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Indessen hatten der Erbprinz und die Tochter Anoras ihre Reise fortgesetzt. Nichts gleicht der Ungeduld der betrübten Mutter, denn obschon vier der flüchtigsten Pferde mit einem leichten Wagen davonzufliegen schienen, so eilten sie ihr doch noch nicht genug; sie sparte weder Bitten noch Versprechungen, um die Führer zu noch größerer Eile aufzumuntern. Umsonst bemühte sich Firnos, sie zu trösten; ihr mütterlicher Kummer weckt all die Sorgen des Sohnes bei ihm auf, und er erinnert sich seiner eigenen unglücklichen Mutter. Kaum dringt ein Strahl des Vergnügens bei dem Gedanken, seine geliebte Mitila wiederzusehen, durch den tiefen Nebel, der auf seinem Geist ruht. Endlich kamen sie in Kalekut an.
Firnos stieg vor dem Stadttor aus dem Wagen, um die Wohnung der Schönen zu suchen. Hoch klopfte sein Herz, als er die Türschwelle berührte; die Tür war offen, kein Bedienter im Saal, auf den Flügeln der Liebe steigt er die Treppe hinauf. Nach einer so langen Abwesenheit drückt er sie, in Gedanken, schon fest in seine Arme, ihre Küsse brennen auf seinen Lippen; aber seine Einbildungskraft betrog ihn, denn als er sich ihrem Zimmer nahte, fand er, daß sie schon Gesellschaft hatte.
In älteren Zeiten pflegten ihre kriegerischen Vorfahren, wenn sie ihre Geliebten besuchten, ihr Schild in dem Vorhof ihrer Wohnung zu lassen, damit die Nebenbuhler, wenn sie es sähen, ihren Besuch auf eine andere Zeit versparten; seitdem aber die Bewaffnung außer Gebrauch gekommen war, hatten die begünstigten Liebhaber die Gewohnheit eingeführt, den Hut über die Tür des Zimmers der Geliebten zu hängen; die Sandalen eines Kapuziners konnten nicht mehr von einem katholischen Ehemann in Italien oder Portugal geehrt werden. Der Prinz sah einen Hut über Mitilas Tür hängen und kehrte voll Gehorsam gegen dieses Zeichen wieder um.
Er stieg die Treppen vielleicht weniger geschwind herunter, als er sie hinaufgestiegen war; getäuscht, doch ohne Groll, denn nie würde ein Naïr es sich nur einfallen lassen, die Handlungen seiner Geliebten zu tadeln, oder Selbstsucht genug haben, um während seiner Anwesenheit eine gänzliche Enthaltsamkeit von ihr zu fordern. Endlich fand er einen Bedienten, den er sehr höflich nach ihrer Gesundheit fragte, und verließ alsdann das Haus.
Mit dem Vorsatz, bei seiner Reisegefährtin zu wohnen, ging er bei dem Schauspielhaus vorüber, und obgleich noch manche Stunde verstreichen mußte, ehe das Stück anging, so fand er doch alle Zugänge schon mit Menschen angefüllt. Naldor, der von jeher großen Geschmack für das Drama zeigte, hatte sich während seiner letzten Reise den Zeitvertreib gemacht, ein Stück zu schreiben, worin er die Sitten und Gebräuche Europas schilderte. Bei seiner Ankunft in Kalekut schickte er es sogleich dem Direktor des Theaters zu, und die ganze Truppe hatte Tag und Nacht gearbeitet, um des Publikums Neugierde mit einer frühen Vorstellung zu befriedigen.
