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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Er wollte Tub und Matey am Bahnhof überraschen. Er war ins Hotel Continental gegangen, in dem Tub Zimmer bestellt hatte. Von Berlin aus hatte er bloß Tub nach London telegraphiert: »Bin ein oder zwei Tage nach Eurer Ankunft in Paris freue mich Euch zu sehen«; in Paris hatte er mit Mr. A. B. Hurd telephoniert und ihn gebeten, er möge in aller Heimlichkeit vom Portier im Savoy zu erfahren suchen, mit welchem Zug Tub abreisen werde.

Sam wartete in der Gare du Nord, aufgeregt, aber von einem angenehmen Gefühl der Überlegenheit getragen. Er war kein amerikanischer Tourist, den die geschwätzigen Pariser in Verlegenheit bringen konnten! Er konnte einem Träger sagen: » Apportez le bagage de Monsieur à un taxicab«, genau so gut wie der alte Berlitz, fast so gut wie Fran. Er spielte mit seinem Spazierstock, bummelte auf dem Bahnsteig umher und nickte den wartenden Trägern zu, und dabei fühlte er sich genau so wie an dem Abend nach dem letzten Spiel der Fußballsaison. Als die hagere, rasche französische Lokomotive hereinbrauste und ihren Rauch hinaufschickte zu den Gespenstern der Rauchfetzen, die unter dem ungeheuren Dach der Bahnhofshalle schwebten, lachte er vor Vergnügen laut.

»Der gute Tub! Und Matey! Zum erstenmal in Paris!«

Er blickte über die Köpfe der Menschen hinweg und sah, wie Tub sein Gepäck durch das Kupeefenster einem Träger hinausreichte, sah ihn mit der rundlichen Matey aus dem Wagen steigen und in der ein wenig bekümmerten Nervosität eines Mannes, der nicht erwartet, abgeholt zu werden, mit den Armen fuchteln, während er in zenither Französisch – entalkoholisiertem Französisch, Französisch-Haag – zu erklären suchte, wohin er wollte.

Rasch schob Sam sich durch die Menge zu den Pearsons. Er sah, daß Tub selbst ein kleines Suitcase trug – wahrscheinlich mit Mateys berühmtem, schauderhaftem Schmuck. Er stürzte auf Tub zu, packte ihn an der Schulter und schnauzte (es war eine der sehr seltenen Darbietungen in seinem unkomödantischen Leben): »He, Sie! Es ist verboten, sich selbst das Gepäck zu tragen!«

Tub blickte auf, mit dem ganzen Ingrimm eines braven Amerikaners, den unangenehme Überfahrten geschwächt, Zollbeamte für nicht ganz ehrlich gehalten, Kellner betrogen, Führer schlecht informiert und französische Eisenbahnschaffner falsch verstanden haben; der mit einemmal, zum Donnerwetter, genug hat und den ganzen europäischen Kontinent in die Luft sprengen wird. Er blickte auf, er blickte entsetzt, und dann sagte er langsam: »Na, du verdammter alter Pferdedieb! Na, du lange Latte!«

Sie hieben einander auf die Schultern, Sam küßte die mit einemmal strahlende Matey, und sie gingen den Bahnsteig entlang, Sam in der Mitte, den einen Arm um Tubs, den anderen um Mateys Schulter gelegt. Er sagte dem Träger in scharfem Ton: » Un Taxi, s'il vous plait« – gerade in dem Augenblick, als der Träger von sich aus ein Taxi heranwinkte – und Tub schrie: »Na, mich laust der Affe! Du hast ja parlevous gelernt wie ein Eingeborener, Sambo!«

 

Sie fragten nach Fran.

Es tat ihm weh, daß sie sie ganz vergnügt zu entbehren schienen und bereit waren zu glauben, daß sie »mit einer kleinen Grippe im Bett liege und deshalb nicht zur Begrüßung kommen könne«. Aber es verdroß ihn nur einen Augenblick. Es gab so vieles, was er Tub zeigen mußte! Es war köstlich, daß der Tub, der immer klüger und eleganter gewesen war als er, ihn jetzt als gewitzten Europäer ansah und sich, seine Gewandtheit bewundernd, an ihn wandte.

Und es war schön, ohne Frans hochmütige Überwachung Tubbisch und albern und laut sein zu können.

Matey Pearson war eine gute Seele. Sie war dick und munter. Als Mädchen war sie die fröhlichste und tollste in ihrer Clique in Zenith gewesen, die rascheste Schlittschuhläuferin, die begeistertste Tänzerin, die rücksichtsloseste Flirterin. Jetzt hatte sie drei Kinder – der eine Junge war Brents Jahrgangskollege in Yale – und befaßte sich mit der Episkopal-Kirche, einem seltenen, verschmitzten Pokerspiel und den köstlichsten Dahlien Zeniths. Fran sagte, sie sei gemein. Sie sagte, Fran sei entzückend.

