Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Viertes Kapitel.

Was für Aemter der Graf Galiano Gil Blas'n aufträgt.

Ich ging weg, um meine Sachen abhohlen und nach meinem neuen Logis bringen zu lassen. Als ich zurückkam, befand sich der Graf mit vielen Titulados und dem Dichter Nunnez an der Tafel. Letzterer ließ sich, mit der größten Ungezwungenheit bedienen, und mischte sich in die Unterredung. Ich bemerkte sogar, daß er kein Wort sagte, das nicht der Gesellschaft Vergnügen gemacht hätte. Es lebe der Witz! Wer den hat, kann Rollen spielen, welche er will.

Ich meiner Seits speiste mit den Hausofficieren, die beynahe eben so gut bedient wurden, als der Herr. Nach dem Essen begab ich mich auf mein Zimmer, wo ich über meine dermahlige Verfassung Betrachtungen anstellte.

Jetzt, Gil Blas, sagt' ich zu mir, bist Du also bey einem Sicilischen Grafen, dessen Character Du noch nicht kennst. Dem Anscheine nach wirst Du Dich hier befinden, wie der Fisch im Wasser. Doch wer kann dem Scheine trauen? und wie kannst Du Dich auf das Glück verlassen, dessen Schalkheit Du schon mehr denn zu oft erfahren hast? Ueberdieß weißt Du noch nicht, 160 wozu er Dich eigentlich bestimmt hat. Secretäre hat er, einen Intendanten auch; wozu wird er Dich also brauchen? Aller Wahrscheinlichkeit nach zu seinem Merkur. In Gottes Nahmen. Auf einem bessern Fuß kann man bey einem großen Herrn nicht stehen, wenn man mit der Extrapost sein Glück machen will. Bey honetten Geschäften geht's nur immer Schritt vor Schritt vorwärts, und man gelangt noch dazu nicht immer zu seinem Zwecke.

Noch beschäftigt mit diesen seinen Betrachtungen, unterbrach mich ein Lakey, und sagte mir: die Gäste wären nun alle fort, und der Herr Graf verlange mich zu sprechen. Sogleich flog ich auf sein Zimmer, wo ich ihn auf's Sopha hingestreckt fand, im Begriffe, mit dem ihm zur Seite ruhenden Affen die SiesteSieste. Siesta nennen die Spanier die drey oder vier heißesten Stunden des Nachmittags, welche sie gewöhnlich verschlafen. Eben so wird Siesta für diesen Nachmittagsschlaf selbst gebraucht.
    Eine Anecdote, die ich vom Major Dalrymple entlehnte, (S. dessen zu Leipzig herausgekommene Reisen durch Spanien und Portugall. S. 55) und die einen starken Zug zum Charactergemählde dieser Nation abgibt, denk' ich, soll hier nicht am unrechten Orte stehen. Bey dem Aufstand 1766 zu Madrid, erzählt er, hielt der Pöbel ordentlich seine Sieste, und ging dann wieder nach seinen Sammelplätzen. Die Regierung, eben so schläfrig, that das Nähmliche; so daß täglich zwischen der Regierung und dem Volke einige Stunden ein Stillstand zu seyn schien.
zu machen. 161

Nur näher, Gil Blas! rief er mir zu. Nehmt einen Stuhl und hört mir zu. Ich that, wie er befohlen hatte, und er sprach folgendermaßen mit mir: Don Fabriz hat mir gesagt, Ihr besässet unter vielen andern Eigenschaften, eine ungemein warme Anhänglichkeit für Eure Herren, und wäret ein rechtschaffner Mann. Diese zwey Stücke haben mich bewogen, Euch eine Stelle bey mir anzubiethen. Ich bedarf eines treuergebnen Domestiken, der stets mein Interesse vor Augen hat, und die Erhaltung meines Vermögens sich einzig und allein angelegen seyn läßt. Es ist wahr, ich bin reich, allein meine Ausgaben übersteigen meine jährlichen Einkünfte bey weitem. Und das kommt bloß daher, weil man mich beraubt, ausplündert. Ich befinde mich in einem Hause, wie in einem mit Räubern angefüllten Walde. Mein Haushofmeister und mein Intendant, argwöhn' ich, liegen unter einer Decke, und ist mein Verdacht gegründet, so ist das mehr als hinlänglich, mich gänzlich zu Grunde zu richten. So jagen Sie sie fort, wenn Sie sie für 162 Spitzbuben halten, könntet Ihr mir einwerfen. Ja, wo aber einen bessern Schlag von Leuten hernehmen? Ich muß es sonach schon dabey bewenden lassen, daß ich einen Mann auf sie Acht geben lasse, der Befugniß dazu hat. Euch, mein lieber Gil Blas, trag' ich nun dieß Amt auf. Entledigt Ihr Euch dieses Auftrages gut, so seyd sicher, daß Ihr keinem Undankbaren gedient habt. Ich werde mir's angelegen seyn lassen, Euch in Sicilien eine höchst vortheilhafte Versorgung zu verschaffen.

