ein, dieser geringen Information proportioniertes, Urteil von ihr verbindet, oft ohne daß er sich dessen deutlich bewußt wird. Auch hebt die Erfahrung der nächsten Sekunde das Urteil oft wieder auf. Alles dieses sind Samenkörner von Wissenschaften, aus denen ein Lambert etwas hätte ziehen können; allein so wie nicht aus jedem Samen ein Baum oder Küchenkraut wird, so eben auch hier. Indessen sind diese Winke nie aus der Acht zu lassen; sie sind die Resultate vieler empfangenen Eindrücke in der verständlichsten Summe konstruiert.
*
Man irrt sich, wenn man glaubt, daß alles unser Neues bloß der Mode zugehörte, es ist etwas Festes darunter. Fortgang der Menschheit muß nicht verkannt werden.
*
Mir ist es unbegreiflich, warum der Zustand der unendlichen Herrlichkeit nicht lieber gleich angeht, da doch dieses Leben nur überhaupt ein verschwindender Punkt ist.
*
Ich glaube, es ist ein großer Unterschied zwischen Vernunft lehren und vernünftig sein. Es kann Leute geben, die nichts weniger als eigentlich gesunden Verstand besitzen, und doch vortrefflich über die Regeln nachdenken, die er befolgen muß; so wie ein Physiologe den Bau des Körpers kennen, und selbst sehr ungesund sein kann. Die großen Analysten des menschlichen Kopfs waren nicht immer die Praktisch-Vernünftigen. Ich rede hier nicht von Moral, sondern von Logik.
*
Die Menschen glauben überhaupt schwerer an Wunder, als an Traditionen von Wundern, und mancher Türke, Jude usw. der sich jetzt für seine Traditionen tod schlagen ließe, würde bei dem Wunder selbst, als es geschah, sehr kaltblütig geblieben sein. Denn in dem Augenblicke, da das Wunder geschieht, hat es kein anderes Ansehen, als das ihm sein eigener Wert gibt; es physisch erklären, ist noch keine Freidenkerei, so wenig als es für Betrug halten, Blasphemie. Überhaupt ein Faktum leugnen, ist an sich etwas Unschuldiges; es wird nur in der Welt gefährlich in so fern, als man andern dadurch widerspricht, die seine Unleugbarkeit in Schutz genommen haben. Manche Sache, die an sich sehr unwichtig ist, wird dadurch wichtig, daß sich Leute von Ansehen ihrer annehmen, die man für wichtig hält, ohne eigentlich zu wissen warum. Wunder müssen in der Ferne gesehen werden, wenn man sie für wahr, so wie Wolken, wenn man sie für feste Körper halten soll.
*
Es gibt einen Zustand, der wenigstens bei mir nicht sehr selten ist, da man die Gegenwart und Abwesenheit einer geliebten Person gleich wenig ertragen kann; wenigstens bei der Gegenwart nicht das Vergnügen findet, welches man, aus der Unerträglichkeit der Abwesenheit zu schließen, von ihr erwarten sollte.
*
Sonderbar ist die allmählige Entwickelung des Künftigen, welche die Spieler der plötzlichen Enthüllung vorziehen. Bei Hazardspielen, wobei umgeschlagen wird, betrachten sie die Karte, die sie frei ansehen dürften, lieber erst gegen ein schwaches Licht von hinten. Selbst Kinder tun dies.
*
Wovon das Herz nicht voll ist, davon geht der Mund über, habe ich öfters wahr gefunden, als den entgegengesetzten Satz.
*
Das respice finem ist einer weit fruchtbarern Erklärung fähig, als man ihm gewöhnlich gibt. Der Mensch, der den Himmel erfunden hat, rechnet aufs Künftige. Wer bei jeder Handlung den Einfluß bedenkt, den sie auf sein Künftiges haben kann, und sie nicht unternimmt, wenn sie ihm nicht im Künftigen Vorteil bringt, wird gewiß glücklich leben. Alle großen Leute haben bloß des Künftigen wegen das Gegenwärtige unternommen, und schlechte Menschen haben immer, wie die Tiere, bloß das Gegenwärtige vor Augen; ja sie erniedrigen sich unter die Tiere, weil diese aus Instinkt manches fürs Künftige tun, und also die Natur gewissermaßen ihre Beseelung über sich nimmt.
*
Es ist gewiß ein sicheres Zeichen, daß man besser geworden ist, wenn man Schulden so gerne bezahlt, als man Geld einnimmt.
