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Was der hinkende Teufel für ein Teufel ist. Wo und durch welchen Zufall Don Cleophas Leandro Perez Zambullo seine Bekanntschaft machte.
Eine Oktobernacht hüllte die berühmte Stadt Madrid in dichte Finsterniß; schon hatte die Bevölkerung sich an den häuslichen Herd zurückgezogen und die Straßen den Verliebten freigelassen, die unter die Balkone ihrer Schönen von ihrem Glück oder ihren Schmerzen zu singen kamen; schon beunruhigte der Klang der Guitarren sorgliche Väter und erschreckte eifersüchtige Gatten; mit einem Wort, es war fast Mitternacht, als Don Cleophas Leandro Perez Zambullo, ein Student der hohen Schule von Alcala, zum Dachfenster eines Hauses hinausfloh, in das der ruchlose Sohn der Göttin von Cythere ihn gelockt hatte. Er suchte Ehre und Leben zu retten, indem er drei oder vier Raufbolden zu entwischen strebte, die ihm dicht auf den Fersen waren und ihn tödten oder ihn zwingen wollten, eine Donna zu heirathen, bei der sie ihn eben überrascht hatten.
Wenn auch allein gegen sie, hatte er sich doch herzhaft zur Wehre gesetzt und nur die Flucht ergriffen, weil sie ihm im Kampfe seinen Degen entrissen hatten. Eine Zeit lang verfolgten sie ihn auf den Dächern, aber im Schutz der Dunkelheit entkam er ihnen. Er nahm nun seine Richtung auf ein Licht zu, welches er in der Ferne erblickte und das, so schwach es war, ihm als ein Leuchtthurm auf seinem gefährlichen Wege diente. Nachdem er mehr als einmal Gefahr gelaufen, sich den Hals zu brechen, gelangte er an eine Dachkammer, aus der die Strahlen dieses Lichtes fielen, und er stieg durch das Fenster hinein, so froh wie ein Schiffer, der sein vom Schiffbruch bedrohtes Fahrzeug glücklich im Hafen sieht.
Zuerst blickte er nach allen Seiten um sich; er war erstaunt, Niemanden in dieser Bodenstube zu finden, die ihm ziemlich wunderbar vorkam, und begann sie sehr genau zu betrachten. Von der Decke hing eine kupferne Lampe nieder, Bücher und Papiere lagen wirr durcheinander auf dem Tische; hier waren ein Globus und Compasse, dort Phiolen und mathematische Instrumente zu sehn – offenbar mußte im unteren Stockwerk irgend ein Astrolog hausen, der in diesem ungemüthlichen Raume seine Beobachtungen machte.
Der Student dachte an die Gefahr, der sein guter Stern ihn hatte entkommen lassen, und überlegte sich, ob er bis zum Morgen hier verweilen oder einen andern Entschluß fassen solle – als er einen tiefen Seufzer neben sich ausstoßen hörte. Er glaubte im ersten Augenblick, daß es irgend eine Vorspiegelung seiner aufgeregten Sinne sei, eine Täuschung, wie sie die Nacht hervorruft; deshalb gab er sich bald, ohne weiter Gewicht darauf zu legen, wieder seinen Gedanken hin.
Da aber hörte er zum zweitenmale seufzen und zweifelte nun nicht länger, daß er es mit etwas Wirklichem zu thun habe; und obwohl er Niemand in der Kammer sah, rief er laut aus: Wer zum Teufel seufzt hier? – Ich, Herr Student, antwortete im selben Augenblick eine höchst merkwürdige Stimme. Ich stecke seit sechs Monaten in einer dieser zugestöpselten Phiolen. Es wohnt in diesem Haus ein gelehrter Astrolog, der ein Zauberer ist, und er ist es, der durch die Macht seiner Künste mich in diesem engen Gefängniß eingeschlossen hält. – Seid Ihr denn ein Geist? fragte Cleophas ziemlich betroffen über die Seltsamkeit dieses Abenteuers. – Ich bin ein Dämon, antwortete die Stimme; und Ihr kommt just zur rechten Stunde, um mich aus der Sklaverei zu befreien. Ich gehe in der Unthätigkeit zu Grunde, denn ich bin der regsamste und emsigste Teufel der Hölle.
