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Im Palast.
Der Fürst, Cäcilia, Julius, Guido, der Erzbischof, Hofleute beiderlei Geschlechts in Gala, unter ihnen Aspermonte. Alle sind schon gegenwärtig, der Fürst sitzt mit bedecktem Haupte auf einem Sessel. Neben ihm stehn seine Söhne und sein Bruder, die andern im halben Zirkel.
Der Fürst (steht auf und tritt mit entblößtem Haupte in die Mitte der Versammlung). Ich danke euch, meine Freunde, ich danke euch. Wahrscheinlich feiere ich heute meinen Geburtstag als Fürst zum letzten Male. Ich gehöre nicht zu den Greisen, die es nicht wissen, daß sie alt sind. Und wenn mich auch der Tod nicht ruft, so denke ich doch, in kurzem den Hirtenstab meinem Sohne zu übergeben. Meine Sonne ist schon untergegangen, und ich wollte so gerne in der kühlen Dämmerung mit Ruhe das lange Tagewerk noch einmal übersehen. Ich hoffe, mein Gewissen wird mir nichts Unangenehmes zeigen.
Freilich ist der Rand des Grabes der rechte Standpunkt zu dieser Übersicht. Jede Nation sollte eine Geschichte der letzten Augenblicke ihrer Fürsten unter den Reichskleinodien aufbewahren. Sie sollte immer offen vor dem Throne liegen; da sehe der Regent das Zittern des Tyrannen, der es zum ersten Male empfindet, daß er ein Untertan ist. Aber er sehe auch die Ruhe des guten Fürsten und bezeuge durch eine gute Tat, daß er sie gesehen habe.
Was ihr auch sehen werdet, meine Kinder, so sollt ihr an meinem Sterbebett gegenwärtig sein.
Ich hoffe, ihr sollt nichts Schreckliches sehen.
Ein alter Bauer (der einen Blumenkranz in der Hand hat und sich durch die Hofleute drängt). Das werden sie nicht, wahrhaftig, das werden sie nicht!
Gnädiger Herr, ich bin ein Bauer aus Ihrem Dorfe Ostiola. Die Gemeine schickt Ihnen den Kranz zum Zeichen ihrer Liebe. Wir können Ihnen nichts Bessers schicken; denn wir sind so arm, daß wir verhungert wären, wenn Sie es gemacht hätten wie Ihr Vater.
Der Fürst (gibt ihm die Hand). O daß die Blumen so lange frisch blieben, bis ich sterbe. Ich wollte sie über mein Bette aufhängen lassen. – Ihr Duft wäre doch wohl Erquickung für einen Sterbenden. – Nimm den Kranz, Julius, er gehört auch unter die Reichskleinodien.
Der Bauer (zu Julius). Ja, Prinz, machen Sie es wie Ihr Vater, und mein Sohn soll Ihnen auch so einen Kranz bringen.
Julius (weint und umarmt den Bauer). Dein Enkel noch nicht, guter Mann.
Der Bauer. Gnädiger Herr, Gott erhalte Sie und Ihr Haus.
Der Fürst. Nein, Freund, ohne Geschenk kömmst du nicht von mir.
Der Bauer (indem er abgeht). Nicht doch, gnädiger Herr, da würde ja aus dem ganzen ernsthaften Wesen ein Puppenspiel.
Der Fürst. Mein Herz ist so voll – (Gibt ein Zeichen; die Hofleute gehn ab.) Meine Kinder, bleibt hier!
Fürst. Julius. Guido.
Fürst. »Gott erhalte Sie und Ihr Haus« – wenn nur ein Haus erhalten werden könnte, das mit sich selbst uneins ist. Ihr kennet den Schmerz eines Vaters nicht, meine Söhne, und könnt ihn nicht kennen, aber ihr wisset doch, daß es schmerzt, ein Gewächs verdorren zu sehn, das man selbst gepflanzt und gewartet hat; nun, so denkt euch den Gram eines Vaters, der die Freude an seinen Kindern verliert –
Julius. Ich hoffe, Herr Vater, es ist Ihnen bekannt, daß ich an dem Zwiste nicht schuld bin.
