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Fünftes Kapitel

Welche Listen Aurora ins Werk setzte, um Don Luis Pachecos Liebe zu gewinnen.

 

Die beiden neuen Freunde fanden sich gleich am folgenden Morgen wieder zusammen; es war das ihre erste Sorge. Sie begannen den Tag mit Umarmungen, die Aurora hinnehmen und erwidern mußte, um die Rolle des Don Felix gut zu spielen. Dann gingen sie zusammen in der Stadt spazieren, wobei ich sie mit Jilindron, Don Luis' Kammerdiener, begleitete.

Um die Stunde des Diners kehrten wir ins Logierhaus zurück. Meine Herrin setzte sich mit Pacheco zu Tisch und brachte das Gespräch geschickt auf ihre Familie. Mein Vater, sagte sie, ist ein jüngerer Sohn des Hauses Mendoce; er hat sich in Toledo niedergelassen; und meine Mutter ist eine Schwester der Doña Ximena de Guzman, die vor einigen Tagen in wichtigen Geschäften mit ihrer Nichte Aurora, der einzigen Tochter Don Vincents de Guzman, den Ihr vielleicht gekannt habt, nach Salamanca gekommen ist. Nein, erwiderte Don Luis, aber man hat mir oft von Don Vincent gesprochen; auch von Aurora, Eurer Cousine. Soll ich glauben, was man von dieser jungen Dame erzählt? Man versichert, nichts komme ihr an Geist und Schönheit gleich. An Geist, versetzte Don Felix, fehlt es ihr nicht; sie ist sogar recht gebildet. Aber so schön ist sie nicht; man findet, wir ähneln uns sehr. Dann, rief Pacheco, rechtfertigt sie ihren Ruf. Eure Züge sind regelmäßig, Euer Teint ist vollendet; Eure Cousine muß reizend sein. Ich erbiete mich, Eure Neugier zu befriedigen, erwiderte der falsche Mendoce, und zwar noch heute: ich führe Euch nachmittags zu meiner Tante.

Schnell wechselte meine Herrin das Thema und sprach von gleichgültigen Dingen. Nachmittags, als sie sich anschickten, zu Doña Ximena zu gehn, lief ich voraus, um die Dueña auf diesen Besuch vorzubereiten. Dann kehrte ich zurück, um Don Felix zu folgen. Kaum aber hatten sie das Haus betreten, als Doña Ximena ihnen entgegenkam und ihnen Zeichen gab, kein Geräusch zu machen. Still, still! sagte sie leise zu ihnen, Ihr könntet meine Nichte wecken. Sie hat seit gestern eine furchtbare Migräne, die sie erst eben verläßt, und seit einer Viertelstunde schläft das arme Kind. Das tut mir leid, sagte Mendoce in gespielter Getroffenheit; ich hatte gehofft, wir würden meine Cousine sehn. Ich habe meinem Freund Pacheco auf dieses Vergnügen Hoffnung gemacht. Damit ist es nicht so eilig, erwiderte Ortiz lachend, Ihr könnt es bis morgen verschieben. Die Kavaliere hatten mit der Alten eine kurze Unterredung und zogen sich zurück.

Don Luis führte uns zu einem seiner Freunde, einem jungen Edelmann namens Don Gabriel de Pedros. Bei ihm verbrachten wir den Rest des Tages. Wir speisten sogar in seinem Hause zu Nacht; und als wir gingen, war es zwei Stunden nach Mitternacht. Wir waren vielleicht halbwegs bis zu unserm Logierhaus gekommen, als wir vor unsern Füßen zwei Leute auf der Straße liegen sahen. Wir dachten, es wären Unglückliche, die man ermordet hätte, und machten halt, um ihnen, wenn es noch möglich war, zu helfen. Als wir uns aber, soweit es die Dunkelheit der Nacht erlaubte, über ihren Zustand vergewissern wollten, kam die Patrouille indes herzu. Der Kommandant hielt uns zunächst für die Mörder und ließ uns von seinen Leuten umringen; aber als er uns angehört und bei einer Blendlaterne Mendoces und Pachecos Gesichter gesehen hatte, gewann er eine bessere Meinung von uns. Seine Häscher untersuchten auf seinen Befehl die beiden Leute, und es stellte sich heraus, daß es ein dicker Lizentiat mit seinem Kammerdiener war: beide sinnlos betrunken. Meine Herren, rief einer der Häscher, ich kenne diesen Wanst. Es ist der Herr Lizentiat Guyomar, der Rektor unsrer Universität. Wie Ihr ihn da seht, ist er ein großer Mann, ein überlegenes Genie. Es gibt keinen Philosophen, den er in einer Disputation nicht zu Boden wirft. Schade, daß er den Wein, die Händel und die Weiber ein wenig zu sehr liebt. Er kommt von seiner Isabella, bei der er zu Nacht gegessen hat; zum Unglück hat sich sein Führer wie er betrunken ... Wir ließen die Trunkenbolde in den Händen der Patrouille, die sie nach Hause trug. Wir kehrten in unser Logierhaus zurück, und jeder dachte nur an seine Ruhe.

