Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zweytes Kapitel.

Gil Blas trifft bey Hofe auf seinen Freund Fabriz. Wie groß beyder Freude war; wohin sie gingen, und was für ein merkwürdiges Gespräch sie führten.

Ich pflegte alle Morgen an den Hof zu gehen, wo ich zwey, drey Stunden zubrachte, und die Großen ein und ausgehen sahe. Sie schienen mir hier gar nicht den Nimbus zu haben, der sie sonst umstrahlt.

Eines Tages, als ich mich in den königlichen Gemächern so auf und ab-brüstete, und, so wie viele andre, eine herzlich alberne Figur machte, gewahrte ich Fabrizen, den ich zu Valladolid in den Diensten eines Hospitalverwesers gelassen hatte. Ich erstaunte nicht wenig darüber, daß er sich mit dem Herzog von Medina Sidonia und dem Marques de St. Cruz ganz vertraut unterhielt. Die beyden Herren schienen ihn mit großem Vergnügen anzuhören. Zudem so war er so prächtig gekleidet, wie der vornehmste Cavalier. 132

Irr' ich mich etwa? sagt' ich zu mir selbst. Oder ist es wirklich der Sohn des Barbier Nunnez? Vielleicht ist's ein ihm ähnelnder Höfling. Ich blieb nicht lang in dieser Ungewißheit. Die beyden Herren verließen ihn, und ich redete ihn an. Fabriz erkannte mich sogleich, nahm mich bey der Hand, und nachdem wir uns durch das Gewühl durchgearbeitet hatten, und aus den königlichen Gemächern waren, umarmt' er mich und sagte:

Wie freu' ich mich, mein lieber Gil Blas Dich wieder zu sehen? Was machst Du zu Madrid? Bist du noch in Diensten? Hast Du bey Hofe ein Amt? Wie stehts mit Deiner Börse? Erzähl' mir doch alles, was Dir seit Deiner schleunigen Abreise aus Valladolid begegnet ist. Du frägst mich zuviel auf einmahl, antwortete ich ihm, und hier ist nicht der schicklichste Ort, Begebenheiten zu erzählen. Hast recht, erwiederte er. Das geht bey mir zu Hause besser an. Komm mit, mein Logis ist hier in der Nähe. Ich bin unabhängig, habe eine artige Wohnung, bin hinlänglich mit Möbeln versehen, lebe vergnügt und bin glücklich, weil ich es zu seyn glaube.

Ich nahm den Vorschlag an, und ließ mich von Fabrizen fortschleppen. Er führte mich in ein wohlaussehendes Haus, wo er, wie er mir sagte, logirte. Wir gingen durch einen Hof, indem sich auf der einen Seite eine große 133 Treppe befand, die nach prächtigen Zimmern hinführte, und auf der andern Seite eine kleine eben so dunkle als schmale Stiege, die uns nach dem hochgepriesnen Logis leitete.

Es bestand aus einer einzigen Stube, die mein sinnreicher Freund durch tännene Bretterverschläge in vier Zimmer verwandelt hatte. Das erste diente zum Vorgemach, das zweyte zur Schlafstube, aus dem dritten hatte er sein Studierzimmer, und aus dem letzten seine Küche gemacht. Die Stube, und das Vorgemach waren mit Landkarten und philosophischen Sätzen austapeziert, und die Möbeln entsprachen der Austapezierung. Sie bestanden aus einem Bette von ganz abgetragnem Brokat, aus alten gelbserschenen Stühlen, die mit gleichfarbigen Fransen von granadischer Seide besetzt waren, einem Tische mit einem vergoldeten Fuße, und einem ledernen Ueberzuge, der weiland roth gewesen zu seyn schien, und mit einer Krepine von unechtem Golde eingefaßt war, welche die Länge der Zeit geschwärzt hatte, und einem ebenholzenen Kleiderschrank, der mit plumpgeschnitzten Figuren ausgeschmückt war. Statt Pults hatte er in seinem Studierzimmer ein kleines Tischchen, und seine Bibliothek bestand aus einigen Büchern und vielen zusammengebundnen beschriebnen Stößen Papier, die längs der Mauer auf Brettern lagen. Die Küche verunzierte das 134 Uebrige nicht, und enthielt irdenes Zeug, und das übrige nöthige Geräth.