Im Hotel gab sie Sam noch einen Kuß und rief: »Weißt du, es ist aber wirklich nett, ein menschliches Wesen zu sehen, daß auch menschlich ist! Jetzt schert euch aber in dreiteufels Namen raus und laßt mich auspacken, geht irgendwo hin und trinkt euch einen ordentlichen an, aber versucht einigermaßen nüchtern fürs Dinner zu bleiben, ihr habt also zwei Stunden, wenn wir um acht essen, und das ist auch Zeit genug, sage ich. Raus hier! Ich liebe euch beide. Mit gewissen Einschränkungen!«

Allein mit Tub Pearson an Tubs erstem Nachmittag auf dem europäischen Kontinent!

Sie hatten die Barrieren übersprungen, die seit der Collegezeit zwischen ihnen standen – verschiedene Berufe, der Wetteifer hinsichtlich der Tugenden ihrer Kinder, der Wetteifer hinsichtlich sozialer Ehren, und diese letzte Abscheulichkeit von Sam, im Ausland zu leben, während Tub brav zu Hause blieb. Heute waren sie wieder die Freunde, die im Seniorenjahr ihre Frackhemden und ihre Gedanken geteilt hatten.

Von Zeit zu Zeit sahen sie einander an und brummten: »Es ist schon eine gute Sache, mit dir hier zu sein, du alter Schuft!«

Sam sah nicht, daß Tub ganz grau, daß er klein und dick war, daß um seine Augen sich die Linien des Bankiers zogen, der Tag um Tag verzweifelten Männern Kreditgesuche energisch abschlägt. Er sah den lustigen Tub, den er in Balgereien mit Rohlingen verteidigt und wegen seiner Witzigkeit bewundert hatte; und während er sich an seine augenblickliche Überlegenheit als gereister Mann und ausgebildeter Gourmet klammerte, zeigte er Tub in ängstlichem Eifer alle seine kleinen Schätze.

Er führte Tub in die New York-Bar und imponierte ihm als Stammgast, indem er ganz nebenbei fragte, ob jemand etwas von Ross Ireland gehört hätte. Er führte Tub zu Luigi, stellte ihn Luigi vor und empfahl Rühreier. Er führte Tub in die Chatham-Bar; er hatte das Glück, Oberst Kelly, den berühmten Landsknecht des Glücks, zu treffen; und er war überzeugt, großartig und menschenfreundlich zu sein; er war, nach seinem dritten Whisky-Soda, überzeugt, seine europäischen Leiden wären wirklich der Mühe wert gewesen, als er beobachtete, mit welch achtungsvoller Aufmerksamkeit Tub Oberst Kelly behandelte.

Er war überzeugt, daß Tub der prächtigste und liebenswerteste Mann der Welt sei; daß es ein geradezu unglaubliches Glück sei, so einen Freund zu haben; und sie kehrten in einem Überschwang von Menschenfreundlichkeit und Yale-Begeisterung zum Continental zurück.

Matey musterte sie und seufzte: »Na, viel betrunkener, als ich dachte, seid ihr nicht, und jetzt geht mal ins Badezimmer und wascht euch eure Gesichterchen und trinkt ein paar Bromo-Seltzers – du kannst mir glauben, Sam, auf Reisen mit dem Mann vergesse ich nie, mir original amerikanischen Bromo mitzunehmen – und wenn ihr beide dann noch gehen könnt, wollen wir irgendwo ein nettes Dinner essen.«

 

Er führte sie zu Voisin, aber als sie saßen, sah Tub enttäuscht aus.

»Nicht sehr lustig hier«, sagte er.

»Nein, ich weiß, aber es ist ein berühmtes altes Restaurant, und hier bekommt man vielleicht das beste Essen und den besten Wein in der Stadt. Was für ein Lokal würde dir denn gefallen? Ich kann dich ja morgen hinführen.«

»Ja, ich weiß nicht recht. Ich weiß eigentlich nicht, wie ich mir ein Pariser Restaurant vorgestellt hab, aber – Ach, ich dachte, da wirds 'ne Menge Gold geben und Marmorsäulen und ein gutes Orchester und recht viel Tanzen und 'ne Million hübsche Mädels, richtige Schlager, und das Gegenteil von schwerfällig. Ich muß aber Acht geben, sonst mach ich Matey noch eifersüchtig.«

