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Laure'ns Geschichte.
Ich will Dir so kurz als möglich erzählen, durch was für ein Ungefähr ich das Komödiantenmetje ergriffen habe.
Nachdem Du mich auf eine so galante Art verlassen, trugen sich große Begebenheiten zu. Arsenie, meine Gebietherinn, der die Welt mehr lästig denn ekel war, verließ das Theater, und begab sich mit mir auf ein schönes Landgut, das sie unweit Zamora vor Kurzem für fremdes Geld gekauft hatte. Wir bekamen Bekanntschaften in dieser Stadt; kutschten oft nach selbiger hinüber, und hielten uns daselbst ein, zwey Tage auf. Alsdann ging es wieder zurück auf unser Schloß, wo wir wie Nonnen lebten.
Auf einem dieser kleinen Abstecher bekam ich Don Felix Maldonado, den einzigen Sohn des Corregidors, von Ungefähr zu Gesichte, und ich gefiel ihm. Er suchte Gelegenheit insgeheim, unter vier Augen mit mir zu sprechen, und fand sie – Dir die Wahrheit zu sagen – nicht ohne mein Zuthun. Dieser Herr war noch 66 nicht zwanzig Jahr alt; ein bildschöner Junge, völlig wie Amor gestaltet, und sein galantes und edelmüthiges Betragen war noch verführerischer als seine Gestalt. Er both mir einen großen Diamanten, den er an seinem Finger trug, auf eine so gute Art an, drang so in mich, ihn anzunehmen, daß ich mich nicht länger dagegen sträuben konnte.
Ich war ganz ausser mir vor Freude, einen so liebenswürdigen Galan zu haben. Doch wie unvorsichtig handeln nicht geringe Dirnen, wenn sie sich an Familienkinder hängen, deren Väter ein Wörtchen zu sprechen haben! Der Corregidor, der strengste von seinen Collegen, kommt hinter unser Verständniß, und sucht dem Dinge auf's schleunigste vorzubauen. Er läßt mich durch seine Alguazils aufheben, und, trotz meinem Geschrey, nach dem hospitale de la Pietad schleppen.
Die Superiorinn machte kurzen Prozeß mit mir; ich mußte meinen Ring und meine Kleider ablegen, und einen langen, grauen, serschenen Rock anziehen. Dieser wurde in der Mitte mit einem breiten schwarzledernen Riemen zugegürtet, an welchem ein Rosenkranz hing, der mir bis auf die Füße reichte.
Hierauf ward ich in einen Saal geführt, worin ich einen alten Mönch fand, ich weiß nicht von welchem Orden. Er ermahnte mich ungefähr auf die Art zur Buße, wie dich 67 Leonarde in der Höhle zur Geduld; sagte zu mir, ich müßte denen, die mich hätten einsperren lassen, vielen Dank wissen; sie hätten mir einen großen Dienst geleistet, indem sie mich aus den Stricken des Satanas gezogen, womit ich Unglückskind wäre befangen gewesen. Ich will nur offenherzig meine Undankbarkeit gestehen; weit entfernt, mich gegen diejenigen verpflichtet zu fühlen, die mir diese Gefälligkeit erzeigt hatten, belud ich sie vielmehr mit Flüchen.
Acht Tage bracht' ich in der größten Trostlosigkeit zu, allein den neunten, (denn ich zählte sogar jede Minute) schien mich Fortuna wieder anlächeln zu wollen. Indem ich über einen kleinen Hof ging, begegnete ich dem Hausverwalter, der über jedermann hier zu sagen hatte, dem sogar die Superiorinn gehorchen mußte. Er stand bloß unter dem Corregidor, dem er nur allein von Führung seines Amts Red' und Antwort zu geben brauchte, und der ihn seines völligen Zutrauens gewürdigt hatte. Er hieß Don Pedro Zendono, und hatte in dem Flecken Salsedon in Biskaja das Licht der Welt erblickt.
Denke Dir einen langen, hagern, bleichen Mann, eine Figur, die ein herrliches Model zum guten Schächer am Kreuze würde abgegeben haben. Er schien kaum Einen Blick auf die Schwestern fallen zu lassen. Solch Tartüfgesicht mußt' Du noch nie gesehen haben, ob Du 68 gleich in einem Erzbischöflichen Pallaste gewesen bist.
