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Zehntes Buch

Der nächste Morgen fand ganz Kalekut in der größten Tätigkeit, die Sonne war noch nicht im Osten erschienen, als schon die ganze Stadt in Bewegung war. Ihre Tore konnten kaum der Menge, die von den benachbarten Provinzen herbeiströmte, Einlaß gewähren. Der so ungeduldig erwartete Tag war nun erschienen, wie schrecklich langsam war die Zwischenzeit vergangen! Die Naïren fanden in dem Gedanken, der Mutter ihrer künftigen Regierer, in der Tochter ihrer einstigen Prinzessinnen, ihre Huldigung zu bezeichnen, so viel Trost, daß sie wie von einem goldenen Traum die Unterbrechung desselben fürchteten. Die Kanonen standen auf den umliegenden Hügeln bereit, den Ausgang zu verkündigen.

Der Samorin und die Fürsten des Reichs, der Großmeister und die Ritter des Phönix, die Herolde in ihren Zeremonienkleidern und der ganze Hof waren in der mütterlichen Halle versammelt. Der Waffenkönig rief die Tochter Agalvas auf, zu erscheinen, aber Agalvas Tochter antwortete nicht.

Eine Deputation der Fürsten wurde abgeschickt, sie zu rufen, sie fanden sie in ihrem eigenen Zimmer. Sie saß in tiefen Betrachtungen unter dem Bildnis ihrer Vorfahrin, der Samorina Mirva Ridaxina, jener erhabenen Geliebten des tapferen Maldor.

Ridaxas Tochter hatte vier Jahrhunderte zuvor in den Zeiten des alten Rittertums gelebt, aber ihr Verdienst war noch stets in dem Andenken der Naïren, ihre Taten erzählten jedes Geschichtsbuch und jede Schule in Hindostan, ihr Bildnis wurde in dem kaiserlichen Palast aufbewahrt, und über diesem hing der berühmte Bogen.

»Seid Ihr wirklich der Meinung,« rief die junge Samorina den Fürsten zu, »daß ich ein Abkömmling von Mirva bin?« – »Prinzessin,« antworteten sie, »wir erschienen bloß, um Euch aufzufordern, unsere Huldigung als solche anzunehmen.«

»Seid Ihr zufrieden, wenn mein Körper nur von ihr abstammte? Nein, Ihr sollt finden, daß ich auch ihren Geist mitgeerbt habe.«

Und Osva folgte den Fürsten, und nachdem sie die Lage ihrer Landsmännin hinlänglich geschildert hatte, redete sie die Versammlung auf folgende Art an:

»Als ich verwichene Nacht lange genug über ihr Unglück nachgedacht hatte, ging ich zu Bette, ich kann nicht sagen zur Ruhe, als Mirvas Bildnis sich verächtlich von mir zu wenden schien und die Sehne des Bogens entzweibarst. Ich fuhr erschrocken empor – es war nur ein Traum, aber ich überlegte, daß Mirva wohl mit Recht über eine Nachtochter zürnen könnte, deren Eitelkeit alle Helden des Ostens in nutzlosen Feierlichkeiten beschäftigte zu einer Zeit, wo ihre hilfslose Landsmännin in Gefangenschaft trauert. In welch eine Tiefe von Elend muß dies arme Weib gefallen sein, da ihr Unglück sie nötigen konnte, wahrscheinlich in der Hoffnung, um in ihm ein Werkzeug ihrer Befreiung zu finden, einem Verschnittenen, doch nur aus Verstellung, einen Vorzug einzuräumen! Wer unter Euch wird sich für ihren Ritter erklären? Diese Engländerin muß auch meine Zufriedenheit teilen und Euren Triumph schmücken.«

Kaum hatte sie geendigt, als tausend Schwerter aus ihren Scheiden flogen und der Boden mit tausend Handschuhen bedeckt war.

»Geh,« rief der Samorin seinem Neffen zu, »und möge diese Abwesenheit glücklicher sein, als es die letzte war. Möge doch diese eine verlorene Schwester oder eine trostlose Mutter an den Busen ihrer Familie zurückbringen. – O Firnos! wenn deine Mutter jetzt unter uns wäre, wie glücklich würden wir sein!«

Der Tag zur Huldigung wurde verschoben, und dies Unternehmen, gleich einem herbstlichen Sturm, trieb jeden kühnen Abenteurer unbeschwert von Weib und Kindern und frei von häuslichen Sorgen an die persischen Grenzen, und Krieger zahllos wie das Laub der Bäume bedeckten die Ufer des Indus.

Zwölf Fürsten des Reichs mit ihren ergebenen Begleitern gesellten sich zu dieser Versammlung von Helden. Angefeuert durch ihren erblichen Haß gegen die Mohammedaner hatten ihre Vasallen ihre Zelte aufgeschlagen und warteten auf das Signal zur Abreise. Die Sonne spiegelte sich in ihren glänzenden Waffen, und der Wind trieb ihre flatternden Paniere hochgebauscht in die Luft. Der Großmeister hatte alle seine Ritter, die geschworenen Verteidiger der weiblichen Freiheit, ins Feld gerufen. Fünfzehnhundert Kavaliere, deren jeder von vier edlen Müttern abstammte, gehorchten willig dem Ruf ihres Oberhaupts. Der reichverzierte Phönix an ihrer Brust unterschied sie von ihren minder edlen Begleitern.

Endlich erblickte die Armee die Türme des Serails. Durch gewaltige Märsche war sie bis hierher gekommen, um den Ort während der Abwesenheit des Sultans zu überrumpeln. Der junge Schah, den erst vor kurzem wieder eine Revolution auf den Thron von Ispahan gesetzt hatte, dem aber keine Macht in der Natur sein Gesicht wiedergeben konnte, das ihm der Neid seines eigenen Bruders geraubt hatte, wünschte die Allianz mit Candahar, und der Sultan hatte eine seiner eigenen Schwestern von dem gemordeten Körper ihres Mannes, den anzunehmen er sie vorher gezwungen hatte, hinweggerissen und den Schah an die Grenzen ihrer Besitzungen geladen, um dieses Opfer seines Ehrgeizes in die Arme eines blinden und ekelhaften Gecken zu begraben.

Wer könnte den Unwillen der Naïren beim Anblick eines Serails beschreiben? Der Anblick einer Bastille kann einen Briten nicht mehr in Wut gebracht haben. Der Fußknecht, nur Rache atmend, stieß einen Fluch des Entsetzens aus, und der Ritter drückte seinem mutigen Roß die Sporen tief in die Seite.

Die Armee hatte nun das Serail umringt, es schien selbst eine Stadt zu sein. Sogar der Eingang war besetzt, als man einen Sklaven, der mit Aufträgen des Sultans angekommen war, zitternd vor den jungen Prinzen führte. Folgenden Brief fand man in den Falten seines Turbans:

»Der Sultan von Candahar an Selim, von jetzt an Obersten der Verschnittenen:

»Ich vertraue Deinen Händen eine eiserne Rute an, ich übergebe Dir eine Gewalt ohne Grenzen. Befiehl in dem Serail mit derselben Gewalt wie ich selbst. Furcht und Strafe bezeichne jeden Deiner Schritte von Gemach zu Gemach. Verbreite Schrecken durch das ganze Serail; fange mit den Sklavinnen an, lege sie auf die Folter, und schone auch dabei meiner geliebtesten nicht. Mit Deinem Kopf stehst Du mir für jeden ihrer Fehler, denn ich unterwerfe sie alle Deinem unerbittlichen Richterstuhle und bestelle Dich zu dem Werkzeug meiner Rache, der einzigen Leidenschaft, die ich jetzt empfinde. Übe Deine neue Gewalt aus, aber ohne Mitleid, ohne Gefühl. Ich habe meinen Weibern geschrieben, daß sie Dir blindlings gehorchen sollen. Verwirrung ergreife die Schuldige in Deiner Gegenwart. Ich argwöhne, daß der Brief an Zelis war. Wache über sie mit den Augen eines Luchses. –«

»Der Sultan an seine Gemahlinnen und hie Weiber seines Harems:

»Dies sei der Donnerschlag, der mitten in das Entsetzen eines Ungewitters niederfällt! Selim ist Euer Oberstverschnittener, aber nicht um Euch zu bewachen, sondern Euch zu strafen. Lasset den ganzen Harem sich vor ihm beugen. Er ist der Richter über Euer vergangenes und Euer zukünftiges Betragen. Sein schweres Joch soll Euch Eure Freiheit bereuen lassen, wenn Ihr Eure Tugend nicht bereut.« Montesquieus persische Briefe.

»Und ist die Tugend einem Tyrannen so bekannt?« rief Firnos, »kann der Name Freiheit so geschändet werden? Nein, ihr armen unterdrückten Weiber, die Herrschaft eurer Unterdrücker ist vorüber, die Stunde eurer Rache ist nahe. Ich werde eure Rute in ihrem verruchten Blute färben. Keiner von ihnen soll übrigbleiben, um bei dem Andenken unserer Wut zu zittern.«

Der Sklave warf sich zu des Prinzen Füßen und erbot sich, einen auserlesenen Haufen Krieger durch einen heimlichen Weg in das Serail zu führen. Sein Vorschlag wurde angenommen, und noch vor Mitternacht befanden sich Firnos und die vornehmsten Krieger innerhalb dieser schrecklichen Mauern. Sie richteten ihre leisen Schritte fürs erste auf das Gemach des obersten Verschnittenen. Unglücklicher Günstling, bestimmt mitten in seinem ehrgeizigen Lauf gehemmt zu werden, gerade in dem Augenblick, wo alle seine Wünsche in Erfüllung gehen sollten! Umsonst durchsuchten sie sein Gemach, sie fanden ihn nicht, aber ein Paket Briefe, die seine Korrespondenz mit seinem Herrn enthielten, fiel in ihre Hände.

»Kopie eines Briefes an den erhabenen Sultan, meinen Herrn.

»Ich zittere bei der Erzählung des Zustandes, in dem die Sachen sich hier befinden. Deine Weiber glauben, daß sie während Deiner Abwesenheit alles ungestraft tun dürfen.

»Vor einigen Tagen, da Zelis zur Moschee ging, ließ sie ihren Schleier fallen und erschien mit bloßem Gesicht vor allem Volk.

»Ich habe Zaschi mit einer ihrer Frauen im Bette ertappt, obschon dieses nach den Gesetzen des Harems so streng verboten ist.

»Durch einen bloßen Zufall habe ich inliegenden Brief gefunden; ich kann nicht entdecken, an wen er gerichtet ist. Gestern morgen entdeckte man einen jungen Mann im Garten, der aber über die Mauer entwischte.

»Ohne Zweifel blieben noch manche der begangenen Verbrechen unentdeckt; erlaube mir aber, erhabener Sultan, daß ich Dich auf die Ursache dieser Unordnung aufmerksam mache. Sie liegt in Deinem Herzen und in der zärtlichen Rücksicht, die Du gegen sie nimmst. Wenn Du meine Hand nicht zurückhieltest, wenn anstatt bloßer Vorstellungen ich Strafe gebrauchen dürfte, wenn, ohne daß Du Dich durch ihre Tränen und Klagen weich machen ließest, Du sie zu mir, der niemals weich ist, zurückschicktest, um vor mir zu weinen: so wollte ich bald ihren Eigenwillen brechen und ihren aufrührerischen unabhängigen Geist unterjochen; in acht Tagen sollte die vorige Ordnung wiederhergestellt sein. Von allen Deinen Weibern bleibt Roxana allein untertänig und gehorsam und beklagt, wie eine Turteltaube, die Abwesenheit ihres Herrn. Ohne mit hinlänglicher Gewalt von Dir bekleidet zu sein, kann ich für keine der anderen stehen, sondern werde nur jeden Tag größere Abscheulichkeiten zu melden haben.«

»An den erhabenen Sultan von der unglücklichen Roxana, seiner Sklavin. –

»Furcht und Beben herrschen in Deinem Serail, Dein Palast ist ein Haus der Trauer; es ist das Stillschweigen des Grabes, oder seine Mauern widerhallen nur von unseren Klagen; es ist die Wohnung eines Tigers, der jeden Augenblick ein Opfer herbeischleppt. Er hat zwei weiße Verschnittene auf die Folter legen lassen, die nichts als ihre Unschuld bekennen konnten. Er hat eine Menge unserer Aufwärterinnen verkauft und uns genötigt, mit den übrigen untereinander abzuwechseln. Zaschi und Zelis haben in der Stille der Nacht in ihren eigenen Zimmern eine ihrer unwürdige Behandlung erdulden müssen. Der schändliche Bösewicht hat sich unterstanden, seine räuberische Hand selbst an sie zu legen; er hält sie noch in ihren Zimmern verschlossen, und obschon wir ganz allein sind, zwingt er uns doch, unsere Schleier zu tragen; er erlaubt uns nicht, miteinander zu sprechen, und es würde ein Verbrechen sein, zu schreiben; wir haben nichts als unsere Tränen frei. Eine ganze Horde neuer Verschnittener ist in den Harem genommen, die uns Tag und Nacht belagern; unser Schlaf wird durch ihren immer regen Argwohn gestört. Mein einziger Trost ist, daß dieses nicht lange mehr dauern wird. Meine Schmerzen werden mit meinem Leben enden, und dieses wird bald verlöschen. Fühlloser Sultan, die Zeit wird Dir nicht mehr vergönnen, dieser grausamen Gewalt Einhalt zu tun.«

Der Sklave führte nun die Ritter zu Roxanas Zimmer. Sie fanden die unglückliche Schöne, da sie eben einen Brief an ihren Tyrannen endigte. Wahnsinn war in ihren Blicken, ihr aufgelöstes Haar floß über ihren wallenden Busen, eine Phiole mit Gift stand vor ihr, der Verschnittene, sich in seinem Blute wälzend, lag zu ihren Füßen. Bei ihrer Annäherung fuhr sie empor, und mit einem drohenden Blick zog sie den blutigen Dolch.

»Unglückliche Sultanin,« sagte Firnos, »wahrscheinlich entehrt Euch dieser Titel zum letztenmal; sehet Eure Freunde nicht für Eure Feinde an. Wir, die Ritter des Phönix, die geschworenen Verteidiger der Rechte der Weiber, erklären Euch für frei und nehmen Euch unter den Schutz unseres Ordens.«

Roxana ließ jedoch keine Spur von Freude blicken, sie sah die Ritter mit traurigem Stillschweigen an und ließ den Prinzen folgenden Brief, der offen auf dem Tisch lag, lesen:

»Ja, ich betrog Dich, ich verführte Deine Verschnittenen und spielte mit Deiner Eifersucht; ich ging damit um, Dein schreckliches Serail in einen Sitz der Freude und des Vergnügens umzuschaffen. Noch einen Augenblick und ich bin nicht mehr, das Gift wird in diesen Adern schleichen. Was soll ich auch hier? der einzige Mann, den ich liebte wie mich selbst, ist nicht mehr. Aber mein Geist flieht wohlbegleitet von hinnen; denn ich habe den schändlichen Buben vorausgesandt, der meinen Geliebten seinen Henkern überlieferte. Konntest Du Dir wohl einbilden, daß ich leichtgläubig genug sein könnte, mich bloß geschaffen zu glauben, Deinen Eigensinn zu ertragen? oder daß Du, indem Du Deinen Begierden freien Zügel schießen ließest, auch berechtigt seiest, die meinigen zu zwingen? Ich änderte Deine Gesetze nach denen der Natur, mein Geist blieb beständig unabhängig. Du bist mir noch Dank für das Opfer schuldig, daß ich mich selbst so weit erniedrigte, treu zu scheinen; daß ich feig genug war, in meiner Brust zu verschließen, was ich der ganzen Welt hätte entdecken sollen – mit einem Wort: daß ich die Tugend entheiligte, indem ich zugab, daß die Unterwerfung in Deine Launen diesen Namen erhielt.« Montesquieus persische Briefe.

»Haltet mich Eures Schutzes nicht unwürdig,« sagte Roxana, da sie jetzt wieder zu sich selbst kam, »obschon die Wärme meines Dankes nicht dem Wert Eures Geschenkes gleichkommt. Leben und Freiheit wären gewiß unschätzbar für mich, aber ich hatte einen Geliebten, mir teurer denn alles; gerächt habe ich ihn jetzt, und nun kann ich nur seinen Tod beweinen. Seht diesen Bösewicht an; einst empfand ich das größte Vergnügen, ihn zu hintergehen. Mein Betragen war so unterwürfig und gehorsam, daß ich, zu meiner Schande muß ich es gestehen, sogar seinen Beifall, sein Lob erhielt; aber ich konnte es nicht ertragen, zu sehen, wie er im Übermut seiner Macht auch die anderen Weiber des Serails schlecht behandelte, und mein Mitleid übereilte meine Klugheit. Ich schrieb an den Sultan eine Erzählung dieser Grausamkeiten; diesen Brief unterschlug er, und von dem Augenblick an wendeten seine Spione kein Auge von mir. Vergangene Nacht entdeckte man einen Jüngling in meinem Zimmer, es war der Geliebte meines Herzens; er wußte unser Geschlecht zu schätzen, denn er war aus Europa, aus einem Lande, wo die Weiber alle frei sind.«

Firnos konnte nicht begreifen, welches Land in Europa diese Beschreibung verdiene, als man ein verwirrtes Geschrei hörte und einige Naïren den Körper eines Mannes brachten, den man mehr für tot als lebend würde gehalten haben, hätte man nicht den Ausruf von ihm gehört: »Sie lebt, Roxana lebt,« worauf er wieder ohnmächtig auf das Kissen zurückfiel. Er war bis auf die Haut entkleidet, die durch die Geißel schrecklich zerrissen war; die Gelenke an Händen und Füßen waren noch rot von seinen Ketten, und seine Fußsohlen noch geschwollen von der Bastonade. Roxana war außer sich vor Freuden, sie hing über ihren Geliebten, unfähig etwas zu seiner Hilfe beizutragen. Auch Firnos erinnerte sich nach und nach seiner Gesichtszüge, als er die Augen öffnete. »Firnos,« rief er. »Guter Gott, wo bin ich?« Er fiel aufs neue in Ohnmacht. – Ja, es war De Grey, und als er nun seiner Sinne wieder mächtig wurde, was konnte wohl sein Entzücken oder das von Firnos und Roxana übertreffen?

De Grey, nachdem er jede nötige Erkundigung von dem Malteserritter Siehe das sechste Buch dieses Werkes. zu Rom eingezogen hatte, ging bis nach Bagdad, aber seine Schwester hatte ihren Herrn gewechselt; er folgte ihr bis nach Persien, aber alle seine Nachforschungen in Ispahan waren erfolglos. Endlich entdeckte er, daß eine Europäerin in dem Harem des Sultans von Candahar sei; um dort einen Freund zu haben, entschloß er sich, jenes gefährliche Mittel zu gebrauchen, eine Liebschaft mit einer Sultanin anzuknüpfen, und obschon dieses anfänglich nur eine Intrige aus politischen Absichten war, so zogen doch sehr bald die ungewöhnlichen Eigenschaften Roxanas auch sein Herz zu ihr.

