Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Der Dampfer Emily C. Just kroch durch die gelben Gewässer des Flambeau River hinunter nach Kittiko, wo Ralph und Woodbury mit ihren Indianerführern endlich die Kanus übernehmen sollten.

Was nun die Tonnage der Emily C. Just anlangt – sie hat überhaupt keine Tonnage, sie hat nur Pfunde und Unzen. Obgleich sie sechzig Fuß lang ist und nicht weniger als sieben Kabinen hat (inklusive einer Luxuskabine mit fließendem Wasser und einem Spezial-Porzellanspucknapf für so seltene Würdenträger wie den Fischerei-Inspektor), ist sie doch aus nur einen Zoll starken Föhrenbrettern gebaut, und ihre Zwischenwände sind aus Pappdeckel.

Die regelmäßigen Gewohnheiten eines Passagierboots kennt sie nicht. Sie macht jede Fahrt zweimal in der Woche – außer wenn es eine ein- oder zweitägige Verspätung gibt, oder wenn Captain Venner anhält, um en route die Kartoffelernte auf seinem Claim zu inspizieren, oder wenn er eine Pokerpartie findet und auf diese Fahrt überhaupt verzichtet. Sie ist ein Heckraddampfer und schaufelt sich behaglich durch drei Fuß tiefes Wasser oder verwandelt sich überraschenderweise aus einem Dampfer in ein Kanu und schießt, zwischen den Felsen kurbettierend, durch eine Stromschnelle.

Ein oder zweimal ist sie gesunken, und nach solchen Unglücksfällen wurde der Schlamm abgekratzt und das Boot neu gestrichen, in einem gefälligen Rotkehlchenei-Blau, der Schornstein orange.

Ein müßiger Zauber ist um Flußdampfer. Sie sind nicht auf einer fremden riesigen Wasserfläche vereinsamt. Sie fahren so nahe dem einen oder anderen Ufer, daß sie an seinem Leben Teil haben, und sind doch frei von der Asche und dem Gestank eines Eisenbahnzuges, der an Ansiedlungen vorbeifährt. Die Passagiere können, an die Reling der Emily C. Just gelehnt, beschaulich in den Flambeau spucken, das Familienleben aller scharrenden Hühnerfamilien in allen Waldlichtungen beobachten und in vornehmer Verachtung aller Hast und jeder Unruhe gelehrt darüber disputieren, ob dieses zerstörte Bisamrattennest im Schilf vorigen Winter bewohnt war oder nicht. Die Emily C. Just legt in Häfen an, die aus zwei Blockhütten und einem Wigwam bestehen; der Kapitän, stolz in seinem Steuerverschlag, wird von einem Halbbluttrapper mit einem Gesicht wie eine Speckschwarte als »Cap« oder »Billy« angerufen, und das ist sehr nett und gemütlich. Manchmal nimmt der Dampfer einen Hafen, der nicht eine so zahlreiche Bevölkerung hat, nichts weiter als ein Holzstapel auf dem Ufer ist, und dann wirft die Deckmannschaft – alle drei Mann hoch – das Klafterholz von Hand zu Hand in den Rumpf, der eine Kreuzung zwischen einem Vermonter Holzschuppen und einem alt gewordenen Spritzenhäuschen ist.

Die Passagiere können bei jedem Halt an Land gehen, ohne irgendwelchen Unannehmlichkeiten ausgesetzt zu sein, als da sind Pässe, Zollinspektoren, Jinrikshaführer, Ansichtskartenverkäufer, Schlagbäume oder Verfügungen des Proviantmeisters. Wenn sie nicht rechtzeitig zurückkommen, pfeift der Dampfer nach ihnen, wie eine Henne nach ihren Jungen kluckt, und wartet dann in aller Ruhe, während der Kapitän mit dem Chef- und einzigen Maschinisten Karten spielt oder den Missionarskindern zeigt, wie man Birkenrindenkanus aus Papier macht.

