Alain René Lesage
Der hinkende Teufel
Alain René Lesage

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Achtes Kapitel.

Asmodeus zeigt dem Don Cleophas mehrere Personen und berichtet ihm, was sie den Tag über getrieben haben.

Sie ließen die Gefangenen hinter sich und flogen in ein anderes Viertel. Auf einem großen Hotel hielten sie an und der Dämon sagte zu dem Studenten: Ich bekomme Lust, Euch zu berichten, was heute alle die Personen getrieben haben, die in der Nachbarschaft dieses Hotels wohnen. Das wird Euch ergötzen. – Daran zweifle ich nicht, versetzte Leandro. Ich bitte Euch, bei dem Kapitän dort, der seine Stiefel anzieht, zu beginnen; es muß irgend eine wichtige Angelegenheit ihn weit von hier rufen. – Er ist in der That im Begriff, von Madrid abzureisen, erwiederte der Hinkende. Seine Pferde erwarten ihn in der Straße, er will nach Catalonien abreisen, wohin sein Regiment kommandirt ist.

Da er kein Geld hatte, wandte er sich gestern an einen Wucherer. Senhor Sanguisuela, sprach er zu ihm, könnt Ihr mir nicht tausend Dukaten borgen? Senhor Capitano, antwortete ihm der Wucherer mit sanftem Lächeln, die besitze ich nicht; aber ich mache mich anheischig, einen Mann aufzutreiben, der sie Euch vorschießen wird, das heißt, der Euch vierhundert baar geben wird; Ihr stellt ihm dafür einen Wechsel von tausend aus und von den vierhundert, die Ihr erhaltet, beziehe ich sechzig als Mäcklergebühr. Das Geld ist so selten heutzutage . . . Welche Wucherei, unterbrach ihn zornig der Offizier; sechshundert sechszig Dukaten für dreihundert und vierzig zu verlangen. Welche Spitzbüberei – solche Leute sollte man ja hängen!

Ereifert Euch nicht, Senhor Capitano, entgegnete mit großem Gleichmuth der Wucherer; sehet die Dinge kühler an. Worüber beklagt Ihr Euch? Zwing' ich Euch, die dreihundert und vierzig Dukaten anzunehmen? es steht bei Euch, sie zu nehmen oder zurückzuweisen! – Da der Kapitän auf diese Worte nichts zu antworten hatte, so entfernte er sich; aber er mußte abreisen, die Zeit drängte und er konnte am Ende doch ohne Geld nicht fertig werden; so ging er an diesem Morgen zu dem Wucherer zurück, den er an seiner Thüre traf, in schwarzem Mantel und Kragen, mit kurzgeschornem Haar wie ein geistlicher Herr, und mit einem großen mit Medaillen behangenen Rosenkranz. Ich komme zu Euch, Senhor Sanguisuela, hat er zu ihm gesprochen, um mir eure dreihundert und vierzig Dukaten zu holen; die Noth, worin ich mich befinde, Geld zu schaffen, zwingt mich dazu. Ich gehe in die Messe, hat gravitätisch der Wucherer geantwortet; wenn ich heimgekehrt bin, kommt zu mir, ich werde Euch die Summe dann aufzählen. O nein, nein, versetzte der Kapitän; tretet bei Euch ein, es wird im Augenblick geschehen sein; fertigt mich jetzt gleich ab, denn ich bin sehr in Eile. Ich kann es nicht, entgegnete Sanguisuela; ich habe die Gewohnheit, alle Tage, bevor ich irgend ein Geschäft beginne, die Messe zu hören; ich habe mir das zur Regel gemacht, die ich mein Leben hindurch strenge beobachten werde.

Wie ungeduldig der Offizier auch war, sein Geld einzustreichen, er mußte sich in die Regel des frommen Sanguisuela fügen; und so waffnete er sich mit Geduld; ja, als ob er fürchte, daß ihm die Dukaten durchgehen könnten, folgte er dem Wucherer in die Kirche; er hört die Messe mit ihm und dann wendet er sich, um zu gehen; aber Sanguisuela flüstert ihm ins Ohr: Einer der ausgezeichnetsten Redner von Madrid wird die Predigt halten; ich will die Predigt nicht verlieren.

