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§ 1. Philal. Da also ein notwendiger Zusammenhang nur zwischen dem Dasein Gottes und unserm eigenen Dasein besteht, so beweisen die Vorstellungen, die wir uns von etwas (außer uns) machen können, so wenig das Dasein dieses Dinges, als das Bild eines Menschen sein wirkliches Dasein beweist. § 2. Die Gewißheit indessen, welche ich mittels der sinnlichen Wahrnehmung von dem Weißen und Schwarzen auf diesem Papier habe, ist ebenso groß wie die der Bewegung meiner Hand und wird nur durch das Wissen von unserem eigenen Dasein und vom Dasein Gottes übertroffen. § 3. Diese Gewißheit verdient den Namen der Erkenntnis. Denn ich glaube nicht, daß jemand im Ernst so skeptisch sein könnte, um über das Dasein der Dinge, welche er sieht und empfindet, ungewiß zu sein. Wenigstens wird derjenige, welcher seine Zweifel so weit treiben kann, niemals mit mir in Streit geraten, weil er niemals wird sicher sein können, daß ich irgend etwas gegen seine Ansicht äußere.
Die Wahrnehmungen der sinnlichen Dinge sind (§ 4) durch äußere Ursachen hervorgebracht, welche unsere Sinne affizieren, denn wir erhalten diese Wahrnehmungen nicht ohne die Organe, andererseits aber würden die Organe, wenn sie für sich allein ausreichten, die Wahrnehmungen immer hervorbringen. § 5. Ferner mache ich mitunter die Erfahrung, daß ich ihre Hervorbringung in meinem Geiste nicht verhindern kann, wie dies z. B. vom Licht gilt, wenn ich die Augen an einem Orte, wo der Tag hineinscheinen kann, offen halte; während ich die bloßen Gedächtnisvorstellungen verlassen kann. Also muß es irgendeine äußere Ursache dieses lebhaften Eindrucks geben, deren Wirksamkeit ich nicht überwinden kann.
§ 6. Einige dieser Wahrnehmungen erwecken in uns bei ihrer Entstehung Schmerz, obgleich wir uns hinterher ihrer erinnern, ohne das geringste Unbehagen dabei zu verspüren. – Wenngleich die mathematischen Beweise nicht von den Sinnen abhangen, so trägt doch der Umstand, daß wir sie an der Hand von Figuren prüfen, viel dazu bei, die Evidenz unseres Blickes darzutun, und scheint ihm eine Sicherheit zu verleihen, welche der der Beweisführung selbst nahe kommt.
§ 7. In manchen Fällen legen auch unsere Sinne voneinander wechselseitig Zeugnis ab. Der, welcher das Feuer sieht, kann es, wenn er daran zweifelt, auch fühlen. Während ich dies schreibe, sehe ich, daß ich das Aussehen des Papiers verändern und zum voraus sagen kann, welche neue Vorstellung es dem Geiste darbieten wird; sind aber diese Zeichen einmal niedergeschrieben, so kann ich nicht mehr umhin, sie, so wie sie sind, zu sehen; überdies würde ein anderer beim Anblick dieser Buchstaben dieselben ihnen entsprechenden Laute aussprechen.
§ 8. Wenn jemand glaubt, daß dies alles nur ein langer Traum ist, so mag er, wenn es ihm beliebt, auch träumen, daß ich ihm darauf erwidere, unsere auf das Zeugnis der Sinne begründete Gewißheit sei so vollkommen, als unsere Natur es zuläßt und unsere Lebenslage es fordert. Wer eine Kerze brennen sieht und die Hitze der Flamme erfährt, die ihm, wenn er den Finger nicht zurückzieht, Schmerz verursacht, wird keine größere Gewißheit fordern, um seine Handlungsweise danach einzurichten, und wenn dieser Träumer es nicht so machte, würde er sich bald erweckt finden. Eine solche Sicherheit, die ebenso gewiß ist, wie die Lust oder der Schmerz: zwei Dinge, über welche hinaus wir kein Interesse an der Erkenntnis oder dem Dasein der Dinge haben, ist uns also genug. § 9. Über unsere augenblickliche Sinneswahrnehmung hinaus aber gibt es keine Erkenntnis, sondern nur Wahrscheinlichkeit, wie z. B. wenn ich glaube, daß es in der Welt Menschen gibt: dafür besteht die äußerste Wahrscheinlichkeit, obgleich ich jetzt, da ich in meinem Zimmer allein bin, keinen sehe. § 10. Auch würde es eine Torheit sein, für alles einen Beweis zu erwarten und nicht den klaren und evidenten Wahrheiten gemäß, auch wenn sie nicht gerade beweisbar sind, zu handeln. Ein Mensch, welcher so verfahren wollte, könnte über nichts anderes Gewißheit erlangen, als darüber, daß er in sehr kurzer Zeit zugrunde gehen würde.
