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Lacy endigte hier seine Geschichte, oder vielmehr Firnos konnte den Ausbruch seines Entzückens nicht länger zurückhalten. Er, der erst bloß in der Hoffnung, etwas von der unglücklichen Engländerin zu erfahren, zugehört hatte, verdoppelte seine Aufmerksamkeit, als er den Namen Fitz Allans, des Freundes seiner Mutter, hörte. Welche Sprache ist aber fähig, seine Freude zu schildern, als er vernahm, daß seine Mutter der Wut der Wellen entgangen und vielleicht ihm so nahe, wahrscheinlich mit ihm unter einem Dache sei! Mehr als einmal war er im Begriff, seine Verborgenheit hinter den Vorhängen durch den Ausbruch seiner Freude zu verraten, ohne das Ende von Lacys Geschichte abzuwarten; und eben jetzt wollte er hervorstürzen, als er auf einmal ein jubelndes Geschrei hörte. – »Sie ist gefunden, sie ist gefunden,« riefen mehrere Stimmen. Er sah durch das mit Eisen vergitterte Fenster und erblickte (denn der Tag war schon angebrochen) die Ritter des Phönix und seine anderen Landsleute, die in voller Eile dem großen Tor des Serails zuliefen. »Sie ist gefunden, sie ist gefunden,« schrie jetzt auch der Prinz und stürzte zur großen Verwirrung und zum Erstaunen der Sultanin und ihres Gesellschafters hinter dem Vorhang hervor; aber ohne sich aufzuhalten, um sich von ihnen unterrichten zu lassen oder ihre Neugierde zu befriedigen, rennt er gegen die Tür, sprengt sie auf, ergreift dann ein Licht, eilt durch die dunkle Galerie, gleitet die Wendeltreppe hinunter und ist in einem Augenblick in dem Garten.
»Wo ist sie?« rief er dem Großmeister zu, der mit seinen Rittern ihm eben in den Weg kam.
»Ein bloßer Zufall hat sie entdeckt,« antwortete dieser. »Wir hatten so viele Weiber erlöst, daß, um sie alle nach dem Indus zu bringen, ich alle Pferde, Maultiere, Kamele und Esel in Requisition gesetzt hatte. Eben sollten eine Anzahl Esel, mit Mehlsäcken beladen, durch das große Tor getrieben werden; der Ritter, der die Wache daselbst hatte, hielt sie dem Befehl gemäß auf, und entweder die Weigerung der Treiber, sie zu entladen, oder vielleicht auch ihre Bestürzung verriet sie; genug, die Wache warf die Mehlsäcke hinunter. Nach dem Fall des einen, der sehr schwer niederfiel, schwamm das ganze Pflaster in Blut. Man schnitt nun den Sack auf und zog dieses Weib mehr tot als lebendig heraus.«
Als sie sich dem unglücklichen Geschöpf näherten, die der Wundarzt soeben wieder zu sich selbst gebracht hatte, öffnete sie ihre Augen, schloß sie aber sogleich wieder. »Nein,« sagte der Prinz, »das ist sie nicht, diese niedliche Figur, diese zärtliche Gestalt, nein, das ist sie nicht!«
»Wer?« rief jede Stimme,
»Meine Mutter, meine so lange verlorene Mutter,« rief der Prinz jauchzend aus. – Keiner verstand ihn, aber alle folgten ihm, ohne zu wissen, wohin. Nur wenige blieben zurück, um dem kranken Weibe beizustehen.
Der Prinz erreichte den Turm, eine Menge Fackeln werden herbeigeholt und folgen ihm die Treppe hinauf. Ein Stein nach dem anderen löst sich und verkündigt durch seinen Fall von Stufe zu Stufe einen Heruntersteigenden. Sie dringen vorwärts und finden Lacy, der, so gut es ihm seine Ketten erlauben, sich den Weg zu finden bemüht.
»Wo ist Agalva, wo ist die Prinzessin?« rief Firnos.
»Wer seid Ihr? Was wißt Ihr von der Prinzessin?«
»Wir sind Naïren,« riefen jetzt hundert Stimmen.
Lacy konnte vor Freude nicht antworten. Er wird nun seiner Fesseln entledigt und in einen Saal in den Garten gebracht. Das Übermaß seiner Gefühle erlaubt ihm aber nicht, auf ihre vielfältigen Fragen zu antworten. Die Naïren sehen mit Mitleid seine Bewegung, können aber die Ungeduld, ihre Neugierde zu befriedigen, nicht zurückhalten.
Endlich legt sich sein Erstaunen und seine Verwunderung etwas, und er erfährt den ganzen Inbegriff seines Glückes; daß er frei, unter dem Schutz der Naïren und in der Gegenwart des Sohnes Agalvas ist. Der Großmeister und seine Ritter bilden einen Kreis um ihn herum, und auf des Prinzen Bitte vollendet er seine Geschichte.
»Da ich Eurer Hoheit die Wiedererlangung meiner Freiheit zu verdanken habe, so habt Ihr auch schon bereits unsere Abenteuer bis zu unserer Ankunft in diesem Serail gehört. Schon waren wir fast sechs Jahre eingekerkert, und Agalva hatte einen Sohn zur Welt gebracht, als der letzte Sultan starb und der gegenwärtige die Weiber und Beischläferinnen seines Vaters entweder verkaufte, oder sich ihrer auf andere Art entledigte. Auf Agalvas Versprechen, ihre Landsleute nicht gegen ihn aufzuhetzen, um ihre üble Behandlung zu rächen, erhielten wir die Erlaubnis, unseren Weg nach Hindostan fortzusetzen. Wir waren kaum noch eine Tagereise von dem Indus entfernt, als wir in einem Walde von einer Bande Räuber angegriffen wurden. Wir fochten, mein Pferd wurde verwundet, es fiel; und ehe ich mich noch losmachen konnte, hatten sie sich schon der Prinzessin bemächtigt und ritten in voller Eile mit ihr davon. Ich konnte ihnen nicht folgen und schleppte mich, so gut es meine Wunden verstatteten, fort, als des Statthalters Wache bei mir vorüberkam und mich nach meinem Paß fragte. Sie forschten nun auch nach der Prinzessin und schleppten mich hierauf in die nächste Stadt in feste Verwahrung. Bald darauf wurde ich unter starker Bedeckung nach Candahar gebracht und in einen scheußlichen Kerker geworfen. Doch die Sultanin befreite mich daraus, und das Zimmer, wo Eure Hoheit mich entdeckt hat, wurde mein Gefängnis. Die Güte dieses vortrefflichen Weibes hat diese langen Jahre hindurch die Strenge meiner Einkerkerung gemildert, ja auch sogar mein Leben hat sie mir gerettet, denn ihr Sohn, der Tyrann, damit ich nicht entwischen und durch die Erzählung von Agalvas Geschichte die Rache der Naïren aufregen möchte, hatte mich zum Tode bestimmt, aber die Fürbitten seiner Mutter retteten mich davon. Der Himmel weiß aber, wann ich meine Freiheit würde wiedererhalten haben.«
»Und wo ist der Sohn Agalvas? Wo ist der junge Prinz?« riefen viele Stimmen auf einmal.
»Wo ist mein Bruder?« rief Firnos.
»Alle Anerbietungen Agalvas, so vorteilhaft sie auch waren, wurden von dem Sultan verworfen; und anfangs wollten ihre mütterlichen Gefühle es ihr nicht erlauben, ohne ihn abzureisen. Endlich aber behielt ihre Mutterlandsliebe und die Liebe zu Euch, Firnos, die Oberhand. Ach, mein Prinz! Für Eure Wohlfahrt waren all ihre Wünsche, alle ihre Hoffnungen waren in Euch vereinigt. Wenn sie stundenlang den Verlust Osvas beweint hatte und die Tränen noch in ihren aufgeschwollenen Augen hingen, war es bloß Euer Bild, das Ruhe in ihre Brust zurückbrachte. ›Habe ich doch meinen Firnos,‹ rief sie dann aus, ›und ich leide hier in den Schrecknissen des Serails! Ach, wüßte Firnos meine Lage; bald wird er nun in dem Alter sein, um das Schwert für seiner Mutter Befreiung ziehen zu können!‹ – Und als sie Euren Bruder hier verlassen mußte: ›Armes, unglückliches Kind,‹ sagte sie wehmütig, ›auf dich oder auf Firnos muß ich Verzicht tun!‹ – Und in der Tat sehr unglücklich, denn bald darauf wurde es der eifersüchtigen Politik des jetzigen Sultans geopfert, der den Befehl gab, alle Kinder seines Vaters zu erwürgen.«
»Rache, Rache über den Mörder!« riefen Hundert Stimmen, und jedes Schwert verließ rasselnd seine Scheide.
Der Prinz war ganz in Gedanken versunken, alle Hoffnungen zur Befreiung seiner Mutter waren nun in der Blüte erstickt. Er empfand schon im voraus das Gefühl der Freude, an ihrem mütterlichen Busen zu liegen, und jetzt sah er sich auf einmal in der schrecklichsten Ungewißheit, ob der Tod ihren Leiden ein Ende gemacht habe, oder ob sie noch in der Gewalt jener Unholde sei. In stillem Nachdenken geht er unter seinen Gefährten auf und ab, deren Gedanken bloß mit den Aussichten des blutigsten Krieges, der je zwei Reiche verheert hat, beschäftigt sind. Wenn die Naïren sich so bereitwillig finden ließen, die Waffen zu ergreifen, um das Unrecht an einem unbekannten Weibe wieder gutzumachen, welche ausgezeichnete Rache muß dann für die Einkerkerung einer Schwester des Samorins und den schrecklichen Tod seines Neffen erfolgen. Ganz Candahar muß in Blut schwimmen und jeder beschnittene Muselmann durch das Schwert fallen.
Ein Naïr trat in den Saal. »Gnädiger Herr,« sagte er zum Großmeister, »der Wundarzt hat seine Patientin wiederhergestellt, ihre Ohnmachten sind vorüber, und der Sklave, der als Müller verkleidet war, hat nicht allein bekannt, daß er von dem Beschnittenen bestochen war, sie bis außerhalb des Serails zu begleiten, sondern hat uns auch diesen Brief an den Sultan überliefert:
»An den erhabenen Sultan, von Ibrahim, seinem Sklaven.
»Selim, der getreue Selim ist nicht mehr! Aber gelobt sei Gott und Mohammed, sein Prophet, denn er starb im Dienst seines Herrn. Welches Zutrauen kann man auch in ein Weib setzen? Der Oberstverschnittene ertappte einen verächtlichen Christensklaven in den Armen der untertänigen Roxana; er befahl ihr, sich zum Tode zu bereiten, und sie durchbohrte ihm das Herz. Und noch lebt sie, sich dieser Schandtat zu rühmen; denn, ach! erhabener Sultan! die Naïren schwelgen in Deinem Harem und entweihen die Heiligkeiten Deiner Liebe. Unter allen Deinen Weibern und Sklavinnen ist nicht eine, die Dich nicht entehrt und nicht einen hundertfältigen Tod verdient hätte. Sie haben ihre Schleier herabgerissen und gehen mit unbedecktem Angesicht in Deinen Gärten umher. Nicht ein Lager ist übrig, das nicht durch Ehebruch geschändet wäre. Wenn diese schändlichen Ungläubigen uns verlassen haben, so muß sogar das Gerät durch das Feuer gereinigt werden; und sollte etwa ein herumschwärmendes Weib zurückgelassen sein, so darf sie keine Gnade vor Deinen Augen finden, denn nur ihr Blut kann ihr Verbrechen abwaschen.
»Von allen Deinen Verschnittenen bin ich der einzige, der dem Schwert entkommen ist, und wenn Deine siegreichen Waffen diese abscheulichen Ungläubigen wieder über den Fluß getrieben haben und die zinsbaren Provinzen Dir ihre Töchter zusenden, die begierig nach der Ehre sind, in Deinen Harem ausgenommen zu werden, so hältst Du mich vielleicht, erhabener Sultan, nicht für unwürdig, dem treuen Selim in seinem Posten zu folgen.
