Alain René Lesage
Der hinkende Teufel
Alain René Lesage

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Von neuen Dingen, die Don Cleophas sah, und von der Art, wie er an Donna Thomasa gerächt wurde.

Wenden wir uns einer andern Seite zu, fuhr Asmodeus fort; fassen wir neue Gegenstände ins Auge. Werft eure Blicke auf das Hotel, welches gerade unter uns liegt. Ihr werdet da etwas sehr Seltsames erblicken, einen bis über die Ohren in Schulden steckenden Mann, der sich des tiefsten Schlummers erfreut. – Es ist also ein vornehmer Herr, sagte Leandro. – Richtig, antwortete der Dämon. Es ist ein Marquis von hunderttausend Dukaten Rente, dessen Ausgaben dennoch die Einnahmen übersteigen. Seine Tafel und seine Maitressen bringen ihn in die Nothwendigkeit, Schulden zu machen; aber dies stört seine Ruhe nicht; im Gegentheil, wenn er bei einem Kaufmann eine große Rechnung machen will, so denkt er, daß der Kaufmann ihm unendlich verpflichtet werde. Bei Euch, sagte er neulich einem Tuchhändler, bei Euch werde ich fortan auf Credit nehmen; ich gebe Euch den Vorzug.

Während dieser Marquis so ruhig die Süßigkeit des Schlummers genießt, die er seinen Gläubigern raubt, seht Euch den Mann an, der . . . Wartet, Senhor Asmodeus, unterbrach ihn plötzlich Don Cleophas, ich sehe eine Carosse in der Straße und will sie nicht vorüberlassen, ohne Euch zu fragen, wer darin sitzt? – Still, sagte der Hinkende, die Stimme dämpfend, als ob er gefürchtet hätte, vernommen zu werden – Ihr müßt wissen, daß diese Carosse eine der gewichtigsten Persönlichkeiten in der Monarchie verbirgt. Es ist ein Präsident, der sich bei einer alten, seinen Vergnügungen dienenden Asturierin zu unterhalten geht. Um nicht erkannt zu werden, hat er die Vorsicht gehabt, die Caligula hatte, der bei solcher Gelegenheit zu seiner Verkleidung eine Perrücke aufsetzte.

Kommen wir zu der Scene zurück, die ich Euch vor die Augen führen wollte, als Ihr mich unterbracht. Seht ganz oben im Hotel des Marquis einen Mann, der in einem mit Büchern und Manuscripten angefüllten Gemach arbeitet. – Es ist vielleicht, bemerkte Zambullo, der Intendant, beschäftigt, die Mittel aufzusuchen, um die Schulden seines Herrn zu bezahlen. – Ach, antwortete der Teufel, das sind just die Beschäftigungen, mit denen sich die Intendanten dieser Art von Herrschaften die Zeit vertreiben! Sie denken viel eher daran, aus der Unordnung Nutzen zu ziehen, als Ordnung herzustellen. Es ist also kein Intendant, den Ihr seht, sondern ein Schriftsteller. Der Marquis hat ihm eine Wohnung in seinem Hause eingeräumt, um sich das Ansehn eines Beschützers der Gelehrten zu geben. – Dieser Schriftsteller, erwiederte Don Cleophas, ist augenscheinlich ein großer Mann. – Ihr sollt darüber urtheilen, versetzte der Dämon. Er ist umgeben von tausend Bänden und er zieht daraus einen weiteren, in dem nicht das Geringste von ihm selber enthalten ist. Er stiehlt aus diesen Büchern und Manuscripten, und obwohl er seine geraubten Lappen nur zusammennäht, ist er doch eitler als ein richtiger, schaffender Autor.

