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Eines Abends hatten Aagot und ihre Freundinnen mit einem Fischer die Verabredung getroffen, daß sie des Nachts in seinem Boot mit ihm hinausrudern und ihn bei Fackelschein fischen sehen wollten. Alie erklärte, sie sei müde und wolle nicht mitfahren.
»Natürlich,« versetzte Florence mit einem satirischen Lächeln.
»Natürlich! Was soll das bedeuten?« fragte Alie, indem sie errötete; sie wußte sehr wohl, was das bedeuten solle.
»Wir wissen ja alle, daß du nichts mehr amüsant findest, woran der ›Prinz‹ sich nicht beteiligt.«
»Können wir den Prinzen nicht auffordern, mitzukommen?« bemerkte Harriet.
»Das würde nicht richtig sein,« entgegnete Aagot eifrig. »Wir müssen wirklich ein wenig vorsichtig sein, er lacht nur über uns, wenn wir ihn zu sehr an uns zu ziehen suchen. Dann müßte ihn jedenfalls Alie selber fragen, ich will nichts damit zu thun haben.«
»Aber ich habe ja nicht ein Wort davon gesagt,« wandte Alie ein. »Ihr selbst sprecht unablässig von ihm. Ich habe ja nur gesagt, daß ich müde sei.«
»Dann können wir unsre Fahrt ja an einem andern Abend vornehmen.«
»Ach nein, auf keinen Fall, ich mache mir gar nichts daraus.«
Aagot aber sah sie bedeutungsvoll und forschend an, als hege sie den Verdacht, daß Alie bestimmte Gründe habe, weswegen sie an diesem Abend allein zu sein wünsche. »Du legst dich doch wohl sofort schlafen, wenn wir gefahren sind?«
»Sofort? Nein! Ich begleite euch an das Boot und sehe euch abfahren.«
»Willst du denn allein im Dunkeln nach Hause gehen?«
»Ja, und weshalb nicht? Wie unzähligemal bin ich nicht daheim des Abends in unsern schwarzen Wäldern ganz allein gegangen.«
»Ja, daheim, in Schweden. Aber hier hält man das für unpassend.«
»Wer sieht mich? Ich gehe die kleine, enge Gasse hinauf, die direkt zum Hotel führt, dort begegnet mir keine lebende Seele. Du weißt ja, daß sich hier des Abends niemand im Freien aufhält.«
»Mir ist das nicht lieb, Alie, aber das ist deine eigne Sache. Du mußt die Verantwortung selbst übernehmen.«
»Ja natürlich! Wer sollte es sonst auch wohl thun?«
Gegen zehn Uhr rüstete man sich zur Abfahrt. Die Damen gingen die breite Straße hinab, bis sie nach dem kleinen Bootshafen abbogen. Es war ein heller Mondscheinabend, und sie begegneten wirklich einigen Spaziergängern. Kaum hatten sie zehn Schritte zurückgelegt, als ihnen Serra in Begleitung des Marquis Gripallo entgegenkam. Die beiden Herren redeten sie sofort an und fragten, wohin die späte Reise gehe.
»Sie wollen fischen? Und welchen Herrn haben Sie als Begleiter?«
»Gar keinen Herrn,« erwiderte Harriet schnell, den Kopf in den Nacken werfend. »Glauben Sie, daß wir freie nordische Damen durchaus eines Herrn zu unserm Schutz bedürfen?«
»Zu Ihrem Schutze, nein! Aber Sie amüsieren sich nicht ohne einen Kavalier.«
»Hört nur, wie eingebildet er ist!« kicherten Harriet und Florence.
»Eingebildet oder nicht, das thut nichts zur Sache. Aber ist es nicht wahr, was ich sage? Können Sie es ableugnen, Signorina Alie?«
Wie sich Alie jetzt ärgerte, daß sie nicht hatte mitfahren wollen! Aber was würden die andern sagen, wenn sie nun plötzlich ihren Entschluß veränderte? Sie amüsierten sich offenbar über den Streich, den ihr das Schicksal gespielt hatte, und selbst Aagot, die brave, ehrbare Aagot, freute sich darüber, daß Serra jetzt mit ihnen fahren würde, während Alie am Strande zurückblieb.
