Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Neuntes Kapitel.

Mit was für einem ausserordentlichen Manne Gil Blas zu Abend speiste, und was ihm selbiger entdeckte.

Ich gewahrte in dem Eßsaale ein Stück von einem alten Mönch, der ein graues grobtuchenes Habit anhatte, und ganz allein in einem Winkel saß und speiste. Aus Neugier setzt' ich mich ihm gerad' über; ich hatte ihm eine sehr höfliche Verbeugung gemacht, und er sie mir eben so höflich erwiedert. Man brachte mir meine Portion, über die ich mich so gierig hermachte, als die Eule über das Oehl.»Es gibt in Spanien und Portugal eine gewisse Art Eulen, die sehr begierig auf das Oehl sind, und die Lampen ausschlürfen, wenn sie dazu kommen können.« – D. Uebers.

Indem ich so ohne zu sprechen aß, blickt' ich öfter nach diesem Manne hin, dessen Augen ich stets auf mich geheftet fand. Seines unablässigen Anstarrens überdrüssig, sagt' ich zu ihm: Sollten wir uns wohl von Ungefähr schon gesehen haben, ehrwürdiger Vater? Ihr betrachtet mich als einen Menschen, der Euch nicht völlig unbekannt ist. 97

Gravitätisch gab er mir zur Antwort: Daß mein Blick sich so auf Euerm Gesichte verweilt, geschieht bloß, um die ungemeine Mannigfaltigkeit von Abenteuern zu bewundern, die ich aus Euren Zügen wahrnehme? So wie ich sehe, versetzt' ich mit einer Spöttermiene, geben Sich Ihro Ehrwürden mit der MetoscopieMetoscopie, Wahrsagekunst aus den Gesichtslinien. ab? Ich könnte mich rühmen, antwortete der Mönch, die Wissenschaft zu besitzen, und Prophezeyungen gemacht zu haben, denen der Erfolg völlig entsprochen hat. Nicht weniger bin ich der ChiromantieChiromantie, die Kunst aus den Zeichen und Linien der flachen Hand zu weissagen. kundig, und getraue mir zu behaupten, daß meine Aussprüche untrüglich sind, wenn ich die Hand und das Gesicht eines Menschen beschauet, und mit einander verglichen habe.

So weise dieser Alte auch aussahe, so fand ich ihn doch so sehr Geck, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihm in die Nase zu lachen. Anstatt sich durch meine Unhöflichkeit beleidigt zu finden, lächelte er bloß darüber, und sagte zu mir, nachdem er sich allenthalben im Saale umgesehen, und gewiß war, daß uns Niemand behorchte:

Ich wundre mich nicht, Sie gegen zwey Wissenschaften eingenommen zu sehen, die heut 98 zu Tage für Tand gelten. Das lange und beschwerliche Studium, das sie erfordern, machte alle Gelehrte muthlos. Sie entsagen ihnen, und aus Verdruß, daß sie sie nicht haben lernen können, verschreyen sie selbige. Ich meiner Seits habe mich nicht durch das Dunkel abschrecken lassen, das sie umhüllt, so wenig, als durch die Schwierigkeiten, die sich unaufhörlich in den Weg stellen, je weiter man in die Geheimnisse der Chemie, und in die wunderbare Kunst dringt, Metalle in Gold zu wandeln.

Doch ich vergesse, unterbrach er sich selbst, daß ich mit einem jungen Cavalier rede, dem meine Reden nothwendig als Phantastereyen vorkommen müssen. Eine Probe von meiner Wissenschaft bringt Sie vielleicht eher dahin, ein günstigers Urtheil von mir zu fällen, als alles das, was ich würde sagen können.

Mit diesen Worten zog er eine Phiole aus der Tasche, worin sich ein zinnoberrother Saft befand. Dieß Elixier, sagte er hierauf, ist heute Morgen von mir aus dem Safte gewisser abgezogner Pflanzen verfertigt worden; denn ich habe beynahe mein ganzes Leben, wie Demokrit damit zugebracht, die Eigenschaften der Kräuter und Mineralien zu erforschen. Was dieß Elixir vermag, sollen Sie sogleich sehen. Der Wein, den wir hier haben, ist herzlich schlecht; er soll sogleich vortrefflich werden. Zu gleicher Zeit ließ er zwey Tropfen seines Elixirs 99 in meine Flasche fallen, und mein Wein wurde köstlicher, als die besten Weine, die in Spanien getrunken werden.

