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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Was Tub, Matey und Sam in der Woche ihres Beisammenseins taten, ergibt sich aus dem Studium einer Zeitungsliste: »Wo luncht, diniert und tanzt man in Paris?« und der Inserate von Schneidern, Juwelieren, Parfumhändlern, Möbelgeschäften und Revuen; und aus einer allabendlichen Wiederholung des Berichtes über die ernsthafteren Ereignisse in Tubs erster Nacht in Paris.

Die Woche war anstrengend, aber ziemlich trostreich für Sam.

Während ihres ganzen Verlaufes bereiteten ihn die frommen Ermahnungen Mateys im Verein mit Gedanken an Minna von Escher und an seine angeborene Tüchtigkeit darauf vor, der Versuchung nachzugeben – nur sah er keine Versucherin.

Die Pearsons baten ihn, er möge mit ihnen nach Holland fahren, aber er sagte, er hätte in Paris zu tun; er sprach in unklaren Ausdrücken von Konferenzen mit Automobilvertretern. In Wirklichkeit wollte er ein oder zwei Tage für sich haben, um vergnügt allein zu sein, spazieren zu gehen, wo und wie er wollte, und in langen, ungestörten Stunden des Behagens über alles nachzudenken.

Er bekam zwei hastige, gestammelte Nachrichten von Fran, in denen sie ihm sagte, daß er ihr fehle, was sehr angenehm und erfreulich war, in denen sie aber auch von einem Abend erzählte, an dem sie bis drei Uhr morgens mit Kurt von Obersdorf getanzt hatte, von einem mit Kurt auf dem Land verbrachten Tage – von einer Einladung, das nächste Weekend bei Kurts Freunden, den von Arminals, im Harz zu verbringen. »Und selbstverständlich wären sie entzückt auch dich zu begrüßen, wenn du noch rechtzeitig zurückkommst, sie haben mich gebeten, dir zu bestellen, wie leid es ihnen tut, daß du nicht hier bist.«

»Hm!« sagte Sam.

Plötzlich war er verdrossen. Ach, natürlich hat sie das »Recht«, mit Kurt so viel zusammen zu sein, wie sie will. Er ist kein Haremswächter. Und selbstverständlich wäre es kindisch zu toben: »Wenn sie das Recht hat, sich zu amüsieren, dann habe ich es auch.« Es handelt sich gar nicht um irgendwelche »Rechte«. Die Frage ist, was er haben will, und was er dafür zu bezahlen bereit ist – ob er neue, überraschende Liebeserlebnisse haben will, ob er sie finden kann, und ob er gewillt ist, mit seiner Würde dafür zu bezahlen, mit der Hochachtung, die Fran trotz ihren aufgeregten Sticheleien für ihn hegt.

Als er die Pearsons an die Bahn gebracht und ihnen feierlichst gelobt hatte, sie in einem halben Jahr in Zenith wiederzusehen, als er eine Stunde vor dem Café des Deux Magots gesessen und finster über die um Fran kreisende Welt nachgedacht hatte, in der wie in einer Sintflut die Welt der Geschäfte, der Automobilfabrikation und des Golfspiels untergegangen war, packte er mit seiner großen Hand die Marmorplatte des kleinen Tischchens und gestand sich rückhaltlos ein, daß er hungrig war wie eine unfruchtbare Frau, hungrig nach einer Geliebten, die Frans anspruchsvolles Wesen, Minna von Eschers dunkle Wärme und Matey Pearsons gewitzte Erdhaftigkeit haben müßte.

Er speiste allein in einem kleinen Montparnasse Restaurant, in dem lauter lebhafte junge Paare saßen: ein schwedischer Maler mit einer italienischen Studentin, ein amerikanischer Globetrotter mit seiner polnischen Geliebten, weiße Russen- und italienische Antifascistenpaare. Alle schwatzten sie wie Papageien und hielten sich bei ihrem Vin ordinaire und Pferdefleisch ganz offen an den Händen. Und da es hier sehr billig war, saßen auch wirkliche Franzosen da, alle zu zweit oder in großen lärmenden Familiengesellschaften, und die Paare streichelten einander die Hände, schmiegten ungeniert die Wangen aneinander, sahen sich tief in die Augen und vergaßen ganz ihre Umwelt.

