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Das Hotel Westward Ho war in den Augen Myron Weagles ein Palast. Das Westward, wie es von seinen Stammgästen genannt wurde, hatte sechshundertfünfzig Zimmer und gehörte im Jahr 1905 zu den sechs größten Hotels der Welt. Es war neu, im Jahre 1900 erbaut, und konnte sich nicht nur byzantinischer, maurischer und gotischer Architektur rühmen, sondern auch der amerikanischen Zimmertelephone, Fahrstühle und Fernschreiber.
Bevor sich Myron bei Mark Elphinstone meldete – im Westward waren die Büros des ganzen Elphinstone-Konzerns untergebracht – blieb er stehen, um vor der Fassade der neuen Kathedrale, in der er Altardienste tun sollte, eine Andacht abzuhalten. Es waren vierzehn Stockwerke aus braunem Sandstein, angenehm belebt von Balkons, grauen Marmormedaillons und rosa Marmorsäulchen; alles strebte empor zu Minaretts aus patiniertem Kupfer und großen maurischen Ziegeltürmen, die die Form von sechseckigen Birnen hatten. Die größte Pracht des Gebäudes war der Haupteingang: das goldene Portal, dessen Wölbung von echten roten Porphyrpilastern aus Syrien getragen war und überschattet wurde von dem bis zur Wagenanfahrt führenden Dach aus Glas und vergoldetem Eisen. Die Halle war zwei Stockwerke hoch, der Fußboden aus rosa Marmor, die Wände waren bekleidet mit gelbem Marmor, die Decke getragen von Säulen aus rosa, gelbem, grünem und schwarzem Marmor. Oberhalb der Wandverkleidung lief ein Fries (gemalt von einer der besten New-Yorker Firmen geschäftstüchtiger Maler), der die Entwicklung New Yorks zeigte, von seinen holländischen Anfängen über die englischen, irischen und jüdischen Einflüsse bis zum Dominieren der Italiener: ein prächtiges und lebendiges Stimulans für den amerikanischen Patriotismus. Die Fahrstühle waren aus Bronze – sie hatten einige Ähnlichkeit mit Miniaturausgaben der Portale von St. Peter. Der Café- und Barraum an der einen Seite der Halle war mit grünem Marmor eingefaßt und strotzte von Wandteppichen, Silberplaketten, geschnitzten Eichenschreibtischen und geschnitzten Elfenbein-Schachfiguren unter Glas; die Decke war aus geschnitzter Eiche, Tische mit Onyxplatten standen da, Tische aus indischer, flämischer und englischer Eiche und französische eiserne Boulevardtische; an den Wänden Sportdrucke, eine vergoldete Harfe, von der ein Seidenschal herabhing, ein Porträt Mark Elphinstones, drapiert mit einer Schärpe der Shriner-Loge, eine Photographie des berühmten Oscar vom Waldorf, mit der Inschrift »Für meinen Freund M. E.«, Ledersessel mit Quasten, gebogene Eichenstühle, vergoldete Bambusrohrstühle; und Lampen – ein wahres Pracht- und Wunderwerk von Lampen – von der Decke herunterhängende Büschel von Lampen, Lampen, die aus fliederfarbenen Glaslilien heraussahen, Lampen, die in einem gewaltigen Hufeisen an der Wand angeordnet waren, Lampen und Lampen und Lampen hinter dem Glasgeschirr, das in märchenhaften Stalagmiten hinter der Bar aufgestapelt war.
»Du grundgütiger Gott, was für ein Raum! Aber – das ist – das ist ja wie der Palast von König Eduard!« sagte Myron.
Aber Myron hatte erst gesehen, was jeder Gast sehen konnte. Das wahre Heiligtum war die Welt hinter den mit grünem Fries ausgeschlagenen Türen an den Enden der Korridore; die Welt der wahren Hotelschöpfer – der Maschinenraum, der groß genug war, eine ganze Stadt zu beleuchten und zu beheizen, die Werkstätten der Tapezierer, Zimmerleute und Installateure, Tausende von Bettlaken, Tischtüchern, Silber-, Glas- und Porzellanservicen, Berge von Briefpapier und Rapportformularen, Detektive, Zahlmeister, Schneider, Drucker, Musiker, Blumenzüchter, Köche, Mädchen, die den ganzen Tag nichts anderes taten als Salate zubereiten, Männer, die nichts taten als Austern und Muscheln öffnen, gardes mangers, die nichts taten als kalte Fleischgerichte zubereiten und Verwendung für Überreste finden, Lagerhaltergehilfen, die alles von fünf Zentnern Zucker bis zu einem Flacon Rosenwasser empfingen (und den ungeduldigen Köchen nur auf schriftliche Aufträge hin aushändigten); und die ganze Bürowelt: Buchhalter, Revisoren, Telephonmädchen, Fernschreiberoperateure und alle die anderen Arbeiter, die der Gast nur selten zu Gesicht bekommt: für ihn besteht das Personal eines Hotels nur aus Portiers, Pagen, Fahrstuhlboys, Kellnern und dem freundlichen Zigarrenverkäufer.
Dem ganzen großen Hotel stand es bevor, im Jahre 1929 als veraltet niedergerissen zu werden.
Und schon viel früher, im Jahre 1911, sollte Myron als zweiter Direktor einer der königlichen Prinzen des Westward sein und es mit einer gewissen liebevollen Geringschätzung als armselige Bude betrachten im Vergleich zu dem neuen Plaza und dem Ritz-Carlton, das, eben im Bau befindlich, wirklich das Allerletzte an modernem Hotel werden sollte!