Diese Worte setzten den Herrn Zambullo einigermaßen in Schrecken; aber da er ein verwegener Geselle war, so beruhigte, er sich und sagte dem Geist mit fester Stimme: Erst, Herr Teufel, muß ich Euch bitten, mir zu sagen, welchen Rang Ihr unter euren Mitbrüdern einnehmt, ob Ihr ein adliger oder bürgerlicher Teufel seid? – Ich bin ein Teufel von Wichtigkeit, antwortete die Stimme, und der, welcher von allen in dieser und in jener Welt den größten Ruf hat. – Wärt Ihr vielleicht, entgegnete Don Cleophas, der Dämon, den man Lucifer nennt? – Nein, versetzte der Geist, das ist der Teufel der Marktschreier und Windbeutel. – Seid Ihr Uriel? fuhr der Student fort. – O pfui, unterbrach ihn barsch die Stimme, das ist der Patron der Kaufleute, Schneider, Schlächter, Bäcker und der andern Spitzbuben aus dem Pöbel. – Ihr seid vielleicht Belzebub? sagte Leandro. – Wollt Ihr spotten? antwortete der Geist – das ist der Teufel der Duegnen und Stallmeister.
Das wundert mich, sagte Zambullo; ich glaubte, Belzebub sei eine der vornehmsten Persönlichkeiten in eurer Gesellschaft. – Eine der untersten, entgegnete der Teufel; Ihr macht Euch verkehrte Vorstellungen von unsrer Hölle.
So müßt Ihr wohl, fuhr Don Cleophas fort, Leviathan, Belphegor oder Astaroth sein! – Oh, was diese drei betrifft, sagte die Stimme, so sind sie allerdings Teufel vom ersten Rang; sie sind Hofteufel, sie kommen in die Berathungen der Fürsten, sie blasen den Ministern ein, sie bilden Verschwörungen, schüren Empörungen in den Staaten an und entzünden die Fackeln des Krieges. Das sind keine Duckmäuser wie die, welche Ihr zuerst nanntet. – Ach, seid so gut und sagt mir, versetzte der Student, was sind die Obliegenheiten Flagels? – Der ist die Seele der Chikane und der Geist der Rechtsgelehrten, entgegnete der Dämon. Er macht den Gerichtsvollziehern und Notaren die Protokolle. Er ist der Einbläser der Anwälte, reitet die Advokaten, und sitzt den Richtern im Nacken.
Was mich angeht, ich habe andre Beschäftigungen; ich stifte lächerliche Heirathen; ich bringe Graubärte mit Backfischen zusammen, Herrn mit ihren Mägden; Mädchen ohne Ausstattung mit zärtlichen Liebhabern, die kein Vermögen haben. Ich bin es, der in die Welt den Luxus, die Ausschweifungen, die Glücksspiele und die Alchimie eingeführt hat. Ich bin der Erfinder der Carroussels, des Tanzes, der Musik, der Theater und aller neuen französischen Moden: mit einem Wort, ich bin Asmodeus, zubenannt der hinkende Teufel.
Wie, rief Don Cleophas aus, wärt Ihr der berufene Asmodeus, dessen so rühmlich im Agrippa und im Schlüssel Salomonis erwähnt wird? Ihr habt mir dann aber wahrhaftig nicht Alles, womit Ihr Euch ergötzt, aufgezählt, das Beste habt Ihr verschwiegen. Ich weiß, daß Ihr Euch zuweilen damit unterhaltet, den unglücklichen Liebenden beizustehen; zum Beweise erinnere ich Euch daran, daß im vorigen Jahre einer meiner Freunde in Alcala, ein Baccalaureus, mit eurer Hilfe die Gunst der Frau eines Universitätslehrers gewann. – Das ist wahr, sagte der Geist; ich bewahrte mir das für den Schluß auf. Ich bin der Teufel der Wollust oder, um es sittsamer auszudrücken, der Gott Cupido; denn die Poeten haben mir diesen hübschen Namen gegeben und schildern mich mit sehr vortheilhaften Farben. Sie sagen, ich hätte vergoldete Schwingen, eine Binde um die Augen, einen Bogen in der Hand, einen Köcher voll Pfeile auf dem Rücken und dazu eine hinreißende Schönheit. Ihr werdet selbst sehen, was daran wahr ist, wenn Ihr mich in Freiheit setzen wollt!
