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Achtes Kapitel

Infolge welches Zwischenfalles Gil Blas die Marquise von Chaves verließ.

 

Sechs Monate war ich schon bei der Marquise von Chaves, und ich war sehr zufrieden mit meiner Stellung. Aber das Schicksal, das ich zu erfüllen hatte, erlaubte mir nicht, noch länger im Hause dieser Dame noch auch in Madrid zu bleiben. Folgendes Abenteuer zwang mich zur Flucht.

Unter den Frauen meiner Herrin war eine namens Porcia. Abgesehn von ihrer Jugend und Schönheit fand ich sie so guten Charakters, daß ich mich an sie fesselte, ohne zu ahnen, daß ich um ihr Herz kämpfen müßte. Der Sekretär der Marquise, ein stolzer und eifersüchtiger Mensch, war in meine Schöne verliebt. Er hatte kaum meine Liebe bemerkt, so beschloß er, ohne erst zu fragen, mit welchem Auge Porcia mich ansah, mich vor die Klinge zu fordern. Zu diesem Zweck gab er mir eines Morgens an abgelegener Stelle ein Stelldichein. Da er ein kleiner Mensch war, der mir kaum bis an die Schulter reichte und sehr schwächlich aussah, so hielt ich ihn nicht für einen gefährlichen Rivalen. Zuversichtlich begab ich mich an den Ort, den er mir bezeichnet hatte. Ich zählte auf einen leichten Sieg und dachte, mich dessen bei Porcia zu rühmen; aber der Ausgang entsprach meiner Hoffnung nicht. Der kleine Sekretär, der zwei oder drei Jahre geübt hatte, entwaffnete mich wie ein Kind und setzte mir die Degenspitze auf die Brust: Sei auf den Todesstoß gefaßt, sagte er, oder gib mir dein Ehrenwort, daß du noch heute die Marquise von Chaves verläßt und nie mehr an Porcia denkst. Ich gab ihm gern das Versprechen und hielt es ohne Widerwillen. Es wäre mir schmerzlich gewesen, nach dieser Niederlage vor die Dienstboten unsres Hauses und vor allem vor die schöne Helena zu treten, um die unser Kampf sich drehte. Ich kehrte nur noch in die Wohnung zurück, um alles, was ich an Sachen und Geld besaß, zu holen, und noch selbigen Tages brach ich nach Toledo auf. Meine Börse war gut gefüllt, mein Rücken mit einem Bündel beladen, das all mein Gepäck enthielt. Obgleich ich mich nicht verpflichtet hatte, Madrid zu verlassen, hielt ich es doch für geraten, wenigstens auf ein paar Jahre fortzugehn. Ich entschloß mich, Spanien zu durchziehn und von Stadt zu Stadt Aufenthalt zu nehmen. Mein Geld, sagte ich, wird mich weit führen; ich werde es nicht unvorsichtig ausgeben; und wenn ich nichts mehr habe, so werde ich wieder Dienste nehmen. Ein Bursche wie ich findet Stellung, sobald er nur danach sucht; ich brauche nur zu wählen.

Mich verlangte besonders danach, Toledo zu sehn; und nach drei Tagen kam ich dort an. Ich stieg in einem guten Gasthof ab, wo ich als ein vornehmer Kavalier galt, weil ich das Kostüm meiner galanten Abenteuer trug, mit dem ich mich zu schmücken nicht verfehlte; und infolge der Elegant-Manieren, die ich annahm, stand es nur bei mir, mit den schönen Frauen anzuknüpfen, die in meiner Nachbarschaft wohnten; aber da ich erfahren hatte, daß man sich bei ihnen mit großen Ausgaben einführen mußte, so zügelte ich meine Begierden. Ich fand immer noch Geschmack am Reisen, und also brach ich, nachdem ich alles Sehenswerte in Toledo betrachtet hatte, eines Tages mit dem Morgengrauen wieder auf, und in der Absicht, nach Aragon zu gehn, schlug ich die Straße von Cuenza ein. Am zweiten Tage trat ich in ein Gasthaus am Wege ein, und als ich mich dort zu erfrischen begann, traf ein Trupp Häscher der heiligen Hermandad ein. Diese Herren verlangten Wein und begannen zu trinken; derweilen hörte ich, wie sie einen jungen Mann beschrieben, den zu verhaften sie Auftrag hatten. Der Kavalier, sagte einer von ihnen, ist höchstens dreiundzwanzig Jahre alt; er hat langes, schwarzes Haar und eine Adlernase; er ist von schöner Statur und reitet einen Braunen.

Ich hörte ihnen zu, scheinbar ohne auf ihre Worte zu achten, und in der Tat kümmerten sie mich kaum. Ich verließ das Gasthaus und setzte meinen Weg fort. Aber kaum hatte ich eine Viertelwegstunde hinter mir, so holte ich einen jungen, schöngewachsenen Kavalier auf einem kastanienbraunen Pferde ein. Meiner Treu! sagte ich bei mir, das ist der Fremde, den die Häscher suchen, oder ich täusche mich sehr. Ich muß ihm einen guten Dienst erweisen. Herr, sagte ich laut, erlaubt, daß ich Euch frage, ob Ihr nicht irgendeinen Ehrenhandel auf dem Rücken habt. Der junge Mann warf, ohne zu antworten, einen Blick auf mich und schien von meiner Frage überrascht. Ich versicherte ihm, daß ich nicht aus Neugier fragte. Er glaubte es mir, als ich ihm erzählte, was ich in dem Gasthaus vernommen hatte. Hochherziger Unbekannter, sagte er, ich will Euch nicht verhehlen, ich habe Grund zu der Annahme, daß diese Häscher es wirklich auf mich absehn; ich werde also einen andern Weg einschlagen, um ihnen zu entgehn. Ich halte dafür, versetzte ich, daß wir einen sichern Ort aufsuchen, der uns auch vor dem Gewitter Schutz verleiht, das ich in der Luft erspähe, und das bald niedergehen muß. Zugleich entdeckten wir in ziemlich dicht stehenden Bäumen einen Gang, der uns an den Fuß eines Berges führte, in dem wir eine Einsiedelei erblickten.