Das Wunderbare erschüttert die Einbildungskraft, und ist die erst einmahl bestochen, so hat der Verstand wenig mehr zu sagen. Entzückt durch ein so schönes Kunststückchen, und überzeugt, daß man mehr müsse können, als Brot essen, um so etwas ausfündig zu machen, rief ich voller Bewunderung:

O verzeihen Sie, Ehrwürdiger Herr, wenn ich Sie anfänglich für einen Schwärmer hielt. Ich lasse Ihnen nunmehr Gerechtigkeit widerfahren, und brauche weiter nichts zu sehen, um überzeugt zu seyn, daß Sie, wenn Sie wollen, den Augenblick eine Stange Eisen in eine Goldbarre verwandeln können. Wie glücklich wär' ich, wenn ich diese bewundernswürdige Wissenschaft besäße!

Der Himmel bewahr' Euch davor auf ewig, mein Sohn, unterbrach mich der Alte, mit tiefgehohltem Seufzer. Ihr wißt nicht, was Ihr wünscht. Beneidet mich nicht, sondern beklagt mich vielmehr, daß ich mir so viel Mühe gegeben habe, um mich unglücklich zu machen. Ich schwebe in beständiger Unruhe; bin stets bang' entdeckt zu werden, und zum Lohne für meine Arbeiten ein ewiges Gefängniß angewiesen zu bekommen. Voll dieser Besorgnisse treib' ich immer in der Irre herum, bald als Priester 100 oder Mönch, bald als Ritter oder Bauer verkappt. Lohnt es nun wohl der Mühe, um den Preis Gold machen zu können? Und sind nicht Reichthümer, deren man nicht ungestört geniessen kann, wahre Strafen?

O wie treffend gesagt! gab ich dem Philosophen zur Antwort. Was geht wohl über ein ruhiges Leben! Sie machen mir den Stein der Weisen verhaßt, und ich bin völlig befriedigt, wenn ich von Ihnen meine künftigen Schicksale erfahren kann. Von Herzen gern will ich sie Euch sagen, mein Sohn, gab er mir zur Antwort. Ueber Euer Gesicht hab' ich bereits meine Beobachtungen angestellt. Zeigt mir nun Eure Hand.

Ich reichte sie ihm mit einem Zutrauen, das mir bey Manchem meiner Leser wenig Ehre machen wird, ob wohl er vielleicht in meinem Falle das Nähmliche würde gethan haben. Der angebliche Mönch untersuchte meine Hand sehr genau, und sagte hierauf mit Enthusiasmus:

Ha! welche Uebergänge von Leiden zu Freuden, und von Freuden zu Leiden! Welch ein seltsamer Wechsel von Glück und Unglück! Doch habt Ihr bereits einen großen Theil davon überstanden. Unglücksfälle stehen Euch nur noch wenig bevor, und ein großer Herr wird Euch in einen behäglichen Zustand versetzen, der keiner Veränderung wird unterworfen seyn. 101

Nach der Versicherung, ich könne auf diese Prophezeyung bauen, nahm er Abschied von mir, und begab sich fort. Mir ging das, was ich eben gehört hatte, nicht wenig im Kopfe herum.

Ich zweifelte gar nicht, daß der Marques de Marialva der vornehme Herr sey, dessen er erwähnt hatte; und folglich schien mir nichts möglicher als die Erfüllung dieser Prophezeyung. Hätt' ich aber auch nicht den mindesten Anschein dazu gesehen, so würd' ich dessenungeachtet dem Mönche völlig Glauben beygemessen haben, einen so guten Stein hatte er durch sein Elixier bey mir im Brete.

Um nun meiner Seits das mir vorher verkündigte Glück zu befördern, nahm ich mir vor, dem Marques mit noch mehr Anhänglichkeit zu dienen, als ich meinen bisherigen Herren gedient hatte. Mit diesem Vorsatze ging ich, ganz berauscht vor Freude nach Hause. Nie ist wohl ein Weib fröhlicher von einer Wahrsagerinn gegangen. 102

 


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