Ralphs ungezügelter und egoistischer Widerwille vor dem unbekannten Land hatte nachgelassen. Er stellte Betrachtungen an über zerfallene Trapperhütten am Ufer, über Lichtungen, die in anstrengender Rodearbeit dem Wald abgerungen und dann unter bitteren Mühen gepflügt worden waren, jetzt aber schon längst wieder verlassen dalagen, in traurigem Kontrast gegen den düsteren Hintergrund der schwarzen Nadelbäume. Er stellte Betrachtungen an über Nerzlöcher und über Entenmütter, die ängstlich ihre zerstreute Brut vor dem gemächlich einherschunkelnden Dampfer in Sicherheit zu bringen suchten und sich dabei einbildeten, sie schwämmen mit diesem Ungeheuer um die Wette und überholten es, ihre Jungen aber wären ohne ihre kluckende reife Weisheit im Nu vernichtet worden.

Er ging an Land (Woodburys Gesellschaft meidend – er hatte Gewissensbisse wegen dieser Illoyalität und beging sie trotzdem) und stieß auf ein Cree-Indianerlager – Birkenrindenwigwams, junge Frauen, denen Kinder auf dem Rücken schaukelten, alte Weiber, die pfeiferauchend Elchfleisch und Felchen auf Holzgestellen über langsamem Feuer räucherten; Männer, die würdevoll nichts taten, nichts dachten, nichts wollten. Er spazierte in einen Föhren- und Pappelwald, in dem einige Birkengruppen silbern leuchteten; er wurde durch einen Moskitoüberfall zurückgetrieben; er ging wieder an Bord, saß zufrieden auf dem Fußboden des Verdecks, den Rücken an die Wand gelehnt, und rauchte eine Pfeife … Wes Woodbury hatte ihm auseinandergesetzt, daß es unerläßlich zur Kunst des Männlichseins gehöre, die Zigaretten mit einer wackeren Shagpfeife zu vertauschen.

Er fand in dem Dampfer dieselbe Puppenhaftigkeit, die ihn im Zelt in Fröhlichkeit versetzt hatte. Der Speisesalon war ein rührend komisches Kämmerchen, in dem ein Chinese mit poliertem Gesicht Ham and eggs und Pasteten servierte. Der Kapitän hieß sie in seinem winzigen Steuerverschlag willkommen und zeigte ihnen, woran die so gefährlichen gesunkenen Baumstümpfe und Stämme in der schaumgestreiften Strömung vorne zu erkennen waren. Und den ganzen Tag lang schlugen die Schaufelruder aus dem gelben Wasser hochwallenden Gischt, in dem, über dem moosbewachsenen Rad, ein Regenbogen glühte.

Hätte Ralph eine Woche so weiterfahren können, so wäre er ruhigen Gemüts geworden und hätte Woodburys unaufhörliche Kraftmeierei durch einen Schleier von Gelassenheit gehört. Aber am nächsten Morgen waren sie in Kittiko – zwei Holzläden, zwei Holzlogierhäuser und ein Fischspeicher – und trafen ihre Vorbereitungen zum Aufbruch.

In seinem Eifer, sich tüchtig und wacker zu zeigen, schwoll Woodbury unverzüglich an wie ein Kinderballon.

Obwohl sie zwei große, neunzehn Fuß lange Lastkanus hatten, schien es unmöglich zu sein, daß sie je den Riesenstapel verstauen könnten, der sich auf dem Holzkai auftürmte – Zelte, Bettzeug, Rucksäcke, Proviantkisten, Mehlsäcke und Speckseiten, Segel und Ruder, Benzinkanister und Bratpfannen. Und Woodburys Außenbordmotor war im Führerkanu zu montieren – Ralphs Boot sollte geschleppt werden, wenn glattes offenes Wasser ihnen gestattete, die Maschinenkraft auszunützen. Ein oder zwei Schrammen mußten mit Kanuleim und Farbe verschmiert werden. Junge Bäume für Masten mußten noch gefällt werden.