Es war eine große, tiefe Grotte, die das Wetter in den Berg gerissen hatte, und Menschenhand hatte einen Vorbau aus Geröll und Muschelkalk hinzugefügt und das Ganze mit Gras überzogen. Rings war der Boden übersät mit tausend verschiedenen Blumen, die die Luft durchdufteten; und neben der Grotte sah man eine kleine Öffnung im Felsen, aus der rauschend eine Quelle floß, um sich über die Wiese zu ergießen. Am Eingang dieser einsamen Behausung saß ein guter Eremit, der vom Alter ganz übermannt schien. Er stützte sich mit der einen Hand auf einen Stock, und in der andern hielt er einen Rosenkranz. Sein Kopf stak in einer baumwollenen Mütze mit langen Ohren, und sein Bart fiel ihm, weißer als Schnee, bis auf den Gürtel herab. Wir gingen auf ihn zu. Mein Vater, sagte ich, erlaubt Ihr, daß wir Euch um eine Zuflucht vor dem Gewitter bitten, das uns droht? Kommt, meine Kinder, versetzte der Anachoret, nachdem er mich aufmerksam angesehn hatte; diese Einsiedelei steht Euch offen, und Ihr könnt bleiben, solange Ihr wollt. Euer Pferd, fügte er hinzu, indem er auf den Vorbau zeigte, wird dort gut aufgehoben sein. Der Kavalier, der mich begleitete, führte sein Pferd hinein, und wir folgten dem Greis in die Grotte.

Kaum waren wir drinnen, so begann ein schwerer Regen zu fallen, durchschnitten von Blitzen und furchtbaren Donnerschlägen. Der Eremit kniete vor einem Bild des heiligen Pacomius, das an die Wand geklebt war, nieder, und wir folgten seinem Beispiel. Unterdessen ging das Gewitter vorüber. Wir standen auf; aber da der Regen fortdauerte und die Nacht nicht mehr fern war, sagte der Greis zu uns: Meine Kinder, ich rate Euch nicht, Euch bei diesem Wetter noch wieder auf den Weg zu machen, wenn Ihr nicht dringende Geschäfte habt. Wir antworteten, wir hätten keine, die uns hinderten, zu bleiben, und wenn wir ihm nicht lästig zu fallen besorgten, so würden wir ihn bitten, uns zu erlauben, daß wir die Nacht in seiner Höhle verbrächten. Ihr werdet mir nicht lästig fallen, versetzte der Eremit. Nur Ihr seid zu beklagen; ihr werdet ein schlechtes Lager haben, und ich kann Euch nur ein Anachoretenmahl bieten.

Nach diesen Worten ließ der Eremit uns an einem kleinen Tisch Platz nehmen, setzte uns ein paar Zwiebeln, ein Stück Brot und einen Krug Wassers vor und sagte: Meine Kinder, Ihr seht mein gewohntes Mahl; aber heute will ich Euch zu Ehren ein Besonderes tun. Und er holte ein wenig Käse und zwei Hände voll Haselnüsse herbei und legte sie auf den Tisch. Der junge Mann, der keinen Hunger hatte, tat dem Gericht nicht viel Ehre an. Ich sehe, sagte der Eremit, Ihr seid an eine bessere Tafel gewöhnt als die meine, oder vielmehr, die Sinnenlust hat Euren natürlichen Geschmack verdorben. Ich bin in der Welt gewesen wie Ihr. Die zartesten Speisen, die köstlichsten Ragouts waren mir nicht zu gut; aber seit ich in der Einsamkeit lebe, habe ich meinem Geschmack seine ganze Reinheit zurückgewonnen. Ich liebe nur noch Wurzeln, Früchte und Milch, mit einem Wort, das, was die Nahrung unsrer ersten Väter gebildet hat.

Während seiner Worte versank der junge Mann in tiefes Sinnen. Der Eremit bemerkte es. Mein Sohn, sagte er, Euch lastet etwas auf der Seele. Kann ich nicht wissen, was Euch bedrückt? Öffnet mir Euer Herz. Ich dränge Euch nicht aus Neugier, mich beseelt einzig das Erbarmen. Ich stehe in einem Alter, in dem man raten kann, und Ihr seid vielleicht in einer Lage, in der Ihr des Rats bedürft. Ja, mein Vater, sagte der Kavalier und seufzte, ich bedarf ohne Zweifel des Rats, und ich will dem Euren folgen, da Ihr so gut seid, ihn mir anzubieten. Ich glaube, ich laufe keine Gefahr, wenn ich mich einem Mann wie Euch offenbare. Nein, mein Sohn, sagte der Greis, Ihr habt nichts zu fürchten; mir kann man alles anvertrauen. Da hub der Kavalier mit folgenden Worten an:


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