Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Frühjahr 1916, als sie seit fünf Jahren verheiratet waren, kam es dazu, daß Myron so stolz wurde wie noch nie in seinem Leben, so stolz und so groß und so aufgeregt. Effie May teilte ihm mit, daß sie ein Kind erwarte!
Da sie gesund, wenn auch vielleicht etwas zu wohlgenährt war, hatte sie nichts außergewöhnlich Schweres durchzumachen und gebar im Frühjahr 1917 einen acht Pfund schweren, kräftigen und außerordentlich hübschen Sohn – was nichts anderes bedeutete, als daß er schon im ersten Monat als menschliches Wesen zu erkennen war. Von nun an kam zu jedem Gedanken, den Myron an seinen Vollkommenen Gasthof wandte, noch ein zweiter Gedanke an die Zukunft, in der er mit seinem Sohn jagen und fischen gehen und Reisen machen würde.
Das Kind wurde, mehr oder weniger nach Luciano Mora, auf den Namen Luke getauft.
Vor der Geburt zeigte Myron, wie er es nannte, »den Herrn«, und bestand darauf, daß sie eine Wohnung haben müßten, die mehr Heim sei als ein Appartement in einem Hotel … Wie er das mit seinen Inseraten in Einklang brachte, die besagten: »Ein Appartement im Luxuriösen Westward Ho wird Alle Ihre Haushaltsprobleme Lösen – Und Ist Es ein Vergnügen, für Sie Dienstboten Einzustellen und an die Luft zu setzen!« – wie er diese beiden Äußerungen miteinander in Einklang brachte, erklärte er sich niemals, ja er versuchte es nicht einmal.
Effie May sagte, sie sei »nicht – ganz – sicher – es ist so bequem in der Stadt zu wohnen.« Myron hatte genug Sicherheit auch für sie. »Ich will auf keinen Fall haben, daß aus unserem Kleinen eines von diesen entsetzlichen lockenköpfigen Hotelkindern wird, die in den Korridoren brüllen und das Personal kujonieren und sich vor Fremden produzieren«, erklärte er, ohne auch nur im geringsten zu merken, daß darin ein ketzerischer Verstoß gegen sein Glaubensbekenntnis als eingeschworener Hotelier lag.
Sie fanden und mieteten in Mount Vernon, nicht allzu weit vom Bahnhof abgelegen, ein Häuschen mit sieben Zimmern, zu dem ein kleiner Garten gehörte. Sobald es wirklich ihm gehörte, sein eigenes Haus, zumindest für die Dauer eines Jahres, war, fand Myron, es sei zauberhaft privat. Seine weißen Holzpfeiler, das Dach aus grüner Schindelimitation, der kurze Weg aus bunten Steinstückchen, der Kamin aus gelbem Backstein, das Klavier, die verglasten Einheitsbücherschränke und die großen Standaschenbecher waren offenbar etwas ganz anderes als das, was es in sämtlichen anderen Häusern der Provinz Westchester, vielleicht ganz Amerikas, gab.
Die schon etwas eher von Zweifeln geplagte Effie fand, als die Nachbarinnen zu ihr kamen, um sich davon zu überzeugen, ob sie in puncto Frömmigkeit und Bridge ganz korrekt sei, das Häuschen wenigstens wunderbar. »Ach, jetzt haben wir die netten Seiten von New York und die von Black Thread zusammen!« rief sie öfters ganz ehrfürchtig aus. »Ich kann hineinfahren, um ins Theater zu gehen oder Bertha aufzusuchen, und trotzdem hab ich einen Garten und Ruhe für den Jungen, und so feine Nachbarn, die ich besuchen kann – ganz erstklassige Leute – viele von ihnen trinken fast jeden Nachmittag Tee, und sie spielen richtiges Bridge, um Geld!«
Myron liebte den Frieden da draußen – so viel er eben davon hatte. Oft konnte er nicht vor Mitternacht nach Hause kommen; oft mußte er schon vor sieben Uhr morgens fort. Aber es bereitete ihm große Freude, Effie May und Luke in dem winzigen Gärtchen zu sehen. Wenn manche von seinen Nachbarn ihm zu verstehen gaben, daß er als Hotelmann in der Lage sein müßte, ihnen muntere, aber nicht kostspielige Damen und kräftigen, aber nicht teuren Alkohol nachzuweisen, ärgerte er sich nur mehr ein bißchen, so gewohnt war er schon diese Auffassung.
In der Einsamkeit der Mengen im Zug hatte er nun Muße, in seinem neuesten Notizbuch Pläne für seinen Vollkommenen Gasthof zu machen. Während des Krieges, als er in der Intendantur Dienst tat, freute er sich an dieser gefährlichen Arbeit, weil sie es ihm ermöglichte, jeden Abend und den ganzen Sonntag zu Hause zu verbringen. Als die Kampfhandlungen, wenigstens theoretisch, beendet waren, nahm er seine reguläre Arbeit als erster Assistent Mark Elphinstones wieder auf, und nun konnte er wieder nur zu ganz unregelmäßigen Zeiten daheim sein bei Effie und dem wundersamen Luke, der kein langweiliger Dummkopf war wie er selbst in seiner Kindheit, sondern schon als Eineinhalbjähriger »Pa!« sagen konnte.
Er sparte ununterbrochen Geld und legte es größtenteils auf Grund sorgfältiger Erkundigungen in Hotelaktien an. Das Anwachsen dieser Summe war für ihn stets verknüpft mit Effie, Luke und dem Vollkommenen Gasthof.
Er versäumte niemals seinen Zug in die Stadt, aber man sah ihn auch niemals sich beeilen … Während Ora noch in seinem Dachstübchen lag und von Mägdlein in Poictesme träumte, saß in der behaglichen Raucheratmosphäre eines Abteils im Vorortzug, der durch den schwärzlichen, von den Rauchschwaden der Fabrikschornsteine durchzogenen Nebel ratterte, Myron: ein großer Mann mit ziemlich ausdruckslosem Gesicht, ein typischer, langweiliger Wirtschaftskapitän, der in einem kleinen Terminkalender kleine Geschäftsnotizen machte.