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Für Richard mit seiner thatkräftigen Natur war es eine Unmöglichkeit, passiv zu bleiben. Er mußte auf die eine oder die andre Weise in den Gang der Begebenheiten eingreifen, er mußte den Versuch machen, sie nach seinem Willen zu zwingen. Um doch etwas zu thun, beschloß er, eine Erklärung von Serra zu verlangen, und am Morgen des folgenden Tages, als er annahm, daß der Marquis zurückgekommen sei, machte er sich auf, um ihn in seiner Villa aufzusuchen.
Er traf ihn, langsam auf einer Terrasse auf und nieder gehend, eine alte, stattliche Dame führend, die er für seine Mutter hielt. Es lag etwas so ungewöhnlich Zärtliches, Beschützendes in der Art und Weise, wie er sie stützte, daß Richard sich unwillkürlich angenehm davon berührt fühlen mußte; er blieb einen Augenblick in der Entfernung stehen und betrachtete das Paar. Nun bemerkte er, daß die Bewegungen der alten Dame ein wenig unsicher und vorsichtig waren. Sie tastete jedesmal mit dem Fuße, ehe sie ihn niedersetzte und hielt die eine Hand vor sich ausgestreckt. Ihre Augen bedeckte ein Schirm.
Serra gewahrte Richard und rief ihm zu:
»Herr Hauptmann, treten Sie näher! Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nicht entgegengehe – kommen Sie nur hier herein!«
Richard öffnete die Pforte und trat auf die reich mit Blumen geschmückte Terrasse, die vor der Villa lag.
»Das ist der schwedische Offizier, von dem ich dir soeben erzählte, Tante,« wandte sich Serra an die alte Dame. »Hauptmann Rode – Marquise Serra! ... Meine Tante bereitete mir die angenehme Ueberraschung, hier zu sein, als ich heute morgen zurückkehrte,« sagte er erklärend zu Richard.
»Dann will ich nicht stören,« versetzte dieser und schickte sich an, zu gehen.
»Nein – Sie stören mich in keiner Weise. Zwar bin ich ein warmer Anbeter meiner Tante, aber das Verhältnis zwischen uns ist nun so alt, daß wir nicht absolut immer im tête-à-tête zu sein brauchen; nicht wahr, Tantchen?«
Die Marquise lächelte vergnügt. Richard dagegen war durchaus nicht in der Laune, zu scherzen, er erwiderte kurz: »Das, was ich mit dem Herrn Marquis zu besprechen habe, ist aber von zu privater Natur, um ... ich werde mir deshalb gestatten, ein andermal wiederzukommen.«
»Wenn die Sache so liegt, verlasse ich die Herren,« versetzte die alte Dame. »Führe mich nur ins Haus, Andreuccio!«
Sie grüßte Richard freundlich und verbindlich mit einer leichten Neigung des Hauptes und stieg die breite Marmortreppe der Villa hinauf, von Serra auf die gleiche, liebevoll fürsorgliche Weise gestützt, die Richard vorhin an ihm beobachtet hatte.
»Meine Tante ist fast blind,« sagte der Marquis, als er zu Richard zurückkehrte. »Sie ist dabei aber so lebhaft und jugendlich, daß ich mich jedesmal, wenn ich mit ihr zusammentreffe, aufs neue in sie verliebe. – Wie befindet sich denn Ihre Frau Gemahlin?« fuhr er im Gesellschaftston fort, »hat sie ihre Angegriffenheit überwunden?«
Richard hörte diese Frage nicht einmal. Er war von Serra in einen großen Saal geführt worden, der mit grünen Möbeln ausgestattet war und vor dessen Fenstern grüne Jalousien herabhingen. Es war fast dunkel dort, und er sah kaum das Gesicht des andern, während Serra, eine Zigarette im Munde auf einem Lehnstuhl halb lag, halb saß. Er bemühte sich jedoch, ihn zu studieren, als er begann:
»Ich gehe lieber gleich zu dem Zweck meines Kommens über. Sie wissen vielleicht, daß die junge Dame, die sich hier mit meiner Frau und mir aufhält, eine Art Pflegetochter meiner Mutter ist, und daß ich infolgedessen ihr gegenüber die Pflichten und Rechte eines Bruders zu vertreten habe. Nach der Scene, deren Zeuge ich vorgestern abend wurde, halte ich mich deswegen für verpflichtet, Sie zu fragen, welcher Art Ihre Absichten sind.«
Nicht durch eine Bewegung verriet der Marquis, daß diese Frage auch nur den geringsten Eindruck auf ihn machte.