Bei all diesen Arbeiten war Ralph absolut unbrauchbar.

Woodbury besaß im höchsten Maße die Schullehrerkunst, Sport und Vergnügen zu etwas Erzwungenem, Mühseligem, Unangenehmem und Entsetzlichem zu machen. Er war ein »Vierminuten-Mann«, ein Vorstadterschließungs-Verkaufsmanager, eine Präsidentin.

Er stürzte sich auf die Führer und quälte sie: »Jetzt aber fix das Zeugs reinschaffen – reinschaffen – alles an Bord schaffen.« Er versuchte den Außenbordmotor in seinem Kanu zu montieren und schlug sich auf die Fingernägel, er fluchte und warf wütende Blicke auf Ralph. Er brüllte, die Masten seien zu groß für die Löcher in den Duchten, und als sich herausstellte, daß sie genau paßten, war er böse und verkündete: »Na, die sehen aber nicht stark genug aus.«

Er schrie Ralph an: »So versuchen Sie doch wenigstens, was zu tun, irgendwas! Sitzen Sie nicht so blödsinnig rum!«

Als Ralph das Wagnis unternahm, eine Kiste Speck in seinem Kanu zu verstauen (tollkühn, eine Hand als Stütze am Rand des Piers, über das Schanzdeck gelehnt), explodierte Woodbury: »Herr Gott noch einmal, geben Sie die Kiste doch nicht nach vorn, das Gewicht muß ja im Zentrum sein.«

Ralph war voll demütiger Gefühle – über alle Maßen nutzlos, allen im Weg. Er war zitternd höflich zu Louey, dem jüngsten und verdrossensten Führer, Charley gegenüber kindlich ergeben, Woodbury betete er rückhaltlos an, und als der große weiße Häuptling sich herabließ, seine Huldigung: »Sie kennen sich da aber wirklich aus, Wes«, entgegenzunehmen, war er des Dankes voll.

Trotz aller Verkaufsmanagerbetriebsamkeit Woodburys kam die Arbeit zu Ende.

Der Kargo schien sich zusammenzupressen, während er in die Kanus glitt. Es war zweifellos doppelt soviel Ladung dagewesen, als die Boote fassen konnten, und doch sahen sie durch Hexerei nur halbvoll aus.

Mittschiffs in jedem Kanu war ein Nest für einen Weißen, mit dem Bettzeug als Sitz, das Spielzeug bei der Hand – Angelgerät, Flinte, und sogar ein Paddelruder (obgleich Woodbury, wenn der Motor lief, im Heck sitzen mußte). Die Indianer hatten nicht das mindeste dagegen, daß die Neulinge vorhatten, die plumpen Kanus vorwärtstreiben zu helfen, wenn sie nur darauf achteten, mit ihren Paddeln nicht zu spritzen.

Alles war getan, außer Woodburys spezieller Aufgabe, dem Außenbordmotor, und auch der war an seinem Platz, nett und sauber, ganz fertig, nur – er wollte nicht anspringen.

Er rührte sich nicht. Auch nach einer halben Stunde wilden Reißens an der Anlasserschnur konnte Woodbury ihn nicht dazu bringen, zu fassen.

Ralph sah still von dem Holzpier hinunter auf den wütenden Woodbury. Er war allein. Die Bevölkerung von Kittiko, fünf Weiße und neun Indianer, waren die Expedition angaffen gekommen, da aber Woodbury in seiner augenblicklichen Desillusionierung nicht so freundlich war wie sonst, hatten sie sich wieder verzogen. Die Indianerführer, deren Arbeit getan war, hatten sich auf einen Sägemehlhaufen gehockt und ließen die Sonne scheinen.

