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Weltreise auf Luxusjacht. Viele, bes. Neureiche, zahlen, wenn sie häufen können, nahezu jeden Preis für alles als exklusiv Geltende wie Spezialautomobile für 20 000 Dollar. 7 bis 8 monat. Reise, Kosten 100 000 Dollar pro Person (mindestens 60 000). Rekl. Idee: man kriegt (und soll wirklich kriegen) ganzen Luxus von Milliardärsjacht mit Anschaffungspreis von 15 Millionen & Unterhaltskosten von 50 bis 100 000 im Jahr für Bruchteil davon und ist mit selber Gesellschaftsschicht zusammen. Als Hausherr Graf oder Earl (echt), Hausherrin Fürstin. Lauter Prachträume; vierköpfige Familie mit Zofe, Dienern, Sekretär bekommt 7 Schlafräume, 7 Badezimmer, großen Salon, kleines Wohnzimmer für Dienstboten, Privatspeiseraum, Schreibtisch, eigenen Steward & Stewardess. Preise einschl. Weine und Getränke, alles Wachstum. Küstenexkursionen nicht in Bussen usw. sondern in Rolls-Royces, Führer nicht die üblichen Redemaschinen, von denen man liest, sondern kluge Ansässige, junge Ärzte, Anwälte, Professoren usw., die englisch sprechen und Passagiere in Privathäuser und Proletariergegenden einführen, die gewöhnliche Reisende nie sehen. Große Barkassen mitführen für Fischen, Fahrten in Flüssen, für die J. zu groß usw. J. mindestens 12 000 Tonnen, oder jedenfalls so, daß es größte der Welt ist – gesellschaftliche Ehrensache, mitgefahren zu sein. Höchstens 100?, 80? – Pass. Bester Küchenchef und bestes Essen der Welt, dazu immer Chefs aus dem Land mitnehmen mit eigenen Vorräten – z. B. Hinduchef mit versch. Curryarten von Bombay bis Bangkok, dann abw. Siamese, Chin., Japs usw. Eigene Theatertruppe mitführen, Tanzlehrer, Sprachlehrer, Spezialpostdienst mit Flugzeugen. Schön auszudenken – anderer Leute Geld ausgeben – aber vielleicht einfach höllisch mitzureisen, lauter dicke reiche Ekel, die etwas für ihr Geld verlangen und wünschen, daß Zahlmeister weiß, was für Vermögen sie gemacht haben.

Hin und wieder hatten Myron und Ora in vertraulichen Stunden in einem Café ihren Freunden gegenüber seltsam ähnliche Meinungen über den Einfluß ihres Kindheitsmilieus auf die Entwicklung ihrer Charaktere geäußert.

»Mein Vater«, sagte in solchen Fällen Ora, »war ein schlampiger, fauler, versoffener alter Tunichtgut; meine Mutter verstand außer ihrem Kochen nicht viel und hatte immer zu viel zu tun, um mir sehr viel Aufmerksamkeit zu widmen; die Jungens, die ich kannte, waren eine Blase von schweinigelnden Nichtstuern, die sich immer an die Vagabunden in der Nähe vom Wasserbehälter heranmachten, und ich mußte schon als ganz kleiner Kerl auf eigenen Füßen stehen. Es ist also ganz natürlich, daß ich so etwas wie ein Herumtreiber geworden bin, den Gedanken über seine ›Schulden‹ bei einem Haufen von Krämergeziefer nicht drücken können, und wahrscheinlich neige ich eben dazu, faul zu sein und nicht allzu skrupelhaft in puncto Weiber und Alkohol. Aber ein ausgezeichnetes Resultat hat die Art meines Aufwachsens gehabt. Weil ich so unkonventionell erzogen worden bin, werde ich immer ein Antipuritaner sein. Ich werde nie die Freuden des Fleisches und die Heiligkeit der Schönheit leugnen.«

