Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Funfzehntes Kapitel.

Belag des Sprüchworts: Sobald Petrus gen Hof kam, ward ein Schalk daraus.

Als ich für einen Liebling des Herzogs von Lerma bekannt war, höfelte man mir. Alle Morgen befand sich mein Vorsaal vollgepfropft, und ich ertheilte, sobald ich aufgestanden war, Audienz. Es kamen zweyerley Sorten Leute zu mir. Die eine bemühte sich für gut Geld dieß oder das vom Minister durch mich zu erhalten, und die andre durch gute Worte. Die ersten konnten darauf zählen, wohl erhört und wohl bedient zu werden. Die andern aber sucht' ich mir auf der Stelle vom Halse zu schaffen, entweder durch Ausflüchte oder durch Hinzögerungen, die ihre Geduld endlich reissen machten.

Eh' ich an den Hof kam, war ich von Natur mitleidig, liebreich; allein daselbst hat man keine menschliche Schwachheit mehr, und ich wurde härter wie ein Kiesel. Mithin verlor sich auch die warme Zuneigung zu meinen Freunden; ich ward äusserst kalt gegen sie. Mein Verfahren gegen Joseph Navarro bey einer gewissen Gelegenheit, die ich sogleich anführen will, wird dieß zur Gnüge beweisen.

Dieser Navarro, dem ich soviel Verbindlichkeit hatte, und der, so zu sagen, der Stifter 265 meines Glücks gewesen war, kam eines Tages zu mir. Nachdem er sich sehr freundschaftlich gegen mich bezeigt hatte, wie er gemeiniglich zu thun pflegte, wenn er mich sah, so bath er mich für einen seiner Freunde um eine gewisse Bedienung beym Herzog von Lerma anzuhalten.

Es wäre, sagte er, ein sehr liebenswürdiger und äusserst verdienstvoller junger Mann, der Cavalier, für den er den Posten zu erhalten wünschte, der aber für sich nicht zu leben hätte. Ich zweifle nicht, fuhr Joseph fort, daß so ein gütiger und dienstfertiger Mann, wie Sie, sich das größte Vergnügen daraus machen wird, einem rechtschaffnen aber unbegüterten Menschen fortzuhelfen. Seine Dürftigkeit gereicht ihm bey Ihnen zum Empfehlsschreiben. Ich bin überzeugt, Sie werden mir vielen Dank wissen, daß ich Ihnen eine Gelegenheit verschafft, Ihre Neigung wohlzuthun zu befriedigen.

Dieß hieß mir dürr genug herausgesagt, man erwarte diesen Dienst von mir für nichts und wieder nichts. So wenig mir dieß nun auch anstand, so schien ich dennoch sehr geneigt, seine Wünsche zu erfüllen. Ich bin höchst erfreut, sagt' ich zum Navarro, eine Gelegenheit zu finden, wodurch ich Ihnen einigermaßen zeigen kann, wie warmerkenntlich ich für das alles bin, was Sie für mich gethan haben. Daß Sie Sich für jemand interessiren, ist mir schon hinlänglich; 266 mehr braucht es nicht, um mich zu dem Entschlusse zu bringen, ihm zu dienen. Ihr Freund soll, Ihrem Wunsche gemäß, die Bedienung haben. Zählen Sie darauf. Es ist nicht mehr Ihre Sache, es ist die meinige.

Auf die Versicherung ging Joseph Navarro höchst zufrieden von mir; nichts desto weniger bekam sein mir so stark empfohlner Freund den Posten nicht. Ich ertheilte ihn einem andern für tausend Ducaten, die ich in meine Schatulle schloß. Diese Summe war mir lieber als der Dank, den mir mein Küchenmeister würde dafür gesagt haben. Sobald wir uns wiedersahen, sagt' ich zu ihm mit niedergeschlagner Miene: Ah! mein bester Navarro, hätten Sie Sich doch eher Ihres Freundes wegen an mich gewandt. Calderon ist mir zuvorgekommen und hat den bewußten Dienst vergeben. Ich bin voll Verzweiflung, daß ich Ihnen keine bessere Neuigkeit sagen kann.

Joseph glaubte dieß ganz treuherziglich, und wir schieden von einander mehr Freund als jemahls: ich vermuthe aber, daß er bald hinter die Wahrheit gekommen seyn muß; denn er kam seit der Zeit nicht mehr zu mir. Ueber dieß Betragen gegen einen so wahren Freund, dessen so großer Schuldner ich war, empfand ich nicht den geringsten Gewissensvorwurf, vielmehr war ich ganz froh darüber. Ausserdem, daß mir seine geleisteten Dienste lästig fielen, fand ich es 267 auch nicht mehr für einen Mann, der so hoch am Brette war wie ich, ziemlich, mit Haushofmeistern Umgang zu pflegen.