»Wenn der Herr Marquis uns begleiten möchte, würde es uns natürlich ein Vergnügen sein,« sagte sie deswegen verbindlich.
»Ich nehme Ihre freundliche Aufforderung mit Freuden an,« erwiderte er. Gripallo verabschiedete sich, und die andern setzten ihren Weg nach dem Strande hinab fort.
Erst als man in das Boot steigen wollte und Serra Alie die Hand reichte, um ihr zu helfen, erfuhr er, daß sie nicht mitzufahren gedenke.
»Sie fahren nicht mit? Aber wie wollen Sie denn nur nach Hause kommen?«
Alie wußte, daß er ihr seine Begleitung anbieten würde, und das wollte sie um keinen Preis. Sie bekam schon jetzt nervöses Herzklopfen bei dem bloßen Gedanken daran. Allein mit ihm im Mondschein in der kleinen, steilen, von Gartenmauern umschlossenen Gasse! Nein, sie war gar nicht gesonnen, abermals Dummheiten zu begehen!
»Beunruhigen Sie sich deswegen nicht,« antwortete sie scharf. »Glauben Sie etwa, daß ich mich im Dunkeln fürchte?«
»Aber das ist ganz unmöglich, das kann ich nicht zugeben, dann begleite ich Sie natürlich, Sie mögen nun wollen oder nicht; Sie können mir wenigstens nicht verbieten, drei Schritte hinter Ihnen her zu gehen.«
»Dann fahre ich lieber mit!«
Sie sprang schnell ins Boot, ohne die andern anzusehen, deren satirisches Lächeln sie fühlte.
Nachdem alle Platz genommen hatten, glitt das Boot, von lautlosen Ruderschlägen geführt, dahin. Der eine der Fischer stand im Vordersteven des Bootes, die Fackel und das Fangeisen in der Hand, bereit zuzustoßen, sobald ein Fisch, vom Licht angezogen und verwirrt, an die Oberfläche kam. Er schüttete hin und wieder einige Tropfen Oel auf das Wasser, um die Durchsichtigkeit desselben zu erhöhen. Deutlich konnte man die Bewohner des Meeres in ihren großen Schlafsälen schlummern sehen. Alle verhielten sich still, um sie nicht durch das geringste Geräusch zu warnen und in ihrem Fischhirn eine Ahnung zu erwecken, daß das strahlende Licht, das sie so freundlich lockte, sie in Feindeshand führte. Sie zogen einen Fisch nach dem andern in die Höhe, schöne, vielfarbige Fische, in Rot, Grün, Blau, Gold und Silber schillernd, wie nur das romantische »Blaue Meer« sie zu erzeugen vermag.
»Ich weiß nicht, wozu sie so hübsch sind,« sagte Florence naiv, als das Fischen beendet war und sie heimwärts steuerten, auf den Rudern ruhend und sich leise mit der Strömung treiben lassend. »Man sieht sie ja jedenfalls so gut wie niemals, so daß man keine Freude an ihren schönen Farben haben kann.«
»Man!« unterbrach sie Serra lachend. »Glauben Sie denn, daß die Fische um unseretwillen da sind? Sie leben ihr eignes Leben und haben ihre eigne Freude, und wir sind, von dem Standpunkt eines Fisches betrachtet, nur da, um ihr Glück zu zerstören.«
»Ihr Glück? Was für ein Glück können sie denn haben?«
»Dasselbe wie wir; sie essen, schlafen und lieben. Glauben Sie etwa, daß den Fischen die Erotik fehlt? Freilich ist es nur eine Gattungserotik, keine individuelle, wie bei uns, trotzdem ist sie aber auch bei ihnen mit Freude und Genuß verbunden.«
Florence errötete und kicherte, und Harriet bemerkte herausfordernd: »Daß doch die Italiener stets über Liebe reden müssen! Als ob es nichts Wichtigeres im Leben gäbe!«
»Und was wäre etwa wichtiger? Lieben, sich verbinden, sich vermehren, das ist der Hauptinhalt des ganzen Lebens für die höchsten wie für die niedrigsten Tiergattungen. Glauben Sie das etwa nicht, Miß Harriet?«