»Hm«, sagte Matey. »Tub hat einen fabelhaften, tüchtigen Ehrgeiz, ein toller Frauenverführer zu sein – unser dicker, kleiner Don Juan! – Das Pech ist bloß, daß sie sich nicht in ihn verlieben.«

»Na, nu mach aber nen Punkt! So schlimm ist das gar nicht mit mir! Sag mal, kannst du uns morgen so ein Lokal finden?«

»Ich werde dir noch heute abend ein schönes, lautes Tanzlokal zeigen«, sagte Sam. »Dort wirst du so viel hübsche Hühnerchen sehen, wie du nur willst, und sie werden zu dir kommen und dir in neun Sprachen erzählen, daß du ein richtiger Adonis bist.«

»Das brauchen sie mir nur in einer Sprache zu sagen – in der fabelhaften Sprache aufeinandergelegter Lippen! Hoho!« brüllte der Jahrgangswitzbold.

»Du irrst dich, Sam«, sagte Matey. »Mir wird nicht schlecht, wenn er so ist – nicht sehr schlecht – nicht schlimmer als bei einer Kanalüberfahrt. Und du irrst dich auch, wenn du denkst, daß ich mir heimlich wünsche, er soll mit einem von den Ludern ausgehn und sich die Sache aus dem Leib schaffen. Gar keine Rede. Ich kann viel mehr Geld für meine Einkäufe aus ihm herausholen, solang er in dieser Herz-Schmerz-Sterz-Scherz-Stimmung ist. Und wenn er ausrutscht, dann kommt er schleunigst zu seiner guten Matey zurückgelaufen!«

»Ich weiß nicht, ob ich so zurückgelaufen komm! Sag mal, kriegen wir was zu essen?«

Der Chefkellner stand schon eine ganze Weile abwartend da. Sam brannte darauf, seine Kenntnisse im Restaurant-Französisch zu zeigen und streckte die Hand nach der Speisekarte aus, aber Tub packte sie und machte sich bereit, in das Leben bei Voisin alle Munterkeit, Komik und Herzhaftigkeit zu bringen, die hier seiner Ansicht nach fehlte.

»Sprechen Sie Englisch?« fragte er den Chefkellner.

»Ich denke schon, Sir.«

»Das ist brav! In England gewesen, mein Sohn?«

»Sechzehn Jahre, Sir.«

»Hm, gar nicht so schlecht – gar nicht so schlecht für einen kleinen Franzosen! Also, jetzt hören Sie mal zu, Giuseppe, wir möchten, daß Mrs. Voisin was feines für uns kocht, und Sie nehmen meine Bestellungen auf, François, und bringen mir dann auch die Rechnung, verstehen Sie, und lassen Sie sich mit der langen Latte hier nicht ein. Das ist ein schottischer Jude. Wenn Sie ihn bestellen lassen, stopft er uns irgendwas ganz billiges in den Mund, und dann handelt er Ihnen noch zehn Prozent von der Rechnung ab. Also hören Sie mal. Haben Sie nette gebratene Elefantenohren?«

Tub blinzelte Sam gewaltig zu.

Der Kellner sagte geduldig, aber nicht allzu geduldig: »Darf ich Canard aux navets empfehlen?«

Aber Tub war ein gewissenhafter Komiker aus dem Mittelwesten – er war ein großer Kleiner Spaßvogel – und wußte, daß es für einen Amerikaner auf der großen Tour eine der schönsten Beschäftigungen ist, »diese armseligen alten Schafsköpfe von Europäern zu Tode zu uzen«. Er versuchte es noch einmal:

»Keine Elefantenohren, Alberto? Na ja! Ich dachte, ich bin hier in einer erstklassigen Ausspeisung. Und keine Elefantenohren?« Der Kellner sagte überaus beredt nichts. »Was ist mit einem netten Vogelnesterfrikassee?«

»Wenn der Herr wünschen, kann ich eines aus einem chinesischen Restaurant holen lassen.«

»Tub«, meinte Matey, »die Vorstellung hat nicht sehr viel Erfolg. Jetzt gibst du Sam die Speisekarte und läßt ihn bestellen, hörst du

»Na ja, 's war ein kleiner Reinfall«, sagte Tub verdrossen. »Aber ich hab euch ja gesagt, daß es ein langweiliges Loch ist. Ich bin vielleicht nicht der Mann, der die Boulevards jeden Abend abschließt, aber ich kann auch noch ein lustiges Lokal von einem langweiligen unterscheiden, wenns zu mir kommt und mich beißt. Na, schieß los, Sam.«

Mit ruhiger Überlegenheit – für die er Prügel verdient hätte, wenn er nicht so selten Gelegenheit dazu gehabt hätte, weil Fran dieses Monopol immer für sich in Anspruch nahm – bestellte Sam rasch Foie gras, Consommé, Froschschenkel, Hammelkeule, Spargel und Salat, dazu eine Flasche Châteauneuf-du-Pape, und obwohl er auf französisch bestellte, waren der Chefkellner und der Getränketräger so gut gezogen, daß sie ihn ausgezeichnet verstanden.