Ich habe des Grafen Lemos bereits lange nicht erwähnt. Wir wollen nun wieder auf ihn kommen. Ich besuchte ihn unterweilen. Einmahl hatt' ich ihm bereits, wie oben gedacht, tausend Pistolen gebracht, und ich mußt' ihm auf Befehl seines Oheims, des Herzogs, wieder soviel von dem Gelde überbringen, das ich von Sr. Excellenz in Verwahrung hatte. Heut unterhielt sich der Graf eine geraume Zeit mit mir, und da erfuhr ich, daß er endlich sein Ziel erreicht habe, des Prinzen völlige Gunst besäße, und dessen einziger Vertrauter sey. Hierauf wurd' ich mit jenem sehr ehrenvollen Auftrage beladen, auf den er mich schon vorbereitet hatte.

Freund Santillana, sagte er zu mir, jetzt gilt's! Jetzt müßt Ihr thätig seyn. Wendet die äusserste Mühe an, eine junge Schöne zu entdecken, die einem solchen Prinzen zu einer angenehmen Unterhaltung dienen kann. Ihr habt Geist; ich brauch' Euch daher weiter nichts zu sagen. Geht, eilt, sucht, und wenn Ihr eine glückliche Entdeckung gemacht habet, so meldet mir's sogleich.

Ich versprach dem Grafen den möglichsten Fleiß anzuwenden, um dieß Geschäft gut auszurichten; allzuschwer schien mir dessen Ausführung 268 eben nicht, weil sich soviel Leute damit abgeben. Zwar war ich dergleichen Auskundschaftens nichts weniger denn gewohnt; ich zweifelte aber nicht, daß Scipio auch hierin viel leisten könnte.

Wie ich nach Hause kam, ließ ich ihn in mein Cabinet rufen, und sagte zu ihm: Ich muß Dir ein wichtiges Geheimniß entdecken, mein Kind. Weißt Du wohl, daß mir, so begünstigt ich auch vom Glücke bin, dennoch etwas fehlt? Was ich unschwer errathen kann, fiel er mir schnell in's Wort, einen kleinen lieben süssen Grillenvertreib, ein Labsal für Leib und Seel. 'S ist in der That zu verwundern, daß Sie im Frühlinge Ihrer Jahre nicht ein solches Nymphchen haben, da doch alte Knasterbärte ohne dergleichen nicht zurechte kommen können.

Ich bewundre Deine Scharfsicht, erwiedert' ich lächelnd. Ja, mein Freund, ich brauche eine Maitresse, und Du sollst mir eine schaffen. Ich sag' Dir aber, ich bin in dem Punct ein großes Leckermaul. Ich verlange ein niedliches Mädchen von Dir, deren Sitten unbescholten sind. Ein solch' Mädel ist zwar rar wie ein weißer Sperling, erwiederte Scipio lächelnd. Indeß wir sind Gott Lob und Dank! in einer Stadt, wo alles zu haben ist, und ich hoffe wohl, auch zu dem Deckel einen Topf zu finden.

In der That, sagte er mir drey Tage darauf: Ich hab' einen wahren Schatz entdeckt; ein 269 junges bildschönes Dämchen von guter Familie. Sie wohnt unter der Aufsicht ihrer Tante in einem kleinen Häuschen, und lebt mit selbiger in aller Still und Ehrbarkeit von ihrem eben nicht beträchtlichen Vermögen. Ihr Dienstmädchen, mit der ich gut bekannt bin, hat mir versichert: ihre Thür wäre zwar vor jedermann verschlossen, aber doch könnte sie sich wohl vor einem reichen und freygebigen Liebhaber öffnen, wofern er nur, um alles Aergerniß zu vermeiden, zur Nachtzeit, und in aller Stille zu ihr kommen wolle. Ich habe Sie hierauf als einen Cavalier abgemahlt, der wohl den Zutritt verdiene, und das Kammerkätzchen gebethen, ihren beyden Damen den Antrag zu thun. Sie hat mir's versprochen, und morgen soll ich mir an einem gewissen verabredeten Orte die Antwort von ihr abhohlen.