Ihr wißt nicht, fuhr der Geist fort, wer drei Thüren weiter oben von diesem Hotel wohnt; es ist die Chichona, dieselbe Frau, deren ich so ehrenvoll in der Geschichte des Grafen Belflor erwähnte. – Ach, wie entzückt bin ich, sie zu sehen! sagte Leandro. Diese gute, jungen Leuten so hülfreiche Person ist ohne Zweifel eine von den zwei Alten, die ich in einem Saal im ersten Stock erblicke. Die eine hat die Ellbogen auf einen Tisch gestützt und schaut aufmerksam der andern zu, die Geld zählt. Welche von beiden ist die Chichona? – Die, versetzte der Dämon, die nicht zählt. Die Andre, die Pebrada genannt, ist eine ehrenwerthe Matrone von derselben Zunft; sie haben sich zusammengethan und theilen in diesem Augenblick die Ergebnisse ihrer Mitwirkung bei einer Geschichte, die sie zu ihrem Ende geführt haben.

Die Pebrada hat die meisten Kunden; sie hat mehrere reiche Wittwen an der Hand, denen sie täglich ihre Liste zum Lesen bringt. – Was nennt Ihr Liste? fragte der Student. – Die Namen aller Fremden von hübschem Aeußern, und namentlich der Franzosen, die nach Madrid kommen, antwortete Asmodeus. Sobald diese Zwischenträgerin von Neuangekommenen hört, läuft sie zu ihren Herbergen, um geschickt zu ermitteln, aus welchem Lande sie sind, von welcher Herkunft, wie groß, wie sie aussehn, wie alt sie sind. Dann stattet sie ihren Wittwen Bericht ab, die darüber ihre Betrachtungen anstellen; und wenn besagten Wittwen die Sache behagt, so bringt sie sie mit besagten Fremden in Verbindung.

Das ist sehr bequem und gewissermaßen zweckmäßig eingerichtet, versetzte Zambullo lächelnd; am Ende würden doch die jungen Fremden, die hier keine Bekanntschaften haben, ohne diese guten Damen und ihre Agentinnen unendlich viel Zeit verlieren, um solche Bekanntschaften anzuknüpfen. Aber sagt mir, ob es solche Wittwen und solche Zwischenträgerinnen auch in den andern Ländern giebt? – O, ob es ihrer giebt, antwortete der Hinkende – könnt Ihr daran zweifeln? Ich würde sehr schlecht meine Berufspflichten erfüllen, wenn ich unterließe, die großen Städte damit anzufüllen.

Aber jetzt lenkt eure Aufmerksamkeit auf den Nachbar der Chichona, auf diesen Drucker, der ganz allein in seiner Druckerei arbeitet. Seit drei Stunden hat er seine Arbeiter fortgesandt. Er will die Nacht hindurch heimlich ein Buch drucken. – Und was ist das für ein Werk? sagte Leandro. – Es handelt von den Beleidigungen, antwortete der Teufel, es beweist, daß die Religion höher steht als das Ehrgefühl und daß es besser ist, eine Kränkung zu vergeben als zu rächen. – Oh, der Heuochs von einem Drucker! rief der Student aus; er thut wohl, sein niederträchtiges Buch in Geheim zu drucken. Der Verfasser soll es sich nicht einfallen lassen, seinen Namen bekannt zu machen, ich würde der Erste sein, ihn durchzuprügeln! Verbietet die Religion, seine Ehre zu wahren?

Lassen wir uns darüber nicht in Erörterungen ein, unterbrach ihn Asmodeus mit boshaftem Lächeln. Es scheint, daß Ihr in den Vorlesungen über Moral, die man Euch in Alcala gehalten, viel profitirt habt. Ich wünsche Euch Glück dazu! – Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, unterbrach ihn Don Cleophas, der Verfasser dieses saubern Buches mag die schönsten Auseinandersetzungen von der Welt machen – ich lache über ihn; ich bin ein Spanier; die Rache ist das Süßeste, was es giebt, und da Ihr mir versprochen habt, die Tücke meiner Geliebten zu strafen, so fordere ich Euch auf, mir Wort zu halten.

Ich gehorche mit Vergnügen dem Eifer, in den Ihr gerathet, sagte der Dämon. Wie liebe ich diese guten Naturen, die ohne Skrupel sich dem hingeben, was sie erfaßt! Ihr sollt auf der Stelle befriedigt werden; auch ist der Augenblick, Euch zu rächen, gekommen; vorher will ich Euch nur etwas sehr Ergötzliches erblicken lassen. Schaut über die Druckerei hinaus und beobachtet wohl, was in einem mit muskatfarbenem Tuche tapezirten Zimmer geschieht. – Ich bemerke darin, versetzte Leandro, fünf oder sechs Frauen, die wie wetteifernd einer Art von Bedienten gläserne Flaschen geben, und sie scheinen mir in grenzenloser Aufregung.