»Nein, ganz und gar nicht! Nur wer stets Romane liest, wie zum Beispiel Florence, der bekommt solche merkwürdige Anschauungen.«
»Die Fische und Vögel lesen aber keine Romane, und trotzdem denken sie genau so wie Miß Florence.«
»Wie ich? Wie kannst du nur auf einen solchen Einfall kommen, Harriet?«
»Haben Sie je, Miß Florence, an einem sonnigen Frühlingstage das Liebesspiel zweier Schmetterlinge beobachtet? Ist das nicht gleichsam der schönste Roman? Und sagen Sie mir doch, wenn Sie von Liebe träumen, haben Sie da jemals etwas Schöneres geträumt als jene Liebe, die nur einen Tag währt, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, aber so intensiv, so stark, daß sie beide daran sterben? Und können Sie sich etwas Herrlicheres denken als die Liebkosungen zweier Flügelpaare – zweier Flügelpaare aus Gold und Purpur, Sammet und Seide, aus allem, was weich, üppig und wollüstig ist? Haben Sie gesehen, wie sie sich aneinander schmiegen, so daß sie ein einziges Wesen zu sein scheinen, und wie sie dann zusammen in die Luft auffliegen, höher und höher, bis sie schließlich unsern Blicken entschwinden, um dann gegen Abend in einem Wald zu Boden zu fallen, wo Sie nur ein paar kleine, leblose Körper sehen, die sich, wenn Sie sie in die Hand nehmen, kalt und schwer anfühlen? Wäre es nicht besser, wenn auch wir Menschen so lieben könnten? Oder lasen Sie jemals in einem Ihrer Romane eine schönere Liebesgeschichte?«
»Ich habe wirklich nicht so viele Liebesgeschichten gelesen,« sagte Florence, immer verlegener werdend.
»Es hat auch keinen Zweck, sie zu lesen, man sollte sie lieber leben.«
Er sah Alie an, und ihre Blicke begegneten sich, Florence aber, die mit niedergeschlagenen Augen dasaß, meinte deutlich zu fühlen, wie er seinen Blick auf sie richtete, und als sie später auf ihr Zimmer gekommen waren, sagte sie zu Harriet, sie sei so verlegen gewesen, weil ihr Serra in Gegenwart der andern eine so deutliche Liebeserklärung gemacht habe.
»Ja, so habe ich mir stets die Liebe vorgestellt,« fuhr Serra, zu Alie gewendet, fort. »Es ist so unschön, damit zu sparen und zu geizen, so wie wir Menschen es thun; wir geben uns niemals so voll und ganz hin, weil wir an die Zukunft denken. Lieber einen einzigen Tag voll Liebe und dann vorbei damit! Meinen Sie nicht auch, Signorina Alie?«
»Natürlich ist das das beste,« antwortete sie und blickte schnell mit einem eigentümlichen Glanz in den Augen auf.
»Würden Sie wirklich dazu im stande sein? Würden Sie die Vergangenheit und die Zukunft in einem Augenblick vergessen können?«
»Ich würde es können, wenn ich glauben könnte,« antwortete sie mit Nachdruck.
»Glauben – an was? Wenn keine Rede von der Zukunft, folglich auch nicht von Treue sein kann?«
»Nein, ich mache mir nichts aus der Treue, wohl aber aus der Wahrheit; ich verlange Wahrheit für den Augenblick, ein volles, absolutes Hingeben. Denn ich kenne nichts Unschöneres, als wenn sich der eine Teil ganz hingiebt, auf Tod und Leben, während es für den andern Teil nur ein Scherz war.«
Sie hatten die Stimmen gesenkt und sprachen nun so leise, daß die andern, die auf der entgegengesetzten Seite des Bootes saßen, sie nicht hören konnten.
»Wenn man sich Ihnen hingiebt, so geschieht es nicht im Scherz,« flüsterte er.