Nachdem der Graf mir solchergestalt seine Willensmeinung eröffnet hatte, beurlaubte er mich, und noch denselben Abend wurd' ich in Gegenwart aller Domestiken zum Oberintendanten ernannt. Anfänglich kümmerte sich der Messiner hierüber so wenig als der Neapolitaner. Ich schien ihnen ein guter lustiger Kumpe, der fünfe grade seyn läßt; und sie bildeten sich ein: es würde alles den alten Schlendrian gehen können, wenn sie von dem Fette, das sie dem Grafen abschöpften, in meine Schüssel abtriefen liessen. Wie verduzt aber waren sie nicht den folgenden Tag, als ich ihnen rund heraus erklärte: ich wäre ein Feind von allem Schmumachen. Ich forderte dem Haushofmeister das Verzeichniß aller im Hause befindlichen Vorräthe ab, besichtigte den Keller; nahm alles genau in Augenschein, was sich in der Speisekammer und so auch in der 163 Silberkammer befand. Hierauf ermahnt' ich sie alle beyde, das Vermögen des Grafen zu Rathe zu halten, die Ausgaben öconomischer einzurichten, und schloß meine Ermahnung mit der Versicherung: ich würde dem gnädigen Herrn den geringsten Unterschleif berichten, der in seinem Hause vorfiele.

Dabey ließ ich es nicht bewenden. Ich hielt es für nöthig, mir einen Spion zuzulegen, um dahinter zu kommen, ob sie sich beyde zusammen verständen. Ich warf meine Augen auf einen Küchenjungen, der sich durch meine Versprechungen gewinnen ließ.

Bey mir sind Sie just vor die rechte Schmiede gekommen, Sennor, sagte er. Sie können nun auf ein Härchen erfahren, wie toll es hier im Hause zugeht; der Haushofmeister und der Intendant stecken unter Einer Decke, und brennen das Licht an beyden Enden an; alle Tage schlagen sie von dem Fleische auf den Schwanz, das für's Haus eingekauft wird. Der Neapolitaner hat ein feines Liebchen, die dem Thomascollegium geradüber wohnt, und der Messiner hält sich eine andre beym Sonnenthore; die beyden Herren lassen alle Tage allerhand Victualien zu ihren Nymphen hinschleppen, und der Koch schickt immer etliche wohlaufgehäufte und leckere Schüsseln einer Witwe in der Nachbarschaft, die er gut kennt; und als ein 164 treues Handpferd der andern beyden, denen er manches zu Gefallen thut, springt er so arg mit den Weinen um, wie sie. Kurz, die drey Leute sind Schuld daran, daß beym Herr Grafen so gewaltig viel drauf geht.

Und wollen Sie meinen Worten nicht glauben, fuhr der Küchenjunge fort, so belieben Sie Sich nur früh Morgens gegen Sieben nach'm Sanct Thomascollegium hinzubemühen, und Ihr Zweifel wird in Gewißheit verwandelt seyn, wenn Sie mich mit einem Tragekorb werden angewackelt kommen sehen. Also bist Du der Commissionär dieser beyden galanten Schaffner? sagte ich. Ich bin des Haushofmeisters seiner, gab er zur Antwort, und einer meiner Kameraden ist des Intendanten Bothenläufer.