Ich begegnete also diesem Sennor Zendono, der mich durch seine Anrede bewog stehen zu bleiben. Sey getrost, meine Tochter; Dein unglücklicher Zustand jammert mich. Weiter sagte er nichts, wanderte vorüber, und ließ mich über einen so lakonischen Text Auslegungen machen, so viel und welche ich wollte. Da ich ihn für einen rechtschaffnen Mann hielt, glaubt' ich ganz treuherziglich, er habe sich die Mühe genommen, zu untersuchen, warum man mich eingesperrt habe, und da er befunden, daß ich nicht strafbar genug sey, so hart behandelt zu werden, woll' er beym Corregidor ein gutes Wort für mich einlegen. Wie wenig kannt' ich den Biskajer. Der hatte ganz etwas anders im Sinne; einen Reiseplan, den er mir ein Paar Tage nachher anvertraute.
Liebste Laura, sagte er zu mir, Ihre Leiden gehen mir nahe, und ich bin Willens, selbigen ein Ende zu machen. Zwar bringe ich mich dadurch in's Unglück, doch ich bin nicht mehr Herr über mich, und will nur bloß für Sie leben. Ihr jetziger Zustand geht mir durch die Seele. Ich bin gesonnen, Sie morgen aus Ihrem Gefängnisse zu ziehen, und selbst nach Madrid zu bringen. Dem Vergnügen, Ihr Befreyer zu seyn, will ich alles aufopfern. 69
Bey diesen Worten des Zendono wär' ich vor Freuden beynahe ohnmächtig geworden. Aus meinen Danksagungen schloß er, daß ich mich nach nichts mehr, als nach Rettung sehnte, daher war er dreist genug, mich den folgenden Tag, im Angesicht aller Welt zu entführen.
Er fing das Ding so an: sagte der Superorinn, er habe Befehl, mich nach dem Corregidor zu bringen, der sich zwey Meilen von der Stadt auf einem Lusthause befände. So stiegen wir ganz keck in eine Postschäse, vor welcher zwey tüchtige Maulthiere gespannt waren, die er zu dem Ende gekauft. Wir hatten nur einen einzigen Kerl bey uns, der Postillionsstelle vertrat, und sich für seinen Herrn den Verwalter, hätte todt schlagen lassen. Wir rollten fort, aber nicht nach Madrid, wie ich mir einbildete, sondern nach den Portugiesischen Grenzen, woselbst wir eher ankamen, als der Corregidor von Zamora unsre Flucht erfahren hatte, und seine Windspiele auf unsre Fährte senden konnte.
Eh' wir in Braganza ankamen, mußt' ich auf Verlangen des Biskajers Mannskleider anlegen, womit er sich gar vorsichtiglich versehen hatte. Da er glaubte, daß ich mich tief genug mit ihm eingelassen habe, so sagt' er in dem Wirthshause, worin wir abtraten, zu mir:
Zürnen Sie nicht, schöne Laura, daß ich Sie nach Portugal geführt. Der 70 Corregidor von Zamora wird uns in unserm Vaterlande als Verbrecher aufsuchen lassen, denen Spanien keine Freystätte verstatten muß. Hier nur allein, fuhr er fort, in diesem fremden Königreiche, wenn's gleich unter Spanischer Bothmäßigkeit steht, sind wir vor seiner Rache gedeckt; wenigstens weit sichrer als in unserm Vaterlande. Lassen Sie Sich überreden, mein Engel, und folgen Sie einem Manne, der Sie anbethet. Wir wollen in Coimbria unsern Wohnplatz aufschlagen, daselbst will ich Familiar des heiligen AmtsFamilien des heiligen Amtes oder der Inquisition, ist eine Bedienung, welche selbst Leute von Stande in Spanien als eine vorzügliche Ehre betrachten, indem niemand dazu gelangt, der nicht beweisen kann, daß er ein alter Christ und von reinem Blute sey, d. i. weder von Mauren noch Juden abstammt. Dieß ist nichts weiter als ein Ehrentitel, denn ausser diesen gibt es noch andre Familiaren, welche in Besoldung der Inquisition stehen, und eigentlich ihre Diener sind. Die letztern meint hier der Sennor Zendono. – D. Uebers. werden, und unter dem Schatten dieses fürchterlichen Gerichts werden unsre Tage ruhig und froh dahin fließen.
Aus einem so lebhaften Antrage merkt' ich, daß ich mit einem Manne zu thun hatte, der widerfahrender Ritters Weise bedrängten 71 Infantinnen nur um Minnesold seinen Schirm lieh, und nahm ab, daß er sehr auf meine Erkenntlichkeit, noch mehr aber auf mein Elend rechnete. Obgleich dieß Beydes für ihn sprach, so verwarf ich doch ganz stolz seinen Antrag.