Als sie nach Hause gingen, den kleinen Fußsteig entlang, der zwischen den Gartenmauern tief wie ein Hohlweg in dunkelm Schatten lag, fand Serra Gelegenheit, mit Alie allein hinter den andern herzugehen. Er legte den Arm um sie und zog sie hart an die Mauer heran, so daß man sie nicht sehen konnte; dann preßte er sie heftig an sich und küßte sie mit hastigen, leidenschaftlichen Küssen, die ihr den Atem raubten.
»Willst du die Meine sein?« fragte er; »die Meine ganz und gar, ohne Versprechungen, ohne Zukunft, ohne die Einmischung der Welt, meine heimliche Braut?«
Auf der Mauer zu ihren Häuptern wuchsen Schlingrosen, deren Ranken bis auf den Weg hinabreichten und ihren süßen, milden Duft mit den berauschenden Wohlgerüchen der Orangen und Magnolienblüten vermischten. Dort oben in dem laubreichen, dunkeln Garten auf der gegenüberliegenden Seite stand eine große Magnolia ganz allein auf einem Rasenplatz, der hell vom Mond beschienen war, während der Zitronenhain darunter in tiefem Schatten lag. Man sah deutlich die vereinzelte, riesenhafte, wunderbare weiße Blume, die in ihrer steifen Vollkommenheit so unnatürlich erschien, und deren erstickender Wohlgeruch durchdringend und beunruhigend ist wie eine halbverfaulte Blume, die in einem eingeschlossenen Zimmer steht. Und der Mond, der den verzauberten Garten beleuchtete, war nicht der blasse, gelbe Mond des Nordens, der sich hinter den Baumwipfeln ganz unten am Horizont verkriecht, sondern eine glänzende Feuerkugel, die hoch oben über den Häuptern schwebte gleich der Sonne und so stark strahlte, daß man unwillkürlich den Eindruck hatte, daß die Wärme und die Glut, welche die Nacht erfüllten, dort ihren Ursprung hatten.
Für Alie verschwamm dies alles zu einem einzigen, zusammenhängenden Bilde. Es war der Rahmen, der diese Liebe umschloß, gegen die sie noch ankämpfte, und die ihr ebenso fremd erschien und halb unwirklich wie die Natur, die sie umgab, und die sie doch berauschte und sie immer mehr und mehr widerstandslos machte, sowie diese salzgeschwängerte Luft und diese starken, erhitzenden Wohlgerüche.
Sie entzog sich mit Widerstreben seiner Umarmung, setzte den Hut, der ihr in den Nacken geglitten war, wieder zurecht und ging mit leisen, schweren Schritten vor ihm her, den Berg hinaus.
Als sie in ihr Zimmer gekommen war und sich entkleidet hatte, um zu Bett zu gehen, fühlte sie, daß es ihr unmöglich sein würde, zu schlafen. Sie fühlte, gleichsam in einer Hallucination, den betäubenden Duft der Magnolia, der ihr zu Kopfe stieg. Sie trat in ihrem langen weißen Nachtgewand auf den Balkon und stand lange über die Balustrade gebeugt da, in den Garten unter sich hinabstarrend, in Gedanken alles wiederholend, was er an jenem Abend zu ihr gesagt hatte, und ihrer Gewohnheit gemäß dem Klange seiner Stimme lauschend, um zu hören, ob sich auch ein falscher Ton hineingemischt habe.
Wenn er nur mit ihr gespielt, wenn er nur eine Komödie aufgeführt hätte, oder wenn, und das fürchtete sie am meisten, wenn seine Liebe nur ein Sinnenrausch gewesen war, wenn er sie nur besitzen wollte, weil sie schön war, weil ihr Körper im Bade sein Wohlgefallen erregt hatte, wenn es sich so verhielt, so wollte sie lieber in die Nacht hinausstürzen und laufen, laufen, laufen, weit fort von ihm und von sich selbst.