Den Kapitän hat schon die Messe in die wüthendste Ungeduld versetzt, und diese neue Verzögerung hat ihn in Verzweiflung gebracht; aber er kann nichts andres thun, als bleiben. Der Prediger erscheint und predigt gegen den Wucher. Der Offizier ist entzückt darüber und das Gesicht des Wucherers beobachtend, sagt er sich im Stillen: Wenn dieser Jude gerührt werden könnte! Wenn er mir nur sechshundert Dukaten gäbe, würde ich zufrieden von ihm gehen! Endlich ist die Predigt zu Ende. Der Wucherer geht. Der Kapitän folgt ihm und sagt: Nun, was denkt Ihr von diesem Redner? findet Ihr nicht, daß er mit vielem Nachdruck spricht? Was mich angeht, so bin ich ganz gerührt! – Vollständig meine Meinung, antwortet der Wucherer; er hat meisterhaft seinen Text behandelt und ist ein tüchtiger Mann; er hat sein Geschäft aufs beste abgemacht; gehen wir jetzt, das unsere abzumachen! – –

Wer sind denn dort die beiden Frauen, zusammen in einem Bette, die so laut lachen, rief Don Cleophas aus; es scheinen mir ein paar lustige Seelen! – Es sind zwei Schwestern, antwortete der Teufel, die an diesem Morgen ihren Vater beerdigt haben; er war ein eigensinniger Mensch, der so viel Widerwillen gegen die Ehe oder gegen die Vermählung seiner Töchter hatte, daß er nie in eine solche einwilligen wollte, trotz aller vortheilhaften Partien, die sich darboten; der Charakter des Verstorbenen war eben jetzt der Gegenstand ihrer Unterhaltung. Endlich ist er todt, sagte die ältere, dieser unnatürliche Vater, der sich ein Vergnügen daraus machte, uns als alte Jungfern zu sehen; er wird sich jetzt unsern Wünschen nicht mehr widersetzen. Was mich angeht, fiel die jüngere ein, ich liebe das Solide; ich will einen Mann, der reich ist, und wenn er sonst auch ein Dummkopf ist; der dicke Don Blanco wäre so etwas für mich! Warten wir's ab, hat die ältere geantwortet, wir werden zum Manne bekommen, wer uns bestimmt ist, denn unsre Ehen stehen im Himmel geschrieben. Wahrhaftig, das wäre schlimm, hat die jüngere entgegnet, dann hab' ich große Angst, daß unser Papa das Blatt, worauf sie geschrieben stehn, zerreißt! Die ältere hat sich nicht enthalten können, über diesen Witz zu lachen, und sie lachen jetzt noch alle Beide darüber.

In dem Hause, welches auf das der beiden Schwestern folgt, wohnt eine Abenteuerin aus Aragonien zur Miethe. Ich sehe, wie sie sich im Spiegel betrachtet, statt zu Bett zu gehn; sie wünscht sich Glück, durch ihre Reize heute eine bedeutende Eroberung gemacht zu haben; sie studirt sich ihre Mienen ein, und hat eine neue aufgefunden, mit der sie morgen auf ihren Geliebten einen großen Eindruck zu machen hofft. Sie kann nicht genug aufwenden, ihn festzuhalten, denn es ist eine sehr verheißende Persönlichkeit; auch hat sie eben einem ihrer Gläubiger, der Geld von ihr zu verlangen kam, gesagt: Wartet, mein Freund, und kommt in einigen Tagen wieder; ich stehe in Unterhandlungen mit einem der ersten Würdenträger von der Mauthverwaltung.

Es ist nicht nöthig, sagte Leandro, daß ich Euch frage, was ein gewisser Cavalier gemacht hat, auf den meine Blicke fallen; er muß den ganzen Tag mit Briefschreiben zugebracht haben! Welche Menge von Briefen sehe ich auf seinem Tische! – Das Lustige bei der Sache, antwortete der Teufel, ist, daß alle diese Briefe denselben Inhalt haben. Der Cavalier schreibt an alle seine abwesenden Freunde; er meldet ihnen ein Abenteuer, das ihm am heutigen Nachmittage zugestoßen ist. Er liebt eine schöne und spröde Wittwe von dreißig Jahren; er widmet ihr Aufmerksamkeiten, die sie nicht zurückweist; er trägt ihr seine Hand an; sie giebt ihm das Ja-Wort. Während man die Zurüstungen zur Hochzeit macht, darf er sie in ihrer Wohnung besuchen; er war bei ihr an diesem Nachmittage; und da sich zufälliger Weise Niemand gefunden hat, um ihn anzumelden, so ist er unerwartet in das Gemach der Dame eingetreten, die er überrascht hat in einem verführerischen Negligé, oder um es genauer auszudrücken, fast nackt auf einem Ruhebett liegend. Sie lag in tiefem Schlafe. Leise naht er sich ihr, um sich die Gelegenheit zu Nutze zu machen; er raubt ihr einen Kuß; sie erwacht und ruft mit zärtlichem Aufseufzen: Noch einmal! ach! ich bitte dich, Ambrosio, laß mich in Ruhe! Der Cavalier, als galanter Mann, hat sich auf der Stelle zu fassen gewußt; er hat auf die Wittwe verzichtet; er hat sich leise aus dem Gemach zurückgezogen; an der Thüre ist er Ambrosio begegnet; Ambrosio, hat er ihm gesagt, geht nicht hinein, eure Herrin bittet Euch, sie in Ruhe zu lassen.