»Absichten?« fragte er nur ruhig und mit seinem gewöhnlichen, verbindlichen Lächeln. »Ich habe keine andern Absichten, als der jungen Dame den Aufenthalt in meinem Lande so angenehm wie möglich zu machen – wie das die Pflicht eines höflichen Wirtes ist.«
»Dann nehme ich mir die Freiheit, Ihnen zu sagen, daß man ein junges Mädchen durch eine so hartnäckige Galanterie nicht kompromittieren darf.«
»Sie sind ein sehr empfindsamer – Bruder!« bemerkte Serra, die Zigarette aus dem Munde nehmend und ihn ironisch anschauend. Sein alter Verdacht erwachte in neuer Form. In welchem Verhältnis stand sie eigentlich zu diesem jungen Offizier, der durch keine Blutsbande an sie geknüpft war? Und war die Gattin jetzt vielleicht eifersüchtig geworden, so daß er es für gut hielt, sie anzubringen? – ›Nein, mein Freund, so leicht lasse ich mich nicht fangen!‹
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Richard in eisigem Ton.
»Ich will damit sagen, daß ich glaube, Ihre Besorgnisse sind ein wenig überflüssig. Wenn jemals eine junge Dame die Bedingungen besessen hat, für sich selbst einzustehen, so ist es sicherlich Signorina Alie.«
Richard sah ein, daß sein Manöver verfehlt war, er sah keinen andern Ausweg als einen Rückzug.
»Wohlan! Darf ich mich gleichzeitig von Ihnen verabschieden?« sagte er steif, indem er sich erhob. »Wir reisen morgen.«
»Schon? Das bedauere ich aufrichtig,« erwiderte Serra höflich und vollkommen ruhig. »Dann werde ich mir gestatten, den Damen heute nachmittag einen Abschiedsbesuch zu machen.«
Als Richard zurückkehrte, ließ er jedoch nichts von seinem Entschluß, abzureisen, verlauten. Er wagte es nicht, die Sache so übers Knie zu brechen, weil er fürchtete, daß Alie im stande sein könne, ihre Drohung auszuführen und allein zurückzubleiben. Statt dessen begann er, sich ganz im allgemeinen darüber auszulassen, wie die Italiener, besonders die den höheren Klassen angehörigen, in Liebesangelegenheiten die gewissenlosesten Egoisten seien. Ein junges Mädchen zu verführen, besonders wenn sie einer niedereren Klasse angehöre als sie selber, oder ein strafbares Verhältnis mit der Gattin eines andern, oft des besten Freundes, zu unterhalten, das seien ihre täglichen Zerstreuungen. Wo aber von Ehe die Rede ist, da hat die Liebe kein Wort mitzureden. Es falle einem vornehmen Italiener niemals ein, sich mit einem Mädchen zu verheiraten, weil er ihr die Cour gemacht oder sich vielleicht in sie verliebt habe. Die Ehe sei ausschließlich eine Spekulation und eine Konvenienzsache.
»Hast du diese Nacht an Schlaflosigkeit gelitten und dir die Zeit mit der Lektüre eines französischen Romans vertrieben?« fragte Alie kampflustig. »Es ist ganz erklärlich, daß du, der du so selten Romane liest, eine neue Entdeckung zu machen glaubst. Du mußt aber verzeihen, wenn ich, die ich so viel dergleichen lese, die Sache ein wenig abgedroschen finde.«
»Ich spreche nicht von französischen Romanen, sondern von wirklichen italienischen Verhältnissen.«
»Und was weißt du davon, wenn ich fragen darf? Schöpfen wir nicht alle unsre Weisheit aus französischen Romanen, wo es sich um die Beurteilung der südlichen Nationen handelt?«
»Ich bitte um Verzeihung, aber ich bin kein Fremdling in Italien. Du weißt, daß ich mehrmals hier gewesen bin, und ich habe durch meine militärischen Freunde viele Verbindungen, auch mit der Aristokratie. Ich habe freilich nicht viele Damen kennen gelernt, aber ich habe die Männer reden und ihre Liebesabenteuer erzählen hören. – Ich versichere dich, wenn du nur eine halbe Stunde Ohrenzeuge gewesen wärest ...«
»Die Offiziere haben ja in dieser Beziehung überall nicht das beste Renommee,« unterbrach ihn Alie heftig.