Don Felix und Don Luis standen gegen Mittag auf; und als sie sich zusammenfanden, war Aurora de Guzman sogleich der Gegenstand ihres Gesprächs. Gil Blas, sagte meine Herrin, geh zu meiner Tante Doña Ximena, und frage sie, ob der Herr Pacheco und ich heute meine Cousine sehen können. Ich ging, um den Auftrag auszurichten, oder vielmehr, um mit der Dueña festzusetzen, was zu tun war; und als wir die nötigen Verabredungen getroffen hatten, kehrte ich zu dem falschen Mendoce zurück. Gnädiger Herr, sagte ich, Eurer Cousine geht es vortrefflich; sie hat mich selber beauftragt, Euch zu sagen, daß Euer Besuch ihr nur sehr angenehm sein könnte; und Doña Ximena läßt dem Herrn Pacheco sagen, er werde ihr mit Eurer Empfehlung stets willkommen sein.

Ich sah, daß diese Worte Don Luis freuten. Meine Herrin bemerkte es gleichfalls und sah es als glückliches Omen an. Kurz vor dem Diner erschien der Diener der Doña Ximena und sagte zu Don Felix: Gnädiger Herr, ein Mann aus Toledo hat Euch bei Eurer Frau Tante gesucht und dies Billet bei ihr hinterlassen. Der falsche Mendoce erbrach es und las die folgenden Worte vor: »Wenn Ihr von Eurem Vater und von für Euch wichtigen Dingen hören wollt, so verfehlt nicht, Euch sogleich nach Empfang dieser Worte ins Schwarze Roß bei der Universität zu begeben.« Ich bin, sagte er, zu neugierig auf diese wichtigen Dinge, um meine Neugier nicht sofort zu befriedigen. Ohne Abschied, Pacheco, fuhr er fort; wenn ich in zwei Stunden noch nicht zurück bin, so könnt Ihr allein zu meiner Tante gehn; ich treffe nachmittags zu Euch. Ihr wißt, was Gil Blas Euch von Doña Ximena gesagt hat; Ihr seid zu diesem Besuch berechtigt. Mit diesen Worten befahl er mir, ihm zu folgen, und ging.

Man kann sich denken, daß wir statt des Weges zum Schwarzen Roß den zum Hause der Dueña einschlugen. Sobald wir dort ankamen, rüsteten wir zur Aufführung unsres Stücks. Aurora nahm die blonde Perücke ab, wusch und bürstete ihre Brauen, zog ein Frauenkleid an und wurde zu der schönen Brünette, die sie von Natur aus war. Ihre Verkleidung verwandelte sie so, daß Aurora und Don Felix zwei verschiedene Personen zu sein schienen; es sah sogar aus, als sei die Dame größer als der Mann; freilich trugen ihre Überschuhe, denn die ihren waren besonders hoch, nicht wenig dazu bei. Als sie all ihren Reizen noch hinzugefügt hatte, was ihr die Kunst zu geben vermochte, erwartete sie Don Luis in einer Erregung, die halb aus Angst und halb aus Hoffnung bestand. Bald traute sie ihrem Geist und ihrer Schönheit, bald fürchtete sie, nur einen vergeblichen Versuch zu machen. Auch Ortiz rüstete sich nach Kräften, meine Herrin zu unterstützen. Ich meinerseits verließ, da Pacheco mich hier nicht sehen durfte, sobald ich zu Mittag gegessen hatte, das Haus.

