Johann Anton Leisewitz
Julius von Tarent
Johann Anton Leisewitz

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Fünfte Szene

Julius, Aspermonte treten von verschiednen Seiten auf.

Julius. Ah, Aspermonte, ich habe sie gesehen, sie gesprochen, sie geküßt.

Aspermonte. Blancan? – was für ein Schritt!

Julius. Der Riesenschritt der Liebe – über tausend Bedenklichkeiten und Gefahren. Soll denn ein Verliebter, wie ihr andern vernünftigen Leute, vom Gedanken zum Entschluß und vom Entschluß zur Tat Tagereisen hinken?

Aspermonte. Sie sind zu rasch! Voreilig ist kein höh'rer Grad des Schnellen. In dem zu heißen Strahle der Sonne, der ein Gewächs versenget, wird es nie zeitig. Und was haben Sie jetzt von Ihrem Besuche als einen Widerhaken mehr im Herzen!

Julius. Hätten Sie sie gesehn, Sie würden nicht fragen! O des entzückenden Streites der Religion und Liebe in ihrer Seele! Beide vermischten sich so in ihren Empfindungen, daß keine zur andern sagen konnte: diese Träne ist mein, und diese ist dein. Nur einmal sah ich in ihrem Blicke das Lächeln der Liebe – auf ihrem Nonnengesichte wie eine Rose, die aus einem Grabe blühet. Auch öffnete sie mir ihr Herz nicht, bis es von selbst borst, und versiegelte ihr Geständnis mit einer Ohnmacht, dem Bilde des Todes, wie sie ihre Liebe mit dem Tode selbst versiegeln würde. Aspermonte, kein Geliebter war so glücklich als ich! – Ich habe zweimal die Wange eines Mädchens glühen sehn, als sie mir ihre Liebe nicht gestehen wollte und gestand. – Wunderbar! der erste Frühlingstag in einem Jahre zweimal!

Aspermonte. Ha, Prinz, Ihr Rausch von heute früh ist noch nicht verflogen!

Julius. Aber nennen Sie mir doch etwas, was ich nicht für Blancan tun will! Die mächtigsten Triebe und Kräfte brütet der allmächtige Strahl der Liebe in unserm Innersten, das zu erreichen der Strahl jeder andren Leidenschaft zu kurz ist, und ein Verschnittner mag sagen, die Menschheit ist schwach. Alles in meiner Seele lebet und wirket – Kennen Sie den allmächtigen Hauch im Lenze, so reich an Kraft, daß es scheinet, er werde die Grenzen der Schöpfung verrücken und das Leblose zum Leben erwecken? Ein solcher Hauch hat mein ganzes Wesen durchdrungen. – Und alles, was ich vermag, sehe ich nicht einmal immer – nur zuweilen zeigt mir ein Entschluß den ganzen Reichtum der Menschheit – zeigt ihn mir auf einen Augenblick, wie ein Blitz, der durch eine unterirdische Schatzkammer fährt, das aufgehäufte Gold.

Aspermonte. Ihre Phantasie brennt in einem Grade, daß ich mich fürchte.

Julius. Rede ich unvernünftig? – Gut – der Himmel und Ihr Mädchen vergeben es Ihnen, wenn Sie in ähnlichen Umständen vernünftig reden!

Aspermonte. Und mit ebendiesem Feuer haben Sie zu Blancan geredet? Sie haben sie doch nicht gar in Ihren romanhaften Plan blicken lassen?

Julius. Romanhaft nennen Sie einen Plan, wozu ein wunderbares Zusammenstoßen von Charakteren und Umständen im geringsten nicht nötig ist, wozu ich kaum einen Menschen brauche? Meine Füße tragen mich über die Grenzen von Tarent – Sehen Sie da das ganze Wunder.