»Du glaubst, daß es nur die Offiziere sind. Wenn ich nun aber zum Beispiel mit Marquis Serra selber gesprochen und aus seinem eignen Munde gehört hätte ...«
»Was?« fragte Alie mit glühenden Wangen, indem sie aufsprang. »Worüber hast du mit ihm gesprochen?«
Es war nicht Richards Absicht gewesen, seiner direkten Einmischung in Alies Verhältnisse Erwähnung zu thun. Er wußte sehr wohl, daß sie ihm das sehr verübeln würde. Aber jetzt hatte das Mißtrauen, das sie in alles setzte, was er sagte, ihn derartig gereizt, daß er sich vergaß.
»Ich komme soeben von ihm. Ich habe ihn gerade heraus gefragt, welche Absichten er in Bezug auf dich hege.«
Mit zitternder Stimme, Thränen des Zorns in den Augen, unterbrach ihn Alie.
»Du hast es gewagt, du hast es gewagt!« rief sie aus. »Welches Recht hast du, dich in meine Angelegenheiten zu mischen? Was muß er nicht von mir denken! Daß ich eine Werbung erzwingen will! Pfui! Das ist abscheulich. Du hast mir alles verdorben – mein ganzes Glück! Jetzt ist alles vorbei!«
Und sie weinte, das Gesicht in den Händen bergend, weinte, daß ihr ganzer Körper bebte.
Aagot trat an sie heran und suchte sie durch Liebkosungen zu beruhigen, Alie aber stieß sie von sich.
»Was habt ihr mit mir zu thun!« rief sie verzweifelt aus. »Welches Recht habt ihr, mich des einzigen Glücks zu berauben, das ich jemals im Leben besessen habe! Ihr zwingt mich zur Trennung von ihm, aber wenn ihr denkt, daß ich euch folgen werde wie bisher, so irrt ihr. Es mag mit mir gehen, wie es will, nie aber werde ich meinen Fuß wieder über eure Schwelle setzen!«
Richard war sehr bleich geworden, um seine Augen und seine Lippen machte sich ein nervöses Zucken bemerkbar. Er konnte kein Wort hervorbringen; der peinliche Auftritt schnürte ihm die Kehle zusammen. Er hatte sie verloren. In doppeltem, zehnfachem Sinn hatte er sie verloren ...
Und er liebte sie!
Mitten in dieser erregten Scene zeigte sich ein Schatten in der geöffneten Thür, die auf die Terrasse hinausging. Aagot war die einzige, die Selbstbeherrschung genug besaß, um dem Eintretenden mit ihrem gewöhnlichen Lächeln entgegenzugehen und ihn zu begrüßen.
Es war der Marquis Serra.
»Alie,« sagte Richard mit gedämpfter Stimme, »was kann ich thun, um dich zu versöhnen? Sprich! Ich gehe auf alles ein, was du verlangst! Soll ich euch jetzt allein lassen?«
Alies ganze Antwort bestand in einem kurzen, sehr bestimmten »Ja!« und Richard gab Aagot einen Wink, mit ihm hinauszugehen, nachdem er einige gleichgültige Worte mit dem Marquis gewechselt hatte.
Dieser hatte sofort Alies erregten Gemütszustand bemerkt; ihre bebenden Lippen und die unter Thränen funkelnden Augen gaben ein lebhaftes Zeugnis davon.
Er machte eine Runde durch das Zimmer und sah nach, ob alle Thüren geschlossen waren, dann setzte er sich auf das Sofa, zog sie zu sich herab und fragte plötzlich:
»Wollen wir uns miteinander verheiraten?«
»Niemals!« rief sie heftig aus. Welch eine Beleidigung, daß er auf diese Weise – er hielt sich jetzt also infolge von Richards plumper Einmischung dazu gezwungen!
»Hör mich an, Alie – mit Beatrice ist alles aus. Ich habe ihr gerade heraus gesagt, daß ich dich liebe.«
»Hast du – hast du ihr das gesagt?«
Alies verweintes Gesicht klärte sich auf.