Zwei Häuser weiter von diesem Cavalier entdecke ich in einem kleinen Bau ein Original von Ehemann, der ruhig bei der Gardinenpredigt einschläft, welche seine Frau ihm hält, weil er den ganzen Tag nicht zu Hause gekommen ist. Sie würde noch zorniger sein, wenn sie wüßte, womit er sich die Zeit vertrieben hat. – Er ist ohne Zweifel mit irgend einem galanten Abenteuer beschäftigt gewesen? sagte Zambullo. – Ganz richtig, entgegnete Asmodeus, und ich will Euch dasselbe schildern.

Der Mann, den wir sehen, ist ein Bürger, der Patrizio heißt und einer von jenen liederlichen Ehemännern, die ohne Sorgen leben, als ob sie weder Weib noch Kinder hätten; und doch hat er eine junge, liebenswürdige, tugendhafte Frau, zwei Töchter und einen Sohn, alle drei noch in zartem Alter. Diesen Morgen ist er aus dem Hause gegangen, ohne sich darum, zu kümmern, ob noch Brod für die Seinigen im Hause sei . . . denn es kommt vor, daß es ihnen daran fehlt! Er ist über den großen Platz geschritten, wo die Vorbereitungen zu dem Stiergefecht, das heute Statt fand, ihn aufgehalten haben. Die Gerüste waren bereits rund umher aufgeschlagen und die eifrigsten unter den Schaulustigen begannen schon darauf Platz zu nehmen.

Während er diese in voller Muße betrachtet, bemerkt er eine hübsche und zierlich gekleidete Dame, die von dem Gerüste steigend ein wohlgerundetes, mit einem rosaseidnen Strumpfe bekleidetes Bein und ein silbernes Strumpfband sehen ließ. Mehr war nicht nöthig, um unsern schwachen Ehrenmann in Flammen zu setzen. Er hat sich rasch an die Dame gemacht, die von einer zweiten begleitet war, welche durch ihr Wesen offen genug an den Tag legte, daß sie beide Abenteuerinnen seien. Meine Damen, hat er zu ihnen gesprochen, wenn ich euch mit etwas zu Diensten sein könnte, so habet ihr nur zu befehlen; ihr würdet mich voll Eifer und Beflissenheit finden. Senhor Cavallero, hat die Nymphe mit dem rosenfarbnen Strumpfe geantwortet, euer Anerbieten ist nicht so, daß man es zurückweist. Wir haben unsre Plätze schon genommen, aber wir wollten sie soeben wieder verlassen, um frühstücken zu gehen. Wir haben die Unklugheit begangen, diesen Morgen aufzubrechen, ohne erst die Chocolade zu nehmen. Weil Ihr nun so artig seid, uns eure Dienste anzubieten, so führt uns, wenn es Euch gefällig ist, irgend wohin, wo wir einen Bissen zu uns nehmen können; aber wir möchten einen stillen Ort – Ihr wißt, daß junge Mädchen nicht genug Acht auf ihren Ruf geben können.

Bei diesen Worten wurde Patrizio noch höflicher und beflissener als es nöthig gewesen, und führte seine Prinzessinnen in ein Speisehaus in der Vorstadt, wo er ein Frühstück bestellt. Was befehlt Ihr? sagt ihm der Wirth, ich habe noch von einem Bankett, welches gestern bei mir gehalten wurde, fette Küchlein, Rebhühner aus Leon, wilde Tauben aus Altkastilien, und mehr als die Hälfte von einem Schinken aus Estremadura übrig. Das ist mehr, als wir bedürfen, sagt der Führer der Vestalinnen. – Ihr habt nur zu wählen, meine Damen . . . was wünscht ihr? Was Euch gefällig ist, antworten sie, wir haben keinen andern Geschmack als Ihr. Darauf befiehlt der Bürger zwei Rebhühner und zwei junge Hühner aufzutragen und ihm ein besonderes Zimmer anzuweisen, aus Rücksicht auf seine Damen, die so strenge im Punkte des Anstandes sind.