Und Myron sagte: »Mein Vater war ein Mensch, der so ziemlich alles auf die leichte Achsel nahm und immer gern mit den Jungs einen Tropfen trank und sich Geschichten erzählte; meine Mutter, die uns beaufsichtigte, war sehr abgerackert; und von den Vagabunden beim Wasserbehälter hörte ich allerhand schmutziges Zeug. Wahrscheinlich ist es sozusagen meine Reaktion darauf, daß ich im Schuldenzahlen fast übertrieben skrupelhaft bin, daß ich es mit meiner Arbeit sehr genau nehme und eine heilige Scheu vor Alkohol und Weibern habe. Aber ein ausgezeichnetes Resultat hat die Art meines Aufwachsens gehabt. Schon aus Opposition bin ich ein ordentlicher, gesunder, altmodischer, neuenglischer Puritaner geworden.«

 

Im Jahre 1920, als Myron vierzig Jahre alt war und Ora achtunddreißig, hatten sie ihr Äußeres nahezu miteinander vertauscht, nur daß Myron um zwölf Zentimeter größer war. Er, der früher ein rundes Gesicht gehabt hatte und langsam gewesen war, hatte jetzt etwas Schlankes und Schmales, seine Bewegungen waren rasch und nervös, sein steifes, borstiges flachsfarbenes Haar war dünner und mehr braun geworden und legte sich nach Jahrzehnten ernsthaften Bürstens glatt an. Der schmale, Shelleysche Ora war dick geworden. Sein Gesicht glich einer runden Scheibe behaglicher Selbstzufriedenheit, er hatte einen gepflegten Schnurrbart wie ein englischer Polizeiwachtmeister und dicke, schmollende Lippen. Er hatte, wie immer, dunklere Farben als Myron, aber das blieb nicht bei jeder Beleuchtung gleich, denn nach dem abendlichen Dinner neigten seine Wangen dazu, einen fetten Schimmer zu bekommen.

Myron blickte einen oft an, schien einen aber nicht zu sehen. Ora sah einen gewöhnlich, schien einen aber nie anzuschauen.

 

Myron geriet niemals aus seinem ewigen entsetzten Erstaunen über die Zickzacklinie heraus, in der sich Oras Schicksale bewegten, und es kam immer wieder vor, einmal war es ein ganzes Jahr so, daß er überhaupt nicht ergründen konnte, was Ora tat und warum seine Finanzen nicht noch bedeutend mehr zerrüttet waren. Nach dem Schwarzen Schlummer hatte Ora in den Jahren von 1905 bis 1920 fünf weitere Bücher publiziert: drei Romane, einer davon sehr kühn (er handelte von einer Prostituierten, die ein braves Mädchen war), der zweite noch kühner (seine Heldin war eine Prostituierte, die wirklich ein schlechtes Mädchen war) und ein komischer, unter unfreiwilliger Mitarbeit von Mr. Dooley, Irvin Cobb, George Ade und P. G. Wodehouse. Dann existierten noch sein Führer nach Kanada – überaus freundlich besprochen von allen Zeitungen, die nicht in Kanada erschienen – und Die Wissenschaftliche Bedeutung der Träume: Ein Handbuch, Das Dich Dir Selbst Zeigt, an dem Professor Freud unbewußt mitgearbeitet hatte.

Myron war beim Erscheinen jedes von diesen Büchern stolz und bemühte sich ernsthaft herauszubekommen, was die Buchbesprechungen meinten. Er geriet in Erregung, wenn er die Propagandanotiz eines Verlegers entdeckte, die besagte, daß Ora Weagle (»Marcel Lenoir«) Verfasser von Schweigt Still, Ihr Pantoffel, einem der siebenundzwanzig Best-seller des letzten Monats in Augusta, Tallahassee, San José und Mankato, eine Reise um die ganze Welt auf einem Walfischfänger vorhabe. Oder daß er sich für den Sommer ein Häuschen mit dem Blick auf Bailey's Beach genommen hätte. Oder daß er fliegen lerne. Er konnte sich niemals ganz von Gefühlen der Verwirrung und Unzufriedenheit freimachen, wenn er von Ora hörte, daß dieser nicht im entferntesten daran dachte, sich auf einem Walfischfänger einzuschiffen, zu fliegen oder den Anblick Newports zu genießen.