*
Es gibt eine gewisse Jungferschaft der Seele bei den Mädchen, und eine moralische Entjungferung; diese findet bei vielen schon sehr frühzeitig statt.
*
Woher mag wohl die entsetzliche Abneigung des Menschen herrühren, sich zu zeigen, wie er ist, in seiner Schlafkammer, wie in seinen geheimsten Gedanken? In der Körperwelt ist alles wechselseitig, das, was es sich sein kann, und zugleich sehr aufrichtig. Nach unsern Begriffen sind die Dinge gegen einander alles Mögliche, was sie sein können, und der Mensch ist es nicht. Er scheint mehr das zu sein, was er nicht sein sollte. Die Kunst sich zu verbergen, oder der Widerwille, sich geistlich oder moralisch nackend sehen zu lassen, geht bis zum Erstaunen weit.
*
Es ist wirklich nichts abscheulicher, als wenn sich selbst zugezogene Strafgerichte noch einlaufen, nachdem man schon lange angefangen hat, sich zu bessern.
*
In jedes Menschen Charakter sitzt etwas, das sich nicht brechen läßt – das Knochengebäude des Charakters; und dieses ändern wollen, heißt immer, ein Schaf das Apportieren lehren.
*
Man kennt manchmal einen Menschen genauer, als man sagen kann, oder wenigstens als man sagt. Worte, Grad der Munterkeit, Laune, Bequemlichkeit, Witz, Interesse – alles drückt und leitet zur Falschheit.
*
Wo Mäßigung ein Fehler ist, da ist Gleichgültigkeit ein Verbrechen.
*
Ich kenne die Miene der affektierten Aufmerksamkeit, es ist der niedrigste Grad von Zerstreuung.
*
Den Menschen so zu machen, wie ihn die Religion haben will, gleicht dem Unternehmen der Stoiker; es ist nur eine andere Stufe des Unmöglichen.
*
Über nichts wird flüchtiger geurteilt, als über die Charaktere der Menschen, und doch sollte man in nichts behutsamer sein. Bei keiner Sache wartete man weniger das Ganze ab, das doch eigentlich den Charakter ausmacht, als hier. Ich habe immer gefunden, die so genannten schlechten Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennen lernt, und die guten verlieren.
*
Wer sich nur etwas Mühe geben will, wird leicht bemerken, daß es eine gewisse Menschenkenntnis, eine Philosophie und eine Theorie des Lebens gibt, die, ohne weiter untersucht zu werden, doch vielen zum Leitfaden im Handeln sowohl als Sprechen dient. Es gibt sogar berühmte Leute, die weiter nichts vorzuweisen haben. So hält man in mittelmäßig großen Städten immer den Professor für einen Pedanten; ja sogar das Universitätsmäßige hat da die Bedeutung von Steifigkeit. Der Landjunker ist auch ein bekannter Charakter, und doch sind die meisten Landjunker das gar nicht. Schwache Köpfe sind in dieser Philosophie gemeiniglich sehr zu Hause. Man muß zuweilen wieder die Wörter untersuchen, denn die Welt kann wegrücken, und die Wörter bleiben stehen. Also immer Sachen und keine Wörter! Denn sogar die Wörter unendlich, ewig, immer haben ja ihre Bedeutung verloren.
*
Man irrt sich gar sehr, wenn man aus dem, was ein Mann in Gesellschaft sagt oder auch tut, auf seinen Charakter oder Meinungen schließen will. Man spricht und handelt ja nicht immer vor Weltweisen; das Vergnügen eines Abends kann an einer Sophisterei hängen. Beurteilt ja auch kein Vernünftiger Cicero's Philosophie aus seinen Reden.
*
Man sollte nicht glauben, daß der unnatürliche Verstand so sehr weit gehen könnte, daß sich Leute beim Einsteigen in die Trauerkutsche komplimentieren könnten.
*
Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten.
*
Wenn die Menschen sagen, sie wollen nichts geschenkt haben, so ist es gemeiniglich ein Zeichen, daß sie etwas geschenkt haben wollen.
*
Man muß keinem Menschen trauen, der bei seinen Versicherungen die Hand auf das Herz legt.
*
Wie glücklich würde mancher leben, wenn er sich um anderer Leute Sachen so wenig bekümmerte, als um seine eigenen.