Kurz, als Don Luis eintraf, war alles bereit. Er wurde von Doña Ximena sehr freundlich empfangen und hatte mit Aurora ein zwei bis drei Stunden langes Gespräch. Dann trat ich ins Zimmer, wandte mich an den Kavalier und sagte: Gnädiger Herr, Don Felix wird heute nicht mehr kommen; er bittet Euch, ihn zu entschuldigen; er ist mit drei Herren aus Toledo zusammen, die er nicht abschütteln kann. Ach, der lockere Schelm! rief Doña Ximena aus; ohne Zweifel zecht er mit ihnen. Nein, gnädige Frau, versetzte ich, er unterhält sich mit ihnen von höchst ernsthaften Dingen. Er ist ganz traurig, daß er nicht kommen kann; er hat mir aufgetragen, es Euch wie auch Doña Aurora zu sagen. Nun, ich lasse seine Entschuldigung nicht gelten, sagte meine Herrin im Scherz; er weiß, ich bin krank gewesen: er sollte denen, an die das Blut ihn bindet, ein wenig mehr Eifer bezeigen. Um ihn zu strafen, will ich ihn vierzehn Tage nicht mehr empfangen. Nein, edles Fräulein, sagte Don Luis, faßt keinen so grausamen Entschluß; Don Felix ist schon genug zu beklagen, daß er Euch nicht hat sehen können.

Darüber scherzten sie eine Weile; dann zog Pacheco sich zurück. Die schöne Aurora verwandelte sich alsbald und kehrte so schnell wie möglich als Kavalier ins Logierhaus zurück. Ich bitte Euch um Verzeihung, lieber Freund, sagte sie zu Don Luis, daß ich Euch nicht bei meiner Tante aufgesucht habe: ich konnte mich nicht von den Leuten freimachen, die ich getroffen habe. Mich tröstet nur, daß Ihr Eure Neugier stillen konntet. Was haltet Ihr von meiner Cousine? Sagt es mir, ohne zu schmeicheln. Ich bin entzückt von ihr, entgegnete Pacheco. Ihr hattet recht, Ihr seht Euch ähnlich. Nie habe ich gleichere Züge gesehn; Ihr habt dieselbe Rundung des Gesichts, dieselben Augen, denselben Mund, dieselbe Stimme. Nur ist Aurora größer als Ihr; sie ist brünett, Ihr blond; Ihr seid lustig, sie ist ernst: das ist alles, was Euch unterscheidet. Und ihr Geist, fuhr er fort: ich glaube, kein himmlisches Wesen könnte mehr Geist haben als Eure Cousine. Mit einem Wort, sie ist eine Dame von unendlichen Vorzügen.

Der Herr Pacheco sprach die letzten Worte so lebhaft, daß Don Felix lächelnd sagte: Freund, ich bereue, Euch mit Doña Ximena bekannt gemacht zu haben; und wenn Ihr mir glauben wollt, so geht nicht mehr zu ihr: ich rate es Euch zugunsten Eurer Ruhe. Aurora de Guzman könnte Euch zu schaffen machen und Euch mit einer Leidenschaft erfüllen ...

Ich brauche sie nicht erst wiederzusehn, unterbrach er, um mich in sie zu verlieben: das ist schon geschehn. Es tut mir um Euretwillen leid, versetzte der falsche Mendoce: Ihr seid nicht der Mann, Euch zu binden; und meine Cousine ist keine Isabella, ich warne Euch. Sie würde sich nicht in einen Liebhaber finden, der keine legitimen Absichten hat. Legitime Absichten! rief Don Luis; kann man für ein Mädchen ihres Blutes andre hegen? Ihr tut mir einen Schimpf an, wenn Ihr mich für fähig haltet, ein profanes Auge auf sie zu werfen; erkennt mich besser, mein lieber Mendoce: Ach! ich würde mich für den glücklichsten Menschen halten, wenn sie meine Werbung billigte und ihr Geschick an meines binden wollte.

Wenn Ihr es so meint, entgegnete Don Felix, gewinnt Ihr mich für Euch; ja, ich lobe Eure Empfindungen. Ich biete Euch meine Vermittlung bei Aurora an, und morgen schon will ich meine Tante zu gewinnen suchen, die großen Einfluß auf ihr Gemüt hat. Pacheco sagte dem Kavalier, der ihm so schöne Versprechungen gab, tausendfachen Dank, und mit Freude bemerkten wir, daß unsre List nicht besser glücken konnte. Am folgenden Tage steigerten wir Don Luis' Liebe noch durch eine neue Erfindung. Als meine Herrin bei Doña Ximena gewesen war, als wolle sie die Dame für den Kavalier gewinnen, kehrte sie zu ihm zurück. Ich habe mit meiner Tante gesprochen, sagte sie, und ich habe nicht wenig Mühe gehabt, sie günstig zu stimmen. Sie war wütend gegen Euch eingenommen. Ich weiß nicht, wer Euch ihr als Wüstling dargestellt hat; aber irgend jemand hat ihr von Euch ein unvorteilhaftes Bild entworfen. Zum Glück habe ich Euch verteidigt und so lebhaft Eure Partei ergriffen, daß ich den schlimmen Eindruck, den sie von Euren Sitten hatte, aufheben konnte.