Nachdem mir Fabriz Muse gelassen, seine Wohnung in Augenschein zu nehmen, sagte er zu mir: Nun, was denkst Du von meiner Einrichtung und von meinem Logis? Nicht wahr, Du bist davon bezaubert? Wahrlich, das bin ich auch, mein Kind, gab ich ihm lächelnd zur Antwort, Du mußt Dich recht gut zu Madrid stehen. Bist wohl Geschäftsträger von jemanden?

Behüte mich der Himmel! erwiederte er. Die Parthie, die ich erwählt habe, geht über alle Bedienungen. Ein Mann von Stande, dem dieser Pallast gehört, hat mir dieß Gemach eingeräumt, das ich in vier Zimmer verwandelt und ausmöblirt habe, wie Du siehst. Ich beschäftige mich bloß mit dem, was mir behäglich ist, und fühle nicht des Mangels eiserne Hand.

Erklär' Dich deutlicher, unterbrach ich ihn. Du machst meine Begier zu wissen, was Du eigentlich treibst, immer stärker und stärker. So will ich sie denn befriedigen, versetzte er. Ich bin Autor geworden; habe mich in die Schöngeisterey geworfen, schreib in Vers' und Prose; bin in alle Sättel gerecht.

Du ein Günstling Apoll's? rief ich mit lachendem Munde. Das hätte ich nie errathen. Und wärst Du auch wer weiß was geworden, so würd' ich mich darüber nicht so gewundert 135 haben, als darüber. Was findest Du denn für Annehmlichkeiten in dem Poetenstande? Mir scheint's, als wären diese Leute im gemeinen Leben verachtet, und als müßten sie manch liebes mahl Hungerpfoten saugen.

Fi doch! rief er dagegen. Du meinst jene armselige Schäker von Skriblern, deren Werke Buchhändler und Schauspieler für Ausschuß erklären. Darf man sich wundern, wenn dergleichen Schmierer keine Achtung genießen? Allein gute Schriftsteller, mein Freund, leben in der Welt auf einem bessern Fuß. Und ich kann Dir ohne Prahlerey sagen, daß ich zu letztern gerechnet werde.

Kein Zweifel! erwiederte ich. Du bist ein sehr geistreicher junger Mann; wirst gewiß nichts schlechtes zu Markte bringen. Doch möcht' ich gern wissen, wie Dich die Schreibsucht befallen hat.

Dein Erstaunen, versetzte Nunnez, ist nicht ungegründet. Ich befand mich beym Sennor Manuel Ordonnez so behäglich, daß ich's nicht besser zu haben wünschte. Doch nach und nach strebte mein Geist, wie der Geist des Plautus über die Bande der Knechtschaft empor; ich schrieb ein Stück, das ich von der dortigen Gesellschaft aufführen ließ. Ob es gleich den Teufel nicht taugte, so fand es doch gewaltigen Beyfall. Hieraus schloß ich, das Publicum sey eine gute, leichtzubehandelnde Melkkuh. Dieser 136 Gedanke und der Drang zum Schauspielschreiben, den ich in mir fühlte, zogen mich ganz vom Hospitale ab. Die Liebe zur Dichtkunst besiegte bey mir die Liebe zum Reichthum. Ich entschloß mich, nach Madrid, dem Mittelpuncte der schönen Geister, zu gehen und daselbst meinen Geschmack zu bilden. Ich verlangte von dem Verweser meinen Abschied, der mir ihn höchst ungern gab, so sehr war er mir gewogen.

Fabriz, sagte er zu mir: Warum willst Du mich verlassen? Sollt' ich Dir etwa wider meinen Willen etwas in den Weg gelegt haben? Nein, Sennor, antwortete ich ihm: Sie sind der beste unter allen Herren, und ich werde Ihre Gütigkeiten nie vergessen; allein Sie wissen wohl, man muß seinem Glücksstern folgen. Ich fühle mich dazu geboren, meinen Nahmen durch Werke des Geistes zu verewigen.

