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XIX.

An den Grafen Carlo Pepoli.

Den Schlaf voll ängstlich wilder Träume, den
Wir Leben nennen, wie erträgst du ihn,
Mein Pepoli? Mit welchen Hoffnungen
Hinfristet sich dein Herz? In welchem Denken,
In welchem Thun, erfreulich oder drückend,
Hinbringst die Muße du, die ferne Ahnen
Vererbten dir als mühevolles Gut?
Ist doch des Menschen Dasein Müßiggang,
Nur Müßiggang, wenn jenes Thun und Wirken,
Das nicht nach würd'gem Ziele trachtet, oder
Das nie zum Ziel gelangt, zu nennen ziemt
Ein müßiges. Das Völkchen, das betriebsam
Die Scholle pflügend, pflanzend, Heerden hütend,
Den Morgen sieht und sieht des Abends Stunde –
Wenn du es müßig nennst, weil all sein Leben
Darauf nur zielt, das Leben selbst zu fristen,
Und für sich selber keinen Werth besitzt,
So sprichst du wahr! Dann bringt die Tag' und Nächte
Der Fährmann müßig hin; nur Müßiggang
Ist jedes unabläß'ge Schweißbemühn
Der Werkstatt, Müßiggang die nächt'ge Wache
Des Kriegers und sein tödtlich Waffenhandwerk,
Und müßig lebt der habsuchtglüh'nde Kaufherr:
Denn nicht für sich erwirbt noch auch für Andre
Auf Erden Einer je das holde Glück,
Nach welchem strebt die menschliche Natur,
Mit Schweiß und Sorge, Wachen und Gefahr!
Doch für den ungestümen Drang nach Glück,
In welchem, seit das Licht erblickt die Welt,
Vergeblich alle Menschenherzen seufzen,
Hat an der Stelle der Arznei Natur
Ins unglücksel'ge Sein uns mitgegeben
So manch Bedürfniß, dem nicht ohne Mühe
Und Sinnen Stillung wird – daß ausgefüllt,
Wenn auch nicht heiter, schwinde so der Tag
Den Menschenkindern, und im wirren Drang
Nach glücklich heitrem Dasein hingegeben
Dem Thun, das ihr Beruf, sie minder traurig,
Als wir, das Sein empfinden, minder drückend,
Und minder über lange Weile klagend!
Doch wir, die andern Händen wir vertraun
Die Sorge für die Fristung unsres Lebens,
Wir müssen die noch schwerer lastende
Notwendigkeit ertragen, die für uns
Kein Andrer kann ertragen – wir ertragen
Mit Ueberdruß und Unmuth sie, die schnöde
Notwendigkeit: das Leben hinzubringen,
Die grausame, die unerträgliche
Notwendigkeit, die nicht gehäufte Schätze,
Nicht Heerdenreichthum, oder üpp'ge Felder,
Kein Purpurmantel und kein Königshof
Erleichtern kann dem Menschen. Und wenn Einer,
Sein schnödes Sein verwünschend, und das Licht
Des Tages hassend, seinem späten Schicksal
Zuvorzukommen, mörderisch die Hand
Nicht auf sich selber richtet, sucht er thöricht
Für jene Qual der unheilbaren Sehnsucht,
Die da vergebens schmachtet nach dem Glück,
Der wirkungslosen Mittel tausende,
Die stets doch kärglichen Ersatz nur bieten,
Für jene, die Natur allein gewährt.

Ihn hält der Kleider Schmuck, des Haares Pflege,
Des Gangs, der Haltung Feinheit, Leidenschaft
Für Ross' und Wagen, glänzend volle Säle,
Geräuschvoll menschendichte Plätze, Gärten,
Ihn Spiel, Gelage, Tänze, vielbeneidet,
Beschäftigt Tag und Nacht: von seiner Lippe
Weicht nie das Lächeln, aber, ach, im Busen,
In tiefster Brust, da, schwer und unbeweglich
Wie eine diamantne Säule, ruht
Die Langeweil' – unsterblich, gegen welche
Machtlos ist Jugendmuth, machtlos
Der süße Laut von einer Rosenlippe,
Machtlos der zarte Blick, der zitternde,
Aus dunklem Augenpaar, der süße Blick,
Das göttlichste von allen ird'schen Dingen!