Der Prinz war erstaunt, als er Farna, die er vorher in Tränen verlassen hatte, jetzt bei ihrer Toilette wiederfand, wie sie sich anschickte, einen Ort des allgemeinen Vergnügens zu besuchen. Farna hatte ihre Tränen getrocknet und tat alles Mögliche, ihren Kummer zu lindern. Ihr Sohn war nicht mehr, und ihr Schmerz konnte ihn nicht aus dem Grabe zurückrufen; wäre sie eine leichtgläubige Papistin oder Mohammedanerin gewesen, so würde die beste Mutter vielleicht eine Pilgerfahrt nach Loreto oder Mekka unternommen haben. Barfuß wäre sie nach beiden gewandert, hätte sie dadurch nur den mindesten Schimmer von Hoffnung erhalten. Sie würde zu Rosenkränzen und Amuletten ihre Zuflucht genommen haben, mehr als ein Muselmann gefastet und mehr Ave Marias und Paternosters als ein Karmeliter hergeplappert haben; ihr ganzes Vermögen würde sie an faule Derwische und Franziskaner verschwendet haben; doch ihr Sohn war nicht mehr, und alle Hoffnung ging mit ihm zu Grabe. Sie war eine Naïrin und folglich zu klug, um nur einen Augenblick in unnützem Kummer zu verleben; ihr Gewissen klagte sie keiner Vernachlässigung gegen ihn an, solange er lebte; er war tot, und sie eilte an den Putztisch. Gleich einem Apriltage stand eine Träne in ihrem Auge, während sie ihre Lippen zum Lächeln zwang, ein tiefgeholter Seufzer endete in eine lebhafte Arie, und wenn das Bild ihres Sohnes vor ihr Gedächtnis trat, flog sie in die Arme des Prinzen, um ihm bald einen Nachfolger zu verschaffen.
Die Zeit, um in das Theater zu gehen, kam herbei, und als der Prinz, der die Baronin dahin begleiten wollte, mit ihr in den Wagen stieg, erhielt er ein Billett von Mitila. »Die Tochter Loras kann den Sohn Agalvas nicht mehr als Liebhaber empfangen, bittet aber um die Fortdauer seiner Freundschaft. Ihre Unbeständigkeit entsprang aus zu großer Liebe für ihn. Dies mag freilich als ein seltsamer paradoxer Satz erscheinen; morgen wird sie ihm aber einen Besuch abstatten und das Rätsel lösen. Seine Hoheit wird wahrscheinlich nicht ermangeln, diesen Abend das Theater zu besuchen, wo Mitila sehr erfreut sein wird, ihren Freund zu treffen.«
Firnos sah sie in einer gegenüberliegenden Loge, aber das Gedränge war zu groß, als daß es ihm möglich gewesen wäre, zu ihr zu kommen. Niemals war das Haus mit so vielen Menschen angefüllt; mehrere Wagen waren auf dem Weg dahin zerbrochen worden. Endlich ging der Vorhang auf.
Das Drama hatte den Titel: Der europäische Vater. Nachdem der Prolog einige Erklärung des Titels gegeben hatte, bat er auch um Nachsicht des Publikums für das Stück selbst, worin alle Einheiten verletzt wären, und dessen einziges Verdienst darin bestände, daß es ein treues Gemälde der Sitten der Christenheit sei. Ein Vater, eine Mutter und sechs Kinder waren die Hauptcharaktere, und einen jeden von ihnen erwartete ein trauriges Schicksal. Die älteste Tochter verliebt sich ohne ihres Vaters Einwilligung, er zwingt sie, in das Kloster zu gehen, wo sie das Kind, das sie zur Welt bringt, mordet und alsdann, weil sie das Gelübde der Keuschheit gebrochen, lebendig begraben wird. Der älteste Sohn wird in einem Zweikampf mit ihrem Liebhaber erstochen; der Vater enterbt hierauf seinen zweiten Sohn, weil er eine Frau ohne Vermögen heiratete; er wird wegen ihrer Schulden ins Gefängnis gesteckt und von seiner heuchlerischen Frau verlassen, um im Gefängnis zu vermodern. Er bricht den Hals, indem er seine Freiheit durch das Fenster sucht. Der dritte Sohn heiratet seinem Vater zu Gefallen eine reiche Erbin und wird von ihr vergiftet. Von den zwei noch übrigen Töchtern zwingt der Vater die eine, einem alten Mann ihre Hand zu geben, der ihr, wie Blaubart, in einem Anfall von Eifersucht die Kehle abschneidet, und die jüngere wird durch ihren eigenen Vater ermordet, um sie vor den Nachstellungen des regierenden Fürsten zu sichern. Der Vater wird wegen dieses Mordes auf dem Schafott hingerichtet, und die Mutter, die das ganze Stück hindurch das Unglück ihrer Kinder vorausgesehen und es zu verhindern gesucht hat, stirbt in dem Tollhause und bekennt während ihres Wahnsinns, daß ihr Mann, der all ihr Unglück verursacht hätte, nicht Vater zu ihren Kindern gewesen sei, sondern ebensogut wie viele andere in Europa unter die große Gesellschaft der Hörnerträger gehöre.