Dieser Bericht schien mir schon der Mühe werth, näher untersucht zu werden. Deßhalb stellt' ich mich um die anberaumte Stunde beym St. Thomascollegium ein. Lange braucht' ich nicht auf meinen Spion zu warten. Er kam bald nach mir angetrollt, mit einem großmächtigen Tragkorb auf seinem Nacken, der mit Fleisch, Federvieh und Wildpret bis oben angefüllt war. Ich zeichnete diesen Inhalt Stück für Stück in meine Schreibtafel ein, des Vorhabens, diese Registratur meinem Herrn 165 vorzulegen; hierauf sagt' ich zum FummelimtopfFummelimtopf. Fummeln, Nieders. verstolnerweise herumwühlen. Das vorerwähnte Compositum ist nach Kiekindenpot, (hochdeutsch: Gukindentopf) geformt, und verdient der vertraulichen Sprechart wohl einverleibt zu werden, da es durch Topfwühler nicht erschöpft wird. Im Originale heißt es Fouille-au-pot. – A. d. Uebers., er könne seinen Auftrag nur wie gewöhnlich bestellen.

Der Sicilische Graf, der von Natur sehr heftig war, wollt' in der ersten Hitze den Messiner und den Neapolitaner wegjagen: nachdem er sich aber bedacht hatte, schaffte er sich nur bloß den Letzten vom Halse und gab mir dessen Stelle. Sonach ging meine Oberintendantenstelle kurz nach ihrer Entstehung wieder in die Bilze; was ich denn, frey von der Brust wegzureden, ganz gern sahe. Denn im Grunde war es doch weiter nichts als der ehrenvolle Posten eines Spions; ein Posten, der keine gewissen Einkünfte hat. Dahingegen als ich Intendant wurde, sah' ich mich Herr von der Casse, und das ist immer die Hauptsache. Derjenige, der die unter sich hat, bekleidet in einem großen Hause immer den ersten Rang unter den Domestiken, und es fallen bey seinem Amte so viel kleine Sportelchen vor, daß er 166 nothwendig reich werden muß, wenn er auch gleich ein ehrlicher Kerl ist.

Da mein Neapolitaner merkte, wie scharf mein Diensteifer hintenan fegte, und daß ich mich auf den Fuß setzte, das Fleisch, das er eingekauft hatte, alle Morgen in Augenschein zu nehmen, und selbiges aufzuschreiben, so entwandt' er nichts mehr von selbigem; doch kaufte der verdammte Bube (der mit seinen Pfiffen noch lange nicht zu Rande war) jeden Tag noch eben so viel ein, wie sonst. Ihm gehörte von Rechtswegen, was von der gräflichen Tafel abgetragen wurde; durch diesen Kniff bekam er nun noch mehr wie vor diesem, und war im Stande, seiner Amasia wenigstens gekochtes Fleisch zu schicken, da er ihr kein rohes mehr liefern konnte. Der Schlaukopf fischte also noch immerfort im Trüben, und der Graf war nicht geborgner, ob er gleich den Phönix aller Intendanten hatte.

Die unmäßige Verschwendung, die ich jetzt an der Tafel herrschen sahe, ließ mich diesen neuen Griff errathen, dem aber bog ich gleich vor, indem ich das Ueberflüssige von jedem Gange wegschnitt. Dieß that ich aber mit so vieler Behutsamkeit, daß es nicht im mindesten den Anstrich von Knickerey hatte. Man hätte sagen sollen: es wär' noch alles auf dem vorigen verschwenderischen Fuße, und nichts desto weniger wurden durch diese Ersparnisse die Ausgaben um ein Beträchtliches geringer. Das eben 167 verlangte mein Herr. Er wollte wirthschaften, doch ohn' es an der gewohnten Pracht fehlen zu lassen, sein Geitz war seiner Prunkliebe untergeordnet.

Dabey ließ ich's nicht bewenden, ich schaffte noch einen andern Mißbrauch ab. Da ich merkte, daß der Wein immer sobald alle wurde, kam ich auf den Verdacht, daß hier wieder gejuks't werden müsse. Wenn sich z. B. an des Grafen Tafel zwölf Cavaliere befanden, wurden funfzig, manchmahl auch sechzig Flaschen ausgetrunken. Hierüber erstaunt' ich.

Ich befragte mein Orakel, das heißt, meinen Küchenjungen, mit dem ich geheime Unterredungen pflag, und der mir treulich alles hinterbrachte, was in der Küche, wo er Niemanden verdächtig war, gesprochen und gethan wurde.