Es ist nicht zu läugnen, daß ich auch meiner Seits ein Paar starke Gründe hatte, so die Spröde zu spielen; ich fühlte nicht die mindeste Neigung für ihn, und glaubt' ihn nicht reich. Als er aber zum zweytenmahl Attake gegen mich machte, und sich nicht nur erboth, mich zu heirathen, sondern mir auch augenscheinlich darthat, daß er sich ein gar ansehnliches Sümmchen zusammenverwaltet hatte, so begann ich – ich muß es gestehen, – ihm Gehör zu geben. Das Geld und die Edelgesteine, die er vor mir aufprunkte, blendeten mich ganz, und ich machte die Erfahrung, daß Eigennutz so gut Verwandlungen bewirken kann, als Liebe. Mein Biskajer ward allmählig in meinen Augen ein ganz andrer Mann; sein langer dürrer Räf ward zu einem schlanken feinen Wuchse, sein Mehlsuppengesicht zum blendendweißen Teint, ja sogar seinem gleißnerischen Wesen wußt' ich ein Mäntelchen umzuhängen.
Nunmehr nahm ich ohne weiteres Sträuben seine Hand im Angesichte des Himmels an, den er zum Zeugen unsrer Verbindung anrief. Und so waren alle Steine des Anstoßes bey mir ihm aus dem Wege geräumt. Wir reisten weiter, 72 und in Kurzem hatte Coimbra eine neue Haushaltung in seinen Mauern.
Mein Mann kaufte mir einige ganz artige weibliche Kleider, und schenkte mir viele Diamanten, unter welchen ich auch den Diamant des Don Felix Maldonado erkannte. Mehr braucht' es nicht, um zu errathen, wo all' das Geschmeide, das ich gesehen hatte, sich herschriebe, um überzeugt zu seyn, daß ich nicht einen strengen Beobachter des siebenten Geboths zum Ehegemahl hatte. Da ich mich aber als die vornehmste Ursache seiner Hokuspokuskünste betrachtete, so verzieh ich sie ihm. Ein Frauenzimmer entschuldigt sogar schlechte Handlungen, wenn sie durch ihre Schönheit veranlaßt worden. Ohne das hätt' ich ihn für einen Bösewicht gehalten.
Die ersten zwey, drey Monathe war ich ziemlich mit ihm zufrieden. Er betrug sich gegen mich immer ungemein artig, und schien mich zärtlich zu lieben. Aber er schien es auch nur, der Schelm hinterging mich, und bereitete mir das Schicksal, dessen jedes Mädchen gewärtig seyn kann, die sich von einem schlechten Kerl hat verführen lassen. Wie ich eines Morgens aus der Messe nach Hause kam, fand ich weiter nichts als die vier kahlen Wände. Nicht nur die Möbeln, sondern auch alle meine Sachen waren fort. Zendono und sein treuer Diener, hatten ihre Maßregeln so wohl zu nehmen gewußt, 73 daß binnen einer Stunde im ganzen Hause war reine Bahn geworden.
Auf die Art sah' ich mich, ohne weiter etwas gerettet zu haben als die Kleider, die ich trug, und Don Felix'ens Ring, den ich zum Glück aufgesteckt hatte, wie eine zweyte Ariadne von einem Undankbaren verlassen. Ich versichre Dir aber, daß ich nicht meine Zeit damit verlor, Klaglieder anzustimmen. Ich dankte vielmehr dem Himmel, daß er mich von einem Bösewichte befreyt, der doch über lang oder kurz der Gerechtigkeit in die Hände fallen mußte. Die Zeit, die wir miteinander zugebracht hatten, sah' ich für verloren an, und nahm mir vor, selbige auf's schnellste wieder einzubringen.
Hätt' ich in Portugal bleiben, und bey einer Dame von Stande Dienste nehmen wollen, so würde mir das gar leicht geworden seyn. So aber dacht' ich an weiter nichts, als wieder nach Spanien zu gehen; es sey nun, daß meine Vaterlandsliebe zu groß war, oder daß mein Gestirn, das mir daselbst ein besseres Schicksal bereitete, mich dorthin zog. Ich ging zu einem Geschmeidehändler, machte meinen Ring zu Golde, und reiste mit einer alten Spanischen Dame ab, die in einer Kalesche nach Sevilla ging.
Diese Dame, welche Dorotee hieß, hatte eine ihrer Anverwandtinnen besucht, die sich zu 74 Coimbra niedergelassen hatte, und ging wieder nach Sevilla zurück, woselbst sie ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Wir fühlten unsre Neigungen so gleich gestimmt, daß wir bereits auf der ersten Tagereise aneinander hingen, und je weiter wir kamen, je enger schürzte sich das Band unsrer Vertraulichkeit, so daß die Dame bey unsrer Ankunft schlechterdings darauf bestand, ich müsse bey ihr logiren. Ich habe nie Ursache gehabt, mich's reuen zu lassen, daß ich diese Bekanntschaft gemacht hatte. Nie hab' ich ein gutartigers Weib gesehen. Aus ihren Gesichtszügen und der Lebhaftigkeit ihrer Augen ließ sich schliessen, daß sie in ihrem Frühlinge Guitarren in Menge mochte haben rasseln machen. Auch hatte sie verschiedne Männer von edlem Geschlechte gehabt, und konnte von ihren Leibgedingen standesmäßig leben.