»Als ich fünfzehn Jahre alt war Montesquieus persische Briefe., wurde ich aus der Mitte Afrikas hinweggenommen und zuerst an einen Herrn verkauft, der mehr als zwanzig Weiber und Beischläferinnen hatte. Aus meinem ernsthaften und stillen Betragen schloß er, daß ich mich für den Harem schicken würde, und machte mich vollkommen geschickt dazu durch eine Operation, die zwar anfangs schmerzlich, aber sehr belohnend für die Zukunft war, denn sie brachte mich dem Ohr und dem Zutrauen meines Herrn näher. Ich trat nun in den Harem ein, der eine neue Welt für mich war. Der Oberstverschnittene, der strengste Mann, den ich jemals sah, übte das Recht des Befehlshabers mit unumschränkter Herrschaft aus. An Uneinigkeit und Zank war da gar nicht zu denken, immer herrschte durchaus ein tiefes Stillschweigen. Alle Weiber gingen von einem Ende des Jahres bis an das andere um dieselbe Stunde zu Bett und standen auch zu einer Stunde wieder auf; sie gingen eine nach der anderen in das Bad und kamen auch auf das geringste Zeichen, das wir ihnen gaben, wieder heraus; die übrige Zeit waren sie fast immer in ihren Zimmern eingeschlossen. Der Befehl, daß sie beständig mit der größten Reinlichkeit erscheinen sollten, wurde von uns mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet, und das geringste Versehen darin ohne Gnade bestraft. Ich bin ein Sklave, sagte derjenige, der sie züchtigte, aber der Sklave des Mannes, der Euer Herr ist, und ich gebrauche bloß die Gewalt, die er mir über Euch gegeben hat, er ist es selbst, der Euch durch meine Hand züchtigt. Mit einem Wort, erhabener Sultan, da ich nur einer der Letzten von den Schwarzen dieses gehorsamen Serails war, so wurde ich doch tausendmal mehr geehrt, als der Oberstverschnittene es bisher in dem Deinigen gewesen ist.
»Aber dieser große Verschnittene entdeckte bald mein Genie; er wendete seine Augen auf mich und stellte mich meinem Herrn als einen vor, der imstande sei, ihm in seinem System und Posten zu folgen. Er wurde durch meine Jugend nicht abgeschreckt, sondern glaubte, daß Aufmerksamkeit die Stelle der Erfahrung bei mir vertreten würde. Genug, ich machte so große Fortschritte in seinem Zutrauen, daß er mir in kurzem die Schlüssel zu jenen heiligen Orten anvertraute, die er selbst so lange bewacht hatte. Von diesem großen Meister lernte ich die schwere Kunst, zu befehlen, und nahm die Grundsätze einer unerbittlichen Strenge an. Unter ihm studierte ich das Herz des Weibes, lernte ihre Schwächen benutzen, und ihre Launen hörten alsdann auf, mich verwirrt zu machen. Er war mein Vorbild; und wenn sie manchmal in Wut kamen, wie reizend war dann für mich der Anblick seiner Ruhe, mit der er ihre Tränen und Vorwürfe ertrug. ›Sieh,‹ sagte er mit einer zufriedenen Miene zu mir, ›dies ist die Art, wie Weiber regiert werden müssen; ihre Anzahl schreckt mich nicht. Auf diese Art wollte ich alle Weiber unseres großen Monarchen in Zucht halten. Wie kann ein Mann hoffen, ihre Herzen zu gewinnen, wenn seine treuen Verschnittenen nicht vorher ihren Geist unterjocht haben?‹ –
»Nicht seine Ernsthaftigkeit allein war es, die ihn auszeichnete, sondern auch ein durchdringender Geist. Er las ihre Gedanken; weder ihre studierten Gebärden, noch ihre verstellten Mienen konnten etwas vor ihm verbergen, er wußte ihre geheimsten Handlungen und hörte ihr leisestes Flüstern. Er brauchte die eine, um hinter die Geheimnisse der anderen zu kommen, und mit Vergnügen belohnte er solche Mitteilungen; denn kein Weib betrat je meines Herrn Zimmer, ohne von ihm geholt zu sein. Sie empfing diese Gunst mit Freuden; aber keine unterstand sich zu klagen, wenn sie sich derselben beraubt sah. Der Verschnittene rief diejenige, die er gewählt hatte, und lenkte die Augen seines Herrn immer auf diese, die er begünstigen wollte, um durch solche Auszeichnungen irgendein entdecktes Geheimnis oder sonst einen Dienst, den sie ihm geleistet hatten, zu belohnen. Er hatte seinen Herrn überzeugt, daß es sehr schicklich wäre, ihm die Wahl zu überlassen, um sein Ansehen zu vermehren. So wurde ein Harem regiert, der, soviel ich weiß, der bestgeordnete in ganz Persien war.
»Meine Anhänglichkeit und mein Eifer für Deinen Dienst hat mir folgende Maßregeln vorgeschrieben. Nur eines Deiner Weiber ist den verfluchten Naïren entgangen; denn als der weise Selim einige Tage hintereinander einen Europäer gewahr wurde, der immer um das Serail herumschlich, befahl er mir, die Engländerin in ein besonderes Zimmer einzusperren, und jetzt ist es ausgemacht, daß die Naïren den jetzigen Feldzug bloß zur Befreiung dieses Weibes unternommen haben; aber mein fester Entschluß ist, daß ihnen dies nicht glücken soll. Sie haben die strengste Nachforschung nach ihr gehalten, und kein Winkel im Serail und in der Stadt ist vor ihrer Nachsuchung sicher. Ich habe sie deswegen in einem Mehlsack nach dem Sommerpalast bringen lassen, bis Dein gnädigster Wille uns bekannt wird. Sollte sie ersticken, ehe sie noch an dem Vorposten vorüber ist, so ist es besser, als wenn sie in die Hände der Naïren fiele und alsdann unseres Verlustes nur spottete. Ich habe sie nicht deswegen erhalten, damit Du sie mit Deiner Liebe beehren sollst; nein, sie ist ein verkehrtes halsstarriges Geschöpf, die einer solchen Herablassung nicht würdig ist. Ich hoffe, daß Du mir jetzt den Auftrag geben wirst, Deinen Harem mit den Schönheiten Georgiens und Zirkassiens zu schmücken, denn ich habe diese Länder mehr als einmal besucht und kenne die Preise besser als einer. Laß diese Dein Bett besteigen und sich Deiner Gunst erfreuen. Jenes Weib habe ich bloß erhalten, damit Du die Genugtuung haben kannst, sie mit einer eisernen Rute zu züchtigen und sie für die schändliche Befleckung, die sie über Deinen Harem gebracht hat, büßen zu lassen.«
Der Großmeister war bei Endigung dieses Briefes fast außer sich vor Zorn und fragte nach dem Elenden, der über die Durchführung einer solchen ungeheuern Grausamkeit und eines so ungroßmütigen Hasses brüten konnte. Aber Ibrahim hatte bereits seinen Lohn erhalten. Durch den Sklaven, seinen Mitschuldigen, in seiner Verkleidung verraten, hatte er einen Versuch gemacht, die Engländerin zu ermorden, und wurde durch die Schwerter der Naïren in Stücke gehauen.
»Aber wo ist die arme Engländerin?« rief Firnos. »Ritter des Phönix, Beschützer der beleidigten Tugend, ihr habt euer ritterliches Wort eingelöst. Ich danke euch im Namen meiner Schwester Osva, denn ihr habt ihre Landsmännin befreit. Kommt, Lacy, laßt uns sie besuchen, sie ist auch Eure Landsmännin und kann vielleicht unseres Trostes nötig haben.«
»Sie folgten dem Naïr in ihr Gemach; aber welcher Anblick bot sich ihnen dar! Sie lag in den Armen De Greys. Es war seine Schwester Emma. Sie war mit ihrem Kopf an seine Brust gesunken, er hatte ihre Hand gefaßt, und ihre Augen waren noch naß. Als Firnos hereintrat, versuchte De Grey umsonst zu sprechen. Er brach in Tränen aus und rief endlich: »Es ist meine Schwester Emma!« dies war alles, was er hervorbringen konnte. Der Prinz legte ihre Hände ineinander und vermischte seine Tränen mit den ihrigen.
»Welche Freude für meine Schwester Osva,« sagte Firnos, »denn sie war allein die Urheberin dieses Feldzugs, ihr allein verdankt Ihr Euer gegenwärtiges Glück. Sie hat Lacys Gefängnis geöffnet, hat Euch aus dem Rachen des Todes gerettet, sie hat Euch Eure Schwester, und dieser Schwester die Freiheit und alle ihre Rechte wieder geschenkt. Aber dieser Feldzug, der Euch so glücklich macht, hat uns nun in die traurige Notwendigkeit versetzt, die Behandlung Agalvas und den Mord ihres Sohnes zu rächen.«
Der Prinz verließ das Zimmer, und Lacy folgte ihm, denn Walter und Emma waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ihrem Landsmann einige Aufmerksamkeit schenken zu können.
In dem Kriegsrat kam man überein, daß der Großmeister und die Hälfte der Ritter sich in Candahar befestigen sollten, bis die Ungewißheit über Agalvas Schicksal aufgeklärt wäre. Firnos und Lacy sollten soviel als möglich eilen, um den Samorin von dem Ausgang zu unterrichten, und die anderen Ritter sollten die Geschwister De Grey, Roxana und die Sultaninnen nach den indischen Grenzen begleiten.
Lacy war sehr bewegt, als er sich von Fatime trennen mußte; denn ungeachtet des irdischen Paradieses, das Kalekut einem Lebemann darbot, tat es ihm doch sehr wehe, seine Wohltäterin verlassen zu müssen. Umsonst versuchte er alles, um sie zu bereden, ihm zu folgen; sie allein von allen Weibern des Harems war entschlossen, zurückzubleiben. Die anderen waren auch nicht Mütter und hatten deshalb recht, ihrem Liebhaber in das Land der Freiheit zu folgen; aber Fatime wollte ihren Sohn, den Sultan, nicht verlassen. Die Pflichten einer Mutter gegen ihr Kind sind heilig, denn sie hat ihr Kind von dem unfehlbaren Gesetz der Natur erhalten; gegen ihren Geliebten aber hat ein Weib keine Pflichten, denn ihn hat sie sich selbst gewählt, und sie kann sich vielleicht in der Wahl betrogen haben oder wenigstens hoffen, in einer zweiten Wahl ebenso glücklich zu sein.
Endlich blies die Trompete zum Abmarsch, die Reiterei rückte vor, und die Sultaninnen warfen noch einen Blick auf ihr Gefängnis. Kein Sterblicher war je so glücklich, als Walter De Grey. Seine süßesten Hoffnungen, die zuvor die Vernunft für höchst ausschweifend mußte erklärt haben, die aber wie ein goldner Traum seine einsamen Stunden versüßt hatten, schienen nun in Erfüllung zu gehen. Kalekut war für den leichtsinnigen Lacy ein Garten der Liebe, wo er wie eine Biene von Schönheit zu Schönheit fliegen und die Süßigkeit jeder Blume aussaugen konnte; aber für den emporstrebenden De Grey war es die Bühne seines Ehrgeizes, wo er wie ein Adler, seine Augen auf die Sonne der Ehre gerichtet, in die Höhe steigen wollte. De Grey war, besonders in einem Lande, wo es keine Ehe gibt, kein Feind der Liebe; sie konnte hier seine Schwingen nicht lähmen, noch seinen Flug hemmen. Er betrachtete vielmehr die Liebe als eine Auszeichnung jeder großen Seele, denn alle Helden zu jeder Zeit waren auch Liebhaber; aber obschon er in seiner Meinung der Liebe einen hohen Platz einräumte, so blieb es doch immer ein untergeordneter Platz, und wenn die Sonne der Ehre vor seinen Augen brannte, so war Kupidos Lampe nur eine Fackel bei hellem Tageslicht. Während der ersten Tage dachte er stundenlang der Laufbahn nach, die sich ihm nun öffnete, ihm, dem Freund von Firnos und dem Landsmann Osvas, der übrigens noch so viele Ansprüche an die Dankbarkeit des Samorins und des Staats hatte, da er so viel zu der Entdeckung der einzig übriggebliebenen Tochter Samoras beigetragen hatte. Er haschte schon nach den ersten Ehrenstellen des Reichs, und um sein Glück vollkommen zu machen, war ihm auch jetzt seine Schwester wiedergeschenkt, an die ihm vorher sein Gewissen nie ohne Schmerz zu denken erlaubte, und nun glaubte er auch fähig zu sein, ihr die vollkommenste Entschädigung für alle seine vorigen Ungerechtigkeiten geben zu können. Ihre Kinder sollten seine Erben sein. Er brannte vor Verlangen, ihre Erlebnisse zu hören, aber in dem ersten Getümmel und der anfänglichen Verwirrung war ihre Unterhaltung immer unterbrochen worden. Die Wege in Candahar waren zu enge, um in einem Wagen zu fahren, und ihre Wunden nötigten sie anfangs beide, jeder in einer besonderen Sänfte zu reisen. Endlich, als sie noch ungefähr einige Meilen von der indischen Grenze entfernt waren, überredete Walter seine Schwester, mit ihm ein Kamel zu besteigen.