»Triumph,« rief er, als er die Ursache hörte, warum die Naïren ins Feld gezogen waren. »Heil der guten Vorbedeutung; es muß so sein, es ist meine Schwester, es ist Emma De Grey! Ich habe sie nicht gesehen. Welche unerträgliche Täuschung würde es aber sein, wenn uns der Zufall bloß wegen eines uns ganz gleichgültigen Weibes zusammengeführt hätte!«

Er stand auf und wollte der weiteren Nachforschung mit beiwohnen; aber seine verstümmelten Füße konnten ihn nicht aufrecht erhalten, seine Kräfte verlassen ihn, und er sinkt in Roxanas Arme.

Indessen war die Sonne emporgestiegen und beschien jetzt die hohen Mauern des Serails. Man übersah nun die Höfe und schrecklichen Gärten. Man nannte sie die Paläste des Vergnügens, doch waren sie Häuser der Knechtschaft.

Nichts innerhalb derselben atmete die Luft der Freiheit, jedes Fenster war vergittert, und umsonst schlug die Liebe mit ihren Flügeln gegen die unbeugsamen Stäbe.

Die Spaziergänge waren einförmig und gezwungen; jedes Gesträuch, durch Kunst gemodelt, hatte seine natürliche Schönheit verloren, keines erreichte sein völliges Wachstum, kein Vogel sang in seinen beschnittenen Zweigen, die keinen Schutz vor der Neugierde der Verschnittenen gewährten und ebensowenig Schatten vor den Sonnenstrahlen. Hier war kein Wasserfall, der seinen rauschenden Schaum von Felsen zu Felsen stürzte; kein schlängelnder Bach ergoß seinen Silberstrom durch das Tal, sondern der verdorbene Geschmack des Despotismus, der jedes Geschenk der Natur, ja sogar die Elemente sich unterwerfen will, hatte in abgemessener Entfernung kindische Springbrunnen angelegt, die von Zeit zu Zeit auf Befehl einer Favoritsultanin in die Luft sprangen.

Die Sklaven des Palastes legten nun ihre Waffen nieder und flehten den Sieger um Gnade an. Nur wenige waren in dem Handgemenge gefallen und wälzten sich in ihrem Blute. Firnos führte die Ritter nun zu den Schlafgemächern des Harems. Die Verschnittenen haben sich verborgen, umsonst klopfen die Krieger an die Türen, bei dem Geräusch der Waffen zittern die Schönen in ihren Betten; die Türen werden aufgesprengt, und die Ritter treten nun in die langen Galerien ein, wo die Opfer der mohammedanischen Eifersucht vielleicht glücklich in Träumen sind. Eine gleichförmige Reihe von Betten befand sich an jeder Seite und gab diesem Gemach mehr das Ansehen eines Lazaretts. In jedem sechsten Bette schlief eine Matrone, um über das Betragen ihrer jungen Nachbarinnen zu wachen und unnatürliche Befriedigung der Liebe, die Folge eines unnatürlichen Zwanges, zu verhindern.

Aber dieser Zwang ist nun vorüber; wer kann ihre Freude über diese plötzliche Umänderung ihrer Lage schildern? Sie werden ersucht - wie gefällig ist dieser Ausdruck (denn zuvor wurden sie immer befehligt) – sich in dem Garten zu versammeln. Siebenhundert weibliche Geschöpfe, Weiber, Beischläferinnen und Sklavinnen, gehorchen dem Ruf. Die Fahne des Phönix nimmt sie in ihren Schutz, und sie werden für frei erklärt.

Unterdessen hatte eines der Weiber einigen von den Rittern ein Zeichen gegeben, ihr zu folgen; sie gehorchten, ohne zu fragen: wohin oder warum? Sie führte sie nun zu den Gemächern der Strafe. Krachend drehte sich das eiserne Tor in seinen Angeln; Hunger und Einsamkeit herrschten hier; die Fenster sind hoch genug, daß die Neugierde sie nicht erreichen kann, das Licht des Tages dringt sparsam durch das enge Gitter, kaum daß ein Strahl die Denksprüche einer dunklen Moral, die an den Wänden eingegraben waren, beleuchtet. Wenige von den Sultaninnen, die hier zuzeiten wegen geringer Vergehen eingekerkert waren, konnten lesen; aber diese Denksprüche waren dazu gemacht, auch den letzten Funken eines weiblichen Geistes auszulöschen.

Mit tiefem Abscheu lasen die Ritter folgende Inschriften:

»Gott sagt durch Mohammed: Halte deine Weiber so, daß sie deinen Umarmungen entgegensehen. Begib dich zu der, die dir am besten gefällt, und wenn du dich geneigt dazu fühlst; auch brauchst du deinen anderen Weibern, die du vernachlässigst, kein Sühnopfer zu bringen. Diese Behandlung wird sie in guter Laune und fröhlich erhalten, und sie werden mit dem zufrieden sein, dessen du sie würdigen wirst.«

»Eure Weiber sind eure Felder, ihr könnet sie besäen, wie und wann es euch beliebt.«

»Wisse, Gott der Allmächtige schuf die Weiber zur Bequemlichkeit und zum Verderben der Männer. Der Prophet sagt: ›Kein größer Übel kann ich den Männern hinterlassen, als ihre Weiber‹. Und ein weiser Mann sagt: ›Ich lasse meine Töchter hungern, damit sie nicht zu stolz werden, ich lasse sie nackend gehen, damit sie nicht ausgehen können.‹«

»Aristoteles sah einige Weiber vorbeigehen, und er sagte zu seinen Schülern: ›Sehet da, die Engel des Todes.‹«

Die Ritter hatten kaum ihre Augen von den Grundsätzen mohammedanischer Politik hinweggewendet, als die schönen Gefangenen ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ihre Erlösung war so unerwartet, daß einige von ihnen so nackend waren, wie bei ihrer Geburt. Wie verschieden sind doch unter Evas Töchtern die Meinungen von Wohlanstand und Bescheidenheit; die, welche im Augenblick nicht ihrer Schleier habhaft werden konnten, bedeckten ihre Gesichter mit ihren Händen und ließen dabei ohne Kummer diejenigen Reize sehen, die die griechische Venus sorgfältig würde verborgen haben.

Zaschi und Zelis wurden aus ihrer Gefangenschaft befreit. Zelis zerriß alsobald ihren Schleier in tausend Stücke; der Ritter, der sie befreit hatte, war nicht imstande, sie daran zu verhindern, er wünschte den Schleier an seinem Schwert als eine Trophäe zu tragen. Aber die Engländerin war nicht zu finden; alle Nachforschungen waren umsonst, man hatte sie schon seit einigen Tagen nicht gesehen. Einige der Verschnittenen wurden aus ihren Schlupfwinkeln hervorgezogen, aber weder durch Drohungen noch Versprechungen konnte man etwas von ihnen erfahren. Der Oberstverschnittene allein hätte wohl die beste Auskunft darüber geben können, der Tod aber hatte seine Lippen versiegelt. Jeder Winkel des Serails wird vergeblich durchsucht. De Grey verliert die Geduld, daß er nicht bei der Untersuchung sein kann, und Roxana kann ihm keinen Trost geben.

Es wurde Nacht; einige der Krieger stehen Wache, andere unterrichten ihre Schönen in Samoras Lehren. Gewiß haben Schüler noch niemals solch Verlangen gezeigt, zu lernen, wie diese. Diese eifrigen Missionare machten in einer Nacht siebenhundert Proselyten. Das Schwert Karls des Großen oder die Beredsamkeit des heiligen Bonifazius waren niemals so siegreich. Die Bekehrung eines ganzen Harems kostete nur wenige Tropfen Blut.

Firnos, der De Grey Osvas Entdeckung erzählt hatte und ihm mit der Hoffnung schmeichelte, daß auch seine Schwester bald würde entdeckt werden, ließ ihn in Roxanas Gesellschaft und ging ganz allein in den Garten. Er wählte einen entlegenen Gang, fern von dem Geräusche der Musik, denn Fröhlichkeit herrschte im ganzen Palast. Nichts unterbrach seine Betrachtungen, nichts regte sich um ihn, als sein Schatten. Kein Geräusch ließ sich hören, als seine eigenen Seufzer. Öfters seufzte er laut, denn er dachte an seine Mutter.

Endlich hörte er einen Fußtritt sich nahen, und eine Gestalt ging an der Bank vorüber, worauf er saß, und als er glaubte, ein Licht unter ihren Kleidern hervorschimmern zu sehen, war das Geheimnis eines versteckten Lichtes genug für ihn, um seine Neugierde rege zu machen. Er folgte ihr.

Sie führte ihn bis an das Ende des Gartens zu einem mit Efeu überwachsenen Turm; der Mond blickte durch seine Ruinen, er schien mehr der Aufenthalt von Eulen, als der Wohnsitz eines Menschen zu sein. Die Gestalt stieß das von Würmern zerfressene Tor zurück und ging hinein, der Prinz folgte ihr in einiger Entfernung. Die Gestalt war bereits schon die Hälfte der Wendeltreppe hinaufgestiegen, aber die lockeren Steine, die von Stufe zu Stufe sich lösten und mit lautem Geräusch herunterrollten, verkündigten den Weg, den sie genommen hatte. Der Prinz steigt die Stufen hinauf, dicke Finsternis umgibt ihn. Bald darauf erleuchtet ein Strahl des Mondes, der durch die eisernen Gitter eines in der Mauer befindlichen Fensters hereinfällt, seinen Weg; aber nicht lange und er befindet sich wieder in der schrecklichsten Dunkelheit. Er ist im Begriff, zu fallen, als er noch glücklicherweise ein Seil erwischt, das anstatt eines Geländers sich an der einen Seite der Treppe befindet; er folgt dem Seil, ohne zu wissen, wohin es ihn führen wird, und erreicht das Ende der Treppe. Er kommt in eine Galerie, wo er am Ende derselben die Gestalt erblickt. Sie hat die Laterne auf den Boden gesetzt und öffnet eben das letzte Vorlegeschloß, mit der ein großes eisernes Tor versehen ist. Dem Prinzen bleibt gerade noch so viel Zeit übrig, um zu entdecken, daß die Gestalt ein Weib ist. Sie geht zur Tür hinein, und er hört sie mit aller nur möglichen Sorgfalt an der anderen Seite wieder zuschließen.

Der Prinz ist jetzt wieder in der dicksten Finsternis. Er war bis in die Mitte der Galerie gekommen, konnte aber jetzt weder vor- noch rückwärts, da er das Licht verloren hatte und viele Löcher in dem Boden gewahr worden war, die durch die fehlenden Bretter verursacht waren, wo er vielleicht in die schrecklichste Tiefe hinabgefallen wäre. Schaudernd vor Kälte mußte er sich entschließen, die Wiederkehr des Tages abzuwarten, als er auf einmal den Schlüssel in dem Schloß wieder herumdrehen hörte. »Wartet nur einen Augenblick,« rief eine Stimme, »Eure Fatime ist ebenso ungeduldig wie Ihr selbst.« Hierauf tappte jemand, und wie er mutmaßte, dieselbe Gestalt, die Galerie entlang, ging an ihm vorbei und stieg die Treppe hinunter. Fatime, soviel er sich erinnerte, war der Name der Mutter des Sultans, die ihren Sohn beherrschte und die Seele jeder Intrige in dem Serail war. Er schmeichelte sich, daß dieses Abenteuer ihn vielleicht zu einer wichtigen Entdeckung führen könnte, vielleicht könnte auch Emma De Grey in diesem Turm eingesperrt sein. Er tappte nun im Dunkel den Weg fort, der zur eisernen Tür führte, indem er bei jedem Schritt, den er tat, erst mit seinem Schwert untersuchte, ob es auch sicher sei; so kam er endlich hinein. Die Fenster hier waren sehr hoch, obschon auch mit eisernen Stäben geziert, und bei dem vollen Mondschein entdeckte er zu seinem Erstaunen die schönen Verzierungen des Zimmers.

Jetzt hörte er die Fußtritte der zurückkehrenden Sultanin und verbarg sich hinter einem Fenstervorhang. Fatime kam herein und verschloß die Tür des Zimmers; sie näherte sich alsdann dem Tisch und zündete zwei Wachskerzen an. Des Prinzen Erstaunen wuchs, als er den Tisch mit Erfrischungen mancher Art auf silbernen Schüsseln und einer Flasche Cyperwein zwischen zwei goldenen Bechern beladen sah.

Die Sultanin schob die Riegel einer inneren Tür zurück, und ein Mann, als Sklave gekleidet, warf sich in ihre Arme. Seine Gestalt war männlich und über die gewöhnliche Größe, obschon von vollkommenem Ebenmaß. Jede seiner Muskeln zeugte von Kraft; seine Gesichtszüge, obschon unregelmäßig, waren angenehm, vielleicht hatte auch eine lange Gefangenschaft seine Gesichtsfarbe gebleicht und seinem Ansehen mehr geschadet, als die Zahl seiner Jahre, er schien sein vierzigstes Jahr erreicht zu haben. Er betrug sich mit einem Zutrauen, das an einem Sklaven ganz ungewöhnlich ist, und unerachtet seiner schlechten Kleidung sah man doch an seinem Wesen die Gemütlichkeit und die Würde eines höheren Standes.

»Ach, Sultanin, wie ungeduldig habe ich Eure Rückkehr erwartet! Seid Ihr endlich gekommen, mir meine Freiheit anzukündigen und meine Fesseln zu lösen?«

»Ich komme,« sagte Fatime, »die Strenge Eurer Gefangenschaft zu lindern, Euch jeden Trost zu geben, Euch aufzuheitern und Euch zu lieben.«

Sie sagte dies und führte ihn zu einem purpurnen Sofa. Er saß vor einem der schönsten Weiber in Persien. Sein Kummer floh davon. Sie sanken auf die Kissen zurück.

Das Feuer, das ihre Seele erfüllte, erhob ihr elastischen Busen, blitzte aus ihren Augen brannte auf den Wangen der erregten Sultanin. Firnos blieb bei diesem Spiel der Liebe ein müßiger Zuschauer. Das Rätsel war nun aufgelöst, das alle seine Gefährten in Verwunderung gesetzt hatte, warum ein Weib von Fatimes Temperament die Anträge so mancher tapferen Helden zurückgewiesen hatte. Fatime hatte schon andere Verbindungen.

Die Vergnügungen des Gastmahles folgten denen der Liebe. Fatime legte ihrem Geliebten jeden Leckerbissen vor und bot ihm sehr oft den goldenen Becher dar, aber er schien in tiefe Träumereien versunken. Vergebens bemühte sie sich, seine Melancholie zu zerstreuen, tiefe Seufzer drangen aus seinem Herzen.

»Und soll denn diese Gefangenschaft ewig dauern? Soll ich nimmer diese Mauern verlassen? Ach! daß ich nur allein litte, dann könnten vielleicht Eure Liebkosungen meine Ketten erleichtern; aber die Freiheit, vielleicht auch das Leben einer anderen Person hängt noch von dem meinigen ab, eines Lebens, wovon jeder Augenblick wichtiger ist, als ganze Jahre von dem meinigen. Sie war meine Freundin, meine Beschützerin, und jetzt bin ich verdammt, nichts von ihrem Schicksal zu erfahren. Hat der Sultan eingewilligt, daß die Sache dem englischen Konsul überlassen werden soll?«

Sultanin: »Mein lieber Lacy, nach so vielen Proben, die ich Euch gegeben habe, könntet Ihr wohl nicht mehr an meiner Neigung zweifeln. Vertraut mir den wirklichen Namen Eurer Nation. Hört mich bis zum Ende, Lacy, und unterbrecht mich nicht. Ich stellte Eure Sache meinem Sohn vor, aber er zweifelte ebensosehr, daß Ihr ein Engländer wäret. Bei Eurer Ankunft hier hielt man Euch für einen Muselmann, und nicht eher als in der Gefangenschaft erklärtet Ihr, einer anderen Nation anzugehören. Er nennt Euer Verlangen eine elende Ausflucht. ›Sagt mir, liebe Mutter‹ sagte der Sultan zu mir, ›was für einen Grund habt Ihr, ihn für einen Europäer zu halten? Hat er Euch je etwas von seinen Familienumständen oder von den Begebenheiten seines Lebens gesagt, hat er Euch von den Ursachen unterrichtet, die ihn zwangen, sein Vaterland zu verlassen?‹ Welche Antwort konnte ich ihm hierauf geben, da Ihr schon öfters abgeschlagen habt, mein Verlangen hierin zu befriedigen?«

Lacy: »Wohl denn, ich will es jetzt befriedigen, obschon das Andenken an das, was ich war und was ich sein könnte, meine Wunden wieder von neuem aufreißt. Aber für Euch, die Ihr im Serail geboren und erzogen und mit Europas Sitten und Meinungen unbekannt seid, wird manches aus meiner Geschichte unverständlich sein.«

Sultanin: »Keineswegs, Ihr vergeßt, daß meine Mutter eine Venezianerin war und niemals die Hoffnung aufgab, wieder nach Europa zu entkommen. Sie war weit gereist und versuchte es, mir von den verschiedenen Ländern, die sie gesehen hatte, Begriffe beizubringen.«

Lacys Geschichte: »Nach dem Tode meines Vaters, des Grafen von Hereford, folgte ich ihm in der Würde eines englischen Pairs. Ich war zu der Zeit noch in der Schule zu Eton. Die Musen waren mir eben nicht sehr hold, denn ich brachte es niemals weiter als bis zu Versen, die nicht viel Sinn enthielten. Da mir aber genug Brot, Zucker, Butter und Tee zu Gebote standen, so fanden sich immer gute Freunde, die bessere Poeten waren als ich, und die mir dazu verhalfen, meinen Lehrern eine leidliche Zusammensetzung abliefern zu können. In allen körperlichen Übungen spielte ich eine bessere Rolle. Wenige von den Offizieren, die in der Stadt einquartiert waren, konnten mich im Billard übertreffen, und wenn ich Ball spielte, so war der Platz mit Zuschauern angefüllt. Aber wo gerate ich hin, ich vergesse ganz, daß Ihr als eine Perserin weder vom Ballspiel, noch Billard, noch lateinischen Versen etwas wisset, und es würde sich auch nicht der Mühe lohnen, Euch eine Beschreibung davon zu geben. Ich will lieber fortfahren, Euch meine Abenteuer in der Liebe zu erzählen, die Euch mehr Vergnügen machen werden. Indessen vergeßt nicht, daß ich der Graf von Hereford und einer der schönsten Jünglinge in der Schule war. Mit welcher Selbstzufriedenheit ich auf den Terrassen zu Windsor zu stolzieren pflegte!