*
In jedem Menschen ist etwas von allen Menschen. Ich glaube diesen Satz schon sehr lange; den vollständigen Beweis davon kann man freilich erst von der aufrichtigen Beschreibung seiner selbst erwarten, nämlich, wenn sie von vielen unternommen wird. Dieses, was man von allen hat, mit gehöriger Genauigkeit zu scheiden, ist eine Kunst, die gemeiniglich die größten Schriftsteller verstanden haben. Man braucht nicht viel von jedem Menschen zu besitzen. Es gibt geschickte Leute, die ihre chymischen Versuche im kleinen anstellen, und richtigere Sachen herausbringen, als andere, die sehr viel Geld darauf zu verwenden haben.
*
Jedes Gebrechen im menschlichen Körper erweckt bei dem, der darunter leidet, ein Bemühen, zu zeigen, daß es ihn nicht drückt: der Taube will gut hören, der Klumpfuß über rauhe Wege zu Fuß gehen, der Schwache seine Stärke zeigen, usw. So verhält es sich in mehreren Dingen. Dieses ist für den Schriftsteller ein unerschöpflicher Quell von Wahrheiten, die andere erschüttern, und von Mitteln, einer Menge in die Seele zu reden.
*
Es ist wahr, alle Menschen schieben auf, und bereuen den Aufschub. Ich glaube aber, auch der Tätigste findet so viel zu bereuen, als der Faulste; denn wer mehr tut, sieht auch mehr und deutlicher, was hätte getan werden können.
*
Es gibt Leute, die können alles glauben, was sie wollen; das sind glückliche Geschöpfe!
*
Ein Mädchen, die sich ihrem Freund nach Leib und Seele entdeckt, entdeckt die Heimlichkeiten des ganzen weiblichen Geschlechts; ein jedes Mädchen ist die Verwalterin der weiblichen Mysterien. Es gibt Stellen, wo Bauernmädchen aussehen wie die Königinnen, das gilt von Leib und Seele.
*
Er hat bloß Feinheit genug, sich verhaßt zu machen, aber nicht genug, sich zu empfehlen.
*
Es gibt wirklich sehr viele Menschen, die bloß lesen, damit sie nicht denken dürfen.
*
Gewiß ist die Anbetung der Sonne zu verzeihen. Jedermann sieht schon unwillkürlich nach einem hellen Fleck. Das tun auch die Tiere, und was bei Katzen, Hunden unwillkürliches Starren, ist bei den Menschen Anbetung.
*
Irren ist auch in so fern menschlich, als die Tiere wenig oder gar nicht irren, wenigstens nur die klügsten unter ihnen.
*
Die gesundesten und schönsten, regelmäßigst gebauten Leute sind die, die sich alles gefallen lassen. Sobald einer ein Gebrechen hat, so hat er seine eigne Meinung.
*
Die Geistlichen machen einen Lärm, wenn sie einen Mann sehen, der frei denkt, wie Hennen, die unter ihren Jungen ein Entchen haben, welches in das Wasser geht. Sie bedenken nicht, daß Leute in diesem Elemente eben so sicher leben, als sie im Trocknen.
*
Ein großes Genie wird selten seine Entdeckungen auf der Bahn anderer machen. Wenn es Sachen entdeckt, so entdeckt es auch gewöhnlich die Mittel dazu.
*
Von dem seltsamen Geschmacke der Menschen zeugt auch dieses, daß bei belagerten Städten Leute sowohl heraus als hinein desertieren.
*
Nichts zeigt so kräftig, wie sehr man sich durch die Gewohnheit über alles wegsetzen lernt, als die Perücken, die selbst Geistliche in einer von dem natürlichen Haarwuchs so sehr abweichenden Form tragen, ohne dadurch lächerlich zu werden.
*
Es ist eine alte Regel: Ein Unverschämter kann bescheiden aussehen, wenn er will, aber kein Bescheidener unverschämt.
*
Wenn die Pockeninokulation allgemeiner wird, so werden wir um eine ganze Klasse von Gesichtern kommen. Überhaupt, wenn Krankheiten ausstürben, so würden viele Gesichtsgeschlechter untergehen.
*
Der Zweck aller Erziehung ist, tugendhafte, verständige und gesunde Kinder zu ziehen. In wie weit stimmt dieses mit unserer Methode überein? Unser Einbläuen der Geographie scheint keines von allen Dingen sonderlich zu befördern. Es kann einer in seinem zwanzigsten Jahre noch glauben, daß das Königreich Preußen eine Insel sei, und deswegen doch ein in allem Betracht trefflicher Mensch sein. Ich habe einen solchen gekannt. Man soll zwar immer bei der Erziehung auf die konventionellen Schönheiten des Geistes Rücksicht nehmen, aber es sind doch die letzten.