Es war Frühling – Frühling und Paris – Kastanienblütenduft, frisch gesprengte Straßen, und Sam Dodsworth fühlte sich fast ebenso einsam, als wäre er mit Kurt und Fran im Adlon.

Als er an Frans kühle, glatte Höflichkeit gegen ihn dachte, wurde er ärgerlich. Als er die verliebte Jugend um sich ansah, wurde er noch ärgerlicher. Diese Leidenschaft, willig und ohne jede Verlegenheit, das hat Fran ihm nie gegeben. Er ist beraubt worden – oder hat er sie beraubt? Ganz falsch, so oder so. Er hat genug

Oh, er war einsam, dieser große freundliche Mann, Sam Dodsworth, und er brauchte einen Mann, um sprechen und prahlen und lügen, eine Frau, um kindisch und gekränkt sein und getröstet werden zu können, und er war so tüchtig und reich, daß ihm beides fehlte, und hilflos, mit wunden, bloßgelegten Nerven suchte er danach. Auf dieser Suche ging er nach dem Essen in das Select, das mit dem Café du Dôme als Zufluchtsstätte der Schmachtenden aller Länder in Paris wetteifert. Ein Mann, der in den intellektuelleren Teilen von Paris allein in einem Caféhaus sitzt und anscheinend niemand erwartet, ist immer verdächtig. Zu Hause mag er ein Fürst sein, ein erfolgreicher Taschendieb oder ein Forscher, aber in dieser Stadt armer und überfreundlicher Nichtstuer, in dieser Stadt, wo jeder, der kein Mörder oder Märtyrer von Beruf ist, so leicht Gesellschaft finden kann, nimmt man an, daß er allein ist, weil er es nicht anders verdient.

Aber in dieser Stadt von Abenteurern des Geistes, die in der einfachen und häuslichen französischen Stadt Paris liegt, in diesem neuen Jahrmarkt der Eitelkeit mit schmierigeren Geheimnissen, braveren Amelien und freundlicheren Kapitänen Dobbins, als Thackeray je gedacht hätte, gilt auch die Regel: wenn ein solcher Einsamer wohlhabend aussieht, wenn er ruhig mit den Kellnern redet, die Leute am Nebentisch nicht unaufgefordert anspricht und seine Fine à l'eau langsam trinkt, ist er vielleicht bloß ein vermögender Reisender, der dankbar dafür wäre, in die Hochburg der Künste von einem qualifizierten, freundlich alle Touristen verachtenden, überhaupt authentischen Jünger der Pariser Boheme eingeführt zu werden – von einem Mädchen, von der schon einmal eine Buchbesprechung erschienen ist, oder von einem Cellisten aus Nord-Dakota, der überzeugt davon ist, daß jedermann ihn für einen ungarischen Zigeuner hält.

So kam es, daß Samuel Dodsworth, als er allein und melancholisch an einem Tisch vor dem Select saß, von vier jungen Leuten an einem anderen Tisch besprochen wurde – psychoanalytisch, biologisch, ökonomisch; klug, eingehend, verheerend.

»Seht ihr den großen Schafskopf dort, der ganz allein ist?« fragte Clinton J. Gillespie, der Miniaturenmaler aus Bangor. »Sicher ein amerikanischer Anwalt. Hat in Politik gemacht. Hält gern Reden. Jetzt hat er nichts zu tun und giftet sich darüber.«

»Ach, Dreck!« sagte der Herr neben ihm. »Erstens einmal ist er selbstverständlich Engländer, und dann sieh dir doch seine Hände an! Für solche Kleinigkeiten wie Hände hast du in deinen idiotischen kleinen Miniaturen wohl keinen Platz. Er ist reich und aus guter Familie, hat aber trotzdem die Hände eines Mannes, der arbeitet. Ganz einfach. Er ist Besitzer eines großen Guts in England und wahrscheinlich Baronet.«