Mark Elphinstone hatte in einem Kästchen einen der verhältnismäßig echtesten garantiert echten Degen Napoleon Bonapartes in seinem tulpenholzgetäfelten Privatkontor.
Elphinstone blickte über die weite Ebene seines Schreibtisches zu Myron hinüber und zirpte: »Wollen Sie noch immer ein großes Tier in der Hotelbranche werden?«
»Ja.«
»Wollen Sie alles lernen?«
»Ja.«
»Na, ich glaube, dann werden Sie noch einmal ganz von unten anfangen – als Mitfahrer, dann vielleicht Hausdiener, vielleicht Eiscream-Hersteller oder sogar Geschirrwäscher in der Küche und dann können Sie eine Zeitlang im Maschinenraum Kohlen schaufeln – –«
»Nein.«
»Nein. Das alles hab ich so ziemlich schon gemacht. Ich bin jetzt Leitender. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, und es hat gar keinen Sinn, Zeit zu vergeuden.«
»Ach, hat gar keinen Sinn, was? Was haben Sie für diesen Sommer vor? Was wollen Sie tun, wenn Sie meinen Rat nicht befolgen, Weagle?«
»Das werd ich erst wissen, wenn ich ernsthaft mit Ihnen gesprochen habe! Dieses Vergnügen haben Sie mir vor sechs Monaten versprochen, Mr. Elphinstone!«
Der Napoleon in Lackschuhen lachte. »Sie werden erwachsen. Erwachsen. Sie können vielleicht wirklich einmal von Nutzen für mich sein! Also schön. Fangen Sie als Tagesportier an.«
Tagesportier. Zweiter Kassierer. Erster Kassierer. Plötzliche Versetzung in eine andere Abteilung, und erster Lagerhalter, dann zweiter Restaurant- und Bankettgeschäftsführer – eine Art industrialisierten Maître d'Hôtels mit dem Rang eines zweiten Hotel-Direktors. Innerhalb dieser Zeit, nach den Dienststunden, zwei Jahre Abendkurse an der New-Yorker Handelshochschule und ernsthaftes Erlernen der Buchführung. Eine Reise zur Besichtigung sämtlicher Elphinstone-Hotels und -Restaurants, und hierauf das Ersinnen und Durchführen der ersten wissenschaftlichen Systematisierung des Unkostenkontos im Speisenumsatz.
Das neue System brachte in verschiedenen Einheiten des Konzerns eine Steigerung der Küchenprofite von fünf bis dreißig Prozent. Napoleon war zufrieden und ließ an einem Märztag des Jahres 1911 Myron, der einunddreißig Jahre alt war, zu sich kommen.
Im Büro war alles wie früher, und die beiden Männer kamen einander, da sie in den sechs Jahren, die vergangen waren, seitdem Myron zum erstenmal vor den alten Eber in Westward getreten war, fast täglich zusammen gewesen waren, völlig unverändert vor. Aber Elphinstone hatte ein fahles Gesicht und schnaufte bei jeder Bewegung, während Myrons dünner gewordenes Haar eine Glätte, seine Kleider einen Sitz und seine Stirn Sorgenfalten hatten, die an dem etwas ländlich aussehenden, ernsthaften jungen Mann bei seiner Ankunft aus Tippecanoe in Florida nicht zu entdecken gewesen waren.
»Sie sind ganz tüchtig gewesen, Myron«, sagte Elphinstone. »Andere Hotels machen unser Speisenkonto-System nach. Na, so geht's eben. Jetzt bekommen Sie eine neue Arbeit.«
»Ja. Wieder Mitfahrer.«
»Das würde Ihnen gar nicht schaden! Nicht im mindesten! Sie bilden sich wie alle meine jungen Leute ein, daß Sie den ganzen Laden jetzt allein schmeißen können. Alles allein schmeißen. Na, vielleicht könnten Sie's wirklich. Wollte Gott, daß Sie's könnten! Ich bin müde! Ich bin zweiundsechzig. Seit fünfundvierzig Jahren bin ich in der Hotelbranche. Ich glaube, ich hab wohl für dreihunderttausend verschiedene Menschen Schlafgelegenheit und Essen geliefert. Und alles, was ich davon habe, ist die Bestätigung meines Argwohns, daß alle meine Kellner die Cocktail-Reste beim Abservieren austrinken und daß alle meine Buchhalter mich für einen alten Idioten halten, der nicht eine Zahlenreihe addieren kann – was völlig richtig ist. Aber ich habe Sie nicht kommen lassen, mein Junge, um mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. Sie sollen von jetzt an erster Einkäufer für den ganzen Konzern sein. Ich erwarte von Ihnen die Einführung neuer Methoden. Schmeißen Sie jeden Ökonomen, jede Haushälterin und jeden Chefingenieur hinaus, der sich nicht den neuen Einkaufsmethoden fügt. Reduzieren Sie die Kosten, mein Junge, reduzieren Sie die Kosten, reduzieren Sie die entsetzlichen Kosten. Guten Morgen. Ich werde ein Memorandum Ihrer Pflichten diktieren und Sie schriftlich dazu autorisieren, daß Sie jedem, der bei seiner Arbeit singt, zu Leibe gehen und ihm die Hölle heiß machen, die Hölle heiß, ja, ganz verflucht heiß, guten Morgen!«
Abgesehen davon, daß er sich noch mehr abgerackert fühlte als sonst, war Myrons Hauptsorge jetzt die Tatsache, daß er einen um so hartnäckigeren Feind an Carlos Jaynes hatte, je besser seine Speisenkonto-Systeme wurden.