*
Es ist in der Tat verkehrt, wenn man unsern Kindern alles mit Liebe beibringen will, da in dem höheren Leben, wenn wir älter werden, uns das wenigste zu Gefallen geht, und wir uns immer unter einen Plan demütigen müssen, den wir nicht übersehen. Also je eher je lieber zu jenem künftigen Leben gewöhnt!
*
Ich wünschte ein Kind zu haben, das ich mir ganz eigen machen könnte; ich wollte es zu allem anhalten, wovon ich jetzt zu spät einsehe, daß ich es versäumt habe. Die Eltern halten ihre Kinder nicht genug zu dem an, was sie nun erkennen müssen versäumt zu haben. Überhaupt glaube ich, daß es sehr wenige Lehrer gibt, die so unterrichten, daß sie das vermeiden zu lehren, was sie selbst, wenn sie bei jetzigem Verstände jung wären, vermeiden würden zu lernen.
*
Früher Unterricht gewährt eine Zeitlang den Anschein des Genies, erhält sich aber nicht. Die Stillstände erfolgen bald früher bald später.
*
Das Land, wo die Kirchen schön und die Häuser verfallen sind, ist so gut verloren, als das, wo die Kirchen verfallen und die Häuser Schlösser werden.
*
Durch unser vieles Lesen gewöhnen wir uns nicht allein Dinge für wahr zu halten, die es nicht sind, sondern unsere Beweise bekommen auch eine Form, die oft nicht sowohl die Natur der Sache mit sich bringt, als unser unvermerkter Anhang an die Mode. Wir beweisen aus den Alten, was wir mit Beispielen aus unserm Ort eben so kräftig unterstützen könnten; auch werden Sentenzen zitiert, die nichts beweisen, und Sätze, aus denen man nichts Neues lernt. Es ist sehr schwer, eine Sache neu anzusehen, nicht durch das Medium der Mode, oder mit Rücksicht auf unser Modesystem. Es wird immer Ansehen gebraucht, wo man Gründe brauchen sollte, immer geschreckt, wo man belehren sollte, und Götter werden zu Hülfe genommen, wo Menschen hinreichend wären.
*
Wenn einem die Meinungen der Besten über eine Sache alle bekannt geworden sind, so läßt sich mit bloßer Schlauigkeit oder wenigstens sehr geringer Fähigkeit noch etwas darüber sagen, was die Welt in Erstaunen setzt. Bloßer Vorsatz, etwas zu sagen, kann da schon viel tun.
*
Populairer Vortrag heißt heutzutage nur zu oft der, wodurch die Menge in den Stand gesetzt wird, von etwas zu sprechen, ohne es zu verstehen.
*
Es ist wie die tägliche Erfahrung lehrt, sehr wenig Anstrengung nötig, etwas zu sagen, das eine ganz beträchtliche erfordert, es zu verstehen. Hingegen erfordert es außerordentlich viel Talent, einem vernünftigen Manne etwas Neues und Wichtiges so leicht vorzutragen, daß er sich freut, es jetzt zu wissen, und sich schämt, es nicht selbst bemerkt zu haben. Letzteres ist ein so charakteristisches Zeichen von einem großen Schriftsteller, daß wenige solcher Bemerkungen einen ganzen Band alltäglicher Dinge veredeln können.
*
Wenn man sich einmal einen Gedanken eines andern ein wenig zu Nutze macht, so schreien alle Rezensenten: halt den Dieb. Dieses kommt mir vor, als wie, wenn sich ein Knabe hinten auf eine Kutsche setzt, so rufen alle anderen, die die Freude nicht haben können, dem Kutscher zu: es sitzt einer hinten auf.
*
Ich mag immer den Mann mehr lieben, der so schreibt, wie es Mode werden kann, als den, der so schreibt, wie es Mode ist.
*
Ist es nicht sonderbar, daß eine wörtliche Übersetzung fast immer eine schlechte ist? und doch läßt sich alles gut übersetzen. Man sieht hieraus, wie viel es sagen will, eine Sprache ganz verstehen; es heißt, das Volk ganz kennen, das sie spricht.
*
Despaviladura heißt eine Lichtputze auf Spanisch. Man sollte glauben, es hieße wenigstens ein kaiserlicher Generalfeldmarschalllieutenant.