Am folgenden Tage wartete sie in großer Spannung auf sein Kommen. Es war ihr, als sei am gestrigen Tage etwas Entscheidendes zwischen ihnen geschehen, als müsse sie aus seiner heutigen Haltung Klarheit für die Zweifel gewinnen, die sie quälten. Sie erwartete, daß er sie früher aufsuchen würde als gewöhnlich, aber der ganze Morgen verging, ohne daß er sich zeigte. Als er sich auch nicht beim Baden blicken ließ, fing sie an, unruhig zu werden. Was konnte ihn nur fern von ihr halten?
Erst am Nachmittag erschien er auf der Terrasse, wo sie saß, und sie bemerkte sofort eine gewisse Veränderung in seinem Aussehen und in seinem Wesen. Es lag auch gleichsam ein fremder Ton in seiner Stimme, als er sie begrüßte. Er setzte sich neben sie auf die Marmorbank, ohne ein Gespräch einzuleiten. Ihr Herz stand still vor banger Erwartung.
Nach einer Weile nahm sie ihre Arbeit wieder auf; sie war damit beschäftigt, einen langen, gelben, seidenen Handschuh, den sie auf die Hand gezogen hatte, auszubessern. Er folgte mit den Augen den kleinen, schnellen Bewegungen der seinen Hände, und schließlich ergriff er diese, zog den Handschuh ab und küßte sie.
Erst jetzt faßte sie Mut, zu reden.
»Sie kamen heute nicht zum Baden.«
»Nein, ich war in Anspruch genommen, meine Angehörigen sind auf kurze Zeit gekommen, mein Bruder und meine Schwägerin.«
Das Wort durchzuckte sie, sie erinnerte sich dessen, was Florence erzählt hatte, wie sehr er der schönen Prinzessin von Palmi den Hof mache.
»Sie sind wohl ein großer Bewunderer Ihrer Schwägerin?« fragte sie.
»Ich? Wie kommen Sie nur darauf?«
»Ich sah ihr Bild im Palazzo Serra. Sie ist die entzückendste Frau, die ich jemals gesehen habe.«
»Das ist wahr, und es ist ein großer Jammer, daß ihre Ehe so unglücklich ausgefallen ist. Ich halte es deswegen für meine Pflicht, ihr so viel Aufmerksamkeit zu erzeigen, wie ich nur kann; ihre Wünsche sind mir stets ein Befehl gewesen. Und wissen Sie, weshalb sie jetzt hierher gekommen ist? Um mich zu bereden, sie auf unser Gut in Calabrien zu begleiten, um während der Erntezeit dort zu sein.«
»Während der Ernte? Während der Weinernte? Aber die findet doch erst im Oktober statt.«
»Wir pflegen dort zu sein, sobald die Feigen reifen, und zu bleiben, bis der Wein geborgen ist. Es ist eine einzige, ununterbrochene Erntezeit, die vom August fast bis zum Weihnachtsfest währt.«
Alie warf den Kopf ein wenig krampfhaft zurück, lächelte gezwungen und sagte spottend: »Und was sagt die Marquise Beatrice dazu? Sie ist ja Ihre künftige Gattin; da müssen Sie sie doch erst um Erlaubnis bitten.«
Es war das erste Mal, daß sie sein Verhältnis zu Beatrice und die Gerüchte berührt hatte, die sie als seine künftige Gattin bezeichneten. Sie hatte nicht gewollt, daß er sie für eifersüchtig halten solle, aber jetzt fühlte sie, daß das Maß voll war, und nun kam es unwiderstehlich heraus und zwar mit einer solchen Heftigkeit, daß ihre Lippen bebten.
»Also auch das haben Sie gehört! Ich muß Sie bewundern, daß Sie so lange alle diese schlechten Gedanken über mich für sich behalten konnten. Glauben Sie übrigens nicht, daß es meine Absicht ist, mich zu verteidigen; es ist alles wahr. Ich bewundere meine Schwägerin, und ich bin halbwegs mit Beatrice verlobt, das heißt, es ist eine Konvenienzpartie, die schon seit undenklichen Zeiten von unsern beiderseitigen Familien geplant worden ist; es fehlt eigentlich nur noch meine Zustimmung. Weshalb aber nimmst du dir das alles so zu Herzen, anima dell' anima mia?« fuhr er lächelnd fort, sich näher an sie heransetzend. »Bewundern ist eins, eine Gattin erwählen ist etwas andres, ein drittes aber ist, – weißt du, was ein drittes ist? – das ist zu lieben. Und dich, nur dich allein liebe ich!«
»Sie sind sehr gütig! Sie beweisen mir Ihre Liebe, indem Sie mit einer zweiten fortreisen und sich mit einer dritten verheiraten!«
Sie sagte das mit einem erzwungenen Lachen, legte dann ihre Sachen zusammen und wollte sich entfernen.