Da das Tier mit abgemessenen Schritten fortging, zitterte Emma wie Espenlaub und drehte sich seitwärts. Walter blickte ihr in das Gesicht und sah eine Träne in ihrem Auge. »Was fehlt meiner Emma? Ich bin so glücklich, so unaussprechlich glücklich, und du in Tränen?«
»Ja,« antwortete sie, »der Augenblick ist gekommen, wo ich deine Freude dämpfen muß. Jeden Abend, wenn wir im Karawanserei ankamen, sah ich dich so fröhlich und guter Laune, und ich zog mich zurück, um mein Kopfkissen mit Tränen zu benetzen. Ach, Walter, ich kann die Erzählung meiner Geschichte nicht länger aufschieben. Ich kenne deine teilnehmende Neugierde, und doch wirst du der Stunde fluchen, wo ich dir wiedergegeben wurde. Von welchen Szenen menschlicher Verdorbenheit und Bosheit bin ich nicht Zeuge gewesen! Welche Beschwerlichkeiten habe ich nicht erdulden müssen? Ich kann niemals nach England zurückkehren, wenn ich unseren Namen nicht zu einem Schandfleck machen will. Wenn ich vorher die Schande der Familie war, was bin ich nun nach allen den Beschimpfungen, die ich im Osten erlitten habe?
»Du wirst dich noch des traurigen Morgens erinnern, der uns in Tetuan Siehe das dritte Buch dieses Werkes. voneinander trennte; niemals wird das Andenken dieses schrecklichen Augenblicks mein Gedächtnis verlassen. Ich hörte es, wie du die Barbaren batest, uns nur noch eine Umarmung zu erlauben; ich eilte auf das Verdeck, sah dich schon in dem Boot und fiel bei diesem Anblick in Ohnmacht. Ich weiß nicht, was während dieser Zeit mit mir vorgegangen; es war schon Abend, als der Seeräuber in die Kajüte trat und mir in gebrochenem Italienisch sagte, daß ich meinem neuen Herrn folgen sollte. Ein Türke mit einer feierlichen Miene, aber für einen Mohammedaner höflich genug, grüßte mich. Ich konnte bei diesem Tausch nichts verlieren und fühlte mich sehr glücklich, den ungestümen Seeräuber verlassen zu können. Ich stieg in das Boot, und um mich vor den Augen des Volks zu verbergen, warf man mir ein Tuch über den Kopf, das bis auf den Boden reichte, so daß ich durchaus nichts sehen konnte. Das Geräusch der Ruder sagte mir, daß wir noch auf dem Wasser waren. Bald darauf landeten wir, und ich wurde mit verschleierten Augen durch eine Menge winkelige Straßen geführt. Bei jedem Schritt den ich tat, fürchtete ich, wegen der Unordnung und der losen Steine des Pflasters zu fallen, und meiner Nase fiel der unerträgliche Gestank sehr beschwerlich, der aus dem Unrat, der auf beiden Seiten in großen Haufen lag, hervorging. Doch ich bin während meines langen Aufenthalts unter den Mohammedanern zu vertraut mit jeder Art Unordnung geworden!
»Endlich hörte ich, daß man eine Tür hinter mir zuriegelte, das Tuch wurde hinweggenommen, und ich befand mich In dem mittleren Hof eines gewöhnlichen Hauses. Du hast so viele mohammedanische Städte gesehen, lieber Bruder, und weißt wohl, daß alle Häuser in Afrika und Asien fast gleich gebaut sind; deswegen will ich mir die Mühe sparen, sie zu beschreiben. Eine Anzahl Weiber maßen mich vom Kopf bis zu den Füßen und teilten sich ihre Bemerkungen in einer Sprache mit, wovon ich kein Wort verstand. Ein altes Weib brachte mir ein Gericht Reis, führte mich in ein enges Zimmer, gab mir ein Zeichen, daß das Bett, das darin war, für mich bestimmt wäre, riegelte die Tür von außen zu und überließ mich der Ruhe.
»Ich brauche dir nicht zu sagen, in welcher schrecklichen Unruhe ich diese Nacht zubrachte. Ich war zwar schon lange an Unglück gewöhnt, aber der Gnade einer solchen Nation von Barbaren überlassen und aus den Armen meines Bruders, meines einzigen Beschützers gerissen zu sein - und dann meine Ungewißheit über dein Schicksal, dich auch vielleicht zu ähnlichen, obschon unmöglich größeren Qualen als ich bestimmt, alles dies stürmte heftig auf mich ein.
»Den folgenden Morgen trat der Türke in mein Zimmer, und nachdem er sich nach meiner Gesundheit erkundigt hatte, führte er mich zum Bett und – erspare mir das Erröten, kann ein ehrbares Weib sogar dem Ohr eines Bruders solche Szenen wie diese anvertrauen?
»Er fing mit der größten Gelassenheit an, mich zu untersuchen, und war sogar, wie es schien, über meinen Widerstand verwundert. Er entdeckte den Verlust meiner Tugend und sah sich also von dem Seeräuber betrogen. Er stieß mich mit solcher Gewalt zurück, daß ich vom Kissen herab mit dem Kopf auf den Boden fiel. Ich wurde nun vor den Kadi geführt und mußte mich dort einer zweiten Untersuchung unterwerfen. Er war Sklavinneneinkäufer für den Großherrn in Konstantinopel, und es ist ein Hauptverbrechen, irgendeine andere als eine unbefleckte Jungfrau in seinen Harem einzuführen. Die Mohren haben keinen Begriff von Delikatesse, Scham oder Tugend, sondern halten diesen Verlust für einen Fehler, der, wie ein Fehler an einem Pferd, den Wert eines Weibes bei jedem Wollüstling verringert. Der Seeräuber erhielt den Bescheid, mich wieder zurückzunehmen, das Kaufgeld wieder zurückzuzahlen und dem Kaiser eine Geldbuße zu erlegen.
»Der Seeräuber warf einen Schleier über mein Gesicht, einen solchen, wie die Büßenden in katholischen Ländern tragen, wo nur zwei Augenlöcher hineingeschnitten sind, um durchsehen zu können. Er hatte alle seine Gefangenen, bis auf den kleinsten Portugiesen, verkauft. Du wirst dich noch des artigen, liebenswürdigen Knaben erinnern, der etwas Englisch in der Faktorei in Lissabon gelernt hatte und als Passagier auf dem Schiffe war, als wir gefangengenommen wurden. Bei unserer Zurückkunft vom Kadi trafen wir einen anderen Seeräuber, der einen spanischen Kapuziner vor sich hertrieb. ›Du kommst mir wie gerufen,‹ sagte mein Herr zu ihm, ›ich wünschte einen Kreuzzug zu machen und kann dies Weib hier nicht an den Mann bringen. Höre, Freund! du hast keine so große Eile, vor Anker zu gehen, ich will dir das Weib für den Pfaffen geben.‹
»Indem er dies sagte, zog er mich in eine Ecke der Straße, und nachdem er sich umgesehen hatte, ob etwa jemand in der Nähe wäre, nahm er mir den Schleier ab und zeigte mich dem anderen. Aber dieser schüttelte den Kopf.
»›Nein,‹ sagte er, ›ein Pfaffe ist so gut wie bares Geld, denn die barmherzigen Brüder sind verbunden, ihn zu erlösen, und dein Weib hier ist nichts wie Haut und Knochen. Es würde mehr kosten, sie fett zu machen, als sie wert ist, und dann könnte sie mir vielleicht auch lange auf dem Hals bleiben, und du weißt, ich bin selber kein großer Liebhaber von Weibern. Aber das ist ein hübscher Junge; wenn du Lust zum Handeln hast, so will ich dir den Pfaffen für den Jungen geben; und da du gern unter Segel gehen willst, so will ich das Weib während deiner Abwesenheit behalten und sie verkaufen, sobald sich eine gute Gelegenheit darbietet.‹
»Die Bedingungen wurden angenommen. Der kleine Portugiese wurde von seinem neuen Herrn nach seiner Wohnung geführt, und ich erhielt den Befehl, ihnen zu folgen.
»Kannst du es wohl glauben, mein lieber Walter, daß der nämliche Mann, der mich mit solcher fühllosen Strenge behandelte, von der Natur ein zartfühlendes Herz erhalten hatte? wenigstens liebte er die Kinder so sehr, daß er seinen eigenen Sohn nicht mit mehr Zärtlichkeit hätte behandeln können, als er den kleinen Portugiesen behandelte. Ich sah ihn, wie er stundenlang mit der Pfeife im Munde das Kind auf seinem Schoß hielt und es mit der größten Zärtlichkeit küßte; und so besorgt war er, daß es nur keinen Schaden nehmen möchte, daß er es sogar in seinem eigenen Zimmer schlafen ließ.
»Mich hingegen behandelte er als einen bloßen Artikel des Handels. Er pflegte mich jeden Morgen zu besuchen, aber nicht etwa, um zu fragen, ob er etwas zu meiner Bequemlichkeit während meines Aufenthalts unter seinem Schutz beitragen könne, sondern bloß, um zu sehen, ob ich fetter geworden sei. In einem solchen Zustand war ich natürlicherweise ohne Ruhe und ging immer in dem engen Hofraum auf und ab. Endlich aber, als er fürchtete, daß die beständige Bewegung meinem Zunehmen hinderlich sein möchte, hatte er die Grausamkeit, mir zu befehlen, stille zu sitzen. Mit einem Wort, er behandelte mich mit so wenig Feinheit und Rücksicht, wie ein Kapaunenstopfer, der sein Federvieh für den Londoner Markt fett macht. Und wenn ich meinen Appetit aus Mangel an Bewegung und Aufheiterung verloren hatte, so war gleich einer seiner Sklaven mit dem Stock hinter mir und nötigte mich jeden Tag, eine Portion Reis zu mir zu nehmen. Man gab mir auch eine Brühe zu essen, die als besonders fettmachend angesehen wurde. In Rücksicht des Geschmacks hatte ich nichts daran auszusetzen, denn es war doch wenigstens eine Abwechslung von dem gewöhnlichen Reis, mit dem sie mich immer stopften. Aber endlich entdeckte ich, daß es ein Zusammengekochtes von jungen Katzen und Hunden war, und nun kannst du dir wohl meinen Ekel vorstellen; doch bei jeder Weigerung zeigte man mir die Geißel, und obschon es mir anfangs Erbrechen verursachte, so war ich doch genötigt, mehrmals in der Woche eine Portion hinunterzuschlucken.
»Als eines Tages dieses ekelhafte Gericht vor mir dampfte und der Sklave mir mit dem Stock drohte, stand zufälligerweise die Tür meiner Zelle halb offen, und der junge Portugiese ging vorbei. Das Kind kam mir zu Hilfe, befahl meinem Peiniger mit einem gebieterischen Ton, von der Strafe abzulassen, und nahm auf diese Art die Nichte eines Kanzlers unter seinen Schutz. Er stand bei dem alten Mohren in solcher Gunst, daß er tun durfte, was ihm beliebte. Hätte er nicht die sanftesten und besten Anlagen gehabt, so würde ihn wahrscheinlich diese übertriebene Nachsicht verdorben haben; er war in das feinste seidene Zeug gekleidet, und das ganze Haus gehorchte ihm. Den Sklaven war befohlen worden, ihre Arbeit liegen zu lassen und mit ihm jedes Kinderspiel zu spielen; und diese, da sie gewöhnlich vom Morgen bis zum Abend im Schweiß ihres Angesichts arbeiten mußten, waren sehr glücklich, wenn er sie mit Bindfaden anschirrte und im Hof herumgaloppieren ließ. So entehrt und herabgesetzt ist dort die Menschheit, daß sie solches Vergnügen lange Zeit nicht genossen hatten. Kurz, alles war bei guter Laune. Ein europäischer Sklave mußte ihm immer einige Leckerbissen zu seiner Mittagsmahlzeit kochen, und das gutwillige Kind lud mich ein, sie mit ihm zu teilen. Von ungefähr entdeckte er einige französische Bücher, die mit einem europäischen Schiff waren genommen worden und zum Feueranzünden bestimmt waren, diese brachte er mir. Da übrigens ihm nichts abgeschlagen wurde, so durfte ich mich nur an ihn wenden, wenn ich eine Änderung in meiner Behandlung wünschte, und sie fand gewiß statt.
»Ich habe so manche Grade von Elend durchgangen, daß dies vielleicht die erträglichste Periode meiner Sklaverei war. Mein Herr kehrte aber endlich von seiner Kreuzfahrt zurück und holte mich in sein eigenes Haus. Der kleine Portugiese vergoß Tränen bei unserer Trennung. Ich drückte ihn an meinen Busen. Gott gebe, daß er bald ranzioniert und seinen trostlosen Eltern wiedergegeben worden ist, denn wahrscheinlich bleibt er nicht immer der Günstling. Einer der Sklaven, der ebensosehr wie die anderen mißhandelt wurde, sagte mir mit einem Seufzer, daß er als Kind mit der gleichen Zärtlichkeit von dem alten Mohren wäre behandelt worden.