Doch nicht genug, fuhr Aurora fort, Ihr sollt in meiner Gegenwart mit meiner Tante sprechen; dann werden wir Euch ihre Hilfe vollends sichern. Pacheco bezeigte äußerste Ungeduld; und am folgenden Morgen wurde ihm die Genugtuung dieses Gesprächs zuteil. Der falsche Mendoce führte ihn zu Doña Ortiz, und sie hatten eine Besprechung zusammen, in der Don Luis zeigte, wie sehr er sich in so kurzer Zeit hatte entflammen lassen. Die geschickte Ximena tat, als rühre sie die große Zärtlichkeit, die er verriet, und sie versprach dem Kavalier, alles zu tun, um ihre Nichte für diese Heirat zu gewinnen. Pacheco warf sich einer so guten Tante zu Füßen, um ihr für all ihre Güte zu danken. Dann fragte Don Felix, ob seine Cousine schon aufgestanden sei. Nein, sagte die Dueña, sie schläft noch, und Ihr könnt sie jetzt nicht sehn; aber kommt heute nachmittag, und Ihr werdet sie in Muße sprechen. Diese Antwort verdoppelte Don Luis' Freude, und der Rest des Vormittags wurde ihm recht lang. Er kehrte mit Mendoce ins Logierhaus zurück, und meine Herrin betrachtete ihn nicht ohne Vergnügen, da sie alle Zeichen einer wirklichen Liebe sah.

Sie unterhielten sich nur von Aurora; und als sie gegessen hatten, sagte Don Felix zu Pacheco: Mir kommt ein Gedanke. Ich halte dafür, ein paar Augenblicke vor Euch zu meiner Tante zu gehn; ich will allein mit meiner Cousine reden und, wenn möglich, ausfindig machen, wie ihr Herz Euch gesinnt ist. Don Luis billigte diesen Gedanken; er ließ seinen Freund gehn und folgte ihm erst eine Stunde später nach. Meine Herrin nutzte die Zeit so gut aus, daß sie als Frau gekleidet war, als ihr Liebhaber eintraf. Ich glaubte, sagte Don Luis, als er Aurora und die Dueña begrüßt hatte, ich würde Don Felix hier treffen. Ihr werdet ihn im Augenblick sehn, versetzte Doña Ximena; er schreibt in meinem Boudoir. Pacheco schien sich mit dieser Ausflucht zufrieden zu geben und knüpfte eine Unterhaltung mit den Damen an. Aber trotz der Gegenwart der Geliebten fiel ihm auf, wie die Stunden verstrichen, ohne daß Mendoce sich zeigte; und da er nicht umhin konnte, einige Verwunderung darob zu verraten, wechselte Aurora plötzlich den Ton, brach in Lachen aus und sagte: Ist es möglich, daß Ihr nicht den geringsten Argwohn habt, wie man Euch betrügt? Machen mich eine Perücke und gemalte Brauen so unkenntlich, daß man sich so täuschen kann? Laßt Euren Irrtum fallen, Pacheco, fuhr sie, wieder ernsthaft, fort: erfahrt, daß Don Felix de Mendoce und Aurora de Guzman eine und dieselbe Person sind.

Sie begnügte sich nicht damit, ihn aus diesem Irrtum zu ziehn: sie gestand ihm ihre Schwäche und alle Schritte, die sie unternommen hatte, um ihn dahin zu führen, wo sie ihn haben wollte. Don Luis war so entzückt wie überrascht von dem, was er hörte; er warf sich meiner Herrin zu Füßen und sagte feurig: O schöne Aurora, soll ich wirklich glauben, daß ich der glückliche Sterbliche bin, für den Ihr so viel getan habt? Was kann ich tun, um es anzuerkennen? Ewige Liebe vermöchte es nicht genug zu lohnen. Diesen Worten folgten noch tausend andre zärtliche und leidenschaftliche Reden. Dann sprachen die Liebenden von den Schritten, die sie zu tun hatten, um das Ziel ihrer Wünsche zu erreichen. Es wurde beschlossen, daß wir insgesamt unverzüglich nach Madrid aufbrechen sollten, wo unsre Komödie mit einer Hochzeit schließen würde. Dieser Plan war fast ebenso schnell ausgeführt wie gefaßt; vierzehn Tage darauf heiratete Don Luis meine Herrin, und ihre Hochzeit brachte endlose Feste und Lustbarkeiten mit sich.


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