»Als ich eines Tages vor dem Kollegium herumschlenderte, fuhr eine Dame in ihrem Phaethon vorüber. Ich werde sie nie vergessen, ihren schönen Anstand, ihre vielsagende Miene, die Geschicklichkeit, mit der sie ihre stolzen Rosse lenkte. Ach! es ist, als sähe ich sie noch. Sie war meine erste Liebe, vielleicht das einzige Weib, das ich je ernstlich liebte.«

Sultanin: »Ein schönes Kompliment für alle ihre Nachfolgerinnen und unter anderen auch für mich.«

Lacy (sich selbst verbessernd): »Ihr versteht mich falsch, es …«

Sultanin: »Nein, nein, keine Entschuldigung – fahrt in Eurer Geschichte fort.«

Lacy: »Als sie bei mir vorüberfuhr, blieb ihre Peitsche in dem Rade hängen und fiel in den Kot. Ich sprang über die Schranken, hinter denen ich stand, hob sie auf und überreichte sie ihr. Sie nahm sie mit einem gefälligen Lächeln an und fuhr weiter.

»Einige Tage nachher ging ich in dem königlichen Park spazieren; ihr Phaethon fuhr vorüber, und ich erhielt wieder neue Gelegenheit, ihr einen Beweis meiner Artigkeit zu geben; denn ihr Schnupftuch fiel in den Staub. Sie dankte mir und bat mich, sie den Namen eines so höflichen Mannes wissen zu lassen. ›Mylord,‹ sagte sie, ›ich werde eben durch Eton fahren, erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu bringen?‹ Ich stieg in ihren Wagen; sie bewies mir nun, daß ihre Ältermutter mit der meinigen verwandt gewesen sei, und lud mich als ihren Vetter ein, künftigen Sonntag mit ihr zu speisen. Sie brachte mich bis an die Tür meines Wohnhauses. Ich stieg wie von einem Triumphwagen, zum großen Erstaunen meiner Mitschüler, aus. Ich stammelte einige ungeschickte Komplimente und war so außer mir, als die Dame weiterfuhr, daß ich sogar vergaß, meinen Hut abzuziehen.

»Meine Lage bis zu dem künftigen Sonntag kann ich nicht beschreiben. Meine Unruhe, meine Wünsche, der Aufruhr in meinem Inneren, der Übergang von Hitze zu Kälte, alles dieses waren Symptome der ersten Liebe. Obschon wir uns nichts als gewöhnliche Höflichkeiten gesagt hatten, und obschon ich noch Neuling in der Liebe war, so sah ich doch, daß Mistreß Warren mehr wie gewöhnlich gut gegen mich gesinnt war; das Herunterfallen ihres Schnupftuches war gewiß nicht zufällig. Ich ging in ein Wäldchen, das in der Nachbarschaft unseres Kollegs war, und dachte vier Stunden nacheinander an nichts als an ihr Zuvorkommen und träumte von meiner nahen Glückseligkeit. Des Nachts warf ich mich ohne Ruhe im Bette herum, ich hörte jede Viertelstunde schlagen. Ich schloß kaum die Augen, aber meine Gedanken waren so beruhigend, daß ich, wie vom tiefsten Schlaf erquickt, aufstieg.

»Mein Verlangen, sie zu sehen, wuchs mit jedem Tag, ich war ganz Ungeduld, ich streckte meine Arme unwillkürlich aus, sie zu umarmen. Ich plünderte die neuesten Schriften eines Buchladens, um Komplimente darin zu finden, die sich besser für einen Ritter der Tafelrunde geschickt haben würden, und die, wenn meine Scham mir erlaubt hätte, sie zu gebrauchen, mich gewiß in den Modezirkeln lächerlich gemacht haben würden. Ich lief den Park auf und nieder, und ich fand mich unwillkürlich immer auf dem Fleck wieder, wo sie ihr Schnupftuch hatte fallen lassen. Einigemal fiel mir wohl das Verbrecherische solchen Umgangs ein, denn meine Geliebte war eine verheiratete Frau; aber ihre Blicke, ihr Lächeln, ihre Gesichtszüge verwischten sehr bald diese Betrachtungen. Oh! meine liebe Fatime,« rief Lacy, indem er die Sultanin an seine Brust drückte, »wenn der Teufel wollte nach meiner Seele fischen, so müßte er ein schönes Weib an seiner Angel haben.«

Nach einigen Augenblicken fuhr Lacy fort:

»Der Tag war kaum angebrochen, als ich schon das ganze Haus munter machte, um meine Toilette machen zu können. Aber als ich ihre Schimmel in einiger Entfernung sah, überlief mich ein Schauder, und ich benahm mich niemals ungeschickter, als da ich auf den Tritt ihres Phaethons stieg.

»Ein sanfter Druck ihrer Hand bewillkommnete mich; mein Kompliment wurde von dem Geräusch der Räder überstimmt. Wir kamen auf ihrem Landgut an, und ich sah mich in all meiner Herrlichkeit, als ich mit der Göttin meines Herzens ganz allein speiste.

»Wahrscheinlich waren ihre Gefühle auch nicht weniger angenehm. Sie war ein Weib von hohem Ton und geübt in dem Gang der Modegalanterie. Wollüstlinge hatten zu ihren Füßen geseufzt und Narren flatterten in ihrem Gefolge; aber ihre vorigen Verbindungen knüpfte Eitelkeit und Langeweile. Sie stellte sich geschmeichelt durch die Eroberung dessen, den sie verachtete, oder gab den Beteuerungen nach, die sie nicht glaubte. Jetzt zum erstenmal fand sie sich geliebt, sie sah sich angebetet. Obschon das Wort Liebe meinen Lippen noch nicht entwischt war, so war doch meine Furchtsamkeit ein Weihrauch, den ich ihren Reizen streute, und die Verwirrung meiner Worte und Blicke waren schmeichelhafter als die ausgesuchtesten Komplimente.

»Ich entschloß mich, nach Tische kühner zu sein; da wir aber nachher in ein anderes Zimmer gingen, hatte ich kaum das Herz, ihr meine Hand zu bieten, um sie die Treppe hinaufzuführen. Der Teetisch wurde weggenommen, und ich war immer noch nicht weiter als vorher. Sie schlug einen Spaziergang im Garten vor, als ein Wagen vor ihrem Hause hielt und man einen Besuch anmeldete. Ich hatte das Vergnügen, zu bemerken, wie unwillig sie über diese Unterbrechung wurde.

»Der Mond stand bereits hoch, als der Besuch wieder abreiste.

»›Wir wollen unseres Spazierganges nicht beraubt sein,‹ sagte Mistreß Warren und gab mir ihre Hand. Wie die meinige in der ihren zitterte!

»Wir waren bis zu einer Einsiedelei gekommen, und keines von uns hatte das Stillschweigen gebrochen. ›Sind Sie Liebhaber von Nachtigallen?‹ sagte sie. – ›Gibt es deren hier in der Nachbarschaft?‹ antwortete ich. – ›Mein lieber Lord,‹ sagte sie, ›wo sind Ihre Gedanken? Wie zerstreut müssen Sie sein! Ich glaubte, daß Sie dem Gesang so aufmerksam zuhörten, und wollte Sie nicht darin stören. Ich muß um Verzeihung bitten, daß ich Sie von Eton abholte, denn ohne Zweifel ist dort ein schönes Mädchen, das Ihre Aufmerksamkeit von hier fortzieht?‹ – Ein junger Franzose würde wahrscheinlich ihre Hand geküßt und ihr ein artiges Kompliment gesagt haben. Ich war aber ein Engländer und konnte ihr nur versichern, daß es nicht so wäre. ›Nein,‹ sagte sie, ›ich will weder meinem Geschlechte noch Ihrem Herzen ein so schlechtes Kompliment machen, um zu mutmaßen, daß Sie ohne Neigung sein sollten. Ich glaube Charaktere enträtseln zu können, und es würde kränkend für mich sein, wenn ich mich in dem Ihrigen irrte. Ich halte dafür, daß Ihre Bescheidenheit eine Ungerechtigkeit gegen Ihre Verdienste ist, und daß Sie keinen geringen Eindruck auf den Gegenstand Ihrer Neigung gemacht haben, ohne den Mut zu haben, eine Erklärung zu tun. Dies ist falsche Scham, Mylord.‹

»Dies war doch wirklich den Fehdehandschuh hingeworfen, und doch war dieses noch nicht deutlich genug für mich. Sie fürchtete, all ihr Zuvorkommen möchte vergebens gewesen sein. Meine Furchtsamkeit war ein unübersteigliches Hindernis für unsere beiderseitigen Wünsche. Endlich fiel sie auf ein anderes Mittel. ›Gesetzt, wir spielten jetzt Komödie zusammen,‹ sagte sie, ›Sie machten den leidenschaftlichen Liebhaber und ich den Gegenstand Ihrer Wünsche. Nun, schöner Ritter, wie würden Sie die Festung bestürmen?‹

»Ich warf mich zu ihren Füßen.

»›Das ist ganz nach den Tagen der Chevalerie; da wir aber in dem achtzehnten Säkulum sind, so mögen Sie damit anfangen, meine Hand zu küssen.‹

»Ich tat, wie sie mir befohlen hatte, und fühlte mich dadurch so kühn gemacht, daß ich wahrscheinlich würde weiter gegangen sein, wenn meine Lehrerin sich nicht erhoben hätte. ›Sehr gut für einen Anfänger,‹ sagte sie, ›ich muß Ihre Gelehrigkeit belohnen.‹ Sie küßte mich auf den Mund. Dies war das erstemal, daß meine Lippen einen weiblichen Mund berührten. Der Kuß drang wie ein elektrischer Schlag durch alle meine Adern. ›Es ist spät,‹ sagte sie. Wir gingen zum Hause zurück, und ich brachte diese Nacht zehnmal unruhiger als die vorige zu.

»Als wir uns den anderen Morgen bei dem Frühstück wiedersahen, sagte sie: ›Lassen Sie mich doch sehen, ob Sie sich noch des Unterrichts von gestern erinnern.‹ Ich küßte ihre Hand und wollte noch weiter gehen. ›Nein,‹ sagte sie, ›keine Lektion außer der Schule.‹

»Mit welcher Ungeduld erwartete ich nun die Rückkehr der Nacht, ich zählte jede Stunde und sah beständig nach meiner Uhr. Wie lange schien mir jeder Augenblick, ehe die Sonne den Horizont verließ!

»Endlich erschien der längst gewünschte Augenblick. ›Haben Sie nicht Lust, die Nachtigall schlagen zu hören?‹ sagte sie zu mir, und ich führte sie in den Garten.

»›Wo blieben wir doch stehen?‹ sagte sie, als wir in die Einsiedelei eintraten; ich küßte ihre Hand. – ›Hierin bin ich mit Ihnen zufrieden, was kommt nun?‹ – Ich schlang meine Arme um ihren Leib und zog sie zu mir. Ich küßte ihre Lippen ein-, zwei-, zwanzigmal, eine Träne des Entzückens stand in meinen Augen, ich zitterte. ›Mein teurer Hereford!‹ war alles, was sie mit leiser Stimme sagte; ihr Kopf sank auf meine Schulter; ihr Halstuch wich hinweg, und ich drückte meine Lippen auf den Busen, den die Seufzer der Liebe auf und nieder hoben. Der Augenblick meiner vollkommenen Glückseligkeit war gekommen, und ach! Sultanin! ich war über alle Beschreibung glücklich. Wenn Ihr wirklich liebtet, als Ihr das erstemal diese Freude genosset, wenn Euer Herz an dem Entzücken der Sinne teilnahm, so könntet Ihr Euch einen Begriff davon machen; wo nicht, so seid Ihr ebensowenig fähig, es zu begreifen, als ich es bin, Euch mein Glück zu schildern.«

»Mein lieber Freund,« sagte die Dame, »da Sie die Rolle eines Liebhabers mit solchem Ausdruck spielten, so ist das Weib glücklich, das Sie wirklich liebten. Ihr Debüt hat meinen völligen Beifall.«

»So fing eine Bekanntschaft an, die ich als die glücklichste Begebenheit meines Lebens betrachte. Sie rettete mich von den gemeinen Ausschweifungen meiner Mitschüler in einem Alter, wo jedes Übermaß die verderblichsten Folgen für die Gesundheit hat; sie verbesserte meine Sitten und verfeinerte meine Gefühle. Ich vermied jene Trinkgelage, wo meine Bekannten, nachdem sie sich fast unter den Tisch getrunken hatten, in den Armen der gemeinen Straßennymphen die Dünste des Weins ausschliefen. Ihre Aufführung ekelte mich an, und Mistreß Warren blieb meine einzige Gesellschaft.

»Anstatt nach London zurückzukehren, mietete sie sich, aus Liebe zu mir, ein Logis in Windsor; mit ihr brachte ich nun alle meine müßigen Stunden zu. Dies unnachahmliche Weib hatte mich aus bloßer Laune gewählt; da sie aber sah, wie sehr ich sie liebte, und wie sehr ich ihr ergeben war, liebte sie mich auch mit gleicher Zärtlichkeit. Sie sorgte für meine Jugend und Gesundheit, sie erlaubte mir, von dem Becher des Vergnügens zu kosten, aber nie, ihn bis auf den Boden zu leeren. Sie wußte ihren Liebkosungen immer den Reiz der Neuheit zu geben; ich war bald nicht mehr der blöde Neuling, sie war stolz auf mein angenehmes Äußere, denn sie hielt es für ihr Werk. Ihre einzige Furcht war, mich zu verlieren. ›Es ist leichter‹ sagte sie, ›ein ganzes Regiment Bewunderer zu kommandieren, als sich die Neigung des Mannes zu erhalten, den man liebt.‹

»Aber meine Geliebte hatte keine Ursache, sich über meine Unbeständigkeit zu beklagen. Unser Verhängnis trennte uns. Meine Mutter – ich weiß nicht, durch welche Mittel, aber was kann der Wachsamkeit einer Mutter entgehen? – hatte meine Liebschaft entdeckt. Der Gemahl meiner Geliebten, dessen ich noch nicht erwähnt habe, und wirklich, wir dachten auch sehr selten an ihn, war Kapitän eines Kriegsschiffes und wurde jetzt aus Westindien zurückerwartet. Um mich der Rache seiner Eifersucht zu entziehen, wurde der Entschluß gefaßt, mich auf eine deutsche Universität zu schicken. Ihr könnt leicht begreifen, daß ich mich diesem Plan nicht wenig entgegensetzte, auch will ich Euch meine Schmerzen bei der Trennung von meiner Geliebten nicht beschreiben.

»Ich hatte nun ein ganzes Jahr in Leipzig studiert, währenddessen ich verschiedene deutsche Höfe besuchte und – könnt Ihr es wohl glauben? – immer ohne Liebschaft geblieben war. Stolz auf meine Beständigkeit, hatte ich wie ein echter Ritter ein Band, das mir Mistreß Warren gegeben hatte, um meinen Hals gebunden, und öfters bedeckte ich ganze Stunden lang einen ihrer Handschuhe mit Küssen. Ich vernachlässigte jede Gelegenheit einer bonne fortune und behandelte die Zuvorkommenheit eines sehr schönen Weibes, das mir beständig in den Weg trat, mit Verachtung, und was noch unglaublicher ist, ich war Enthusiast genug, an diesem Zustand von Enthaltsamkeit das größte Vergnügen zu finden.

»Aber es liegt in der menschlichen Natur, von einem Extrem auf das andere überzugehen; meine zurückgezogene Lebensart hatte mir bereits den Namen des Weiberhassers unter meinen Kameraden verschafft, als eines Nachts, da ich von einem Schmaus bei einem Bekannten, der die Doktorwürde erhalten hatte, zurückkam, ich auf der Promenade einem Mädchen begegnete. Der Zauber war durch die geistigen Getränke, deren ich zu viel genossen hatte, aufgelöst, das Bild meiner Geliebten wich in dem unglücklichen Augenblick aus meinem Herzen; ihre Gestalt, ihr Blick, ihr Lächeln, ihre Gesichtszüge, alle die Vollkommenheiten, die meine Göttin besaß, waren rein aus meinem Gedächtnis weggewaschen. Ich dachte so wenig an Mistreß Warren, als ob ich sie niemals gekannt hätte.

»Eine förmliche Umwandlung fand jetzt in allen meinen Empfindungen statt, ich lachte über jeden Begriff von Beständigkeit und wurde ein so vollkommener Wüstling, als ich immer willens bin zu bleiben. Ich fürchte nur, Ihr werdet den Vogel niemals aus seinem Käfig lassen. Ich entschloß mich, niemals mehr ohne Geliebte zu sein, was, mit Eurer Erlaubnis, wohl die gescheiteste Entschließung war, die ich fassen konnte. Ein niedliches kleines Mädchen diente in unserem Hause, und der Graf von Hereford wurde der beglückte Nebenbuhler eines Schuhmachergesellen.

» Fi donc! würde eine französische Marquise bei diesem Bekenntnis sagen, und meine Eitelkeit würde es wahrscheinlich auch übergangen haben, wenn es nicht zu sehr mit meiner Geschichte verwebt wäre.

»Das kleine Geschöpf hatte eine Schwester, die Kammerjungfer bei der Tochter eines Professors war, in dessen Hause ein junger Engländer wohnte. Fitz Allan war Erbe eines beträchtlichen Vermögens, er war so geschliffen wie ein Franzose und doch ein edler Mann, wie Ihr bald hören werdet. Da er der ausgezeichnetste Engländer war, so wurden wir bald unzertrennlich. Ich war so glücklich, durch die Hilfe meines Mädchens zu entdecken, daß man ein Komplott in dem Hause des Professors anspinne, um meinen Freund in den Armen der Tochter zu ertappen und ihn zu nötigen, sie zu heiraten. Obschon er geneigt war, sich mit dem Mädchen zu amüsieren, so betrachtete er doch den Gedanken einer solchen Verbindung mit Verachtung und beschloß, sich zu rächen.

»Er erhielt eine schriftliche Bestellung. Ich begleitete ihn nach dem Hause; und während er zu der Demoiselle hinaufschlich, blieb ich mit meinem Bedienten als Schildwache im Garten.