»Bald darauf wurde ich an den Statthalter von einer der inneren Provinzen verkauft, und in einer Hinsicht war ich in diesem Harem glücklich. Meine Tugend (wenn nach allen den Unglücksfällen, die ich in Europa erlitten hatte, ich noch auf Tugend Anspruch machen konnte) blieb unberührt. Bei aller üblen Behandlung war dies mein einziger Trost. Ich war bloß die Aufwärterin einer Favoritin, und nicht die Favoritin selbst. Ich kam nie in des Statthalters Gegenwart; aber welch ein Leben führte ich, da ich dem Eigensinn einer Kreatur unterworfen war, die, wie fast alle Weiber des Harems, wohl die Unwissenheit, aber nicht die Unschuld eines Kindes besaß. Unser Herr brachte den Morgen im Diwan zu, und nach Tisch kam er in seinen Harem, wo er zehn oder zwölf Weiber hatte; warf er aber einer anderen als meiner Gebieterin das Schnupftuch zu, so mußte meine Vernachlässigung ihrer Toilette daran schuld sein, und dann brachte sie den Abend bloß damit hin, mich zu schlagen und zu quälen.
»Ich war kaum einige Monate dort, als mein Herr von einem seiner Spione am Hof die Nachricht erhielt, daß sein Nachfolger, von den zwei Stummen, die ihm die seidene Schnur brächten, begleitet, unterwegs sei. Der Unmensch war entschlossen, die Habsucht seiner Feinde zu täuschen. Da seine Pferde das Kostbarste seines Besitztums waren, denn im Osten kostet gemeiniglich ein Pferd mehr als ein Weib, und er rühmte sich, einige aus der Stuterei des Königs Salomo zu besitzen, so stach er diese zuerst tot; und nachdem er auch alle Sklaven, die ihm in den Weg kamen, niedergestochen hatte, kam er in den Harem und mordete seine Frauen eine nach der anderen, aber nicht etwa aus Eifersucht, sondern bloß aus Bosheit. Meine Gebieterin hatte mich den Tag vorher geschlagen, weil ich ihre Ohrringe, die von großem Wert waren, vergessen hatte; und jetzt, gleichsam als eine Strafe des Himmels, riß der Barbar sie mit solcher Gewalt aus ihren Ohren, daß das Blut stromweise herunterfloß, und alsdann stieß er ihr den Dolch ins Herz. Er füllte seine Taschen mit den Ringen, Juwelen und Zierraten der Weiber und allen Kostbarkeiten, die er fortbringen konnte, bestieg das einzige Pferd, das er verschont hatte, und entwischte in das nächste Königreich.
»Sein Nachfolger kam, fand aber die Tore des Serails verschlossen, und nach vielem vergeblichen Anpochen wurden sie aufgesprengt. Er und sein Gefolge traten nun in eine Reihe leerer Säle und Höfe. Die Sklaven waren geflohen, und der Harem floß in Blut. Der Wundarzt entdeckte noch einige Zeichen des Lebens in mir und machte sich verbindlich, mich zu retten. Der neue Statthalter antwortete ihm, wenn er es könnte, so dürfte er mich auch für seine Mühe behalten. Er bildete sich wohl nicht ein, daß mein Oheim Großkanzler wäre.
»Endlich war meine Wunde geheilt, ich verdankte mein Leben dem Wundarzt; aber wie sehr verringerte sich meine Verbindlichkeit durch das, was ich seitdem gelitten habe! Als ich vollkommen wiederhergestellt war, verlangte er zur Belohnung seiner Dienste, daß ich seinen Wünschen Gehör geben möchte. Ich sträubte mich so sehr als möglich, wie es von jedem tugendhaften Weibe zu erwarten war; aber ich würde im Vergleich mit dem, was noch erfolgte, sehr glücklich gewesen sein, wenn ich ihm allein unterworfen geblieben wäre. Bald fand ich, daß seine Umstände es nicht erlaubten, einen solchen Aufwand, sich ein Weib zu halten, zu bestreiten. Er genoß indessen bloß das Vergnügen, da es ihm nichts kostete, bis er eine schickliche Gelegenheit fand, mich mit Nutzen loszuwerden. Endlich kaufte mich ein Sklavenhändler, und, wie ich mutmaßte, bloß für eine Kleinigkeit, denn unter allen den Sklavinnen, die mit mir auf verschiedenen Märkten zum Verkauf ausgeboten wurden, ward ich bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt.
»Ich will dich, mein lieber Bruder, nicht mit all den Plänen aufhalten, die ich einen Tag nach dem anderen entwarf, um meine Freiheit wiederzuerlangen, und wie ich immer in meinen Hoffnungen betrogen wurde. Einmal trieb mich die Verzweiflung so weit, daß ich zum nächsten Teich lief, um meinem unglücklichen Dasein ein Ende zu machen. Ein andermal war ich schon aus den Toren entwischt und wurde von den Verschnittenen zurückgebracht, die mich dann für diesen Versuch jämmerlich zerschlugen; denn die Mohammedaner haben so wenig Lebensart, daß sie gar kein Bedenken tragen, ein Weib zu schlagen; und ob ich gleich selbst niemals würde daran gedacht haben, so versicherte mir doch einst eine Sultanin, daß ein Verschnittener, da er selbst die Macht verloren hat, sie zu lieben, kein größeres Vergnügen kennt, als die Weiber zu geißeln, bloß um seine Augen an ihrer Blöße zu weiden.
»Auf der Reise wurde ich entweder in einen von Weiden geflochtenen Käfig, dessen Vorhänge fest zugezogen waren, und der auf einem Pferde befestigt ward, gesteckt, oder ich hing in einem Korb an der Seite eines Kamels. Ich wurde von Stadt zu Stadt, von Land zu Land geschleppt, immer in einen so dichten Schleier gehüllt, daß ich nichts von der Gegend erkennen konnte. Wenn wir an einem Ort ankamen, wurden wir bis zum Tag unserer Abreise im Karawanserei eingeschlossen, so daß ich ebenso wenig von den Städten, als von den Gegenden sah; und da ihre Namen sehr verschieden von denen sind, wie sie in Europa genannt werden, so weiß ich nicht einmal, wo ich gewesen bin. Hatte jemand Lust, uns zu kaufen, so hatte er die Freiheit, uns zu untersuchen; und da diese Käufer meistens Verschnittene waren, so mußten wir uns immer ganz nackend ausziehen. Sie befragten uns nun nicht allein durch Zeichen um unsere Talente, sondern wir mußten auch laufen, gehen, tanzen, über den Stock springen, ihnen ins Gesicht hauchen, unsere Zähne und so weiter zeigen. Mit einem Wort, ein Pferd auf einem Roßmarkt ist keiner genaueren Untersuchung unterworfen. O ihr Schönen in Frankreich und Italien, die ihr die Huldigungen eurer großmütigen Kavaliere empfanget, geht nur über das Mittelländische Meer und seht, welche Erniedrigungen eurer dort warten!
»In jeder Stadt verkaufte der Sklavenhändler einige meiner Reisegefährtinnen und kaufte andere, aber niemand wollte mich kaufen. Ich hatte wahrscheinlich schon Algier, Tunis und Barka durchreist und war vollkommen unwissend, in welchem Teil von Afrika ich mich jetzt befände, als eines Tages ein starker Wind meinen Schleier hinwegwehte und ich zum erstenmal seit mehreren Monaten eine freie Aussicht genoß. Ich sah die Pyramiden von Ägypten; sie waren zwar noch in einiger Entfernung von mir, doch die ungeheure Größe der Gebäude warf einen Schatten über die ganze Ebene. Ja, mein lieber Walter, ich war in Ägypten. Welch eine Menge verwirrter Gedanken drängten sich in meinem Gedächtnis. Wie groß war die Unruhe meiner Gefühle! Wer hätte es wohl in den Tagen unserer Kindheit gedacht, als unsere gute Mutter so manchen Abend unserem Unterricht widmete, und wir die Geschichte der Ptolemäer, des Pompejus und Caesars lasen, wer hätte da wohl gedacht, daß ich bestimmt sei, das Land Ägypten und in einem solchen elenden Zustand zu sehen? Der edle Tempelherr Sir Reginald De Grey, dessen Bild in dem alten Saal du so oft bewundertest, dachte wohl nicht daran, als er den Sultanen Gesetze vorschrieb, daß eine seiner Nichten verdammt sei, solche Erniedrigungen an den Ufern des Nils zu erdulden. Doch meine Gedanken waren bald mit den kleinen Begebenheiten in unserer Heimat und in unserer Familie beschäftigt, und ich vergaß Pompejus, Cäsar und Kleopatra, um an meine gute Mutter, an Edmund und an Walter zu denken. Tränen standen mir bei dieser Erinnerung in den Augen, als der Kameltreiber bemerkte, daß mein Schleier fort war, und mir einen anderen brachte. Gern hätte ich noch nach den Pyramiden gesehen, aber er würde gewiß, wenn ich auch imstande gewesen wäre, ihm mein Verlangen durch Worte auszudrücken, über meine Neugierde gelacht haben. Wahrscheinlich war ich auch die einzige von der ganzen Gesellschaft, die es wußte, oder die sich je darum bekümmert hatte, von wem oder warum sie gebaut worden waren, die einzige, die jemals die berühmten Namen, die einst in diesem Lande lebten, vernommen hatte. Ich war gewiß die Unglücklichste bei der ganzen Karawane, und doch muß ich gestehen, der Gedanke meiner Überlegenheit gab mir eine kleine Genugtuung.
»Wir machten endlich in einer Stadt halt, und den nämlichen Abend fand auch der Sklavenhändler einen Käufer für mich, der ihm, nachdem er mich hinlänglich untersucht hatte, eine Summe Geldes bezahlte, die Tür meines Zimmers für diese Nacht zuschloß, den Schlüssel in seine Tasche steckte und den anderen Morgen wiederkam, um mich in sein Haus zu holen.
»Hier war ich wirklich schwach genug, bessere Tage zu hoffen, ein Strahl von Glückseligkeit leuchtete mir, kaum glaubte ich mich noch in einem mohammedanischen Lande. Die Türen und Fenster meiner neuen Wohnung hatten weder Gitter noch Riegel, sie standen beständig offen, und die Weiber, zu denen ich gesellt war, und die mich mit einer zutraulichen Art und mit einer Freimütigkeit aufnahmen, die ein Zeichen von Vereinigung und Eintracht waren, die selten unter den Weibern eines Harems herrschten, hatten die Erlaubnis, aus und ein zu gehen, so oft es ihnen beliebte. Zwei davon luden mich ein, mit ihnen einen Spaziergang durch die Stadt zu machen; und dies ist die einzige Stadt im Osten, wo es mir vergönnt war, mich umzusehen. Ich bekam eine sehr günstige Meinung von unserem neuen Herrn, der seine Weiber auf eine so freundschaftliche Art behandelte. Aber ich befürchtete, daß meine Gesellschafterinnen diese Freiheit etwas zu weit ausdehnten; denn obgleich alle Weiber, denen wir, und zwar selten, auf den Straßen begegneten, bis an die Fingerspitzen eingehüllt waren, so gingen meine Freundinnen nicht allein ohne Schleier, sondern trugen auch ihre Busen auf eine unanständige Art unbedeckt, und anstatt, wie der Anstand den Weibern sowohl in Afrika als in Europa befiehlt, bescheiden zurückzubleiben, lachten und nickten sie jedem Mann zu, der vorüberging. Ich errötete oft statt ihrer und war nur besorgt, daß es ihr Gemahl oder Herr (denn ich wußte nicht, ob sie Ehefrauen oder Sklavinnen waren) erfahren und uns künftighin einschließen möchte.
»Meine größte Verwunderung erregte aber die Musik, die wir jeden Abend hatten, und daß unser Herr so wenig Eifersucht in seinem Charakter zeigte, daß er uns sogar erlaubte, vor Fremden zu tanzen. Ich bildete mir ein, er müsse gereist sein und die Sitten Europas in sein Haus aufgenommen haben; auch hoffte ich anfänglich, daß er mit einer europäischen Sprache bekannt sein würde, in der ich mit ihm sprechen und eine Summe für mein Lösegeld festsetzen könne; denn von der Sprache des Landes wußte ich nur so viel, um nach den gewöhnlichsten Sachen fragen zu können.