Um auch der Galerie das Stück interessant zu machen, wurde ein Bedienter wegen Hurerei in den Stock gelegt und seine Liebschaft, das Kammermädchen, in eine Pferdeschwemme getaucht.
Firnos ging hinunter, um nach dem Wagen der Baronin zu sehen, und fand einen Haufen Leute vor dem Schauspielhause versammelt, die unaufhörlich schrien. – »Fort mit ihm in die Pferdeschwemme! – taucht ihn unter! – taucht ihn unter! –« Er eilte dahin und fand eine Anzahl Obstweiber, die einen armen Teufel, wie er glaubte, einen Beutelschneider, nach der Pferdeschwemme schleppten. Als sie bei einer Laterne vorübergingen, sah er, daß es ein Europäer war; er hielt sie nun auf und fragte nach der Ursache seines Verbrechens. »Verbrechens?« antworteten sie, »er ist ein Christ und dies ist Verbrechen genug! Er ist einer der Tyrannen, die uns lebendig begraben, unsere Liebhaber umbringen und uns die Liebe verbieten würden. Mit einem Wort, er ist ein Christ. – Zur Pferdeschwemme mit ihm – fort mit ihm!«
Firnos ließ sich mit ihnen in ein Gespräch ein und stellte ihnen vor, daß, wenn er auch in Europa geboren, er doch vielleicht mehr ein Gegenstand des Mitleids als des Abscheus sein könnte, und obgleich ein Christ, so könnte er doch auch großmütig sein, und seine Liebe zur Gerechtigkeit für die Rechte der Weiber könnte ihn veranlaßt haben, die Gesellschaft der Sklavinnen und ihrer Unterdrücker zu verlassen, um die Liebe mit aller Freiheit in Kalekut zu genießen.
Der Fremde versicherte ihnen, daß er ein vollkommener Anhänger ihrer Grundsätze wäre, er wiederholte zu dem Beweis einige Strophen aus eitlem Nationalliede, das sie in ihren Kriegen gegen die Mohammedaner zu singen pflegten, und plötzlich legte sich der Sturm, und man erhob ihn bis in die Wolken; er hätte nun die Schönste unter ihnen wählen können, aber er hatte bereits andere Verbindungen. Er wünschte zurückzukehren, und sie wollten ihn nach Hause tragen. Endlich überredete Firnos sie, sich zurückzuziehen, was sie auch taten, indem sie ihr Lieblingslied, das die Rechte ihres Geschlechts erhob, anstimmten.
Nach einigen Komplimenten von beiden Seiten sagte der Fremde zum Prinzen, daß er eben nach den Bedienten eines Frauenzimmers von Stande, das er in das Theater begleitet, hätte sehen wollen, als die Weiber, durch das Drama gegen jeden Europäer in Wut gebracht, ihn ergriffen und willens waren, an ihm ohne lange Vorrede Gerechtigkeit auszuüben. Firnos stutzte und lächelte, denn es war Mitila selbst, die er fand. »Mein lieber Firnos,« sagte sie, »ich glaube, das Rätsel bedarf nun keiner weiteren Erläuterung. Als ich hörte, daß ein Engländer hier angekommen war, eilte ich zu ihm, in der Hoffnung, einige Nachrichten von Euch zu hören.«
»Und er gefiel Euch so wohl,« unterbrach sie der Prinz, »daß Ihr seitdem nicht wieder an mich dachtet!«
»Und doch wollen wir Freunde bleiben; wollen wir nicht?« sagte sie und reichte ihm ihre Hand. – Sie wendete sich nun zu dem Fremden. »Dies ist der Prinz Firnos, dessen Ihr mich so oft habt erwähnen hören.«
»Ihr braucht mir nicht zu sagen, wer er ist,« sagte Firnos; »hat Fitz Allan schon die Familie Roverbella vergessen?«
»Der Marchese Roverbella?« rief der erstaunte Engländer aus; »der Marchese Roverbella hier in diesem Lande, in dieser Kleidung, ist es wirklich so?«
Ja, es war Fitz Allan, der alte Freund Agalvas, welcher Firnos so kalt empfangen hatte und so plötzlich aus England verschwand, um ihm seine Geliebte in Kalekut zu rauben; denn obgleich der Mittag seines Lebens schon vorüber war, so konnte doch ein entfernter Liebhaber keinen gefährlicheren Nebenbuhler haben als Fitz Allan, den Zögling Chesterfields. Jedoch war der Erfolg seines Glückes weniger schnell, und nicht mit der liebenswürdigen Cäsarseitelkeit konnte er sagen: »Ich kam, sah und siegte.«
