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Siebzehntes Kapitel

Aber ein angenehmeres und freundlicheres Amerika empfing ihn am nächsten Abend, als er mit Elon Richards, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Goodwood National Bank, auf der Terrasse von Richards' Landhaus in Willow Marsh auf Long Island saß.

Morgens hatte Sams Sohn Brent aus New Haven telephoniert, er würde mit seinen Prüfungen in zwei Tagen fertig sein und dann in die Stadt kommen, um einen ordentlichen Bummel mit seinem Vater zu machen. Nachmittags redete Sam gewaltig mit Alec Kynance im New Yorker Bureau der U.A.C. Wiederum wurde ihm der Posten eines Vizegeneraldirektors der U.A.C. angetragen, und wiederum lehnte er ab.

Sehr klare Gründe nannte er für diese Ablehnung nicht.

»Alec, es ist schwer zu erklären – ich weiß nur, daß ich die meiste Zeit meines Lebens darauf verwendet habe, Automobile zu fabrizieren, und jetzt möchte ich still sitzen, mich selbst besuchen und mit mir bekannt werden. Ja, ich war einsam in Paris. Das gebe ich zu. Aber es ist eine Arbeit, die ich angefangen habe, und ich will sie noch nicht aufgeben.«

Kynance war scharf.

»Ich weiß nicht, ob ich dieses Angebot noch einmal machen kann.«

Sam hörte ihn kaum. Er – früher so unermüdlich aufmerksam – war zerstreut. »Ich werde wohl nie zu etwas anderem als dem Geschäft taugen, aber warum soll ich nicht einen kleinen Spaß haben und etwas Neues probieren – ein großer Orangengarten in Florida, oder ein Landgut?«

Als Sam mit Richards von der Goodwood National telephonierte, forderte dieser ihn auf, am Abend nach Long Island hinauszukommen und über Nacht dort zu bleiben.

Sam erholte sich während der Fahrt in dem Hispano-Suiza, den Richards' Tochter Sheila ihren Vater hatte kaufen lassen, sowie sie Michael Arlens Romane gelesen hatte. Sie glitten durch den lebensgefährlichen Verkehr im Grand Central-Bezirk, bogen in die Erste Avenue ein, die Sam stets wie eine Fabriksiedlung vorkam, und fuhren über die kühn geschwungene Brücke der Fünfundneunzigsten Straße, von der sie auf Turmhäuser hinunterblickten, die von den Anlegeplätzen der Dampfer aus Rio de Janeiro und Barbados und Afrika emporragten.

Sie schossen durch ein Gewirr von Fabriken und Arbeiterhäuschen, sie sausten über eine der Küstenlinie folgende Straße, und atmeten die Salzluft, die durch die großen Fenster des offenen Wagens eindrang, sie kamen in freundliche Vorstädte und bogen in eine Landstraße ein, die an Bauerngütern vorüberführte. Sams leicht ramponiertes Amerikanertum erhob sich jubelnd, als er Maisfelder, Kürbisse und weiße Bauernhäuser mit Stapeln von Brennholz an den Mauern sah.

Und das Gespräch war gut.

Sam war nie so töricht gewesen zu behaupten, mannhafte Bürger sprächen ausschließlich von Aktien und vom Boxen, und jedermann, der behaupte, sich für Matisse oder die Ca'd'Oro zu interessieren, sei ein weibischer Heuchler. Nur hatte er Fran gegenüber geltend gemacht, er selbst habe ebenso viel Recht, sich für Aktien zu interessieren und bei Matisse zu langweilen, wie ein Maler, sich für Matisse zu interessieren und bei Aktien zu langweilen. Natürlich hatte Alec Kynance heute nachmittag die Aktien ernst genug genommen. Doch Alecs Gespräch war nicht gut gewesen, weil der kleine Mann sich nicht damit begnügte, seine Rolle als Napoleon des Handels für sich zu spielen, sondern es sich nicht nehmen ließ, jeden Menschen, mit dem er zusammenkam, entweder als getreuen Gardisten zu behandeln, den er ins Ohr kneifen darf, oder als getreuen Feldmarschall, der es nicht erwarten kann, einen neuen Marschallstab zu bekommen (von Alec).