Senhor Asmodeus, entgegnete Leandro Perez, ich stehe schon lange, wie Ihr wißt, vollständig in euren Diensten; der beste Beweis ist die Gefahr, der ich soeben entronnen bin. Ich bin sehr erfreut, die Gelegenheit zu finden, Euch zu verpflichten; aber das Gefäß, in welchem Ihr eingeschlossen seid, ist ohne Zweifel ein verzaubertes Gefäß; ich würde umsonst versuchen, es zu öffnen oder zu zerbrechen und deshalb ist mir nicht recht klar, auf welche Weise ich Euch aus dem Gefängniß werde befreien können. Ich habe nicht viel Uebung in dieser Art von Befreiungen; und unter uns, wenn Ihr, der Ihr ein so durchtriebener Teufel seid, Euch nicht aus der Sache zu ziehen wißt, wie könnte ich armseliger Sterblicher damit zu Stande kommen? – Die Menschen haben diese Macht, antwortete der Dämon. Die Phiole, in welche ich eingesperrt bin, ist nichts als eine einfache, leicht zu zerbrechende Glasflasche. Ihr braucht sie nur zu nehmen und sie auf die Erde zu werfen – und sofort werdet Ihr mich in menschlicher Gestalt dastehen sehen. – Auf diese Art, sagte der Student, ist die Sache leichter als ich dachte. Erklärt mir, in welcher Phiole Ihr steckt; ich sehe eine ziemlich große Anzahl von ähnlichen und kann sie nicht unterscheiden. – Es ist die vierte in der Reihe vom Fenster her, versetzte der Geist. Obwohl der Abdruck eines magischen Siegels auf dem Stöpsel ist, wird die Flasche nichts desto weniger zerbrechen.
Das reicht hin, fiel Don Cleophas ein. Ich bin bereit, euren Wunsch zu erfüllen; nur ein kleines Bedenken hält mich noch zurück; ich fürchte, wenn ich Euch den verlangten Dienst erwiesen habe, werde ich für den Schaden zu Buche stehn müssen. – Es wird Euch nicht das geringste Unheil zustoßen, erwiederte der Teufel; im Gegentheil, Ihr werdet mit meiner Dankbarkeit zufrieden sein. Ich werde Euch über Alles belehren, was Ihr zu wissen verlangt; ich werde Euch Alles, was in der Welt vorgeht, enthüllen; ich werde die Schwächen der Menschen vor Euch aufdecken; ich werde euer Schutzgeist sein; und, erleuchteter als der Genius des Sokrates, werde ich Euch noch weiser machen als dieser große Philosoph war. Mit einem Wort, ich ergebe mich Euch mit meinen guten und schlimmen Eigenschaften, von denen die einen Euch nicht weniger nützlich sein werden als die andern.
Das sind schöne Versprechungen, entgegnete der Student; aber Ihr Herrn Teufel steht ein wenig in dem Ruf, nicht sehr gewissenhaft im Halten dessen zu sein, was Ihr uns versprecht. – Diese Beschuldigung ist nicht ohne Grund, erwiederte Asmodeus. Die meisten von meinen Mitbrüdern machen sich kein Gewissen daraus, Euch ihr Wort zu brechen. Aber was mich angeht, so bin ich, abgesehen davon, daß ich den Dienst, den ich von Euch erwarte, nicht theuer genug bezahlen kann, der Sklave meiner Schwüre; und ich schwöre Euch bei Allem, was sie unverbrüchlich machen kann, daß ich Euch nicht täuschen werde. Zählt auf die Versicherung, die ich Euch gebe, und, was Euch sehr angenehm sein wird, ich bin bereit, Euch noch in dieser Nacht an Donna Thomasa zu rächen, der treulosen Dame, welche vier Raufbolde bei sich verborgen hatte, um Euch zu überraschen und Euch zur Heirath zu zwingen.