Carlos Jaynes war Restaurant- und Bankettgeschäftsführer im Westward gewesen und leitete jetzt die Restaurants im Elphinstone-Konzern. Er war ein kalter, ungeduldiger, hübscher, unangenehmer, unerfreulich tüchtiger Mann von fünfunddreißig Jahren; einer der wenigen College-Absolventen, die es damals schon im Elphinstone-Trust gab, und von eben solchem Ehrgeiz besessen wie die Königin Elisabeth, der er, abgesehen von dem roten Haar und vom Geschlecht, in allem glich. Er hatte an Myrons Systemen scharfe und nützliche Kritik geübt. Zuerst hatte den gutmütigen Myron der offensichtliche Haß Carlos Jaynes' bekümmert; später aber gab es seiner Arbeit eine lebendigere, dramatische Note, daß er nicht bloß ein sich vergnügt drehender Maschinenteil war, sondern ein menschliches Wesen inmitten einer Fehde, in der die Elphinstone-Angestellten sich hinter Myron und hinter Jaynes sammelten, während sie alle ausnahmslos zu Mark Elphinstone und seiner königlichen Macht über Leben und Tod emporblickten.
Myron war müde.
Es erfrischte ihn nicht gerade, daß er gerade in dieser Woche, in der er sich damit abmühte, aus allen seinen Ideen für die Reorganisation des Einkaufswesens einen Plan zusammenzuschweißen, Ora wieder aus Schwierigkeiten heraushelfen mußte.
Ora war, nach dem literarischen Erfolg und finanziellen Fehlschlag seines Romans Schwarzer Schlummer, nachdem er einige Male Memoiren anderer Leute und etliche Geschichten geschrieben, und nachdem er einen Führer nach Kanada produziert hatte, der ihn zwei ganze Wochen mit Reisen, zwei weitere mit Nachsuchen in der Bibliothek und drei Wochen mit wirklichem Schreiben in Anspruch nahm, zum Redakteur eines Magazins gemacht und vor kurzem wieder entlassen worden, weil er Geschichten von sich selbst unter sechs verschiedenen Namen gekauft hatte. Er machte eine Alkoholreise, die das Gespräch der ganzen Sixth Avenue wurde, und Myron löste ihn schnell aus dem Gefängnis aus, sorgte dafür, daß er nüchtern wurde, badete und sich rasierte, lieh ihm wieder einmal hundert Dollar, hörte sich seine Spottreden an – Ora brachte in passender Weise den Namen von Horatio Alger an – und besorgte ihm eine Stellung bei dem Pressechef eines Theaterunternehmens.
Aber die Sorgen um Ora waren, verglichen mit seiner anderen Arbeit, geradezu bunt und aufmunternd. Myron dachte, er werde reif für eine Influenza, und in diesem reizbaren, schlechten Zustand fiel ihm einigermaßen zu seiner Überraschung ein, daß er in seinem ganzen Leben seit seinem siebenten Lebensjahr – das war jetzt mehr als vierundzwanzig Jahre her – noch kein einziges Mal ausruhsame Ferien gehabt hatte.
O ja, er liebte seinen Beruf; er war stolz darauf, ihn zu meistern, einer der wenigen Hotelleute zu sein, die ihren Beruf durch neue Methoden tatsächlich änderten. Aber es hatte so viele Details gegeben, es ging so viele Jahre schon so. Jeder neue Gast, der an einem neuen Tag in irgendeinem der Elphinstone-Hotels ankam, war ein neues Problem, und es gab so viele Hotels, so viele Gäste, so viele Tage, so viele Jahre, so viele Einzelheiten – –
Er hatte eine große Freude, als Elphinstones Sekretär ihm zuflüsterte, er glaube, der Alte denke in seiner verschlossenen Weise daran, Myron zum Vizepräsidenten des ganzen Konzerns zu befördern, womit die Chance verbunden war, daß Myron in weiteren zehn bis zwölf Jahren wirklich Elphinstones Nachfolger werden konnte, wenn Carlos Jaynes ihm nicht zuvorkam.
Es begeisterte ihn. Und er erklärte sich mit aller Festigkeit, daß er auch begeistert bleiben werde. Aber das war nicht leicht, während ihm Dinge zu schaffen machten, wie »Richtlinien für Handtuchdrell-Aufstellungen: Gewichtsprobe pro Quadratmeter, Feinheitsgrad, Bruchkraft, Kette und Einschlag, Fadenzahl pro Zentimeter, Faser« oder »Richtlinien für Schlüsselmarken: Größe, Gewicht, Schrift, Postalisches, Leserlichkeit, Bemerkungen.«
So viele Details, so viele Jahre in der überhitzten Luft dumpfiger Hotelbüros, Hallen, Flure und Küchen.
Mr. Jewett, die Dame hier hat eine Brieftasche in Palmcourt vergessen, möchten Sie – –
Ich bedauere sehr, ich würde mit größtem Vergnügen den Scheck annehmen, aber wir haben eine Vorschrift, die uns dazu zwingt, Schecks nur von – –
Ich möchte, daß Sie sowohl ungesalzene wie gesalzene Butter bei derselben Tischgruppe ausprobieren und mir dann einen detaillierten Bericht darüber geben, wie – –
Wenn die Tische, auf denen in den Zimmern serviert wird, immer wieder die Teppichnähte aufreißen, müßte es eine Ersparnis bedeuten, sie auf Rädchen zu stellen, die nicht weniger als fünfzehn Zentimeter Durchmesser – –
(Das mußte Influenza sein. Der Kopf tat ihm so weh.)