Er berichtete mir, daß dieser Aufwand, worüber ich mich beschwerte, von einem neuen Bunde herrührte, den der Haushofmeister, der Koch und die Lakeyen, die einschenkten, unter einander errichtet hätten. Letztere trügen die Weinflaschen halbvoll zurück, und dann würden sie unter die Verbündeten getheilt.

Ich sprach mit den Lakeyen, drohte ihnen, sie Knall und Fall fortzujagen, wenn sie sich noch einmahl dergleichen unterständen, und dadurch schreckt' ich sie wieder gänzlich in ihre Pflicht 168 zurück. Mein Herr, dem ich das Geringste berichtete, was ich zu seinem Besten that, überhäufte mich mit Lobsprüchen und wurde mir von Tage zu Tage gewogener. Um nun den Küchenjungen für die guten Dienste, die er mir erwies, zu belohnen, macht' ich ihn zum Unterkoch. Auf die Art hilft sich ein treuer Bedienter in wackern Häusern empor.

Der Neapolitaner wollte aus der Haut fahren, daß ich ihm allenthalben einen Que in den Weg legte. Am allerstärksten verdroß es ihn, daß ich alle Augenblicke Randglossen machte, und mit ihm stritt, wenn er mir die Rechnung vorlegte. Denn damit ich ihm besser die Flügel beschneiden konnte, bemüht' ich mich selbst auf die Märkte, um den dort gäng' und gäben Preis zu wissen. Ertappt' ich ihn nun nachher auf dem fahlen Pferde, fand ich, daß er, nach seiner löblichen Gewohnheit, Schwänzelpfennige machen wollte, so leuchtet' ich ihm gar jämmerlich heim.

Ich war fest überzeugt, daß er mich wenigstens hundertmahl des Tages verfluchte; doch machte der Beweggrund seiner Flüche, daß mir vor deren Erfüllung gar nicht bange war. Ich weiß nicht, wie er meine Verfolgungen aushalten konnte, und warum er nicht des Grafen Dienste verließ. Ohn' allen Zweifel deßhalb nicht, weil er dessen allen ungeachtet seine Rechnung fand. 169

Fabrizio, den ich unterweilen sahe, und dem ich meine in einer Intendantenstelle bisher unerhörte Heldenthaten erzählte, war geneigter mein Betragen zu tadeln als zu billigen. Gott gebe, sagte er eines Tages zu mir, daß Du für Deine Uneigennützigkeit wohl belohnt wirst; doch unter uns, ich glaube, Du würdest besser thun, wenn Du dem Haushofmeister mehr durch die Finger sähest.

Wie? rief ich, dieser Spitzbube sollte ganz unverschämt einen Fisch für zehn Pistolen in Rechnung bringen, der ihn nicht mehr als viere gekostet hat, und ich sollte das so ruhig hingehen lassen?

Warum nicht? antwortete er ganz kalt. Er darf Dir nur die Hälfte vom Ueberschuß geben, so ist alles in seinem Gleise. Bey meiner Ehre, Freund, fuhr er kopfschüttelnd fort, für einen Mann von Deinem Geiste schlägst du ganz unrechte Wege ein. Du bist ein wahrer Verpfuscher der Hausverwaltungskunst, und es läßt sich so an, als würdest Du lange dienen müssen, da Du nicht einmahl dem Aale die Haut abstreifst, wenn Du ihn in Händen hast. Fortuna, mußt Du wissen, ist wie ein wildes buhlerisches Mädchen, mit stürmender Hand mußt Du sie einnehmen, sonst ist sie husch! Dir durch die Finger geschlüpft.

Ich that weiter nichts, als daß ich über Nunnez's Reden lachte, wie er denn auch 170 that, und mich überreden wollte, es sey nicht sein Ernst gewesen. Er schämte sich, mir vergeblich einen so schlechten Rath gegeben zu haben. Mein Entschluß, stets treu und eifrig in meinem Dienste zu seyn, ward dadurch nicht wankend; ich handelte noch immer wie zuvor, und kann wohl sagen, daß ich durch mein Beschnitteln der Ausgaben meinem Herrn in vier Monathen wenigstens dreytausend Ducaten erspart habe.

 


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