»Großartig!« rief der dritte, ein kleiner Mann mit scharfer Nase. »Stimmt genau – abgesehen davon, daß das selbstverständlich ein Soldat ist, und – in dieser Beziehung bin ich nicht ganz sicher, aber ich glaube, es ist ein Deutscher.«

»Ihr«, sagte die vierte, ein Mädchen von zwanzig Jahren mit Engelsgesicht, Rosenknospenmund, züchtigem Kinn, Magazinbildnase und den Augen einer verbitterten und habgierigen Vierzigjährigen, »ihr seid ja alle zum Kotzen! Ihr wißt so viel, was gar nicht stimmt! Ich weiß nicht, was er ist, aber er sieht mir nach einer Flasche Champagner aus, und ich geh jetzt hinüber und hol sie mir.«

»Elsa, was für einen Sinn hat es denn«, rief Clinton J. Gillespie, »daß du nach Paris kommst, wenn du immer mit solchen Babbitts redest? Du wirst nie einen Roman schreiben können!«

»Das wäre noch nicht das Schlimmste – wenn ich mir ein paar von den Romanschreibern ansehe, die hier herumsitzen!« spottete Elsa und ging zu Sams Tisch hinüber, stellte sich neben ihn und zwitscherte: »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber sind Sie nicht Mr. Albert Jackson aus Chicago?«

Sam blickte auf. Sie glich so sehr dem erbaulichen Porträt des »Fräuleins Unschuld« im Kalender, den der Kolonialwarenhändler zu Neujahr schickt, daß ihn selbst diese älteste aller Taktiken nicht ärgerte. »Nein, aber ich wollte, ich wäre es. Ich bin aus Chicago, aber ich heiße Pearson, Thomas J. Pearson. Darlehen und Bankkredite. Wollen Sie nicht Platz nehmen? Ich bin sehr allein in Paris.«

Elsa setzte sich nicht hastig. Es wäre schwer zu sagen, in welchem Augenblick sie sich eigentlich setzte, so bescheiden ließ sie sich auf einen Stuhl gleiten, mit einer Miene, als hätte sie noch nie eine so unjungfräuliche Begegnung gehabt, als könnte sie jeden Augenblick scheu werden und davonflattern. Sie murmelte: »Das war aber wirklich zu albern von mir. Sie müssen mich für eine fürchterlich unverschämte kleine Person gehalten haben, weil ich Sie so angesprochen habe, aber Sie sehen Mr. – Mr. Jackson so ähnlich, das ist ein Herr, den ich einmal bei meiner Tante in New Rochelle kennen gelernt habe – mein Vater ist dort Baptistenprediger – und ich habe mich wohl auch ein klein wenig einsam gefühlt – ich kenne nicht viele Leute in Paris, obwohl ich schon drei Monate hier bin. Ich studiere hier Romaneschreiben. Aber es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, daß Sie nicht böse geworden sind.«

»Böse? Es war mir eine Ehre«, sagte Sam galant … und in seinem Inneren beschloß er: »Ja, du süßes kleines Hurenbalg, du hübsche kleine Goldgräberin, du darfst mich wurzen, so viel du willst, und heute nacht bleiben wir zusammen!«

Und er triumphierte, daß es ihm nach so vielen Schwierigkeiten gelungen war, den ersten Schritt zur Sünde zu tun.