»Endlich stellten die Ruhe, eine Art Zufriedenheit und das gute Leben meine Gesundheit völlig wieder her, und man bezeugte mir eine größere Aufmerksamkeit als sonst. Ich wurde in eines der schönsten Zimmer gebracht und jeden Morgen ins Bad geführt, was in diesem heißen Klima keine geringe Erquickung ist. Mit meiner unglücklichen Schönheit kehrte auch mein ganzes Unglück zurück. Meines Herrn Gleichgültigkeit dauerte zwar noch fort, aber er übertrug sein Recht allen seinen Gästen, und jede Nacht mußte ich mich dem Entsetzen einer neuen Umarmung unterwerfen. Gewöhnlich waren diese Gäste Kameltreiber, Maultiertreiber oder andere der Art aus der Hefe des Volks, die, mit Schmutz und Schweiß von der Reise bedeckt, kamen. Aber die schlimmsten und häufigsten waren die Derwische, noch plumper und weniger liebenswürdig als die Kapuziner in Europa. Oh, mein lieber Walter, hast du die Geduld, diese entehrende Schilderung anzuhören? Ach, jene Zeiten sind vorüber, wo das Schwert eines Bruders der Schande und dem Elende seiner Schwester würde ein Ende gemacht haben.«
»Erlaube mir, dich zu unterbrechen,« sagte Walter; »weißt du gewiß, daß du noch in Ägypten warst? Ich möchte vielmehr mutmaßen, daß du in die Hände des Oberhaupts der Drusen gefallen wärest, der jeden Reisenden, der durch Martuan kommt, das ungefähr zehn Meilen von Aleppo liegt, einladet, sich ein Weib aus seinem Serail zu wählen.«
»Nein, lieber Bruder,« antwortete Emma. »In meiner Meinung, daß ich noch in Ägypten wäre, bestätigte mich, daß einige Monate im Jahr die ganze benachbarte Gegend unter Wasser stand. Und doch waren es immer bloß Mutmaßungen, und ich war noch nicht gewiß, in welchem Lande ich mich befände, als ich eines Abends den Umarmungen eines Fremden überliefert wurde. Ich sträubte mich gegen seine Versuche, denn eine lange Reihe von Unglücksfällen hatte meinen Mut noch nicht unterjocht. Er geriet in Hitze und fluchte über meine Hartnäckigkeit mit einem Strom italienischer Flüche. Es war so lange, daß ich nicht ein Wort von einer europäischen Sprache gehört hatte, daß ich vor Freuden bei dem bloßen Schall der Worte, die, wie ich fürchte, die härtesten Gotteslästerungen waren, in die Höhe sprang, mich ihm zu Füßen warf und ihn bat, meiner Tugend zu schonen. ›Wer hätte wohl solche Weigerung in einem Bordell gesucht,‹ sagte er.
»Ich war nahe daran, bei diesen Worten umzusinken; ich erfuhr aber zu meinem Entsetzen, daß in allen Städten und Dörfern längs dem Nil Bordelle wären, wo die Reisenden umsonst bewirtet werden, und daß mancher reiche Muselmann es auf seinem Totenbette als ein Verdienst ansieht, diese Häuser der Gastfreundschaft zu stiften und sie zu diesem milden Endzweck mit Mädchen zu versorgen Siehe Buffon.. – O Walter, in dessen Gegenwart ich immer bei der Erinnerung meines ersten Fehltritts zitterte, darf ich wohl den Mut haben, fortzufahren? Laß mich über diese Szenen von Schande hinwegeilen.
»Dieser Fremde war ein italienischer Renegat. Er seufzte und bekannte mir, daß er unglücklich sei; und wohl mochte er es sein, da er die Religion seiner Väter verlassen hatte. Ich entdeckte ihm meine Geburt und meinen Stand in England und versprach, sein Glück zu machen, wenn er mir bei meiner Flucht beistehen würde. Er willigte ein, versprach, die nächste Woche wiederzukommen, um zu verlangen, noch eine Nacht mit mir zuzubringen. Indessen wollte er ein Kamel mit allen Notwendigkeiten zu unserer Flucht versehen, des Nachts wollten wir uns aus dem Fenster hinunterlassen, und ehe der Morgen graute, sollte uns keiner unserer Verfolger mehr einholen können, die sich übrigens auch keine große Mühe geben würden, ein gemeines Freudenmädchen wiederzuerhalten. So tief war ich entehrt, daß ich mir sogar schmeichelte, meine Niedrigkeit sollte etwas zu meiner Sicherheit beitragen.
»Die Zeit schien mir während dieser ewigen Woche ihre Flügel verloren zu haben, ich zählte jede Stunde, ja jeden Augenblick, ich hörte die Priester auf den Minaretten jedes Gebet ankündigen. Was aber meine Lage noch unerträglicher machte, ich mußte mich alle Nächte den Umarmungen jedes Fremden, der sie verlangte, unterwerfen.
»Endlich war die Nacht, die der zu unserer Flucht bestimmten vorherging, erschienen; ich fühlte mich bei dem Gedanken meiner nahen Befreiung so glücklich, daß ich einem Kaufmann mechanisch zum Lager folgte und, während ich in seinen Armen lag, meine Gedanken einige tausend Meilen entfernt waren. Er stand den anderen Morgen auf, um seine Kamele anzuschirren, als er auf einmal das ganze Haus durch sein Geschrei: ›Diebe! Diebe!‹ erweckte. Seine Satteltaschen waren gestohlen worden, er forderte unseren Wirt vor den Kadi. Da aber das Haus eine milde Stiftung war, das kein Vermögen zu einer außerordentlichen Ausgabe hatte, so schmeichelte sich vielleicht der Kadi, ein Urteil wie ein zweiter Salomo gefällt zu haben, indem er dem Kläger erlaubte, seine Bettgefährtin für die Sache, die er verloren hatte, zu behalten. Stelle dir meine Verzweiflung vor! In der folgenden Nacht hoffte ich frei zu werden und mich auf dem Wege zu Edmund und vielleicht auch zu dir, mein lieber Walter, zu befinden. Ich weinte, ich bat, ich sträubte mich; alles umsonst. Welcher Mohammedaner nimmt auch einige Rücksicht auf die Tränen, die Bitten oder den Widerstand eines Weibes? Ich wurde auf das Kamel anstatt der gestohlenen Satteltaschen gesetzt, und nach einer langen und beschwerlichen Reise durch eine Wüste kamen wir in einer Stadt an, die, wie ich zu glauben Ursache habe, Aleppo war.
»In diesem Ort wohnte ein britischer Konsul und eine beträchtliche Anzahl Europäer. Ich hoffte hier eine Gelegenheit zu finden, mich jemandem entdecken zu können und mein Lösegeld zu verschaffen; aber auch hierin wurde ich getäuscht. Ein englischer Kaufmann hatte es gewagt, mit seiner unverschleierten Frau über die Straße zu gehen, und ein Türke hielt sich berechtigt, ihn zu beleidigen und laut Frangi Cucu auszurufen, denn die Türken halten es für eine ausgemachte Sache, daß jeder Europäer, der nach ihrer Meinung schwach genug ist, seine Frau auf eine freundschaftliche Art zu behandeln und einiges Zutrauen auf ihre Ehre zu setzen, auch ein Hahnrei sein muß.
»Unser Landsmann verlor seine Geduld und hatte die Unvorsichtigkeit, den Beleidiger zu schlagen. Das Volk war aufgebracht, daß ein Christ es gewagt hatte, einen Mohammedaner zu schlagen; der Magistrat konnte seine Wut nicht im Zaum halten. Mehrere Häuser der Kaufleute wurden geplündert, und sie selbst veranlaßt, die Stadt zu verlassen, bis der Sturm sich gelegt hätte; und mein Herr verließ Aleppo, noch ehe sie wieder zurückkamen.«
»Meine liebe Emma,« sagte Walter, sie unterbrechend, »welch ein grausames Verhängnis hielt uns voneinander getrennt! Wir waren vielleicht also mehrmals eins dem anderen so nahe, und immer stieg ein Hindernis zwischen uns auf. Ich war zu der Zeit in Aleppo – die Möglichkeit, eine Nachricht von dir zu erhalten, hatte mich dahin geführt – und der nämliche Aufruhr beschleunigte auch meine Abreise nach Bagdad.«
»Wir reisten bald auch nach Bagdad ab,« fuhr Emma fort; »und würde wohl einer, dem die mohammedanische Grobheit fremd ist, begreifen, auf welche Art? Ich, die in England keinen Spazierritt über ein paar Stunden auf dem frömmsten Pferd und dem weichsten Sattel gemacht hatte, war jetzt genötigt, zehn Meilen in einem Tag zu reiten, bis ich eine Reise von zweihundert Meilen auf dem schlechtesten Wege und dem elendesten Pferde zurückgelegt hatte. Doch wer kann die Grenzen der weiblichen Geduld überschreiten? und wer weiß denn, welche Beschwerlichkeiten und Strapazen ein Weib imstande ist zu ertragen? In diesem heißen Klima, öfters mit Staub bedeckt und fast erstickt aus Mangel an frischer Luft, war ich doch gezwungen, mit meinen mich schmerzenden Beinen und meiner wunden Haut mich auf dem Rücken eines Pferdes, und sogar in einem leinenen Sack Siehe Cambels Reisen., fortstoßen zu lassen.«
»O ja,« antwortete Walter, »ein Augenzeuge solcher Grausamkeit kann es wohl begreifen. Auf der nämlichen Reise zwischen Mosul und Bagdad schlossen wir uns, ich und mein Führer, eines Morgens an eine kleine Karawane an, und ich sah einen Sack aufrecht auf einem Pferd sitzen; wie groß war aber meine Verwunderung und mein Unwille, als ich erfuhr, daß es ein Weib sei! Bald darauf sah ich sie von ihrem Pferd herunterfallen. Ich sprang zu ihrer Hilfe herbei, aber ihr Herr, ohne das geringste Mitleid zu zeigen, stieß mich zurück und sagte mir, daß ich mich um meine eigenen Angelegenheiten bekümmern sollte. Ich fürchte, der Fall möchte ihr einigen Schaden verursacht haben, denn wir setzten unsere Reise ohne sie fort.«
»Ich betrog mich also nicht,« rief Emma, »es war kein Traum, keine Täuschung meiner Phantasie! Ich hörte wirklich deine Stimme, lieber Bruder. Es ging mir durch das Herz, und der bloße Schall machte mich ohnmächtig. Als ich wieder erwachte, befand ich mich mit dem Kaufmann in einem elenden Karawanserei allein, alle die anderen hatten uns zurückgelassen. Deine Worte blieben in mein Gedächtnis eingeprägt, aber doch konnte ich nicht mit mir einig werden, ob es wirklich wahr, oder ob es bloß ein leerer Traum gewesen sei.«
»Ach, meine Schwester,« sagte Walter, »ich war kaum Herr über meine Gefühle, als ich nach meiner Vorstellung ein für mich sehr gleichgültiges Weib in einem solchen Zustand sah; aber hätte ich dazumal nur die leiseste Ahnung haben können, daß du es wärest« …
Walter konnte nicht weiter reden. Unwillkürlich krampfte sich seine Hand zusammen, und er knirschte vor Wut mit den Zähnen. Emma lehnte sich mit ihrem Kopf an seine Schulter und vergoß einen Strom von Tränen.
Nach einem kurzen Stillschweigen rief ein Stoß des Kamels Emmas Gedanken zurück, und sie fuhr fort: »Kein Wunder, daß du mich nicht in Bagdad entdecktest; ich war dort in einem Raum von zwölf Fuß ins Geviert eingeschlossen, ein Hof, der nicht breiter war als unser Hof zu unserem Londoner Hause und der auch noch mit einer hohen Mauer umgeben war, wurde mir zur Bewegung erlaubt. Meine Fenster gingen nicht auf die Straße und im Fall sie auch die Aussicht dahin gehabt hätten, so würde sie doch mein Herr bald verschlossen haben. Lebendig begraben, sah ich kein menschliches Wesen, als den ekelhaften alten Mann. Ich wußte nichts, was in der Stadt vorging. Kein Vergnügen, keine Arbeit, kein Buch – ich hätte vor Langeweile sterben mögen. Wie unglücklich ist das Weib in Europa, das an einen alten Gecken, der vielleicht alt genug ist, um ihr Vater zu sein, verheiratet ist; und doch verlebt sie gewiß glückseligere Tage als ich damals! Wie unglücklich ist die Favoritin in dem Harem eines Sultans; aber sie kann doch wenigstens die Reize der Freundschaft genießen, wenn sie auch auf die der Freiheit Verzicht tun muß. Sie lebt unter ihren Gefährtinnen, sie genießt Gesellschaft. Aber urteile nun, wie elend die Beischläferin eines armen Muselmannes sein muß; denn er kann ihr nicht einmal eine Sklavin geben, die ihre Einsamkeit mit ihr teilt, oder einen Verschnittenen, der ihre Keuschheit bewacht, sondern muß sie immer wie ein Pferd in einem Stall einschließen. Ich glaube wirklich, ich hätte, wie der Gefangene in der Bastille, eine Spinne zu meinem Liebling machen können; und wäre ich des verworfensten Verbrechens schuldig gewesen, so hätte ich keine strengere, keine unerträglichere Strafe dafür erhalten können als diese Einsperrung. Dem Himmel sei gedankt, daß mir die Wahl nicht gelassen wurde, sonst, fürchte ich, würde ich vielleicht die Rückkehr zu dem Bordell in Ägypten meiner jetzigen Einkerkerung vorgezogen haben.