Man läßt ihn mit seiner Gesellschaft in ein abgelegenes Cabinet eintreten, wo man ihnen nach wenig Augenblicken das bestellte Gericht mit Brod und Wein herbeiträgt. Meine Lucrezien werfen sich als Damen von geschärftem Appetit gierig auf die Fleischspeisen, während der Schafkopf, der die Zeche zu zahlen hat, sich damit amüsirt, seine Luisita – das ist der Name der Schönen, in die er sich vergafft hat, zu betrachten. Er bewundert ihre weißen Hände, woran ein großer Ring glänzt, den sie, Gott weiß wie, erhalten hat; er verschwendet die schönsten Schmeichelnamen, Sonne und Stern an sie, und vermag nicht zu essen, so sehr ist er entzückt, eine solche Bekanntschaft gemacht zu haben. Er fragt seine Göttin, ob sie verheirathet ist – sie versetzt nein, aber daß sie unter der Aufsicht eines Bruders stehe; wenn sie gesagt hätte, von Adam her, so würde sie die Wahrheit gesagt haben.

Unterdessen verschlingen die beiden Harpien nicht allein jede ein junges Huhn, sie trinken auch noch im selben Maße, wie sie essen, dazu. Der Wein ist bald zu Ende; der Galan geht selber, um neuen Vorrath desto rascher herbeizuschaffen. Er ist noch nicht aus dem Zimmer, als Hiacinta, die Gefährtin Luisitas, auf die beiden Feldhühner, die in der Schüssel geblieben sind, Beschlag legt, um sie in eine große Tasche von Leinwand zu schieben, die sie unter ihrem Kleide hat. Unser Adonis kommt mit frischem Wein zurück und bemerkt, daß kein Fleisch mehr da ist; er fragt seine Venus, ob sie nichts mehr wünsche. Lasset uns von den Tauben geben, wovon der Wirth gesprochen, vorausgesetzt, daß sie vortrefflich sind; sonst wird ein Stück von dem Schinken aus Estremadura hinreichen. Sie hat kaum diese Worte gesprochen, als Patrizio in die Vorrathskammer zurückeilt und drei Tauben mit einem großen Schnitte Schinken bringen läßt. Unsere Raubvögel beginnen von neuem den Schnabel zu wetzen und während der Bürger gezwungen ist, ein drittes Mal hinauszugehen, um Brod kommen zu lassen, machen sie zwei Tauben zu Gefangenschaftsgefährten der Feldhühner in der Tasche.

Nach dem Mahl, das mit den Früchten der Jahreszeit beschlossen wird, drängt Patrizio seine Luisita, ihm die Beweise von Dankbarkeit zu geben, die er von ihr erwartet; die Dame hat sich geweigert, sein Verlangen zu erfüllen, aber sie hat ihm erlaubt, sich mit ein wenig Hoffnung zu schmeicheln, sie hat ihm gesagt, es habe Alles seine Zeit, und sie wolle sich nicht in einer Schenke für das Vergnügen, welches er ihr gemacht, dankbar erweisen; und dann, da man ein Uhr nach Mittag schlagen hört, hat sie sich beunruhigt gezeigt und zu ihrer Gefährtin gesagt: O, meine theure Hiacinta, wie unglücklich sind wir – wir finden keinen Platz mehr, um die Stiere zu sehn. Verzeiht, hat Hiacinta geantwortet, dieser Cavalier braucht uns nur dahin zurückzuführen, wo er uns gefunden und so höflich angeredet hat . . . und für das Uebrige braucht Ihr nicht in Sorge zu sein.