Aspermonte. Wunders genug, daß ein Jüngling, mit jeder Kraft für alles, was groß ist, begabet, diese Kräfte mit einem Liebesliedchen einschlummert! – Aber glauben Sie es mir, Julius, es wird eine Zeit kommen, in der Sie für Hunger nach edlen Taten schmachten werden.

Julius. Und ich sage Ihnen, daß ich diesen Ruhm und diese Geschäfte hassen würde, wenn ich Blanca nie gesehn hätte. Es ist nichts in dem Stande eines Fürsten, was sich für mich schickte, von seiner heiligsten Pflicht an bis auf die goldnen Fransen an seinem Kleide. Ah, geben Sie mir ein Feld für mein Fürstentum und einen rauschenden Bach für mein jauchzendes Volk – einen Pflug für mich und einen Ball für meine Kinder! – Ruhm? – dann mag die Geschichte mein Blatt in ihrem Buche leer lassen – Der letzte Seufzer Blancas sei auch der letzte Hauch, den je ein Sterblicher auf meinen Namen verwendet.

Aspermonte. Wie listig Sie Ruhm und Pflicht miteinander verwechseln! – Julius, die Menschen sind nicht da, um nebeneinander zu grasen, und ein Mann kann sich mit einem süßern Gedanken schlafen legen, als daß er satt ist – es gibt gesellschaftliche Pflichten. Im Schuldbuche der Gesellschaft steht Ihr Leben, Ihre Erziehung, Ihre Bildung, selbst diese Kraft zu sophistisieren. Was steht in Ihrer Gegenrechnung? – Prinz, ein Biedermann bezahlt seine Schulden.

Julius. Wahrhaftig, ich bin diesen gesellschaftlichen Einrichtungen viel schuldig – sie setzen Fürsten und Nonnen und zwischen beiden eine Kluft – Beim Himmel, ich bin der Gesellschaft viel schuldig!

Aspermonte. Kaltes Blut, Prinz! Sie sollen jetzt untersuchen.

Julius. Jetzt soll ich kaltes Blut haben – glauben Sie, daß ich ein Tor sei? – Aber gut, der Staat gibt mir Schutz und fodert dagegen Gehorsam gegen die Gesetze. Ich habe diesen Gehorsam geleistet – die Rechnung hebt sich.

Aspermonte. Meine Behauptung wischt mehr Tränen ab als die deinige – Siehe, Jüngling, dein Vernünfteln ist falsch.

Julius. Ist denn Tarent der Erdkreis und außer ihm Unding? – Die Welt ist mein Vaterland, und alle Menschen sind ein Volk, durch eine allgemeine Sprache vereint – die allgemeine Sprache aller Völker ist Tränen und Seufzer – ich verstehe auch den hilflosen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub sein! – Und mußte denn das ganze menschliche Geschlecht, um glücklich zu sein, durchaus in Staaten eingesperrt werden, wo jeder ein Knecht des andern und keiner frei ist – jeder an das andre Ende der Kette geschmiedet, woran er seinen Sklaven hält? – Narren können nur streiten, ob die Gesellschaft die Menschheit vergifte – beide Teile geben es zu, der Staat tötet die Freiheit! – Sehen Sie, der Streit ist entschieden. – Der Staub hat Willen. Das ist mein erhabenster Gedanke an den Schöpfer, und den allmächtigen Trieb zur Freiheit schätze ich auch in der sich sträubenden Fliege. – Ah, nur zweierlei bitte ich vom Himmel: Blancan; und daß ich keinen Augenblick länger nach Luft als nach Freiheit schnappe.

Aspermonte. Wie Sie umherschwärmen – Prinz, Ihre Schlüsse macht die Vernunft der Liebe.