Mitila war übrigens weit entfernt, sich ein Verdienst aus ihrer Beständigkeit zu machen. Ein ganzes Jahr betrauerte sie die Abwesenheit ihres Freundes und Schulkameraden, aber hierin befolgte sie bloß die Vorschriften ihres Herzens, ohne einen Gedanken an Schuldigkeit zu hegen. Sie vermied jede große Gesellschaft, schlug jede Einladung aus und verwarf jeden Genuß der Liebe. Fitz Allan kommt in Kalekut an, sie läuft zu ihm, um sich nach Firnos zu erkundigen, sie besucht ihn Tag für Tag, und ganze Stunden ist nur der Prinz der Gegenstand ihres Gesprächs. Aber Fitz Allan war zu liebenswürdig, um eine Nebenrolle zu spielen. Bei jedem Besuch wurde der Trost, den er ihr gab, zärtlicher, unvermerkt vereinigte sie eine innere Sympathie. Anfangs waren Mitilas Gedanken beständig bei Firnos, und endlich führte bloß ein Zufall manchmal ihn in ihr Gedächtnis zurück.
Die Baronin kam nun aus ihrer Loge, wo sie so lange umsonst auf Firnos gewartet hatte, zu ihnen, und alle vier, Firnos und Farna, Fitz Allan und Mitila, gingen in Mitilas Wohnung, um dort zu Abend zu essen.
Diejenigen, die den niedlichen Soupers einer französischen Aktrice oder den ausgesuchten Partien einer österreichischen Aspasia mit beigewohnt haben, können sich einen Begriff von der Fröhlichkeit und guten Laune dieser Gesellschaft machen. Firnos fühlte jetzt, daß er wieder im Lande der Freiheit war, Fitz Allan glaubte sich auf eine Feeninsel versetzt, und die Damen, die selten daran dachten, daß ein Land von ihrem Mutterlande abweichen konnte, dachten an hunderterlei Sachen und fühlten wie gewöhnlich.
Kein müßiger Besuch störte sie mit seiner überflüssigen Gesellschaft, und niemand schlug ein Kartenspiel, die Erfindung der Langenweile, vor. In einem schön erleuchteten Saal genossen sie ein auserlesenes Abendessen. Jeder Kavalier fühlte sich an der Seite seiner Dame glücklich, deren Schönheit durch die Menge Wachskerzen noch glänzender wurde; die Unterhaltung war lebhaft, heiter und voll unschuldiger Scherze, die auch ohne Beistand der Verleumdung Lachen erregen konnten; denn Verleumdung kann in einem Lande persönlicher Freiheit, wie Malabar, nicht stattfinden. »Wie glücklich macht mich Eure Rückkehr, lieber Firnos,« sagte Mitila; »ich brenne vor Verlangen, Eure Erzählung von Fitz Allans wunderlichen Landsleuten zu hören, ich hoffe noch, daß er unsere Leichtgläubigkeit getäuscht hat; ob ich gleich nicht wünsche, wie unsere guten Obstweiber, ihn noch einmal in unseren Pferdeschwemmen zu taufen, da ich ihnen nicht die Eigenheiten vom Fluß Lethe zuschreiben kann, um ihn von seinen abgeschmackten Begriffen von unserem Geschlecht und von seinen ausschweifenden Grundsätzen von Liebe und Ehre zu heilen.«
»Wie glücklich wäre es,« sagte Firnos, »wenn diese Grundsätze bloß ausschweifend und abgeschmackt, und nicht tyrannisch und verderblich wären; doch zu einer anderen Zeit mehr davon. Wenn die Behandlung der Engländer gegen ihre Weiber in Kalekut bekannt wäre, so würden unsere Ammen gewiß den Namen Engländer, anstatt: schwarzer Verschnittener und blutiger Bären, womit sie unsere ungezogenen Kinder erschrecken, gebrauchen. – Es macht mir aber doch eine unendliche Freude, einen alten Bekannten in meinem Mutterlande zu treffen.«
Es erfolgten nun hierauf wiederholte Ausbrüche der Verwunderung, der Zufriedenheit, der Freundschaft und der Neugierde. Welcher Zufall konnte Fitz Allans Abreise von England so schnell veranlaßt haben, und welche Kette von Umständen mochte ihn nach Kalekut, dem unbekannten Mutterland eines Weibes, dessen Abwesenheit er betrauerte, und dessen Andenken er liebte, gebracht haben? Bei dem Spiel, das erspielte, mischte nicht der Zufall die Karten, sondern eine höhere Macht schien sie ausgeteilt zu haben.