Aber Elon Richards sprach von Fusionen, Kapitalsanlagen, Golf und den skandalöseren Scheidungen in Bankierskreisen mit der unpersönlichen Einfachheit eines Milchmeiers, der von Viehfutter redet. Er erzählte (während der Wagen die kleinen Bauernwirtschaften hinter sich ließ und in ein Gebiet größerer Güter kam), die K. L. und Z. werde in nicht ganz zwei Monaten bankrott sein, es sei wirklich etwas an der Gesellschaft, die über eine Million Renntiere in Alaska züchten wolle, die Papiere der Smith Locomotive Common zu kaufen wäre gar nicht schlecht, und es sei tatsächlich wahr, daß die Antelope Car splittersichere Windschutzscheiben als Normalausrüstung verspreche.

 

Das große Haus in Willow Marsh stand auf einer Klippe über dem Marschland des Long Island Sunds. Sie aßen auf einer Terrasse an einem kleinen Tisch mit flackernden Kerzen, um den drei Korbstühle mit Sam, Richards und seiner Tochter Sheila standen. Es war dieselbe Sheila, die vor einem halben Jahre den Hispano-Suiza gewünscht hatte, aber in diesem Sommer war sie in einem sozialistischen Stadium. Sam war ein wenig geärgert, weil sie im Verlauf des Essens ununterbrochen fragte, warum die Arbeiter Sam und ihrem Vater nicht ihr ganzes Vermögen abnehmen sollten.

Zu Sams Verblüffung ermutigte Richards Sheila mit seinen Hänseleien:

»Wenn du wirklich ein erstklassiger Führer werden kannst wie Lenin, der erstens stark genug ist, mir das Geld abzunehmen, und zweitens, einen wirklich funktionierenden Staat aufzubauen, soll es mir nichts machen – ich würde ebenso gern für ihn und seine Leute arbeiten, wie für unsere Aktionäre. Aber wenn du meinst, meine unverschämte junge Tochter, weil ein Haufen sozialistischer Journalisten schreit, die Arbeiterklasse könnte vielleicht, möglicherweise, eines Tages, so weit kommen, die Industrie zu kontrollieren, deshalb soll ich mitmachen – Na, sie sollen mich erst mal so weit bringen

 

So ging es eine Stunde.

Nach fünfundzwanzig Jahren in der Großindustrie glaubte Sam Dodsworth noch immer, unformuliert und verschwommen, der Sozialismus bedeute die Aufteilung des Reichtums, und wenn diese einmal zustande gekommen sein sollte, würden sich die Millionäre innerhalb von zehn Jahren alles wieder holen. Er glaubte noch immer halb und halb, alle Bolschewisten seien Juden, die sich struppige Bärte wachsen lassen und Bomben bei sich tragen, und von Anarchisten kaum zu unterscheiden. Er glaubte es nicht ganz, weil er in seinem Bureau manierliche und bartlose Sowjetagenten kennengelernt hatte, die sehr sachverständig über den Import von Revelationwagen sprechen konnten. Aber den Sozialismus ernst nehmen –

Es verdroß ihn.

Wozu war er ins Ausland gegangen? Es hatte ihm seine Ruhe geraubt. Er hatte sich in Paris gelangweilt, und doch machte es ihm mehr Freude, sich an das Geländer einer Seinebrücke zu lehnen, als durch die Sechste Avenue zu gehen; und es war ihm unmöglich, gerade in diesem Augenblick, sich sehr für die neuen Kotflügel des Revelationwagens zu begeistern. Wie war es nur möglich, daß ihm dieses Amerika, das er so sicher und bequem in der Hand gehabt hatte, entschlüpft war?

Und da ist die Tochter eines Elon Richards, eines entschieden konservativen Bankiers – vom europäischen Sozialismus angesteckt. Ist das Leben denn wirklich so kompliziert?

 

Als Sheila sie allein gelassen hatte, war es einfacher. Die Junidämmerung war weich, und hinter dem fliederfarbenen Band des Long Island Sundes wurden bisher ungesehene Dörfer in sanftem Schimmer lebendig. Auf der kühlen Terrasse nach zwei erstickenden Tagen in New York erholte sich Sam, behaglich die Schultern reckend, in einem Korbstuhl. Richards Zigarren waren ausgezeichnet, sein Brandy war echt, und nun, da Sheila fort war, in ihrem eigenen Automobil zu einem Tanz, sprach er wieder vernünftig.