Julius. Ist das Vorwurf? – Wissen Sie es, Aspermonte, jeder hat seine eigne Vernunft wie seinen eignen Regenbogen; ich die Vernunft der Liebe, Sie die Vernunft der Trägheit. – Wenn wir keinen Augenblick von Leidenschaft frei sind, und die Leidenschaften über uns herrschen, was ist der eingebildete göttliche Funken? – Da dunsten aus dem kochenden Herzen feinre und kraftlosere Teile – steigen ins Gehirn und heißen Vernunft. – Aber ebendeswegen müssen wir nicht streiten, hören Sie lieber das Resultat meiner Entschließungen – ich kann, ich kann diesen fürchterlichen Monat nicht aushalten. – Morgen will ich mit Blanca von hier –

Aspermonte. Morgen?

Julius. Ja, morgen; ha! mir ist in Tarent so bange, als wenn die Mauern über mich zusammenstürzen würden.

Aspermonte. Heute früh wollten Sie noch einen ganzen Monat abwarten und jetzt kaum einen Tag – und doch haben Sie jetzt keinen einzigen Grund zur Flucht mehr als heute früh.

Julius. Keinen Grund mehr – habe ich sie denn nicht weinen sehen?

Aspermonte. Ziehen Sie hin – und lassen Sie Ihren Vater in seinem Sterbezimmer umsonst nach einem Sohne suchen! – Ah, Sie wissen es noch nicht, was es für eine Wollust ist, einem kranken Vater die Küssen zu legen! – Ziehen Sie hin – Sie haben es noch nicht gesehen, wie ein Sohn jeden Morgen auf dem Gesichte des Vaters nach dem Lächeln der Genesung späht – wie er auf den Nordwind zürnt, der um das Zimmer des Kranken heult, wenn er schlafen möchte. Ziehen Sie hin – Wahrhaftig, Sie können es nicht gesehn haben, wie der schon sprachlose Vater das Gesicht noch einmal nach dem Jünglinge dreht und es nicht wieder wendet – Ziehen Sie hin!

Julius. Aspermonte, der Gedanke an meinen Vater, den Sie mir da erwecken, durchbohrt mir das Herz – und doch, meinen Plan auf ewig aufzugeben –

Aspermonte. Nicht auf ewig – nur diesen Monat sollen Sie abwarten – es ist ja nur ein Monat.

Julius. Einen Monat – ach, ich mag tun, was ich will, so bin ich unglücklich! – Werde ich am Ende des Monats Blancan oder meinen Vater weniger lieben?

Aspermonte. Das nicht – aber Sie werden kühler werden – und das ist notwendig – denn auf jeden Fall müssen Sie wählen.

Julius. Gut – also einen Monat – aber das ist ein entsetzlicher Zeitraum – was werd' ich in demselben leiden!

Aspermonte. Vieles. Aber Sie werden sich auch oft zerstreuen, und wenn Sie Ihrem Schmerz noch so getreu bleiben wollten, so werden Sie doch endlich, wenn Sie lange an dem Gegenstand desselben gehaftet haben, auf einen benachbarten abgleiten und von diesem wieder auf einen andern, und so kommen Sie, ohne es zu wissen, über die Gränze der Traurigkeit – Dies ist der einzige wahre Trost der Sterblichen, und so kann ein Sklave bei seiner Kette anfangen und bei einem Göttermahle aufhören – aber ich bitte Sie, Prinz, geben Sie der Zerstreuung nach!

Julius. Ich will sehen.

Aspermonte. Fassen Sie sich, Cäcilia kommt, sie hat heute schon einigemal nach Ihnen gefragt.

Julius. Cäcilia – und warum denn eben jetzt?

Aspermonte. Fassen Sie sich! Sie ist schon zu nahe, um abgewiesen zu werden. (Geht ab.)

Sechste Szene

Julius. Cäcilia.

Julius. Sie haben befohlen – (Bietet ihr einen Stuhl; sie setzen sich.)

Cäcilia (etwas verwirrt). Verzeihen Sie, Prinz, ich habe Ihnen Dinge zu sagen, bei denen Sie es vergessen müssen, daß ich ein Mädchen bin – Dinge, die sonst nur der Freund dem Freunde, die Freundin der Freundin entdeckt.

