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Als Ralph aufwachte – es war schon spät – stand Joe (ziemlich komisch in seinem neuen zartlila Pyjama) vor seinem Bett, rauchte in aller Gemütsruhe und blickte ihn unverwandt an.
»Ich fürchte, mit mir war's nicht ganz richtig gestern abend«, sagte Joe.
»Das stimmt!«
»Sehr dumm, aber Sie werden sich dran gewöhnen müssen, wenn ich nach New York komm'! Hören Sie, Ralph, was ich auch tu', Sie werden immer dran denken müssen, daß ich Sie gern gehabt hab', sehr gern, und daß es mir immer drum zu tun war, die Menschen, die ich lieb hab' – Sie oder Alvy oder Pop Buck oder sonst wen so zu behandeln, wie's auf die Dauer gut ist, und nicht so, wie's im Ladenfenster am besten aussieht.«
Bevor Ralph, der vor seinem Morgenkaffee nicht in der besten Verfassung war, sich aufraffen konnte, zu sagen, daß es ihm für die Dauer lieber wäre, Joe würde sich in Gesellschaft nicht betrinken, hatte sich der Schurke des Trauerspiels auf seinen nackten derben roten Füßen aus dem Zimmer geschlichen und ließ nur noch ein Prusten unter der Dusche von sich hören.
Sie wollten heute abend mit James Worthington Virey nach New York abreisen. In der Nacht hatte Ralph noch mit Virey telephoniert und sich entschuldigt, und dieser hatte sich bereit erklärt, Joe noch eine Chance zu geben.
Sie trieben sich den ganzen Tag in Winnipeg umher. Joe weigerte sich, seine Garderobe von Ralph noch vervollständigen zu lassen, lauschte aber voll Reue und demütiger Aufmerksamkeit allen Ausführungen Ralphs.
Ein- oder zweimal versuchte Joe anzudeuten, daß es vielleicht doch besser wäre, wenn er nicht nach New York käme. Ralph, der fest entschlossen war, Joe zu protegieren, und richtig zu protegieren, machte ihm klar, daß er sich nicht aus Winnipeg wegrühren würde, bis Joe erklärte, mitkommen zu wollen. So gelang es ihm schließlich, Sieger zu bleiben.
Nachmittags bestand Joe darauf, das ganze Gepäck zur Bahn zu bringen.
»Das ist nicht notwendig. Wir werden unsere Sachen im Taxi mitnehmen.«
»Aber ich will sicher sein, daß alles im Zug ist, wenn wir abfahren«, sagte Joe, worauf ihn Ralph, durch diesen tolpatschigen Übereifer geärgert, anschnauzte: »Ach, von mir aus.«
Der Zug ging um neun Uhr abends. Ralph, Joe und Virey hatten ziemlich trübsinnig im Hotel gesessen und fuhren ebenso trübsinnig zur Bahn. Joe hatte nicht nur das Gepäck hingebracht, er hatte auch erklärt, daß er dem Hotelportier nicht traue, und selbst die Betten im Pullmanwagen besorgt, ein Kupee für Ralph und Virey und eine Koje für sich.
»Stimmt alles mit Ihrer Koje? Sind Ihre Sachen da?« erkundigte sich Ralph.
»Natürlich, alles in Ordnung.«
»Schön. Machen wir's uns alle hier im Kupee bequem und spielen wir vielleicht ein bißchen Karten.«
»Ich muß noch frische Luft schnappen. Gehen wir bis zur Abfahrt auf und ab«, schlug Joe vor.
»Ich nicht. Ich bleib' drin«, sagte Virey.
Nur weil er so nervös war, daß er sich in keine Diskussion darüber einlassen wollte, folgte Ralph verdrossen Joe auf den Bahnsteig.
Und Joe hatte die überflüssigsten Dinge zu sagen:
»Na, ich hoffe, Sie sind doch einigermaßen damit zufrieden, daß Sie im Norden waren, Ralph.«
»Freilich. Warum auch nicht?«
»Und hoffentlich verzeihen Sie mir auch, daß ich Alvy weggeschickt hab'.«
»Seien Sie nicht albern. Es war natürlich Ihr Recht –«
»Ich weiß nicht, ob ich viel davon versteh', was Recht und was Unrecht ist. Aber, hören Sie, das erste Essen in Mantrap hat doch ziemlich gut geschmeckt nach dem Lagerfraß, nicht wahr? Recht gut. Nicht, daß es was Besonderes gewesen wäre, aber wissen Sie, nach dem Specknagen – war doch ganz gut, was?«
Ralph hatte keine Antwort auf diese eselhaften Erinnerungen. Er dachte bedrückt an New York und die ungewissen Aussichten für Joe.
»Platz nehmen!« riefen die Schaffner.
Joe drängte Ralph, vorauszugehen, und mechanisch kletterte dieser den Tritt hinauf.
Plötzlich richtete sich der stumpfäugige, gebückt einherschleichende Joe auf, der Joe, der alberne Bemerkungen über die Freuden des Tomatenessens gestammelt hatte, seine Augen bekamen wieder Glanz, seine Stimme klang noch gedrückt, aber doch etwas lebhafter.
»Vergessen Sie uns nur! Wir werden uns schon durchschlagen. Sie sind jetzt von uns befreit. Bleiben Sie's auch! Viel Glück, Sie guter alter Kerl!«
Ralph stierte von der Plattform hinunter, während der Zug sich knarrend in Bewegung setzte. Wollte Joe sagen, daß er nicht mitkam –?