»Der Professor, der eine Reise in eine benachbarte Stadt vorgegeben hatte, kehrte, wie verabredet, bald wieder mit einem Priester zurück. Wir hielten ihnen die Pistolen vor die Brust und drohten ihnen, sie niederzuschießen, wenn sie noch einen Schritt vorwärts täten. Unterdessen hatte die Tochter Fitz Allan mit offenen Armen empfangen. Eitelkeit und Liebe waren die Haupttriebfedern ihres Charakters, und diese Nacht erwartete sie die Befriedigung beider. Sie sind so glücklich, als Liebe sie nur machen kann; die falsche Schöne erwartet jeden Augenblick überrascht zu werden, aber vergebens. Endlich verläßt sie Fitz Allan mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, als ob er gar nichts mutmaßte, und kommt zu uns in den Garten. Wir drohten nun dem Professor, daß wir ihn dem Gelächter der ganzen Stadt aussetzen wollten; er sank fast vor Beschämung um. Endlich willigten wir ein, ein gänzliches Stillschweigen zu beobachten, aber unter der Bedingung, daß er seine Tochter an den Priester verheiratete, der sich, unerachtet der kleinen Näscherei Fitz Allans, auch sehr bereitwillig finden ließ, sie mit einer anständigen Aussteuer zu heiraten. So wurde die Dame, die vorher bei jedem Balle aus Stolz nur mit Grafen und Edelleuten tanzen wollte, genötigt, sich jetzt in den Stand einer ehelichen Priesterin zu bequemen. Sie hatte aber zu viel Geschmack an Fitz Allans Trostgründen von jener Nacht gefunden, um lange böse mit ihm sein zu können, und da sie noch fortfuhr, ihm entgegenzukommen, so tat er sein Äußerstes, um sie während seines Aufenthaltes auf der Universität zu trösten.« –

Firnos hatte während dieser Episode seine Aufmerksamkeit verdoppelt. Fitz Allan war der Freund seiner Mutter, vielleicht konnte Lacy ihm auch von ihr Nachricht geben. Wie sonderbar, einen Engländer in der Mitte von Persien zu treffen! er wußte nicht, was er davon denken oder hoffen sollte. – Lacy fuhr fort:

»Um wieder auf mich selbst zurückzukommen: Ein unangenehmer Vorfall beschleunigte meine Abreise von Leipzig. Das Mädchen, mit der ich jenes Mal so zufällig zusammentraf, drohte mir, es zu beschwören, daß sie schwanger von mir sei. In meinem ganzen Leben war ich nicht so beschämt. Niemals hatte ich ein ekelhafteres Geschöpf gesehen: sie war zerlumpt und zerrissen, sprach die gröbste Sprache und stank nach Branntwein.

»Ich wurde äußerst aufgebracht, leugnete die Bekanntschaft mit ihr und drohte ihr, sie wegen Verleumdung zu verklagen, als sie auf einmal ein Band zum Vorschein brachte, das, wie sie sagte, aus meinem Busen gefallen war. Es war eine Trophäe, die der sentimentale Liebhaber von Mistreß Warren erwischt hatte. Ich konnte nun nicht länger die Tat leugnen, ich war überzeugt, obschon ich meine Schwachheit nicht begreifen konnte, zahlte ihr vierzig Pfund und legte ihr auf das strengste auf, nichts von der ganzen Sache laut werden zu lassen. – Ich schmeichelte mir, daß kein Mensch von meiner Bekanntschaft etwas davon erfahren würde, denn auch selbst meine besten Freunde wußten von meiner Liebschaft mit dem kleinen Kammermädchen nichts und nannten mich deswegen noch immer den Weiberhasser. Als ich aber eines Tages mit noch mehreren Studenten an der Table d'hote speiste, wo die ganze Gesellschaft sehr lustig war und sich untereinander aufzog, wurden vorzüglich zwei von der Gesellschaft sehr mitgenommen, die das nämliche Mädchen angeklagt hatte, daß sie Vater zu ihrem Kinde wären, und wovon ein jeder, da einer dem anderen ganz unbekannt war, ihr eine Summe Geldes gegeben hatte. Ich schwieg still und biß mich in die Lippen, als auf einmal ein schurkischer Advokat, der wahrscheinlich mit zu dem Komplott des Mädchens gehörte und nun halb betrunken in einer Ecke saß, meine Leichtgläubigkeit und die Erbärmlichkeit meines Geschmacks dem Gelächter preisgab. Der Gedanke an eine so entehrende Bekanntschaft verwundete meine Eitelkeit so sehr, daß einige Tage hintereinander ich mich nicht getraute, die Augen aufzuschlagen. Ich beschloß, nach Berlin zu reisen.

»Da mein englischer Wagen nicht auf die preußischen Wege eingerichtet war, so brach eines Tages ein Rad, und wir fielen um. ›Wie weit ist das Posthaus von hier?‹ fragte ich. – ›Drei Pfeifen Tabak,‹ antwortete der Postillon.

»Ich ließ einen meiner Bedienten bei dem Wagen und ging in das nächste Dorf. Es lag an dem Ufer eines sich oft schlängelnden Flusses, an dem Fuß eines sehr hohen Berges. Die romantische Lage eines Schlosses auf der Spitze desselben setzte sogar mich in Verwunderung und würde einen Liebhaber der Malerei entzückt haben.

»Wir gingen in ein Wirtshaus. Der Wirt, die Wirtin, Mägde und Knechte saßen um eine Schüssel mit Sauerkraut, das einzige Eßbare im ganzen Hause. Nicht einmal ein schlechtes Bett war zu haben. Ein reisender Schuhmacher und ein herumziehender Schauspieler sollten der Ruhe auf einem Bunde Stroh pflegen, und wir wurden eingeladen, mit von der Partie zu sein. Aber das ganze Zimmer war eine Wolke von Tabaksrauch, und eine Anzahl Bauern spielten in einer Ecke des Zimmers. Eine reizende Aussicht zur Nachtruhe; ich entschloß mich, in das Posthaus zu gehen.

»Als man hörte, daß wir Engländer wären, erheiterte sich das Gesicht der Wirtin, und sie sagte mir, daß das Schloß da oben von einem Landsmann, dem Grafen ap Hugh, bewohnt sei, und empfahl mir, dort ein Logis zu suchen. ›Oh, gnädiger Herr,‹ setzte sie hinzu, ›es wird ihm gewiß sehr angenehm sein, denn er ist der beste Mann von der Welt, und die gnädige Gräfin ist ein Engel. Sie hat schon so vieles Gute getan; wenn wir krank sind, gibt sie uns Arznei von ihrem eigenen Vorrat, sie kleidet viele Kinder, und letzten harten Winter machte sie selbst Suppen für die Armen. Wenn sie aber noch lange auf dem Schloß bleiben, so wird bald kein Armer mehr in der ganzen Herrschaft sein.‹

»Ich wollte mich nicht gern Fremden aufdrängen und war noch unentschlossen, ob ich auf das Schloß gehen sollte oder nicht, als ein Mann, von Jägern und Hunden begleitet, erschien. Jedermann zog den Hut ab, und die Weiber grüßten ihn an der Tür ihrer Hütte, während die Kinder kamen und ihm die Hände küßten. Im Vorbeigehen sprach er einige Worte mit unserem Wirt, der ihm etwas zuflüsterte. ›Mein Herr,‹ sagte er, indem er sich zu mir wendete, ›ich bin ein Walliser; ich hoffe mit der Zeit Ihren Landsleuten die Ungerechtigkeit, die sie an mir begingen, vergeben zu können, ich werde aber nie die Gastlichkeit der meinigen vergessen. Sie sind auf meinem Schloß willkommen.‹

»Das Sonderbare dieser Anrede erregte meine Neugierde, und ich nahm seine Einladung an. Wir gingen auf das Schloß.

»Seine Gemahlin empfing mich mit der größten Herzlichkeit und schien sehr vergnügt, einen Briten zu sehen. Sie war weiß gekleidet, mit der geschmackvollsten Nettigkeit einer Engländerin. Sie hatte eine schöne Figur und sehr regelmäßige Gesichtszüge. Sie war in ihren besten Jahren, und ihr Gesicht, das tiefe Spuren von Gram zeigte, wurde dadurch nur noch einnehmender. Eine Anzahl schöner Kinder, die bei unserer Ankunft ihre Bücher beiseitelegten, setzten sich nun um den Teetisch herum. Die Wände des Zimmers waren mit englischen Büchern und Kupferstichen reichlich versehen. Jedes Möbel im Zimmer war englisch, und in allen Sachen war so eine Gemächlichkeit, daß ich mich nach England versetzt glaubte.

»Den Tag darauf ging ich nach dem Mittagessen mit meinem Wirt aus, um die Verbesserungen, die er in seinem Garten vorgenommen hatte, zu besehen. ›Ohne Zweifel‹, sagte er, ›sind Sie begierig, zu erfahren, was einen Walliser bestimmen konnte, sich in Brandenburg niederzulassen. Ich will einige Stunden auf die Jagd gehen und Sie bei meiner Frau lassen, damit Sie von ihr unsere Geschichte hören, denn wenn ich an unser Schicksal und an die Abscheulichkeit Eurer Gesetze denke, so kocht mein Blut, und ich behandle Euer Parlament mit Schmähungen, die ein erblicher Senator von Großbritannien nicht hören darf.‹

»Aber meine liebe Sultanin,« fuhr Lacy fort, indem er Fatime zu sich zog und sie küßte, »vielleicht findet Ihr schon meine eigene Geschichte langweilig genug, und ich fürchte, Ihr werdet alle Geduld verlieren, wenn ich sie noch mit denen meiner Freunde verwebe; aber ich kann doch nicht umhin, Euch ein paar Worte über Hugh ap Hugh zu sagen.

»David Morgan war der vornehmste Squire in Glamorganshire. Seine Güter waren die weitläufigsten, und der Barde wiederholte an festlichen Tagen die Taten seiner Vorfahren und das Geschlechtsregister seiner Familie. Er hatte einen Sohn, der alle seine Güter erbte, und eine Tochter, die den ersten Mann, der sie ohne Ausstattung nehmen wollte, heiraten sollte. Unter den benachbarten Gutsbesitzern, die ihm mit auf die Jagd folgten und den schäumenden Becher mit ihm leerten, war auch Hugh ap Hugh. Seine Güter waren so gering, als seine Familie berühmt war; aber geehrt von allen Landedelleuten und von den wenigen Pächtern seiner kleinen Herrschaft geliebt, wünschte er nicht, sie zu vermehren, sondern war mit dem Gedanken zufrieden, da zu sterben, wo er geboren war.

»Er sah Winifred Morgan und verlangte sie von ihrem Vater zur Frau, der ihr auch empfahl, ihn als ihren Bräutigam zu empfangen.

»Im Anfang war er dem Mädchen ganz gleichgültig, bald wurde er ihr aber mehr als dies. Ihre Neigung wurde wechselseitig, und ihre Heirat sollte, sobald als ihr Bruder, der sich auf dem Festlande aufhielt, von seinen Reisen würde zurückgekehrt sein, vor sich gehen.

»Ihr Bruder brach den Hals bei Nancy, da er sich bei einer Dame befand und durch das Fenster entwischen wollte. Winifred wurde dadurch die reichste Erbin in Wallis. Ihr Vater, der, da sie nichts hatte, sehr zufrieden gewesen wäre, wenn er sie wie einen Ballen verdorbener Ware an einen Mann gebracht hätte, der auch kein Vermögen hatte, beschloß nun, daß sie, da sie jetzt reich wäre, auch nur einen reichen Mann heiraten sollte; und er, der vorher ihre Liebe auf alle nur mögliche Art unterstützt hatte, trennte nun die Liebenden und eilte, nach Rom zu kommen, um dort mit seinem Reichtum den ersten besten Mann, dessen Vermögen dem ihrigen gleichkäme, für seine Tochter zu gewinnen.

»Mr. Flint, der sie sehr oft in ihres Vaters Hause gesehen hatte, ohne eben von ihren Reizen eingenommen zu sein, fand sie jetzt, da sie Erbin war, unwiderstehlich. Der Vater stellte ihm seine Tochter vor. Sie betrachtete sich, durch die Bande der Ehre und Neigung gebunden, als ap Hughs Eigentum; aber Tränen, Seufzer und Vorstellungen waren umsonst. Ihr Vater kam mit der Pistole in der Hand in ihr Zimmer und drohte ihr, daß er sich erschießen würde, wenn sie sich noch länger weigerte, sein Verlangen zu erfüllen. Sie liebte ihren Vater; getäuscht von seiner vorgeblichen Gefahr, willigte sie endlich ein, für ihre Lebenszeit elend zu werden.

»Ap Hugh hofft sie durch Beschäftigung zu vergessen und beschließt, Landmann zu werden und sein kleines Gut selbst zu bebauen. Auf einmal entdeckt er eine Silbermine und wird nun bald einer der mächtigsten Männer der Provinz. Dies macht ihn aber nicht glücklich, er brütet über den Verlust Winifreds.

»Winifred hatte einen viehischen Tyrannen geheiratet. Sie leben zwar unter einem Dach, aber bloß um sich zu zanken oder sich bei Tisch zu sehen, ohne ein Wort zu sprechen. Von so einer Verbindung ließ sich keine Vermehrung der Familie erwarten. Der alte Morgan beklagte den Mangel eines Erben. Er bereut sein Benehmen gegen ap Hugh, jetzt den reichen ap Hugh. Er bietet ihm seine Hand zur Versöhnung, endlich werden sie ausgesöhnt, ihre erbliche Freundschaft wird erneuert. Winifred, übel behandelt von ihrem Mann, kehrt nach Wallis zurück, um sich bei ihrem Vater zu beklagen. Die Liebenden begegnen einander, Winifreds Verlegenheit sagt ap Hugh, daß er noch geliebt ist. Sie vergißt ihre ehelichen Gelübde in seinen Armen.

»Flint ruiniert sich durch das Spiel. Der alte Morgan verabscheut seinen Anblick und will nicht leiden, daß er das Vermögen seiner Tochter angreifen soll. Flint entschließt sich zum Selbstmord, aber mit einer Bosheit, die der Niedrigkeit seines Charakters würdig war, klagte er seinen Nebenbuhler des Ehebruchs an. Doch dieses tat er nicht aus Delikatesse oder wegen Verletzung seiner Ehre, denn er hatte ihrer Bekanntschaft schon lange nachgesehen, sondern bloß, um ihn zu verhindern, seine Witwe zu heiraten, da die Heirat zwischen zwei Ehebrechern nach den Gesetzen des Landes verboten ist. Er ist nun von seiner Frau geschieden und schießt sich eine Kugel durch den Kopf.

»Hier seht Ihr nun drei Opfer des britischen Gesetzes! Der stolze Morgan geht durch seine hohen Hallen und wagt es kaum, ein Auge auf seinen Stammbaum zu werfen, auch hat er nicht Grausamkeit genug, seiner Tochter, durch deren üble Aufführung sein Wappen verunehrt war, Vorwürfe zu machen. Aus Liebe zu ihrem Vater hatte sie jede Aussicht auf Glückseligkeit aufgeopfert. Mit kindlichem Enthusiasmus hatte sie sich selbst die Grenzen ihrer Pflicht gesetzt; aber der Gedanke war zu heldenmütig, war übernatürlich. Der Bogen, zu fest gespannt, war gesprungen, und mit ihm zersprang auch die Blase von ihres Vaters Stolz. Und nun keine Möglichkeit eines Erben vor sich! Der einzige Mann von Ehre, der sie mit Recht heiraten konnte, wurde durch ein Gesetz gehindert, das dem Schurken zum Vorwand dient, der willens ist, das Opfer seiner Begierden zu verlassen, und den Gutdenkenden von der Wiedererstattung, die in seiner Macht steht, ausschließt. Welcher Zufluchtsort bleibt einem geschiedenen Weib übrig, als die Arme ihres Verführers?

»Aber was waren die Gefühle des Vaters gegen die Schmerzen ap Hughs und Winifreds? Er sah die Geliebte seines Herzens seinetwegen entehrt und von jeder Gesellschaft ausgeschlossen. Jeder Stadtzirkel, mehr eigensinnig als tugendhaft, der sie vorher mit offenen Armen ausgenommen hatte, obschon man wußte, daß sie eine Ehebrecherin war, schloß sie jetzt, da sie geschieden war, aus. Wie die alten Spartaner sahen sie die Schande nicht in dem Verbrechen, sondern in der Entdeckung; vielleicht würde sogar auch ihr Vater genötigt gewesen sein, seine Tür für sie zu verschließen. Gerechter Himmel! Sie ist Mutter. Sie flieht mit ihrem Geliebten auf das Festland, wo sie als Mann und Weib zusammen reisen.

»Sie halten sich in einer Stadt in Sachsen auf, um die berühmten Bergwerke derselben zu sehen. Es wartet ihrer ein Begleiter, um sie dahin zu führen. Ein ältlicher Mann, der mit in demselben Wirtshaus wohnt, bittet um Erlaubnis, daran teilnehmen zu dürfen. Er schien so begierig, von ap Hughs Kenntnissen in der Mineralogie, die seit der Entdeckung seines Bergwerkes sein vorzügliches Studium geworden war, Nutzen zu ziehen, daß ap Hugh sich durch diese Auszeichnung geschmeichelt fühlte. Vielleicht entdeckte er auch etwas Außerordentliches in ihm, unerachtet der Schlechtigkeit seiner Kleidung, die fast ans Unsaubere grenzte. Sein blauer Rock war ganz abgetragen, und eine große Portion Schnupftabak hatte der Weste ihre eigentümliche Farbe genommen. Er bat ihn zum Mittagessen in ihr Wirtshaus.

»Der alte Mann, da er hörte, daß sie nach Berlin gehen wollten, gab ihnen einen Brief an einen seiner Freunde, der, wie er sagte, ihnen vielleicht nützlich sein könnte, um ihnen ein Logis zu verschaffen. Sie kommen in Berlin an und schicken den Brief zu dem Freunde, in dem sie zu ihrem Erstaunen einen von den königlichen Kammerherrn finden. Sie werden zum Mittagessen geladen und finden in jenem alten Mann Friedrich den Großen, der eben jetzt von einer Reise inkognito zurückgekommen war.

»Der Monarch bittet ap Hugh, daß seine Gattin der Königin vorgestellt würde. Die arme Winifred wäre fast vor Scham in die Erde gesunken; ap Hugh unterrichtet aber im Lauf des Abends den König von seiner Lage.

»›Ich bin eigennützig genug,‹ antwortete er, ›an Ihrer Verlegenheit Vergnügen zu finden, da Sie vielleicht dadurch verleitet werden, einen Vorschlag anzunehmen. Treten Sie als Direktor der Bergwerke in meinen Dienst. Als preußischer Papst gewähre ich Ihnen jede Absolution. Einer meiner Kaplane soll Sie morgen trauen; und sollte Sie der Handel einmal gereuen, so gibt es in meinen Staaten genug Advokaten, die Sie für fünf Friedrichsdor wieder scheiden. Scheidung ist die größte Aufmunterung zur Ehe; selbst der Vorsichtigste wird verleitet, in einen Garten zu gehen, wenn er sicher ist, daß er wieder einen Ausgang findet. Voilà, des Anglais qui cherchent la liberté en Prusse,‹ sagte der König, indem er sich mit einem höhnischen Lächeln zu Voltaire wendete, ›sagen Sie mir, welches würde wohl das wirksamste Mittel sein, um Ehebruch zu verhüten?‹

»›Die Ehe abzuschaffen,‹ antwortete der Philosoph.

»Den Tag darauf wurden sie im Hause des Kammerherrn verheiratet. Der König handelte als Vater an der Braut; bald darauf wurde die älteste Tochter geboren, bei der die Königin Pate war.