»Warten Sie ein wenig. Ich reise nicht und heirate auch nicht, wenn Sie es nicht wünschen. Wissen Sie, was meine Schwägerin sagte, weshalb sie so plötzlich hierher gekommen sei? Sie hatte gehört, daß ich hier einer kleinen Schwedin den Hof mache, und sie war besorgt, daß ich irgend eine Thorheit begehen könne.«
»Und was für eine Thorheit sollte das denn sein?«
»Es sollte die Art Thorheit sein, die man Mariage d'amour benennt.«
Es war das erste Mal, daß er die Möglichkeit einer Ehe zwischen ihnen berührte, und das gefiel ihr nicht. Sollte sie sich in diese Familie eindrängen, die natürlich nichts von ihr wissen wollte, sollte sie sich durch ihre Ehe in soziale Stellung, in Reichtum und äußeren Glanz heben lassen? Der bloße Gedanke hieran empörte sie, warf gleichsam einen Schatten über das Verhältnis, in das sie sich mit ihm eingelassen hatte, und verwundete ihren Stolz. Wenn sie ihn wirklich liebte, so würde sie es vorziehen, durch diese ihre Liebe zu verlieren, statt alles zu gewinnen.
»Sie können Ihre Schwägerin beruhigen,« sagte sie. »Sagen Sie ihr nur, die kleine, unbedeutende Schwedin legte ein viel zu großes Gewicht auf ihre Unabhängigkeit, um sich binden zu können.«
Diese Aeußerung verletzte ihn.
»So also verhält es sich mit Ihnen, Signorina?« rief er aus; »und ich glaubte, daß Sie mich liebten.«
»Ja, es wäre auch vielleicht richtiger, wenn ich sagte, Sie binden. Ich habe ein Gefühl, als möchte ich um keinen Preis der Welt Sie durch ein äußeres Band an mich gefesselt sehen. Und eine italienische Ehe ist ja etwas entsetzlich Unmoralisches, sie ist ja unlösbar.«
»Und das nennen Sie unmoralisch!?« Er lachte. Erfand sie so amüsant; entweder war sie unglaublich naiv oder auch unglaublich kühn.
»Ja, ich bin der entschiedenen Ansicht, daß es für mich höchst unmoralisch sein würde, wenn ich Vorteil aus Ihrer Verliebtheit ziehen und Sie fürs Leben an mich fesseln wollte; weiß ich doch, daß Sie selber nicht einmal an eine ewige Liebe glauben.«
»Würden Sie es also moralischer finden, wenn Sie mir ohne jegliche Besieglung, weder kirchlicher oder staatlicher Art – ohne die Bestätigung der Welt – angehörten?«
»Ja, das würde ich, wenn ich nur ganz sicher wäre, daß –«
»Nun?«
»Daß es Ihnen ein ebenso heiliger Ernst damit wäre wie mir –«
»Excentrische kleine Person! Es soll also Ernst sein, entsetzlicher Ernst, und kein Scherz?«
Er sah sie mit einem sonderbaren Blick an, mit einem Blick, aus dem sie ein gewisses Mißtrauen herauslas, einen Zweifel, den sie nicht recht verstand, der sie aber verwirrte.
Er konnte in Wirklichkeit diese Ausbrüche von Gedankentrotz gegen die Gesetze der menschlichen Gesellschaft bei einem jungen Mädchen nicht verstehen. Dieses starre Pochen auf das individuelle Recht den äußeren Formen der Welt gegenüber war ein Erzeugnis des modernen nordischen Idealismus, der ihm, dem Italiener, dem Positivisten, so fremd war, daß er ihn mißverstehen mußte.