Es sind, erklärte der Hinkende, Frömmlerinnen und sie haben allen Grund, beunruhigt zu sein. Es liegt in dieser Wohnung ein Inquisitor krank darnieder. Diese verehrungswürdige Persönlichkeit, die fünf und dreißig Jahre alt ist, liegt in einem Zimmer neben dem, worin sich jene Frauen befinden. Zwei von ihnen, seine geliebtesten Beichtkinder, verpflegen ihn; die eine kocht ihm Bouillons und die andre sitzt an seinem Kopfkissen und hält ihm den Kopf warm und zieht ihm eine aus fünfzig Schaffellen zusammengesetzte Decke über die Brust. – Welche Krankheit hat er denn? fragte Zambullo. – Einen Gehirnrheumatismus, antwortete der Teufel, und es ist zu fürchten, daß ihm der Rheumatismus auf die Brust falle.

Die andern Frommen, die Ihr in seinem Vorzimmer seht, eilen mit Mitteln herbei, da sie von seinem Unwohlsein gehört haben. Die eine bringt Syrope von Brustbeeren, Althea, Korallen und Huflattich; die andre hat sich, um den Lungen Seiner Ehrwürden wohlzuthun, mit Syropen zum langen Leben, von Ehrenpreis, Immortellen und ähnlichem Zeug bepackt; eine dritte bringt, um ihm das Gehirn und den Magen zu stärken, Melissenwasser, Zimmtgerste, Theriakwasser, Muskatessenz und grauen Ambra. Jene da hat Confekt von Anacarden und Bezoar, und diese hier Latwergen von Veilchen, Korallen, Tausendblumen, Sonnenblumen und Smaragdenkraut. Alle diese eifrigen Frömmlerinnen preisen dem Diener des Inquisitors die Sachen, die sie herbeigebracht haben, sie nehmen eine nach der anderen ihn bei Seite, und jede drückt ihm einen Dukaten in die Hand mit den Worten: Laurentio, mein theurer Laurentio, ich bitte dich, sorge dafür, daß meine Flasche den Vorzug erhält!

Ei der Tausend, rief Don Cleophas, man muß gestehen, daß diese Inquisitoren glückliche Sterbliche sind. – Ich stehe Euch dafür, erwiederte Asmodeus; ich bin nahe daran, ihr Schicksal zu beneiden; und wie Alexander eines Tages sagte, daß er hätte Diogenes sein mögen, wenn er nicht Alexander wäre, so möchte ich sagen: wenn ich nicht ein Teufel wäre, möchte ich Inquisitor sein!

Aber jetzt, fuhr er fort, jetzt gehen wir, um die Undankbare zu strafen, die eure Zärtlichkeit so übel belohnt hat. Und Zambullo ergriff nun den Zipfel vom Mantel des Asmodeus, der zum zweiten Mal mit ihm die Lüfte durchschnitt und sich dann niederließ auf dem Hause der Donna Thomasa.

Die Schelmin saß zu Tisch mit den vier Raufbolden, die Leandro über die Dächer fort verfolgt hatten; dieser knirschte vor Wuth, als er sie zwei Feldhühner und ein Kaninchen mit einigen Flaschen guten Weins verzehren sah, die er selber bezahlt und zu seiner Geliebten hatte tragen lassen. Um seinen Aerger noch mehr zu stacheln, nahm er wahr, daß bei dem Mahl ausgelassene Heiterkeit herrschte, und aus dem Wesen Donna Thomasas schloß er, daß die Gesellschaft dieser Elenden der Ruchlosen angenehmer war als die seine!

O, die Schufte, schrie er mit dem Tone der Wuth – da sitzen sie und schmausen auf meine Kosten . . . welcher Hohn für mich!