»Und jetzt, mein kleines Fräulein, werden Sie mir hoffentlich erlauben, daß ich Ihnen etwas zu trinken kommen lasse, bloß um mir zu zeigen, daß Sie mich für ebenso nett und respektabel halten, wie wenn Sie auch mich bei Ihrer Tante kennen gelernt hätten. Was möchten Sie trinken?«

»Ach, ich – ich – Ich weiß kaum, wie Alkohol schmeckt.« Sam hatte sie am andern Tisch zwei Brandys hinunterstürzen sehen. »Was trinkt man denn? Was würde denn einem jungen Mädchen nicht schaden?«

»Ja – Brandy würden Sie natürlich nicht anrühren?«

»O nein!«

»Nein, natürlich nicht. Also, was möchten Sie denn am liebsten?«

»Ja – Ach, Sie werden mich doch hoffentlich nicht für albern halten Mr. Äh –«

»Mr. Thomas – Pearson J. Thomas.«

»Natürlich – wie dumm von mir! Sie werden mich doch hoffentlich nicht für albern halten, Mr. Thomas, wenn ich sage, daß ich so oft von Champagner gehört habe und immer schon welchen trinken wollte?«

»Nein, das werde ich gar nicht für albern halten. Es soll ein ganz harmloses Getränk für junge Mädchen sein.« (Los! Und heute abend! Sie hat angefangen!) »Wollen Sie eine bestimmte Sorte Champagner haben?«

Sie sah ihn argwöhnisch an, beruhigte sich aber bei dem Anblick seines großen, harmlosen Gesichts und schwatzte vergnügt weiter:

»Ach, Sie müssen mich für schrecklich albern halten – für ein richtiges kleines Greenhorn – aber ich weiß nicht von einem einzigen Wein den Namen! Aber ich habe von einem Jungen, den ich hier kenne – er ist so fleißig, Student – der hat mir gesagt, daß Pol Roger, Quinze, ich meine 1915, eines der besten Wachstümer ist.«

»Ja, ich habe auch gehört, daß das ein recht netter kleiner Wein ist«, sagte Sam, und während er bestellte, sah er, daß einer von Elsas jungen Männern bewundernd die Achseln zuckte und einem andern eine Fünffranc-Note überreichte, als ob er eine Wette bezahlte.

»Werde ich bei meiner ersten Vorführung Mitarbeiter haben?« mußte er denken. »Ich kann sie brauchen! Allein werde ich nie damit fertig werden! Ich möchte dieses kleine Luder halb zu Tode küssen, aber – Mein Gott, ich kann mir doch nichts mit einem Kind anfangen, das jünger ist als meine Tochter!«

Während er eine halbe Stunde lang voll Eifer mit Elsa sprach, über Berlin und Neapel, über Charles Lindbergh, der gerade in dieser Woche von New York nach Paris geflogen war, und, selbstverständlich, über die Prohibition und über die Romane, die sie noch nicht ganz zu schreiben angefangen hatte – ging sein ganzes Bemühen dahin, seine Skrupel zu überwinden, sich zu seinem ersten prahlerischen Entschluß zurückzufinden, daß er den achtbaren Samuel Dodsworth vergessen und ein Bandit sein wollte.

Eifersucht und Champagner halfen.

Nach einer halben Stunde sprang Elsa mit einer entzückenden Geste auf und rief: »Nanu! Dort drüben, am zweiten Tisch, sitzen ein paar junge Leute, die ich kenne. Da Sie allein in Paris sind – Vielleicht können meine Bekannten Sie ein bißchen herumführen. Es wird ihnen bestimmt ein Vergnügen sein, Sie kennen zu lernen. Es sind so nette Jungens, und so talentiert! Haben Sie etwas dagegen, daß ich sie herhole?«

»Es wird mir ein Vergnügen –«

Sie rief die drei jungen Männer, mit denen sie zusammen gewesen war, und stellte sie vor als Mr. Clinton Gillespie, Miniaturenmaler, eben aus Bangor zugereist, Mr. Charley Short aus South Bend, der jetzt im Reklamefach arbeite, aber in kurzem eine radikale Wochenschrift zu begründen hoffe, und Mr. Jack Keipp, Illustrator – nur, was Mr. Keipp illustrierte, blieb ewig im Dunkeln. Ihnen mußte nicht wie Elsa zugeredet werden, damit sie sich setzten. Sie saßen sehr rasch da, sahen durstig aus und warfen einander komische verschmitzte Blicke zu, als Sam gefügig noch zwei Flaschen Pol Roger bestellte.