Ralph verstand von Motoren nicht mehr als jeder Durchschnittsmann, der erst seit zehn oder zwölf Jahren einen Wagen fährt. Er konnte ein Lenkrad von einer Handbremse unterscheiden und Wasser in einen Kühler gießen. Der Außenbordmotor war für ihn ein heidnisches Mysterium – ein rundes Etwas mit einem einzigen Zylinder, einem langen Griff und weiter nichts Erkennbarem.

Als Woodbury es für einen Augenblick aufgab und haßerfüllt auf den Motor starrte, als dächte er darüber nach, wie er ihm am besten weh tun könnte, meinte Ralph:

»Was glauben Sie, könnte nicht vielleicht die Speiseleitung verstopft sein?«

Woodbury schwang im Boot herum, hob die Hände gen Himmel wie ein sterbender Märtyrer und sprach dann nachsichtig:

»Es gehört ein ganz besonderes Hirn dazu, um auf solche Vermutungen zu kommen! Sie sind wirklich eine außerordentliche Hilfe für mich! Natürlich habe ich die Speiseleitung erst zweimal gereinigt, während Sie zugeschaut haben!«

Ralph zog sich ans andere Ende des Piers zurück; dort sah er zwei Hühnern zu, betrachtete ein Büschel Unkraut und sehnte sich nach dem Yale Club.

Der Hudsons-Bay-Agent kam gemächlich den Pier herunter. Es war deutlich zu sehen, wie Woodbury in seinem Kanu unten sich zusammenzog, bereit, die fünf Fuß zum Pier hinaufzuspringen und den Burschen bei dem ersten Wort, das er von sich gab, zu erwürgen. Der Agent, der wie ein Prediger aussah und über einen herrlichen, priesterlichen Redefluß verfügte, kniff belustigt ein Auge zusammen, grunzte: »Ausflußventil im Tank gedrosselt«, und machte sich wieder davon, mit einer Verächtlichkeit, die nicht bloß Ralph, sondern auch den großen E. Wesson Woodbury zu erbärmlicher Grünheit degradierte.

Ralph konnte sehen, wie Woodbury vor Wut anschwoll und nach einer passenden Erwiderung suchte, aber nichtsdestoweniger das Ventil im Benzintank untersuchte und an ihm herumfingerte, die Anlasserschnur in die Hand nahm und anriß.

Sofort lief der Motor fauchend an, mit dem Geräusch eines ganz kleinen Flugzeugs.

Woodbury richtete sich im Boot auf und fixierte Ralph mit geballten Fäusten: der sollte es wagen, auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen. Ralph sah so unschuldig wie nur möglich aus. Dann schoß Woodburys Blick in die andere Richtung, zu den Indianern am Ufer. Die waren eingeschlafen. Der so übel behandelte Führer war beleidigt. Er brütete eine Zeitlang über all die unerhörten Kränkungen, die man ihm hatte angedeihen lassen und brüllte dann: »Na, ihr Lümmels, geht ihr auf 'ne Kanufahrt oder nicht?«

So fuhr die kostbare Flotille aus; so war der Aufbruch der fabelhaften Expedition in das unerforschte Herz des Nordens.

Eine Indianersquaw kam an den Eingang ihres Wigwams und starrte ihnen nach. Sonst schien die Welt keine Notiz davon zu nehmen, daß Ralph Prescott und E. Wesson Woodbury daran gingen, Geschichte zu machen.

Dann bestand zwei Wochen lang das Leben aus nichts anderem als Vorwärtsmühen, Halten, um Muskalonges zu fangen, und wieder Vorwärtsmühen.

Ab und zu stakten oder paddelten sie durch seichte gewundene Creeks; manchmal schleppte sie das Boot Woodburys, und dann wirkte das Brummen des Motors einschläfernd wie das Summen einer Biene. Sie kamen in den Warwicksee, eine große, inselübersäte Wasserfläche, deren schwarze Uferfelsen mit grotesken orangefarbenen Flechten bewachsen sind. An windstillen Tagen zerschnitt das motorgetriebene Kanu den polierten Wasserspiegel, aber wenn sie eine Brise im Rücken hatten, zogen sie die Segel auf und flogen dahin.