Bevor man die Schenke verließ, mußte mit dem Wirthe abgerechnet werden, der die Rechnung auf fünfzig Realen hinaufzuschrauben wußte. Der Bürger hat seine Börse gezogen; da aber nicht mehr als dreißig Realen darin waren, sah er sich genöthigt, seinen mit Medaillen behangenen Rosenkranz für den Rest zum Pfande zu lassen; dann hat er die Abenteuerinnen dahin zurückgeführt, wo er sie aufgelesen und sie bequem auf einem Gerüst untergebracht, dessen Eigenthümer einer seiner Bekannten war und ihm den Preis creditirt hat. –

Sie haben kaum Platz genommen, als sie auch Erfrischungen verlangen. Ich sterbe vor Durst, ruft die Eine; der Schinken hat mich fürchterlich durstig gemacht. Und mich ebenfalls, sagt die Andre, ich würde eine hübsche Portion Limonade trinken! Patrizio, der nur zu gut versteht, was dies andeuten soll, verläßt sie, um ihnen etwas zu trinken zu schaffen; auf dem Wege aber hält er an und sagt sich: Wohin gehst du, Thor? Sieht es nicht aus, als ob du hundert Pistolen in deiner Börse oder zu Hause hättest? Und du besitzest nicht einen Maravedi! Was soll ich machen? setzt er hinzu; zu der Dame zurückkehren, ohne ihr zu bringen, was sie verlangt – das ist unmöglich; und andrerseits, soll ich ein Abenteuer aufgeben, das schon so weit geführt ist? ich kann mich nicht dazu entschließen!

In dieser Verlegenheit erblickt er unter den Zuschauern einen seiner Freunde, der ihm oft seine Dienste angeboten hatte; aus Stolz hatte er sie abgelehnt; aber bei dieser Gelegenheit verliert er alle Scham. Er tritt eifrig zu ihm und leiht ihm eine Doppelpistole ab; mit frischem Muth eilt er dann zu einem Limonadevekäufer, von dem er seinen Prinzessinnen so viel Eiswasser, Bisquits und trockene Confituren zutragen läßt, daß die Doublone kaum zu diesem neuen Aufwande genügt.

Das Fest endet endlich mit dem Tage; unser Held will seine Dame nach ihrer Wohnung begleiten, in der Hoffnung, sich reich zu entschädigen. Aber als sie vor dem Hause ankommen, das sie als das ihre bezeichnet, tritt eine Art von Dienerin heraus, die Luisita entgegeneilt und aufgeregt sagt: Himmel, woher kommt Ihr in dieser späten Stunde? Seit zwei Stunden schon erwartet euer Bruder Don Gasparo Heridoro Euch und flucht wie ein Besessener. Mit der Miene des Schreckens wendet sich nun die Schwester zu dem Galan und ihm die Hand drückend flüstert sie: Mein Bruder ist ein Mensch von einer furchtbaren Heftigkeit; aber sein Zorn verraucht bald; haltet Euch in der Straße und werdet nicht ungeduldig; wir wollen ihn beruhigen; und da er alle Abende außer dem Hause speist, so soll Hiacinta, sobald er gegangen ist, zu Euch kommen und Euch ins Haus einführen.

Der Bürger, den dies Versprechen tröstet, küßt entzückt die Hand Luisitas, die ihm einige Liebkosungen macht, um ihn in seiner guten Hoffnung zu erhalten; dann tritt sie mit Hiacinta und der Magd ins Haus. Patrizio, in der Straße zurückgeblieben, faßt sich in Geduld; er setzt sich auf einen Eckstein, zwei Schritte von der Thüre, und läßt eine geraume Zeit verstreichen, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß man beabsichtigen könne, ihn zum Besten zu haben. Er verwundert sich nur, Gasparo nicht herauskommen zu sehen und fürchtet, daß dieser verdammte Bruder nicht ausgehe, um außer dem Hause zu Abend zu speisen.

Unterdessen hört er zehn Uhr schlagen, und dann elf und dann Mitternacht; nun beginnt er einen Theil seiner Zuversicht zu verlieren und an der Aufrichtigkeit seiner Dame zu zweifeln. Er nähert sich der Hausthüre, er geht hinein und tastet sich durch einen dunklen Gang, in dessen Mitte er auf eine Treppe stößt; hinaufzusteigen wagt er nicht, aber er horcht aufmerksam und sein Ohr faßt das unharmonische Concert auf, das ein bellender Hund, eine miauende Katze und ein schreiendes Kind machen. Er kommt endlich zu dem Schluß, daß man ihn betrogen habe; was seine Ueberzeugung vollständig macht, ist, daß er bis ans Ende des Ganges vordringend einen Ausgang in eine andre Straße, als diejenige, in welcher er so lange Schildwacht gestanden hat, findet.