Die Erfahrung hat nicht gelehrt, daß man in Cafeterias weniger Angestellte braucht als in Lunchräumen, und der überflüssige Platz hinter dem Barraum würde – –
Mr. Exington, ich habe sehr viel Geduld gehabt, aber wenn die Frau nicht innerhalb von zehn Minuten aus Ihrem Zimmer verschwunden ist, werde ich selbst mit dem Hauspolizisten hinaufkommen und – –
Sehr verehrte gnädige Frau, Ihre geschätzte Mitteilung vom 16. cr. in Händen, erlauben wir uns, Ihnen mitzuteilen, daß es uns ein Vergnügen sein wird, Ihnen Zimmer mit Bad zu reservieren – ohne Bad – zu unseren niedrigsten Preisen – zu Spezialpreisen – mit Bad – mit Südlage – in der Nähe der Feuerleiter – nicht in der Nähe der Fahrstühle – mit Privatbad – zu unserem niedrigsten Preis – es ist uns ein Vergnügen zu reservieren, eine Freude zu reservieren, ein besonderes Vergnügen zu reservieren, eine große Ehre zu reservieren – Sie sind der einzige Gast, der jemals Preisermäßigung gewünscht hat – wir gewähren mit der größten Freude Preisermäßigungen – wir wissen Ihre Kundschaft zu schätzen – mit Bad – ohne Bad – zu niedrigsten Preisen – –
Aber nein, Mr. Bobbable, ich glaube, den hab ich noch nie gehört; wirklich kolossal witzig; aber nein, tatsächlich – unser Theaterbüro ist abends geschlossen, aber es wird mir ein Vergnügen sein, selbst zu telephonieren und Plätze zu bestellen – zwei Orchesterfauteuils? – mit Bad? – ohne Bad? – alle Plätze haben Bad, sechshundertfünfzig Plätze, sechshundertfünfzig Badezimmer, unübertroffene Küche, eineinhalb Bäder für eineinhalb Dollar – –
Ja, gewiß, Mrs. Javelain, ich werde mit dem Installateur über die Geräusche in Ihrer Heizung sprechen; ich bedauere außerordentlich, daß Sie gestört worden sind, und ich hoffe, es wird nicht wieder vorkommen – –
Zu den günstigsten Preisen. Mit Bad, oh, aber gewiß, Mr. Smith, Mrs. Smith, Mr. Smith jr., wir werden tun, was in unseren Kräften – –
Im Gegensatz zu Entrées gehören zu Austern mindestens zweihundertfünfzig an allgemeinen Unkosten, ohne Regie, pro Kopf, oder – –
Wenn Sie es mit Chippendale-Möbeln einrichten, könnten Sie dieses schwerfällige Hotel-Aussehen vermeiden – –
Auch wenn Sie Ihr Budget strecken, müssen Sie das Ausfugen des Mauerwerks einkalkulieren, und die Ventile müssen frisch gefüttert werden – –
Ja, gewiß, das Bridge-Tournier der Flushinger Damen-Liga am St. Patricks-Tag ist eine der auserlesensten Veranstaltungen, die wir jemals im Carcassonne-Saal hatten, und die Blocks mit den Deckeln in Form vierblätterigen Klees aus Pappe waren so ziemlich das Originellste und – –
Meine Herren, der Gedanke, den ich Ihnen allen vom Personal heute als Resultat dieser Konferenz mitgeben möchte, ist, daß dieses Hotel wie ein dreibeiniger Schemel ist – –
Ja, Miss Heatherington, bei einem Preis von sieben Dollar pro Kopf können wir jedem Ihrer Gäste eine Flasche Rauenthaler Auslese servieren mit oder ohne Bad zu niedrigsten Preisen mit Südlage in der Nähe der Feuerleiter nicht in der Nähe der Fahrstühle zu Spezialpreisen monatlich mit oder ohne Bad – –
»Ach mein Gott!« stöhnte Myron, dem der Schädel zersprang.
»Influenza« ist eines jener Kautschukworte, mit denen alles bezeichnet wird, wofür man keinen besseren Namen weiß. Es ist für Ärzte dasselbe, was die Kautschukworte »Idealismus« und »Patriotismus« für Politiker sind, »Tugend« für Moralisten, »Realistik« und »Satire« für Kritiker, »Hysterie« für Ehemänner.
Myron hatte wahrscheinlich wirklich Influenza, außerdem hatte er jahrelang allzu angespannt gearbeitet, zu wenig Sonnenschein und Bewegung gehabt, zu unregelmäßig gegessen und nicht ein einziges Mal im Laufe von fünfzehn Jahren mehr als sieben Stunden hintereinander geschlafen. Als er zusammenklappte, legte ihn der Hotelarzt für zwei Wochen ins Bett. Seine Nase lief, seine Schläfen schmerzten, seine Augen waren heiß, und er fühlte sich schandbar schwach, aber trotzdem war es ihm ganz angenehm, zum erstenmal gepflegt zu werden und nicht die Verantwortung tragen zu müssen.
Er hatte Zeit zu denken – sogar an noch andere Dinge zu denken als an den Kostenunterschied zwischen Bettwäsche mit und ohne eingewebten Hotelnamen.
Warum habe ich eigentlich so schwer und so lang und so eintönig gearbeitet? Warum habe ich, obwohl ich jung und stark und ohne Anhang bin, es eigentlich versäumt, fremde Länder zu sehen, mehr Frauen zu lieben, mehr Bücher zu lesen, die nicht gerade die Vorteile der Ölheizung vor der Kohlenheizung auseinandersetzen, warum habe ich nicht geangelt, geritten, malen gelernt?
