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Vierundzwanzigstes Kapitel

In der Nacht spürte Ralph, daß der Wind sich gedreht hatte. Als sie schlafengegangen waren, hatten seine Haare sich kaum im Luftzug bewegt, jetzt aber blies es ihm scharf unter die Decke. Ralph merkte auch, daß es stärker nach Rauch roch als vorher, war aber zu erschöpft, um ganz zu erwachen.

Dann rüttelte Joe ihn an der Schulter. In der schwindenden Dunkelheit standen Joe, Alverna und der Indianer Saul zwischen ihm und dem düsteren See, und Joe schrie: »Aufstehen! Rasch! Das Feuer kommt her!« In der Luft über ihnen brüllte und röhrte es, der ganze Himmel im Osten erglühte in schmutzigem Purpur und wogte von schwarzen Rauchwolken.

»Schnell!« kommandierte Joe. »Alles an Bord!«

Sie liefen zum Proviantstapel, rollten keuchend die Decken ein und verstauten sie in Joes Kanu. Zweige fielen neben ihnen in den See und zischten. Das Feuer war ganz nahe. Ein roter Vorhang hinter hohen schwarzen Föhren. In der zunehmenden Glut sah Joe wie ein wildhaariger Rasender aus, als er die Kisten packte und ins Boot warf. Saul war grün vor Angst. Alverna eine wahnsinnige Zigeunerin, auf deren weißem Hals ein blutroter Schimmer lag.

»Ralph! Sie gehen mit Alverna ins Kanu«, schrie Joe. »Saul kann den Motor bedienen. Mich schleppt ihr in eurem Faltboot!«

Alverna flüsterte Ralph entsetzt zu: »Er will sich umbringen – für uns!«

Kein Ich-Gedanke – wenn auch kein großer Heldenmut – klang in Ralphs zitternder Stimme, als er widersprach: »Nein, Sie gehen ins Kanu, Joe. Ich bin leichter. Die Wellen gehen hoch, und –« es kostete schwere Mühe, es auszusprechen, die Wellen gingen hoch, und er sehnte sich nicht allzu sehr nach ihnen – »das Faltboot schlägt leicht voll –«

Joe drängte ihn zum Kanu, packte mit grausam harten Fingern Ralphs Nacken und brüllte: »Muß ich denn über alles streiten? Tun Sie, was ich Ihnen sage!«

Ralph war im Kanu, im Bug, den die stoßenden Wellen wütend emporschleuderten. Alverna war hinter ihm, und Saul bemühte sich, den Motor anzulassen, während Joe die Schleppleine am Faltboot festmachte und das Kanu weiter hinausstieß. Dann arbeitete Ralph, um das Kanu aus dem Bereich der wütend prasselnden Flammen zu bringen, so angestrengt mit dem Paddel, daß er an nichts anderes in der Welt dachte. Als der Motor ansprang, merkte er es kaum. Er paddelte weiter, als liefe der Motor nicht, als könnte er allein sie retten, während der See, in dem sich die Flammen spiegelten, mit jeder Sekunde ein schauerlicheres und höllischeres Aussehen gewann.

Als sie eine halbe Meile gefahren waren, stellte Saul den Motor ab. Sie blickten zurück. Die ganze Küstenlinie, bis zur Spitze der Landzunge, war ein Feuermeer. Da die Glut von Klippe zu Klippe rannte und oft gespenstisch hundert Yards übersprang, fingen die trockenen Kiefern nicht eigentlich Feuer, sie explodierten, glühende Asche emporwerfend, wie Zelluloidstücke.

Das Feuer wanderte schnell. Als es dämmerte, schwelte der moosige Boden nur noch, aber der Flammenvorhang war nicht mehr da. Wo vorher ein freundliches grünes Ufer gewesen war, ragten jetzt die traurigen schwarzen Baumleichen zum Himmel.

Wann Alverna im Boot nach vorne gekrochen war und schutzsuchend seine Hand ergriffen hatte, darauf konnte Ralph sich nicht besinnen, aber sie war da, klein, schmutzig und lieb.

Er hörte Joe aus dem Faltboot herüberrufen:

»Das ist vorbei. Gehen wir ans Ufer und kochen wir uns Tee.«

Und Joe stellte sich auf, auf die Kante des flachen Bootes – ziemlich gefährlich, dachte Ralph. Ganz allmählich, so langsam, daß Ralph es gar nicht glauben konnte, kippte das Boot um, und Joe verschwand in den Wellen.

Sie sahen ihn untergehen. Als er wieder heraufkam, das Wasser aus den Nasenlöchern prustete und seinen zerzausten Kopf beutelte, war er dreißig Fuß entfernt. War er unter Wasser geschwommen? Er ging noch einmal unter, kam wieder hoch, schwamm auf das Boot zu und klammerte sich am Rand an.

Als Ralph und Alverna sich vorbeugten, um ihn hereinzuziehen, sagte er:

»Eine Minute noch. Ralph, das ist 'ne komische Sache – was für ein Narr man sein kann. Ich könnte wetten, daß Sie mich auslachen werden. Ich wollte nicht wieder raufkommen, jetzt, nachdem ich euch aus dem Feuer herausgeholfen hab'. Ich wollte den Weg freimachen für euch. Ich dachte, ich könnte unter Wasser bleiben, aber es hat mir in der Nase weh getan« – rührend – »und das Wasser war so verdammt kalt! Ich hab' wieder versagt – immer versag' ich. Aber ich kann's noch tun. Wenn ihr wollt, daß ich reinkomm', müßt ihr's sagen. Das ist eure letzte Gelegenheit, mich loszuwerden!«

Sein Kopf, der gerade über den schwankenden Schandeckel emporragte, war der Kopf eines erledigten Mannes, und die Augen, die früher in so heller blauer Flamme geblitzt hatten, waren jetzt gerötet und wahnsinnig.

»Habe ich das diesem guten Mann angetan?« marterte sich Ralph. »Habe ich mich in sein Leben gedrängt, um ihm dann so weh zu tun? Wie ich mich hasse – und sie liebe!«

Dann schrie er wie ein Verrückter: »Joe, wenn Sie untergehen, spring' ich Ihnen nach!«

Alverna machte der Tragödie mit kühler, schneller Vernunft ein Ende.

»Joe Easter, du hörst jetzt auf, dich wie ein Narr zu benehmen! Kriech jetzt hier herein, sofort, oder du erkältest dich zu Tode. Ach, halt den Mund! Und du auch, Ralph! Hier, gib ihm die Hand. Rüber mit dem Fuß Joe, vorwärts

Und als Joe wie ein begossener Pudel im Boot war: »Das sind ja nette Sachen! Setz dich nicht aufs Mehl, Joe, du machst es naß! Schlag diese Decke um dich. Tu, was ich dir sage! Und jetzt hört mich an, ihr zwei dummen Bälger! … Herr Gott, was für Kinder doch alle Männer sind! Helden spielen wollen oder irgendeinen anderen Blödsinn … Und jetzt wird nicht mehr darüber geredet. Von hier bis Winnipeg wird über die Ernte gesprochen. Und damit ist Schluß, versteht ihr?!«

Sie sprachen von der Ernte – ein unsicherer Joe und ein demütiger Ralph. Aber es war nicht Schluß damit.


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