Er bereut jetzt seine Geldverschwendung und begiebt sich, auf alle rosenfarbenen Strümpfe fluchend, nach Hause. Er klopft an seine Thüre; seine Frau kommt mit dem Rosenkranz in der Hand und Thränen im Auge, um ihm zu öffnen, und spricht mit rührendem Tone zu ihm: Ach, Patrizio, kannst du so dein Haus verlassen und dich so wenig um dein Weib und deine Kinder kümmern? Was hast du gemacht seit sechs Uhr Morgens, wo du ausgegangen bist? – Der Gatte hat nicht gewußt, was erwiedern, und obendrein ganz beschämt, von zwei Spitzbübinnen zum Besten gehalten zu sein, hat er sich entkleidet und ohne ein Wort zu sagen ins Bett gelegt. Seine Frau aber, die im Zuge ist, eine moralische Vorlesung zu halten, läßt ihn jetzt eine Gardinenpredigt hören, die ihn einschläfert.

Werft euren Blick, fuhr Asmodeus fort, auf dieses große Haus, das dem des Cavaliers benachbart ist, welcher eben seinen Freunden den Bruch seines Verlöbnisses mit der Geliebten Ambrosio's berichtet. Bemerkt Ihr darin nicht eine junge Dame, in einem Bett von carmoisinrother mit Goldstickereien geschmückter Seide? – Verzeiht mir, antwortete Don Cleophas, ich bemerke eine schlafende Person und mir scheint ein Buch liegt auf ihrem Kopfkissen. – Ganz richtig, versetzt der Hinkende. Diese Dame ist eine junge, sehr geistreiche und heiter gelaunte Gräfin; sie litt seit sechs Tagen an einer Schlaflosigkeit, die sie außerordentlich schwächte; sie hat sich heute entschlossen, einen der gewichtigsten Aerzte der Fakultät kommen zu lassen. Er langt an; sie klagt ihm ihr Leid; er schreibt ein, wie er sagt, im Hippokrates verzeichnetes Mittel vor. Die Dame erlaubt sich über sein Recept Scherze zu machen. Der Arzt, ein griesgrämiges Thier, findet an diesen Späßen kein Gefallen und sagt mit seiner ganzen Doktorwürde: Senhora, Hippokrates ist nicht der Mann, über den man Witze machen darf! Ach, Senhor Doktor, hat die Gräfin mit ernster Miene geantwortet, ich bin weit entfernt, eines so berühmten und so gelehrten Mannes zu spotten; ich habe solchen Respekt vor ihm, daß ich überzeugt bin, ich brauche ihn nur aufzuschlagen und ich bin von meiner Schlaflosigkeit geheilt; ich habe in meiner Bibliothek eine neue Uebersetzung von dem gelehrten Azero; es ist die beste; man soll sie mir bringen. Und wirklich – bewundert die Zauberkraft dieser Lektüre – schon bei der dritten Seite ist die Dame in tiefen Schlummer verfallen.

In den Ställen dieses selben Hotels befindet sich ein armer einarmiger Soldat, den die Reitknechte aus Barmherzigkeit die Nächte hindurch da auf dem Stroh schlafen lassen. Während des Tages geht er betteln, und er hat vorhin eine ergötzliche Unterredung mit einem andren Bettler gehabt, der nahe bei Buen-Retiro, auf dem Wege zu Hof wohnt. Dieser macht sehr gute Geschäfte; er ist ein wohlhabender Mann und er hat eine Tochter zu verheirathen, die bei den Bettlern als eine reiche Erbin gilt. Der Soldat nahte sich diesem Maravedi-Papa und sagte ihm: Senhor Bettler, ich habe meinen rechten Arm verloren; ich kann dem König nicht mehr dienen, und um zu leben, sehe ich mich gezwungen, den Vorübergehenden Höflichkeiten zu erweisen; ich weiß sehr wohl, daß von allen Handwerken dies das ist, welches am besten seinen Mann nährt und daß ihm weiter nichts fehlt, als daß es ein wenig ehrenvoller sein könnte. Wenn es ehrenvoll wäre, hat der Andre geantwortet, würde es nichts mehr taugen, denn alle Welt würde es treiben!

Ihr habt Recht, versetzte der Einarmige; also, ich bin einer eurer Mitbrüder und ich möchte mich mit Euch verbinden. Gebt mir eure Tochter zur Frau! Denkt nicht daran, hat der Geldprotze geantwortet; die muß eine bessere Partie machen. Ihr seid zu einem Schwiegersohn für mich nicht Krüppel genug; ich verlange einen, der im Stande ist, das Herz eines Wucherers zu rühren. Bin ich denn, hat der Soldat entgegnet, nicht in einer hinreichend trübseligen Lage? Ah bah, hat der Andere barsch geantwortet, Ihr seid nur einarmig und Ihr wagt Ansprüche auf meine Tochter zu machen? Wißt Ihr, daß ich sie einem Krüppel ohne Beine abgeschlagen habe?