Er glaubte sehr gründlich zu sein. Wenn er seinen Urlaub nicht im Jahre 1911 bekommen hätte, sondern nach dem Weltkrieg, als es Mode wurde, desillusioniert und revolutionär zu sein, wäre er vielleicht zu dem Schluß gekommen, daß seine Arbeit, zusammen mit Glaube, Hoffnung und Liebe, mit Technik, zeitgenössischer Kunst und der Regierung müßig gewesen sei. Aber er konnte nichts von dem puritanischen Schuldbewußtsein spüren, das junge Sozialisten und Anarchisten bedeutend mehr plagt als presbyterianische Kirchenälteste. Sein Beruf hatte ihm Freude gemacht! Es hatte ihn gefreut, bessere Schlafzimmer zu niedrigeren Preisen zu liefern. Es hatte ihm Freude gemacht, mit anderen energischen jungen Leuten zu konkurrieren. Er gestand sich ein, daß sein Werdegang nichts Bemerkenswertes zur Vervollkommnung der Welt beigetragen hatte. Aber das glaubte er vom Werdegang keines Menschen sagen zu können, möglicherweise, aber auch nur möglicherweise mit Ausnahme Shakespeares, Goethes, Edisons, Rembrandts und Paul Ehrlichs.
Er gab seine Bemühungen auf, dieser Freizeit einen kärglichen Nutzen abzugewinnen, indem er sich mit Gedanken über seine Seele abquälte. Wenn er sich überhaupt quälte, so deshalb, weil er sich anscheinend nicht quälen konnte. Er beneidete Ora, der, schon nach wenigen Tropfen Alkohol, sich weiß Gott wie abzuquälen anfangen konnte.
»Ich bin ein zufriedener, gemütlicher, mechanischer, ganz gewöhnlicher Lebensmittelhändler. Aber es macht mir Spaß!« klagte er ganz gerührt von dem Bild eines Menschen, der es nicht zuwege brachte, modern und melancholisch zu sein.
In diesen vierzehn Tagen, die er im Bett, und noch einer weiteren Woche, die er im Krankensessel verbrachte, hatte er wirklich Zeit, seine Freunde zu sehen, vor allem Alec Monlux, den ehemaligen Direktor des Pierre Ronsard. Alec war jetzt Direktor des St. Casimir, eines großen, langweiligen Wohnhotels in der Nähe der Riverside Drive. Wenn überhaupt jemals ein kleiner Unterschied zwischen ihnen als Chef und Untergebenem bestanden hatte, so war er jetzt verschwunden; Alec sah mit Vergnügen in Myron einen Neuerer im Hotelwesen, während er selbst, wie er sagte, nichts anderes war als »einfach ein gehobener Pensionswirt für einen Haufen alte Weiber, die mehr Geld und Foxterriers haben als Verstand«. Alec war in seinen Aufmerksamkeiten für den kranken Myron zarter als eine Frau und brachte ihm die scheußlichsten Geschenke mit – ein hübsches Buch mit zotigen Versen, eine Flasche Piper Heidsieck, ein Geduldspiel, bei dem man (aus Gründen, hinter die der ungeduldige Myron nie kommen konnte) ein Stahlkügelchen durch ein idiotisches Labyrinth aus winzigen Nägeln hindurchtreiben mußte, eine Schachtel chinesisches Konfekt, von der ein Viertel dazu genügt hätte, Myron in seinem augenblicklichen Zustand umzubringen, und eine überaus interessante Broschüre von John T. Semmelwack vom Prince's Own Hotel in Wabasa, Oklahoma, das den Titel hatte: »Eine Untersuchung der modernen Flugmaschinen oder Aeroplane mit einem autoritativen Bericht über die Leistungen der Brüder Wright, Curtiss', Blériots und Deperdussins und prophetischen Bemerkungen über die künftigen Auswirkungen des allgemeinen Flugwesens auf die Errichtung von Ausflugshotels in heute unzugänglichen Gegenden.«
»Das ist mal wirklich eine Idee«, sagte Myron, während er sein heißes Kissen umdrehte.
»Ja, wirklich – da kann man auf neue Gedanken kommen«, antwortete Alec. Als Alec ging, hatten sie beschlossen, ein großartiges Gasthaus auf dem Gipfel des Mt. Rainier zu eröffnen, das mit Aeroplanen zu erreichen sein sollte. Sie besprachen die Größe des Hauses, die Anzahl der Zimmer, die Preise, die Art der Belieferung mit Milch, Eiern und Austern, die Einrichtung der Halle und die Frage, ob auf der großen Veranda Bambusrohr- oder Korbstühle stehen sollten. Das war der Anfang und auch das Ende des Mt. Rainier House.
Öfter sah Myron Luciano Mora. Es ging das Gerücht, daß Mora, der junge, hochgewachsene, lockenköpfige Italiener, der Sohn eines hervorragenden Hotelbesitzers in Neapel sei, aber ob das nun stimmte oder nicht, jedenfalls hatte er sich vom Hausdiener und Träger zum Leiter der Zimmerbestellabteilung im Westward heraufgearbeitet. Er war ein Student des Hotelwesens von einer Art, die unter geborenen Amerikanern noch in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nur schwer zu finden war. Er hatte in Paris, Baden-Baden, Madrid und im Adelphi in Liverpool gearbeitet; er war nach New York gekommen, um Amerikanisch und die amerikanischen automatisierten Methoden zu lernen, und war schon so weit, daß ihm Maiskolben wirklich schmeckten. Er leugnete nicht, daß er von Omeletts, Cognac und Zimmerkellnern mehr verstand als die meisten anderen im Westward, aber mit der ganzen Glut des Neubekehrten bewunderte und besprach er unaufhörlich die Überlegenheit der amerikanischen Hotels in Matratzen, Vacuum-Cleaners, Expreß-Fahrstühlen, automatisch kontrollierter Zentralheizung und Kaffee.