Du bist nicht wohl bey Troste! gab mir die ehrliche Haut zur Antwort. Hast Dich hier nun so gut eingeschustert, und bist aus einem Holze, woraus man Hausverwalter, ja sogar bisweilen Verweser schnitzt. Du schnappst nach dem Schatten, und läßt das Fleisch fahren, wie der Hund in der Fabel. Du wirst dabey nicht gut zurechte kommen, mein Sohn.

Da der Verweser sahe, daß er fruchtlos gegen mein Vorhaben ankämpfte, zahlt' er mir mein Gehalt aus, und gab mir zur Vergeltung meiner bisher geleisteten Dienste funfzig 137 Ducaten. Damit nun, und mit demjenigen, was ich bey den kleinen Aufträgen zusammengescharrt, womit man meine Ehrlichkeit beladen hatte, war ich im Stande, mich bey meiner Ankunft in Madrid sauber zu kleiden. Das that ich denn auch, ob gleich die Schriftsteller unsrer Nation nicht viel auf Kleidung zu halten pflegen.

Ich hatte mit Lope de Vega Carpio, Miguel de Cervantes Saavedra und andern berühmten Schriftstellern bald Bekanntschaft gemacht; doch erkohr ich mir vor allen diesen großen Männern einen jungen cordovischen Baccalaureus zu meinem Lehrer, den unvergleichlichen Don Luis de Gongora, das herrlichste Genie, das je Spanien erzeugte. Er will seine Werke nicht bey seinem Leben herausgeben, sondern begnügt sich damit, sie im Zirkel seiner Freunde vorzulesen. Das Sonderbarste ist, daß ihn die Natur mit dem seltnen Talente begabt hat, alle Fächer der Poesie mit Glück zu bearbeiten. Ganz vorzüglich aber ist er in der Satyre; darin liegt seine Hauptstärke. Er gleicht nicht wie Lucilius einem moorvollen schlammführenden Strome, sondern dem krystallhellen Goldsandtreibenden Tajo.

Du machst mir von diesem Baccalaureus ein schönes Gemählde, sagt' ich zum Fabriz, und ich zweifle nicht daran, daß ein Mann von solchen Verdiensten Neider in Menge hat. Alle Autoren, versetzte er mir, gute so wohl als 138 schlechte, sind gegen ihn äußerst im Harnisch. Er liebt den Schwulst, sagte der Eine, das Zugespitzte, die Metaphern und die Wortversetzungen. Seine Verse, sagt ein Andrer, sind so dunkel als die Feyergesänge der salischen PriesterSalische Priester. »Priester des Mars, die Numa Pompilius zur Vertreibung der in Rom starkgrassirenden Pest einsetzte. Sie durchtanzten am ersten März und an den folgenden Tagen die Stadt. An ihrem linken Arm hing ein runder Schild, ihre Rechte füllte ein Spieß, auf ihrem Haupte hatten sie einen Hut; ihren Leib deckte eine gemahlte Tunica und eine Toga mit einem purpurnen Vorstoß. Diese Priester hatten ihren Nahmen von den Sprüngen oder hüpfenden Bewegungen, die sie machten,« (vom Zeitworte salio oder salto)
    »Die Veranlassung zu dem Feste, das sie an den vorher angezeigten Tagen feyerten, war ein Schild von einer besondern Form, Ancile genannt, der sich zu den noch fabelhaften Zeiten des Numa vom Himmel gesenkt und die vorher erwähnte Pest gestillt haben sollte, und der, einer Prophezeihung der Nymphe Egeria zufolge, als ein Unterpfand der Dauer des römischen Reichs betrachtet wurde.«
    »Damit nun dieser kostbare Schild nicht verloren gehen, oder geraubt werden möchte, »ließ Numa von einem künstlichen Schmid, Nahmens Mamurius, nach dem Muster dieses Schildes noch eilf andere verfertigen, »welche diesem so ähnlich wurden, daß niemand mehr im Stande war, den rechten herauszufinden.«
    »Mamurius, der sich für dieses künstliche Werk eine Belohnung, welche er wollte, erbitten durfte, verlangte nur, daß in den Liedern, welche jährlich bey dem Tanze der salischen Priester gesungen wurden, ganz zuletzt auch sein Nahme ertönen möchte. Dieß geschah auch beständig am letzten Tage der Feyer dieses Festes.«»Der Zug der salischen Priester nahm vom palatinischen Berge, wo die Ancilien aufbewahrt wurden, seinen Anfang. Sie machten mit diesen Schilden, die sie beym Tanze zusammenschlugen, ein Getöse, wozu eine kriegerische Musik ertönte. Ein Vortänzer (Magister Saliorum) ging voraus, dessen Sprünge und Wendungen die übrigen nachmachten. Sechs Lictoren (römische Gerichtsdiener) schritten vor den Priestern her. Die »vornehmsten Römer achteten es ihrer nicht unwürdig, unter die Zahl dieser Priester des Mars aufgenommen zu werden.«
    »Die Lieder, die sie sangen, hießen Carmina Saliaria, und wurden wegen ihres hohen Alterthums zuletzt selbst denen, die sie vortrugen, ganz unverständlich.«»An jedem Abend nach geendigtem Tanze wurde für die salischen Priester eine kostbare Mahlzeit zubereitet. Jeder Schmaus, wobey man sich vorzüglich gütlich that, hieß daher ein saliarischer Schmaus.« – D. Uebers.
, die Niemand verstand. Sogar machen ihm 139 manche Vorwürfe darüber, daß er bald Sonnette oder Romanzen, bald Komödien, Decimas und Letrillas verfertigt, als wenn er den 140 tollkühnen Entschluß gefaßt hätte, die besten Dichter in allen Fächern zu verdunkeln. Doch alle diese Pfeile der Scheelsucht stumpfen sich gegen eine Muse, die sowohl der Liebling der Großen als des Volks ist.