Unter vielen andern trefflichen Eigenschaften besaß sie auch die, daß sie gegen die Unglücksfälle junger Frauen immer äusserst mitleidig war. Als ich ihr die meinigen erzählt hatte, nahm sie mein Interesse mit solcher Wärme, daß sie in tausend Flüchen gegen Zendono'n ausbrach. Die Buben von Mannspersonen! sagte sie mit einem Tone, woraus man schliessen konnte, es müsse ihr auch irgend ein Hausverwalter in den Weg gekommen seyn! Die elenden Wichte! Es gibt dergleichen Betrüger in der Welt, die sich 75 ein Spiel daraus machen, Frauenzimmer zu hintergehen.
Das Einzige tröstet mich noch, meine Liebe, fuhr sie fort, daß Sie, nach Ihrer Erzählung, an den meineidigen Biskajer nicht gebunden sind. Ist gleich Ihre Verbindung mit ihm gültig genug, Ihnen zur Entschuldigung zu dienen, so ist sie doch auch ungültig genug, um eine bessere zu treffen, sobald sich dazu Gelegenheit findet.
Ich ging täglich mit Dorotee'n aus, entweder in die Kirche oder zu Besuchen. Das beste Mittel, bald ein verliebtes Abenteuer zu haben. Ich zog die Blicke vieler Cavaliere auf mich. Einige davon wollten vorher auf den Strauch klopfen, wie man zu sagen pflegt. Sie liessen bey meiner alten Wirthinn Erkundigung einziehen. Allein manche davon konnten nicht die Kosten zur Bestreitung einer Haushaltung spendiren, und die andern standen noch unter der Schere der Aeltern. Dieß war hinlänglich, mir alle Lust zu benehmen, ihnen Gehör zu geben. Ich wußte, was das für Folgen hat. Eines Tages fiel's Dorotee'n und mir ein, in die Komödie zu gehen. La famosa Comedia: El Embaxador de SimismoDer Abgesandte von sich selbst. Vermuthlich ist die Hauptperson dieses Stücks ein Fürst, der, wie im öffentlichen Geheimniß von Gozzi, unter der Gestalt eines Gesandten seine Braut kennen zu lernen sucht. – A. d. Uebers. von 76 Lope de Vega Carpio sollte laut dem Anschlagzettel heute gegeben werden.
Unter denen Schauspielerinnen, die auftraten, fand ich meiner alten Freundinnen, Phenize'n, die dicke, wilde Hummel, die Du als Florimonde'ns Kammermädchen gekannt, und mit der Du manchmahl des Abends bey Arsenie'n gespeist hast. Daß sie seit länger denn zwey Jahren Madrid verlassen hatte, wußt' ich wohl, aber nicht, daß sie Komödiantinn war. Ich sehnte mich so, sie zu umarmen, daß mir die Komödie entsetzlich lang wurde. Vielleicht lag auch die Schuld an den Schauspielern, die weder gut noch schlecht genug spielten, um mir die Zeit zu vertreiben. Denn ich muß dir gestehen, ein recht extraschlechter Acteur macht mir Lachtaube, so viel Vergnügen als ein vortrefflicher.
Endlich kam der so erwünschte Augenblick, das heißt, die famosa Comedia war aus, meine Witwe und ich gingen hinter's Theater, wo wir Phenize'n fanden, welche die Dame von Weltton machte, und liebäugelnd auf das Gezwitscher eines jungen Staars hörte, der 77 vermuthlich an der Leimruthe ihrer Declamation war sitzen geblieben. Kaum hatte sie mich wahrgenommen, so entfernte sie sich von ihm mit einer graziösen Art, flog mit offnen Armen auf mich zu, und bezeigte sich gegen mich so freundschaftlich als möglich. Ich meiner Seits umarmte sie von ganzem Herzen, und wir äusserten wechselsweise unsre Freude, hier einander wieder zu sehen. Da aber hier weder Ort noch Zeit es erlaubte, uns ausführlich zu besprechen, so verschoben wir's bis auf Morgen; wo wir in ihrem Logis ein Längers und Breiters zu verhandeln uns vornahmen.
Schwatzsucht ist eine der lebhaftesten Leidenschaften bey jedem Frauenzimmer, und zumahl bey mir. Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zumachen, vor lauter Begierde, mit Phenize'n erst im Wortwechsel zu seyn, und Frag' auf Frag' an sie zu thun. Daß ich nicht faul war aufzustehen, und nach ihrer Wohnung zu gehen, die sie mir bezeichnet hatte, kannst Du Dir leicht vorstellen.