*
Nachahmung der englischen Cross-readings Man muß sich vorstellen, das Lesen geschehe in einem öffentlichen Blatte, worin sowohl politische, als gelehrte Neuigkeiten, Avertissements von allerlei Art, usw. anzutreffen sind: der Druck jeder Seite sei in zwei oder mehrere Kolumnen geteilt, und man lese die Seiten quer durch, aus einer Kolumne in die andere.
Gestern disputierte unter dem Vorsitz des Herrn Leibmedicus – Ein Hengstfüllen mit einem weißen Pleß vor dem Kopf.
Eine Jungfer von gutem Herkommen wünscht als Kammermädchen anzukommen – Hinten steht die Jahrzahl 1719.
Es wird eine Köchin gesucht, die mit Backwerk umzugehen weiß – Zu zwei Personen eingerichtet, nebst etwas Kellerraum.
Ein junger starker Kerl, der schon als Reitknecht gedient – Vertreibt Vapeurs und Mutterzufälle in kurzer Zeit.
Heute wurde Frau N... von Zwillingen entbunden – Wer auf zehne pränumeriert, kriegt eines umsonst.
Dem Förster zu W... ist gestern ein junges Rind von der Weide entlaufen – Um künftigen Sonntag seine Antrittspredigt zu halten.
Neulich gab der Churfürst dem Capitel ein splendides Diner – Drei Personen wurden gerettet, die übrigen ersoffen.
Die drei Damen, deren gestern Erwähnung geschehen – Können immer eine Stunde vor der Auktion besichtigt werden.
Am 13. dieses schlug der Blitz in die hiesige Kreuzkirche – Und setzte Tages darauf seine Reise weiter fort.
Die Vermählung des Grafen v. P... ist glücklich vollzogen worden – Er hat aber Gottlob! nicht gezündet.
Den 12 ten starb ein Mann in seinem 104 ten Jahre – Und bekam in der Taufe die Namen Friderica Sophia.
Die neue Galanteriekrämerin am Markte verkauft – Schnupfen, Kopfweh und andere Zufälle.
*
Er hatte ein paar Warzen auf seiner Nase, die so saßen, daß man sie leicht für die Köpfe der Nägel hätte halten können, womit sie am Gesicht angeheftet war.
*
Von einem, der nur immer auf das Gegenwärtige denkt, könnte man sagen, er hat die Unsterblichkeit der Seele nicht erfunden.
*
In einem Lande, wo den Leuten, wenn sie verliebt sind, die Augen im Dunkeln leuchteten, brauchte man des Abends keine Laternen.
*
Weil er seine eigenen Pflichten immer vernachlässigte, so behielt er Zeit genug übrig, zu sehen, wer von seinen Mitbürgern seine Pflichten vernachlässigte, und es der Obrigkeit anzuzeigen.
*
Harlequin will sich selbst ermorden, und nachdem er gegen jede Todesart etwas einzuwenden findet, entschließt er sich endlich, sich tod zu kitzeln.
*
Andere lachen zu machen, ist keine schwere Kunst, so lang es einem gleich gilt, ob es über unsern Witz ist, oder über uns selbst.
*
Man sollte Katarr schreiben, wenn er bloß im Halse, und Katarrh, wenn er auf der Brust sitzt.
*
Wenn einmal jemand dem größten Schelm in Deutschland 100 000 Louisd'or vermachte, wie viele Prätendenten zur Erbschaft würden sich nicht finden!
*
Unter die größten Entdeckungen, auf die der menschliche Verstand in den neuesten Zeiten gefallen ist, gehört meiner Meinung nach wohl die Kunst, Bücher zu beurteilen, ohne sie gelesen zu haben.
*
Das Faustrecht ist heutzutage verschwunden bis auf die Freiheit, jedem eine Faust in der Tasche zu machen.
*
Die seltsamsten Ideen schwärmten seinem Kopfe zu, als wenn ihre Königin darin säße, und das war auch wahr.
*
Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.
*
Unter allen den Kuriositäten, die er in seinem Hause aufgehäuft hatte, war er selbst am Ende immer die größte.
*
Das Außerordentlichste bei diesem Gedanken ist unstreitig dieses, daß, wenn er ihn eine halbe Minute später gehabt hätte, so hätte er ihn nach seinem Tode gehabt.
*
Er hatte gar keinen Charakter, sondern wenn er einen haben wollte, so mußte er immer erst einen annehmen.
*
Was den Weg zum Himmel betrifft, so mögen wohl, auf und ab, Religionen gleich gut sein, allein der Weg auf der Erde, das ist der Henker.