Unter einem so geschickten Meister hab' ich sonach meine Lehrjahre gestanden, und ohne Eitelkeit gesagt, man merkt dieß meinen Schriften an. Ich habe seinen Geist so gut zu packen gewußt, daß ich bereits sybillinische Aufsätze verfertige, wozu er sich gewiß bekennen würde. Ich verhandle nach seinem Beyspiele meine Waaren in großen Häusern, wo man mich mit Entzücken aufnimmt, und wo ich mit Leuten zu thun habe, die nicht sehr Kostverächter sind. Zwar ist nicht zu läugnen, ich habe einen sehr verführerischen Vortrag, und der thut meinen Arbeiten nichts weniger als Abbruch.

Kurz, ich bin bey vielen Vornehmen beliebt, und steh' mit dem Herzoge von Medina Sidonia grad' in dem Verhältniß, wie Horaz mit dem Mäcen. Auf die Art, fuhr Fabriz fort, bin ich in einen Autor verwandelt worden. Weiter hab' ich Dir nichts zu erzählen. Nun ist es an Dir, Gil Blas, Deine Haupt- und Heldengeschichte abzusingen. 141

Hierauf nahm ich das Wort, und leistete seinem Verlangen völlig Gnüge, doch überhüpft' ich jeden gleichgültigen Umstand. Darüber war es Zeit zum Mittagsessen geworden. Fabriz langte aus seinem ebenholzenen Schranke Tellertücher, Brot, den Ueberrest einer gebratnen Schöpskeule und eine Flasche trefflichen Weins hervor, und wir setzten uns zu Tische. Wir waren völlig so fröhlich wie zwey Freunde, die sich nach langer Trennung wiedersehen.

Du siehst nun, hob er an, wie frey und unabhängig ich lebe. Wollt' ich sonst, so könnt' ich nach dem Beyspiel meiner Collegen alle Tage bey Standespersonen speisen; doch außerdem, daß Arbeitsgier mich oft an meinen Pult fesselt, so bin ich ein zweyter Aristipp, füge mich eben so gut in die große Welt, als in's Einsamleben; in den Ueberfluß, als in Frugalität.

