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Kapitel VI.
Von den allgemeinen Urteilen, ihrer Wahrheit und ihrer Gewißheit.

§2. Philal. Alle unsere Erkenntnis betrifft allgemeine oder besondere Wahrheiten. Die ersteren, welche die wichtigsten sind, würden wir niemals zum rechten Verständnis bringen, ja wir selbst würden sie nur sehr selten verstehen können, außer sofern sie in Worte gefaßt und durch sie ausgedrückt sind.

Theoph. Ich glaube, daß auch andere Zeichen die gleiche Wirkung haben könnten: dies zeigen die Charaktere der Chinesen. Auch könnte man eine sehr leicht verständliche und noch bessere Universalcharakteristik als die ihrige einführen, wenn man statt der Worte kleine Figuren anwendete, welche die sichtbaren Dinge durch ihre Umrisse und die unsichtbaren durch sichtbare, die sie zu begleiten pflegen, darstellte, wozu man noch gewisse Zusatzzeichen nehmen müßte, die geeignet sind, die Flexionen und Partikeln zum Ausdruck zu bringen. Dies würde sofort dazu dienen, mit entfernten Nationen bequem zu verkehren; aber auch wenn man diese Schreibweise bei uns einführte, ohne deshalb der gewöhnlichen Schrift zu entsagen, so würde ihr Gebrauch von großem Nutzen sein, um die Phantasie zu bereichern und es dahin zu bringen, daß unsere Gedanken weniger taub und weniger auf bloße Worte beschränkt wären, als es jetzt der Fall ist. Da sich freilich nicht alle auf die Kunst des Zeichnens verstehen, so könnte man sich dieser Bezeichnungsweise – abgesehen von den Büchern, die auf diese Art gedruckt wären und die jedermann bald lesen lernen würde, –, nur durch eine Art von Druckverfahren bedienen, indem man nämlich gravierte Figuren vorrätig hätte, um sie auf Papier zu drucken, und nachher mit der Feder die Zeichen der Flexionen oder Partikeln hinzufügte. Mit der Zeit aber würde jedermann das Zeichnen von Jugend auf lernen, um nicht die Bequemlichkeit dieser Figurensprache entbehren zu müssen, die in der Tat zu den Augen sprechen und dem gemeinen Manne sehr genehm sein würde, wie das Landvolk tatsächlich schon gewisse Kalender hat, die ihm einen guten Teil seiner Fragen ohne Worte beantworten. Auch erinnere ich mich, satirische Kupferstiche, die einigermaßen an Rätsel erinnerten, gesehen zu haben, worin, untermischt mit Worten, Figuren vorkamen, die durch sich selbst eine Bedeutung hatten, während unsere Buchstaben und die chinesischen Charaktere ihre Bedeutung nur durch den Willen der Menschen ( ex instituto) empfangen.

§ 3. Philal. Ich glaube, daß Ihr Gedanke einmal zur Ausführung kommen wird, so anmutend und natürlich scheint mir diese Schrift; auch scheint sie mir von nicht geringer Wichtigkeit, um die Vollkommenheit unseres Geistes zu vermehren und unseren Begriffen größere Realität zu geben. Aber um auf die allgemeinen Erkenntnisse und ihre Gewißheit zurückzukommen, so ist hier zu bemerken, daß es eine Gewißheit der Wahrheit und auch eine Gewißheit der Erkenntnis gibt. Wenn die Worte derart zu Urteilen verbunden sind, daß sie die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, wie sie in Wirklichkeit stattfindet, genau ausdrücken, so ist das eine Gewißheit der Wahrheit; die Gewißheit der Erkenntnis aber besteht darin, sich der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Ideen bewußt zu sein, sofern sie in den Urteilen ausgedrückt ist. Das ist es, was wir gewöhnlich eines Satzes gewiß sein nennen.

Theoph. In der Tat wird diese letztere Art von Gewißheit auch ohne den Gebrauch der Worte genügen, und sie ist nichts anderes als eine vollständige Erkenntnis der Wahrheit, während die erstere Art der Gewißheit nichts anderes zu sein scheint als die Wahrheit selbst.