Myron, der sich ein frommes Dogma aus dem Glauben gemacht hatte, das schlechteste amerikanische Hotel hätte bessere »Bedienung« und mehr »Komfort« als das größte Palasthotel ganz Europas, hatte zu seiner entsetzten Überraschung konstatieren müssen, daß Luciano rascher und geschmeidiger war als Mark Elphinstone selbst, wenn es sich darum handelte, Gäste zu beruhigen, und bei Luciano hatte er eine Bestätigung seines eigenen mystischen Glaubens an den Stolz, den hohen Wert und die Ehre des Hotelführens gefunden.
»Seit sechs Generationen sind meine verschimmelten alten Vorfahren Tavernenwirte in Napoli, und jetzt will ich den alten Hanswürsten einmal zeigen, was ein wirklich gutes Hotel ist«, erklärte Luciano lachend.
Nicht einmal mit Mr. Coram in Torrington, mit Alec Monlux oder mit Elphinstone hatte Myron über das Gastwirtsgewerbe so sprechen können, als wäre es noch etwas mehr als eine ganz interessante Art, sich sein Brot zu verdienen. Aber Luciano war ebenso fanatisch wie er selbst. Myron hatte vor ihm noch keinen Hotelier kennengelernt, der sich nicht, getreu der gut konservierten anglo-amerikanischen Tradition, daß man von seinen Gefühlen nichts zeigen dürfe, in unbestimmter Weise ein wenig geschämt hätte, wenn das Gastwirtsgewerbe als wahrhafte Kunst gepriesen wurde. Jetzt hatte Myron Zeit, und Luciano Mora nahm sie auch in Anspruch; sie unterhielten sich stundenlang begeistert, in einer angenehmen, kindischen Art, die Ähnlichkeit mit dem Gehaben bärtiger Maler in einem Montparnasse-Café hatte.
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Luciano, dessen Englisch selbstverständlich viel besser war als das Myrons, »welche Sprachen für die Halle eines wirklichen internationalen Hotels notwendig sind. Es muß nicht ein einziger Mensch alles sprechen können, aber selbstverständlich muß für jede von ihnen einer da sein, der sie sprechen kann. Eine Zeitlang begnügte ich mich mit Englisch, Italienisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Russisch, Holländisch, Griechisch, Schwedisch, Dänisch-Norwegisch und Ungarisch. Ein Hotel könnte damit auskommen, wenn diese Sprachen gesprochen werden. Aber trotzdem hatte ich in der letzten Zeit das Gefühl, wenn man ein wirklich brauchbares Hotel haben will, müßten Leute verfügbar sein, die auch – das ist die Liste, die ich mir aufgeschrieben habe – Japanisch sprechen, Portugiesisch, das würde auch für Brasilianer genügen, Tschechisch, Arabisch, Kroatisch, Slowenisch, Chinesisch – den Pekinger Dialekt – Hindustani, Finnisch, Rumänisch und Türkisch. Aber ganz ernsthaft, wenn man auch diese Sprachen zur Verfügung hat, muß ich sagen, dann kann ich wirklich nicht einsehen, welche außerdem noch fehlen sollten; was meinen Sie?«
Luciano strahlte jene naive, schutzlose Begeisterung aus, die nur bei gebildeten und wohlerzogenen jungen Europäern zu finden ist, und war dankbar, als Myron langsam sagte: »Nein, ich denke, damit könnte jedes Hotel ganz gut auskommen, obwohl ich glaube, man soll seine Ansprüche nicht zu niedrig stecken!«
»O ja, das ist sehr, sehr richtig!«
»Sagen Sie, Luciano, erinnern Sie sich noch daran, wie wir darüber gesprochen haben, was vorteilhafter ist, Belieferung mit Strom oder eigenes Hotelkraftwerk? Jetzt habe ich wirklich verläßliche Zahlen über die durchschnittlichen Dampfkosten pro Kilowatt – –«
»Ausgezeichnet!«
Mark Elphinstone kam, um sich zu erkundigen.
Irgend etwas war mit dem Alten passiert; er schwätzte nicht mehr und schien, abgesehen von gelegentlichen herrlichen Ausbrüchen schlechter Laune, gleichgültig dagegen zu sein, was mit seinen Hotels geschah. Er pflegte hereinzukommen, zu bellen: »Wie geht's dem Jungchen, wie geht's dem Jungchen – wie lange wollen Sie noch auf meine Kosten Ferien machen, heh, heh?« und in einen Lehnstuhl am Fenster zu sinken, auf die Zickzacklinie des Broadway hinauszublicken, und dann leisteten die beiden Männer einander eine halbe Stunde lang schweigend Gesellschaft. Nachher knurrte er: »Zeitvergeudung – Zeitvergeudung – ich dachte, ihr jungen Lümmel würdet mir etwas von der neuen Kunst beibringen, die ihr Rationalisierung nennt. Huh!« und stapfte hinaus.
Myron glaubte, in diesem dunklen Tal zwischen schimmernden Klippen eifriger Betriebsamkeit einen Bruder gefunden zu haben.