Wir fanden den Wein so gut, daß eine zweyte Flasche aus dem Schranke mußte gelangt werden. Wie der Nachtisch aufgetragen war, äußerte ich ihm, mir würd' es sehr angenehm seyn, wenn ich eins von seinen Producten hören könnte. Sogleich sucht' er unter seinen Papieren ein Sonnet hervor, das er mir mit vielem Feuer vorlas. Doch, trotz dem Zauber seiner Declamation fand ich's so dunkel, daß ich davon nicht das mindeste verstand. Nicht wahr, sagte er zu mir, das Sonnet ist Dir nicht 142 deutlich genug? »Ich gesteh' es, ich wünscht' es wohl ein wenig verständlicher.«

Er hob an auf meine Unkosten zu lachen. Je unverständlicher dieß Sonnet, mein Freund, versetzte er, je besser ist es. Sonnette, Oden und andre Gattungen, die Erhabenheit verlangen, können sich nicht mit Simplicität und Natur vertragen. Dunkelheit macht deren einziges Verdienst aus. Genug, daß der Poet sich selbst zu verstehen glaubt.

Du hast mich zum Besten, unterbrach ich ihn. Jedwedes Gedicht, von was für Gattung es auch sey, verlangt gesunden Menschensinn und Deutlichkeit. Und schreibt Dein unvergleichlicher Gongara nicht klärer als Du, so gesteh' ich es, geb' ich gar nicht viel mehr auf ihn. Es ist ein Dichter, der höchstens sein Jahrhundert hintergehen kann . . . . Laß mich doch jetzt einmahl Deine Prose sehen.

Nunnez zeigte mir eine Vorrede, die seinem Vorgeben nach, an die Spitze einer Sammlung von Komödien sollte, welche er unter der Presse hatte. Hierauf fragte er mich, was ich davon dächte. Ich bin, sagt' ich, mit Deiner Prose so wenig zufrieden, als mit Deinen Versen. Dein Sonnett ist weiter nichts, als ein pomphaftes Galimatias, und in Deiner Vorrede gibt es zu gesuchte Ausdrücke, Wörter, die nicht nach gäng und gebem Münzfuß ausgeprägt sind, und viel zu verschlungne Redarten. Mit 143 einem Wort, Dein Styl ist sonderbar. Diese Schreibart herrscht nicht bey unsern guten und alten Schriftstellern.

Armer Ignorant! rief Fabriz, Du weißt nicht, daß jeder Prosaiker, der heut zu Tage nach dem Ruhm eines Mannes von feinem Geschmacke strebt, dieser Sonderbarkeit des Styls und dieser weit hergehohlten Ausdrücke sich anmaßt, woran Du Dich stößt. Unser fünf bis sechs kühne Reformatoren sind aufgestanden, die sich vorgenommen haben, die Sprache von Schwarz auf Weiß zu ändern, und so Gott will! unser Ziel erreichen werden, trotz dem Lope de Vega, dem Solis, dem Cervantes und all' der übrigen schönen Geister, die uns über unsre neue Redarten und Wendungen schicaniren. Wir werden durch eine beträchtliche Anzahl Männer vom ersten Range unterstützt, und unsre Parthie erstreckt sich sogar bis unter die Theologen.

Bey dem allen, fuhr er fort, ist unser Vorhaben lobenswürdig, und wir sind, mit Unbefangenheit betrachtet, weit bessern Gehalts als jene Schriftsteller, die so natürlich wegschreiben, wie der gemeine Menschentroß spricht. Ich begreife gar nicht, wie so viel brave Männer jene schätzen können. Zu Athen und Rom war dieß wohl gut, wo alle Classen der Menschen in Eins geschmolzen waren, weshalb auch Sokrates und Alcibiades sagte: das Volk ist ein trefflicher Sprachmeister. Doch zu 144 Madrid haben wir eine gute und schlechte Sprechart; und unsere Hofleute drücken sich ganz anders aus, als unsre Bürger. Du kannst es mir glauben. Kurz, unser neuaufgebrachter Styl ringt den Styl unsrer Antagonisten ganz zu Boden. Ich will Dir durch ein einziges Beyspiel darthun, wie kräftig unser Ausdruck, und wie matt der Ihrige ist.