§ 4. Philal. Da wir nun von der Wahrheit irgendeines allgemeinen Urteils nicht anders versichert sein können, als indem wir die genauen Grenzen der Bedeutung der Ausdrücke, aus denen es besteht, erkennen, so müßten wir notwendigerweise die Wesenheit jeder Art kennen, was hinsichtlich der einfachen Ideen und der Modi auch keine Schwierigkeit hat. Bei den Substanzen aber ist, da man hier eine reale, von der bloß nominalen verschiedenen Wesenheit annimmt, die die Arten bestimmen soll, der Umfang des allgemeinen Wortes sehr unbestimmt, weil wir jene reale Wesenheit nicht kennen; in diesem Sinne können wir demnach auch keines allgemeinen Urteils sicher sein, das sich auf solche Substanzen bezieht. Nimmt man dagegen an, daß die Arten der Substanzen nichts anderes sind, als die Zurückführung der substantiellen Individuen auf bestimmte Klassen, die unter verschiedene allgemeine Namen geordnet werden, je nachdem sie mit den verschiedenen abstrakten Ideen, welche wir mit diesen Namen bezeichnen, übereinkommen, so kann man nicht zweifelhaft sein, ob ein genugsam bekannter Satz wahr ist oder nicht.

Theoph. Ich weiß nicht, warum Sie noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, der zwischen uns zur Genüge besprochen worden ist und den ich erledigt glaubte. Schließlich aber bin ich damit zufrieden; denn Sie geben mir damit eine, wie mir scheint, sehr passende Gelegenheit, Sie von neuem Ihres Irrtums zu überführen. Ich erkläre Ihnen also, daß wir von tausend Wahrheiten überzeugt sein können, die z. B. das Gold, d. h. jenen Körper betreffen, dessen innere Wesenheit sich durch die größte auf Erden bekannte Schwere oder durch die größte Dehnbarkeit oder durch andere Zeichen kenntlich macht. Denn wir können sagen, daß der Körper von der größten bekannten Dehnbarkeit auch der schwerste aller bekannten Körper ist. Allerdings wäre es nicht unmöglich, daß alle Eigenschaften, die man bisher am Golde beobachtet hat, sich einmal an zwei Körpern vorfinden könnten, die durch andere neue Eigenschaften unterscheidbar wären: so daß, was wir Gold nennen, alsdann nicht mehr die unterste Art ausmachen würde, als die man es jetzt vorläufig ansieht. Auch könnte es sein, daß, wenn die eine dieser Arten selten bliebe, die andere dagegen alltäglich wäre, man es für passend hielte, den Namen des wahren Goldes lediglich der seltenen Art vorzubehalten, um diese auf Grund neuer Proben, die ihr eigentümlich wären, weiter im Münzgebrauch zu benutzen. Man wird alsdann auch nicht mehr zweifeln, daß das innere Wesen dieser beiden Arten verschieden ist, und selbst wenn die Definition einer wirklich vorhandenen Substanz nicht in jeder Hinsicht völlig bestimmt wäre (wie in der Tat die Definition des Menschen es in bezug auf seine äußere Gestalt nicht ist), so besäße man doch nichtsdestoweniger eine Unzahl allgemeiner Sätze hierüber, die sich aus der Vernunft und anderen an ihm erkennbaren Eigenschaften ergeben würden. Alles was man über diese allgemeinen Sätze sagen kann, ist, daß man, falls man den Menschen für die unterste Art nimmt und ihn auf die Nachkommenschaft Adams beschränkt, von ihm keine solchen Eigenschaften angeben kann, die man Eigenschaften in quarto modo nennt, d. h. solche, die man vermöge eines reziproken oder einfach-umkehrbaren Satzes von ihm aussagen kann; es sei denn, daß dies bloß vorläufig geschieht, wie wenn man sagt: der Mensch ist das einzige vernünftige Lebewesen. Wird hierbei unter Mensch ein Wesen von unserer Abstammung verstanden, so besteht das Vorläufige darin, zu behaupten, daß er von allen Lebewesen, die uns bekannt sind, das einzige vernünftige sei, denn es könnten sich einmal andere lebende Wesen finden, die mit der Nachkommenschaft der Menschen von heute alle Eigenschaften, die bisher an Menschen beobachtet wurden, gemeinsam hätten, dennoch aber von anderer Herkunft wären. Das wäre so, wie wenn die – phantastischerweise angenommenen – Australier unsere Gegenden überschwemmen würden, in welchem