Wär' alles recht gut, gab ich zur Antwort, aber ich besorge nur, daß Dir das Kammermädchen etwas aufgeheftet hat. Ey ja doch, erwiederte er, ich bin auch grade der Mann, der sich etwas auf den Aermel binden läßt; ich habe bereits bey den Nachbaren Erkundigung eingezogen, und aus ihren Reden soviel abgenommen. daß Sennora Catalina ein Mädchen ganz nach Ihrem Herzen ist, das will sagen, eine Dame, bey der Sie, wenn Sie einen Pistolettenregen fallen lassen, gar leicht den Jupiter werden machen können. 270

So wenig ich auch sonst von dergleichen Buhlhändeln hielt, so lieh' ich mich diesem dennoch. Als das Kammermädchen den folgenden Tag Scipio'n gesagt hatte, es läge nur an mir, ob ich heut Abend bey Ihrer Herrschaft zusprechen wollte, so schlich ich mich zwischen Eilf und Zwölfe nach ihrem Hause hin.

Die Zofe wartete im Dunkeln auf mich, und führte mich bey der Hand in einen ganz artigen Saal, wo ich die beyden Damen galant gekleidet, auf atlassenen Kissen sitzend fand. Sobald sie mich gewahrten, erhoben sie sich, und machten mir ihre Verbeugungen mit einem so vornehmen Wesen, daß ich Damen von Stande vor mir zu sehen glaubte.

Die Base, welche Sennora Mencia hieß, zog, ob gleich noch schön, meine Aufmerksamkeit nicht auf sich. Ich hatte für nichts weiter Auge, als für die Nichte, die mir eine Göttinn dünkte. Streng untersucht würde sie gleichwohl für keine vollkommene Schönheit erkannt worden seyn; sie besaß aber viel Grazie, und hatte in ihrer Miene soviel Anlockendes und Wollüstiges, daß kein Männeraug' ihre Fehler zu bemerken vermochte.

Auch verwirrte ihr Anblick alle meine Sinne. Ich vergaß, daß ich nur als Geschäftsträger hierher gekommen war, und sprach in meinem eignen Nahmen. Ich spielte den schmachtenden Schäfer. Das Frauenzimmerchen, bey 271 der ich dreymahl mehr Geist fand, als sie wirklich hatte, (das machte alles ihre Liebenswürdigkeit) bestrickte mich durch ihre Antworten völlig. Ich war gar nicht mehr Meister von mir selbst, als die Base, um meine verliebten Aufwallungen zu mäßigen, mir sagte:

Sennor de Santillana, ich will ganz offen mit Ihnen reden. Man hat mir soviel Gutes von Ihro Gnaden gesagt, daß ich Ihnen den Zutritt zu mir verstattet habe, ohne Ihnen durch viele Zierereyen und Formalitäten diese Gunst recht gelten zu machen: glauben Sie aber nicht deßhalb um Einen Schritt weiter zu seyn; ich habe bisher meine Nichte ganz in der Einsamkeit erzogen, und Sie sind so zu sagen der erste Cavalier, dem ich sie vor Augen stelle. Halten Sie sie der Ehre würdig, sie zu Ihrer Gemahlinn zu machen, so werd' ich darüber nicht wenig Freude empfinden. Ueberlegen Sie's, ob Sie Ihnen um diesen Preis ansteht, wohlfeilern Kaufs können Sie sie nicht haben.

Wie sie mir so dicht auf die Haut rückte, ward Amor zurückgescheucht, der eben einen Pfeil auf mich abdrücken wollte. Ohne Metapher zu reden, eine mir mit so dürren Worten angetragene Heirath brachte mich wieder zu mir selbst; ich ward mit Einem Mahle wieder der treue Agent des Grafen Lemos, stimmte einen andern Ton an, und gab der Sennora Mencia zur Antwort: Ihre Offenherzigkeit, 272 Sennora, gefällt mir, und ich will sie erwiedern. So große Figur ich auch am Hofe mache, bin ich dennoch der unvergleichlichen Catalina nicht werth; ich habe für sie eine brilliantere Partie; unsern Kronprinzen. Mich dünkt, entgegnete die Base frostig, der Korb, den Sie meiner Nichte gaben, war schon hinlänglich, diese Spötterey obenein war nicht nöthig. Keine Spötterey, Sennora, rief ich, es ist völliger Ernst. Ich habe Befehl, ein Frauenzimmer aufzufinden, die es verdient, mit den Besuchen des Prinzen von Asturien beehrt zu werden; ich habe sie in Ihrem Hause gefunden, und somit werb' ich sie zur Fahne des Prinzen an.