Sie logirte sammt der ganzen Truppe in einem großen, ausmöblirten Hause, das sie gemiethet hatten. Ein Mädchen, die ich beym Hineintreten angetroffen, und gebethen hatte, mich nach Phenize'ns Zimmer zu weisen, brachte mich auf einen schmalen Gang, auf welchem sich entlängs zehn bis zwölf kleine Stuben 78 befanden, die bloß durch tännene ScheidewändeTännene Scheidewände. Das hauptsächlichste Bauholz, dessen man sich in Spanien bedient, sagt Clarke, dessen Zeugniß man doch wohl in diesem Stücke für gültig annehmen wird – »sind weiße Tannen; Häuser, Kirchen, Fuhrwerk und all ihr Geräthe, sind meistens daraus verfertigt, und in einem kleinen Zimmer sieht man zuweilen davon nicht weniger, als vierzehn lange Balken. Aus diesem Umstande sollte man sich nicht vorstellen, daß das Bauholz hier so selten wäre.« (S. Clarks Briefe durch Spanien, Köhlersche Uebers. S. 83.) – D. Uebers. von einander abgesondert waren, und durch die fröhliche Bande bewohnt wurden. Meine Führerinn pochte an eine Thür, und Phenize, der die Zunge so gut juckte, wie mir, öffnete sie. Kaum nahmen wir uns so viel Zeit, uns zu setzen; sogleich ging auch der Tanz los. Und hurr! rannten unsre Zungen wie die Weberspulen. Wir hatten einander so viel zu fragen, daß Frag' und Antwort immer Schlag auf Schlag fiel.
Nachdem wir uns wechselseitig unsre Abenteuer erzählt, und unsre jetzige Verfassung einander entdeckt hatten, fragte mich Phenize: Wozu ich mich entschlossen habe; denn, sagte sie, etwas mußt Du doch einmahl in der Welt beginnen. In Deinen Jahren darfst Du noch 79 kein unnützes Glied der menschlichen Gesellschaft seyn. Ich bin Willens, gab ich ihr zur Antwort, bis auf bessere Aussichten, bey einer jungen Dame von Stande Dienste zu nehmen.
Fi doch! rief meine Freundinn, schwatz doch nicht solch Zeug! Bist Du denn wirklich des Dienens noch nicht überdrüßig? Nicht satt, Dich unter den Willen einer andern zu ducken? Dich in deren Launen zu schmiegen? ihr Gekeif anzuhören? Mit Einem Worte Sclave zu seyn? Warum ergreifst Du nicht, so wie ich, das Theaterleben? Kein besseres Leben für Leute von Kopf, denen es an Vermögen und Geburt fehlt; der Mittelstand zwischen dem Adel und Bürger, ein ganz unabhängiger Stand, worin man von all' dem lästigen, steifen Ceremoniel des bürgerlichen Lebens frank und frey ist. Unsre Einkünfte werden uns in klingender Münze von dem Publicum bezahlt, welches das Capital besitzt. Wir leben fröhlich und in Freuden, und unser Geld zerinnt so wie's gewonnen ist.
Wir Frauenzimmer zumahl, fuhr sie fort, fahren bey dem Theater wohl. Da ich bey Florimonde'n war, sah ich mich genöthigt – ich erröthe, wenn ich noch daran denke, – dem elendesten Statisten Gehör zu geben; nicht ein Mann von Geburt und Erziehung bekümmert sich um mich. Und woher kam das? Das schönste Gemählde macht keinen Eindruck, wenn's 80 nicht im gehörigen Lichte steht. Sobald ich aber in demselben stand, das will sagen, sobald ich auf der Bühne war, wie änderte sich nicht alles! Junge Männer von dem glänzendsten Stande saßen mir in den Städten auf den Fersen, durch welche wir gingen.
Sonach hat das Metje einer Komödiantinn ungemein viel Annehmlichkeiten. Schweift sie nicht aus, das will sagen, begünstigt sie nicht mehr denn Einen Liebhaber auf einmahl: wie hoch hält sie alsdann nicht die Welt, wie sehr preist sie nicht ihre Eingezogenheit! Und wenn sie den Liebhaber wechselt, sieht man sie für eine Witwe an, die sich wieder verheirathet. Zudem so wird diese mit Verachtung angesehen, wenn sie in die Arme eines dritten Mannes fliegt. Die Delicatesse der Mannspersonen findet sich dadurch, sollte man sagen, beleidigt; da hingegen die andre immer kostbarer wird, je mehr sie die Zahl ihrer Günstlinge vergrößert. Nach hundert Galanterien ist sie noch immer ein Leckerbissen für einen Titulado.Einer vom hohen Adel.