»Und jetzt willst du mich verlassen, – willst fortreisen, um nie zurückzukommen? Das ist ja nicht möglich!«
»Was soll ich nur thun? Ich habe ja keinen sehnlicheren Wunsch, als zu bleiben, – wenn ich nur einen Ausweg wüßte!«
»Ich weiß einen Ausweg, der vielleicht gar nicht so übel ist. Ich habe eine Tante, die das Erdgeschoß unsers Palastes bewohnt, – die Witwe meines Onkels, eine sehr liebenswürdige und gebildete Dame. Sie ist augenblicklich bei mir auf der Villa zu Besuch, – wir sind sehr gute Freunde. Sie ist eine geborene Amerikanerin, sehr sprachkundig und belesen, aber sie ist fast blind und möchte deswegen gern ein junges Mädchen zu sich ins Haus nehmen, das ihr vorlesen könnte, sowohl englisch als französisch und deutsch. Und da es in Italien ganz unmöglich ist, eine solche Persönlichkeit zu finden, sprach ich ihr von dir. Sie war ganz entzückt über die Aussicht, und falls du dich meldest, erhältst du den Platz.«
»Du hast schon mit ihr gesprochen?« – Es war also nicht sein Ernst gewesen, als er sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle.
»Aber,« sagte sie mit etwas unsicherer Stimme, »eine dienende Stellung gerade in deiner Familie anzunehmen, – wäre dir das lieb?«
»Eine dienende Stellung? Was meinst du damit? Meine Tante würde dich wie eine Tochter behandeln. Jetzt bist du beleidigt! Was willst du denn, wenn du meine Gattin nicht werden willst? Du weist alles zurück, was ich dir vorschlage. Wünschst du also doch, daß wir uns trennen?«
»Du brauchst keine Komödie mit mir zu spielen! – Ich will deine Frau nicht sein, – das ist ganz richtig, – und ich habe dir das gesagt, – weshalb willst du mich denn kränken, indem du es mir vorschlägst, da es ja dein Ernst nicht ist!«
»Es ist mein Ernst, – wenn du es willst. Glaube mir, ich liebe dich jetzt so innig, daß ich um deinetwillen gern eine Thorheit begehen würde. Lieber alles andre als dich verlieren! Laß uns deswegen kurzen Prozeß machen und uns verheiraten, das ist das einfachste. In Italien können wir natürlich nicht bleiben, – ich weiß keinen bessern Ausweg, als nach Amerika zu reisen, wie andre verunglückte Existenzen. Bist du damit einverstanden?«
»Aber weswegen nur ...«
»Weswegen? Um unsern Lebensunterhalt zu verdienen. Du siehst mich verwundert an, – du denkst an unsern Palast. Aber erstens gehört der nicht mir, sondern meinem Bruder – und zweitens, selbst wenn ich meinen Bruder überleben würde, so könnte das die Sache nur verschlimmern, da ich kein Vermögen besitze. Was glaubst du, was die Erhaltung eines solchen Palastes kostet? Der verschlingt Millionen, der und die Ansprüche, die an den Besitzer gestellt werden. Ein solcher Palast kostet so viel, daß der älteste Sohn, – selbst zu den Zeiten, als Genuas große Familien noch reich waren – niemals hat daran denken können, sich zu verheiraten, ohne eine große Mitgift zu erhalten. Weit wichtiger aber ist das jetzt, wo der Reichtum so reduziert ist infolge unsers großen Heeres und unsrer Flotte sowie unsrer kostbaren Administration, die der Landwirtschaft derartige Lasten auferlegt, daß man ein Geschäft dabei machen würde, wenn man seinen ganzen Grundbesitz verschenkte, statt ihn zu versteuern. – Für den jüngeren Sohn bleibt selbstverständlich kein Kapital übrig. Du siehst also, daß Beatrices zwei Millionen nicht mehr sind, als was ich beanspruchen muß, um meine Stellung als verheirateter Mann zu behaupten.«
»Und du würdest es nicht erniedrigend finden, eine solche Ehe zu schließen, – nur um versorgt zu sein?«
»Um versorgt zu sein – das ist nicht das rechte Wort. Ich habe, was ich gebrauche, so lange ich ledig bin. Die Ehe führt aber in meiner Stellung große Verpflichtungen mit sich, und deswegen muß sie uns auch gewisse Vorteile bringen. Diamine! Wozu sollte die ganze Ehe sonst nützen? Und da ich es wahrscheinlich nicht werde vermeiden können, einmal Prinz von Palmi zu werden, – mein Bruder ist kränklich und hat keine Erben, – wenigstens wird also mein Sohn den Titel und den Palast erben, – so erfordert meine Stellung, daß ich auf dem Ehemarkt Rücksicht auf einige Millionen nehme. Es ist deswegen nur in der Ordnung, daß meine Gattin sie mir als Heiratsgut zubringt, ich schulde ihr deswegen keineswegs Dankbarkeit.«
Alie fühlte ihren Mut sinken. Die Kluft zwischen ihnen war zu groß. Sie fühlte, wie ihre einfache, bürgerliche Auffassung von der Bedeutung und dem Zweck der Ehe leise und lautlos zur Erde fiel, wie ein kleines, welkes Blatt, auf das der zukünftige Prinz von Palmi im Vorübergehen trat, ohne es zu beachten. Was wußte er von ihren Lebensanschauungen?