Fürst. Diese Freude sollte mir alle Sorgen eurer Erziehung vergelten, aber itzt sehe ich's – ich glaubte, Vergnügen zu säen, und siehe, ich ernte Tränen. – Was soll ich von der Zukunft hoffen – da ihr jetzt schon so handelt, was werdet ihr nicht tun, wenn euch Liebe und Furcht gegen mich nicht mehr zurückhalten! Mit welchen Empfindungen wollt ihr, daß ich sterben soll, wenn ich euch an meinem Todbette sehe? Euch beide soll ich segnen, und jeder von euch hält Fluch über den andern für Segen für sich? – O Julius, o Guido, die ganze Welt läßt diese grauen Haare in Frieden in die Grube fahren – nur ihr nicht, nur ihr nicht – ich bitte euch, lieben Kinder, laßt mich in Ruhe sterben.
Julius. Ich versichre Ihnen bei allem, was heilig ist, ich bin unschuldig – und Sie würden meine Mäßigung bewundern, wenn Sie alle Beleidigungen wüßten, die er mir zugefügt hat. – O Bruder, es zerreißt mir das Herz, daß ich so reden muß.
Guido. Und die Geduld eines Martyrers möchte zerreißen, wenn du von Beleidigungen reden kannst. – Keine Beleidigungen, nur die Wahrheit sollst du mit Mäßigung anhören, wollte Gott, daß du das könntest.
Fürst. Seid ruhig – ich weiß es genau, in welchem Grade ihr beide schuldig seid. – Aber kannst du es leugnen, Guido, daß du heute den Degen gegen Julius' Freund zogest, in einem Streit über deinen Bruder zogest –
Guido. Ich tat es, Herr Vater – aber mein Bruder und nachher Aspermonte hatten meine Ehre so tief und mit so kaltem Blute verwundet – ich wollte, Sie hätten es gehört, mit welcher Kälte sie meine Ehre –
Fürst. Schämst du dich nicht, von Ehre gegen Bruder und Vater zu reden? Wenn diese Torheit auch die Weisen überschreit, so sollte sie doch wenigstens die Stimme des Bluts nicht übertäuben.
Guido. Verzeihen Sie, Herr Vater, meine Ehre ist nichts, wenn sie in Betracht des einen etwas anders ist als in Betracht des zweiten.
Fürst. Halt, Guido, ich höre nicht gern Leute deines Temperamentes im Affekt von Grundsätzen reden – im Affekt trefft ihr sowenig als andre das rechte Ziel – und seid denn nachher immer bereit, jedes im Affekt gesprochne Wort mit eurem Blute zu versiegeln. Jetzt nichts mehr davon, ich will zu einer bequemern Zeit davon mit dir reden – wenn du mehr dazu aufgeräumt bist, einmal mit Ruhm aus einem Feldzuge zurückkommst oder sonst eben eine große Handlung getan hast.
Guido. Möchten Sie bald diese Gelegenheit finden!
Fürst. Ich kann sie finden, wenn du willst, – und du, Julius, kannst mir eine ähnliche geben. Du brüstest dich mit deinem Mute und du mit deiner Philosophie. Eure törichte Liebe zu überwinden, ist eine rühmliche Laufbahn für beide – laßt sehn, wer am ersten beim Ziel ist. Und daß euch itzt noch die Eifersucht entzweit! Sonst glaubte ich, es sei nichts törichter als eure Liebe; aber ich habe mich irrt, eure itzige Leidenschaft ist noch törichter. Unmöglich kann einer von euch Blancan besitzen – sie ist eine Nonne, für euch tot – ihr könntet mit ebendem Rechte die schöne Helena oder Kleopatra lieben. Eure Liebe ist also nichts – und doch seid ihr eifersüchtig – Eifersucht ohne Liebe – das heißt keinen Wein trinken und Torheiten eines Berauschten begehen – Oder glaubt ihr, der Liebe sei nichts unmöglich? – Versucht es – aber ihr werdet hier alles finden, was den Menschen aufhalten kann – Schwur und Religion, Riegel und Mauern – überleg' das, Julius, und höre auf zu trauern.
Julius. Ich habe noch nicht einmal so lange getrau'rt als ein Witwer um seine Gattin – und Sie sagen ja, Blanca sei tot's. Sehen Sie meiner Schwachheit etwas nach, lieber Vater!
Fürst. Ich habe ihr nachgesehen – aber wenn ich es länger tue, so wird auch meine Nachsicht selbst Schwachheit. Wache endlich auf und sei das, was du sein sollst. – Du bist kein Mädchen, die Liebe ist nicht deine ganze Bestimmung. Du wirst ein Fürst und mußt dem Vergnügen der Tarentiner dein Vergnügen aufopfern lernen.
Julius. Da verlangen die Tarentiner zuviel.