Und Mancher, gleich als dächt' er zu entrinnen
Dem traurigen Geschick, bringt, Himmelsstriche
Und Länder wechselnd, hin sein Leben, schweift
Weit über Berg' und Meeresflut, durchwandert
Den ganzen Erdkreis; jede fernste Grenze
Des Raums, den in unendlichen Gefilden
Des Alls erschloß dem Menschen die Natur,
Ermißt sein Wanderschritt. Doch ach, es sitzt
Dicht hinter ihm am Schiffsverdeck die Sorge,
Die dunkle, unter jedem Himmel ruft man
Umsonst das Glück – nur düstre Trauer herrscht.

Und Manche giebt es, die zum Zeitvertreib
Des Schlachtengotts grausames Werk erwählen,
In Blut die Hände tauchen, zu entfliehn
Dem Müßiggang und Manche trösten sich
Mit fremdem Schaden, denken minder elend
Zu sein, wenn Andere sie elend machen:
So bringen sie die Zeit mit Schädigung
Des Nächsten hin. Ein Andrer jagt nach Tugend
Und Weisheit oder Künsten, Andre bringen
Das eigne Volk bedrückend oder fremdes,
Und ferner Länder alte Ruhe störend
Mit Handelslust, mit Waffen und mit Listen,
Ihr zugemessnes Theil des Lebens hin.

Dich lenket sanftrer Wunsch und süßre Sorge
In deiner Jugend Blütezeit, im holden
April der Jahre, Andern liebstes, erstes
Geschenk des Himmels, bitter, schwer und feindlich
Dem, der kein Vaterland besitzt. Dich regt und stachelt
Der Dichterworte Wissenschaft, die Deutung
Des Schönen, das nur selten, karg und flüchtig
Erscheint hiernieden, und auch jenes Andren,
Das, gütiger als Himmel und Natur,
Die unerschöpfte Phantasie hervorbringt
Und unser eigner Wahn. O tausendmal
Beglückt der Mann, der die hinfäll'ge Kraft
Des holden Phantasirens nicht verliert
Im Zeitenumschwung; welchem ew'ge Jugend
Des Herzens mild gewährte das Geschick;
Der in der Vollkraft Tagen und des Welkens,
Wie er gepflegt in grüner Blütezeit,
In seinem Geiste die Natur verschönert,
Der Wüste Leben giebt, und selbst dem Tode.
Dir gebe dies der Himmel, und es habe,
Die jetzo dich mit ihrem Wort befeuert,
Dich einst auch als ergrauten Freund, die Dichtkunst.
Von mir, ach, seh' ich all den süßen Trug
Der Jugend weichen, schwinden aus den Augen
Die holden Bilder, die so sehr ich liebte,
Die immer, bis zu meiner letzten Stunde,
Ersehnt, beweint mir sind in der Erinnrung.
Wenn nun erkaltet ist und ganz erstarrt
Dieß Herz dereinst, und auf besonnten Fluren
Nicht Einsamkeit, die heiterlächelnde,
Noch morgendlicher Vögel Frühlingslied,
Noch unter heitrem Himmel, über Hügeln
Und Feldern mir der stille Mond die Seele
Bewegt und in Natur und Kunst das Schöne
Mir seelenlos und stumm ist, hoher Sinn
Und zarte Regung ganz mir fremd geworden –
Dann will ich, bettelnd nur um eignen Trost,
Mir anderes Bestreben, minder lieblich,
Erwählen, dran des ehern-rauhen Lebens
Werthlosen Rest ich wende. Alles Bittre
Der Wahrheit und die blinden Schicksalsloose
Der irdischen und überird'schen Dinge
Will ich erforschen, und wozu geschaffen,
Von Elend immerdar und Leid belastet,
Das menschliche Geschlecht; zu welchem Ziel
Es dränge Schicksal und Natur, und wem
Zur Lust ist unser Jammer oder frommt;
Nach welcher Richtschnur, welchen Ordnungen
Dieß All sich wälzt, das weise Männer preisen,
Ich aber zu bewundern mich bescheide! –

In solchem Sinne will ich meine Muße
Hinleben: denn gekannt, ob traurig auch,
Hat Wahrheit auch ihr Süßes. Und wenn oft,
Von Wahrheit redend, meine Worte nicht
Willkommen, nicht verstanden sind im Volke,
Nicht soll michs quälen! Glüht doch längst der Göttin
Des Ruhms in meiner Brust kein Opfer mehr:
Der Göttin, die nicht eitel blos, nein blinder
Noch ist als die des Glücks, und die der Liebe!

*


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