»Verheirate ich mich dagegen ohne Vermögen,« fuhr er fort, »so komme ich vor allen Dingen in die peinliche Lage, den Palast, wenn er mir einmal zufallen sollte, nicht übernehmen zu können – und für meinen Sohn ist die Situation genau dieselbe. Die kostbaren Kunstsammlungen, der Stolz meiner Vorfahren, müssen verkauft werden – und heutzutage findet sich kaum jemand, der ganze Sammlungen kauft; sie müßten getrennt und stückweise an den Höchstbietenden veräußert werden. – Der stolze Lapislazuli-Saal mit seinen schwarzen Sphinxen, in dem ich als Jüngling von den Heldenthaten meiner Vorfahren träumte, müßte zerstört werden, um den Preis aus den kostbaren Steinen herauszuschlagen, – die ganze Herrlichkeit würde zu Grunde gehen! Das alles ist vielleicht nur Eitelkeit der Welt, aber ich möchte doch, daß du verstehen solltest, wie wir, die wir seit Generationen in demselben Heim aufgewachsen sind, uns so an den Gedanken gewöhnen, es unsern Kindern, wenn einmal ihre Zeit kommt, unverändert übergeben zu können, daß er uns gleichsam zu einer erdrückenden Pflicht wird, und wir uns kaum berechtigt halten, uns derselben zu entziehen.«
»Ja, das verstehe ich, dagegen kann ich nicht verstehen, weshalb ihr euch gerade durch eine Heirat die erforderlichen Mittel verschaffen müßt. Kann denn ein Mann wie du sich nicht selber eine Bahn brechen?«
»Was für eine Bahn sollte das wohl sein? Welche Karriere könnte ich wohl in dem modernen Italien machen? Ja, wenn ich mich nicht zu gut hielte, mich zwischen all dem Plebs hindurchzupuffen, der sich jetzt um die Stellen bewirbt – wenn ich vor den jetzigen Machthabern kriechen und ihnen meine Aufwartung mit Bestechungen und Augendienerei machen wollte – ja, dann glaube ich wohl, daß der künftige Prinz von Palmi acceptiert werden, daß ich eine politische Karriere machen und Gelegenheit finden würde, mir ein paar Millionen von den Mitteln des Volkes anzueignen, wie so viele andre von den sogenannten Liberalen, und dich würde man mit offenen Armen in Crispis politischen Salons empfangen, niemand würde dort nach deinem Stammbaum fragen. Damit würde ich aber auf mein schönstes Privilegium als unabhängiger Edelmann verzichten, nämlich darauf, den Herren die Wahrheit zu sagen und ihnen ihre Lügen ins Gesicht zu schleudern, wenn sie sagen, daß sie das Beste des Volkes wollen, während sie es aussaugen und Tausende zur Auswanderung in fremde Länder zwingen, wo sie elend zu Grunde gehen, während ihre reichen Weinberge ungeerntet dastehen, weil es sich nicht einmal verlohnt, die Ernten einzusammeln, und das alles während die Leitenden und ihre Kreaturen, die oft als arme Parvenus begonnen haben, immer mehr Schätze in ihre Taschen stopfen und unsre Paläste kaufen, nachdem sie uns ruiniert haben.«
»Aber – auf welche Weise habt ihr selber einmal eure Reichtümer erworben – waret ihr vielleicht besser, als ihr die Macht in Händen hattet?«
»Nein, das behaupte ich keineswegs. Aber gerade weil wir jetzt außerhalb des Ganzen stehen, sind wir besser als die andern. In einem Staate sind die Minorität und die Opposition, diejenigen, deren Ideale nicht die des Tages sind, stets die besten. Und es würde mir sehr schwer werden, diesem meinem teuersten Vorrecht zu entsagen, indem ich mich der flachen Majorität anschließe. Du hast meine Gedichte gelesen, du weißt, wie unabhängig meine Stellung nach beiden Seiten ist. Glaubst du, ich würde in Zukunft so weiter schreiben können, wenn ich daran denken müßte, eine Karriere zu machen?«
Er war aufgestanden und ging im Zimmer auf und nieder, unter lebhaften Bewegungen mit sich selbst redend. Plötzlich unterbrach er sich, schlug ein Schnippchen mit dem Finger, als sei ihm etwas eingefallen, blieb dann eine Weile stehen, die Augen mit der Hand beschattend, worauf er etwas an den Fingern abzuzählen begann.