Die Gesellschaft zog sich nun in das Boudoir der Gräfin zurück. Auf schwarzatlassenen Kissen, welche dieses Heiligtum rings umgaben, halb sitzend, halb liegend, erneuerten sie ihre Bitten an Fitz Allan, ihre Neugierde zu befriedigen, der auch nach einer kleinen Vorrede ihnen seine Geschichte auf folgende Art erzählte:
»Hans Fitz Allan, ein Landjunker aus einer der ältesten Familien in der Provinz, hatte von seinen Voreltern eine heftige Leidenschaft für die Jagd und einen unauslöschlichen Haß gegen den Hof geerbt. Seine Gedanken verweilten mit Vergnügen bei jenen Zeiten, wo jeder Edelmann ein kleiner Fürst auf seinen Gütern war. Die Mauern seines Landsitzes waren mit Schilden und Hirschhörnern verziert, und er konnte sowohl seinen eigenen Stammbaum, als auch den seines besten Jagdpferdes mit großer Leichtigkeit wiederholen.«
»Gott verhüte es,« rief Firnos, »daß je der Fall eintrete; aber wenn Eure Weiber so wie Eure Pferde unter Schloß und Riegel gehalten würden, so würde die Echtheit Eurer Geburt ebenso gewiß sein als die Eurer Stammpferde.«
»Der Junker«, fuhr Fitz Allan fort, »hatte das vierzigste Jahr erreicht, ohne sich zu verheiraten. Um diese Zeit hatte der Hof durch einige gewaltsame Maßregeln das Mißvergnügen des ganzen Landes auf sich geladen. Vorstellungen und Bittschriften dagegen wurden von allen Seiten eingeschickt, und unsere Provinz bestimmte Fitz Allan dazu, einige kräftige Vorstellungen zu tun. Er ging nun nach London und wurde dort mit vieler Schwierigkeit dahin gebracht, sich nach der Etikette des Hofes zu kleiden, doch konnte er wegen der Kürze seiner Haare keinen Haarbeutel einbinden. Nichts konnte ihn auch dahin bringen, seinen Degen, den Oliver Cromwell einem seiner Vorfahren nach der Schlacht bei Worcester überreicht hatte, gegen einen modernen zu vertauschen. Eine solche lächerliche Figur war lange nicht am Hof von St. James erschienen; ein Gekicher und Geflüster ging bald im ganzen Saal herum. Als er vorwärts schritt, riß sein Degengefäß die Spitzenmanschetten eines Hoffräuleins hinweg, das Gekicher wurde zu einem allgemeinen Gelächter, die ganze Versammlung war in Aufruhr, und nur sie allein hatte die Höflichkeit gegen ihn, ihre Fassung zu behalten, als er eine sehr ungeschickte Entschuldigung herausstammelte; sie ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein und begleitete sein wildes Gelächter mit einem Lächeln.
»Diese Herablassung bewirkte bei dem alten Junker eine vollkommene Veränderung; der rauhe Jäger wurde nun bald zum zierlichen Hofmann, und das nächste Mal, als er bei dem Levee erschien, kannte er sich kaum selbst mehr, als er vor dem Spiegel vorbeiging.
»Jetzt heißt er Junker Hans – daß Gott im Himmel bewahre,
Er heißt der gnädige Herr, und gekräuselt sind seine Haare.