An die außerordentliche Gedankenzaghaftigkeit der jungen italienischen Damen gewöhnt, konnte er sich dies Außerachtlassen der Form nicht mit jungfräulicher Unschuld vereint denken, und er mußte daher blitzschnell zu einem Schluß gelangen, der ihm ein Licht auf vielerlei zu werfen schien, was ihm bis dahin in dem Wesen dieses jungen Mädchens befremdend erschienen war. Das völlig ungebundene Leben, das sie seit ihrer frühesten Jugend geführt zu haben schien, das stark entwickelte Selbständigkeitsgefühl, die Ungeniertheit, mit der sie die heikelsten Fragen besprach, ja selbst ihre ganze Art und Weise ihm gegenüber, dies Sichhingeben bis zu einem gewissen Grade, wobei sie sich jedoch stets im rechten Augenblick zurückzuziehen wußte, sprach das alles nicht von Erfahrung? Es war ein Anflug von Spott in seinem Ton, als er sie jetzt fragte: »Wie häufig hat denn meine kleine emanzipierte Schwedin diese Ideen bereits praktisch zur Anwendung gebracht?«
Sie verstand ihn nicht gleich, sie starrte ihn nur verwundert an.
»Ich meine, wie oft hast du schon einen Mann unglücklich oder – glücklich gemacht?«
Sie stieß einen Schrei aus, als habe man ihr einen Schlag versetzt.
»Ist dies das Verständnis, das du für mich hast?« rief sie mit bebender Stimme aus.
Er wollte ihre Hände ergreifen, sie aber riß sich los.
»Gehen Sie, gehen Sie! Sie, die Sie eine lieben, eine zweite heiraten und eine dritte bewundern, Sie können mich nicht verstehen. Sie können es nicht fassen, daß die Liebe für mich nur als etwas Ganzes kommen kann, als etwas alles Verschlingendes, alles Umfassendes fürs ganze Leben! Alles andre, Berechnung, Schlauheit, Vorsicht, verachte ich, so tief, so tief! Wer nicht alles für seine Liebe einsetzen, alles durch sie verlieren, lieber durch sie fürs ganze Leben unglücklich werden will, als auf andre Weise sein Glück zu erlangen, der kann nicht lieben, der soll mir nicht von Liebe reden!«
»Wunderliches Mädchen!« rief er aus, und seine Augen glänzten. »Wie kommst du gerade zu diesen Worten, die gleichsam aus meinem eignen, innersten Wesen gesprochen sind? Liebe mich denn, und du kannst mit mir machen, was du willst!«
Es war seine Absicht gewesen, den Vorwand zu benutzen, den ihm der Besuch seiner Angehörigen gab, um Nervi zu verlassen. Dies Liebesspiel mit einem jungen Mädchen, das er nicht heiraten konnte, fing an, viel zu ernsthaft zu werden; es war die höchste Zeit, es abzubrechen. Nun aber fühlte er sich wieder derartig gefesselt, daß er sich nicht wieder losreißen konnte. Sobald sie ihm nur das Geringste von der Kraft und Tiefe ihres Wesens offenbarte, hatte er ein Gefühl, als streiche eine frische, stärkende Brise über sein schwüles Leben hin, und es war ihm, als hinge von ihrem Besitz und der Erhaltung desselben sein ganzes Dasein ab.
Um den Verdacht seiner Schwägerin zu beschwichtigen, teilte er ihr mit, daß er ihr und ihrem Gatten in einigen Wochen nach Palmi folgen werde, daß er vorerst aber einen Besuch in dem benachbarten Spezia abzustatten gedenke, wo die Marquise von Monsoprano eine Villa besaß, auf die sie sich in diesen Tagen mit ihrer Tochter zurückgezogen hatte.
Auf diese Weise gewann er Zeit, und sobald sein Bruder mit seiner Gemahlin abgereist war, weilte er ausschließlich und verliebter denn je an Alies Seite.