Wem sagst Du das? unterbrach ich sie hier. Glaubst Du, daß mir all' diese Vortheile unbekannt sind? Ich habe sie mir schon oft vorgestellt, und – ich berg' es Dir nicht – sie sind für ein Mädchen von meinem Character höchst 81 schmeichelhaft. Ich fühle sogar Neigung zur Schauspielkunst; doch das ist nicht hinlänglich. Dazu gehören auch Talente, und die besitze ich nicht. Ich habe Arsenie'n manchmahl Stellen vordeklamirt und agirt. Sie war äusserst unzufrieden mit mir, und so ist mir alle Lust und Liebe vergangen.
So ein kleiner Rauch beißt Dich gleich? erwiederte Phenize. Weißt Du nicht, daß all' diese großen Actrisen gemeiniglich eifersüchtig sind. Sie besorgen (trotz ihrer Eitelkeit) immer, daß jemand kommen, und sie verdunkeln möchte. Kurz, hierin kehr ich mich nicht an Arsenie'n. Sie war nicht aufrichtig. Ich will Dir's ohne Schmeicheley sagen: Du bist für's Theater geboren; hast Genie, ein ungezwungnes, leichtes und grazienhaftes Geberdenspiel, eine sanfte Stimme, eine gute Brust, und zudem noch ein artiges Lärvchen. Ah! Hexe! was wirst Du für Cavaliere bezaubern, wenn Du erst Komödiantinn bist.
Sie sagte mir noch viel dergleichen verführerische Dinge und ließ mich einige Verse herdeclamiren, bloß um mich selbst beurtheilen zu lassen, wie gute Anlage ich zur komischen Schauspielerinn hätte. Wie ganz anders klangen die Saiten, als sie mich gehört. Da ging's erst aus dem hohen FF, Sie gab mir den größten Beyfall, und erhob mich über alle Madridter 82 Actrisen. Wenn ich nun noch länger an meinen theatralischen Verdiensten hätte zweifeln wollen, wär' ich nicht zu entschuldigen gewesen. Arsenie ward der Eifersucht und Unredlichkeit bezüchtigt und schuldig erfunden, und ich genöthigt einzugestehen, daß ich bewundernswürdige Talente für's Theater besäße.
In eben dem Nu traten zwey Schauspieler herein, vor denen ich auf Phenize'ns Betrieb die eben declamirten Verse wiederhohlen mußte. Sie fielen in eine Art von Ekstase, aus der sie sich kaum erhohlt hatten, als sie mich mit Lobsprüchen überhäuften. Wären sie alle drey eine Wette eingegangen, wer den andern an Lobsprüchen überbieten könnte, so würden sie sich keiner hochgespannten Ausdrücke haben bedienen können. Gegen soviel Lob hielt meine Bescheidenheit nicht aus; ich begann nun wirklich zu glauben, daß ich einigen Werth hätte, und nunmehr war Herz und Sinn ganz auf die Komödie gerichtet.
Nun wohlan, meine Beste, sagt' ich zu Phenize'n, es ist geschehen. Ich will Deinem Rath folgen, und mich bey Deiner Truppe engagiren, wenn sie's zufrieden ist. Bey diesen Worten umarmte mich meine Freundinn voll des frohstens Entzückens, und ihre beyden Kameraden schienen über meinen Entschluß ganz ungemein erfreut. Wir nahmen Abrede, daß ich mich den folgenden Vormittag in's 83 Theater verfügen, und vor der ganzen Truppe die nähmliche Probe ablegen sollte, die ich jetzt von meinen Talenten gegeben.
Wie verabredet, so gethan. So günstige Meinung ich auch bey Phenize'n für mich erregt hatte, so fiel das Urtheil der ganzen Gesellschaft, nachdem sie bloß zwanzig Verse von mir gehört hatten, noch weit günstiger aus! Mit Freuden nahmen sie mich auf.
Nunmehr war ich mit nichts, als mit meinem Debüt beschäftigt. Um glänzender zu erscheinen verwandt' ich all das Geld, was mir von meinen Diamanten übrig war, auf meinen Anzug; dadurch konnte nun freylich das Kraut nicht fett, und die Kleidung nicht reich werden; ich wußte aber das durch Geschmack zu ersetzen, was ihr an Pracht abging.