»In diesem traurigen Gefängnis war es, wo mich der Malteserritter besuchte, und er wird dir wahrscheinlich die Schrecken meiner Behandlung geschildert haben. Mehrere Monate waren seit meiner Abreise langsam dahingeschlichen, ich kann aber nicht sagen wie viele, denn ich hatte weder Feder noch Tinte und bemühte mich umsonst, jeden Tag in der Mauer zu bezeichnen. Manchmal erheiterte mich die Hoffnung, losgekauft zu werden, dann ließ mich wieder das Bewußtsein meiner eigenen Unwürdigkeit fürchten, daß meine Familie, die so gerecht auf mich zürnte, mich meinem Schicksal überlassen würde, damit meine Schande in ein fremdes Grab sinken möchte.
»Mein Herr war ein Krämer der niedrigsten Klasse, und du weißt, daß in den Morgenländern jedes Gewerbe seine eigene Straße hat und daß die Wohnungen der Handelsleute sehr oft in einem entfernten Teil der Stadt sind. Wenn mein Herr also des Morgens an sein Geschäft ging, hinterließ er mir meinen Mundvorrat auf den Tag und schloß die Tür hinter sich zu. Eines Abends kam er nicht wie gewöhnlich nach Hause, und ich wartete fast die ganze Nacht auf ihn; den anderen Tag kam er auch nicht, und ich war genötigt, das, was ich den Tag vorher übriggelassen hatte, zu essen; aber stelle dir meinen Schrecken vor, als er auch diese Nacht abwesend blieb. Den dritten Tag hatte ich nicht eine Krume und nichts Eßbares im ganzen Hause. Ich befürchtete, daß ihm irgendein Unfall möchte begegnet sein. Ich will nicht behaupten, daß ich seinetwegen ängstlich war, denn er war mir ein Gegenstand des Ekels und der Verachtung; aber der Schlag konnte ihn plötzlich getroffen haben, und dann war ich in Gefahr, zu verhungern. Umsonst pochte ich an die Tür und schrie aus allen Kräften, es dauerte lange, ehe man mich hörte; und als meine Stimme endlich meine Nachbarn erreichte, da verstand niemand meine gebrochene Sprache, und sie glaubten, was dort so oft vorfällt: daß ein Mann sein Weib schlüge. Zwei Tage vergingen noch, und niemand kam auf mein Geschrei; ich war fast ohnmächtig vor Hunger, heiser vom Schreien und wahnsinnig vor Verzweiflung. Zufällig fielen meine Augen auf ein Bündel dürres Reisigholz, ich schlug Feuer auf, steckte die Tür in Brand und entkam durch die Flamme. Wenn ich an meine Entschlossenheit denke, die ich jenen Tag zeigte, so kenne ich mich selbst kaum mehr. Doch die Flammen, die mich retteten, teilten sich unserem Wohnhaus, das nur von Holz war, mit, und nicht lange darauf stand die ganze Straße in Flammen.
»Nun wurde ich noch einmal vor den Kadi geschleppt; doch der Hunger verbannte alle meine Furcht, und ohne auf die schweren Klagen zu hören, die meine Nachbarn gegen mich vorbrachten, machte ich bloß Zeichen, daß ich etwas zu essen wünsche, denn nun schon seit drei Tagen hatte ich nichts über meine Lippen gebracht. Als ich endlich wieder etwas Kräfte erhalten hatte, bemühte ich mich, die Sache auseinanderzusetzen. Mein Herr fehlte noch immer, und erst einige Wochen nachher fand man seinen Körper in einem Kanal, in den er, als er nach Hause gehen wollte, von Opium betäubt, hineingefallen war. Ich war nun ohne Herrn und wurde zur Schadloshaltung für diejenigen, die durch das Feuer gelitten hatten, verkauft. Ich wurde von einem anderen Krämer gekauft, der noch erbärmlicher als der ärmste Tagelöhner einer Manufakturstadt Englands lebte, in dessen enger Hütte ich fast vor Tabaksrauch erstickte; und doch gestattete mir seine Eifersucht nicht, an einem vergitterten Fenster, das auf die Straße ging, Luft zu schöpfen.
»Dieser Mensch war der lasterhafteste Schurke. Als er eines Abends alles Geld in einem Kaffeehaus verspielt hatte, holte er mich und setzte mich aufs Spiel. Derjenige, der mich gewann, setzte mich wieder darauf; und so ging es fort, daß ich selbst nicht weiß, wie oft ich meinen Herrn unter diesen schändlichen Spielern in dieser Nacht gewechselt habe. Ich stand, in meinen Schleier gehüllt, zitternd da und wurde immer hinter einen Sitz nach dem anderen geschoben, so wie das wechselnde Glück entschied. Am Ende des Spiels gehörte ich einem Perser, der eben von einer Pilgerschaft nach Mekka zurückkam, wo er drei Ellen Leinwand zu einem Totenhemd, in dem er begraben sein wollte, gekauft hatte. Mit ihm kam ich in Ispahan an.
»Ich gehörte jetzt dem aller abergläubischsten und bigottesten Menschen an, der sogar an glückliche und unglückliche Tage glaubte, von welcher Abgeschmacktheit er mir eine Probe gab, als wir von Bagdad abreisten; denn um seine Reise nicht mit dem Dienstag anzufangen, verließ er die Stadt noch am Montag in der Nacht, obschon bei einem schrecklichen Sturm und ohne Mondschein. Kein Christ kann fester an die Gottheit Jesu und an die Wahrheit der Bibel glauben, als er an die Sendung der hundertundfünfundzwanzigtausend Propheten und an Mohammed, das Siegel aller Weissagung, glaubte. Er fastete mit der größten Pünktlichkeit und trug einen Talisman an seinen Arm gebunden, der aus einem Spruch des Propheten Ali, auf eine silberne Platte gegraben, bestand. Er unternahm nicht die geringste Sache, ohne vorher erst einen Derwisch zu Rate gezogen zu haben, der sich so gut wie irgendein päpstlicher Mönch darauf verstand, sein Schäfchen zu scheren. Ob er gleich ebenso eifersüchtig war, wie jeder seiner Landsleute, so setzte er doch so viel Zutrauen in diesen Mann Gottes, daß er mich sogar mit ihm allein ließ; und dieser Priester machte sich nicht allein kein Gewissen daraus, seinen Freund zu betrügen, sondern schien auch verwundert, daß ich mich dem widersetzte. Er machte seines Freundes Vertrauen lächerlich und sprach ohne Umstände die Sprache der Unkeuschheit mit mir. O mein lieber Bruder, wem soll man glauben, wenn die Diener Gottes über die Pflichten der Religion spotten, zu der sie sich bekennen? Wie schamlos und frech tat mir dieser seinen schändlichen Vorschlag! Ich habe bemerkt, daß die mohammedanischen Weiber kein Gefühl für Ehre und Tugend haben und bloß durch Riegel und Schlösser im Zaum gehalten werden können. Weit entfernt über Betrug zu schaudern, finden sie im Gegenteil ebensoviel Vergnügen daran, ihren Gatten oder Herrn zu betrügen, als ein kleines Schulmädchen fühlt, wenn sie ihre Gouvernante überlistet hat. Mein Bruder Walter hat, hoffe ich, eine zu gute Meinung von mir, als daß er mich einer freiwilligen Übertretung für fähig halten sollte; wenn ich sündigte, geschah es aus Notwendigkeit und nicht aus Wahl, und der Himmel, hoffe ich, wird nur den Willen und nicht die Tat wägen. Mein Widerstand erregte nur die Begierden des Pfaffen noch mehr. Mein Herr wurde krank, und sein falscher Freund wirkte so gut auf die Furcht und Angst seines Gewissens, daß er ihn überredete, seine Krankheit sei eine Strafe des Himmels, weil er unter einem Dach mit einer Feringi, so werden die Christen in Persien genannt, lebe. Der kranke Mann entschloß sich noch den nämlichen Tag, den gefährlichen Gegenstand zu entfernen; aber er war zu schwach, um mich selbst auf dem Markt zum Verkauf aufzustellen. Der Pfaffe beteuerte, daß er sich durch meine Berührung nicht beflecken wolle; doch endlich schien er den dringenden Bitten des Freundes nachzugeben und entschloß sich, mich zum Besten einer benachbarten Moschee, die dafür Gott um die Wiedergenesung des Wohltäters bitten sollte, zu verkaufen. Aber anstatt mich zu verkaufen, führte mich dieser Erzheuchler, der ebensowenig Gewissensbisse fühlte, die Kirche wie seinen Freund zu betrügen, in seine Wohnung zu seinem eigenen Gebrauch.
»Alle Beschimpfungen, die ich in dem Bordell erlitten hatte, waren nichts im Vergleich mit dem, was ich nun erdulden mußte. Dort war meine Schande öffentlich, und alles, was öffentlich geschieht, auch selbst das Laster, verliert von seiner eigentümlichen Grobheit und behauptet eine gewisse Art von Schicklichkeit über das, was im Dunkeln schleicht. Mein neuer Herr und noch zwei andere Derwische pflegten meistenteils sich in seine Kammer zu begeben, und nachdem sie sich in Wein und Opium ganz benebelt hatten (denn diese Pfaffen spotteten aller Gesetze ihrer Propheten), zwangen sie mich, nackend vor ihnen zu tanzen. Doch diese Schändlichen merkten bald, daß ich mich nicht für sie schickte, denn ich konnte nicht lächeln, um ihre Lüste zu reizen, und meine Tränen träufelten in den Becher der Freude. Als endlich einer der Genossen ein unglückliches, leichtsinniges Mädchen entdeckt hatte, die fähiger war, ihren Orgien mehr Lebhaftigkeit zu geben, verkauften sie mich an ein altes Weib, die einige elende Mädchen in dem Viertel der unverschleierten Weiber hielt. Wegen der großen Anzahl von Freudenmädchen, denen von der Polizei verboten ist, Schleier zu tragen, wird ein Teil von Ispahan, der in ebenso schlechtem Ruf steht, wie der Königsplatz in London, so genannt.
»Meinen Aufenthalt dort will ich dir nicht beschreiben; ich war so sehr an jede Art von Schrecknissen gewöhnt, daß nichts mehr fähig war, mein Erstaunen zu erregen. Nichts war mir dort neu, als der schändliche Spott, den die Perser mit ihrer Religion treiben. Der Wollust und dem Aberglauben gleich unterworfen, drückt sie ihr Gewissen selbst in ihren Vergnügungen; und um dieses zum Schweigen zu bringen, haben sie eine Art Genußkontrakte Siehe Chardins Reisen. ausgedacht, denn es würde gottlos sein, sie Ehekontrakte zu nennen, worin der Besitz für eine, zwei oder drei Stunden, oder auch für eine ganze Nacht, bestimmt ist. Diese werden förmlich von beiden Teilen unterzeichnet, und die Pfaffen, unter denen mein letzter Herr einer der besten Kunden des Hauses schien, waren immer bei der Hand, um ihren Segen zu einer solchen rechtgläubigen Unzucht zu geben.
»Endlich wurde ich aus diesem Ort des Elends und des Abscheus befreit. Die Mutter des Schahs hatte von einer europäischen Handlungsgesellschaft ein Klavier zum Geschenk bekommen. Kein Weib in dem Harem wußte darauf zu spielen. Ein öffentlicher Ausrufer wurde also durch die Stadt geschickt und bot bei Trommelschlag für diejenige europäische Sklavin, die in der Musik geschickt sei, eine große Summe. Ich war in ganz Ispahan bekannt, die Neugierde hatte mir schon so viele Besuche verschafft, daß mein Schlupfwinkel nicht verborgen bleiben konnte. Der Oberstverschnittene kam im größten Staat nach dem Bordell; ich hätte ihn aber nicht für einen Beamten von so hoher Wichtigkeit angesehen. Am ganzen Körper zitternd, stellte mich die alte Hexe ihm vor, denn sie konnte die Ursache dieses Besuches nicht begreifen. Mit ernsthafter Amtsmiene fragte mich nun dieser Große nach meiner Fähigkeit in der Musik. Glücklicherweise hatte ich einige Arien spielen gelernt. Nach einer kurzen Beratschlagung, ob sie es wohl auch wagen dürften, eine Entjungferte aus einem Bordell in das kaiserliche Serail zu bringen, blieb ihnen keine Wahl übrig. Die Dame war entschlossen, eine Musikverständige zu haben, und der Verschnittene warf mir einen Schleier über. Ach, mein lieber Bruder, mein Geist war schon so niedergeschlagen, daß es mir schien, als ob mit dem Schleier meine Ehre, wenn nicht meine Tugend wiederhergestellt würde. Ich wurde in eine festverwahrte Sänfte gebracht, und einige Sklaven gingen mit Stöcken voraus, um das Volk wegzutreiben. Ich hörte die Tore des Serails hinter uns verschließen.