Falle man doch allen Anschein nach, irgendein Mittel finden würde, um sie von uns zu unterscheiden. Wäre dem aber nicht so und nimmt man an, daß Gott die Vermischung dieser Rassen verboten und Jesus Christus nur die unsrige erlöst hätte, so müßte man versuchen, künstliche Kennzeichen anzugeben, um beide voneinander zu unterscheiden. Es gäbe ohne Zweifel einen innerlichen Unterschied, aber da dieser unerkennbar wäre, so wäre man auf das bloße äußere Kennzeichen der Abkunft angewiesen, das man versuchen würde, mit einem beständigen künstlichen Merkzeichen zu verknüpfen, welches uns eine innere Eigenschaft und ein beständiges Mittel, unsere Rasse von den übrigen zu unterscheiden, ergeben würde. Doch sind dies alles Fiktionen, denn wir brauchen, da wir die einzigen vernünftigen Wesen auf dieser Weltkugel sind, nicht auf solche Unterscheidungsmerkmale zurückzugehen. Indessen dienen solche Fiktionen dazu, die Natur der Ideen, der Substanzen und der allgemeinen Wahrheiten, die sich auf sie beziehen, zu erkennen. Würde aber der Mensch nicht als die unterste Art noch als die Art der vernünftigen Wesen vom Stamme Adams angesehen, sondern bedeutete er statt dessen eine mehreren Arten gemeinsame Gattung, die gegenwärtig nur einer einzigen bekannten Rasse zukommt, aber auch anderen zukommen könnte, die entweder durch ihre Abstammung oder selbst durch andere natürliche Merkzeichen von der unseren unterscheidbar wären, – wie dies z. B. bei jenen fingierten Australiern der Fall ist –, dann, sage ich, würde dieser Gattungsbegriff umkehrbare Sätze zulassen, und die gegenwärtige Definition des Menschen würde keine bloß vorläufige sein. Ebenso verhält es sich mit dem Golde; denn gesetzt, daß man davon einmal zwei unterscheidbare Sorten besäße, von denen die eine bisher bekannte selten, die andere dagegen, die man in der Folgezeit gefunden, gewöhnlich und vielleicht auf künstlichem Wege hergestellt wäre, und gesetzt alsdann, daß der Name des Goldes der gegenwärtigen Spezies, d. h. dem natürlichen und seltenen Golde, verbleiben müßte, um hierdurch deren Nutzen als Goldmünze, der sich auf die Seltenheit dieses Stoffes gründet, zu erhalten, so würde die bisherige, auf innere Kennzeichen sich stützende Definition des Goldes nur eine vorläufige gewesen sein und wird nunmehr durch neue Merkmale vermehrt werden müssen, die man zur Unterscheidung des seltenen Goldes oder des Goldes alter Art von dem neuen künstlichen Golde entdecken würde. Sollte aber alsdann der Name des Goldes beiden Arten gemeinschaftlich bleiben, d. h. würde man unter Gold einen Gattungsbegriff verstehen, von dem wir bis jetzt keine Unterabteilung kennen und den wir daher gegenwärtig als die unterste Art betrachten (aber bloß vorläufig, bis die Unterabteilung bekannt ist), und fände man nun eines Tages eine neue Art, d. h. ein künstliches, leicht herzustellendes Gold, das ganz gewöhnlich werden könnte: so sage ich, daß in diesem Sinne die Definition dieser Gattung nicht als eine vorläufige, sondern als eine bleibende erachtet werden muß. Das gleiche würde, selbst ohne sich um die Namen des Menschen und des Goldes zu kümmern, und welchen Namen man auch immer der Gattung oder der untersten bekannten Art geben mag, ja selbst dann, wenn man ihnen gar keinen gibt, doch stets von den Ideen, den Gattungen und den Arten gelten, und die Arten werden bisweilen durch die Definition der Gattungen nur vorläufig definiert sein. Indessen wird es immer erlaubt und vernünftig sein, anzunehmen, daß es eine innere reelle Wesenheit gibt, die kraft eines umkehrbaren Urteils, sei es der Gattung, sei es der Art angehört und sich gewöhnlich durch die äußeren Merkmale zu erkennen gibt. Ich habe dabei bisher immer vorausgesetzt, daß die Rasse nicht ausartet oder sich nicht ändert; wenn aber dieselbe Rasse in eine andere Art überginge, so würde man um so mehr genötigt sein, auf andere Merkmale und innere oder äußere Bestimmungen zurückzugehen, ohne sich an die Rasse zu halten.