Während sie seinen Champagner tranken, rissen sie das Gespräch an sich. Sie debattierten über das künstlerischste aller Themen – über die Widerwärtigkeit aller anderen Künstler; und ab und zu warfen sie diesem Philister, Mr. Pearson J. Thomas, herablassend einen Knochen zu, eine Erklärung über die Leute, von denen sie redeten. Nachdem jeder eine halbe Flasche getrunken hatte, vergaßen sie alle, daß ihre Gedanken über Elsa so waren, wie es braven jungen Leuten zusteht, über die Tochter eines Baptistenpredigers zu denken. Sie fuhren ihr über den Mund. Sie widersprachen ihr. Einer von ihnen – der Kleine mit der scharfen Nase, Mr. Keipp – hielt ihre Hand in der seinen. Und nach einer ganzen Flasche vergaß auch Elsa so ziemlich alles. Sie lachte etwas zu laut bei einer Anspielung auf einen Witz, den sich ein Weihnachtsengel bestimmt niemals angehört hätte.

Und so kamen Eifersucht und ein höchst ernsthafter Widerwille gegen diese eingebildeten jungen Leute Sam bei der Überwindung seines Widerstandes zu Hilfe.

»Verflucht«, wies er sich zurecht, »du kannst mir nicht ausreden, daß sie mit diesem Keipp reichlich intim gewesen ist! Auf jeden Fall wäre der alte Großpapa Sambo besser für sie als dieser Aufschneider. Ich werde sie viel besser amüsieren. Ich will

Sein Entschluß blieb fest. Sobald es ihm gelungen war, sich selbst dazu zu gewinnen, sobald er sie ernsthaft gewinnen wollte, begann er in ihr (durch ein wenig champagnerfarbenen Nebel) etwas wundersam Begehrenswertes zu sehen.

»Wahrscheinlich werde ich mir morgen selber ein paar Fußtritte geben. Das ist mir ganz egal! Ich bin froh, daß ich sie haben werde! Jetzt muß ich diese jungen Dächse los werden! Sam, hör auf zu grübeln und sag dein Teil! … Und, ich werde sie ins Continental mitnehmen, zum Donnerwetter!«

Fran wäre verwundert gewesen, hätte sie ihren schweigsamen Samuel plaudern gehört. Bald fand er eine Möglichkeit, diese jungen Genies in Schach zu halten – er gab nämlich, noch bevor sie etwas davon sagten, zu, daß er kein Intellektueller sei, daß er aber bei den Nichtintellektuellen mehr gelte, als sie bei den Intellektuellen.

Dieser Angriff brachte sie aus der Fassung und ermöglichte es ihm, ihnen mit heiterer Gleichgültigkeit zu widersprechen. Er hörte sich behaupten, Eddie Guest sei der größte amerikanische Dichter, und noch viele andere Dinge, die er von Tub Pearson gehört hatte und nicht glaubte. Er übertrieb so, daß die anderen überhaupt nicht zu sich kamen, weil sie es gewohnt waren, daß so große und reiche Männer wie Mr. Pearson J. Thomas ihre eigene Wohlhabenheit und Größe verachten und die Klugheit von Mr. Gillespie, Mr. Short und Mr. Keipp bewundern.

Elsa stimmte in allem zu; sie machte ihn verrückt, indem sie für ihn Partei nahm. Sie ermutigte ihn, bis er sich (in gelindem Erstaunen über seine Triumphe in der Eselhaftigkeit) behaupten hörte, Staubsauger seien etwas Wichtigeres als der Homer, und die Witzblattfigur Mr. Mutt habe mehr Leben als Soames Forsyte.

Und die ganze Zeit bestellte er.

Mr. Gillespie, Mr. Short und Mr. Keipp lehnten nie ab. Nach dem Champagner schlug Elsa Brandy vor (sie hatte ganz vergessen, daß sie von diesem Getränk kaum etwas gehört hatte), es gab sehr viel Brandys, und der Stapel von Untersätzen, der anzeigte, wieviel Glas er zu bezahlen haben würde, türmte sich immer höher vor Sam, während auf dem unschuldigen Teil des Tisches vor Mr. Gillespie, Mr. Short und Mr. Keipp stets nur die Brandys standen, die sie gerade in Arbeit hatten.