Ich hätte Unrecht, fuhr der Teufel fort, an dem Hause, das an das der Gräfin stößt, vorüberzugehn – es wohnen darin ein alter trunksüchtiger Maler und ein bissiger Poet. Der Maler ist heut Morgen um sieben aus dem Hause gegangen in der Absicht, einen Beichtvater für seine todtkranke Frau zu holen; aber er ist einem seiner Freunde begegnet, der ihn mit sich ins Wirthshaus gezogen hat, und er ist vor zehn Uhr Abends nicht heimgekommen. Der Poet, der im Rufe steht, zuweilen für seine bissigen Verse schmerzhafte Honorare ausbezahlt zu erhalten, sagte vorhin mit prahlerischem Ton in einem Café von Jemandem, der nicht gegenwärtig war: Das ist ein Hallunke, dem ich hundert Stockprügel geben werde. Das könnt Ihr schon, hat ein Spottvogel geantwortet, denn Ihr habt Vorrath in dem Artikel!

Ich darf eine Scene nicht vergessen, die heute bei einem Banquier dieser Straße, der kürzlich sein Geschäft in Madrid eröffnet hat, spielte; es sind nicht drei Monate, daß er mit großen Reichthümern aus Peru zurückgekommen ist. Sein Vater ist ein ehrlicher Zapareto oder Schuhsticker in Viejo de Mediana, einem großen Dorf in Altkastilien, an der Sierra d'Avila, wo er sehr zufrieden mit einer Frau vom selben Alter, das heißt sechzig Jahren, von seinem Handwerk lebt.

Es war lange Zeit verflossen, daß ihr Sohn von ihnen fortgezogen, um in Indien ein besseres Glück, als sie ihm verschaffen konnten, zu suchen. Mehr als zwanzig Jahre waren dahin, seit sie ihn nicht mehr gesehen. Sie sprachen oft von ihm; sie baten den Himmel täglich, ihn nicht zu verlassen, und sie ermangelten keinen Sonntag, ihn durch den Pfarrer, der zu ihren Freunden gehörte, ins Kirchengebet vor der Predigt aufnehmen zu lassen. Der Banquier seinerseits vergaß ihrer nicht. Sobald er sich ansässig gemacht, beschloß er sich selbst von der Lage zu unterrichten, worin sie sein könnten. Nachdem er zu diesem Ende seinen Domestiken gesagt, sie sollten nicht in Sorge um ihn sein, reiste er vor vierzehn Tagen ab, zu Pferd, ohne alle Begleitung, und begab sich in seinen Geburtsort.

Es war ungefähr zehn Uhr Abends und der gute Schuhflicker schlief an der Seite seiner Gattin, als sie plötzlich auffuhren bei dem Geräusch, welches der an die Thüre ihres kleinen Hauses pochende Banquier machte. Sie fragten, wer klopfe. Oeffnet, öffnet, rief er ihnen zu, es ist euer Sohn Francillo. Macht das Andren weiß! antwortete der gute Mann; packt euch fort, ihr Diebe! Für euch ist hier nichts zu holen. Francillo ist in Indien, wenn er nicht todt ist. Euer Sohn ist nicht in Indien, versetzte der Banquier; er ist aus Peru zurückgekommen, er ist's, der mit euch redet; weigert ihm den Eintritt in euer Haus nicht! – Steh auf, Jago, sagt nun die Frau; ich glaube wirklich, es ist Francillo, mir scheint, ich erkenne ihn an der Stimme! –

Hastig erhoben sich Beide; der Vater zündet eine Kerze an und die Mutter wirft sich eilig in ihre Kleider und geht, die Thüre zu öffnen. Sie blickt in Francillos Gesicht und da sie ihn nicht verkennen kann, wirft sie sich an seine Brust und preßt ihn in ihre Arme. Meister Jago, eben so bewegt wie seine Frau, umarmt gleichfalls seinen Sohn; und entzückt, nach langer Abwesenheit sich wieder vereinigt zu sehen, können die drei Leute nicht satt werden, sich dies Entzücken an den Tag zu legen.