»Nachdem ap Hugh seine Güter in Wallis verkauft hatte, kaufte er dieses Schloß. Der König beschenkte ihn mit dem Kammerherrnschlüssel, und nach der Geburt seines Sohnes ließ er sich zum Reichsgrafen machen.

»Dieses war ihre Geschichte. Sie kostete der Gräfin manche Träne. Als eines Tages ap Hugh auf die Jagd gegangen war, fragte ich nach ihr und wurde in ihr Kabinett gewiesen. Es war gerade der Jahrestag ihrer Flucht von Wallis, und sie hatte sich dahin zurückgezogen, um ihren melancholischen Gedanken nachhängen zu können. Ein Kästchen stand auf dem Tisch, und da ich glaubte, es enthielte ihre Juwelen, öffnete ich es. Bei ihrer Abreise hatte aber die zartfühlende und geistvolle Winifred der Familie Flint die Juwelen wiedergegeben, die sie von ihrem verstorbenen Tyrannen erhalten hatte, und dies Kästchen mit der Erde ihres Geburtslandes angefüllt. Dies war ihre heiligste Reliquie. Sie dachte nie an die Hügel von Glamorganshire, ohne dabei zu seufzen.

»Die Bekanntschaft mit dieser interessanten Familie bestimmte mich, meinen Reiseplan zu ändern. Die Bäder von Karlsbad waren der Gräfin zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit anempfohlen worden, und ich entschloß mich, sie dahin zu begleiten.

»Der Graf war allgemein in Deutschland bekannt, und seine Gesellschaft wurde überall gesucht. So hatte ich nun den Vorteil, schon am Tage unserer Ankunft in alle Gesellschaften eingeführt zu werden. Der Fürst von Rosenburg-Brandenstein bezeigte uns eine besondere Aufmerksamkeit und bestand darauf, daß wir uns mit zu der Gesellschaft der Fürstin rechnen sollten. Die Ursache, warum er so handelte, war keine andere, als den Grafen dadurch zu bewegen, in seine Dienste zu treten.

»Auf diese Art benutzen nun Fremde die Talente von Männern, die die Vorurteile Großbritanniens hindern, ihrem Vaterland nützlich zu sein. Was mich betrifft, ich hatte nur Augen für die Fürstin und sah mich nun auf einmal wieder tief in Liebe verwickelt, ohne es vielleicht selbst zu wissen oder zu wagen, mir es selbst zu gestehen.

»Meine Neigung entging jedoch der Aufmerksamkeit des Fürsten nicht, er rief mich beiseite, und ohne jede Vorrede beschuldigte er mich dessen geradezu. Er schien einen Streit zu suchen; ich zog meinen Degen – ›Sie sind Souverän,‹ sagte ich, ›aber ich bin nicht Ihr Untertan. Sonst dünkt sich ein englischer Pair einem deutschen Fürsten gleich, und obschon unsere Würde sehr herabgesunken ist, so bin ich doch Kavalier und trage einen Degen …‹ – ›Den Sie jetzt ganz gemächlich wieder in die Scheide stecken können,‹ antwortete er ganz ruhig. ›Ich habe schon längst einen Jüngling von Ihrem Mut gesucht und wollte Sie nur jetzt prüfen. Fürs erste, junger Mann, leugnen Sie nur ja nicht mehr, daß Sie die Fürstin lieben! – ich bin kein Freund von Widerspruch – und dann antworten Sie mir auf Ihre Ehre: haben Sie ihr schon Ihre Leidenschaft gestanden?‹ – Ich versicherte ihm, daß ich es niemals getan hätte. – ›Desto besser!‹ sagte er; ›Sie werden nachher Zeit genug haben, es zu tun.‹ – Ich war ganz Aufmerksamkeit und konnte nicht begreifen, was wohl noch folgen könnte.

»›Sie müssen wissen,‹ sagte er, ›daß mein nächster Bruder sich anmaßt, mit in meine Regierungsgeschäfte zu sprechen. Der ganze Hof und die Untertanen sehen auf ihn als eine aufgehende Sonne. Er denkt, daß ich nicht mehr imstande sei, Vater zu werden. In der Tat, ich war es leider in meiner Jugend nur zu oft und genug, um meine ganze Armee mit Trommelschlägern und Pfeifern zu versehen, aber keines von jenen Kindern war in die rechte Form gegossen. Betrachten Sie aber jetzt meine dürren Schenkel, und Sie werden einsehen, daß ich nicht länger im Felde dienen kann; ich mache Sie deswegen zu meinem Adjutanten.‹

»Mit einem Wort, da sein Bruder jetzt seine Nase in alle seine Geschäfte steckte, so verlangte er sehr nach einem Sohn, der in die rechte Form gegossen wäre, um dessen Zudringlichkeit loszuwerden. Ich machte gar keine Einwendungen über das mir aufgetragene Geschäft, und wir waren nur über die Schwierigkeiten des Vorhabens fast mutlos, denn ob ich mir schon mit der Gunst der Fürstin schmeicheln konnte, so war sie doch viel zu bigott, als daß sie je hätte darein willigen sollen.

»Eine List begünstigte uns. Wir wohnten alle in einem Hause, der Fürst stieg einst des Nachts auf, gab mir seinen Schlafrock, und ich kehrte an seiner Stelle an die Seite der Fürstin zurück. Ehe es noch Tag wurde, hatte der alte Knabe die Bosheit, mit ein paar Lichtern ins Zimmer zu treten. Die Verlegenheit seiner Gattin könnt Ihr Euch leicht vorstellen; sie verbarg ihren Kopf unter der Bettdecke; ich warf mich ihr zu Füßen, und der Fürst lachte laut auf.

»Eine Szene von Tränen, Seufzern und Klagen folgte hierauf. ›Wieviel Weiber‹, sagte er, ›würden es einem so gefälligen Ehemann Dank wissen. Ich verlasse Sie, stellen Sie das närrische Weib zufrieden.‹ – Endlich gelang es mir.

»Die Politik verlangte es, unsere Liebe geheimzuhalten, und wenn der Mann mit in dem Komplott ist, so ist es nicht schwer, das Publikum zu täuschen. Überdem tat man mir die Ehre an, mich für den Cicisbeo der Gräfin ap Hugh zu halten. Die Untreue an ihrem ersten Mann war bekannt, und man schloß daraus sehr unrecht, daß sie allzeit bereit wäre, sich auf die erste Aufforderung zu ergeben. In der Tat sehr unrecht, denn die Gräfin war das beste Weib, obschon einmal eine Ehebrecherin. Es würde ebenso albern sein, wenn man jede Ehebrecherin für eine Messalina, als wenn man jeden Räuber für einen Prokrustes halten wollte.

»Meine Vormünder wünschten, daß ich Wien besuchen sollte. Meine durchlauchtigen Freunde begleiteten mich in die Hauptstadt der neuen Cäsaren.

»Aber von Berlin dahin zu kommen ist geradeso, als ob man vom Licht in die Dunkelheit versetzt würde. In Berlin hatte der Durst nach Ruhm einen wohltätigen Skeptiker zum Vater seines Landes gemacht, der nach seiner erhabenen Politik seinen Kindern jede nur mögliche Nachsicht gewährte. In Wien drückten Bigotterie und Aberglauben die Vernunft ganz darnieder und töteten die Gefühle des besten Herzens. Die tugendhafte Maria Theresia, Mutter der Armen, hatte ein Edikt erlassen, das ihr Zepter unerträglicher machte, als je eines Tyrannen, der einen Thron geschändet hat. Die Keuschheitskommission übte ihre Macht mit der äußersten Strenge aus, und gewiß, die Inquisition in Portugal war niemals so beschwerlich und unterdrückend. Die persönliche Freiheit, die die Franzosen und Venezianer in der Nachbarschaft der Bastille und der Kerker des St. Markus genossen, war doch einige Entschädigung für den Verlust ihrer öffentlichen Freiheit. Mit den Vergnügungen der Boudoirs beschäftigt, bekümmerten sie sich wenig um die des Kabinetts, sie waren leichtsinnig, aber sie waren glücklich. So war es nicht in Wien, wo die Spione dieser sonderbaren Kommission die jungen Leute bis in ihre Häuser verfolgten, Schlafzimmer erbrachen, ja sogar die Betten untersuchten, wo sie nur irgendeine Unkeuschheit argwöhnten. Die Mißbräuche dieser Spione waren entsetzlich. Mehrere von ihnen waren mit den Freudenmädchen im Einverständnis; sobald diese nur einige unbesonnene Jünglinge in ihre Wohnung gelockt hatten, wurden sie von den Spionen ergriffen, und aus Furcht, vor die Kommission geschleppt zu werden, mußten sie dulden, daß man sie bis auf die Haut plünderte, worauf dann das Mädchen und der Spion die Beute miteinander teilten.

»Die Regierung hatte den falschen Grundsatz angenommen: das sicherste Mittel, um Ausschweifung und Kindermord zu verhindern und die Bevölkerung zu fördern, wäre, daß man den Mann, der durch ein Mädchen angeklagt ist, daß er Vater ihres Kindes sei, oder daß er auch nur mit ihr zu tun gehabt habe, zwänge, sie auf der Stelle zu heiraten. Manche der Männer, selbst solche, die nicht zum Pöbel gehörten, die auf solche Art Ehemänner geworden waren, wurden mir gezeigt. Ihre teuren Ehehälften hatten lange Zeit hindurch einen Konterbandehandel mit ihren Reizen im geheimen getrieben; als diese nun aber anfingen zu verwelken, wählten sie sich unter der Zahl ihrer Anbeter einen, den sie für die beste Partie hielten, und klagten ihn bei der Kommission an. Die Folgen dieser erzwungenen Ehen waren schrecklich. Jetzt gab es wohl weniger Hurerei, aber die Verbrechen eines Klosters und (verzeiht meine Aufrichtigkeit, Sultanin!) die eines Harems untergruben die Tugenden der Gesellschaft, und der Ehebruch wurde durchaus nicht vermindert.

»Es gab nicht mehr jene gebildete Galanterie die so viel zur Verfeinerung und Liebenswürdigkeit der Pariser Sitten beigetragen hat. Hier trug sie das Schleichende eines Beutelschneiders und nicht die triumphierende Miene eines Überwinders; alles Vertrauen wurde zerstört. Bediente wurden die Spione ihrer Herrschaften, und Kinder wurden als Zeugen gegen ihre Eltern aufgerufen. Und wie verderblich in Rücksicht auf die Vermehrung der Bevölkerung! denn es ist die Meinung der geschicktesten Physiker, daß Ehen ohne Liebe meistens unfruchtbar bleiben. Mit einem Wort, unterdessen die Bevölkerung von Berlin, in einem Lande, wo Mangel und Hunger sonst zu Hause waren, sich unter einer weisen Regierung täglich mehrte, verminderte sich jene von Wien in der Mitte des Überflusses und der Fülle.

»Dies war das Schicksal der Liebe in Wien. Meine Verbindung sicherte mich vor jeder Gefahr. Ich amüsierte mich, den Offizieren von der Polizei zu folgen und zu sehen, wie sie jedes junge Paar unter jedem Busch und jedem Strauch im Prater verfolgten, um die Möglichkeit einer Sünde zu verhüten. Ich war sicher; denn sie würden sich gewiß nie unterstanden haben, das Zimmer einer deutschen Reichsfürstin zu betreten; aber La Jeunesse, mein französischer Kammerdiener, wurde vor die Kommission gefordert.

»Der Spitzbube war mein Aid de Camp in allen verliebten Abenteuern. Er wußte, daß ein Mädchen Ansprüche auf ihn hatte, aber er schwur, daß er die plumpen Deutschen doch überlisten wolle Man sehe Risbecks Reisen.. In dem Vorzimmer des Tribunals sah er ein Mädchen, das sehr traurig war und dessen ganzes Ansehen deutlich genug bewies, daß es hierher gekommen war, um sich von der Kommission einen Mann zu erbitten. La Jeunesse unterhielt sich mit ihr und erfuhr, daß ihr Liebhaber sie verlassen habe, und daß sie wenig Hoffnung habe, jemals sein Weib zu werden. Er bot ihr eine beträchtliche Summe, wenn sie ihn zum Vater ihres Kindes machen wolle, aber von einer früheren Zeit, als das Mädchen, auf dessen Anklage er hierher gefordert war. Das Mädchen willigte ein, und er erschien nun mit einer vermessenen Keckheit vor seinen Richtern. Sie fragten ihn: ob er einige Gemeinschaft mit der Person, die ihm jetzt gegenüberstehe, gehabt habe? Er leugnet die Tat nicht. ›Sie ist Mutter von Euch, und Ihr müßt sie auf der Stelle heiraten‹. Er gibt nun an, daß noch eine andere Person im Vorzimmer warte, die frühere Ansprüche auf ihn habe. Sie wird gerufen, und gleich beim ersten Anblick sehen sie, daß diese eher als die andere Mutter werden wird. Die Klägerin muß sich also mit einer Summe Geldes begnügen und ihre Ansprüche aufgeben. La Jeunesse wollte nun das Gericht verlassen, indem er sagte: ›Mit dem Mädchen hier habe ich mich schon abgefunden‹. Diese leugnet es aber, die Richter verlangen schriftliche Beweise und Zeugen, und da der arme Kerl weder das eine noch das andere geben konnte, so wurde er gezwungen, auf der Stelle ein Geschöpf zu heiraten, das er in seinem ganzen Leben zum erstenmal sah. Ich werde niemals vergessen, wie wir ihn bei seiner Zurückkunft in unser Hotel auslachten.

»Ich beklagte ihn aber herzlich und war übrigens so wenig mit der österreichischen Gerechtigkeit zufrieden, daß ich mich entschloß, meine Reise nach Italien zu beschleunigen, da vorzüglich auch des Fürsten Gegenwart in seinem eigenen Lande notwendig wurde. Bei dem Abschied von der Fürstin vergoß ich wirklich Tränen. Ich stattete meinen österreichischen Freunden meinen Glückwunsch ab zu den guten Aussichten für die Zukunft und versprach wiederzukommen, um ein Zeuge der Veränderungen zu sein, die wahrscheinlich nach der Kaiserin Tode sich ereignen würden, wenn ihr Sohn, einer der aufgeklärtesten Prinzen, der nach dem Vorbild des Königs von Preußen handelte, alle diese Mißbräuche abschaffen, seine Untertanen zu den glücklichsten Menschen, und seine Hauptstadt, vielleicht nach Paris, zu dem angenehmsten Aufenthalt in Europa machen würde.

»Ich war so glücklich, La Jeunesse mit aus der Stadt zu bringen, aber die Furcht vor seinem Weibe und den Offizieren der Keuschheitskommission ließ ihn nicht ein Auge zutun, bis wir venezianischen Boden erreicht hatten. Endlich kam ich in Florenz an und wurde der Cicisbeo der Marchesa Orlandini. Dieses teure Weib rettete mein Leben, denn als ich von einem heftigen Fieber befallen wurde, blieb sie Tag und Nacht bei mir und verließ mein Bett nie. Wäre ein armer Fremder in England krank geworden, so würden meine Landsmänninnen, unerachtet ihrer natürlichen Güte des Herzens, sich doch aus Schicklichkeit genötigt geglaubt haben, ihn der Nachlässigkeit einer gemieteten Wartefrau zu überlasten, ihre Vorurteile würden ihnen verboten haben, die Pflichten eines Christen auszuüben. Diese zärtliche Florentinerin dachte aber anders. Wäre ich ihr Mann gewesen, so könnte sie nicht mehr Ängstlichkeit für mich gezeigt haben, ja selbst als ihren Mann würde sie mich wahrscheinlich eher meinem Schicksal überlassen haben. Denn als bald darauf ihr Mann, der Marchese, krank wurde, verließ sie mich nicht; er starb, und sie gab mit der größten Gleichgültigkeit die Befehle zu seinem Begräbnis.

»Meine Genesung ging sehr langsam von statten, meine Schwäche dauerte noch lange fort, und eines Abends fiel ich in eine Ohnmacht, die achtundvierzig Stunden dauerte. Meine Begleiter wollten mich, da sie keine Spur von Leben in mir fanden, begraben lassen, die Marchesa gab es aber durchaus nicht zu, sie glaubte überzeugt zu sein, daß ich noch lebe. Sie drohten ihr, sie aus dem Zimmer zu werfen, sie zog aber ihren Dolch und bewachte Tag und Nacht meinen Körper.

»Das Entsetzliche meiner Lage kann ich Euch nicht beschreiben. Ich war allem Anschein nach tot, und doch hatte ich Empfindungen für alles, was um mich und neben mir vorging. Ich hörte von Stricken und Sarg sprechen, der Mann, der mein Begräbnis besorgen wollte, wünschte das Maß meines Körpers zu haben. Alle diese Gespräche hörte ich, und doch war ich nicht imstande, mich zu bewegen oder das geringste Zeichen von Leben zu geben. Endlich öffnete ich die Augen. Meine Dankbarkeit und die Freude der Marchesa waren beide über alle Beschreibung, ich drückte ihre Hand an mein Herz. Sie besuchte mich jeden Tag und begleitete mich auch auf den Korso, damit ich frische Luft schöpfe.

»Jetzt kehrten meine Kräfte zurück. Ich hatte nicht mehr nötig, Hühnerbrühe zu essen, und platonische Liebe schickte sich nicht mehr zu meiner nahrhaften Kost. Eines Tages schloß ich sie mit der Innigkeit einer heftigen Leidenschaft in meine Arme, als sie auf ihr Trauerkleid zeigte. ›Als der Marchese noch lebte,‹ sagte sie, ›war ich stolz auf die Huldigung eines so liebenswürdigen Kavaliers; aber nun bin ich Witwe, und sollte ich jetzt Mutter werden, wer würde der Vater meines Kindes sein?‹ Mein Herz floß von Liebe und Dankbarkeit über, ich bot ihr meine Hand an. ›Wie?‹ rief die Marchesa, ›einen Ketzer heiraten?‹

»Alle meine Besuche waren umsonst, und meine Beredsamkeit fruchtete nichts, sie erlaubte mir kaum, ihre Hand zu küssen. Ich versuchte, ob vielleicht Gewalt mich könnte zum Ziel führen, sie verließ aber das Zimmer in äußerster Heftigkeit. Den Tag darauf erhielt ich ein Billett, worin sie mir gestand, daß sie mich mehr als jemals liebte, daß sie aber, solange sie ledig bliebe, sich nie in meiner Gegenwart für sicher hielte; sie würde sich deswegen nach einem zweiten Manne umsehen und mir alsdann Nachricht von sich geben. Ich flog nach ihrem Palast, sie war nach ihrer Villa abgereist.