§ 7. Philal. Die komplexen Ideen, welche wir durch die Namen, die wir den Arten der Substanzen geben, bezeichnen, sind Zusammenstellungen der Ideen bestimmter Eigenschaften, welche wir an einem unbekannten Träger, den wir Substanz nennen, als zusammenbestehend beobachtet haben. Wir können indes nicht mit Sicherheit erkennen, welche anderen Eigenschaften mit solchen Kombinationen notwendig zusammenbestehen, es sei denn, daß wir deren Abhängigkeit von ihren primären Qualitäten entdecken können.

Theoph. Schon früher habe ich bemerkt, daß das gleiche von den Ideen jener Akzidenzien gilt, deren Natur etwas verwickelt ist, wie dies z. B. bei den Figuren der Geometrie der Fall ist; denn wenn es sich z. B. um die Gestalt eines Spiegels handelt, der alle parallelen Strahlen in einen Punkt als Brennpunkt sammelt, so kann man mehrere Eigenschaften dieses Spiegels finden, ehe man die Konstruktion desselben erkennt, wird aber über viele andere Eigenschaften, die er haben kann, in Ungewißheit sein, bis man das in ihm findet, was der inneren Beschaffenheit der Substanzen entspricht, d. h. die Konstruktion der Gestalt dieses Spiegels, die gleichsam den Schlüssel der weiteren Erkenntnis ausmachen wird.

Philal. Auch wenn wir indessen die innere Beschaffenheit dieses Körpers erkannt hätten, so würden wir darin doch nur finden, in welcher Weise die primären Qualitäten – oder diejenigen, die Sie »offenbare« Eigenschaften nennen – von ihr abhängig sind, d. h. man würde erkennen, welche Größen, Gestalten und bewegenden Kräfte davon abhangen; aber niemals würde man die Verbindung erkennen, die jene mit den sekundären Qualitäten oder den verworrenen Eigenschaften, d. h. mit den sinnlichen Qualitäten, wie Farben, Geschmäcken usw., haben können.

Theoph. Sie nehmen also noch immer an, daß diese sinnlichen Qualitäten oder vielmehr die Ideen, die wir von ihnen haben, nicht von Natur von den Gestalten und Bewegungen, sondern bloß von dem Gutdünken Gottes, der uns diese Ideen gibt, abhängig sind. Sie scheinen also vergessen zu haben, was ich schon mehr als einmal gegen diese Meinung dargetan habe, um Sie vielmehr zu überzeugen, daß diese sinnlichen Ideen von der Besonderheit der Gestalten und Bewegungen abhangen und sie genau ausdrücken, obgleich wir in der Verworrenheit einer zu bedeutenden Menge und Kleinheit der mechanischen Wirkungen, welche unsere Sinne treffen, diese Besonderheit nicht entwirren können. Wenn wir indessen zu der inneren Beschaffenheit einiger Körper vorgedrungen wären, so würden wir auch sehen, wann sie diese oder jene bestimmten Eigenschaften haben müßten, die damit selbst auf ihre vernünftigen Gründe zurückgeführt wären – selbst wenn es niemals in unserer Macht stünde, diese Gründe, in den sinnlichen Vorstellungen, welche ein verworrenes Resultat der Wirkungen der Körper auf uns sind, sinnlich zu erkennen –, wie wir z. B. jetzt, wo wir die vollkommene Analyse des Grünen in Blau und Gelb besitzen und in bezug hierauf fast nichts mehr zu fragen haben, als hinsichtlich dieser Ingredienzien selbst, doch nicht imstande sind, die Vorstellungen des Blauen und des Gelben in unserer sinnlichen Vorstellung des Grünen zu scheiden, eben deswegen, weil die letztere eine verworrene Vorstellung ist. Dies ist ungefähr so, wie man auch bei der Wahrnehmung eines künstlichen Transparentes, wie ich es bei den Uhrmachern gesehen habe, das durch die rasche Umdrehung eines gezahnten Rades entsteht, die Vorstellung der Zähne des Rades, also der Ursache des Phänomens, nicht zu entwirren vermag, was zur Folge hat, daß die einzelnen Zähne für uns verschwinden und statt ihrer ein scheinbar kontinuierliches Transparent erscheint, das sich aus der sukzessiven Erscheinung der Zähne und ihrer Zwischenräume zusammensetzt, wobei indes die Aufeinanderfolge so schnell ist, daß unsere Vorstellung an ihr nichts mehr unterscheiden kann. Man findet also wohl diese Zähne in dem distinkten Begriff von diesem Transparent, nicht aber in der verworrenen sinnlichen Auffassung, deren Natur es ist, verworren zu sein und zu bleiben. Denn wenn die Verworrenheit aufhörte (wie wenn die Bewegung so langsam wäre, daß man die einzelnen Teile und deren Aufeinanderfolge unterscheiden könnte), so wäre es nicht mehr das gleiche Phänomen: d. h. es ergäbe sich alsdann nicht mehr jenes Scheinbild eines Transparents. Wie man nun nicht nötig hat; sich vorzustellen, daß Gott nach seinem Belieben in uns dieses Scheinbild erzeugt, und daß das Bild von der Bewegung der Zähne des Rades und ihrer Zwischenräume unabhängig sei; wie man vielmehr umgekehrt begreift, daß es nur ein verworrener Ausdruck dessen ist, was in dieser Bewegung wirklich vor sich geht: ein Ausdruck, sage ich, der darin besteht, daß aufeinanderfolgende Dinge in ein scheinbares Zugleichsein verschmelzen, so ist leicht einzusehen, daß es sich hinsichtlich anderer sinnlicher Erscheinungen, von denen wir noch keine so vollkommene Analyse haben, wie z. B. hinsichtlich der Farben, Geschmäcke usw., ebenso verhalten werde. Denn, um die Wahrheit zu sagen, verdienen sie viel mehr diesen Namen der Scheinbilder, als den von Eigenschaften oder selbst von Ideen. Es müßte uns in jeder Hinsicht genügen, sie ebensogut wie jenes künstliche Transparent zu verstehen, ohne daß es vernünftig oder möglich wäre, mehr von ihnen wissen zu wollen. Denn zu verlangen, daß diese verworrenen Scheinbilder bestehen bleiben und man dennoch in der sinnlichen Vorstellung selbst ihre einzelnen Bestandteile unterscheide, ist ein Widerspruch; es hieße, das Vergnügen haben wollen, durch eine angenehme Perspektive getäuscht zu werden und zugleich wollen, daß das Auge den Betrug sehe, was ihn zunichte machen würde. Kurz, das ist ein Fall, wo