»Lady Luise sagte ihm eine Artigkeit über seine Veränderung. ›Bald werden Sie nun ein Hofmann werden,‹ sagte sie. – ›Gott behüte mich,‹ sagte er, ›kein Fitz Allan ist seit dreihundert Jahren ein Hofmann gewesen,‹ – ›Ich muß bekennen,‹ antwortete sie, ›ich bin keine große Verteidigerin des Hoflebens, und mein Vorfahr, der vor einigen Jahrhunderten genötigt war, Italien zu verlassen, weil er dem Papst eine Ohrfeige gegeben hatte, hat wohl nie daran gedacht, daß eine seiner Nachkommen die Schleppe bei irgendeiner Königin aufstellen würde.‹
»Diesen Versuchungen konnte der Junker nicht widerstehen. Die dem heiligen Vater applizierte Ohrfeige war für den Stammbaum eines Whigs ein zu kostbares Ereignis. Manche Heiraten in Europa haben noch weit abgeschmacktere Ursachen zum Grunde. Ob nun sie oder er den ersten Schritt tat, dies ist einerlei; genug, die ganze Provinz war erstaunt, als sie den ehrlichen Junker mit einem Hoffräulein zurückkehren sah, und die Hofleute konnten nicht aufhören, sich über ihre Wahl zu verwundern, bis sie sechs Monate nachher ihren Mann mit einem Sohn und Erben beschenkte, und mein Name prangte von jetzt an in dem Stammbaum der Fitz Allans.
»Lady Luise war das verbindlichste Weib, das man sich nur denken kann, gewesen; sie schien keine anderen Wünsche als die ihres Mannes zu haben, sie dachte, sprach und kleidete sich, wie er es wünschte; sie wunderte sich, wie nur jemand in der eingeengten Stadtluft leben könne, sie fütterte seinen kranken Wachtelhund und begleitete ihn in den Hundestall. Sie lernte die Jagdgesänge und rief so gut wie nur irgendeiner das Jägerhalloh.
»Nun aber wagte sie es, sich in ihrem natürlichen Licht zu zeigen; sie legte die groben Sitten einer Bäuerin ab und wurde wieder die geschliffene Dame des Hofes. Sie behandelte ihren Mann mit Höflichkeit, aber ehrte seine geringen Fähigkeiten nie. Sie fand keine Unterhaltung in der Gesellschaft der ungestümen Landjunker, die seinen Wein tranken und seine Tafel zu einem Schauplatz der gröbsten Ausschweifung machten. Sie wurde melancholisch, und wenn sie sich zur Ruhe begab, wie oft wurden dann ihre mitternächtlichen Träume, in denen ein liebenswürdiger Kavalier nach ihrer Liebe seufzte, durch die groben Liebkosungen ihres trunkenen Mannes unterbrochen.
»Die Einsamkeit und die Gesellschaft, die sie bei ihrem Manne fand, waren ihr gleich unerträglich. Einsamkeit ist der Spiegel der Seele, in einem zufriedenen Zustande kann man seine Glückseligkeit darin betrachten, aber im Unglück wirft er auch ebenso treu die Farben des Elends zurück. Sie bestand darauf, den Winter in London zu verleben, ihr Mann machte keine Einwendungen dagegen, erklärte seinen Zechbrüdern: sie sei ein armseliges Geschöpf, ein Weib, das keinen Verstand habe, und schien sehr froh zu sein, daß er sie los wurde.
»Von dieser Zeit an lebten sie auf einem Fuß miteinander, den ich allen denen, die sich einander gleichgültig sind, und die das Unglück zusammengeschmiedet hat, empfehlen würde. Sie folgten dem Hang ihrer Neigungen, keines bekümmerte sich um die Handlungen des anderen; er blieb das ganze Jahr auf dem Lande, und sie brachte den Winter bei ihren Anverwandten in der Stadt zu.
»Das Haus des Grafen, ihres Vaters, der in einem diplomatischen Charakter an verschiedenen Höfen des festen Landes gelebt hatte, war der Sammelplatz jeder fröhlichen und angenehmen Gesellschaft der Hauptstadt, und der Vereinigungspunkt aller Fremden von Bedeutung. Unter diesen schienen die erhabenen Eigenschaften des Chevalier de Brissac mit entschiedenem Glanze über alle Anderen hervor. Natur und Kunst hatten sich vereinigt, um seine anmutige Figur zu bilden, und Versailles hatte seinen Manieren die letzte Politur gegeben.