»Zwei Verschnittene brachten mich in das Bad und kleideten mich vom Kopf bis zu den Füßen nach persischer Mode. Welche Verkehrtheit des Geschmacks! Meine Beinkleider, die so weit waren wie Matrosenhosen, waren von dem reichsten Goldstoff und mit Baumwolle ausgefüllt, sodaß meine Beine wie ein Paar Mühlenpfähle aussahen. Mein Hemd von karmesinrotem Taft war bis auf den Busen offen und mit einem Gürtel und mit einer diamantenen Schnalle befestigt. Aber würdest du es wohl glauben, wenn du nicht selbst Persien bereist hättest, daß mein Haar, welches in geflochtenen Zöpfen über meine Schultern herabhing, rot gefärbt, und sogar meine Hände und Füße mit blutroter Farbe befleckt wurden?
»Dies war jedoch, mein lieber Walter, der glücklichste Zeitabschnitt meiner Gefangenschaft; ich hätte mich sogar glücklich gefühlt, wenn ich nicht für dein ungewisses Schicksal hätte zittern müssen, und wenn mein Geburtsland mir nicht manche Träne gekostet hätte. Ich lebte nicht allein in Ruhe, sondern auch im Überfluß. Und welcher Wechsel war dies! Ich schien zu träumen. Aus dem elendesten Viertel der Stadt gezogen, wohnte ich jetzt in einem Feenpalast Siehe Lady Wortley-Montagues Reisen.. Die Pracht des Harems erreicht keine Beschreibung, sie würde die Einbildungskraft und den Glauben übersteigen. Die Fußböden waren alle mit den reichsten Teppichen bedeckt. Die Winterzimmer waren mit eingelegter Arbeit von Perlmutter und farbigem Elfenbein getäfelt. Die Wände der für den Sommer bestimmten Zimmer waren mit Porzellan von Japan überzogen, und um ihnen zu gleicher Zeit eine angenehme Kühlung zu geben und das Ohr mit einem gefälligen rauschenden Ton zu vergnügen, fiel Wasser von einem Marmorbecken in das andere oder stieg als Springbrunnen in die Luft.
»Mit welcher Verwunderung erblickte ich aber den Pavillon, in dem ich nicht lange nach meiner Ankunft der Mutter des Schahs vorgestellt wurde. Die goldenen Vorhänge waren aufgezogen, Jasmin und Geißblatt, die sich, um die benachbarten Stämme der Bäume gewunden und ineinandergeflochten hatten, verbreiteten einen süßen Geruch und minderten die Heftigkeit der Sonnenstrahlen, und an der Decke waren alle Arten von Blumen gemalt, die aus goldenen Körbchen herunterzufallen schienen. Bei dieser ersten Vorstellung war jedoch meine Verwirrung zu groß, als daß ich imstande gewesen wäre, die Pracht des Saales zu bemerken.
»Auf einem drei Stufen hohen Sofa, mit den reichsten Teppichen geziert, saß meine neue Gebieterin und ruhte auf Kissen von weißem, reich gesticktem Atlas. Ihr Äußeres hatte nichts, was weder Liebe noch Ehrfurcht einflößen konnte. In ihrer Jugend konnte sie vielleicht schön gewesen sein, aber es mangelte ihren Zügen an Ausdruck; ihre Gestalt war kurz und dick, sie schien sehr gutmütig zu sein, wenigstens lachte sie immer. Ihre Kleidung war über allen Ausdruck reich; aber alles saß ihr schlecht, ihr Turban war alle Augenblicke nahe daran, herabzufallen; ihr Haar hing unordentlich über ihre Schultern. Sie rauchte aus einer langen Pfeife, die auf dem Boden ruhte.
»Zwei Verschnittene stellten das Klavier in den Zirkel, und ich erhielt den Befehl, zu spielen. Wahrscheinlich war ich zu verlegen, meine Hände zitterten, ich bebte wie Espenlaub. Kurz, ich gewährte keine Genugtuung; und die Dame gab bald das Zeichen zum Aufhören.
»Jetzt stellten sich eine Anzahl Mädchen in Reihen vor ihr Sofa, sie riefen mir die Gemälde der Nymphen zurück. Die ganze Natur konnte keine vollkommenere Szene von Schönheit darstellen. Vier fingen jetzt an, die schmelzendsten Arien auf ihren Gitarren zu spielen, die sie mit ihren Stimmen begleiteten, die anderen tanzten wechselweise. Wie verschieden war dieser Tanz von allem, was ich vorher gesehen hatte! Nichts kann künstlerischer und ausdrucksvoller sein, die Melodie so schwebend, die Bewegungen so schmachtend, begleitet von Pausen und hinsterbenden Blicken. Der Fühlloseste mußte hier bewegt werden. Ich bemerkte eine Träne in der Sultanin Auge, sie legte ihre Pfeife beiseite und befahl einer der Tänzerinnen, sich bei ihr niederzusetzen. Diese war eine ihrer Favoritinnen, denn sie küßte sie mit der größten Zärtlichkeit; bald darauf gab sie den anderen ein Zeichen, das Zimmer zu verlassen.
»Einige Tage verstrichen, ehe ich wieder in ihre Gegenwart gefordert wurde. Ich hatte meine erste Bestürzung besiegt und war nun vollkommen ruhig, mein Spiel auf dem Klavier erhielt den Beifall der Sultanin. Eine ganze Woche hindurch spielte ich jeden Nachmittag in ihrer Gegenwart, und wenn ich meine Augen aufhob, fand ich immer die ihrigen auf mich gerichtet. Einst, als ich aufgehört hatte zu spielen, rief mich die Sultanin zu sich, sagte mir, daß mein Hemd schlecht geheftet sei, und ließ sich herab, den Fehler mit ihren eigenen Händen zu verbessern. In diesem Augenblick fiel ihre schöne Favoritin in Ohnmacht Siehe von Totts Reisen. und den anderen Tag waren ihre Augen rot vom Weinen. Wahrscheinlich mußte sie einen Fehler begangen haben; denn als ich mein Spiel geendigt hatte, und die anderen Weiber das Zimmer verlassen sollten, und die Sultanin mir befahl, mich auf die Kissen an ihrer Seite zu setzen, fiel das arme Mädchen ihr zu Füßen, umfaßte ihre Knie und brach in eine Flut von Tränen aus. ›Aus meinen Augen!‹ rief die Sultanin, ›nichts von diesem lächerlichen Betragen.‹
»›Welche Anmaßungen von dem dummen Mädchen,‹ sagte sie; ›als ob ich nicht jeder, die ich für würdig halte, meine Gunst schenken könne, und dich finde ich nun liebenswürdiger.‹ Als sie dieses gesagt hatte, küßte sie mich mit vieler Wärme; sie fragte mich so viel wegen meines Schicksals, und meine Geschichte hatte so viel Anziehendes für sie, daß sie an jeder Kleinigkeit Anteil nahm. Sie war gewiß ein sehr gutes Weib, aber sie hatte ihre Eigenheiten; denn obschon sie sehr nachlässig in ihrer eigenen Kleidung war, so fand sie doch immer etwas an der meinigen zu tadeln. Sie veränderte alle Minuten den Ausschnitt an meinem Kleid, nestelte an meinem Busen und konnte mich doch niemals nach ihrem Geschmack finden.
»Ich begleitete jetzt nicht allein den Nachmittag die anderen Mädchen in ihr Zimmer, sondern ich mußte auch des Morgens auf dem Klavier spielen. Da die Kissen, worauf man gewöhnlich saß, zu niedrig waren, so ließ sie einen Stuhl nach europäischer Art für mich machen, und sehr oft teilte die Sultanin ihn mit mir. Sie hatte viel Gefühl für die Musik, öfters unterbrach sie mich, fiel mir um den Hals und bedeckte mich mit ihren Küssen.
»Ich war jetzt fast ebenso prächtig gekleidet als sie selbst und genoß ihre Gunst in einem solchen Grad, daß die Hälfte des Harems mir schon den Hof machte. Es verging kein Tag, wo ich nicht entweder für die eine eine Gunst zu erbitten hatte, oder mich für die andere, die einen Fehler begangen hatte, verwenden mußte. Ich fühlte mich bei diesen häufigen Gelegenheiten, meinen Freunden zu dienen, sehr glücklich. Doch ach! lieber Bruder, die Stelle einer Favoritin hat auch ihre Unbequemlichkeiten. Es fehlte mir nicht an Feinden, und sogar in dem Harem war eine Oppositionspartei, die alles mögliche tat, mich zu kränken. Sie übten jede kleine erbärmliche Bosheit, wie sie nur ein Schulmädchen erdenken kann, an mir aus. Eine davon ist zu lächerlich, als daß ich sie als kränkend empfunden hätte. Um mich als eine Christin zu ärgern, fingen sie jedesmal an, sobald ich erschien, wie die Schweine zu grunzen. Eine von ihnen hatte sogar die Verwegenheit, in mein Zimmer zu gehen und dort das Gemälde eines Tieres an die Wand zu kleben. Da sie aber niemals ein Schwein gesehen hatte, so sah es auch ebensogut einem Elefanten ähnlich. Ein Verschnittener ließ sie jedoch für die Übertretung des Korans, die Ähnlichkeit eines lebenden Geschöpfes nachzumachen, seine schwere Peitsche fühlen.
»Die Gunst der guten Sultanin war für mich eine hinlängliche Belohnung, und ich lachte über alles dieses; doch eine meiner Freundinnen warnte mich, auf meiner Hut zu sein, weil die in Ungnade gefallene Favoritin einen Anschlag auf mein Leben gemacht hätte. Ich hatte sie nicht beleidigt, man sagte mir aber, daß sie eifersüchtig wäre auf mich. Wie war das möglich? Ich hatte ihr ja keinen Geliebten geraubt, denn im ganzen Harem war nicht ein einziger Mann zu finden. Ich konnte also nicht begreifen warum, doch wenige Nächte nachher bohrte sie einer unserer Gefährtinnen, die so wie ich gekleidet war, den Dolch durch das Herz.
»Den Morgen darauf ließ mich die Sultanin zu sich kommen. ›Ach,‹ sagte sie mit Tränen in den Augen, ›in welcher Gefahr hast du diese Nacht meinetwegen geschwebt? Welche Entschädigung kann ich dir dafür anbieten? O daß du mich mit gleicher Zärtlichkeit liebtest! Ich kann dir nichts als meine Liebe geben, und diese schätzest du nicht!‹
»Ich beteuerte ihr meine Dankbarkeit und Zuneigung und fiel ihr zu Füßen.
»›Nicht zu meinen Füßen, sondern an meinem Herzen mußt du liegen; ach daß ich mich deiner Liebe wirklich schmeicheln könnte!‹ – Sie drückte mich an ihren Busen, und unsere Tränen flossen ineinander.
»›Wir könnten hier gestört werden, liebe Emma,‹ sagte sie. (Sie hatte meinen Namen gelernt, und ich hörte, daß sie ihn für sich mehr als einmal mit vieler Zärtlichkeit wiederholte.) ›Wenn du mich wirklich liebst, liebe Emma, so komm diese Nacht, wenn alle anderen Weiber schlafen, zu meinem Bett. Ach! wie schlägt mir mein Herz, dich in meine Arme zu drücken, in die Arme deiner zärtlichen Freundin. Lebe wohl, Emma, lebe wohl! Hüte dich vor dem zweiten Verschnittenen, er ist die Kreatur meiner Feindin, der Sultanin Zaida; würde er uns zusammen in einem Bett antreffen, so wären wir verloren. Küß mich und gib wir noch einmal die Versicherung deiner Liebe.‹
»In der Tat, mein lieber Walter, wenn ich über dies Betragen der Sultanin nachdenke (und ich denke oft an dies arme Weib und bedauere ihr unglückliches Ende), so bin ich fast gesonnen, zu glauben, daß sie wahnwitzig war; denn außerdem kann ich mir ihre Worte und Handlungen nicht erklären. In der Nacht schlich ich auf den Zehen nach ihrem Zimmer, mehr aus Neugierde als aus Gehorsam dahin geführt. Ihren Befehlen zufolge nahm ich mich sehr in acht, den Verschnittenen zu wecken, obschon ich nicht begreifen konnte, warum wir eine Entdeckung zu befürchten hatten. Aber, gerechter Himmel, was erblickte ich! Ich fand die gute Sultanin in ihrem Bett erdrosselt. Ihre Mörder hatten die schreckliche Schnur noch um ihren Hals gelassen. Welches Entsetzen erregte dieser Anblick in mir! Ich erholte mich endlich wieder und schlich unbemerkt in mein Zimmer zurück.
»Zitternd lag ich in meinem Bette, als auf einmal das ganze Serail in Aufruhr geriet. Eine jener Revolutionen, die in Persien so häufig sind, war jetzt ausgeführt worden. Die Sultanin Zaida hatte meine Gönnerin umbringen lassen, den Schah, nachdem sie ihn des Gesichts beraubt hatte, vom Thron gestoßen und ihren eigenen Sohn darauf gesetzt. Ich habe gehört, daß eine vor kurzem ausgebrochene Gegenrevolution dem blinden Prinzen wieder zu seinen Rechten verholfen habe; doch ach! seine unglückliche Mutter, sie, die mich mit solcher Güte behandelte: noch immer steht das Bild ihres Todes vor meinem Auge.