Was Ora in der Zeit tat, in der er nicht an seinen Romanen schrieb, war Myron unbegreiflich, und obgleich er kein Hehl daraus machte, daß er nicht zu den Leuten gehörte, die volles Verständnis für die Wonnen und Qualen der schöpferischen Arbeit haben, fragte er sich ganz schüchtern, ob fünf Bücher in fünfzehn Jahren so sehr viel seien. Und der Führer und das Traumbuch waren doch ganz kleine Bändchen, und zudem bestanden sie zum größten Teil aus Illustrationen mit sorgfältig verstreuten Tröpfchen pfefferminzduftenden Textes.

Myron hatte das Gefühl, daß Schriftsteller überhaupt unerklärliche Geschöpfe seien. Er wußte, daß es zwischen Hoteliers, Geschäftsreisenden und Geschirrwäschern auch individuelle Unterschiede gebe, aber daß Schriftsteller auch noch etwas anderes als Schriftsteller seien, auf diesen Gedanken kam er nie. Sein ganzes Leben lang stellte er sich Bernard Shaw wie Ora Weagle mit einem Bart vor und Thoreau als einen Ora, der nicht in einem Speakeasy in der Fünfzigsten Straße, sondern in einer Blockhütte seinen Whisky trank und »Frankie and Johnnie« sang.

 

Ob ihn nun sein schwerfälliger und heuchlerischer Bruder verstand oder nicht, Ora war immer beschäftigt. Man mußte existieren, sich sein Brot verdienen in einer Welt, die für solche Hammelköpfe wie Hoteliers und Aktienmakler ihren Lohn hatte, aber die tolle Macht der Schönheit viel zu sehr fürchtete, um ihren schöpferischen Künstlern ein anständiges Auskommen zu gewähren. Nicht einmal eine winzige Rente war zu erzielen, die ihm Sicherheit geboten und die nackte Befriedigung seiner bescheidenen Bedürfnisse ermöglicht hätte: ein Feldbett, ein, zwei Stühle, etwas Porridge und Hummersalat, hin und wieder ein Ausflug nach Europa oder China, ein paar Zigaretten und ein paar Flaschen Whisky und Sekt, einige Mädchen, ein erholsamer Sommer im Gebirge, ein bescheidenes kleines Automobil zum Sammeln von Material, gerade so viel an Kleidern, daß der Meister sich in der Gesellschaft hochnäsiger Millionäre nicht schämen müßte, ab und zu einmal ein Kognak, eine Wohnung gerade groß genug, daß sämtliche Chefredakteure Amerikas gleichzeitig darin empfangen werden könnten, ein paar Monets zur Inspiration, ungefähr ein Regal voll handgebundener Bücher und dazu noch der allernotwendigste Vorrat an Kognak, Absynth, schwedischem Punsch, Arrak, Burgunder, Château Yquem und vielleicht auch noch Rum – auf den Rum wollte er unter Umständen sogar noch verzichten. Aber nicht ein einziger, auch nicht unter den Leuten, die so taten, als wären sie Beschützer von Genies, war willens, ihm eine so geringfügige Rente auszusetzen. Ora wußte das. Er wußte es recht gut! Denn er hatte geradezu einen Beruf daraus gemacht, sich an jede Stiftung zur Pflege der Künste zu wenden, an jeden Ausschuß, der mit der Verteilung von Preisen oder Stipendien betraut war, und an jeden Verleger, von dem das Gerücht ging, er wäre wahnsinnig geworden und hätte Vorschüsse auf ungeschriebene Bücher gegeben.