Ich gestehe es, sagte ihm der Dämon, dieses Schauspiel ist nicht sehr ergötzlich für Euch; aber wenn man galante Damen besucht, muß man auf solche Abenteuer gefaßt sein; in Frankreich stoßen sie tausendmal den Abbés, den Priestern der Themis und den Herrn vom Geldsack zu. – Hätte ich einen Degen, rief Don Cleophas, ich würde mich auf diese Schelme stürzen und ihnen ihr Vergnügen versalzen. – Die Partie würde nicht gleich stehen, versetzte der Hinkende, wenn Ihr allein sie angriffet; überlasset mir die Sorge, Euch zu rächen; ich komme besser damit zu Stande. Ich will Hader unter diese Raufbolde bringen, indem ich ihre Sinnlichkeit aufstachele; sie werden sich Einer gegen den Andren waffnen – Ihr sollt einen hübschen Lärmen erleben.

Bei diesen Worten hauchte er und aus seinem Munde ging ein violetter Rauch hervor, der wie ein Schwärmer beim Feuerwerk schlangenförmig niederschoß und sich auf dem Tische der Donna Thomasa ausbreitete. Sogleich schien einer der Tafelgäste die Wirkung dieses Hauchs zu fühlen – er näherte sich der Donna und umarmte sie mit Inbrunst; die andern, von der Gewalt desselben Dunstes ergriffen, wollten ihm die Dirne entreißen; jeder verlangt sie zuerst zu besitzen; sie beginnen zu streiten, eine eifersüchtige Wuth bemächtigt sich ihrer; sie gerathen sich in die Haare, sie ziehen ihre Degen und stürzen sich in einen wüthenden Kampf. Unterdeß stößt Donna Thomasa furchtbare Schreie aus; die ganze Nachbarschaft geräth in Aufregung; man ruft nach der Polizei; die Polizei kommt, sie schlägt die Thüre ein, sie dringt ins Gemach und findet zwei dieser Raufer auf dem Fußboden ausgestreckt; die andern erfaßt sie und führt sie zusammt der Dirne ins Gefängniß. Die Unglückliche hat ihr Weinen, ihr Haarausreißen, ihr Verzweifeln umsonst; die Leute, welche sie fortschleppen, werden dadurch nicht mehr gerührt als Zambullo selbst, der darüber mit Asmodeus in lautes Lachen ausbricht.

Nun, sagte der Dämon zum Studenten, seid Ihr zufrieden? – Nein, antwortete Don Cleophas, um mich ganz zu befriedigen, müßt Ihr mich auf das Gefängniß tragen, damit ich das Vergnügen habe, die Elende, die mit meiner Liebe ihren Spott getrieben, darin einsperren zu sehen. Ich fühle jetzt mehr Haß gegen sie, als ich sie je geliebt habe. – Dazu bin ich bereit, antwortete der Teufel; Ihr werdet mich immer bereit finden, euren Willen zu erfüllen, wenn er auch wider den meinen und wider mein Interesse ist – vorausgesetzt, daß es zu eurem Nutzen gereicht.

Sie flogen nun beide auf die Gefängnisse, wo die zwei Raufbolde bald hernach ankamen und in ein dunkles Loch gesteckt wurden. Donna Thomasa aber wurde auf ein Strohlager gebracht, auf dem sie die Nacht mit drei oder vier liederlichen Weibsbildern zubringen konnte, die man im Laufe des Tages eingefangen hatte und die am andern Tage nach den Orten geschafft werden sollten, wo solche Geschöpfe untergebracht zu werden pflegen.

Jetzt bin ich zufrieden, sagte Zambullo; ich habe eine volle Rache genossen; meine süße Thomasa wird die Nacht nicht so angenehm verbringen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Gehen wir, wohin es Euch gut scheint, um unsre Beobachtungen fortzusetzen. – Wir sind hier am richtigen Ort dazu, antwortete der Geist. In diesen Gefängnissen befinden sich viele Schuldige und viele Unschuldige; es ist ein Aufenthalt, in welchem die Strafe jener beginnt und diese ihre Tugend zu erhöhen Gelegenheit haben. Von beiden Arten muß ich Euch einige zeigen und Euch sagen, weshalb man sie in Fesseln hält.



 << zurück weiter >>