Nachdem der Sturm der ersten Freude vorüber, nahm der Banquier seinem Pferde den Zaum ab und führte es in einen Stall, wo eine Kuh, die Nähramme des Hauses, ihren Stand hatte; dann gab er seinen Eltern Bericht über seine Reise und über das Vermögen, welches er aus Peru mitgebracht. Die Einzelheiten waren ein wenig lang und hätten theilnahmlose Zuhörer langweilen können; aber ein Sohn, der sein Herz im Erzählen seiner Abenteuer ausschüttet, kann eines Vaters und einer Mutter Aufmerksamkeit nicht ermüden; es giebt für sie keine gleichgültigen Umstände; sie hörten ihm mit Begierde zu und das Geringste, was er sagte, machte auf sie einen lebhaften, entweder freudigen oder schmerzlichen Eindruck.

Sobald er seinen Bericht geendet hatte, sagte er ihnen, daß er komme, um ihnen einen Theil seines Vermögens anzubieten, und er bat seinen Vater, nicht mehr zu arbeiten. Nein, mein Sohn, entgegnete ihm Meister Jago, ich liebe mein Handwerk und werde es nicht verlassen. Aber, antwortete der Banquier, ist es nicht Zeit, daß Ihr Euch ausruhet? Ich schlage Euch nicht vor, mit mir nach Madrid zu ziehen, ich weiß sehr wohl, daß der Aufenthalt in der Stadt keinen Reiz für Euch haben würde; ich will keine Unruhe in euer stilles Leben bringen; aber spart Euch wenigstens eine mühevolle Arbeit und lebet hier in Gemächlichkeit, da Ihr es ja könnt!

Die Mutter unterstützte die Ansicht des Sohnes und Meister Jago ergab sich. Nun wohl, Francillo, sagte er, um dir den Willen zu thun, werde ich nicht mehr für die ganze Einwohnerschaft des Dorfes arbeiten; ich werde nur noch meine eignen Schuhe sticken und die des Herrn Pfarrers, unseres guten Freundes. Nach diesem Friedensschluß schluckte der Banquier zwei frische Eier, die man für ihn kochte, hinunter und legte sich dann neben seinen Vater ins Bett, wo er mit einem Gefühl von Glück einschlief, das nur Kinder von gutem Herzen ihm nachzuempfinden vermögen.

Am andern Morgen ließ Francillo seinen Eltern eine Börse mit drei hundert Pistolen und reiste nach Madrid zurück. Heute früh aber ist er sehr überrascht gewesen, Meister Jago plötzlich bei sich eintreten zu sehen. Welcher Grund führt Euch zu mir, mein Vater? hat er ihn gefragt. Mein Sohn, hat ihm der Greis geantwortet, ich bringe dir deine Börse zurück; nimm dein Geld wieder; ich will von meinem Handwerk leben; ich sterbe vor Langeweile, seitdem ich nicht mehr arbeite. Wohl denn, mein Vater, hat Francillo darauf gesagt, kehrt in euer Dorf zurück; fahrt fort euer Handwerk auszuüben, aber nur um Euch die Langeweile zu vertreiben. Nehmt eure Börse wieder mit Euch und schont die meinige nicht! Was soll ich denn machen mit so vielem Gelde? hat Meister Jago erwiedert. Unterstützt die Armen damit, ist des Banquiers Antwort gewesen; gebraucht es nach dem Rathe, den Euch der Pfarrer geben wird. Der Schuhflicker ist mit dieser Antwort zufrieden gewesen und nach Mediana zurückgewandert. –

Don Cleophas hörte nicht ohne Vergnügen der Geschichte Francillos zu und war im Begriff, dem guten Herzen dieses Banquiers alle gehörigen Lobsprüche zu ertheilen, wenn nicht im selben Augenblicke gerade durchdringende Schreie seine Aufmerksamkeit gefesselt hätten. Senhor Asmodeus, rief er aus, welche laute Rufe lassen sich da vernehmen? – Dieses Geschrei, das durch die Lüfte schallt, antwortete der Teufel, geht von einem Hause aus, in welchem Narren eingesperrt sind; sie singen und schreien sich den Hals ab. – Wir sind nicht sehr weit von diesem Hause; gehen wir gleich, diese Narren zu sehen, versetzte Leandro. – Ich bin einverstanden, entgegnete der Teufel; ich will Euch dies Vergnügen verschaffen und Euch berichten, weshalb sie den Verstand verloren haben. Er hatte diese Worte kaum gesprochen, als er den Studenten auf die casa de los locos trug.



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