Aber es kam wieder –

»Merkwürdig, Richards«, dachte Sam laut. »Seit meiner Landung in New York ist mir das ganze Jagen und Hasten dieser Stadt zuwider gewesen – erst heute abend, während ich behaglich hier draußen auf dem Lande sitze, fühle ich mich wieder als Mensch. Natürlich war es wahrscheinlich nichts anderes als die Hitze. Nur – Wissen Sie, in Frankreich und England hatte ich ein Gefühl behaglicher Muße. Dort hatte ich den Eindruck, die Menschen lassen ihre Berufe für sich arbeiten, sie geben nicht ihr Leben auf, um für ihre Berufe zu arbeiten. Und ich hatte auch den Eindruck, es gibt dort eine ganz verfluchte Menge über die Welt zu lernen, Dinge, die wir hier vor lauter Geschäftigkeit nicht lernen können.«

Richards paffte behaglich einige Male, dann fragte er:

»Wissen Sie, daß ich in Europa aufgewachsen bin, Sam?«

»Nein! Wirklich?«

»Ja. Mein Vater und meine Mutter liebten Europa sehr. Wir machten Reisen. Vierzehn von meinen ersten sechzehn Lebensjahren verbrachte ich in Schulen in England, Frankreich und der Schweiz, und dorthin kehrte ich auch jeden Sommer zurück, so lange ich in Harvard war – nur in den letzten Ferien nach dem Juniorenjahr nicht. Damals hatte mein Vater einen glücklichen Gedanken und schickte mich nach Oregon zur Arbeit in ein Holzfällerlager. Ich war begeistert! Ich hatte so genug von den Pensionen und Cafés und dem allgemeinen europäischen Kompliment, daß man für einen Amerikaner gar nicht so übel sei. In Oregon wurde ich von den Holzknechten in der Woche dreimal verprügelt, aber als der Sommer vorüber war, forderte man mich eifrig auf, als zweiter Vorarbeiter im Lager zu bleiben. Ich fand es herrlich! Und ich finde es auch noch bis heute herrlich. Ich weiß, daß viele französische Financiers eleganter und vornehmer sind als Ihr plattfüßiger Freund Alec Kynance, aber mir macht es mehr Spaß, mit Alec zu kämpfen!

Sam, das ist ein Krieg hier, so wie in Rußland und China. Und Sie, Sam, Sie sind ein alter Bär, aus dem nie eine beschauliche Gazelle werden kann. Sie müssen kämpfen. Und bedenken Sie doch! Vielleicht wird Amerika die Welt beherrschen! Vielleicht wird das Ende sein, daß wir von Rußland in Trümmer geschlagen werden. Aber ist so ein Weltkampf nicht etwas besseres, als herumzusitzen und darüber nachzudenken, wie man gesellschaftliche Fehler vermeidet und was für Frackwesten richtig sind? Leben!«

Sam dachte nach, still und lang.

»Elon«, sagte er, »früher einmal wußte ich, was ich will. Ich habe nicht getan, was mir gerade meine Stenotypistin vorschlägt. Aber ich habe in der letzten Zeit so viel gesehen. Wenn Fran hier wäre – meine Frau – wäre ich wahrscheinlich proeuropäisch. Sie machen mich proamerikanisch.«

»Wozu überhaupt pro-etwas? Warum sich nicht kopfüber in den ersten besten Kampf stürzen, der interessant genug ist? Von einem können Sie überzeugt sein: der Ausgang bedeutet gar nichts. Meine Tochter Sheila belehrt mich, daß ein vernünftiger Gebrauch von Eugenik, Karl Marx und Tennis in fünf Generationen lauter edelmütige Apollos aus uns machen würde. Da sei Gott vor! Ich habe den heimlichen Verdacht, daß in Wirklichkeit keines von uns armen Wirbeltieren Vollkommenheit haben will. Aber ich will sagen: Sie gehören zu den gutherzigen, pflichtgetreuen Amerikanern, die sich, sowie sie sich zur Ruhe setzen, armselig und minderwertig vorkommen und den ganzen Rest ihres Lebens damit verbringen, alle Menschen, mit denen sie zusammenkommen, zufriedenzustellen: die Frau, die Geliebte –«

»So weit ist es noch nicht!«

»Augenblick! – und Freunde. Sam, ich bin ein solcher Idealist, daß ich am liebsten einen Verein zur Hinrichtung aller Idealisten gründen möchte. Werden Sie sich um Himmelswillen klar darüber, ob Sie, Sie selbst, in Amerika oder Europa glücklicher sind, und dann bleiben Sie dabei! Ich, ich bin zufrieden damit, daß europäische Bankiers zu mir kommen und mich um Anleihen bitten, statt daß ich in europäische Caféhäuser gehe und Kellner um einen Tisch in der Sonne bitte! Sam, dieses amerikanische Erlebnis – denn es ist ein Erlebnis, was wir hier haben – das größte der Welt – und nicht eine Sicherheit des Benehmens in einer Unsicherheit der Zukunft, wie ganz Europa. Und hören Sie, unser Erlebnis wird nur um so größer, weil wir genau wissen, daß Europa alles mögliche hat, was wir brauchen. Wir begnügen uns nicht mehr mit der Blockhütte und dem selbstgebackenen Brot. Wir brauchen alles, was Europa hat. Wir werden es uns nehmen!«

»Hm«, sagte Sam.