Und dann die schönen Erkundigungen über zu Hause – ging es Emily wirklich gut? – wie war Harry Hazzard mit seinem Lincoln-Sedan zufrieden? – was war das für eine Sache mit dem Bau eines neuen dreißigstöckigen Hotels?«

Um neun Uhr hatten sie gegessen. Es war elf, als Sam sie nach Montmartre führte in die berühmte »Caverne Russe des Quarante Vents«, wo Tub zu seiner Befriedigung das Paris fand, das er sich ausgemalt hatte. Die Caverne war so groß, so lärmend, hatte so mörderisch laute Negerjazzbands, derartige Eintrittspreise, so unglaubliche Garderobenpreise, so schauderhaften Champagner zu derart entsetzlichen Preisen, eine so überfüllte Tanzfläche, eine derart schlechte Luft aus Zigarettenrauch und Parfüm und Schweiß, ein solches Durcheinander aus Stimmen von Wäscheeinkäufern aus Fort Worth und Milwaukee, so glitzernde Mädchen, die von selbst an den Tisch kamen, derart unverschämte hellenische Kellner und noch unverschämtere hebräische Geschäftsführer, daß es fast so schön war wie am Broadway. Im Jahre 1926 war einmal ein Franzose in das Lokal gekommen, allerdings hatte er es als Reiseführer einer Gesellschaft aus Birmingham in Alabama tun müssen, aber nach dieser Erfahrung trat er zurück und gab am nächsten Tag seinen Beruf ganz auf.

»Herrjeh, das ist mal ein Lokal!« jubelte der Hon. Thomas J. Pearson (Generaldirektor der Centaur State Bank, Kurator der Fernworth-Mädchenschule, zweiter Vorsitzender der Zenither Handelskammer, Vorsteher der protestantisch-anglikanischen Kirchengemeinde von St. Asaph) und tanzte auch schon mit einem rothaarigen Mädchen, das aussah wie eine kleine Statuette aus Messing und Elfenbein.

»Na ja –« philosophierte Matey. »Was? Um Himmels willen, nein, in dieser Börse will ich nicht tanzen! Na ja, ich könnte ja ganz gut so tun, als ob ich mir nichts daraus machen würde, daß Tub allen diesen kleinen Goldgräberinnen nachläuft, weil er es ja trotzdem täte, und ich könnte dann mit meiner Vorurteilslosigkeit Ehre einlegen. Ich denke aber nicht daran! Mein guter Sambo, es hat mir leid getan, daß Tub sich dort in dem Lokal – wie heißt es nur – für verpflichtet gehalten hat, die Fahne des amerikanischen Humors aufzupflanzen und sich vor dem eingebildeten Kellner lächerlich zu machen.«

»Ach du lieber Gott, Matey, er ist eben wie ein –«

»Du willst sagen: ›Er ist eben wie ein Junge, der gerade die Schule hinter sich hat, und muß sich die Hörner ablaufen‹, und wenn ich mich noch an das Zeugs erinnern kann, das mir die alte Miss Getz im letzten Schuljahr eingebläut hat, dann ist das nicht nur eine abgedroschene Phrase, sondern auch eine gemischte Metapher. Ach, ich hab den dicken kleinen Schuft wahnsinnig gern! Er ist schrecklich nett, wenn man ihn ganz allein zu Hause hat, ohne Publikum. Aber so bald dieses Tier einmal Applaus wittert – wirklich, ich glaube, der Sinn für Humor von den Leuten, die immer davon reden, daß sie einen ›Sinn für Humor‹ haben, ist ein schlimmeres Laster als Saufen. Ach Gott, es hätte schlimmer werden können. Er hätte fromm werden können, oder Vegetarianer, oder Morphiumspritzer. Der kleine Affe! Und heute abend trinkt er zu viel. Ich hoffe nur, er wird nicht so viel trinken, daß er morgen mit einem schaurigen Brummschädel aufwachen und ein so schlechtes Gewissen haben wird, daß ich ihm die Hölle heiß machen muß, bloß um ihn davon zu befreien. O ja – das kann ich – und wahrscheinlich werde ich es auch tun! – aber ich möchte mich auch amüsieren, so lange ich hier bin, und ich möchte ein großartiges, schönes, teures Boule-Schränkchen nach Hause mitnehmen, und wenn ich einen Scheck dafür fälschen muß!«

Später tanzte sie doch mit Sam, obwohl es mehr ein Kampf mit einer Volksmenge als ein Tanzen war. Sie war trotz ihrer Rundlichkeit beweglich und leicht; und da sie ihn nicht, wie Fran, auf jeden plumpen Schritt, auf jedes Ausdemtaktkommen aufmerksam machte, tanzte er ziemlich gut mit ihr, amüsierte sich und fand etwas von der guten Stimmung wieder, mit der er sie von der Bahn abgeholt hatte – einer Stimmung, die zu gut und zu romantisch war, um dauern zu können.