Theoph. Ich habe schon in unseren früheren Besprechungen bemerkt, daß die Wahrheit der sinnlichen Dinge durch ihren Zusammenhang gerechtfertigt wird, welcher von den intellektuellen, in der Vernunft gegründeten Wahrheiten abhängt und von den konstanten Beobachtungen in den Sinnendingen selbst, auch wenn die Gründe dieser Konstanz nicht zutage treten. Da nun diese Gründe und Beobachtungen es uns ermöglichen, über die Zukunft, soweit sie unser Interesse berührt, zu urteilen, und der Erfolg unserem vernünftigen Urteil entspricht, so kann man eine größere Gewißheit über diese Gegenstände weder verlangen, noch erhalten. Auch kann man selbst von den Träumen und ihrem geringen Zusammenhange mit anderen Erscheinungen Rechenschaft geben. Indessen kann man, wie ich glaube, die Bezeichnungen »Erkenntnis« und »Gewißheit« über die jedesmaligen sinnlichen Wahrnehmungen hinaus ausdehnen, denn die Klarheit und Evidenz, die ich ebenfalls als eine Art der Gewißheit betrachte, gehen hierüber hinaus: und es wäre ohne Zweifel eine Narrheit, im Ernst daran zu zweifeln, ob es Menschen auf der Welt gebe, weil wir gerade keine sehen. Im Ernst zweifeln heißt dem Zweifel auch mit Bezug auf die Praxis Raum geben, und man könnte die Gewißheit als eine Erkenntnis der Wahrheit bestimmen, an der man, ohne närrisch zu sein, praktisch nicht zweifeln kann. Mitunter aber nimmt man sie noch allgemeiner und wendet sie auf Fälle an, wo man, ohne starken Tadel zu verdienen, nicht zweifeln kann. Die Evidenz aber würde eine lichtvolle Gewißheit sein, bei der der Zweifel durch die Verknüpfung, die man zwischen den Ideen einsieht, beseitigt wird. Dieser Definition der Gewißheit gemäß sind wir sicher, daß Konstantinopel in der Welt existiert, daß Konstantin, Alexander der Große und Julius Caesar gelebt haben. Allerdings könnte ein Bauer aus den Ardennen aus Mangel an Bildung mit Recht hieran zweifeln, aber ein Gelehrter oder Weltmann könnte es ohne eine große Geistesverwirrung nicht.
§ 11. Philal. Wir sind durch unser Gedächtnis von vielem Vergangenen wahrhaft versichert; aber ob es noch vorhanden ist, können wir nicht wohl beurteilen. Ich habe gestern Wasser und auf den Blasen, die sich darüber bildeten, mehrere schöne Farben gesehen. Nun bin ich gegenwärtig gewiß, daß diese Blasen ebensowohl wie das Wasser dagewesen sind, daß aber das Wasser auch jetzt noch existiert, weiß ich nicht sicherer, als die gegenwärtige Existenz der Blasen, obgleich das erstere unendlich wahrscheinlicher ist, da man aus der Beobachtung weiß, daß das Wasser dauernd ist, die Blasen aber verschwinden. § 12. Was ferner die anderen Geister, außer uns selbst und Gott, betrifft, so kennen wir sie nur durch die Offenbarung und haben darüber nur die Gewißheit des Glaubens.