Julius. Sie machen mich äußerst aufmerksam.

Cäcilia. Sie wissen es, wie Blanca und ich uns liebten. – Wir sind an einem Tage geboren und für einander geschaffen. Schon in der frühesten Kindheit beschwuren wir den Bund der unverbrüchlichen Treue und schlangen die kleinen Arme ineinander, um zusammen durch das Leben zu dringen. – Prinz, Sie haben mir vieles zu verdanken. Durch meine warme Freundschaft reifte Blancas Herz für ihre unüberschwengliche Liebe; ich habe diese Liebe genähret und gepfleget von der Zeit an, da Blanca sprach: der Prinz ist reizend, bis dahin, da sie ausrief: Julius, Julius, Inbegriff aller Vollkommenheit!

Julius (springt auf). Ihre Liebe bildete mich zu einem Gotte – beim Himmel, ich schätzte ihre Lobeserhebungen nicht halb so hoch, wenn sie wahr wären!

Cäcilia (gerührt). Lassen Sie uns von Blanca abbrechen – ich bin nicht gekommen, um zu weinen. Nur das muß ich Ihnen sagen: Ich halte ihre Liebe für ein heiliges Feuer, das jeden, der es zu entweihen wagte, verzehren würde.

Julius. Ich verstehe Sie nicht.

Cäcilia. Haben Sie Geduld, und erfahren Sie hiemit das erste Geheimnis meines Herzens – Ich habe der Liebe auf ewig entsagt; frei geboren, will ich frei sterben; ich kann den Gedanken nicht ausstehn, die Sklavin eines Mannes zu werden. – Das Wort Heirat klingt mir wie ein Gerassel von Ketten, und der Brautkranz kommt mir vor wie der Kranz der Opfertiere.

Julius. Cäcilie, ich bewundre Sie.

Cäcilia. Wollen Sie mich durch eine Schmeichelei daran erinnern, daß ich ein Mädchen bin? Sie verbinden mich nicht – O, ich hasse mein Geschlecht, ob ich gleich kein Mann sein möchte –

Julius. Ich weiß nicht, was ich weiter denken soll, Sie haben mich in ein Labyrinth geführet.

Cäcilia (indem sie aufsteht). Gut, so will ich Sie herausführen. Ihr Vater hat uns für einander bestimmt. (Geht schleunig ab.)

Siebente Szene

Julius. Das hatte ich längst erwarten können. (Pause.) Viel Reiz – viel Vollkommenheit! und doch möchte ich alles das, was ich je für sie gefühlt habe, nicht mit der untersten Empfindung für meinen untersten Freund vertauschen.

Und sie stand mir von jeher, durch Verwandtschaft und Umgang, so nahe, daß man hätte glauben sollen, sobald meine Empfindung nur aufloderte, müßte sie sie zuerst ergreifen. – Liebe, du bist ein Abgrund, man mag begreifen oder empfinden. –

Verachtet die Liebe aber alles, was sie nicht gemacht hat, sollte es auch nur die Gelegenheit sein? – Oder gehören ihre ersten Ursachen unter die Dinge, die wir nicht wissen, und die wir in unsrem Unwillen darüber Zufall nennen? –

Dummkopf, sie sagte mir ja in diesem Gespräch die Ursach' meiner Kälte selbst. Sie ist kein Weib, darum liebe ich sie nicht; kein Mann, darum ist sie mein Freund nicht.

Stehe ich nun nicht und grüble, warum ich Cäcilien nicht liebe? Habe ich je gegrübelt, warum ich Blancan liebe?

Da ist mir der Name entfahren! Umsonst verwirrte ich mich in diese Spitzfindigkeiten, um mich zu zerstreuen. – Alles im Himmel und auf Erden leitet zu dir; und wenn ich auch an dich nicht denke, so zeigt doch die Art, wie ich an andre Dinge denke, wie du herrschest.


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