Er wollte hinaus. Der Schaffner drängte ihn unhöflich auf die Plattform zurück und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Und der Zug war tatsächlich in Bewegung. Joe lief unten auf dem Bahnsteig neben dem Wagen einher und schwenkte seinen Hut.
Nachdem der Schaffner die Tür geschlossen hatte, war er verschwunden. Ralph ging in den nächsten Wagen hinüber. Auch dort war die Tür zu, und er hatte keine Ahnung, wie er sie aufmachen könnte. Hastig lief er durch den Nachbarwagen, stolperte über die alten Damen, die mit ihren Strohkoffern beschäftigt waren, und fand endlich eine Tür, die noch offen war. Sich am Türrahmen festhaltend, lehnte er sich hinaus. Aber der Zug fuhr schon zu schnell, er konnte nicht mehr hinunterspringen und sah nur noch den Rücken Joes, der schwerfällig den Bahnsteig entlang ging – den müden Rücken eines alten, hoffnungslosen Mannes.
Ralph war über alle Maßen erstaunt, er zerbrach sich den Kopf darüber, ob es Joe wieder gelungen wäre, sich zu betrinken und sich nur bis jetzt nichts anmerken zu lassen, und ging in sein Kupee zurück, um sich bei Virey Rat zu holen.
Er begegnete seinem Pullmanschaffner, der sich entschuldigte: »Sie müssen schon verzeihen, daß ich die Tür so zugeschlagen hab'. Ich hab' dem Herrn auf dem Bahnsteig versprechen müssen, daß ich Sie nicht aus dem Zug lasse.«
Ralph war zu verwirrt, um antworten zu können. Er klagte Virey: »Das ist mir unverständlich. Joe wollte nicht in den Zug kommen.«
»Kurioser Kauz«, sagte Virey. »Übrigens, er hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief zu geben, sobald wir aus dem Bahnhof sind.«
Ralph las in Joes korrekter Buchhalterschrift:
»Freund Ralph! Ich scheine nicht imstande zu sein, Sie davon zu überzeugen, daß ich nicht der richtige Mensch zum Mitnehmen bin, trotz allem, was ich versucht habe und trotzdem ich Sie blamiert habe usw. Fürchte, Sie könnten mich doch noch überreden. Glaube, ich bin kein sehr starker Charakter, und Sie sind stark im Überreden. Deshalb will ich eine Aussprache vermeiden, sie würde uns traurig machen, und das möchte ich nicht. Vielleicht werde ich ein bißchen einsam sein, aber machen Sie sich keine Sorgen deswegen, verstehe mich ausgezeichnet darauf, Freunde aufzugabeln. Kommen Sie wieder mal nach Kanada. Viel Glück, und Gott segne Sie. Gott segne Sie!
Joe.«
Während Ralph perplex den Brief in den Händen drehte, wiederholte Virey: »Ja, ein kurioser Kauz.«
»Das ist er, ja. Ich versteh' ihn überhaupt nicht«, sagte Ralph langsam. »Er hat immer eine gewisse Würde und Zurückhaltung gezeigt, und doch, die Art, wie er sich gestern abend aufgeführt hat, fast hat mich das dazu gebracht, daß ich ihn nicht nach New York mitnehmen wollte. Aber« – stolz – »ich bin bei meinem Entschluß geblieben. Nur kann ich nicht begreifen, wie er es überhaupt möglich machen konnte, sich so zu betrinken.«
»Ich weiß nicht, ob er betrunken war.«
»Haben Sie ihn nicht gesehen – und gehört?!«
»Ja, aber ich war weiter unten im Zimmer, näher am Tisch mit den Getränken. Ist Ihnen aufgefallen, was er mit der Whiskyflasche gemacht hat?«
»Und ob es mir aufgefallen ist! Er hat sich jedesmal ein halbes Wasserglas vollgegossen!«
»Stand er nicht mit dem Rücken zu Ihnen?«
»Ja, aber ich konnte seinen Arm sehen.«
»Ich konnte seine Hand sehen. Sie erinnern sich vielleicht, daß es diese nicht nachfüllbaren Flaschen waren, mit dem kleinen Zinndings. Ich habe bemerkt, daß Easter sich sein Glas zunächst mit Ingwerbier vollgegossen und dann erst die Whiskyflasche genommen hat – aber er hat die Flasche die ganze Zeit mit dem Finger zugehalten. Ich glaube, er hat nicht einen Tropfen Schnaps getrunken. Wahrscheinlich hat er den ganzen Abend über nichts Stärkeres als Ingwerbier getrunken. Ich weiß nicht, worauf er aus war. Vielleicht wollte er Ihnen einreden, daß er betrunken wäre, oder –«
»Und dieser Zug«, sagte Ralph wütend, »hat auf Meilen keinen Aufenthalt, und wenn ich mit Ihnen geredet habe, werde ich zu gottsverdammt vernünftig sein, um hinauszuspringen und zurückzufahren … Gerade in dieser Sekunde habe ich mich dabei erwischt, daß ich vorhatte, nach Minneapolis zu fahren – ein Mädel besuchen. Jetzt kann ich das nicht mehr … Ich bin ein wenig müde, Virey. Wir wollen nicht reden. Sollen wir ein bißchen Karten spielen? … Aber wenn mir dieser Wes Woodbury unter die Augen kommt, dann gnade ihm Gott!«