Sie würden, zum Exempel schlechtweg sagen: Durch Zwischenspiele bekommt eine Komödie viel Anmuthiges. Und wir, wir sagen: Zwischenspiele veranmuthigen eine Komödie. Bemerke den Ausdruck wohl: veranmuthigen. Fühlst Du all' die Kühnheit und Energie, die in selbigem liegt?

Ich unterbrach mein Schöpfergenie mit einer lauten Lache. Geh, Fabriz, sagt' ich zu ihm, Du bist mit Deiner affectirten Sprache ein wahres Original. Und Du mit Deinem Naturstyle, gab er mir zur Antwort, ein Duns. Geht, fuhr er fort, indem er folgende Worte des Erzbischofs von Granada auf mich anwandte, geht zu meinem Schatzmeister, und laßt Euch von ihm hundert Ducaten zahlen, und mit dieser Summe sey der Himmel Euer Geleitsmann. Lebt wohl, Sennor Gil Blas, ich wünsche Euch ein wenig mehr Geschmack. 145

Bey diesem drolligen Einfall verdoppelte sich mein Gelächter, und Fabriz, der mir es verzieh, daß ich von seinen Schriften so unehrerbiethig gesprochen hatte, blieb völlig in seiner guten Laune. Wir brachen unsrer zweyten Flasche vollends den Hals, und hierauf standen wir mit voller Ladung vom Tische auf. Wir gingen aus, um uns nach dem Prado zu begeben, als wir aber bey der Thür eines Likörhändlers vorbeygingen, kamen wir auf den Einfall, bey selbigem einzusprechen.

Es befand sich hier gemeiniglich gute Gesellschaft. Ich sahe in zwey von einander abgesonderten Sälen Cavaliere, die sich auf verschiedene Art die Zeit vertrieben. In dem einen wurde Prim und Schach gespielt, und in dem andern hatten sich zehn bis zwölf Personen um zwey schöne GeisterSchöne Geister. In seiner alten Bedeutung: Für Männer von der gründlichsten Gelehrsamkeit, (doch ohne den mindesten Anstrich von Pedanterie,) von echtem Witz, und von dem schärfsten Gefühl für das Schöne jeder Art, und nicht in dem abschätzigen Sinne, worinn man es heut zu Tage nimmt; wo man es an jeden Jüngling verspendet, der nur etwas offnen Kopf zeigt, wenn er gleich in selbigem bloß Spreu führt; ein gar unbeträchtliches Magazin von ein Paar Dutzend französischer, italiänischer, und wenn's hoch kommt, englischer Wörter und Redensarten, übrigens aber von allen nützlichen reellen Kenntnissen entblößt ist; der von Egoismus starrt, von Empfindeley trieft, schildkrötenkalt Gluth affectirt, vor Geniedrang, wie man's heißt, die Excremente eines verbrannten Gehirns ins Publicum wirft, und vor Freyheitsgier herumras't, doch bloß im Zirkel seiner Bekannten, alle gesetzliche und gesellschaftliche Schranken umstürzen zu wollen drohet, und sich doch in die engsten derselben ganz geduldig fügt; der köhlergläubig alle Aufklärung unter die Bank wirft, und die größten würdigsten Männer, die Ersten seines Volks und untergegangener großer Nationen, zu bekritteln sich erfrecht, und unter die Schöngeister der ersten Classe gerechnet wird, wenn er gegen alle gesunde Vernunft, und gegen alles Sylbenmaß an ein Paar Verslein herzuleyern vermag.
    So waren die schönliterarischen Stutzer im Jahre 1779 beschaffen, so waren sie es noch vor etwa sieben Jahren bis auf den Umstand, daß sie ihre Empfindeley und zum Theil den Köhlerglauben abgelegt hatten. Seit der Zeit hat sich mit ihnen eine merkliche, aber leicht voraus zu sehende Veränderung zugetragen. Auch sie umtanzen nun eifrigst die Bildsäule der jetzt allgemein angebetheten Göttinn Politic, und bringen Apoll's Töchtern nur spärliche Opfer dar, wobey sich denn das Publicum recht wohl befindet. Sie sind in zwey Partheyen zerfallen, und haben theils ihre Freyheitsgier unter politischer Volksbeuteley, Thronenkriecherey und schändlicher Eudämonisterey verkappt, theils aber, wo Furcht vor ältern oder neuangelegten Bastillen sie nicht zügelt, sind sie freche Thronenstürmer mit der Zunge, unterweilen auch mit ihrer äußerst stumpfen Feder. Dabey orakeln sie Aussprüche über das weite Gebieth der Politic herab, woraus ihre Krafthasenheit in ihrer völligen jämmerlichen Bläße ersichtlich wird. Ganz beyher werfen sie ein Paar Blicke auf unsere schöne, zumahl auf die dramatische Literatur. Kaum dulden sie noch Lessing, den sie schon ziemlich veraltet finden, und den sie der Platitüden zu beschuldigen nicht unterlassen. Die Regnards und Goldonis sind ihnen erbärmliche Skurrilitätenkrämer; jedes wahrkomische Stück ist ihnen ein Gräuel, alles was ihr süblimer Schikaneder oder ein Geist gleiches Gehaltes nicht hervorgebracht hat, dünkt ihnen trivial, plebej; diesen halten sie aber dergleichen gern zu gute.
    Von Leuten solches und nochgeringern Schlages wimmelt jetzt der Berliner Schauspielsaal. Daher die Verwerfung vorzüglicher älterer oder schätzbarer neuer Stücke, wie z. B. der Fallbrücke. Und Doctoren, die es wahrlich in der Aesthetic nicht werden könnten, nehmen die ungehirnten Kritiken einer solchen unwissenden ganz geschmacklosen Jugend in Schutz, und suchen sie durch Urtheile zu unterstützen, die eben so viel Aftergeschmack, als hämische Denkart verrathen. – A. d. Uebers.
von Profession versammelt, 146 die mit einander disputirten, und hörten selbigen aufmerksam zu. Wir durften nicht näher herzutreten, um zu hören, daß sie über einen Satz 147 aus der Metaphysik in Wortwechsel waren; denn sie sprachen mit solcher Wärm' und Aufgebrachtheit, daß sie völlig wie zwey Besessene 148 aussahen. Ich glaube, wenn man ihnen Elezar's Ring unter die Nase gehalten, würde man Dämonen aus ihren Naslöchern haben fahren sehen.