Es waren nur zwei oder drei Zoll Freibord am Boot, und es kam oft vor, daß sie Wasser nahmen. Ralph war voller Angst, wenn er an ihre Hilflosigkeit beim Segeln dachte. Sie waren meilenweit vom Ufer, in einer Nußschale, die sofort untergehen mußte, wenn sie auf eine unter Wasser verborgene Klippe auffuhren, und er hätte keine Viertelmeile schwimmen können.

Er kämpfte mit sich und verachtete seine Feigheit, er machte sich Vorwürfe, wenn er Woodburys Freude am Segeln beobachtete, dennoch – ob er wollte oder nicht – er mußte darüber nachdenken, was für Aussichten er haben würde, an Land zu treiben, wenn sie sinken sollten.

Aber schön war es doch; die glitzernden Wellen, die dreieckigen Segel, die wie geschwungene Möwenflügel aussahen und abends von der niedrigen Sonne, deren brennend gelbe Pracht durch sie hindurchglühte, in Gold verwandelt wurden.

Er haßte die Führer in den Stunden des Segelns.

Er hatte immer von den »finsteren, schweigenden Indianern« erzählen gehört. Die Wald-Crees aber zeichneten sich durch eine Schweigsamkeit aus, die fast ihrem Whiskyhaß gleichkam. Solange sie paddeln mußten, verhielten sie sich einigermaßen ruhig, und wenn der Motor arbeitete, übertönte er ihr Schnattern, aber in der Stille des Segelns, wenn Ralph die größte Sehnsucht hatte, seine widerwärtige Befangenheit und Ängstlichkeit zu vergessen, schwatzten sein Bug- und sein Heckmann miteinander wie Waschweiber, kicherten wie kleine Mädchen und schrien den Indianern im anderen Kanu ihre schmutzigen Witze zu.

Ein Teil ihres aufreizend endlosen Geplappers waren dreckige Geschichten, die sie mit lautem Gewieher beschlossen; oder es waren, ihren Blicken nach, bestimmt bissige Bemerkungen über Woodbury und ihn. Da seine Indianer nur Cree sprachen, konnte er sie weder verstehen noch ihnen sagen, sie sollten den Mund halten. Und er wollte kein »Spielverderber« sein, wollte sich nicht beklagen. Er hörte zu und litt – und wurde von Stunde zu Stunde nervöser.

Sie fuhren aus dem Warwicksee in den breiten Mantrap River ein und nahmen Kurs auf den Träumenden See, an dem ein Handelszentrum liegt – dort wollten sie ihren Proviant und Benzinvorrat erneuern – eine Siedlung, die Mantrap Landing hieß, mit einem Hudsons Bay-Posten und einem Freihändler namens Joe Easter; ein Flecken mit gewaltiger Bevölkerung: vielleicht ein Dutzend Weiße und – im Sommer, wenn sie nach dem Fallenstellen im Winter müßig gingen – fünfzig bis sechzig Indianer.

Ralph hatte sich abgehärtet. Er schlief auf der Erde wie in einem Himmelbett und konnte mit Behagen Speck verzehren, nur beim Segeln und in den Schnellen war er noch ein wenig ängstlich. Er hatte den Zickzackkurs seiner Indianer nun bei einem halben Dutzend rauchender Katarakte beobachtet und war so weit, daß er mit einiger Gelassenheit die Felsen auf sich zuschießen sehen konnte.

Aber E. Wesson Woodbury konnte er nicht mehr ertragen.