Myron langweilte ihn nicht bloß, er brachte ihn geradezu zur Raserei mit seinen unaufhörlichen plumpen und aufdringlichen Andeutungen über die Notwendigkeit, ein, wie er es in seiner komischen Art nannte, »regelmäßiges Leben« zu führen. Aber er war gezwungen, Myron oft zu sehen. Er mußte doch leben! Und außerdem hatte er wirklich etwas für Myrons neue Frau übrig – ein Mädchen aus ihrer Heimat, Effie May Lambkin. Sie machte ihm nicht wenig Spaß, denn sie hielt Ora für den wichtigsten Mann, den sie kannte, und verehrte ihn, statt die Obergescheite spielen zu wollen wie so viele von diesen Weibern. Sie war immer mit Vergnügen bereit, noch zu später Stunde ein Abendbrot für ihn heraufkommen zu lassen oder, wenn Myron einen seiner zugeknöpften Tage hatte, ihm so viel zu borgen, daß er sich bis zum Montag durchwursteln konnte.

Ora war stolz darauf, daß er, obgleich Effie May auf ihre etwas derbe, bäurische Art eine Schönheit war, so viel Familiensinn bewies, daß er eigentlich gar keinen Versuch gemacht hatte, sie zu verführen. Und dabei hielt ihn Myron für einen Wüstling!

O ja, er hatte mehr zu tun, als sein Bruder wissen konnte, und er mußte alles selbst machen, er hatte es nicht so gut wie Myron, dem eine ganze Anzahl von Angestellten und Stenotypistinnen halfen, so daß er sich auf seinen Allerwertesten setzen konnte und nie richtig zu arbeiten brauchte. Man mochte sagen, was man wollte, Ora wußte, daß er systematisch vorging. Er hatte sich eine Liste von fünfzig amerikanischen Schriftstellerkollegen zusammengestellt, die solche Einkünfte hatten, daß sie der Beachtung wert waren, und verbrachte einige Tage mit der Abfassung eines Briefes, in dem er diesen Kollegen die Schwierigkeiten seiner Lage auseinandersetzte; es handelte sich anscheinend um folgendes: er befand sich in den letzten erschöpfenden Monaten der Fertigstellung eines langen Romanes, seine Frau war krank, seine beiden Kinder hungerten und hatten nicht genug Kleider, um zur Schule gehen zu können, seine Miete war nicht bezahlt, und wenn der Wohltäter ihm nicht sofort dreihundert Dollar schicken konnte, mußten alle zusammen Selbstmord begehen. Diesen Standardbrief änderte er nur im ersten Absatz ab, in dem er einige Bücher des Autors nannte – was leicht war, weil er bloß im Who's Who nachzusehen brauchte – und im letzten, in dem er in der unkomplizierten, seriösen Art eines Genies, das bereit ist, dem Hunger ins Auge zu blicken und, auf seinen Stolz verzichtend, zu betteln, auseinandersetzte, daß er, wenn er auch den Meister nicht persönlich kennengelernt hätte, aus seinen Büchern (Titel nennen) seine Freundlichkeit, Gerechtigkeit und erstaunliche Menschenkenntnis kenne.

Der erste Brief, den er an fünfzig Adressanten abgeschickt hatte, brachte ihm sechzehn Antworten, darunter sieben abschlägige Bescheide und neun Schecks in einer Höhe von zehn bis hundertfünfzig Dollar, insgesamt sechshundertfünfzig Dollar. Keiner von diesen letzten schickte den vollen Betrag von dreihundert, aber sie konnten sich nicht genug tun an Entschuldigungen, und gerade zu diesem Zweck hatte er den Betrag ja auch so hoch beziffert.