Gütiger Gott! sagt' ich zu meinem Gefährten, was die Leute für Feuer, für Lungen haben! Diese Disputaxe waren zu öffentlichen Ausschreyern geboren. Die wenigsten Menschen stehen doch an ihrer rechten Stelle. Ja, wahrlich, antwortete er. Diese Leute stammen vermuthlich vom Novius her, jenem römischen Wechsler, dessen Stimme all' das Fluchen und Lärmen der Kärner zu Boden donnerte. Doch, fuhr er fort, mir ist das verdrießlichste bey ihren Reden, daß man so umsonst und um nichts sich den Kopf muß wüste machen lassen. Wir entfernten uns von diesen metaphysischen Schreyhälsen, und dadurch erstickt' ich ein Kopfweh in der Geburt, das eben zum Durchbruch kommen wollte.

Wir setzten uns in einen Winkel des andern Saals, wo wir kühlende Likörs zu uns nahmen, und dabey alle Herausgehende und Hereinkommende durchmusterten. Nunnez kannte sie fast alle. Bey Gott! rief er, das 149 philosophische Treffen wird sobald noch kein Ende haben. Dort rücken frische Truppen an. Diese drey Leute, die eben hereintreten, werden sich zu jenen schlagen.

Siehst du aber wohl die beyden Originale, die eben weggehen? Das kleine, dürre, schwarzbraune Männlein, dessen lange und schlichte Haare vor- und hinterwärts in gleichen Theilen herabhängen, heißt Don Julian de Villanuno. Es ist ein junger Oydor, der den Stutzer spielt. Ich ging einesmahls mit einem meiner Freunde zu ihm, um daselbst zu Mittage zu speisen. Wir überraschten ihn in einer ganz sonderbaren Beschäftigung. Er vertrieb sich in seiner Studierstube die Zeit damit, daß er leinene Beutel, worin sich die Actenstücke eines Prozesses befanden, dessen Referent er war, in einen Winkel schläuderte; Such's! such's! seinem großen Windspiele zurief, der sie ihm denn gar weidlich zerzaust wiederbrachte.