»Ich setzte nun meine Reise nach Italien fort. Mir zu verbieten zu lieben war ebensoviel, als meinem Puls verbieten, daß er schlagen, meinem Bart, daß er wachsen solle. Meine nächste Geliebte war in einer weit unangenehmeren Lage; nicht etwa, daß sie einen Ehemann brauchte, aber sie brauchte einen Mann, denn sie hatte ein Ungeheuer geheiratet.

»Ich kam in einer kleinen Stadt in Sizilien an, die dem Herzog von Montedragone gehörte, und man sagte mir, daß ich von hier bis zur nächsten Station einen Wald passieren müsse, der von Räubern unsicher gemacht würde, und daß ich zu meinem Schutz eine Wache mitnehmen müsse. Ich lachte über dieses Geschwätz, aber La Jeunesse, dem seine Haut lieb war, ging aus eigenem Antrieb auf das Schloß und bat uns eine Wache aus. Die Herzogin gab zur Antwort, daß die Begleitung für den nächsten Tag bereit sein würde. Ich war unwillig, daß ich so lange warten sollte, und gab dem Kerl wegen seines Vorwitzes einen strengen Verweis. Doch bald darauf erschien ein altes Weib und invitierte Milordo, der Herzogin die Ehre seines Besuchs zum Abendessen zu schenken.

»Ich war so übler Laune, daß ich es wahrscheinlich würde abgeschlagen haben, als ich meine Augen auf ein Porträt warf, das die Duenna am Halse trug. Es war das Porträt der Herzogin. Ein schöneres Gesicht sah ich noch nie. Ich war schon über und über verliebt, ehe ich das Original noch gesehen hatte. Ich war nun mit La Jeunesse wieder ausgesöhnt und schenkte ihm, noch ehe er meine Toilette beendigt hatte, eine goldene Uhr.

»Die Herzogin empfing mich mit einer Miene von Melancholie, die ihre Reize noch mehr erhöhte. Liebe ist die unerklärbarste Leidenschaft. Meine erste Liebe, Mistreß Warren, war eine volle, blühende Schönheit, die deutsche Fürstin war nichts als Haut und Knochen, die Marchesa Orlandini tat nichts als lachen, und die Herzogin von Montedragone war die Muse der Tragödie, und doch waren Weinen und Lachen, Fettheit und Magerkeit gleich unwiderstehlich für mich. Da ich mehrere Bekanntschaften der Herzogin in Neapel kannte, so fehlte es uns nicht an Unterhaltung, und die Duenna fand immer eine Entschuldigung, um uns allein zu lassen. Unbemerkt gingen die Stunden vorüber, und als ich nun Abschied von der Herzogin nahm und bereits ihre Hand geküßt hatte kehrte ich doch zum zweiten und dritten Male wieder, um von dieser süßen Pflicht noch einmal zu profitieren. Den Morgen darauf überlegte ich eben, ob ich wohl mit einiger Schicklichkeit eine Unpäßlichkeit vorschützen könnte, um diesen Tag noch in ihrer Gesellschaft zuzubringen, als die Duenna mit der Entschuldigung kam, daß die Begleitung nicht eher als den Tag darauf kommen könnte, und zugleich die Einladung überbrachte, den Tag bei der Herzogin zu verbringen.

»Jeden Morgen empfing ich eine ähnliche Entschuldigung und Einladung. Vierzehn Tage waren nun vergangen, und Ihr könnt es wohl glauben, ich durfte noch nichts weiter, als meine brennenden Lippen auf die Hand der Herzogin drücken. Wie oft hatte ich mich ihr zu Füßen geworfen, ich sparte weder Gelübde noch Beteuerungen. Sie bekannte mir, daß sie mich über alle Beschreibung, ja über allen Ausdruck ihrer Muttersprache liebe, eine Sprache, die eigentlich für die Liebe gemacht schien. Endlich erlaubte sie mir, sie zu küssen, und gab mir auch meine Küsse zurück; sogar ihren Busen erlaubte sie mir zu berühren, ach, welchen Busen! kein Maler konnte je seinem Ideal einen schöneren geben. Sie ließ mich das vor Liebe klopfende Herz fühlen; aber nicht weiter. – Ihre Grausamkeit und ihre Bewilligungen machten mich beinahe wahnsinnig; ich hatte weder Schlaf noch Appetit. Einst umfaßte ich ihre Knie und lag zu ihren Füßen, bis ich auf einmal, als ob ich meine Scham verbergen wollte, aufsprang und in den Garten lief. Es war, als ob mein guter Genius erwacht wäre. Der Gedanke schlug mich zu Boden, daß ich mich in den Netzen einer Kokette gefangen hätte, und daß ihre Eitelkeit sich mit meiner Schwäche belustigte; aber als sich ihr Bild wieder mit allen Reizen vor mich stellte, mit dem Busen, der unter dem Druck meiner Hand sich wieder hob, und wie ihre Lippen den meinigen begegneten, lag ich schnell genug wieder zu ihren Füßen.

»›Sagen Sie mir,‹ fragte sie mich, ›was fehlt Ihnen? warum sind Sie denn jetzt weggelaufen? Sind Sie wahnsinnig?‹

»›Noch nicht,‹ sagte ich, ›aber wenn Sie mich so fort behandeln, werde ich es bald werden.‹ Ich bekannte ihr nun meinen Verdacht, daß ich glaube, sie hielte mich zum besten.

»›Ach,‹ antwortete sie, ›Sie sind sehr ungerecht; meine Enthaltsamkeit kostet mich ebensoviel, als sie Ihnen kostet. Und jetzt erzählte sie mir ihre Geschichte, die mein Blut noch jetzt vor Abscheu sieden macht.

»Ihr Vater, der alte Herzog von Montedragone, hatte zwei Töchter. Die älteste wurde als die Erbin aller seiner unermeßlichen Güter angesehen; der neapolitanische Prinz von Ponte Romano suchte und erhielt durch Verwendung des Hofes ihre Hand. Dieser Hof mischt sich in jede Privatangelegenheit, und seine Politik vermittelt immer Verbindungen zwischen den Großen der zwei Königreiche. Zu seinem größten Erstaunen erklärte aber jetzt der Vater, daß, da beide Töchter ihm gleich teuer wären, er niemals aus unnatürlicher Eitelkeit die jüngere lebendig in ein Kloster begraben würde, um das Vermögen der älteren zu vermehren, sondern daß nach seinem Tode beide Töchter sich in sein Vermögen teilen sollten. Der Neapolitaner schäumte vor Wut, entschloß sich aber, seine Hoffnungen auf das Ganze nicht fahren zu lassen. Sein Bruder Don Tito war für das Kloster bestimmt, aber sein Charakter war so schändlich, daß der Erzbischof von Neapel, der ein sehr würdiger Prälat war, sich weigerte, ihn in den geistlichen Stand aufzunehmen. Diese Verweigerung wurde jedoch aus Schonung für die Familie geheimgehalten. Für einen Edelmann sind die Armee und die Kirche die einzigen Wege, wo er sein Glück machen kann. Da er nun nicht den Mut hatte, den ersteren zu ergreifen, so blieb er von jetzt an in der untertänigen Abhängigkeit von seinem älteren Bruder. Der Prinz schlug ihm nun vor, die jüngere Schwester zu heiraten. Der Hof machte zum zweitenmal den Vermittler, und sie wurde dieser Kabale aufgeopfert. Sie leistete zwar keinen großen Widerstand, es war ihr so ziemlich einerlei, wen sie zum Mann bekommen würde, da sie wenigstens hoffte, die Freiheit zu erhalten, sich einen Cicisbeo nach ihrem Geschmack zu wählen. Aber auch hierin wurde sie getäuscht. In der Hochzeitsnacht, als man sie mit ihrem Mann allein gelassen hatte, erhob auf einmal sein Bedienter, einer seiner schändlichen Lieblinge, ein Feuergeschrei. Der Bräutigam, der ein ausgemachter Weiberhasser war, entwischte in der Verwirrung, und jetzt noch, obschon mehrere Jahre Weib, war die Herzogin doch noch immer Jungfrau.«

»Armes Weib!« sagte Fatime mit einem Ton des Mitleids; »aber in dem Serail gibt es auch noch manche der Art, das heißt, soweit es von ihren Männern abhängt.«

»Der Teufel selbst könnte einen so abscheulichen Plan kaum ausdenken, er scheint die Grenzen aller menschlichen Bosheit zu überschreiten. Don Tito war nicht etwa von einer plötzlichen Abneigung überfallen worden, sondern um einen Schuldschein, den er seinem Bruder gegeben hatte, zu tilgen, hatte er sich verbindlich gemacht, sein Weib auf diese Art zu behandeln, damit dadurch, daß er keine Kinder mit ihr zeugte, die Nachkommen seines Bruders alle Montedragonischen Güter erbte.

»Der alte Herzog starb, und da der Prinz schon mit einem Titel versehen war, so wurde Tito durch die Begünstigung des Hofes zum Herzog von Montedragone und Granden von Spanien erhoben.

»Unterdes, während ihr Mann ihre Familienreichtümer auf schändliche Vergnügungen verwendete, lebte die Herzogin in trauriger Einsamkeit. Am Anfang hatte ein Schwarm von Cicisbeos sie belagert, aber die Furcht, Mutter zu werden, erlaubte ihr nicht, ihre Dienste zu belohnen. Die Zeiten der Chevalerie und der uneigennützigen Galanterie waren vorüber. Ein Anbeter nach dem anderen verließ sie, und ihre Gesinnungen waren zu erhaben, als daß sie anderen als den vollkommensten Kavalieren den Zutritt in ihr Gefolge erlaubt hätte. Sie mied jede Gesellschaft und schloß sich in ihrem Palast ein.

»Aber hier erwartete sie neuer Verdruß. Ihr Mann, als Grande von Spanien, war berechtigt, mehrere Pagen zu halten, und diese boshaften Lieblinge, ja sogar auch die Bedienten und Stallbuben nahmen jede Gelegenheit wahr, sie zu beleidigen, und ihr Herr und Gebieter, fern davon sie etwa abzuhalten, schien sie vielmehr noch immer aufzumuntern, ihre Grobheiten fortzusetzen. Sie verließ Neapel und zog sich auf ihre Güter in Sizilien zurück. Hätte sie einen alten Gecken geheiratet, dessen Eifersucht sie vor jedermanns Augen ferngehalten hätte, so hätte sie doch wenigstens die Genugtuung gehabt, sich geliebt zu glauben. Aber hier war sie nicht einmal in ihrer freien Einkerkerung sicher, denn ihr Schoßhund, der einzige Begleiter ihrer Einsamkeit, starb an Gift, das wahrscheinlich für sie bestimmt war.

»›Sie verlangen Mitleid von mir,‹ sagte sie; ›ja, ich bedauere Sie, aber sind Sie wohl ein Gegenstand, der des Mitleids so wert ist, als ich es bin? Sie können sich an jede meines Geschlechts wenden; wenn eine grausam gegen Sie ist, so können Sie ihre Grausamkeit leicht in den Armen einer anderen vergessen. Aber ich, welche Hoffnungen habe ich? Ich muß dem Vergnügen der Liebe und den süßen Pflichten einer Mutter entsagen. Die Natur gibt uns selten etwas umsonst, sondern immer bedingungsweise; und es wäre wahrlich eine Sünde, ihre Freigebigkeit zu nutzen, ohne die damit verknüpften Pflichten zu erfüllen. Sie erstaunen, ein Weib auf eine so entscheidende Art sprechen zu hören; aber ich habe so lange über meinen hilflosen Zustand nachgedacht, daß ich jetzt wie ein Professor sprechen und sogar einen Jesuiten über diesen Gegenstand irre machen könnte. Ich könnte glücklich sein, indem ich Sie glücklich machte, und jedes Kloster im Königreich würde mich mit einem Mittel versehen, um diesen Genuß unschädlich zu machen. Ich habe keine Vorurteile, aber das Gesetz der Natur ist das Gesetz Gottes; und ob ich schon bloßen Ehebruch ohne Bedenklichkeit begehen würde, so kann sich doch mein Gewissen niemals zu den Grundsätzen meines Beichtvaters bequemen oder mit dem Morde eines noch ungeborenen Kindes beflecken. Ich könnte meine Freiheit sehr leicht erhalten, wenn ich meinen Gemahl wegen seiner Verbrechen anklagte; aber raten Sie mir ja nicht zu so einem grausamen Mittel. Haben Sie Mitleid und verlassen Sie mich, denn Ihre Gegenwart ist einem Weibe gefährlich, das bis zu der schrecklichen Wahl gebracht ist, entweder ihren Gemahl auf das Schafott zu bringen, oder für ihre ganze Lebenszeit elend zu bleiben.‹

»Die Herzogin endigte hier. Ich versuchte jedes Mittel, um sie dahin zu bringen, ihren Gatten nicht zu schonen; und meine Verachtung und Abscheu für dieses Ungeheuer war so groß, daß, wenn er mir in den Weg gekommen wäre, ich wahrscheinlich meine Peitsche auf seiner Grandezza entzweigeschlagen hätte. Ich blieb noch einige Wochen bei dem so sehr beleidigten Weibe, aber alle meine Beredsamkeit war fruchtlos. Sie erlaubte mir noch immer die nämlichen Freiheiten, aber widerstand mit Heldenmut jedem Versuch, der die Grenzen, die sie sich selber vorgeschrieben hatte, überschritt … Meine Geduld war nun erschöpft, und ich setzte den Tag meiner Abreise fest. Die Nacht zuvor war sie so sehr bewegt, daß ich wirklich glaubte, sie würde sich ergeben, und den Abschiedsmorgen waren ihre Augen rot vom Weinen. Ich riß mich mit Gewalt aus ihren Armen.

»Auf meinem Wege nach Rom war ich oft schon halb willens, wieder zu ihr zurückzukehren. Ich fluchte über die Ehe, die beständig ein Hindernis meiner Wünsche war, denn entweder brauchte meine Geliebte einen Ehemann oder hatte einen zu viel.

»Aber könnt Ihr es wohl glauben, meine liebe Fatime, daß ich, als ich kaum einige Wochen in der Hauptstadt der alten Welt zugebracht hatte, schon auf dem Punkt stand, meinen widerspenstigen Nacken in das Joch zu schmiegen, und der liebenswürdige Überwinder, der Zögling von Mistreß Warren, der sich schmeicheln konnte, einige der schönsten Weiber von Europa zur Übergabe gebracht zu haben, im Begriff war, die Fahne zu streichen und seine Freiheit einem der gewöhnlichsten und unbedeutendsten Geschöpfe, die einem Ehemanne die tödlichste Langeweile gemacht haben würde, aufzuopfern? Ihre Mutter, ein verschmitztes Weib, hatte England verlassen und spielte jetzt mit ihren letzten tausend Pfund noch eine Figur, in der Hoffnung, einen Mann für ihre Tochter zu bekommen. Alle meine Landsleute von Rang hatten Zutritt in diesem Hause, und ich, in Rücksicht meines Vermögens und meiner Pairswürde, wurde noch mehr geschmeichelt und geliebkost als die anderen. Ich hatte einen Abbé angenommen, der mich als Cicerone leiten sollte, um die Antiquitäten, Kirchen, Paläste und Gemäldegalerien zu besehen, und die gute Dame wußte es so gut einzurichten, daß sie und ihre Tochter mit von der Partie waren. Abends besuchte ich ab und zu ihr Haus, denn anfänglich hielten mich die Conversazioni zurück; ich vernachlässigte aber bald diese und besuchte nur ihr Haus. Die Mutter sowohl als der Abbé taten nun nichts als mir Weihrauch streuen und die kleinen Vollkommenheiten der Tochter loben. Ich liebte das Tanzen leidenschaftlich, und das Mädchen tanzte wirklich schön; und da die Mutter mich überredete, daß ich ein Kenner von Musik sei, so konnte ich nichts weniger tun, als von dem Spiel der Tochter entzückt zu werden, wenn sie auch nur einen Ton auf dem Klavier anschlug. Mit einem Wort, um meine Schwäche zu gestehen: meiner Leidenschaft wurde so geschmeichelt, daß ich endlich der Tochter eine förmliche Erklärung machte, die sie aber abgeredetermaßen weder mit Ja noch Nein beantwortete. Die Mutter nahm es in ihrem Namen an, bestand aber sehr vorsichtig darauf, daß die Hochzeitszeremonie nicht eher vor sich gehen sollte, als bis der Witwengehalt in aller gesetzlichen Pünktlichkeit in England bestimmt sein würde.

»Ich wartete mit Ungeduld darauf, als endlich ein Paket, an den Grafen Hereford adressiert, mit der Post ankam. Ich brach es auf, und ein inneres Kuvert war adressiert an Mr. Hugh Lacy. Wenn mich die Aufschrift in Erstaunen setzte, so könnt Ihr Euch vorstellen, wie ich vom Inhalt desselben wie vom Donner geschlagen wurde. Mein Vater, der Graf, hatte als bloßer Knabe die Aufwärterin seiner Kostschule geheiratet. In jedem anderen Lande, außer in unserem Lande der Freiheit, würde die Polizei das Weib gestraft haben, die sich unterstanden hätte, einen jungen unbesonnenen Menschen zu betrügen, und würde solch eine Heirat vernichtet haben; aber hier konnte die Familie sie nur bestechen, ihre Ansprüche zu verschweigen. Es wurde geheimgehalten, und er heiratete meine Mutter, ein Fräulein aus einer der besten Familien.

»Jetzt aber, als er tot war, hatte jenes Geschöpf vor dem Hause der Pairs nach fünfundzwanzig Jahren, auf Anstiften eines spitzbübischen Advokaten, ihre Heirat bewiesen; und diese erhabene Versammlung, in der so viele Freunde und Verwandte unseres Hauses waren, war gezwungen, obschon mit Schmerz und Verachtung, obschon sie mich bemitleideten und meine Mutter ehrten, nach dem Buchstaben des Gesetzes zu richten und diese Aufwärterin als Gräfin und ihren Sohn als Grafen von Hereford anzuerkennen. Ob es gleich bekannt genug war, daß sie nicht mit dem Grafen, sondern mit einem gemeinen Soldaten gelebt hatte, so erklärte doch das Gesetz, da der Graf innerhalb des Königreiches war, nicht allein ihr Kind zum Erben aller seiner Titel und fürstlichen Einkünfte, sondern machte auch meine tugendhafte Mutter zur Ehebrecherin, beraubte mich meines Ranges und väterlichen Vermögens und brandmarkte mich als einen Bastard. Die einzige Nachsicht, die ich erhielt, war, daß man mir erlaubte, den Namen Lacy zu führen.

»Ich versuche es nicht, meine Gefühle zu beschreiben, meine Verzweiflung grenzte an Wahnsinn. Hätte La Jeunesse meine Pistolen nicht auf die Seite gebracht, so würde ich mich wahrscheinlich erschossen haben. Er, der nicht wußte, wie er mich behandeln sollte, schickte nach einem von meinen Bekannten, der nun die Papiere auf dem Tisch fand, und noch vor der Nacht war ganz Rom von meiner Geschichte unterrichtet. Ich schloß mich drei Tage hintereinander ein. Endlich schrieb ich einen Brief, um meine arme Mutter zu trösten, zog mich an und wollte meiner mir bestimmten Braut meine Aufwartung machen.