Von Ora erwartete er jetzt nicht viel – obwohl er sich immer wieder ins Gedächtnis rief, daß Ora von den zehn oder zwölf Anleihen, die er bei ihm aufgenommen hatte, wirklich eine zurückgezahlt hatte. Als er seine Sekretärin telephonieren und in dem Büro des Pressechefs, in dem Ora arbeitete, sagen ließ, daß »Mr. Weagle nicht ganz auf dem Posten« wäre und sich freuen würde, wenn »Ihr Mr. Weagle sich für einen Augenblick freimachen und vorbeikommen« könnte, rechnete Myron nicht damit, eine Antwort zu bekommen. Aber Ora erschien noch am selben Abend, und als er seinen Bruder zum erstenmal in seinem Leben in einem Zustand sah, in dem er ihm an Energie und Entschlußkraft unterlegen war, wurde er ganz strahlende Freundlichkeit.
»Ich begreif wirklich nicht, warum du auf der Nase liegen sollst! Du hast doch nichts zu tun, als Zimmerschlüssel auszuhändigen und Geld einzukassieren!« spottete er, aber es war ein freundliches Spotten, und er zog wirklich die Decken herauf – die Myron eben zurückgeworfen hatte, weil es ihm zu heiß war. »Sag mal, Alter, warum hast du mich nicht schon früher in dieses Pressebüro gebracht? Das ist das Lustigste von allem, was ich bis jetzt gemacht habe. Du lieber Himmel, was wir alles machen! Hast du in den heutigen Morgenblättern die Sache von der Verlobung von Lizette Lilydale mit dem Großherzog von Eisbein-Tafelberg gelesen?«
»Ja, ich hab es gesehen.«
»Natürlich hast du's gesehen. Das ist eine Sache! Natürlich hat sie Seine Großmächtige Hoheit nie in ihrem Leben gesehen, aber warum soll man nicht kleine – –«
»Du meinst, es ist Schwindel? Na, ich weiß wirklich nicht, ob ich das so schön finde, Ora.«
»Na was denn, zum Teufel! Sei doch nicht blöd! Ihr zeigt Einzelzimmer mit Bad hier im Hotel für drei Dollar an. Habt ihr eins?«
»Also – – Ja, wir haben eins!«
»Wer wohnt da?«
»Ach – irgend jemand.«
»Das ganze Jahr?«
»Und habt ihr noch nie frische Erbsen aus einer Konservenbüchse geholt?«
»Genau genommen, nicht – wir nennen sie dann ›grüne Erbsen‹, nicht ›frische‹.«
»Oh, wie überaus skrupelhaft, Mr. Pickwick.«
»Na, ich glaube, du hast gewonnen, Ora.«
»Hör mal, wenn der Doktor dich aufstehen läßt, dann fahr doch ein bißchen weg.«
»Ach, das würde nicht gehen. Ich muß sofort wieder an die Arbeit – – –«
»Warum? Glaubst du, die ›Hotelwelt‹, wie du immer sagst, wird nicht imstande sein, ohne dich auszukommen? Die Gäste werden auf der Straße schlafen müssen?«
»Nein, aber – –« Voll Stolz: »Sie brauchen mich. Ich bin dabei, ein ganz neues Einkaufssystem für den ganzen Konzern zu organisieren.«
»Das ist aber fein! Es macht mir wirklich Spaß zuzusehen, wie du dich selbst an der Nase herumführst, Myron! Du hast wirklich Freude an der Arbeit, und deshalb machst du nichts anderes. Du flüchtest dich in sie. Du hast Angst vor einem Erlebnis, du hast Angst davor, irgendeiner ungewohnten Situation entgegenzutreten, und deshalb mauerst du dich mit einer Menge von Buchhaltungsformularen und Inspektionsberichten ein. Und außerdem hast du noch dein besonderes Vergnügen daran, dir besser vorzukommen als wir faulen Hunde, weil du meinst, daß du fleißiger bist, während du einfach schüchterner bist. Warum läßt du nicht mal deinen Hotelschreibtisch los und versuchst zu schwimmen? Spring auf ein Schiff und fahr nach Afrika.«
»Ach, das ist ja alles Blödsinn!« antwortete Myron schwächlich.
Er war aber gar nicht so sicher, daß das alles Blödsinn sei.
»Na, es geht mich ja nichts an. Weiß der Himmel, warum ich meine Nase da reinstecke, Alter. Es tut mir wirklich leid, daß es dich so erwischt hat. Kann ich irgendwas tun, um dich aufzuheitern? Soll ich dir ein paar hübsche Schauspielerinnen von unserem Laden herbringen? Soll ich kommen und dir vorlesen?«
»Ach danke, nein. Ich will bloß Ruhe haben.« Myron war so gerührt, daß er fragte: »Übrigens, mein Junge, wie ist es mit deinen Finanzen?«
»Na ja, ich wollte ja eigentlich nicht davon reden, aber – – Du bist so verflucht anständig zu mir und läßt mir immer so furchtbar lange Zeit mit dem Zurückgeben, aber – –«
Auf ein Schiff springen und nach Afrika fahren? Nein, das wäre zu viel. Aber der Junge hatte recht. Er hatte zu sehr an seiner Arbeit geklebt. Er könnte sich wirklich etwas mehr freie Zeit gönnen und verreisen – – Aber wohin? Und so viel Spaß machte es auch gar nicht, allein zu reisen. Ja, wenn er verheiratet wäre. Gut. Aber es war eben so, daß er anscheinend immer nur Frauen kennenlernte, die entweder Hotelangestellte oder Gäste waren, oder daß er in ihnen eben nichts anderes als Hotelangestellte und Gäste sehen konnte. Was mochte eigentlich aus dieser reizenden Tansy Quill geworden sein? Ora hatte ihm erzählt, daß Tansy vor sechs Jahren, als er aus Florida abreiste, blühend gesund und schön mit jemand verlobt gewesen wäre, mit dem sie nach dem Westen auswandern wollte. Myron hoffte, daß es ihr gut ging. Aber – –
Wohin wollte er reisen? Warum sollte er überhaupt irgendwohin reisen? Was er in dieser Minute am liebsten tun wollte, das war: zurück zu den Plänen des Einkaufssystems für Messerputzmaschinen, Hilfsventile, Buttermesser – –
Buttermesser, Messerbutter, Buttermesser, mit Bad, zu niedrigsten Preisen – –
O Gott, sein Kopf! Nein, er war noch nicht gesund, noch bei weitem nicht. Er mußte fort. Aber wohin?