Diese Worte setzten die Sennora Mencia in ein ungemeines Erstaunen, mißfielen ihr aber, wie ich merkte, gar nicht; dessenungeachtet glaubte sie die zurückhaltende spielen zu müssen, und versetzte: Wenn ich auch alles, was Sie da sagen, buchstäblich nehmen wollte, so müssen Sie wissen, daß es nicht in meinem Character ist, mir zu der schändlichen Ehre Glück zu wünschen, meine Nichte als Mätresse eines Prinzen zu sehen. Meine Tugend empört sich gegen die Vorstellung. . . . .

Ah! mit Ihrer Tugend! unterbrach ich sie. Spielen Sie doch nicht die kindische Kleinstädtlerinn. Thun Sie nicht so sonderbar! Wer wird denn so etwas aus dem Gesichtspuncte der Moral 273 ansehen? Dadurch verliert es seine ganze Schönheit; man muß es mit den Augen der Liebe betrachten. Sehen Sie den Erben der Spanischen Monarchie zu den Füßen der glücklichen Catalina liegen, sie anbethen als eine Göttinn, und mit Geschenken überhäufen; und stellen Sie Sich vor, daß vielleicht aus ihr ein Held wird geboren werden, der den Nahmen seiner Mutter sammt dem seinigen verewigen wird.

Ob gleich die Base nichts mehr wünschte, als diesen Antrag anzunehmen, so stellte sie sich dennoch ganz unschlüssig, und Catalina, die es herzlich gern gesehen hätte, wenn sie den Prinzen bereits in ihrer Schlinge gehabt, that äußerst gleichgültig. Sonach sah' ich mich genöthigt, nochmahl Sturmleitern anzuwerfen; ich ward wieder zurückgeschlagen; als nun endlich Sennora Mencia mich im Begriffe sah, die Belagerung aufzuheben, begann sie Schamade zu schlagen, und wir errichteten eine Capitulation, die nachfolgende zwey Artikel enthielt.

Pro primo. Wenn der Prinz von Asturien, nach dem von Cataline'ns Annehmlichkeiten enthaltnen Rapport Feuer finge, und sich entschlösse, einen nächtlichen Besuch bey ihr abzulegen, so möcht' ich sowohl hiervon, als auch der dazu beraumten Nacht den Damen Nachricht zu geben ja nicht ermangeln.

Pro secundo. Der Prinz könne bey ebengesagten Damen sich nicht anders einfinden, als 274 im allerstrengsten Incognito, und lediglich in Begleitung meiner, und seines Hauptmerkurs.

Nach diesem Vergleiche bezeigten sich Bas' und Nichte gegen mich auf's allerfreundschaftlichste; und gingen auf einem so vertraulichen Fuße mit mir um, daß ich dadurch Muth bekam, einige Umarmungen zu wagen, die eben nicht allzuübel aufgenommen wurden. Beym Weggehen umarmten sie mich von freyen Stücken, und erzeigten mir alle nur ersinnlichen Liebherzungen. Ganz besonders, wie leicht Liebesmäkler und Frauenzimmer, die ihrer bedürfen, auf's engste verknüpft werden! Wer mich so mit Gunstbezeigungen überhäuft weggehen gesehen, hätte darauf geschworen, ich sey glücklicher gewesen, als ich es war.

Der Graf Lemos war ausserordentlich erfreut, als ich ihm die Nachricht brachte, daß ich eine Entdeckung völlig nach seinem Wunsche gemacht habe. Ich beschrieb ihm Cataline'n auf eine Art, die ihn begierig machte, sie zu sehen.

Die folgende Nacht führt' ich ihn zu ihr, und er gestand mir, ich hab es vollkommen getroffen. Er zweifle gar nicht, sagte er zu den Damen, daß der Prinz mit meiner Wahl völlig zufrieden seyn, und daß »Schönlinchen« mit einem solchen Liebhaber vergnügt zu seyn Ursache haben würde; es wäre ein großmüthiger, liebreicher und gnädiger Herr; und er schloß mit 275 der Versicherung, in wenig Tagen würd' er ihn herführen, grade so wie sie es wünschten, ohn' alles Gefolge und in aller Stille.

Hierauf nahm der Graf von ihnen Abschied, und ich begab mich nebst ihm fort; wir eilten nach seinem Wagen, der am Ende der Straße auf uns wartete. Er setzte mich vor meinem Hause ab, nachdem er mir den Auftrag gegeben hatte, seinen Oheim von diesem angesponnenen Abenteuer zu unterrichten, und ihn um tausend Stück Pistolen zu ersuchen, damit es beendigt werden könne.

 


 


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