Woodbury hatte sich aus einem Wichtigtuer zu einem Nörgler entwickelt. Er kritisierte Ralphs Ausrüstung, sein Angelauswerfen, die Menge, die er sich an Tragstrecken auflud, die Art, wie er seinen Schlafsack zusammenrollte, sein Zusammenschaudern beim Schwimmen in eiskaltem Wasser, als ob Ralph sein Bürojunge wäre und fortwährend Briefe verlöre. Wie immer seine Stimmung war, Woodbury gab sich ihr hemmungslos hin. Seine Munterkeit war ebenso schwer erträglich wie seine üble Laune, und es mußte nicht wenig ertragen werden in der gewaltsamen Intimität des Zelts, der Mahlzeiten und des Fischens von einem Boot aus. Wenn ihm nach Herrenabendgeschichten zumute war, brüllte er sie heraus und delektierte sich an jedem schmutzigen Wort. Aber das Allerschlimmste waren seine Morgenspäßchen.

Bevor Ralph sich noch den Sand aus den Augen gewaschen oder einen Tropfen Kaffee getrunken hatte, um sich gegen Scherze zu wappnen, sprang und tanzte Woodbury schon in entsetzlichem Wohlbehagen herum.

Er pflegte Ralph wachzurütteln und zu heulen: »Den ganzen Tag aufm Ohr liegen? Na, eines können Sie wenigstens anständig – schlafen können Sie. Ha, ha, ha!« (Aber es war eigentlich kein ha; das Geräusch war viel glucksender und selbstgefälliger und viel aufreizender.)

Wenn sie zum Wasser hinuntergingen, ungekämmt, in zerdrückten Hemden, spritzte Woodbury gewöhnlich voller Mutwillen ein wenig und schrie: »Sie brauchen nur ein bißchen Wasser aufm Leib zu haben, und schon sehen Sie aus wie 'ne versoffene Ratte, mein Junge. Ei, schief gewickelt? Mit dem linken Fuß aufgestanden? Oh!«

Wegen einer einzelnen Speckschnitte am Nachmittag beim Abkochen: »Ach, kümmern Sie sich nicht um mich, Ralphie – essen Sie nur ruhig alles auf. Ich kann von der Luft leben!«

Und wenn Ralph von etwas Ernsterem sprach als von Obligationen, dem Strumpfgeschäft, Golf oder Automobilen, meckerte Woodbury: »Der famose kleine Redner in der Westentasche, nicht wahr? Sie würden einen tadellosen College-Professor abgeben. Wie wär's jetzt mit einem Vortrag über Evolution?«

Er hatte einen nie versagenden Vorrat von geistreichen Sprüchen und famosen Redensarten.

Ralph war nicht lächerlich sanft. Er zahlte es Woodbury öfters heim, aber es war eine große Anstrengung für ihn, von der Kälte bis zu den Witzeleien alles auszuhalten. Und hier, so ganz in einem Leben aufgegangen, das neu für ihn war, hatte er fast aufgehört, der sich selbst vertrauende Prescott zu sein, der nie eine Ungezogenheit oder Grobheit geduldet hatte. In den Angel- und Kanukünsten, in dem ihm fremden Lagerleben, zwischen den schweigenden Seen und den geräuschvollen Indianern konnte er nicht die Oberhand haben. Diese fremdartige Atmosphäre zeigte seine vollkommene Hilflosigkeit besser, als Woodburys Spott es vermochte, sie zeigte sie so gut, daß er sich überhaupt keine Umgebung mehr vorstellen konnte, in der man Ralph Prescott vielleicht mit Achtung entgegenkommen würde.

Er hatte eine Zeitlang keine eigene Seele. Er wurde ein Leibeigener der Crees und Woodburys, ein Wesen, das wenig dachte, wenig empfand, mit einem nur ganz dumpfen Bewußtsein von seiner Stumpfheit – ein verächtliches Nichts, das in der alles verschlingenden Dämmerung der Wälder über die ungeheuren Seen kroch.

»Wie lange werde ich es noch aushalten, so geschurigelt zu werden?« fragte er sich, wenn ein guter Wind ihn ein wenig aus seiner Erstarrung aufrüttelte.


 << zurück weiter >>