Mit einemmal wußte er es. Nach Black Thread Center, wo die vertrauten Läden und die freundlichen Bürger waren, wo das kleine American House stand, in dem er angefangen hatte, wo die Felder waren, die im Spätmai, wenn er aus dem Gefängnis seiner Krankheit hinkäme, so lieblich sein würden. Und vor allem war seine Mutter da; er hatte sie seit der Reise nach New York, zu der er sie vor zwei Jahren eingeladen hatte, nicht mehr gesehen. Seinen Vater in Black Thread hatte er schon seit sieben Jahren nicht gesehen. Es würde, wie er sich schüchtern eingestand, ganz nett sein, den Männern zu imponieren, die er als kleine Jungen gekannt hatte – ihnen, wenn sie es unbedingt wissen wollten, zu erzählen, daß er sechstausend Dollar im Jahr und freie Wohnung hatte.
Paradieren, wie ein Zirkusdirektor.
Aber Spaß würde es machen!
Und so beschloß er, aus diesem besten und am wenigsten würdevollen aller Gründe, einen zweiwöchigen Urlaub in Black Thread zu verbringen.
An dem Tag seiner Abreise ließ ihn Mark Elphinstone zu sich kommen, um ihm bellend mitzuteilen, daß er nicht vierzehn Tage, sondern zwei bis drei Monate bezahlten Urlaub nehmen sollte.
»Das ist die einzige Möglichkeit, daß Sie sich wieder ganz erholen. Wenn Sie hier sind, wo ich mich auf Sie stürzen und Ihnen Arbeit aufladen kann, werde ich es tun. Sie werden also mindestens zwei Monate wegbleiben!« kläffte Elphinston.
Und das war, wie Myron sich eingestand, ganz richtig.
Myron musterte seine Garderobe. Sie war recht groß; das mußte im Hotelgewerbe so sein. Fast war sie zu groß, denn er konnte es nie wagen, sich in den Straßen eines spottlustigen Yankee-Dorfs in dem üppigen Gehrock und den gestreiften Hosen zu zeigen, die er als Empfangsherr im Westward zu tragen hatte. Trotzdem kaufte er sich sieben neue, teuere Krawatten, weiße Flanellhosen und weiße Rehlederschuhe, einen maßlos teueren Badeanzug und einen für unklare Zwecke bestimmten Sweater, und es läßt sich beim besten Willen nicht behaupten, daß der Erforscher wissenschaftlicher Einkaufsmethoden sich, als er in die Hände eines hochnäsigen Verkäufers geriet, wissenschaftlicher benahm als irgendein anderer Einfaltspinsel. Er stand bescheiden da, hielt die Krawatte, die der Verkäufer so geschickt gebunden hatte, in der Hand und zirpte: »Ja, doch, die kann ganz nett aussehen.«
Ebenso kaufte er in höchst unwissenschaftlicher Weise einen neuen Schweinslederkoffer.
Und für seine Mutter besorgte er zahllose Strümpfe, Blusen, eingelegte italienische Kästchen, Pelzpelerinen, Atlasschlafröcke und Blechkanister mit importiertem russischem Karawanen-Tee – es war so viel, daß er noch einen Koffer für diese Sachen besorgen mußte. Aber für seinen Vater und den Barmann Jock McCreedy, der als einziger vom alten Personal des American House noch da war, brauchte er nicht viel Packraum: er nahm für die beiden klugerweise nichts anderes mit als je eine Flasche einundvierzig Jahre alten Bourbon-Whisky.
Der Myron, der den Grand Central betrat, war um dreizehn Jahre älter als der Junge, der als Achtzehnjähriger Black Thread verlassen hatte, um nach Torrington zu wandern. Sein Gesicht war viel älter, schmaler, von mehr Linien durchzogen. Aber sein rascher Schritt war eigentlich jünger als der des unbeholfenen Landbewohners, der so zweifelvoll ausgezogen war, die Welt zu erobern. Damals hatte er wie ein plumper Holzknüppel ausgesehen; jetzt war er eine schmale, sichere Klinge.
Er war recht aufgeregt, als sie nach Bridgeport kamen, als er nach Black Thread umstieg, als sie durch ein im Maienglanz daliegendes Tal krochen. Er war Ora dankbar. Er hatte das Gefühl, daß er einem Erlebnis entgegenging, das ihm völlig verborgen war, aber großartiger als alles, was er bisher kennengelernt hatte. Vielleicht war es nichts anderes, als daß er, nachdem er die Buchführung, das Braten von Fischen, die Ausführung von Installationsarbeiten und das Einkaufen von Kissenbezügen gelernt hatte, nun Myron Weagle kennenlernen sollte.