Fürst. Nicht zuviel, mein Sohn – hier ist nichts mehr als ein Tausch. Du gibst ihnen dein Vergnügen und sie dir ihren Ruhm. In einem Jahrhundert bist du, der Fürst, der einzige von allen deinen Tarentinern, den man noch kennt, wie eine Stadt mit der Entfernung verschwindet und bloß noch die Türme hervorragen – und doch war jeder vergeßne Tarentiner ein Teil des Staates, ohne den du kein Fürst sein konntest, jeder arbeitete für dich, trug ein Steinchen zu der Ehrensäule, auf die du zuletzt deinen Namen schreibst.
Julius. Aber Herr Vater, wenn ich nun ein verborgnes Leben so begierig suchte als die Liebe ein dunkles Myrtengebüsch – so tauscht' ich auf die Art Schatten für ein wirkliches Gut ein –
Guido. Bruder, du redest wie ein Träumender.
Fürst. Julius, Julius, du bist tief gesunken! – Doch ich will mich nicht erzürnen. Ich sehe es, es ist noch zu früh, mit dir vernünftig zu reden – Gründe sind eine stärkende Arznei, und bei dir hat sich die Krankheit noch nicht gebrochen – dir geht es wie den Leuten, die nichts sehen, weil sie zu lange starr auf einen Gegenstand sahen.
Julius. Ich will mich zwingen, Vater, einen Kampf kämpfen, der mir viel kosten wird.
Fürst. O Sohn, sollte mein graues Haupt nichts über dich vermögen – meine Runzeln nichts gegen ihre reizende Züge, meine Tränen nichts gegen ihr Lächeln – mein Grab nichts gegen ihr Bette?
Julius. O mein Vater!
Fürst. Julius, dies sind nicht die Tränen eines Mädchens – es sind die Tränen eines Vaters – auch um dich vergieße ich sie, Guido, du gehst mit deinem Bruder zu gleichen Teilen; – wie du so sprachlos dastehst! Ich bitte euch, lieben Kinder, macht mir eine Freude und umarmt euch – sollte es auch nur mit halben Herzen geschehn, ein Schauspiel sein, das ihr an meinem Geburtstage aufführet – ich will mich täuschen – der getäuschte Zuschauer weint ja auch Freudentränen vor dem Schauplatze. (Sie umarmen sich.) – Die Wollust habe ich lange nicht gehabt; (er umarmt sie beide) ich bitte euch, lieben Kinder, laßt dies graue Haar mit Frieden in die Grube fahren.
Guido. Julius.
Guido. Julius, kannst du die Tränen eines Vaters ertragen? Ich kann's nicht.
Julius. Ach Bruder, wie könnt' ich!
Guido. Meine ganze Seele ist aus ihrer Fassung, ich möchte mir das Gewühl einer Schlacht wünschen, um wieder zu mir selber zu kommen. – Und das kann eine Träne? Ah, was ist der Mut für ein wunderbares Ding, fast möchte ich sagen, keine Stärke der Seele, bloß Bekanntschaft mit einem Gegenstande – und wenn das ist, ich bitte dich, was hat der Held, den eine Träne außer sich bringt, an innrer Würde für dem Weibe voraus, das vor einer Spinne auffährt!
Julius. Bruder, wie sehr gefällt mir dieser dein Ton!
Guido. Mir nicht, wie kann mir meine Schwäche gefallen! Ich fühle, daß ich nicht Guido bin. Wahrhaftig, ich zittre – o wenn das ist, so werde ich bald auf die rechte Spur kommen – ich habe ein Fieber.
Julius. Seltsam – daß sich ein Mensch schämt, daß sein Temperament stärker ist als seine Grundsätze.
Guido. Laß uns nicht weiter davon reden – meine itzige Laune könnte darüber verfliegen, und ich will sie nutzen! Man muß gewisse Entschlüsse in diesem Augenblick ausführen, aus Furcht, sie möchten uns in dem künftigen gereuen. Du weißt es, Bruder, ich liebe Blancan und habe meine Ehre zum Pfande gegeben, daß ich sie besitzen wollte – Aber diese Tränen machen mich wankend.
Julius. Du setzest mich in Erstaunen.