»Das stimmt!« rief er aus. »Hast du Papier und Feder da? Setze dich und schreibe!«
Und er diktierte ihr ein Sonett, das hervorging aus dem Gedanken an die privilegierte Stellung der Minderzahl als Opposition gegen die Ungerechtigkeiten der menschlichen Gesellschaft, an den Einsamen, der außerhalb aller Parteien stand und nur ein Zuschauer war bei dem Wettlauf nach Aemtern und Auszeichnungen, die dem Meistbietenden feilgeboten wurden.
Als Alie mit dem Schreiben fertig war, erhob sie sich, trat an ihn heran, schlang den Arm um seinen Hals und küßte ihn zum erstenmal aus eignem Antriebe.
»Sei überzeugt, daß ich dich nicht aus dieser bevorzugten Stellung herausdrängen will,« sagte sie. »Ich gehöre gottlob nicht zu den Frauen, die auf diese Weise lieben, die sich an den Gegenstand ihrer Liebe festklammern und ihn herabziehen.«
»Rede nicht so. Wenn du mich aufrichtig liebst, sollst du im Gegenteil kein Mittel scheuen, um mich festzuhalten.«
»Und dich veranlassen, gegen deine Ueberzeugung zu handeln!«
»Nun ja! Was ist denn im Grunde eine Ueberzeugung! Es giebt nichts, was absolut wahr oder unwahr ist. Ob man die eine oder die andre Nuance in diesem Mischmasch wählt, das hat im ganzen nicht viel zu sagen. Ich bin von Natur wie infolge meines Temperaments Oppositionsmann – aber eine Ueberzeugung! – Welcher intelligente Mann kann eine Ueberzeugung haben?«
Alie fühlte sich unangenehm berührt durch diesen Umschlag in seinem Ton. Ihre idealistisch angelegte Natur hatte sofort mit Eifer den Standpunkt umfaßt, den er in seinem Sonett entwickelt hatte, und es war ihr schön und erhaben erschienen, das persönliche Glück einem solchen Ziel zum Opfer zu bringen. Jetzt aber fror sie zu Eis bei seinem Skeptizismus, der mit einem Schlage den Enthusiasmus vernichtete, der in ihr entflammt war.
»Ich habe nur eine Ueberzeugung,« fuhr er lächelnd fort, »nämlich daß mich nichts in der Welt beglücken kann als deine Liebe. Und wenn du mich aufrichtig liebst, so sollst du nicht daran denken, mich irgend einer Ueberzeugung zum Opfer zu bringen. Ich wollte, daß deine Liebe so rücksichtslos groß wäre, daß sie selbst dies überschreiten könnte und mich zwänge, dir alles zu opfern, alles, selbst meine Unabhängigkeit. Ich glaube, daß wir eigentlich nur auf die Weise miteinander glücklich werden können.«
»Das mußt du nicht von mir erwarten,« erwiderte sie. »Ich fürchte nichts so sehr, als daß du irgend ein Opfer, selbst das allergeringste, um meinetwillen bringen müßtest.«
»Auf diese Weise zerstörst du alles. Es würde ein Glück für mich sein, wenn du viel von mir fordern – aber auch viel mir geben wolltest. Du willst weder das eine noch das andre.«
Er hatte sie in seine Arme genommen und preßte sie fest an sich, daß sie ihm nicht in die Augen sehen konnte. Deswegen bog sie den Kopf ein wenig zurück und schaute ihn an. »Im Gegenteil,« sagte sie, »ich fordere viel, und ich will auch viel geben – unter gewissen Voraussetzungen. Ueberzeuge mich, daß du mich voll und ganz liebst, – und es giebt nichts, wozu ich nicht fähig bin.«
»Nichts?« fragte er, seine Lippen auf die ihren pressend.
»Du kennst die Bedingung,« wiederholte sie und riß sich errötend los.