»In Europa würde es nicht allein der höchste Grad von Unschicklichkeit, sondern auch der Undankbarkeit sein, wenn ein Sohn nur einen leisen Wink geben wollte, daß seine Mutter irgendeine andere Gesellschaft der ihres rechtmäßigen Ehemanns vorgezogen hätte; aber meine aufgeklärten Zuhörer in Kalekut«, fuhr Fitz Allan fort, indem er sich gegen die zwei gegenübersitzenden Liebenden verbeugte und Mitilas Hand drückte, »werden diesen Beweis von meiner Mutter Geschmack nicht mißbilligen.
»Mit einem Wort, Lady Luise tat ebenso viel, um dem Chevalier London angenehm zu machen, als Ihr, meine teure Mitila, für mich getan habt, um mich an Kalekut zu fesseln, und er wird ebenso wenig gewünscht haben, nach Frankreich zurückzukehren, als ich wahrscheinlich je wünschen werde, England wiederzusehen.
»Alsdann aber, wenn der Winter vorüber war und der wiederkehrende Sommer sie von London hinweg, wo sie das Leben wirklich genossen hatte, nach dem Lande zu einem fast leblosen Zustande rief, wie erschütterte sie der Gedanke der Trennung von dem Chevalier! Ihr Weiber von Hindostan könnt solche Schmerzen der Trennung nicht fassen. Wenn die Gegenstände Eurer Neigung von Euch hinweggerissen werden, so geschieht dies, weil Ihr der Stimme der Mutterlandsliebe nachgebt, die Euch zu Heldinnen macht, und nicht aus Gehorsam gegen einen Ehemann, der Euch zu Sklavinnen erniedrigt. Die Stunde des Abschieds nahte sich, und sie ging ohne viele Beteuerungen von einer oder der anderen Seite vorüber, denn keiner zweifelte an der Neigung des anderen. Die Zungen schwiegen, aber die Herzen verstanden dies Stillschweigen; er drückte ihr die Hand, als sie in den Wagen stieg, sie ließ die Vorhänge des Wagens herunter und brach in eine Flut von Tränen aus.
»Stellt Euch aber nun eine Frau vor, die, an den Glanz des Hofes gewöhnt, sich für ganze sechs Monate von allem, was ihr teuer ist, losreißen und sich auf dem Lande begraben muß. Ich will nicht untersuchen, ob ein Stadt- oder ein Landleben das vernünftigste ist; aber gewiß werdet Ihr das Weib bemitleiden, die sich nicht einmal die Art zu leben, die ihr gefällt, wählen darf. Überdem ist eine angenehme Gesellschaft die wesentlichste Sache auf dem Lande, und wie ungeschickt war der ehrliche Junker, sie für die Abwesenheit des Chevaliers zu entschädigen!
»Drei tödlich langsame Sommer gingen auf diese Art vorüber, ohne einen Freund, der Empfindung genug gehabt hätte, sie zu bemitleiden, und selbst wenn auch unter der rohen Gesellschaft ihres Mannes einer gewesen wäre, so würde doch ein armes Weib in England es niemals gewagt haben, bei Geheimnissen der Art einen Vertrauten zu suchen. Ihre Augen waren immer rot von Tränen; ich war ihre beständige und einzige Gesellschaft, und obschon ich in meinem vierten Jahr stand, so ließ sie mich doch niemals aus dem Gesicht. Die Befriedigung meiner kindlichen Neugierde machte ihr das größte Vergnügen. Einst fragte ich sie, ob ein Hamster wirklich ein ganzes halbes Jahr hindurch schliefe; es befremdete mich zu der Zeit, als sie auf diese Frage in Tränen ausbrach, und in einer Sammlung von Briefen, die erst neulich in meine Hände fiel und mich noch mit manchem Umstand aus dem Leben dieses unvergleichlichen Weibes bekannt gemacht hat, erwähnt sie auch meiner Fortschritte mit der Zärtlichkeit einer liebenden Mutter. ›Ich treibe ihn immer an,‹ schrieb sie, ›Fragen an mich zu tun; niemand als eine unwissende Wärterin, die unfähig ist, ihm zu antworten, kann die Fragseligkeit eines Kindes tadeln.‹ Sie erzählte nun meine Frage. ›Ach Chevalier!‹ setzte sie hinzu, ›aus Ihren Armen gerissen, warum kann ich nicht auch die Hälfte meines Daseins in Unempfindlichkeit verleben, da ich zu so einer schrecklichen Trennung verdammt bin?‹ – Der Chevalier antwortete mit einem geschmackvollen Sonett und verglich sie darin mit der Ceres, die auch die eine Hälfte des Jahres begraben ist und in der anderen zurückkehrt, um die ganze Menschheit zu beglücken.