In dieser Nacht schlief er wie ein Kind in der Luft, die vom Sund heraufkam. Um fünf wachte er auf und setzte sich in seinem zerdrückten Seidenpyjama auf die Bettkante, träumend, während er auf die im Morgen rauchende Marschlandschaft und den Sund hinuntersah.

Wäre er fünfzig Meilen weiter draußen auf Long Island, dann könnte er vielleicht die Küste von Connecticut und New Haven sehen.

Er mußte an einen, geradezu grotesk ähnlichen, Tag im Frühling seines Seniorenjahres in Yale denken, an dem er vom East Rock über den Sund nach Long Island hinübergeblickt und in jener fernen Küste romantische Häfen gesehen hatte. Von dem jungen Menschen auf East Rock war er nur durch den Long Island Sund getrennt, durch dreißig Jahre und durch die Gewißheit dieses jungen Menschen, dereinst »etwas Großes« zu tun. Heute konnte er an interessantere Unternehmungen denken als in jenen feierlich wichtigen Tagen, da er ein Fußballheros war, den die mönchischen Pflichten des Sportsmanns drückten. Jetzt war es nicht lächerlich, sich als Wanderer in Japan zu sehen, als Verfechter oder auch Feind von Sheila Richards' Sozialismus, oder, in zwanzig Jahren, ganz einfach als alten Mann mit einer Pfeife, zufrieden unter Apfelbäumen auf einem Hügel über dem Ohio River. Aber jetzt war er auch von Menschen und Tugenden und Schwächen gefesselt, die er in seiner jungen Stunde der Vision auf dem East Rock nicht gekannt hatte.

Er konnte nicht ein völlig einfaches und sicheres Leben in Amerika wieder aufnehmen, weil es Fran nicht gefiel, und ohne den gewohnten Kitzel von Frans Munterkeiten und schlechten Launen war das Leben unvorstellbar. Er konnte nicht ein mit Eleganz nichtstuender Kosmopolit werden, weil – sein Gedanke strauchelte und knurrte – ach, weil er Sam Dodsworth war!

Durch alle Freunde, die das Leben angenehm gemacht hatten, war er gefesselt – verpflichtet, sie nicht zu beleidigen oder zu verlieren. Er war gefesselt von jedem Dollar, den er verdient, von jedem Automobil, das er fabriziert hatte – sie bedeuteten eine Pflicht gegen seinen Stand. Von allen Stunden, in denen er gearbeitet hatte, war er gefesselt – sie hatten ihn steif, rheumatisch im Geiste gemacht.

Er wollte noch immer die Welt … aber es gab nichts besonderes in der Welt, was er so innig wollte, wie damals, vor dreißig Jahren, Pionier und Held werden.

Dann kam er darauf.

Er staunte: »Nein, das ganze Unglück ist, daß ich außer Fran, den Kindern und ein paar Freunden nichts ernsthaft genug will, um schwer darum kämpfen zu müssen. Ich habe so ziemlich alles getan, was ich mir vorgestellt habe – ich habe eine Stellung bekommen, Geld verdient und interessante Menschen kennengelernt. Ich wäre eine ganze Portion glücklicher, wenn ich ein Vagabund wäre, der nichts von allem, was er wollte, getan hat. Ach, zum Teufel, was liegt schon daran. Vielleicht habe ich meinen Wagen an einen Stern gehängt, der nicht hoch genug ist! Meiner sieht nicht sehr gut aus!

Quatsch! Wenn ich aus diesem wahnsinnigen New York heraus bin und richtige, einfache, herzliche Leute daheim in Zenith sehe – ja, selbstverständlich, und beim Abituriententag, werde ich schon über die Stimmung hinwegkommen.

Aber wozu denn überhaupt das Ganze, dieses Leben?