Theoph. Ich habe schon bemerkt, daß unser Gedächtnis uns mitunter täuscht; und zwar messen wir ihm Glauben bei oder nicht, je nachdem es mehr oder weniger lebhaft und mit den Dingen, die wir kennen, mehr oder weniger verknüpft ist. Oft können wir, auch wenn wir der Hauptsache sicher sind, in Nebenumständen zweifelhaft sein. Ich erinnere mich, einen Menschen gekannt zu haben; denn ich bemerke, daß mir sein Bild ebensowenig neu ist, als seine Stimme, und dies doppelte Zeichen ist mir eine bessere Garantie, als es jedes einzeln wäre; aber wo ich ihn gesehen habe, kann ich mich nicht erinnern. Indessen kommt es, wiewohl selten, vor, daß man jemand im Traume sieht, ehe man ihn leibhaftig gesehen hat. Man hat mich versichert, daß eine Dame an einem bekannten Hof ihren zukünftigen Gatten im Traume sah und ihn ihren Freundinnen beschrieb, wie auch den Saal, wo die Hochzeit gefeiert wurde, und zwar bevor sie den Mann und den Ort gesehen und gekannt hatte. Man schrieb dies irgendeinem geheimen Vorgefühl zu, aber da derartige Vorfälle gar selten sind, so können sie auch auf Zufall beruhen, zumal man, da die Traumbilder ziemlich dunkel sind, mehr Freiheit hat, sie hinterher auf andere Erscheinungen zu beziehen.
§ 13. Philal. Fassen wir uns also dahin zusammen, daß es zwei Arten von Sätzen gibt, von denen die einen partikulär sind und sich auf das Dasein beziehen, wie z. B. daß es einen Elefanten gibt, während die anderen allgemein sind und eine Abhängigkeit im Verhältnis der Ideen betreffen, wie z. B. daß die Menschen Gott gehorchen müssen. § 14. Die meisten dieser allgemeinen und gewissen Sätze führen den Namen ewiger Wahrheiten und sind es in der Tat alle. Nicht, als ob es Sätze wären, die von aller Ewigkeit her irgendwo wirklich gebildet oder die nach irgendeinem Muster, das immer da war, dem Geiste eingeprägt worden wären, sondern weil wir überzeugt sind, daß, wenn ein Geschöpf, das hierfür mit Vermögen und Mitteln begabt ist, sein Denken der Betrachtung seiner Ideen zuwendet, es die Wahrheit dieser Sätze finden werde.
Theoph. Ihre Einteilung scheint auf die meinige von tatsächlichen Sätzen und Vernunftsätzen hinauszukommen Vgl. Animadvers. in part. general. Princip. Cartesianorum (I, Art. 4), Band I, S. 287.. Auch die tatsächlichen Sätze können in gewisser Weise allgemein werden, aber die Verallgemeinerung erfolgt hier nur durch Induktion, so daß sie nur eine Vielheit ähnlicher Fälle ergibt, wie wenn man z. B. beobachtet, daß alles Quecksilber durch die Kraft des Feuers verdunstet. Dies ist jedoch keine vollkommene Allgemeinheit, weil man die Notwendigkeit hiervon nicht einsieht. Die allgemeinen Vernunftwahrheiten sind notwendig, obgleich die Vernunft auch solche Sätze liefert, die nicht schlechthin allgemein und nur wahrscheinlich sind, wie wenn wir z. B. die Möglichkeit einer Idee voraussetzen, bis das Gegenteil durch eine genauere Untersuchung entdeckt wird. Endlich gibt es gemischte Sätze, welche aus Vordersätzen gezogen sind, von denen einige aus Tatsachen und Beobachtungen stammen, während andere notwendige Sätze sind: von solcher Art sind viele geographische und astronomische Schlüsse über die Erdkugel und den Sternenlauf, die durch die Kombination der Beobachtungen von Reisenden und Astronomen mit den Lehrsätzen der Geometrie und Arithmetik entstehen. Da aber nach der Regel der Logiker die Schlußfolgerung dem schwächsten der