Auf einen zweiten Brief an die vierunddreißig Hunde, die nicht geantwortet hatten, bekam er noch elf Antworten und hundertdreißig Dollar, so daß er im ganzen siebenhundertfünfunddreißig Dollar hatte für eine Arbeit von sechs Tagen – zwei Tage für das Aufsetzen des Textes und vier für das Tippen der Briefe, und wenn der aufgeblasene Myron jemals so etwas schaffen konnte, dann sollte er es Ora nur erzählen! Voll strahlenden Glückes über sein ehrlich und mühevoll verdientes Geld begab sich Ora auf eine Sauftour mit Oberst Falkenstein, Wilson Ketch und, hin und wieder, verschiedenen Mädchen, die er nicht von früher her zu kennen glaubte. Sie aber kannten ihn.

Als Ora wieder nüchtern und sehr elend war, nur sechzehn Dollar von den siebenhundertfünfunddreißig übrig hatte und bereits drei Monate Miete für sein Dachstübchen schuldete, befaßte er sich mit den dreiundzwanzig Größenwahnsinnigen, die sich bis jetzt noch nicht zu der Höflichkeit aufgeschwungen hatten, zu antworten. Für diese Snobs hatte er einen großartigen, aus der Weinlaune geborenen Plan. Er schrieb ihnen ein drittesmal, aber nicht zärtlich, sondern beleidigend. Sie seien, so drückte er sich voll Beredsamkeit aus, Bauernlümmel, Undankbare, Feiglinge und Reaktionäre. Während sie sich lächerlich machten, indem sie sich bemühten, die Reichen mit ihren Palm-Beach-Villen, Vermonter Zuchtviehgütern und Prachtkabinen auf Ozeandampfern nachzuäffen, wäre er gezwungen, sich durch zwölfstündige Nachtarbeit an Heizungsanlagen zu ernähren, um sich der Schaffung einer Wahrhaften Amerikanischen Kunst widmen zu können.

Dieser Brief brachte ihm von den dreiundzwanzig Betroffenen drei Schecks und acht wütende Briefe, während zwölf wieder nichts von sich hören ließen. Die acht wütenden Antworten waren das letzte, worauf er wirklich gehofft hatte. Hier besaß er acht unveröffentlichte Originalmanuskripte, davon drei handgeschrieben, in denen acht der angesehensten Schriftsteller Amerikas sich mit ihren besten Schimpf- und Fluchworten ungehemmt der Aufgabe widmeten, auseinanderzusetzen, daß sie ihn für einen Lügner, einen Gauner und eine ganz verfluchte Pestbeule hielten. Er brüllte während des Lesens vor Zufriedenheit und lief rasch zu einem Autogrammhändler, dem er sie zu einem Preis von drei bis sechzig Dollar für jedes einzelne Stück verkaufte.

Er machte sich zweite, dritte und vierte Listen von je fünfzig Menschenfreunden, er erweiterte den Kreis seiner Kunden so, daß er nicht nur unschuldige Verfasser von Büchern in sich einschloß, sondern auch Zeitungsleitartikler, Feuilletonisten, Zeichner, Dramatiker und reiche Frauen, von denen bekannt war, daß sie lyrischen Vorlesungsabenden beigewohnt hätten, und vergrößerte sein Verkaufsgebiet, indem er auch Kanada, Großbritannien, Irland, Frankreich und Deutschland einbezog. Alle drei Monate unternahm er voll Feuereifer einen seiner geschäftlichen Fischzüge, wobei er klugerweise darauf achtete, sich keiner Liste öfter als einmal im Jahr zu bedienen.

So erfreute sich also der Ora, der mit knabenhafter Scheu, mit einem wehmütigen Zittern seiner dicken Lippen Myron und Effie May das nach Gin duftende Dachstübchen zeigte, in dem er hausen mußte, eines Einkommens, das um eine Kleinigkeit größer war als das Myrons, und wenn er daran dachte, mußte er heimlich, aber um so intensiver lachen.