Mein linkes Bein würde ich darum geben, wenn ich glauben könnte, was die Prediger sagen. Unsterblichkeit. Jehowa dienen. Aber ich kann nicht. Ich muß es allein ausmachen –

Ach, um Gottes willen, hör auf dich zu bemitleiden! Du bist genau so schlimm wie Fran –

Fran! Sie war nie schlimm. Nicht eigentlich. Habe ich schon einmal daran gedacht, dir zu sagen, daß ich dich anbete, Fran?«

Vier Stunden später, beim Frühstück, war er ein unsentimentaler Finanzkapitän, der für nichts anderes Aufmerksamkeit hatte als für seine Waffeln.

 

Er stand an einem Durchlaß in der Grand Central Station und sah zu, wie sein Sohn vom New Havener Zug gemächlich über den zementierten Bahnsteig auf ihn zukam.

»Wenn es in Oxford oder in Frankreich etwas Schöneres gibt als ihn –« strahlte er, und: »Aber mehr Frans Junge als meiner, er hat ihre Hübschheit und Behendigkeit.«

Brent war wie ein junges Rennpferd, sein blasses Gesicht und die hohe schmale Stirn waren fast zu überzüchtet, zu fein. Aber in seinen lustigen Augen und in seiner Stimme war etwas strahlend Gesundes, als er rief: »Hallo, Vater! Schön, daß du wieder da bist. Gute Überfahrt gehabt?«

»Ja. Einigermaßen. Ich freue mich, daß ich dich wieder sehe, mein Junge. Wie lange kannst du bleiben?«

»Morgen früh muß ich wieder zurück sein. Ich muß mit dem Milchzug fahren.«

»Schade. Da, gib deine Tasche einem Träger.«

»Und einen Vierteldollar dafür bezahlen? Nicht daran zu denken – wo der Korn so teuer ist.«

»Hm. Davon würde ich nicht viel trinken. Aber das wirst du ja selber wissen. Wo willst du heute abend essen? Im Ritz, oder in irgendeinem Krachbums?«

»Ich werde dir ein richtiges gemütliches Lokal zeigen, wo man richtiges deutsches Bier bekommt.«

»Ausgezeichnet. Ach –«

Sam blickte scheu auf den scheuen Jungen hinunter und blökte: »Ich bin kolossal stolz, daß du die Prüfungen gemacht hast und ins Phi Beta Kappa gekommen bist.«

»Ach, danke. Du siehst aber wirklich gut aus, Vater.«

Sam stellte fest, daß Brent, obwohl er nur zwölf Stunden in New York bleiben wollte, seinen Frack mitgebracht hatte.

»Ja, Frans Junge«, dachte er und war fast ein wenig traurig. Er wünschte, er könnte diesem nervösen Jungen mehr geben als einen Wechsel – etwas Kraft, etwas Festigkeit.

Während sie sich umzogen, konnte Brent seine Sohnesscheuheit weit genug überwinden, um über seine kleinen Yalewichtigkeiten zu plaudern und über die »saublöde Karosserie« des neuen U.A.C.-Revelationwagens zu schimpfen. Dann war er ein eleganter, schlanker, junger Mann im Frack und gehörte zu einer Welt, die ein Eindringen Sams übel vermerkt hätte, die sich weder Kraft noch Festigkeit wünschte … selbst wenn er, mußte Sam denken, so etwas zu geben hätte.

 

Das »Deutsche Restaurant«, zu dem Brent ihn führte, war durchwegs Imitation: in Pennsylvania gemachte Bierkrüge, auf alt gebeiztes Gebälk, bunte Glasfenster, hinter denen man, wären sie zu öffnen gewesen, nichts als eine Gipswand gefunden hätte, und Bier, das eine höchst klägliche und wässerige Imitation war.

Vor diesem schmierigen und minderwertigen Hintergrund, vor den schmutzigen, unverschämten und fast rührenden polnischen Kellnern war Brent so wirklich wie eine Messerklinge, und ebenso schimmernd.

Sam hatte sich vorgestellt, jetzt könnten sein Sohn und er, zwei Männer, offen und vertraulich miteinander reden. Er wollte mit Brent über das Trinken sprechen, das Spielen, den Wert des Geldes als Mittel, und seine Wertlosigkeit als Zweck, und vor allem über Frauen. Ach, er wollte nicht schnüffeln und tasten – er wollte nur seine eigenen Ansichten über ein weder puritanisches noch ausschweifendes Leben aussprechen, schrecklich offen über die Gefährlichkeit der Töchter der Straße sein, aber gleichzeitig, als Mann von Welt, die Notwendigkeit des »Sexuallebens« zugeben, und wenn Brent sich veranlaßt sehen sollte, ihm irgend etwas anzuvertrauen, wollte er es ganz leichthin und verständnisvoll behandeln –