Vordersätze folgt und nicht mehr Gewißheit als diese haben kann, so haben diese gemischten Sätze nur die Gewißheit und Allgemeinheit, welche Beobachtungen zukommt. Was die ewigen Wahrheiten anbetrifft, so muß man bemerken, daß sie im Grunde alle Bedingungssätze sind, die in der Tat besagen, daß, wenn dies und jenes gesetzt ist, dies und jenes andere stattfinde. Wenn ich z. B. sage: Jede Figur, die drei Seiten hat, hat auch drei Winkel, so sage ich nichts anderes als: Gesetzt, daß es eine Figur mit drei Seiten gibt, so hat diese nämliche Figur auch drei Winkel. Ich sage: diese nämliche, und darin unterscheiden sich die kategorischen Sätze, welche bedingungslos ausgedrückt werden können, obwohl sie im Grunde auch eine Bedingung enthalten, von denen, welche man hypothetische nennt, wie folgender Satz sein würde: Wenn eine Figur drei Seiten hat, so sind ihre Winkel zweien Rechten gleich. Hier hat, wie man sieht, der Vordersatz (der von der Figur mit drei Seiten spricht) und der Folgesatz (die Winkel der dreiseitigen Figur sind zweien Rechten gleich) nicht dasselbe Subjekt, wie sie es in dem vorigen Falle hatten, wo der Vordersatz lautete: diese Figur hat drei Seiten, und der Folgesatz: die genannte Figur hat drei Winkel. Auch der hypothetische Satz kann indes oft in einen kategorischen verwandelt werden, doch muß man hierfür die Termini ein wenig verändern, wie wenn ich statt des früheren hypothetischen Satzes sagen würde: die Winkel jeder dreiseitigen Figur sind zweien Rechten gleich. Die Scholastiker haben de constantia subjecti, d. h. darüber, wie weit eine Aussage über ein Subjekt wirklich wahr sein kann, wenn dies Subjekt gar nicht existiert, viel gestritten. Die Wahrheit ist alsdann eben nur eine bedingte und besagt, daß, wenn das Subjekt jemals existiert, man es immer als ein so und so bestimmtes finden werde. Man könnte jedoch noch fragen, worauf diese Verbindung sich gründet, weil darin doch eine Realität steckt, die nicht täuscht. Die Antwort wird sein: sie gründet sich auf den Zusammenhang der Ideen. Aber, wird man demgegenüber von neuem fragen, wo wären diese Ideen, wenn es keinen Geist gäbe, und was würde alsdann aus der realen Grundlage dieser Gewißheit der ewigen Wahrheiten werden? Dies führt uns endlich zur letzten Grundlage der Wahrheiten, nämlich auf jenen höchsten und allgemeinen Geist, dessen Dasein notwendig und dessen Verstand in der Tat der Ort der ewigen Wahrheiten ist – wie St. Augustin es erkannt und auf eine sehr lebendige Weise dargestellt hat Vgl. Augustin, Soliloquia Lib. II, De libero arbitrio Lib. II, cap. 10, 12, 16, 42. Eine Zusammenstellung der Äußerungen Augustins, die sich auf diese Lehre beziehen, findet sich in Malebranches Streitschriften gegen Arnauld.. Und damit man nicht denke, es sei nicht notwendig, hierauf zurückzugehen, so muß man erwägen, daß diese notwendigen Wahrheiten den Bestimmungsgrund und das ordnende Prinzip alles Daseienden selbst, mit einem Worte also die Gesetze des Weltalls enthalten. Da also diese notwendigen Wahrheiten dem Dasein der zufälligen Wesen vorausgehen, so müssen sie in dem Dasein einer notwendigen Substanz begründet sein. Hier finde ich das Urbild der Ideen und Wahrheiten, welche unserer Seele eingeprägt sind, nicht in Form von Sätzen, sondern als Quellen, aus denen bei bestimmten Anlässen wirkliche Urteile hervorgehen Vgl. Band II S. 194 (Anm. 358); Monadologie § 43..