»Einige Tage nachher wurden ihre Sklavinnen an den Meistbietenden verkauft, und ich wurde von dem Sklaveneinkäufer des Sultans von Candahar gekauft.
»Der Charakter eines Harems, sowie einer despotischen Regierung, hängt immer von den persönlichen Fähigkeiten seines Herrn ab. Der Sultan von Candahar hatte von Natur einen sehr menschlichen Charakter, und es war eine seiner Favoritinnen, die von ihm den Befehl zur Hinrichtung seiner Brüder erpreßte. Er war wirklich sehr heftig, ja sogar blutgierig, wenn er in Wut kam; doch diese legte sich bald wieder, und seine Weiber taten alsdann, was ihnen gefiel. Er war eine Puppe, die seine Weiber nach Belieben bewegen konnten. Seine Mutter, die Sultanin Fatime, hatte ihm eine hohe Meinung von den Weibern Europas beigebracht, und wahrscheinlich war ich deswegen gekauft worden, um seine Neugierde zu befriedigen. Er tat mir die Ehre an, seine Augen auf mich zu werfen, und ich hätte vielleicht sehr geschwind den höchsten Posten in seinem Serail erlangen können; doch wurde ich bald seine Schwäche gewahr, und da ich den Begierden meiner Unterdrücker nur immer bloß aus Notwendigkeit und nicht aus freier Wahl unterlegen war, so entschloß ich mich, obgleich in einem Harem, doch tugendhaft zu bleiben; und während einiger Monate glückte es mir, ihn immer in der Entfernung zu halten. Mehr als einmal war ich in ein dunkles Zimmer bei Wasser und Brot eingesperrt, doch ich wurde immer durch die Fürbitte des Oberstverschnittenen wieder erlöst. Dieser Beamte war der beste Mensch von der Welt, und alle Weiber schätzten ihn, denn er war sehr artig und sehr gefällig. Doch plötzlich sahen wir ihn nicht mehr, und man flüsterte sich in dem Harem zu, daß er auf Befehl des Sultans wäre erwürgt worden. Seitdem tyrannisierte uns der Barbar Selim. Drei Tage vor der Ankunft der Naïren wurde ich in ein besonderes Zimmer gesperrt. Ich machte Selim Vorwürfe darüber, aber er, ebenso stolz als grausam, wollte sich nicht herablassen, einem Weibe seine Gründe zu sagen. Jetzt weiß ich wohl, lieber Bruder, daß deine Erscheinung ihm diese Vorsicht nötig gemacht hat; der listige Verschnittene hatte wahrscheinlich schon einige Tage zuvor seine Spione, die dich beobachteten, wollte mich aber doch nicht eher in Sicherheit bringen, bis er dich auf der Tat ertappen würde. Endlich kamen einige seiner Kreaturen in das Zimmer, wo ich eingeschlossen war, und steckten mich in einen Mehlsack. Ich glaubte, daß man irgendeine Reise vorhabe; alles, was ich zwischen Aleppo und Bagdad erlitten hatte, war noch frisch in meinem Gedächtnis. Aber welche unerhörte Martern mußte ich erdulden, als man mich, anstatt mich aufrecht zu stellen, quer über einen Sattel warf. Ich war ohnmächtig, als die Wache uns aufhielt. Die Gewalt, mit der ich auf das Pflaster fiel, und der Verlust des Blutes riefen meine Sinne wieder zurück, bloß um sie zum zweitenmal vor Freude zu verlieren; und ach! lieber Walter, wie groß war die Gnade des Himmels, denn als ich meine Augen aufschlug, erblickte ich wirklich meinen so lange verlorenen Bruder.«
»Liebe Emma,« sagte De Grey, indem er ihr fest ins Gesicht sah, »ohne Zweifel wird es dir einiges Vergnügen machen, wenn du hörst, daß jener artige und gefällige Verschnittene noch lebt. Er wurde in demselben Augenblick befreit, als die Stummen schon die schreckliche Schnur um seinen Hals gelegt hatten. Er ist in Kalekut angekommen, wo er sich der Neigung einer Engländerin rühmt.«
»Wahrscheinlich meint er mich,« meinte Emma mit der größten Unbefangenheit; »ich versprach, ihn zu heiraten, wenn er mich aus dem Harem befreien würde; denn so häßlich auch sein äußeres Ansehen ist, so ist doch sein Charakter sehr gut. Seit dem Verlust meiner Freiheit hatte ich nur immer die Teilnehmer meiner Schande wechseln müssen, und so glaubte ich, würden die Umarmungen eines Verschnittenen weniger strafbar sein als die eines Mannes.
»Wie kurzsichtig ist unsere Weisheit hienieden,« antwortete der Bruder. »Indem du den Gedanken an die Tugend sorgfältig in dir nährst, warst du nahe daran, vielleicht das erstemal in deinem Leben zu sündigen. Die Pflichten der Mutter sind an die Vergnügen der Liebe geknüpft, und du wolltest die einen genießen, ohne dich den anderen zu unterwerfen. Auf diese Art warst du wirklich im Begriff, ein Verbrechen zu begehen. Die Vorschriften der Moral müssen allgemein und unparteiisch sein und durchaus keine Ausnahme gestatten. Wenn wir eine Handlung begehen, sollten wir uns immer fragen: Was würden wohl die Folgen davon sein, wenn auch alle Menschen unserem Beispiel folgten? – Doch genug von diesem lästigen Gegenstand; ich kann nicht glauben, daß du irgendeine Neigung für den Schwarzen gefaßt hast. Dein Irrtum war verdienstvoll, denn er war ein Opfer, das du deinen Grundsätzen der Tugend bringen wolltest. Nein, Emma, du mußt Mutter werden.«
Emma: »Mutter? Wer sollte mich heiraten? – Nein, Walter, du kannst unmöglich über meine Befreiung ein Vergnügen empfinden; du kannst mich nie ohne Abscheu ansehen. Weit besser wäre es gewesen, wenn die Muskeln meines Herzens unter meinen Leiden geborsten wären, oder wenn ich, in meiner Gefangenschaft begraben, durch meine Qualen den Fehltritt meiner früheren Jugend ausgelöscht hätte. Da ich früher, durch die Tugenden jenes unglücklichen Verführers betrogen, deinen Zorn gegen mich weckte und deine Vorwürfe verdiente, wie darf ich jetzt nur meine Augen in deiner Gegenwart ausschlagen? Alle deine zärtlichen Besorgnisse, alle deine Liebkosungen seit unserem Zusammentreffen sind auch immer ebenso viele Dolchstiche in mein Herz gewesen. Nun weißt du aber den ganzen Umfang meines Verbrechens; du wirst, du mußt mich hier verlassen, meine Tränen mögen dann die Flecken von meiner Tugend abwaschen, aber nichts, nichts kann meinen guten Ruf reinigen. Unter Fremden bin ich den De Greys keine Schande, aber nie kannst du daran denken, mit einer Entehrten nach England zurückzukehren.«
Walter: »Nein, Emma, du sollst nie wieder nach England zurück, du sollst in Zukunft dem strengen Richterstuhl des Vorurteils nicht mehr unterworfen sein, England verdient dich nicht; aber eine großmütige Nation, die deine Unglücksfälle zu bemitleiden und deine Tugenden zu schätzen weiß, ist bereit, dich mit offenen Armen zu empfangen. Ja, Emma, du bist tugendhaft, bist es immer gewesen, und verdientest auch immer, glücklich zu sein. Ich hoffe, daß wir beide von unseren Vorurteilen sollen geheilt werden, und dann wirst du glücklicher sein, du wirst dich ihrer mit weniger Gewissensbissen erinnern als ich. Die Vorurteile machten dich bloß unglücklich, mich machten sie zum Verbrecher; die deinigen benetzten deine Kissen mit Tränen, und die meinigen färbten meine Hand mit dem Blut eines Nebenmenschen. Ach, liebe Emma, könntest du seit dem Mord deines Geliebten in mein Herz sehen, so würdest du dem Urheber deines Elends gewiß dein Mitleid nicht versagt haben. Du warst in der Einsamkeit, durch Mißhandlung und Gefangenschaft unglücklich, aber die Qualen meines Gewissens stellten mir sogar in dem Geräusch der Zerstreuung, in dem Glanz des Hofes, in dem Zirkel meiner Freunde, in den Armen meiner Geliebten, das blutige Bild meines Freundes vor Augen. Aber, um's Himmels willen, wenn du mich liebst, so nenne nie seinen Namen, noch erwecke die Schlangenbisse meines Gewissens. Nie kann ich an ihm meine Ungerechtigkeit wieder gutmachen, vielleicht aber freut sich der Geist dieses großmütigen Mannes über den Schutzort, den ich dir jetzt verschafft habe.«
De Grey fuhr nun fort, seiner Schwester eine Beschreibung von Hindostan und von den Sitten und Gebräuchen der Naïren zu geben. Er setzte ihr seine Verbindungen und Erwartungen am Hof des Samorins auseinander und erklärte ihr seine Absicht, sich in Kalekut niederzulassen, und er tat seiner Schwester den Vorschlag, den grünen Gürtel anzunehmen und eine Mutter der Helden zu werden.
Emma: »Nein, Walter, ich bin überzeugt, daß du jetzt bloß meine Grundsätze auf die Probe stellen willst. Meine langen Leiden haben meine moralischen Gefühle nicht zerstört, und obschon seiner Lehren unwürdig, habe ich den Glauben meines Landes nicht verleugnet. – Es ist ein Unterschied zwischen Religion und Aberglauben.«
Walter: »Wir nennen Religion, was wir selbst glauben, und was andere glauben, nennen wir Aberglauben. Jedes Volk hält seinen Glauben für den wahren. Du hast nun unter Türken und Papisten gelebt, du hast die Laster der Klöster und Serails gesehen, du hast Abbés und Derwische gleich unmoralisch gefunden, du bist sowohl durch Bigotte als durch Skeptiker mißhandelt worden. Gott weiß, welche Religion die wahre ist, vielleicht sind sie alle falsch. Doch der Glaube ist wahrscheinlich der vollkommenste, der der wohltätigste ist; und der muß Gott am meisten gefällig sein, der am nützlichsten für den Menschen ist. Glaube nicht, liebe Emma, daß ich wünsche, du sollest dich jedem ersten besten hingeben. Du kannst in Kalekut ebenso beständig sein, als irgendwo anders. Laß jede Sache ihren natürlichen Weg gehen. Wenn Beständigkeit natürlich ist, so wird sie von sich selbst bestehen, und wenn Unbeständigkeit natürlich ist, so kann sie nicht schädlich sein, denn das Gesetz der Natur ist das Gesetz Gottes. Gesetzt, meine liebe Emma, du fändest in Malabar einen neuen Geliebten, der deiner Liebe ebenso würdig wäre, als dein erster es war, würdest du ihn nicht, ohne durch das Gesetz daran gebunden zu sein, mit Beständigkeit lieben?«
Walter schwieg. Emmas Herz war so voll, sie konnte ihre Bewegung nicht zurückhalten. Ihr Mißtrauen gegen ihren Bruder war verschwunden. Sie schmiegte sich näher an ihn an und ruhte mit ihrem Kopf an seiner Brust.
Indessen näherte sich der Aufzug dem Indus, der die beiden Reiche voneinander trennt. Welch ein Unterschied zwischen den zwei Ufern! Die persische Seite öde und unbebaut; die indische bereichert mit der goldenen Ernte, belebt mit den reizendsten Dörfern und verschönert mit den prächtigen Lusthäusern.
Als das Kamel De Greys in die Fähre treten wollte, wurden sie von einem Beamten des Zollhauses angehalten. Sie waren erstaunt, als er, anstatt ihre Bagage zu durchsuchen, bloß sich ausbat, Emmas Hand zu besehen. Walter fragte nach der Ursache. »Dies«, antwortete er, »ist der Ort, wo unsere Vormütter auf Anraten Samoras ihre Eheringe in den Fluß warfen. Ketten sind aus Ringen zusammengesetzt, und in dem Lande der Freiheit erlauben wir keine Zeichen der Sklaverei.«
Als das Boot das andere Ufer erreichte, sprang ein Naïr hinein. Es war Naldor. Er bewillkommnete seinen Freund De Grey in seinem Mutterlande und überreichte ihm ein Diplom, in karmesinen Samt gebunden, an welchem in einer goldenen Kapsel das Siegel des kaiserlichen Phönix hing. In demselben Augenblicke hörte man den Donner der Kanonen, und Naldor rief: »Es leben der Graf und die Gräfin von Mangalore.«