Irgendwo, wahrscheinlich in der Bar, trieb Tub einen ganz reputierlichen Bankierkollegen aus Indiana auf, und zwei irische Mädchen, deren Kunst kommerzialisiert, aber hübsch war, und alles tanzte – alles trank gehörig – alles lachte.

Tub selbst amüsierte sich so glänzend, daß er den besten Beweis dafür lieferte, den der Amerikaner kennt: er wollte »noch weiter gehen«.

Das taten sie auch – zu einer anderen Caverne oder Taverne oder Palais oder Câve oder Rendezvous, wo alles außer dem Wein, der Musik und der Gesellschaft auf demselben Niveau stand, und dann wollte Tub, der einen viel zu schönen Rausch hatte, um noch mehr Zeit auf Tanzen oder Flirten oder überhaupt irgend etwas außer Sitzen und Trinken und Lustigsein zu verschwenden, durchaus noch einmal in die New York-Bar, wo sie, wie er Matey versicherte, »die richtigen Burschen treffen würden«.

Und sie gingen hin. An einem Ecktisch in der Bar, unter den Skizzen von Pariser Berühmtheiten, wurden sie von einem amerikanischen Marineoffizier aufgelesen, der die wunderbarsten Lügen von der chinesischen Küste wußte, und irgendwie schlossen sich ihrer Gesellschaft noch ein Journalist und ein einsamer englischer Getreidehändler an, der sehr viel, und sehr angeregt, über die allgemein anerkannte Tatsache sprach, daß Engländer nie sprechen, und wenn, so sehr schüchtern.

Tub war im Verlauf eines Tages mehr Stammgast der New York-Bar geworden, als Sam in einem ganzen Jahr. Es lag nicht bloß daran, daß Sam von einem gewissen Würdegefühl gehemmt war, von der Empfindung, ein prominenter Industrieller sollte sich nicht in Barräumen sehen lassen, sondern auch daran, daß er unter einer gewissen ehrlichen Schüchternheit litt, die ihn nicht glauben lassen konnte, er könnte allen Ernstes von Interesse für die klugen, energischen Journalisten sein, die die Bar besuchten und miteinander von Königen und Staatsverträgen sprachen. Aber Tub war Prachtkerl von Beruf – sobald er einmal der eichengetäfelten und samtausgeschlagenen Sakristei von St. Asaph entronnen war, dem Konferenzzimmer der Fernworth-Schule, oder dem Marmor- und Nußbaumbureau der Centaur State Bank, wo er immer eine Hornbrille trug, die seine Augen irgendwie daran verhinderte zu blinzeln oder komische Blicke zu werfen.

Er hatte keinen einzigen von den Männern vergessen, die er am Nachmittag in der Bar kennen gelernt hatte. Er sprach zwei der Journalisten mit ihrem Vornamen an und war so voller Mutwillen, daß der vereinsamte Marineoffizier in ein erlöstes Weinen ausbrach und ihnen alles von seinem allerletzten Kampf mit seiner Frau erzählte.

Aber ein kleiner Tropfen Wermut war in der ganzen Heiterkeit. Tub hatte zum Essen Burgunder, nachher Napoleon Brandy und den ganzen Abend lang Champagner getrunken, und jetzt war er entschlossen (trotz allen ernsthaften Ratschlägen Sams, Mateys, des Marineoffiziers, des Engländers, des Journalisten, des Kellners und einiger Gäste, die in ihrer Nähe saßen) seine Loyalität gegen Amerika und die guten alten Tage zu beweisen, indem er echten amerikanischen Kornbrand trank – und er bewies eine sehr ausgiebige Loyalität.

Inmitten der Geschichte des Commanders über seine Frau begann Tub abgelenkt auszusehen, auf seiner Oberlippe zeigten sich Reihen von kleinen Schweißtröpfchen – es war erst zwei Uhr nachts, und er trank erst seit zwölf Stunden ununterbrochen, was selbst für einen Repräsentanten des Prohibitions-Amerikas an seinem ersten Tag in Paris nicht ganz das Richtige ist.