Endlich erschien ich zum erstenmahl. Welch Geklatsch erhob sich! Wie viel Lobsprüche erhielt ich! Wenn ich bloß sage, daß alle Zuschauer ganz durch mich hingerissen wurden, so sag' ich noch immer wenig. Da hättest ein Zeuge von dem Aufsehen seyn müssen, das ich in Sevilla machte, um dieß alles zu glauben. Die ganze Stadt unterhielt sich fast von nichts als von mir, und kamen haufenweise drey ganze Wochen lang in die Komödie; so daß die Truppe durch diese Neuigkeit das Publicum wieder an sich zog, das bereits selbiger den Rücken gewandt hatte. 84
Demnach begann ich auf eine Art, die jedermann entzückte. So auftreten hieß gleichsam öffentlich anschlagen: Wer das beste höchste Geboth thäte, solle mich haben. Zwanzig Cavaliere von allen Altern und Ständen, beeiferten sich insgesammt für mich zu sorgen. Wär's nach meiner Neigung gegangen, so hätt' ich mir den jüngsten und schönsten gewählt; da wir aber, so ist's Theaterregel, nichts anderes, als Interesse und Ehrgeiz zu Rathe ziehen dürfen, wenn's auf eine Versorgung ankommt, so gab ich dem Don Ambrosio de Nisana den Vorzug.
Er war bereits bey Jahren, und übelgebildet, dabey aber reich, großmüthig und einer der mächtigsten Titulados in Andalusien. Sein Vorzug kam ihm, die Wahrheit zu sagen, ziemlich theuer zu stehen. Er miethete mir ein schönes Haus, möblirte es auf's prächtigste, gab mir einen tüchtigen Koch, zwey Bedienten, ein Kammermädchen, und zur monathlichen Ausgabe tausend Ducaten; überdieß noch reiche Kleider und eine ziemlich beträchtliche Menge Kleinodien. Arsenie hatte sich nie in einem glänzendern Zustande befunden.
Welch ein Glückswechsel! Mein Hirnchen ward darüber ganz drehend und wirbelnd! Ich dünkte mir selbst mir Einem Mahle eine ganz andre Person geworden zu seyn. Nun wundr' ich mich nicht mehr, daß es Mädchen gibt, die in Kurzem das Nichts und das Elend vergessen, 85 aus welchem sie die Grille eines vornehmen Mannes zog.
Ich muß Dir's aufrichtig bekennen: Der allgemeine Beyfall des Publicums, die Schmeicheleyen, die von allen Seiten her mich überströmten, die Leidenschaft des Don Ambrosio, das alles bließ mich bis zum höchsten Uebermuth auf. Ich betrachtete mein Talent als einen Adelsbrief, nahm das völlige Betragen einer Frau von Stande an, und ward eben so karg mit meinen Liebäugeleyen, als verschwendrisch ich anfänglich damit gewesen war. Ich beschloß nunmehr bloß auf Herzoge, Grafen und Marquesen meine Augen zu werfen.
Sennor de Nisana speiste alle Abende mit einigen seiner Freunde bey mir, und ich sorgte stets dafür, daß sich die unterhaltendsten unter meinen Colleginnen bey mir befanden; ein guter Theil der Nacht wurde verschäkert und verzecht. Bey solchem anmuthigen Leben befand ich mich ungemein wohl, doch es dauerte nicht länger als sechs Monathe. Große Herren lieben die Veränderung; sie wären ohne dieß zu liebenswürdig. Don Ambrosio verließ mich um einer jungen Granadischen Kokette willen, die viele Reize besaß und zugleich das Talent, sie zu nützen. Vierundzwanzig Stunden, und mein Verlust war verschmerzt. Ich ersetzte seine Stelle durch einen Cavalier von zwey und zwanzig 86 Jahren, den Don Luis Alcacer, dem wenig Spanier an Wohlgestalt gleich geschätzt werden können.
Ohne Zweifel wirst Du mich fragen, – und Du hast es Ursache, – warum ich einen so jungen Herrn zum Liebhaber gewählt habe, da ich doch wußte, wie gefährlich der Umgang mit dergleichen Galanen ist. Doch ich muß Dir sagen, daß Don Luis nicht nur keine Aeltern hatte, und im völligen Besitz seines Vermögens war, sondern auch, daß überdem dergleichen Umgang nur Dienstmädchen oder elenden Abenteuerinnen nachtheilig seyn kann. Frauenzimmer von unserm Metje sind Standespersonen. Wir dürfen nicht für die Wirkungen stehen, die unsre Reize hervorbringen. Desto schlimmer für die Familien, deren Erben wir berupfen.
Alcacer und ich hingen in Kurzem so fest und warm an einander, daß ich fast glaube, nie ist eine Liebe größer gewesen. Die Flamme, die in uns brannte, war so wüthend, daß es schien. wir wären behext. Alle diejenigen, die unser Verständniß wußten, hielten uns für das glücklichste Paar Liebende, und wir waren vielleicht das unglücklichste. So höchst liebenswürdig Don Luis auch war, so war er auch zu gleicher Zeit so eifersüchtig, daß er mich jeden Augenblick durch ungerechten Verdacht auf's bitterste kränkte. So sehr ich mich auch in seine 87 Schwachheit zu fügen suchte, so sehr ich mich auch zwang, und keine Mannsperson ansah, so half das alles doch nichts. Sein sinnreiches Mißtrauen fand mich stets Verbrecherinn, und machte meinen Zwang fruchtlos.