Doch Sam freute sich voll Verschlagenheit. War das nicht der beste Beweis für Elsa, daß er ein würdigerer Liebhaber sei als dieser Mr. Keipp mit der scharfen Nase?

Er redete jetzt ausschließlich mit Elsa und ignorierte die jungen Männer. Er begann schon fast ehrlich zu ihr zu sein, in seiner Sehnsucht, die Sympathien dieses rosigen Kindes zu gewinnen. Er dachte, ihre Augen hätten eigentlich gar keinen harten Blick, sie seien intelligent. Schließlich wagte er es unter den Tisch zu greifen, und ihre Hand flog so warm, so jung, so lebendig in die seine und antwortete mit einem Druck, der ihn fast über die Grenzen des Erträglichen hinaus erregte. Sam wurde überaus fröhlich und munter bei dem Gedanken an das Geheimnis, das sie miteinander teilten. Aber dann kam eine Kleinigkeit dazwischen.

Elsa gurrte: »Ach, entschuldigen Sie mich bloß für einen Augenblick. Dort drüben ist Van Nuys Rodney. Ich muß ihn etwas fragen. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Sie eilte zu einem Tisch, an dem ein überaus behaarter Mann in blauem Hemd saß, und begann mit ihm ein angeregtes Gespräch. Er saß da, von seinen Gästen an seinem eigenen Tisch vernachlässigt.

Nach drei Minuten sprang Mr. Jack Keipp auf, brummte: »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, und er ging zu Elsa und Van Nuys Rodney hinüber und stürzte sich in das Gespräch. Dann gähnte Mr. Gillespie: »Na, ich muß wohl nach Hause«, Mr. Short meinte: »Es war mir ein Vergnügen, Mr. Äh«, und weg waren sie. Sam sah sie den Boulevard hinunterschlendern. Er wollte, er wäre freundlicher zu ihnen gewesen – sogar Leute wie Short und Gillespie wären von Wert in dieser Stadt der Heiterkeit und Einsamkeit gewesen. Als er zurückblickte, sah er, daß Elsa, Mr. Keipp und Mr. Rodney verschwunden waren.

Er wartete auf Elsas Rückkunft. Er wartete eine Stunde, seine einzige Gesellschaft war der ungeheure Stapel von Untersätzen vor ihm. Sie kam nicht. Er zahlte, er stand schwerfällig auf, winkte verdrossen einer Droschke und bestieg sie kalt und allein.

 

Auf einmal in der Nacht – er wußte nie sicher, ob er geträumt hatte oder halb wach gewesen war – hörte er Fran kühl sagen: »Mein lieber Samuel, siehst du noch immer nicht ein – habe ich es dir nicht immer gesagt? – daß du von Frauen weniger weißt, als ein Europäer wie Kurt mit achtzehn Jahren? Ihr amerikanischen Männer! Ihr überlegt euch mit großer Anstrengung und vielem Getue, ob ihr so eine kleine Hure verführen sollt oder nicht! Und dann seid ihr nicht einmal imstande es auszuführen! Ein wunderbares Bild! Aber Kurt – erstens einmal hätte Kurt Elsa selbstverständlich weggebracht von dort, weg von ihren kleinen Schmarotzerfreunden –«

Es war Frans Stimme, und er hatte nichts zu antworten.

 

Er erwachte noch einmal, und diesmal hörte er nicht Fran, sondern sich selbst höhnen: »Und das miserabelste an der ganzen Sache war die billige Überlegenheit, die du diesen armseligen kleinen Burschen gegenüber empfunden hast. Arme Teufel! Selbstverständlich müssen sie eingebildet und hochnäsig sein, um den Mut nicht zu verlieren, weil sie nichts taugen.«

Und wieder: »Ja, das alles ist wahr, aber ich werde Elsa wiederfinden, und dann –«


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