Matey rief Sam zu: »Er ist hinüber! Kannst du ihn hinausführen und totschlagen oder so etwas?«

In der Abgeschlossenheit der Toilette, die glücklicherweise ganz nahe war, wusch Sam Tub das Gesicht, ließ ihn Aspirin einnehmen, schimpfte mit ihm, und dann fuhren sie nach Hause, und –

Sams ganzer romantischer Jubel war vorbei, die Freude war vorbei, der kindische Glaube, er hätte plötzlich die Freiheit gewonnen, war vorbei im bleiernen Licht der Wirklichkeit. Er war nicht böse auf Tub. Aber er hatte etwas von Wärme und Sicherheit, er hatte – er leugnete es nicht – etwas von. Schutz gegen Fran in Tubs Kameradschaft gefühlt, und dieses Gefühl steigerte sich nicht während der unromantischen Dienstleistung, einen betrunkenen hin und her schwankenden Mann in der Toilette einer Bar aufrecht zu halten.

Sie verstauten Tub in eine Autodroschke, während er rief, er sei jetzt wieder in Ordnung und wolle zu seinen Freunden zurück. Sam mußte gehörig mit ihm herumschreien und ihn hineinheben. Während dieser Excentric-Szene fuhr ein offenes Auto vorüber, und Sam bemerkte, daß Endicott Everett Atkins mit seiner hochgeschwungenen Römernase und seiner Henry James-Glatze ihnen empört zusah. Atkins drehte sich um, um etwas zu der Dame neben ihm zu sagen.

Sam schauderte. Er bildete sich ein, Atkins werde Fran davon Nachricht geben. Er hörte sie sagen: »Hatte ich nicht recht mit deinem lieben Freund Tub!« Er fror und war verärgert. Er war unfreundlicher zu Tub, als er wollte.

Erst als er mit Mateys Hilfe Tub ins Bett geschafft hatte, kam er auf den Gedanken, daß er ganz gut sich vergessen und an sie denken könnte.

»Pech!« flüsterte er. »Aber jetzt wollen wir alle schlafen gehen, und –«

»Ach, du kannst so laut reden, wie du willst«, sagte sie ganz ruhig. »Den kleinen Affen da könnte jetzt nicht einmal der Erzengel Gabriel mit einem verstärkten Trompeterkorps aufwecken. Aber ich möchte mit dir reden, und wenn er aufwachen würde und wieder weggehen wollte – Wir können nur ins Badezimmer gehen. Schön! Skandal in der Zenither Gesellschaft! Ich glaube, das ist diese neue amerikanische Jazzmanie, von der man überall liest!«

Sie saßen ein wenig lächerlich im Badezimmer, sie auf einem harten weißen Stuhl, er, nicht ganz sicher, auf der kalten Kante der Wanne, und sie sprach weiter:

»Nein, es macht mir nichts. Wirklich nicht! Tub betrinkt sich höchstens einmal im Jahr, und ich habe nie viel von den Weibern gehalten, die ihren Männern auflauern und Vorteil daraus ziehen, wenn sie so eine Gelegenheit haben. Das Leben ist zu kurz! – zu kurz, um Krach zu schlagen, wenn es nicht um ein wirkliches Laster geht, wie sein Witzereißen und Redenhalten. Besser man ist freundlich und – Sam! du guter alter Kerl! Wann wirst du auf Fran pfeifen und dir erlauben, wieder glücklich zu sein?«

»Aber, Matey, wirklich, wir stehen ausgezeichnet miteinander –«

»Lüg mich nicht an, mein lieber Sam (du weißt, daß wir beide dich wirklich gern haben!) Oder vielmehr lüg dich selber nicht an! Ich weiß Bescheid. Fran hat mir ab und zu geschrieben. Schrecklich klug und munter und uninteressiert. Und du willst mir doch nicht erzählen, wenn sie im letzten Sommer nicht nach Hause wollte und von Berlin nicht hergekommen ist, um uns zu sehen, daß sie da nicht daran denkt, Zenith ganz links liegen zu lassen! Und es gibt auch gar keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte! Sie war sowieso nie sehr Zenith … Wenigstens hat sie sich nicht dafür gehalten! Nur, mein lieber Sam, nur, wenn sie Zenith links liegen läßt, wird sie auch dich links liegen lassen. Wenn du nämlich auch eine Art Lordgroßkanzler bist, bist du trotzdem wirklich Zenith, und auf die Dauer, wenn du dich ausgetobt hast, siehst du die Sonne lieber auf eine nette schäbige Weide im Mittelwesten scheinen, als auf den allerschönsten gepflegten Garten anderswo der Welt!«