Obwohl er tapfer an seinen Büchern und an gelegentlichen Magazingeschichten weiterarbeitete, und obgleich seine vier Listen sehr viel mühsames Tippen erforderten, befaßte Ora sich zum größten Teil mit »Negerarbeiten« – dem Schreiben von Büchern, die von anderen, berühmteren Personen gezeichnet wurden. Er gewann sich allmählich einen ziemlich guten Ruf auf diesem Gebiet, und die verschiedensten Verleger ließen ihn zu sich kommen, wenn sie ihn auch immer wieder anekelten, indem sie sich mürrisch weigerten, auch nur einen Pfennig zu bezahlen, ehe die Arbeit abgeliefert war – diese dreckigen Geldzusammenkratzer! So war Ora abwechselnd ein ehemaliger Senator, der die Börsenmillionäre aufs Haupt geschlagen, ein anderer ehemaliger Senator, der den Roten den Garaus gemacht hatte, eine russisch-polnisch-spanische Schauspielerin aus Iowa, die drei Könige zu Liebhabern gehabt, ein Geldfälscher, der zwanzig Jahre abgesessen hatte, ein Schachmeister und ein Hollywooder Hündchen.

Das Negerschreiben lohnte sich besser als das Verfassen von Bettelbriefen, aber trotzdem gab er auch diese Beschäftigung nie auf, denn für seine Kunst war ihm kein Opfer zu groß. Und als Künstler, als Seher, so jubilierte er, war er imstande, Myron weitaus zu übertreffen.

 

Ora hatte über einen neuen realistischen Roman nachgedacht; darin gedachte er einen entsetzlichen Vater namens Tim Wiggins anzuprangern, der ein miserables Gasthaus führte und seinen empfindsamen Sohn abscheulich behandelte. Daß er auf eine Woche nach Black Thread Center gefahren war, stand vielleicht in Zusammenhang mit diesem Unternehmen.

Nach seiner Rückkunft stürzte er sich auf Myron.

»Na, der großartige Hotelier und Psychologe, der einen Gauner schon erkennt, bevor er sich eingetragen hat, kann wieder mal verdammt stolz auf einen Erfolg sein!« sagte Ora, Myrons hübscher Stenotypistin zublinzelnd.

Myron schickte sie rasch hinaus und tobte: »Teufel noch einmal, was soll denn das wieder heißen?«

»Ich bin in Center gewesen, und ich hab Papa und Mama gesehen, und seitdem du so freundlich warst, sie von der Arbeit zu befreien und ihnen in ihrem reizenden Häuschen inmitten der Rosen ein schönes behagliches Alter zu bereiten – also, sie werden ganz einfach blödsinnig, weil sie nichts zu tun haben, das ist alles!«

»Quatsch!«

Am nächsten Tag fuhr Myron nach Black Thread.

Seine Mutter saß in einer verwahrlosten Küche vor einem Ausguß voll schmutzigen Geschirrs und weinte. Sie hätte sich, so erzählte sie schluchzend, so sehr an das Nichtstun gewöhnt, daß sie sich überhaupt nicht mehr bewegen könnte, und der alte Tom trinke jetzt, da er kein Dekorum mehr als Wirt zu wahren hätte, ärger als je zuvor.

»Ich hab zu lesen probiert, und ich hab's mit Arbeit für die Kirche probiert und ich hab probiert zu stricken und mit den Nachbarn zu reden, aber Leute wie wir, die ihr ganzes Leben lang wirklich schwer gearbeitet haben, verstehen sich wahrscheinlich ganz einfach nicht drauf, wie man nichts tut«, sagte sie. »Ich bin ein bißchen erschreckt, mein Lieber. Ich hab oft gesehen, wie Geschäftsleute so mit einem Ruck abgehen und sterben, wenn sie sich einmal zurückziehen und sagen, sie freuen sich, daß sie aus den Sielen heraus sind, und jetzt wollen sie sich's mal wirklich gut gehen lassen.«