Guido. Ich glaube meiner Ehre genuggetan zu haben, wenn sie niemand anders besitzt, wenn sie bleibt, was sie ist – denn wer kann auf den Himmel eifersüchtig sein? Aber du siehst, wenn ich meine Ansprüche aufgebe, so mußt du auch die deinigen, mit alle den Entwürfen, sie jemals in Freiheit zu setzen, aufgeben. – Laß uns das tun und wieder Brüder und Söhne sein! – Wie wird sich unser Vater freuen, wenn er uns beide zu gleicher Zeit am Ziel sieht, wenn wir beide aus dem Kampfe miteinander als Sieger zurückkommen, und keiner überwunden – und noch heute muß das geschehn, heute an seinem Geburtstage!
Julius. Ach Guido –
Guido. Eine entscheidende Antwort!
Julius. Ich kann nicht.
Guido. Du willst nicht? – so kann ich auch nicht. Aber von nun an bin ich unschuldig an diesen väterlichen Tränen, ich schwöre es, ich bin unschuldig. Auch ich bekäme meinen Anteil davon, sagte er, – siehe, ich wälze ihn hiemit auf dich. Dein ist die ganze Erbschaft von Tränen und Flüchen!
Julius. Du bist ungerecht – glaubst du denn, daß sich eine Leidenschaft so leicht ablegen lasse wie eine Grille, und daß man die Liebe an- und ausziehen könne wie einen Harnisch? Ob ich will – ob ich will – wer liebt, will lieben und weiter nichts – Liebe ist die große Feder in dieser Maschine; und hast du je eine so widersinnig künstliche Maschine gesehn, die selbst ein Rad treibt, um sich zu zerstören, und doch noch eine Maschine bleibet?
Guido. Ungemein fein, ungemein gründlich – aber unser armer Vater wird sterben!
Julius. Wenn das geschieht, so bist du sein Mörder! – Deine Eifersucht wird ihn töten, und hast du nicht eben gesagt, du könntest deine Ansprüche aufgeben, wenn du wolltest – heißt das nicht gestehen, daß du sie nicht liebst, und doch bleibst du halsstarrig? Dein Aufgeben wäre nicht Tugend gewesen, aber dein Beharren ist Laster!
Guido. Bravo! bravo! das war unerwartet.
Julius. Und was meinst du denn –
Guido. Ich will mich erst ausfreuen, daß die Weisheit eben so eine schlanke geschmeidige Nymphe ist als die Gerechtigkeit, ebensogut ihre Fälle für einen guten Freund hat als diese. – Ich könnte meine Ansprüche aufgeben, wenn ich wollte? – Wenn die Ehre will! – Das ist die Feder in meiner Maschine – Du kannst nichts tun, ohne die Liebe zu fragen, ich nichts ohne die Ehre – wir können also beide für uns selbst nichts, das, denke ich, ist doch wohl ein Fall.
Julius. Hat man je so etwas Unbilliges gehört, die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Toren zu vergleichen!
Guido. Einiger Toren? – du rasest. Ich verachte dich. Wie tief stehst du unter mir. Ich hielt meine Rührung durch Tränen für Schwachheit – aber zu diesem Grade meiner Schwachheit ist deine Tugend noch nicht einmal gestiegen!
Julius. Es ist immer dein Fehler gewesen, über Empfindungen zu urteilen, die du nicht kennst.
Guido. Und dabei immer ums dritte Wort von Tugend zu schwatzen – ich glaube, wenn du nun am Ziel deiner Wünsche bist und deinen Vater auf der Bahre siehst, so wirst du, anstatt nach getaner Arbeit zu rasten, noch die Leichenträger unterrichten, was Tugend sei, oder was sie nicht sei
Julius. Wie habe ich mich geirrt! Bist du nicht schon wieder in deinem gewöhnlichen Tone?
Guido. Siehe, du hoffest auf seinen Tod; kannst du das leugnen? Glaubst du, daß ich es nicht sehe, daß du alsdann das Mädchen aus dem Kloster entführen willst? – Es ist wahr, alsdann bist du Fürst von Tarent, und ich bin nichts als ein Mann. – Aber dein zartes Gehirnchen könnte zerreißen, wenn du das alles lebhaft dächtest, was ein Mann kann – Gott sei Dank, es gibt Schwerter, und ich habe einen Arm – einen Arm, der noch allenfalls ein Mädchen aus den weichen Armen eines Zärtlings reißen kann – ruhig sollst du sie nicht besitzen, ich will einen Bund mit dem Geiste unsres Vaters machen, der an deinem Bette winseln wird.
Julius. Ich mag sowenig als unser Vater von dir im Affekt hören, was du tun willst. (Geht ab.)