»Aber die alte Mutter, die mir, da ich noch einer der ersten Pairs des Königreichs war, nicht geschwind genug entgegenkommen konnte, bewegte sich jetzt kaum vom Stuhl, um einen Bettler und Bastard zu bewillkommnen. Ich sah ein spöttisches Lächeln auf ihren Lippen, als mich die Bedienten noch nach meinem alten Titel anmeldeten. Das Mädchen hingegen empfing mich mit ihrer gewöhnlichen Freundlichkeit und erwies sich sehr gefällig, als ich zu melancholisch war, um an der Konversation mit teilnehmen zu können, und sie bat, etwas auf dem Klavier zu spielen. Aber ihre Mutter befahl ihr, mit einem dummen Landedelmann, den sie vorher keiner Aufmerksamkeit gewürdigt hatte, Karten zu spielen.

»Unerachtet dieser Geringschätzung war ich doch noch töricht genug, um nach der Hand des Mädchens zu streben; und so groß ist der Geist des Widerspruchs, daß diese Widersetzung eine bloße Neigung zu einer heftigen Leidenschaft machte. Die Mutter spottete meiner Ansprüche, ich warf ihr ihre Wortbrüchigkeit vor, sie antwortete wir aber sehr bitter: daß sie ihr Wort dem Grafen von Hereford und nicht dem Hugh Lacy gegeben hätte. Ich wendete mich nun an die Tochter, aber die arme Kreatur ohne jeden Charakter sagte mir, daß ihre Mutter alles dies am besten wissen müsse.

»Ich kam nun noch ein zweites und ein drittes Mal, konnte mich aber dem Fräulein niemals nahen, denn meine Landsleute wollten mir nun nicht länger nachstehen. Endlich bat man mich, meine Besuche einzustellen, und ich fand sogar die Tür für mich verschlossen.

»Vielleicht hatte die alte Dame so unrecht nicht, denn die Ehe ist eine bittere Pille, die schlechterdings vergoldet werden muß, und ich war ohne Vermögen und ohne Aussichten. Ich hatte nicht genug, mich selbst zu ernähren, geschweige denn Weib und Familie. Aber sie mußte mich doch wenigstens mit Rücksicht behandeln und einen Mann, der kurz zuvor so gute Gesinnungen gegen sie gezeigt hatte, mit Artigkeit abweisen. Fünfzig Pfund in meiner Schatulle war noch alles, was ich auf der Welt hatte. Ich entließ meine Jäger, Reitknechte und andere Bedienung, verkaufte meine Pferde und reiste mit den Trümmern meines Vermögens nach England ab.

»Ich kam in Lion an, es war in der letzten Woche des Karnevals, und die ganze Stadt war ein Tummelplatz der Fröhlichkeit. Glücklicherweise hatte ich ein so vergnügtes Temperament, daß ich immer geneigt war, jede Sache aus dem angenehmsten Gesichtspunkt zu betrachten. Ich hatte zwar mein Vermögen verloren, ich konnte mir aber auch wieder im Gegenteil Glück wünschen, ein Weib verloren zu haben. So genoß ich den gegenwärtigen Augenblick, ohne auf die Vergangenheit oder die Zukunft Rücksicht zu nehmen. Eine Menge Karossen fuhren die Straßen auf und nieder, und die Damen, die darin saßen, warfen jedem von ihrer Bekanntschaft, wenn sie an ihm vorüberfuhren, einen Regen von Zuckerwerk zu. Eine prächtige Equipage, mit einer Anzahl Bedienter in schöner Livree, war schon öfter auf und nieder gefahren, und die Dame, die darin saß, zeichnete mich jedesmal mit einer Salve Bonbons aus. Ich nahm eines dieser Papiere zu mir, bei meiner Zurückkunft in das Wirtshaus öffnete ich es und fand den Namen Hereford mit Bleistift hineingeschrieben. Ich war sehr erstaunt, wie Ihr Euch wohl vorstellen könnt, denn ich kannte keinen Menschen in der ganzen Stadt. Als ich die nächste Redoute besuchte, jagte mich eine Maske immer auf und nieder, ich drehte mich endlich um und folgte ihr. Sie führte mich in ein anstoßendes Zimmer, hier demaskierte sie sich, und ich fand zu meiner größten Verwunderung die Marchesa Orlandini. ›Wie sehr freue ich mich, Mylord,‹ sagte sie, ›Sie hier in Lion zu sehen. Ich habe Sie schon sehr lange erwartet und einen Brief nach dem anderen geschrieben, aber es scheint nicht, als ob Sie ein großer Liebhaber von Antworten wären.‹ Ich versicherte ihr und wirklich war es auch der Fall, daß ich keinen Brief erhalten hätte. ›Wie, Sie wissen also nicht, daß ich einen Mann gefunden habe?‹ – ›Nein.‹ – ›Und auch nicht, daß, nachdem ich einen Mann gefunden hatte, ein Mann mich fand?‹ – ›Nein.‹ – Sie bat mich niederzusetzen und erzählte mir ihre Geschichte.

»Sie stammte aus einer alten Familie im mittäglichen Frankreich her und wurde in ihrem sechzehnten Jahr an einen Offizier verheiratet, mit dem sie schon in der Wiege versprochen war. Glücklich in ihrer wechselseitigen Gleichgültigkeit, folgten beide dem Hang ihrer Neigungen. Der Marchese Orlandini, ein florentinischer Edelmann, war in französische Dienste getreten und stand bei demselben Regimente. Er wurde ihr Hausfreund und liebte sie mit der Wärme, die seiner Nation eigen ist. Einige Familiengeschäfte verlangten seine Gegenwart in Italien, und die Vicomtesse, die einige Tage vorher in einer Gesellschaft in Ohnmacht gefallen war, wurde gerade bei seiner Zurückkunft begraben. Er durchstrich in einem Anfall von Verzweiflung die ganze Stadt; um Mitternacht endlich weckte er den Küster und zwang ihn mit der Pistole auf der Brust, ihn zu dem Gewölbe zu führen, wo sie noch im Trauergepräge lag. Sie schien noch so frisch und blühend im Tode; er warf sich auf ihren Leichnam, und die Wärme seiner Küsse brachten sie ins Leben zurück. Sie öffnete ihre Augen und sah sich in den Armen des Geliebten. Nachdem sie sich auf ewig miteinander verbunden hatten, flohen sie über die Alpen, und sie wurde mit offenen Armen von seiner Familie in Florenz ausgenommen.

»Ehe ist das Grab der Liebe. Er ist nicht mehr der aufmerksame Geliebte, der ihr seinen Arm zu jedem öffentlichen Vergnügen bot, und sie ebensowenig mehr die rosige Schönheit, die ihn in ihrem vertraulichen Boudoir empfing. Zwei Liebende begegnen einander nur, wenn sie gut gelaunt sind, oder wenn sie entschlossen sind, solches zu werden. Ein verheiratetes Paar glaubt sich aber immer berechtigt, einander mit ihren üblen Launen zu quälen. Wenn ein Liebhaber seiner Geliebten eine Kleinigkeit zum Geschenk gibt, so empfängt sie es mit einem belohnenden Lächeln; gibt aber ein Mann seiner Frau etwas zum Geschenk, was, im Vorbeigehen gesagt, äußerst selten geschieht, so läuft er Gefahr, entweder, daß sie ihm geradezu sagt: er habe keinen Geschmack, oder: sie würde es wohlfeiler gekauft haben. Man flüsterte der Marchesa sehr bald die Nachricht zu, daß ihr Mann es mit einer Aktrice hielt, und kurz nachher hatte sie das Vergnügen, ihn als anerkannten Cicisbeo einer ihrer Freundinnen zu sehen. Sie traf mit mir auf dem Kasino zusammen und nahm meine Dienste an.

»Es war für mich ein glücklicher Zufall, daß ich in ihre Hände fiel. Man wird niemals das Abgeschmackte eines Gebrauchs gewahr, an den man von Jugend auf gewöhnt ist. Kein anderer Römisch-Katholischer würde sich meiner Beerdigung widersetzt haben; aber die Erinnerung an ihre eigene Rettung rettete mich von dem schrecklichen Schicksal, lebendig begraben zu werden.

»Unterdessen ich in Sizilien war, gab sie ihre Hand dem Grafen von Vallombrosa, und hatte mir geschrieben, daß, da sie nun einen Mann gefunden hätte, sie mich mit größter Ungeduld wieder in Florenz erwarte.

»Ganz unerwartet wurde ein französischer Edelmann in der Konversation vorgestellt. Es war der Vicomte, ihr erster Mann. Er war so betroffen von ihrer Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Gattin, daß er kein Auge von ihr wenden konnte. Bei seinem Erblicken war sie nahe daran, umzusinken, doch erhielt sie ihre Geistesgegenwart bald wieder, und dies noch, ehe er einen Freund finden konnte, der ihn vorstellen sollte. Ihre Fertigkeit in der französischen Sprache bestätigte noch mehr seinen Argwohn.

»Er stellte nun Untersuchungen an und hörte, daß sie die Witwe seines Kriegskameraden sei. Er schickte seinen Bedienten nach Lion, der die Nachricht brachte, daß ihr Sarg nur mit Steinen angefüllt sei.

»Er forderte sie nun von Vallombrosa zurück. Daß ein Ehemann es recht gern steht, wenn er seine Frau los wird, dies ist natürlich genug; aber daß einer wünscht, sie wieder zu besitzen, das bedarf wohl einiger Erläuterungen. Der letzte ihrer Brüder war kürzlich gestorben, und sie war nun Erbin des Vermögens. Da dies in Italien nicht bekannt war, so weigerte sich Vallombrosa gar nicht, sie mit dem Franzosen wieder nach Lion zurückkehren zu lassen, und glücklicherweise war es ihr so ziemlich einerlei, ob ihre Kinder einen Franzosen oder Italiener zum Vater hatten. Wahrhaftig sehr glücklich, denn dieses tyrannische Band ist so unauflösbar, daß sogar, nachdem sie schon unter den Toten begraben war, das kanonische Gesetz sie doch würde gezwungen haben, auch selbst wider ihren Willen zu dem Mann zurückzukehren, den sie haßte; und gesetzt, daß dieser Mann in der Zwischenzeit sich verheiratet hätte, so würde sein Weib, wie meine arme Mutter, für eine Ehebrecherin erklärt und seine Kinder, wie ich, zu Bastarden herabgesetzt worden sein.

»Dieses war ihre Geschichte. Ich kehrte mit ihr zu ihrem Hotel zurück und wurde zum letztenmal in meinem Leben als Lord behandelt. Ich war zu stolz, sie mit dem Umsturz meines Glückes bekannt zu machen. Den anderen Morgen sagte ich ihr in einem Billett Lebewohl und setzte meine Reise nach England fort.

»Ein noch schrecklicherer Schlag erwartete mich bei meiner Ankunft in London. Meine arme Mutter war nun nicht mehr. Genötigt, den Namen wieder anzunehmen, den sie als Mädchen geführt hatte, konnte sie ihre Ehre nicht überleben, sondern starb mit einem gebrochenen Herzen und hinterließ kein Testament, so daß ich nicht einmal zu ihrem Eigentum berechtigt wurde, denn dieses konnte nur auf legitime Nachkommen fallen. Nun sah ich mich denn in dieser ungeheuren Stadt als Bettler, meine Freunde und Schulkameraden kehrten mir den Rücken zu, und ich hatte keinen Anspruch auf irgendwelchen Schutz und Beistand; mein Stolz erlaubte es mir nicht, mich an den jetzigen Grafen, den Sohn eines Soldaten und einer Wäscherin, zu wenden, dessen unbesonnene Ausschweifungen mein Vermögen verschleuderten und dessen lächerliche Wichtigkeit ihn der Beschimpfung und dem Gelächter seiner Mitpairs aussetzte.

»Mein Beutel enthielt noch die letzte Guinee. Ich war ganz außer mir und ging in ein Spielhaus, schon halb entschlossen, den anderen Morgen meinem Leben ein Ende zu machen. Es traf sich, daß ich neben eine der Nymphen zu sitzen kam; ich war ganz in Gedanken versunken und sehr wenig aufgelegt, ihre Bekanntschaft zu machen; sie redete mich aber an. Bei genauer Prüfung schienen mir ihre Züge bekannt zu sein, und nun entdeckte ich, daß es die frühere Kammerjungfer der Mistreß Warren war. Sie bat mich, sie in ihr Logis zu begleiten, und tat alles mögliche, um meinen Trübsinn zu verscheuchen. Endlich entdeckte ich ihr meine Lage. ›Nein,‹ sagte sie, ›Sie sollen nicht nötig haben, sich das Leben zu nehmen; solange ich noch fähig bin, mit meinen Reizen eine Guinee zu verdienen, wollen wir sie miteinander teilen. Als ich noch in Mistreß Warrens Diensten war, machten Sie mir immer so viel Geschenke; ich liebte Sie zu der Zeit wirklich, aber Sie waren zu sehr mit meiner gnädigen Frau beschäftigt.‹

»So tief war ich herabgesunken, meine liebe Fatime, daß mir keine Wahl übrigblieb, ich mußte mich entschließen, von dem Sold ihrer Schande mit ihr zu leben. Dieses großmütige Weib liebte mich mit solcher Heftigkeit und, ich kann sagen, mit solcher Treue, daß, obschon ihre Reize öffentlich und auf dem Wege des Handels für jedermann zu haben waren, ich doch keinen Nebenbuhler in ihrer Neigung hatte; und wenn sie auch nur eine Kleinigkeit verdient hatte, so kehrte sie in meine Arme zurück, mit der Zufriedenheit eines Handwerksmannes der nun seinen Laden geschlossen hat, um den Abend mit seiner Familie vergnügt zuzubringen.

»Eines Tages hielt ein Wagen vor der Tür. Und wer anders sollte in das Zimmer treten, als Mistreß Warren?! Ihr Mann war nach England zurückgekommen, und sie kam eben in das Haus ihrer vorigen Kammerjungfer, um mit ihrem gegenwärtigen Liebhaber eine Verabredung zu treffen. Wie groß war ihr Vergnügen und meine Beschämung bei diesem unvermuteten Zusammentreffen. Sie, die mich einst als Grafen von Hereford gekannt hatte, voller Hoffnungen, und mit Verachtung auf das halbe menschliche Geschlecht herabsehend, fand mich nun als einen, von der Gnade eines Freudenmädchens lebenden Bettler. ›Mein lieber Freund,‹ sagte sie, ›obschon Ihr Platz in meinem Herzen schon längst wieder ausgefüllt ist, so können Sie doch gewiß glauben, daß der Wechsel Ihres Glücks weder meine Freundschaft noch das Verlangen, Ihnen nützlich zu fein, gemindert hat. Sobald als ich Ihr Schicksal hörte, schrieb ich nach Frankreich, Deutschland und Italien, an alle ihre Bekanntschaften, aber umsonst, keiner von ihnen wußte, wo Sie waren. Mein Bruder, der englische Gesandte in Rußland, hat mir geschrieben, daß ich ihm einen Sekretär verschaffen sollte. Ich dachte gleich an Sie, denn ohne Zweifel macht Sie die Bekanntschaft mit fremden Sprachen sehr fähig zu dieser Stelle.‹

»Die nächste Woche wünschten mir meine zwei Beschützerinnen guten Erfolg, und ich reiste nach St. Petersburg ab. Der Gesandte empfing mich mit offenen Armen. Ich wurde in den ersten Zirkeln vorgestellt, und wenn ich der Graf Hereford geblieben wäre, so hätte ich keine bessere Aufnahme erwarten können. Die Kaiserin, eine der ersten Frauen, die ihrem Geschlecht Ehre machte, unterschied mich von dem übrigen Haufen der Höflinge. Alles versprach mir nicht allein einen leidlichen, sondern auch sehr glücklichen Zustand, als ich mich unglücklicherweise in die junge Prinzessin Strokenoff verliebte. Sie war wirklich ein höchst liebenswürdiges und vollkommenes Geschöpf. Sie sprach jede neue Sprache, und wie schmeichelhaft war es für einen Engländer, seine Muttersprache so vollkommen an den Ufern der Newa sprechen zu hören.

»Ihr Vater war ein Witwer; sie machte die Honneurs des Hauses und wußte es jedesmal so einzurichten, daß ich immer neben ihr bei Tische zu sitzen kam. Die Petersburger Damen waren so aufgeklärt, wie ihre erhabene Gebieterin; und doch war ich so verliebt in die Prinzessin, daß, obschon ich ein Feind der Ehe war, ich sie doch gern würde geheiratet haben, ja sogar auch noch nach dem Genuß ihrer Reize. Dies kann man wahrscheinlich als den größten Beweis von Liebe ansehen; denn vor dem Genuß ist man so ganz verwirrt, daß man nur immer zu genießen wünscht und nicht sagen kann, ob man liebt oder nicht. Ich war jedoch zu arm, um nach ihrer Hand streben zu können. Als eines Tages ihr Vater vom Hof zurückkam, kündigte er ihr an, daß er sie an einen polnischen Grafen versprochen habe, den die Kaiserin dadurch zur russischen Partei zu ziehen wünschte. So werden immer Ehen aus Geiz, Interesse und Ehrsucht geschlossen, und es ist nicht eine unter vieren, wo nicht wenigstens eines dieser Motive zugrunde läge und die aus Liebe geschlossen wird, die doch der Grund allein sein sollte.

»Der Graf war ihr ganz gleichgültig, sie fühlte weder Abneigung noch Zuneigung für ihn, und in Rücksicht seines Charakters konnte sie gar nicht urteilen, denn sie hatte noch nicht eine Silbe mit ihm gesprochen. Aber ihr vorzüglichster Einwurf gegen diese Heirat war ihre Furcht, daß sie dadurch gezwungen würde, sich von mir zu trennen, um ihren Gemahl nach Polen zu begleiten. Sie zog mich deswegen zu Rate; da sie aber nicht zweifelte, daß sie ihn überreden würde, in Rußland zu bleiben, und er übrigens auch ein Mann von Gewicht und reich genug war, den Glanz ihrer Familie aufrechtzuerhalten, so kamen wir darin überein, daß es sehr politisch sein würde, ihn anzunehmen; und er wurde nun eingeladen, zu kommen, um ihr in aller Form die Cour zu machen.