War ich auf dem Theater, so schien es ihm, als würf' ich während des Spiels einen liebäugelnden Blick auf irgend einen jungen Cavalier, und er überhäufte mich mit Vorwürfen. Mit einem Wort, in unsre zärtlichsten Unterhaltungen mischte sich stets Zwist. Es war nicht länger zum Aushalten. Uns riß beyden die Geduld, und wir brachen ganz friedlich und schiedlich. Und der letzte Tag unsers Umgangs war – solltest Du's wohl glauben? – der reitzendste für uns. Gleich überdrüßig der bisher erduldeten Leiden riefen wir uns mit dem vollsten Ausbruche der Freude das Lebewohl. Wir glichen zwey elenden Gefangnen, die nach einer harten Sclaverey ihre Freyheit wieder erlangen.
Seit dieser Begebenheit hütete ich mich vor der Liebe. Ich verlange keine dergleichen Verbindungen, die meine Ruhe stören. Für uns ziemt sich's nicht, wie andre zu seufzen. Wir müssen nicht insgeheim eine Leidenschaft empfinden, deren Lächerliches wir öffentlich darstellen.
Während der Zeit gab ich der Fama kein klein Stück Arbeit. Sie posaunte überall aus, 88 ich wäre eine unnachahmliche Actrise. Auf Treu und Glauben dieser Göttinn that mir die Granadische Schauspielergesellschaft den Vorschlag, zu ihrer Truppe zu treten. Und um mir zu erkennen zu geben, daß dieser Vorschlag nicht verwerflich sey, sendeten sie mir die Liste ihrer täglichen Einnahmen, ihrer Abonnements, woraus ich ersahe, wie vortheilhaft dieß Erbiethen war.
Auch nahm ich's an, ob es mir gleich im Grunde sehr leid that, mich von Phenize'n und Dorothee'n trennen zu müssen, die ich so sehr liebte, als nur ein Frauenzimmer andre ihres Geschlechts lieben kann. Ich ließ die erste zu Sevilla in voller Arbeit, den Laden eines jungen Goldschmids lichter zu machen, der aus Eitelkeit eine Komödiantinn zur Liebschaft haben wollte.
Ich habe vergessen, Dir zu sagen, daß ich, wie ich zum Theater ging, meinen Nahmen Laura aus Grille in Stella verwandelt hatte, und unter diesem Nahmen reist' ich nach Granada ab.
Mein Auftritt war hier eben so glücklich als in Sevilla, und ich sahe mich bald mit Seufzern umringt. Da ich mich aber mit keinem so auf gut Glück hin einlassen wollte, so spielt' ich dermaßen die Eingezogne gegen sie, daß ich ihnen Staub in die Augen streute. Weil ich aber besorgte, bey einem solchen 89 uneinträglichen und mir nicht natürlichen Betragen möcht' ich zuletzt die Geprellte seyn, so entschloß ich mich endlich, einem jungen OydorOydor, ein Rath. von bürgerlichem Stand, der mittelst seiner Bedienung, einer guten Tafel und einer Equipage, den vornehmen Herrn spielt, Gehör zu geben, als ich den Marques de Marialva zum erstenmahl sahe.
Dieser edle Portugiese, der aus Neugier Spanien durchreiste, ging durch Granada, woselbst er sich eine Zeitlang aufhielt. Er kam in die Komödie. Ich spielte diesen Tag nicht. Er faßte all' die Schauspielerinnen, die auftraten, scharf in's Gesicht, und fand darunter eine, die ihm behagte. Den folgenden Tag macht' er mit ihr Bekanntschaft, und war eben im Begriffe mit ihr Handels einig zu werden, als ich auf's Theater trat. Mein Anblick und meine Liebäugeleyen drehten flugs die Wetterfahne um. Mein Portugies hing sich bloß an mich.
Zur Steuer der Wahrheit muß ich Dir sagen, da ich wußte, daß meine Kameradinn diesem Herrn gefallen hatte, so spart' ich nichts, ihn ihr wegzukapern, und es gelang mir. Ich weiß wohl, daß sie deßhalb einen Pick auf mich hat, aber wer kann helfen? Nichts natürlichers als das bey Frauenzimmern, sollte sie bedenken, 90 so daß sogar die besten Freundinnen sich nicht den mindesten Scrupel darüber machen.