Er war entsetzt. Er versicherte sich, daß er es wirklich gut gemeint hätte. Er sagte sich, daß er es sich nicht leisten könnte, den Pächter des American House auszukaufen, und daß seine Eltern, wenn er es doch täte, das Hotel verkommen und verschlampen lassen würden. Er dachte an ein Farmgütchen für sie – er versuchte sie über diesen Punkt auszuholen, aber seine Mutter weinte bloß und sah verloren und verlassen aus. Vielleicht hätte er doch eine Farm gepachtet, aber als er bei den Lambkins Andeutungen über seinen Plan machte, blökte Herbert: »Jetzt, wo du einmal in unsere Familie geheiratet hast, mußt du aufhören, so egoistisch zu sein und immer nur an dich selbst zu denken wie du es immer tust! … Dieser Monlux, einem Mann mit meinen Prüfungen und Titeln fünfzehnhundert im Jahr anzubieten, und du hast dir das ganz ruhig angehört! … Ich erkläre dir, ich werde nicht dulden, daß der Schwiegervater meiner Schwester hier bei uns in der Stadt eine miserable kleine Kneipe führt! Warum setzt du die beiden nicht auf ein Farmgut?«

Das entschied die Frage. Myron ließ seine Eltern eine großartige Woche in New York verleben – Tom erklärte, das Westward schmeiße eine Menge schönes Geld heraus, indem es die Pagen in idiotische Affenjacken stecke, und er als erfahrener Hotelleiter mißbillige eine derartige Unfähigkeit – und brachte sie wieder im American House unter, wo Edna Weagle wieder vergnügt vor sich hin zu pfeifen begann, als sie zwölf Stunden im Tag schuftete.

Und Ora bemerkte zu alledem: »Wie ich dir immer gesagt habe, Myron, dir fehlt der Sinn für Menschen, den der Künstler hat. Du bist wahrscheinlich viel besser als ich, in mancher Hinsicht, aber ich kann in die Leute hineinsehen und laß sie in Frieden.«

 

Die junge Frauensperson, die Ora einmal am späten Abend in die Wohnung hinaufbrachte, um sie Effie May und Myron vorzustellen, war eine sehr freundliche junge Frauensperson. Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, da nannte sie die beiden schon »Alter Schwede« und »Herzchen« und fragte: »Na, wo ist der Alkohol? Ist das vielleicht nett, eine Freundin so auf dem Trocknen sitzen zu lassen?« Und als sie Whisky, ziemlich viel Whisky, getrunken hatte, machte sie sich anheischig, sich auszuziehen und Isadora Duncan zu kopieren.

Myron sah, daß die verblüffte Effie May nicht recht wußte, ob sie sich die Freundin ihres Schwagers zum Vorbild nehmen sollte. Er zog Ora in das Schlafzimmer und sagte: »Schaff das Mädel fort. Schmeiß sie hier raus.«

»Was zum Teufel soll das heißen?«

»Ich mag sie nicht, obwohl sie wahrscheinlich bloß albern ist. Raus!«

»Dann geh ich auch! Und komm auch nicht wieder!«

»Gut. Sollte mir leid tun, dich nicht wiederzusehen, aber das ist mein Haus – –«

»O nein, das ist es nicht, mein Süßer! Das ist das Haus jedermanns, der das Geld dafür hat, ganz gleich, was für ein ekelhafter Schweinehund er ist, und du bist bloß ein bezahlter Dienstbote in dem Haus – du mitsamt deiner Landpomeranze von Frau!«

Myron holte mit der geballten Faust aus und murmelte: »Schau, daß du rauskommst.«

Von diesem Tag an sah er Ora ein ganzes Jahr nicht.

Er hatte ein schlechtes Gewissen und ein Gefühl beträchtlicher Erleichterung. Er stellte sich seinen armen kleinen Bruder in dem armen kleinen Dachstübchen vor, das er bewohnte, und zweifellos hätte er gelitten, wenn es ihm nicht, wie Ora immer unter allgemeiner Zustimmung behauptete, ganz und gar an Phantasie gefehlt hätte.


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