*
Lieber Gott, ich bitte dich um tausend Gotteswillen.
*
Als unsere selige Kuh noch lebte, sagte einmal eine Frau in Göttingen.
*
Die Deutschen lesen zu viel. Darüber, daß sie nichts zum zweitenmal erfinden wollen, lernen sie alles so ansehen, wie es ihre Vorfahren angesehen haben. Der zweite Fehler ist aber gewiß schlimmer, als der erste.
*
Keine Nation fühlt so sehr, als die deutsche, den Wert von andern Nationen, und wird leider! von den meisten wenig geachtet, eben wegen dieser Biegsamkeit. Mich dünkt, die andern Nationen haben recht: eine Nation, die allen gefallen will, verdient von allen verachtet zu werden. Die Deutschen sind es auch wirklich so ziemlich. Die Ausnahmen sind bekannt, und kommen nicht in Betracht, wie alle Ausnahmen.
*
Der deutsche Gelehrte hält die Bücher zu lange offen, und der Engländer macht sie zu früh zu. Beides hat indessen in der Welt seinen Nutzen.
*
Ein gutes Mittel, gesunden Menschenverstand zu erlangen, ist ein beständiges Bestreben nach deutlichen Begriffen, und zwar nicht bloß aus Beschreibungen anderer, sondern so viel möglich durch eigenes Anschauen. Man muß die Sachen oft in der Absicht ansehen, etwas daran zu finden, was andere noch nicht gesehen haben; von jedem Wort muß man sich wenigstens einmal eine Erklärung gemacht haben, und keines brauchen, das man nicht versteht.
*
Laß dich deine Lektüre nicht beherrschen, sondern herrsche über sie.
*
Jeden Augenblick des Lebens, er falle, aus welcher Hand des Schicksals er wolle, uns zu, den günstigen, so wie den ungünstigen, zum bestmöglichen zu machen, darin besteht die Kunst des Lebens, und das eigentliche Vorrecht eines vernünftigen Wesens.
*
Es wäre ein guter Plan, wenn einmal ein Kind ein Buch für einen Alten schriebe, da jetzt alles für Kinder schreibt. Die Sache ist schwer, wenn man nicht aus dem Charakter gehen will.
*
Ein Mädchen, 150 Bücher, ein paar Freunde und ein Prospekt von etwa einer deutschen Meile im Durchmesser, war die Welt für ihn.
*
Twiss hatte sich mit seiner Tour through Ireland so verhaßt gemacht, daß man sein Portrait auf dem Boden der Nachttöpfe mit offenem Munde und Auge vorstellte mit der Umschrift:
Come let us piss On Mr. Twiss.
*
Wenn eine Geschichte eines Königs nicht verbrannt worden ist, so mag ich sie nicht lesen.
*
Daß wir unsere Augen so leicht, und unsere Ohren so schwer verschließen können, wenigstens nicht anders, als wenn wir unsere Hände davor bringen, zeigt unwidersprechlich, daß der Himmel mehr für die Erhaltung der Werkzeuge, als für das Vergnügen der Seele gesorgt hat. Doch sind die Ohren noch unsere besten Wächter im Schlafe. Was für eine Wohltat wäre es nicht, die Ohren so leicht verschließen und öffnen zu können, als die Augen!
*
Im Deutschen reimt sich Geld auf Welt; es ist kaum möglich, daß es einen vernünftigern Reim gebe; ich biete allen Sprachen Trotz!
*
Wenn jemand alle glücklichen Einfälle seines Lebens dicht zusammen sammelte, so würde ein gutes Werk daraus werden. Jedermann ist wenigstens des Jahrs einmal ein Genie. Die eigentlich so genannten Genies haben nur die guten Einfälle dichter. Man sieht also, wie viel darauf ankommt, alles aufzuschreiben.
*
Es erleichtert die Korrespondenz, wenn man weiß, daß der Korrespondent eine schöne Frau hat.
*
Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wichtig zu halten, hat sehr viel Großes hervorgebracht.
*
Es ist doch sonderbar, daß wir so viele Mittel kennen, eine Krankheit zu befördern, und so wenige, sie zu heilen.
*
Den Esel macht seine Ähnlichkeit mit dem Pferde nur desto lächerlicher, aber das Pferd wird nicht lächerlich durch den Esel.
*
Ein untrügliches Mittel wider das Zahnweh zu erfinden, wodurch es in einem Augenblick gehoben würde, möchte wohl so viel wert sein und mehr, als noch einen Planeten zu entdecken.