Der Licentiat, der ihn begleitet, das kupferreiche Gesicht, heißt Don Cherubim Tonto; ein Canonicus an dem toledischen Dome; der blödsinnigste Tropf, den es je gegeben. Gleichwohl sollte man aus seiner lebhaften und witzigen Miene schließen, er habe viel Geist. Sein Auge funkelt, und sein Lächeln ist fein und schalkisch. Man sollte ihn für einen sehr hellen Kopf halten. Lies't man ihm ein Werk des Geschmacks vor, so hört er, wie's scheint, mit der 150 feinprüfendsten Kennermiene zu, und gleichwohl versteht er nicht das geringste davon.

Er war bey dem Oydor mit zu Gaste. Ueber Tafel kamen launige Einfälle und Schwänke in Menge auf's Tapet. Don Cherubim sprach nicht, allein er gab seinen Beyfall durch Mienen und andre Aeußerungen zu erkennen, die sogar über all' die Einfälle zu gehen schienen, die uns entfuhren.

Kennst du die beyden Zottelköpfe, sagt' ich zum Nunnez, die mit dem Ellbogen auf den Tisch gestützt, sich in dem Winkel dort ganz leis' unterhalten, und ihren Odem sich in die Nase blasen?

Ein Paar ganz unbekannte Gesichter, gab er mir zur Antwort; allem Anschein nach aber Caffeehauspolitiker, welche die Regierung in eine andre Form schmelzen. Betracht' einmahl jenen artigen Cavalier, der hier den Saal auf und ab pfeift, und bald auf dem einen Fuß, bald auf dem andern sich wiegt. Es ist Don Augustin Moreto, ein junger Dichter, nicht ohne Talente, den aber Schmeichler und Dummköpfe beynahe wahnsinnig gemacht haben. Der Mann, auf den er zugeht, und den er anredet, ist einer seiner Brüder in Apollo, der gereimte Prose macht, und der von Dianen auch einen Schuß bekommen hat.

Noch mehr Schriftsteller! rief er, indem er mir zwey Leute mit Degen an der Seite zeigte, 151 die hereintraten. Es scheint, als hätten sie insgesammt Abrede getroffen, vor Dir die Musterung zu passiren. Das ist Don Bernardo Deslenguado, und jenes Don Sebastian de Villa Vitiosa. Der erste ist ein Gallsüchtler, ein unter dem Saturn geborner Autor, ein argthätiges Geschöpf, das ein Vergnügen daran findet, die ganze Welt zu hassen, und von Niemanden geliebt wird. Was den Don Sebastian anlangt, so ist das ein guter treuherziger Junge, ein Schriftsteller, der nichts auf seinem Herzen behalten kann. Seit Kurzem hat er ein Stück auf's Theater gegeben, das außerordentlichen Beyfall gefunden, und er hat's drucken lassen, um die Achtung des Publicums nicht länger zu mißbrauchen.

Der seinen Nächsten so sehr schonende Zögling des Gongora war eben im Begriffe, mir die Figuren des vor uns schwebenden und sich bewegenden Gemähldes noch ferner zu deuten, als ein Kammerjunker des Herzogs von Medina Sidonia ihn unterbrach, und zu ihm sagte: Sennor Don Fabrizio, ich suche Sie, um Ihnen zu sagen, daß mein gebiethender Herr mit Ihnen zu sprechen wünscht. Er erwartet Sie in seinem Pallaste.

Nunnez, der wohl wußte, daß man einen großen Herrn, der etwas wünscht, nicht schnell genug befriedigen kann, verließ mich in eben dem Nu, um seinen Mäcen aufzusuchen. 152 Ich war nicht weniger erstaunt, ihn Don tituliren zu hören, und zu sehen, daß er, trotz seinem Vater, dem Meister Chrysostomus, dem Bartscherer, zum Edelmanne geworden war.

 


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