nihil plus agas
Quam si des operam, ut cum ratione insanias Terenz, Eunuch Act I, Sc. 1, v. 17-18 (Sch.)..

Aber es begegnet den Menschen oft nodum in scirpo zu suchen, und sich Schwierigkeiten zu machen, wo keine sind, indem sie Unmögliches verlangen und sich nachher über ihre Ohnmacht und die Beschränktheit ihres Wissens beklagen.

§ 8. Philal. Alles Gold ist feuerbeständig: das ist ein Satz, dessen Wahrheit wir nicht mit Sicherheit erkennen können. Denn bezeichnet das Gold eine Art von Dingen, die sich durch eine reelle, ihr von Natur verliehene Wesenheit von anderen unterscheidet, so weiß man doch nicht, welche besondere Substanzen zu dieser Art gehören, kann also nichts, was immer es sei, mit Sicherheit als Gold bestimmen. Nimmt man aber das Gold als einen Körper, der mit einer gewissen gelben Farbe begabt, der hämmerbar, schmelzbar und schwerer als jeder andere bekannte Körper ist, so läßt sich zwar unschwer erkennen, was Gold ist und was nicht; aber bei alledem kann keine andere Eigenschaft mit Gewißheit vom Golde bejaht oder verneint werden, als eine solche, deren Zusammenhang mit dieser Idee oder deren Unverträglichkeit mit ihr man entdecken kann In Gerhardts Text: »que ce qui a une connexion avec cette idée à une connexion ou une incompatibilité qu'on peut découvrir«; in der Übersetzung sind die hier kursiv gesetzten Worte gestrichen.. Da nun die Feuerfestigkeit keine bekannte Verbindung mit der Farbe, der Schwere und den anderen einfachen Ideen besitzt, von denen wir hier angenommen haben, daß sie die komplexe Idee ausmachen, die wir vom Golde haben, so können wir unmöglich die Wahrheit dieses Satzes, daß alles Gold feuerfest ist, auf sichere Weise erkennen.