»Der Tag ihrer Heirat war bestimmt. Einige Tage zuvor war ich abends in ihrem Zimmer. Ganz unerwartet hörten wir auf einmal des Grafen Stimme auf der Treppe. Sie verbarg mich in der Eile in einen Kleiderschrank und suchte ihre Fassung wiederzuerhalten, um ihn zu empfangen. Aber der beschwerliche Bräutigam blieb eine Stunde nach der anderen da, und es war schon Mitternacht, ehe sie ihn aus dem Zimmer gähnen konnte. Sie kam nun und befreite mich, aber zum größten Unglück war die Haustür verschlossen. Was konnten wir nun in dieser Verlegenheit tun? Endlich, obschon sehr ungern, wurde sie doch genötigt, den Türsteher zu bitten, mich hinaus zulassen, und ich kehrte sehr vergnügt über den Ausgang nach Hause zurück. Der unverschämte Kerl aber folgte ihr in ihr Zimmer und verlangte zum Preis seines Stillschweigens die Befriedigung seiner Begierden. – Das arme Mädchen war in seiner Gewalt, er war halb betrunken und sprach so laut, daß sie fürchten mußte, die Leute im nächsten Zimmer möchten seine Drohungen hören. Obschon voller Abscheu wurde sie doch am Ende genötigt, seine Umarmungen zu erdulden. Einige Tage gingen vorüber, ich mutmaßte nichts Arges, und sie schmeichelte sich, daß der Sturm vorüber wäre.

»Das Fest des heiligen Nikolaus, des Schutzpatrons Rußlands, erschien jetzt; ihn zu feiern verbrachte man einen Tag mit der unsinnigsten Verehrung, worauf eine Nacht der viehischsten Ausschweifungen folgte. Trunkenheit einer strengen Polizei zum Trotz, beunruhigte die Straßen, und die Keller und die Badestuben tönten von den Orgien der Bedienten und Sklaven wider. Der Türsteher wie die anderen war betrunken, der Branntwein löste seine Zunge, und prahlend erzählte er seinen Kameraden sein Abenteuer mit seiner jungen Gebieterin. Es schien so unglaublich, daß sie ihn alle einen Lügner nannten. Er erbot sich, es ihnen für einen Schluck Branntwein zu beweisen, daß es wahr sei. Sie waren es zufrieden; und als die Familie zu Bett war, ließ er sie in seines Herrn Hotel ein. Die Prinzessin hört jemand an ihrer Tür klopfen und steht auf. Der betrunkene Schurke kommt hinein und besteht hartnäckig auf einer zweiten Befriedigung seiner Lüste. Ihre Bitten und Versprechungen sind umsonst; umsonst bietet sie ihm ihre Uhr und die Kostbarkeiten an, die auf dem Tische liegen, es bleibt ihr nun kein Ausweg übrig. Auf ein verabredetes Zeichen stürzen seine Kameraden ins Zimmer und finden den Schändlichen in ihren Reizen schwelgend.

»Sie war bloß unterlegen, um ihre Ehre zu retten, und doch war jetzt auch ihre Ehre verloren. Wütend sprang sie auf, ergriff ein Federmesser und stieß es dem Verruchten ins Herz.

»Indessen war die Familie wach geworden, und das Zimmer war mit Bedienten angefüllt. Die Wut und Beschämung ihres Vaters leidet keine Beschreibung, ebensowenig sein Kummer und seine Verzweiflung, als er einige Tage nachher mit seiner Familie sich zu den Füßen der Kaiserin warf und umsonst um die Begnadigung der geliebten Tochter bat. – Dieses schöne reizende Weib hatte kaum Kräfte genug, da ihre Füße durch die Knute hochaufgeschwollen waren, das Schafott zu besteigen, wo sie den Entschluß gefaßt hatte, als eine Heldin zu sterben. Der Tag ihrer Hinrichtung war ein Tag der Trauer für ganz Petersburg, und ein allgemeines Murren lief durch die Menge des versammelten Volks, als ihr schöner Kopf zu Boden fiel, und der Nachrichter ihn an dem seidenen Haar, das von Blut strömte, emporhielt.

»Es wurde mir nun vom Hof aus ein Wink gegeben, daß es sehr schicklich sein würde, wenn ich Petersburg verließe. Eine Veränderung des Aufenthalts war zur Wiederaufrichtung meiner Lebensgeister auch durchaus notwendig. Ich verließ also Rußland, mit Geschenken des würdigen Gesandten überhäuft, und erst viele Monate nachher gelang es mir, einige Ruhe zu finden.

»So war ich nun wieder auf den stürmischen Ozean des Lebens geworfen. Doch die Liebe, die einmal das Steuerruder führte, lenkte es bald wieder in einen anderen Hafen, und ich muß es zur Ehre Eures Geschlechts sagen, meine liebe Fatime: obschon meine Freunde und Zechgenossen mich verlassen hatten, so wurde doch die Zuneigung der Weiber, die mich um meiner selbst willen liebten (und es ist ein großer Unterschied, einen Mann um seiner selbst willen lieben oder ihn seines Geldes wegen heiraten wollen), durch den Wechsel meines Glücks nicht vermindert. – Meine erste Liebe, Mistreß Warren, war nicht zufrieden, mir die Stelle, die ich eben verließ, verschafft zu haben, sondern machte mir auch neue und, wie ich nicht zweifle, aufrichtige Anerbietungen ihrer Börse. Die Vicomtesse hatte an mich geschrieben und machte mir bittere Vorwürfe darüber, daß ich Lion so plötzlich verlassen habe, ohne von ihrer Freundschaft Gebrauch gemacht zu haben: der Fürst von Rosenberg-Brandenstein hatte mir auf das Verlangen seiner Gemahlin einen ansehnlichen Posten an seinem Hofe angeboten.

»Ich entschloß mich, dies letzte Anerbieten anzunehmen, und kam in Brandenstein an. Der Fürst und die Fürstin waren zu einem Besuch nach dem Haag gereist; ich fand aber einen Brief, in dem er mich bat, von seinem Minister mir so viel, als ich wollte, für meine Reiseunkosten auszahlen zu lassen, und lud mich zugleich ein, zu der Fürstin nach Holland zu kommen.

»Die Liebe spielte mir hier wieder einen argen Streich, den ich bloß meinem geringen Widerstand gegen den Eindruck des Augenblicks zu verdanken hatte; denn ob ich gleich während meiner Reise fast weiter nichts tat, als über mein nahes Glück mit Ihrer Durchlaucht nachzudenken, deren Bild mich auch sogar in meinen Träumen beschäftigte, so hatte ich doch nicht die Enthaltsamkeit, einem Freudenmädchen, die mich in dem Theater zu Amsterdam zu einem Besuch bei sich einlud, eine abschlägige Antwort zu geben.

»Ich folgte ihr durch eine Menge Winkelgäßchen und über mehrere Brücken in eine elende Gasse; doch dies schreckte mich nicht ab. Wir traten in ein äußerst verdächtiges Haus, und ebensowenig fiel mir dieses damals auf. Der Wirt brachte eine Bouteille Wein, ich trank, und bald darauf fühlte ich mich außerordentlich müde, und in wenig Minuten schlief ich in den Armen meiner Geliebten ein. Als ich den anderen Morgen erwachte, war der Vogel ausgeflogen. Ich durchsuchte meine Kleider: meine Uhr und Börse hatten Abschied genommen. Ich ging nun an die Tür und fand sie von außen verschlossen, ich rief und stieß mit den Füßen dagegen, aber alles umsonst. Ich versuchte nun mein Heil an den Fenstern, sie waren aber mit eisernen Stäben wohl versehen und gingen übrigens auf einen Kanal. Ich wartete nun eine Stunde nach der anderen.

»In der Abenddämmerung traten zwei rüstige Kerle mit dem Wirt ins Zimmer, die mich ermahnten, recht lustig zu sein, da ich das Glück haben werde, den Generalstaaten in Ostindien zu dienen. Umsonst sagte ich ihnen, daß ich ein Kavalier sei, und vergeblich war meine Mühe, mir mit Gewalt einen Weg aus dem Zimmer zu bahnen. Ich war ohne Waffen und fast erschöpft vor Hunger, und die Kerle schlugen mit ihren Stöcken auf mich los, stellten endlich eine sehr schlechte Mahlzeit auf den Tisch und überließen mich meinem Nachdenken.

»Auf diese Art wurde ich einige Tage hindurch behandelt; endlich kam der Wirt und verlangte die Bezahlung für die schlechte Kost. Auf meine Vorwürfe wegen seiner Spitzbüberei schüttelte er ganz kalt den Kopf, und da ich noch nicht angezogen war, nahm er meine Kleider mit sich fort.

»Eine Stunde darauf kam ein anderer mit einer Matrosenjacke, einem bunten Hemde und weiten Hosen. Sie hatten jedoch immer die Vorsicht, mir meine Schuhe niemals zu lassen, damit ich nicht etwa aus einem zwei Stock hohen Fenster herunterspringen könnte.

»Diese Einkerkerung würde meiner Gesundheit gewiß äußerst nachteilig gewesen sein; doch bald brachten sie mir zweimal die Woche meine Schuhe, und ich wurde gezwungen, mit einer Anzahl anderer Gefangener frische Luft zu schöpfen. Die meisten davon waren junge unerfahrene Deutsche, die so wie ich in die Gewalt der Seelenverkäufer (so werden diese Schurken genannt) gelockt worden waren. Unsere Spaziergänge geschahen am hellen lichten Tage und auf öffentlichen Wegen vor den Augen der Holländer, wovon einige noch unseres Unglücks spotteten und andere uns bemitleideten oder die Achseln zuckten. Unterstand sich einer der Gefangenen, einen Vorübergehenden anzureden, so liefen unsere Aufseher, die uns wie Sträflinge behandelten, auf ihn zu und schlugen ihn mit ihren Stöcken so lange, bis er still war. Die Obrigkeit, die nicht das Herz hat, es öffentlich zu billigen, sieht nicht allein solchen Gewalttätigkeiten durch die Finger, sondern muntert zu solchen noch immermehr auf.

»Endlich war die ostindische Flotte bereit, abzusegeln, und wir armen Geschöpfe wurden in die Fahrzeuge verteilt. Meine Verzweiflung war unbeschreiblich. Einst Graf von Hereford, jetzt gemeiner Matrose auf einem Kauffahrteischiff. Öfters war ich im Begriff, mich in die See zu stürzen.

»Nach einer kurzen Fahrt erhob sich ein Sturm und trennte die Flotte. Wie sehr wünschte ich, daß unser Schiff zugrunde gehen möchte!

»Bald darauf erschien ein englisches Kriegsschiff, und da der amerikanische Krieg schon ausgebrochen war, so durchsuchten die Engländer jedes neutrale Schiff. Man gab uns ein Signal, und der englische Leutnant kam zu dem Endzweck an Bord unseres Schiffes; da er aber keine Sprache des Festlandes sprach, so hatte sich ein Edelmann, der als Passagier auf dem englischen Schiff war, erboten, ihn zu begleiten. Unser Kapitän, der manche verbotenen Güter in seinem Schiff hatte, war viel zu sehr mit seiner Furcht beschäftigt, um mich einsperren zu lassen. Aber welches Entzücken für mich, als ich in dem Begleiter des Offiziers meinen Freund Fitz Allan erkannte! Fast ohne Bewußtsein lag ich in seinen Armen.

»Meine Gefühle und sein Erstaunen sind unbeschreiblich, sowie des holländischen Kapitäns Verlegenheit, der einen englischen Edelmann auf so schändliche Art behandelt hatte und jetzt von einer einzigen Lage unserer Kanonen, die den Untergang seines Schiffes bewirkt hätte, konnte zugrunde gerichtet werden. Wir fühlten das Vergnügen des Wiedersehens zu sehr, um auf seine schlechten Entschuldigungen achthaben zu können. Auf den Weg nach dem englischen Kriegsschiff sagte mir Fitz Allan, daß er zu dem Gefolge seines Großvaters, des Grafen ***, gehöre, der eben von Frankreich zurückkam, wohin er als Gesandter geschickt worden war.

»Fitz Allan stellte mich diesem berühmten Mann vor, der mich mit der an ihm so bekannten Höflichkeit empfing. ›Fitz Allan‹, sagte er, ›hat mich von der Gefahr unterrichtet, aus der Sie ihn in Leipzig retteten. Wie vielen Dank ist unsere Familie Ihnen dafür schuldig! Ich für meinen Teil, wenn er sich zu so einer Mißheirat herabgewürdigt hätte, würde ihn niemals für meinen Enkel anerkannt haben.‹

»Ebensowenig hatte auch Fitz Allan seine Verbindlichkeit gegen mich vergessen, denn da er mein Unglück gehört hatte, so wollte er es durchaus nicht zugeben, daß ich meinen Plan, nach Brandenstein zurückzukehren, ausführen sollte, sondern ließ, da er vor kurzem ein ansehnliches Vermögen geerbt hatte, nicht eher mit Bitten nach, bis ich die Stelle eines Verwalters bei ihm annahm, um als sein Freund bei ihm zu leben. Eine so untergeordnete, abhängige Lage würde für mich bei jedem anderen unerträglich gewesen sein, doch bei einem Mann von Fitz Allans Artigkeit war sie es nicht.

»Mistreß Fitz Allan wurde mit einem gewissen Cavaliere Pellerini bekannt, und ihr Mann bat ihn, seine Frau zu besuchen. Kurz darauf machte er selbst Bekanntschaft mit des Cavalieres Schwester, der Marchesa Roverbella, und beide wurden nun auf seinen Landsitz eingeladen.

»Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, daß ich mich durch den königlichen Anstand und den erhabenen Charakter der Marchesa ganz betroffen fühlte, denn es war die verkleidete Prinzessin Agalva. Da ich mehrmals gehört hatte, daß, wenn sie allein zu sein glaubten, sie nicht italienisch miteinander sprächen, so fing ich an, Verdacht zu schöpfen, ob sie wohl aus Florenz, wo ich wie zu Hause war, sein möchten, und erklärte am Ende meinen Verdacht ganz offen gegen die Marchesa.

»Da ich ihr meine Unglücksfälle erzählt hatte, so hielt sie mich ihres Zutrauens würdig und entdeckte mir das Geheimnis ihres Standes und ihres Landes, und bei ihrer Abreise von England, da sie genötigt war, Pellerini zurückzulassen, machte sie mir das Anerbieten, mich an seiner Stelle mitzunehmen.

»Sehr oft hatte sie mir die besonderen Gebräuche und Sitten Kalekuts geschildert. ›All das Unglück, das Ihr, mein teurer Lacy, in Europa erlitten habt, verdankt seinen Ursprung den unseligen Vorurteilen von Liebe und Ehe. Das Vorurteil zeichnete Euch sogar schon vor Eurer Geburt als Märtyrer aus. In Kalekut finden keine solchen törichten Heiraten statt, wie der letzte Graf von Hereford schwach genug war zu schließen; denn in einem Lande, wo es gar keine Ehen gibt, können keine Mißheiraten sein. Ihr würdet da, wo niemand Euren Vater zu kennen verlangt, nicht als Bastard herabgewürdigt worden sein. Ihr könntet die großmütige Mistreß Warren geliebt haben, ohne daß Eure Mutter die Rückkehr ihres Mannes zu fürchten brauchte. Die Marchesa Orlandini würde Euch nicht aus Mangel an einem Mann, um ihren Kindern einen Vater vorzustellen, entsagt haben, ebensowenig auch die Herzogin, weil sie ein Ungeheuer geheiratet hatte. Ihr hättet in das Zimmer der Reichsfürstin am hellen Tage gehen können, ohne nötig zu haben, unter der Decke von ihres Mannes Schlafrock dahin zu schleichen. Die aufgeopferte Strokenoff würde nicht genötigt gewesen sein, ihre Reize einem nichtswürdigen Sklaven darzubieten, weil sie in Euch einen Geliebten fand, der ihrer würdig war, und würde auch nicht einen Mord begangen haben, wofür sie ihr Leben auf dem Schafott einbüßen mußte. Das eine Freudenmädchen würde Euch nicht, wie in Leipzig, beschimpft, und das andere nicht, wie in Amsterdam, verraten haben; denn diese unglücklichen Geschöpfe, nachdem sie durch Euer Geschlecht betrogen sind, vergelten bloß Gleiches mit Gleichem, wenn sie Menschen plündern und berauben. Aber in Kalekut gibt es gar keine Freudenmädchen. In London, wo die Weiber so weit von der Freiheit entfernt sind, gibt es deren dreißigtausend. In Ispahan, wo die Weiber noch größere Sklavinnen sind, waren im vorigen Jahrhundert vierzigtausend Freudenmädchen ausgezeichnet, und ebensoviel waren nicht ausgezeichnet; vielleicht hat sich ihre Anzahl während der Zeit verdoppelt. Je mehr die Weiber an einem Ort eingeschränkt sind, desto zahlreicher werden die Freudenmädchen sein. Die gesitteten Athenienser hielten ihre ehrbaren Frauen wie ihre Mägde, aber flohen von der Langeweile ihres Gynäzeums in die Arme ihrer Phrynen und Lais; und der Chinese, um die Untertänigkeit seiner Landsmänninnen vollkommen zu machen, gewöhnt sie an solche Schuhe, daß sie gar nicht auf ihren Füßen stehen können, indessen bringt er selbst seine müßigen Stunden damit zu, die Tänze seiner tatarischen Mädchen mitanzusehen. Da, wo die Ehe eine Gilde ist, ist die Liebe eine Pfuscherin. Aber in Kalekut gibt es weder Freudenmädchen noch Jungfern, denn Jungfernschaft und Hurerei sind beide gleich unnatürlich, beide gleich verderblich für den Staat. Die Liebe scheut nicht das Angesicht des Tages, sie ist nicht, wie in Europa, zu einem Laster herabgewürdigt und nicht die Verbündete der Schande und des Verbrechens. Dort kann man ohne Erröten den Vorschriften der Natur folgen und braucht sich nicht in Keller und Winkel verstecken, wo man Gefahr läuft, von Seelenverkäufern aufgefangen oder gar ermordet zu werden.‹

»Ich war von der Beschreibung Kalekuts so bezaubert, daß ich ihr Anerbieten mit Freuden annahm. Wir verließen England miteinander und waren schon bei dem Kap vorüber, als uns ein persisches Schiff begrüßte. ›Ich habe‹, sagte Agalva, ›die Torheiten Europas gesehen, nun wollen wir auch einen Blick auf die noch größeren Torheiten und Unterdrückungen der Muselmänner werfen, es wird meinem Mutterland nur noch einen größeren Reiz geben.‹ –

»Ich brannte vor Ungeduld, nach Kalekut zu kommen, und tat alles mögliche, um sie von dem Gedanken abzubringen; aber alles war umsonst: wir wechselten die Schiffe. Nachdem wir Ispahan und Schiras verkleidet und ohne irgendeinen Zufall, der einer Bemerkung würdig wäre, besucht hatten, kamen wir hier in Candahar an, wo, wie Ihr wißt, ein Sklave die Prinzessin erkannte. Wir wurden vor den Sultan geführt; und, gütiger Himmel! wie viel Jahre sind schon verflossen, seitdem wir innerhalb der Mauern dieses Serails eingekerkert waren!«


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