Der junge Zambullo wurde von diesem letzten Versprechen ganz besonders entzückt. Um die Erfüllung desselben zu beschleunigen, eilte er, die Phiole, worin der Geist war, zu ergreifen und ohne sich weiter um das, was daraus entstehen könne, zu kümmern, ließ er sie heftig fallen. Sie zerbrach in tausend Stücke und überschwemmte den Boden mit einer schwarzen Flüssigkeit, die nach und nach verdampfte und sich in einen Rauch verwandelte, der, sich plötzlich zerstreuend, den überraschten Studenten die Gestalt eines Mannes in einem Mantel, von der Höhe von ungefähr drittehalb Fuß und auf zwei Krücken gestützt, erblicken ließ. Das kleine hinkende Ungeheuer hatte Bockfüße, ein langes Gesicht mit spitzem Kinn, schwarzgelbem Teint und sehr plattgedrückter Nase; seine Augen schienen sehr klein, aber sie glühten wie zwei brennende Kohlen; sein weitaufgespaltener Mund hatte Lippen, die gar nicht zu beschreiben waren, und darüber einen rothen, in zwei Haken auffrisirten Schnurrbart.
Dieser anmuthige Cupido hatte eine Art Turban von rothem Krepp mit einem Busch von Hahnen- und Pfauenfedern daran um den Kopf gewickelt. Um den Hals trug er einen breiten Kragen von gelber Leinwand, auf welchem verschiedene Muster von Halsbändern und Ohrgehängen gezeichnet waren. Er war gekleidet in einen kurzen Rock von weißer Seide, in der Mitte gegürtet mit einem breiten Bande von weißem Pergament, das ganz mit Zauberzeichen bemalt war. Auf dem Rocke sah man mehrere, für die Büste sehr vortheilhaft auswattirte Schnürleiber, Schärpen, bunte Schürzen und neue Frisuren abgemalt, die einen noch abenteuerlicher als die anderen.
Dies Alles aber war nichts im Vergleich zu seinem Mantel, dessen Grundstoff auch aus weißer Seide bestand. Darauf war eine Unzahl von Gestalten mit chinesischer Tusche gemalt, mit so großer Freiheit der Erfindung und solcher Derbheit der Auffassung, daß man wohl sah, daß der Teufel dabei den Pinsel geführt. Auf der einen Seite sah man eine in ihre Mantille gehüllte Spanierin, die mit einem jungen Fremden auf der Promenade kokettirte; auf der andern eine Französin, die sich vor einem Spiegel ein neues Mienenspiel einstudirte, um seine Wirkung an einem jungen Abbé zu erproben, der am Thürvorhang ihres Zimmers erschien, geschminkt und mit Schönpflästerchen geziert. Hier sah man italienische Cavaliere unter den Balkonen ihrer Schönen singen und Guitarre spielen; dort umgaben deutsche Wüstlinge, trunkener und tabakbesudelter als französische Pflastertreter, eine mit den Spuren ihres Zechgelages überschwemmte Tafel. Man erblickte an einer Stelle einen aus dem Bade steigenden Türken, umgeben von allen Frauen seines Serails, die sich beeiferten, ihm Dienste zu leisten; an einer andern einen Engländer, der seiner Dame mit großer Galanterie eine Pfeife und Bier überreichte.
Man sah auch vortrefflich dargestellte Spieler; die einen füllten in großer Freude ihre Hüte mit Gold- und Silberstücken; die andern, die nur noch auf ihr Ehrenwort spielten, schleuderten dem Himmel gotteslästerliche Blicke zu und zerrissen ihre Karten in heller Verzweiflung. Kurz, man sah auf diesem Mantel so viel merkwürdige Dinge, wie auf dem bewundernswürdigen Schilde, den auf die Bitten der Thetis Vulkan anfertigte; aber zwischen den beiden Arbeiten dieser zwei hinkenden Geister war der Unterschied, daß die Gestalten auf dem Schild durchaus keinen Bezug auf die Heldenthaten des Achill hatten, während die auf dem Mantel im Gegentheil ebenso viele lebenswahre Abbildungen von Allem dem waren, was auf Betreiben des Asmodeus in der Welt geschieht. –