Theoph. Daß der schwerste unter allen uns hienieden bekannten Körpern feuerfest ist, wissen wir fast ebenso gewiß, als daß es morgen Tag werden wird. Denn weil man es hunderttausendmal erfahren hat, ist es eine erfahrungsmäßige oder faktische Wahrheit, obgleich wir die Verbindung der Feuerfestigkeit mit den übrigen Eigenschaften dieses Körpers nicht erkennen. Übrigens muß man keinen Gegensatz zwischen zwei Dingen machen, die miteinander übereinstimmen und auf dasselbe hinauskommen. Denke ich an einen Körper, welcher zu gleicher Zeit gelb und schmelzbar ist, und der der Kapelle widersteht, so denke ich an einen Körper, dessen spezifische, wenngleich ihrer inneren Natur nach unbekannte, Wesenheit, jene Eigenschaften aus ihrem Schoß hervorgehen und sich, wenigstens verworren, durch sie erkennen läßt. Ich sehe hierbei nichts Unrechtes, noch irgend etwas, was verdiente, daß man so oft darauf zurückkommt, um es anzugreifen.

§ 10. Philal. Für jetzt genügt es mir, daß diese Erkenntnis der Feuerfestigkeit des schwersten der Körper uns nicht durch die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Ideen gegeben wird. Auch glaube ich für meinen Teil, daß man unter den sekundären Qualitäten der Körper und den Kräften, die sich auf diese beziehen, nicht zwei namhaft machen könnte, deren notwendiges Zugleichsein oder deren Unverträglichkeit sicher erkannt werden könnte; – diejenigen Qualitäten ausgenommen, welche demselben Sinne zugehören und sich einander notwendig ausschließen, wie man z. B. sagen kann, daß das, was weiß ist, nicht schwarz ist.

Theoph. Dennoch glaube ich, daß sich dergleichen vielleicht finden ließe; z. B.: jeder fühlbare (d. h. durch den Tastsinn wahrnehmbare) Körper ist sichtbar. Jeder harte Körper macht Geräusch, wenn man in der Luft auf ihn schlägt. Die Töne der Saiten oder Fäden stehen in doppeltem Verhältnis der Gewichte, welche ihre Spannung verursachen. Allerdings gelingt, was Sie verlangen, nur insofern, als man es von deutlichen Ideen versteht, die mit den verworrenen sinnlichen Ideen verbunden sind.

§ 11. Philal. Immerhin muß man sich nicht einbilden, daß die Körper ihre Eigenschaften durch sich selbst, unabhängig von allem anderen, besitzen. Ein Stück Gold würde, wenn man es dem Druck und dem Einfluß aller anderen Körper entzöge, sofort seine gelbe Farbe und seine Schwere verlieren; vielleicht würde es auch zerbrechlich werden und seine Dehnbarkeit einbüßen. Man weiß, wie sehr die Pflanzen und Tiere von der Erde, Luft, Sonne abhängig sind; kann man wissen, ob nicht auch die sehr weit entfernten Fixsterne auf uns noch Einfluß haben?

Theoph. Eine sehr triftige Bemerkung, und selbst wenn der innere Bau gewisser Körper uns bekannt wäre, so würden wir ihre Wirkungen doch nicht hinlänglich beurteilen können, ohne das Innere der Körper, welche sie berühren und durchdringen, zu kennen.

§ 13. Philal. Indessen kann unser Urteil weiter gehen, als unsere Erkenntnis. Denn Leute, die emsig darauf aus sind, Beobachtungen zu machen, können weiter vordringen und häufig vermittels irgendwelcher Wahrscheinlichkeiten, die sich aus einer genauen Beobachtung und gewissen glücklich zusammengestellten Erscheinungen ergeben, richtige Vermutungen über das anstellen, was ihnen die Erfahrung noch nicht entdeckt hat; aber das heißt doch immer nur vermuten.

Theoph. Wenn aber die Erfahrung diese Schlüsse beständig rechtfertigt, finden Sie dann nicht, daß man durch dies Mittel sichere Sätze erlangen kann? Wenigstens soweit sicher, meine ich, als die, welche z. B. aussagen, daß der schwerste der uns bekannten Körper feuerfest und der nach ihm schwerste flüchtig ist. Es scheint nämlich, daß die Gewißheit (versteht sich die moralische oder physische), nicht aber die Notwendigkeit (oder die metaphysische Gewißheit) derjenigen Sätze, welche man durch die Erfahrung allein, nicht aber durch die Analyse und die Verknüpfung der Ideen gelernt hat, für uns, und zwar mit Recht feststeht.


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