Diese warme, freudige Vorstellung war in dem Augenblick verschwunden, als er Brents selbstsichere Miene sah. Der Junge hätte ihn ja für geschmacklos halten können, und gleich nach Frans und Emilys Zuneigung brauchte er Brents Zuneigung und Achtung mehr als irgend etwas auf der Welt. So erzählte er, in väterlicher Angst, während er am liebsten seine Seele preisgegeben hätte, stockend von Lord Herndon, dem Flieger Gioserro, dem Versailler Schloß –

Aber eine vertrauliche Angelegenheit gab es, über die er sprechen konnte:

»Sag einmal, mein Junge, hast du dich schon entschlossen, ob du in Harvard Jura studieren willst, wenn du in Yale fertig bist?«

»Ich weiß noch nicht recht, Vater.«

»Hör einmal, Brent, ich habe mir gedacht, – wenn Mutter und ich noch im Ausland sind, wenn du deine Schlußprüfung gemacht hast, könntest du da nicht auf ein Jahr oder so zu uns kommen? Zusammen könnten wir sie vielleicht dazu bringen, daß sie nach Afrika und Indien und China will. Jetzt ist sie in Paris geblieben. Ich habe gemerkt, daß es verteufelt viel in dieser Welt zu sehen gibt. Daß du Geld verdienst, eilt durchaus nicht.«

»Aber du hast früh zu arbeiten angefangen, Vater.«

»Ja, jetzt glaube ich manchmal, daß ich vielleicht zu früh zu arbeiten angefangen habe. Ich wünsche mir manchmal, ich hätte mich erst mal ein bißchen in der Welt umgeschaut. Und daß du dich, nachdem du die letzten Jahre so fleißig gearbeitet hast, ohne Pause über deine Gesetzbücher setzt –«

»Ja, siehst du, Vater, ich weiß noch nicht so recht, ob ich Jura studieren werde.«

»Hm. Woran denkst du? Medizin? Automobile?«

»Nein, ich – Du kennst ja meinen Zimmerkameraden, Billy Deacon, sein Vater ist der Chef von Deacon, Iffly und Watts, von der Maklerfirma, und Billy möchte, daß ich mit ihm da eintrete. Ich glaube, dort könnte ich wahrscheinlich in zehn Jahren Fünfundzwanzigtausend im Jahr machen, und als Jurist würde ich um dieselbe Zeit, wenn ich in eine wirklich erstklassige New Yorker Firma eintrete, noch lange nicht selbständig sein. Und einmal werde ich bestimmt in der Hundertfünfzigtausend-Klasse sein.«

Das sagte Brent mit der bescheidenen Zuversicht und den eifrigen Augen eines jungen Dichters, der verkündet, er werde ein Epos schreiben.

Sam sprach zögernd:

»Es klingt vielleicht komisch von einem Mann, der immer jeden Dollar festgehalten hat, auf den er seine Hand legen konnte, aber – Brent, ich habe immer etwas schaffen wollen, etwas mehr hinterlassen, als ein Bankkonto. Ich fürchte, das könntest du nicht, wenn du einfach Aktien verkaufst. Nicht daß ich etwas gegen Aktien hätte, verstehst du! Nette kleine hübsche Litographien. Aber du brauchst nicht so rasch Geld zu verdienen –«

»Das Leben ist jetzt viel teurer, als wie du angefangen hast, Vater. Man muß jetzt so vieles haben. Wie ich noch ein kleiner Junge war, war ein Mann mit einer Limousine ein kleiner Blechgott, aber jetzt zählt ein Mensch, der keine Yacht hat, ganz einfach nicht mit. Wenn man sein Geld gemacht hat, kann man ausspannen und sich einem Steckenpferd widmen – sich Europa ansehen, sich dem öffentlichen Wohl widmen und alle diese Sachen. Ich glaube, ich habe blendende Aussichten bei Bill Deacon und seinen Leuten.«

»Na ja. Natürlich mußt du selber deinen Entschluß fassen, aber ich möchte, daß du dir das noch überlegst – was ich da gesagt habe, von wirklichem Schaffen.«

»Ja, freilich. Selbstverständlich werde ich es mir noch überlegen, Vater.«

 

Brent machte Sam großartige Komplimente über seine Europa-Kenntnisse und erzählte, daß die Fußballheldentaten seines Vaters in Yale noch nicht vergessen seien.

Und Sam sagte sich seufzend, daß er seinen Jungen für immer verloren hatte.


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