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Zehntes Kapitel

Auf welche unangenehme Art Gil Blas und die Dame unterbrochen wurden.

 

Doña Mencia brach in Tränen aus; sie hätte mir vielleicht noch mehr erzählt, wenn unser Gespräch nicht unterbrochen worden wäre; aber wir hörten im Gasthof lauten Lärm, der unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Der Lärm war veranlaßt durch das Eintreffen des Korregidors, dem zwei Alguasile und mehrere Häscher folgten. Sie kamen in unser Zimmer. Ein junger Kavalier, der sie begleitete, trat als erster auf mich zu und begann sich meine Kleidung näher zu besehn. Beim heiligen Jakob! rief er aus, das ist mein Wams; es ist nicht schwerer zu erkennen als mein Pferd. Ihr könnt hier den Galan auf mein Wort hin verhaften; ich habe keine Angst, daß ich ihm könnte Genugtuung geben müssen; ich bin gewiß, er gehört zu den Räubern, die in dieser Gegend einen unbekannten Unterschlupf haben.

Bei diesen Worten, an denen ich den Kavalier als den beraubten Edelmann erkannte, dessen ganze Beute ich zum Unglück bei mir hatte, wurde ich betroffen, verwirrt, und verlor die Fassung. Der Korregidor, den sein Amt eher drängte, aus meiner Verlegenheit eine schlimme Folgerung zu ziehn, als sie günstig auszulegen, hielt die Anklage für nicht unbegründet; und da er die Dame wohl gar für mitschuldig hielt, so ließ er uns alle beide getrennt gefangensetzen. Dieser Richter gehörte nicht zu denen, die ingrimmig dreinblicken; er sah sanft und heiter aus. Gott weiß, ob er darum besser war! Kaum war ich im Gefängnis, so kam er mit seinen beiden Spürhunden, nämlich den Alguasilen, an. Sie traten lustig bei mir ein; sie schienen zu ahnen, daß sie einen guten Fang tun würden. Sie vergaßen keineswegs ihre schöne Sitte: sie durchsuchten mir zunächst die Taschen. Welch ein Fund! Bei jeder Handvoll Pistolen sah ich ihre Augen vor Vergnügen blitzen. Der Korregidor schien ganz außer sich zu sein. Mein Kind, sagte er mit der sanftesten Stimme, wir tun, was unsres Amtes ist: aber fürchte nichts; wenn du nicht schuldig bist, wird man dir kein Leid antun. Unterdessen leerten sie mir gemach die Taschen und nahmen mir sogar, was die Räuber geachtet hatten: die vierzig Dukaten von meinem Onkel. Dann zogen sie mich aus. Ich glaube, sie hätten mir gern den Bauch aufgeschnitten, um zu sehn, ob nicht dort noch etwas sei. Schließlich verhörte mich der Korregidor. Ich erzählte ihm harmlos alles, was mir zugestoßen war. Er nahm meine Aussage zu Protokoll und ging mit seinen Leuten und meinem Gelde davon, indem er mich ganz nackt auf dem Stroh zurückließ.

Ein Gefangener ohne Geld ist ein Vogel, dem man die Flügel beschnitten hat. Statt des Rebhuhns und des Kaninchens brachte man mir ein kleines Schwarzbrot und einen Krug Wassers, und dann ließ man mich in meinem Kerker an meinen Nägeln nagen. Volle vierzehn Tage hindurch sah ich nur meinen Wächter, der jeden Morgen meinen Vorrat erneuerte. So oft ich ihn sah, versuchte ich mit ihm zu sprechen und eine Unterhaltung anzuknüpfen; ich hätte mir gern die Langeweile ein wenig vertrieben. Aber er antwortete mir nie; ich konnte ihm kein Wort entlocken; meist kam und ging er sogar, ohne mich nur anzusehn. Am sechzehnten Tage erschien der Korregidor bei mir und sagte: Endlich, mein Freund, sind deine Nöte zu Ende; du kannst dich der Freude hingeben; ich bringe dir eine angenehme Nachricht. Ich habe die Dame, die bei dir war, nach Burgos bringen lassen; vor ihrem Aufbruch habe ich sie verhört, und ihre Aussagen entlasten dich. Du wirst noch heute freigelassen, vorausgesetzt, daß der Treiber, mit dem du von Pegnaflor nach Cacabelos gekommen bist, deine Aussage bestätigt. Er ist in Astorga. Ich habe nach ihm geschickt und erwarte ihn: wenn er das fragliche Abenteuer zugibt, werde ich dich sofort in Freiheit setzen.

Diese Worte heiterten mich auf. Ich hielt mich schon für gerettet. Ich dankte dem Richter für die gute und schnelle Gerechtigkeit, die er mir angedeihen ließ. Noch hatte ich mein Kompliment nicht ganz gesprochen, als, von zwei Häschern geführt, der Maultiertreiber eintraf. Ich erkannte ihn sofort; aber der Halunke, der ohne Zweifel mein Felleisen und alles, was darin war, verkauft hatte, fürchtete jetzt, er werde das Geld, das er dafür erhalten hatte, zurückgeben müssen, wenn er eingestand, daß er mich kannte; und so sagte er schamlos, er wisse nicht, wer ich sei und er habe mich noch nie gesehn. Ah! Verräter, rief ich aus, bekenne lieber, daß du meine Sachen verkauft hast, und gib der Wahrheit die Ehre. Sieh mich an, ich gehöre zu den jungen Leuten, die du in Cacabelos mit der Folter bedrohtest und denen du so große Angst einflößtest. Der Treiber antwortete mit kühler Miene, ich rede von etwas, wovon er keine Kenntnis habe; und da er bis zum Schluß behauptete, ich sei ihm unbekannt, so wurde meine Freilassung verschoben. Mein Kind, sagte der Korregidor, du siehst, der Treiber bestätigt deine Aussage nicht; also kann ich dich, so gern ich es täte, nicht in Freiheit setzen. Ich mußte mich also von neuem mit Geduld wappnen und mich zum Fasten bei Wasser und Brot entschließen. Fast sehnte ich mich nach den Räubern zurück, und ich dachte, vielleicht werde ich noch einmal trotz meiner Unschuld froh sein, wenn ich den Kerker mit der Galeere vertauschen könnte.


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