»Also – ja – das wird wohl mehr oder weniger stimmen, Matey, aber –«

Er wollte ihr von seinem Sanssouci-Traum erzählen; er ließ es fallen und kämpfte weiter:

»Aber das heißt nicht, daß Fran nichts für Zenith und ihre Freunde übrig hätte. Ganz im Gegenteil! Sie spricht doch immer von Tub und dir –«

»Ja, klar! ›Mein lieber Samuel, ist es wirklich nötig, daß Frauen wie deine liebe Mrs. Pearson immer so vulgäre Redensarten wie ›klar!‹ im Munde führen?‹«

Obwohl Mateys herzliche und etwas dicke Stimme niemals Frans kühlen Tonfall nachahmen konnte, kopierte sie doch gut genug, daß Sam hilflos grinsen mußte, und mit diesem Grinsen war er verloren. Matey nahm die Gelegenheit wahr.

»Sam, ich weiß, daß es mich nichts angeht, und du kannst mir das auch so oft sagen, wie du willst, aber ich mußte immer denken, daß du hier wahrscheinlich immer sehr allein gewesen bist, keinen Menschen gesehn hast, außer Leuten, die Fran haben will, und – Sam, ich habe gesehn, daß du dich in den letzten zehn Jahren mehr verändert hast, als du weißt. Du warst nie eine Plaudertasche, aber früher hat es dir doch Spaß gemacht, zu diskutieren oder einen netten unanständigen Witz zu erzählen, und jetzt wirst du immer stiller, immer eingeschüchterter und unsicherer, während Fran sich immer großartiger vorkommt und überzeugt ist, daß du deine Stellung nur ihren Gesellschaftskünsten und ihrer Schönheit verdankst, weil du so langsam bist und so plump und so ein Freund von schlechter Gesellschaft und überhaupt im allgemeinen ein Bauernschädel, der zu nichts taugt! Und du hast mehr Verstand in deinem kleinen Finger als – Und du bist freundlich! Und bescheiden – eine ganz verdammte Portion zu bescheiden! Und du willst etwas zweimal wissen, bevor du es einmal sagst, und sie – also, sie will es zweimal sagen, bevor sie es überhaupt gelernt hat!

Ach Gott, ich fordere wohl den Donnerkeil heraus. Schieß, Jupiter … Du mußt aber wissen, ich habe Fran gern gehabt. Ich bewundere sie. Aber wenn ich daran denke, wie sie dich behandelt hat, als ob sie die Diana mit den Silberschuhn wäre – und ganz besonders, wie sie das immer vor allen Leuten zeigt, indem sie so verflucht höflich mit dir ist – also, ich möchte sie am liebsten einfach verprügeln! So, und jetzt sag mir, ich soll mich zum Teufel scheren … Hör doch, wie der Tub da drin schnarcht! Das ist mal ein aristokratischer, akademisch gebildeter Kamerad für dich! Das arme Schwein! Wie elend und fromm wird er morgen sein – ungefähr bis zu Mittag!«

Sam zündete sich umständlich eine Zigarre an, suchte in einem völlig leeren Verstand etwas, das er sagen könnte, und dann sprach er, zum erstenmal seit Monaten, aufrichtig über etwas, das wirklich wichtig für ihn war.

»Ja, Matey, ich muß zugeben, es ist etwas dran an dem, was du sagst. Wahrscheinlich sollte ich eigentlich empört sein und schreien: ›Wie erlaubst du dir, über meine Frau zu reden!‹ Aber – Zum Teufel, Matey, ich bin so elend und müde und durcheinander! Vieles von dem, was du für Hochmütigkeit hältst, ist bloß ihre Art. In Wirklichkeit ist sie schüchtern und versucht sich –«

»Ach Sam, ich hab schon genug von den modernen Menschen gehört und gelesen – in jedem Roman kriegst du sie vorgesetzt – von diesen empfindlichen Pflänzchen, die grob sind und sich dann freundlich zurückziehen und erklären, daß sie bloß aus lauter Schüchternheit so sind!«

»Halt den Mund jetzt! Hör mir zu!«

»Das klingt schon besser!«

»Also, ich meine – Bei Fran ist es wahr. Zum Teil. Und zum Teil macht es ihr Spaß – sie kommt sich vor wie eine Heldin in einer Tragödie … Der Teufel soll die Badewanne holen – so einen kalten Lehnstuhl habe ich in Europa noch nie gehabt.« Ohne zu lächeln legte er die Matte auf die Kante der Wanne, setzte sich schwer wieder nieder und redete weiter:

»Und sie glaubt wirklich, daß eine soziale Stellung Opfer wert ist, und daß es noch immer wichtig ist, einen Titel zu haben. Und ich weiß auch, sie macht mich plump. Aber – Also, erstens einmal bin ich wirklich ein ganz unmoderner Anhänger von dem, was wir früher das Haus genannt haben. Es ist mir fürchterlich, wenn ich sehe, wie alle möglichen Ehepaare auseinanderkrachen. Denk doch nur, wieviel Leute, die wir kennen, getrennt leben oder geschieden sind, in unsern engsten Kreisen zu Hause – Dr. und Mrs. Daniels – denk doch, siebzehn Jahre verheiratet und die netten Kinder. Und dann, das ist wohl das Wichtigere, Fran hat für mich einen gewissen Reiz, etwas Bezauberndes, oder wie du es nennen willst, wie sonst kein Mensch. Und wenn ihr etwas Freude macht – das kann sein, daß sie einen Menschen kennen lernt, der ihr gefällt, oder eine schöne Gesellschaft, oder ein Sonnenuntergang, oder Musik – also, dann ist sie so begeistert davon, als ob sie einen bessern Motor in sich hätte, mit besser gedrehten Zylindern, als die meisten von uns.

Selbst wenn sie hochnäsig ist – ach, sie will eben eine Form im Leben haben, ein gewisses Niveau, nicht ganz einfach so nachlässig weiterwursteln wie die meisten von uns; und dann ärgern wir uns darüber, daß sie verlangt, wir sollen auch auf das Niveau kommen, das sie für das höchste hält. Und ihre Fehler – ach, sie ist in manchen Dingen ein Kind. Wenn man versuchen wollte sie zu ändern (selbst wenn man es könnte!) das wäre so, wie wenn man ein Kind hereinruft, das draußen im Sonnenschein herumrennt und tobt und sich vergnügt, und es Geschirr waschen läßt!«

»Und da überläßt sie es dir, das Geschirr zu waschen! Ach Sam, es ist eine undankbare Aufgabe, die Nase hereinzustecken und einem Mann zu erzählen, daß man der höchst wichtigen Meinung ist, seine Frau ist ein Vampyr. Aber deine Freunde werden wütend, wenn sie sehen, daß du dich ewig bei deiner Frau entschuldigst, während sie ihrem guten Stern danken sollte, daß sie dich gekriegt hat. Ich schwöre dir, sie denkt nie daran, nicht eine Minute, bei keinem Menschen, was sie geben kann, sondern immer nur, was sie kriegen kann. Sie denkt, kein Mensch auf der Welt ist von Wichtigkeit, wenn er nicht dazu dient, ihr zu schmeicheln. Aber – Hat dich nie eine andere Frau interessiert, niemals?«

»Eigentlich nicht.«

»Ob das nicht noch kommt? Ich gehe eine Privatwette mit mir selbst ein, wenn du noch ein halbes Jahr damit zugebracht hast, Fran den Shawl zu tragen, wirst du anfangen, dich umzusehen. Und dann wirst du dich wundern, wieviel nette Frauen es gibt, die sich in dich verlieben! Sag mal, Sam. Könntest du dich auch in sie verlieben?«

»Also, ich weiß nicht. Ich halte nichts davon, wohlüberlegt unglücklich zu sein, um bei einer schlechten Sache auszuhalten. Wenn Fran und ich auseinander kommen sollten und ich nicht wo anders so etwas wie Sicherheit finden kann, würde ich das durchaus nicht für eine Tugend halten, sondern ganz einfach für eine Unfähigkeit, den Dingen, so wie sie sind, ins Auge zu sehen –«

»Aha! Vor einem Jahr hättest du das nicht zugegeben! Wenn ich es vor einem Jahr auch nur gewagt hätte, Fran eine lange Nase zu drehen, hättest du mich gebissen. Sam, du guter alter Kerl, ich habe bis jetzt Fran niemals kritisiert, nicht wahr? – die ganze Zeit nicht. Jetzt bin ich aber überzeugt, daß das Malheur passiert ist, und daß du es bloß wirklich sehen mußt, und dann wirst du sehr nett und verdrossen und unglücklich sein und ein gebrochenes Herz haben, und später wirst du schon irgendein nettes Ding finden, das verrückt mit dir sein und dich gründlich verziehen wird, und dann wird alles lustig sein und trallalla – verflucht, das klingt nach Tub! Und jetzt gehe ich schlafen. Gute Nacht, Sam. Läutest du uns morgen gegen elf an?«

Als Sam, zu schläfrig, um zu denken, durch die riesigen Korridore des Hotels zu seinem Zimmer stapfte, fühlte er, daß diese Heilige der Unmoral ihn bekehrt und ihm eine Tür geöffnet hatte zu einem Ausblick auf hohe Wälder und bunte Wiesen und freundliche Gesichter.


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