»Wenn aber die Natur das traurige Gewand des Herbstes lange getragen hatte, und der düstere Winter sich über das Land verbreitete, dann schien es, als ob jedes Blatt, das von dem Baume fiel, ihr zu einem Leben von Zufriedenheit und Freude winke.
»Den Sommer darauf, als sie wieder auf das Land zurückkam, hatte sie das Glück, ihren Mann in einer unzweideutigen Lage mit ihrem Stubenmädchen zu überraschen. Anstatt aber darüber zu schimpfen und zu schmähen und seine Mitschuldige aus dem Hause zu jagen, tat sie ihm vielmehr den Vorschlag eines Vergleichs, der auch von beiden Teilen pünktlich gehalten wurde. Sie entsagte allen Ansprüchen auf seine Neigung, und er begab sich aller Gewalt und alles Ansehens über sie. Der Chevalier erhielt augenblicklich Nachricht davon und eilte auf den Flügeln der Liebe zu ihr. Der Junker schien ihn aus Patriotismus, denn er war ein Papist und ein Ausländer, nicht sehr gern zu sehen, doch die Entdeckung, daß er auch ein leidenschaftlicher Jäger war, und daß er allein den Mut hatte, mit ihm über ein fünf Fuß hohes Tor zu setzen, gewann ihm bald das Herz des Squires, und er schwur: daß er, obgleich ein Franzos, doch ein verdammt guter Kerl wäre.
»Die Erscheinung des Chevaliers war für Lady Luise die Wiederkehr der Sonne. Wie traurig und einsam ist an einem düsteren Tage dieselbe Landschaft, in der man an einem heiteren von jeder Seite und von jedem Punkt aus neue Schönheiten entdeckt. Wenn sie an seinen Armen hing, wie romantisch war ihr alsdann der Hain, wie einladend der sammetne Rasen, welche Melodie in jedem kleinen Sänger des Waldes, welcher Reiz in jedem murmelnden Bach, und welche Pracht in dem entfernten Ozean! Jetzt erst genoß sie das Landleben, in seinen Armen würde sie auch die Wüsten Arabiens schön gefunden haben; wenn der Tag zu Ende ging, hätte sie ihn gern noch einmal verlebt, und ihre Zurückkehr nach London war jetzt eine ganz gleichgültige Sache.
»Indessen wurde die Erziehung ihrer Kinder nicht vernachlässigt (denn jedes Jahr erschien ein kleiner Fitz Allan). Mir wünschte sie sehr die feinen Sitten eines Hofmanns sowohl als auch die erhabenen Gesinnungen eines Kavaliers mitzuteilen. Sie nahm mir deshalb den Kalender, worin die Wettrennen ausgezeichnet waren, und den mir der Squire erlaubt hatte zu durchblättern, und gab mir dafür Chesterfields Briefe. Dieses kam ihm zu Ohren, er kam in die Kinderstube, wo er seit Jahren nicht gewesen war; um sie zu beleidigen, nannte er sie eine französisch gesinnte Betze, und kehrte darauf zu seinen Hunden zurück. Solche Zänkereien waren jedoch nur bloße Gewitterstürme, heftig aber nicht anhaltend, und hinterließen keine Spuren ihrer Wut; die Arme des Chevaliers standen immer zu ihrem Schutz offen. Ihr werdet verwundert sein, warum der Chevalier sie nicht selbst geheiratet hatte; aber leider war er schon verheiratet und dem Ehrgeiz seines Oheims, eines Bischofs in Frankreich, aufgeopfert. Die Mätresse des Königs von Frankreich wünschte ihren Bastarden eine ehrliche Geburt zu verschaffen; ein Edelmann von Stande sollte ihr deshalb seinen Namen geben und einen Vertrag unterzeichnen, daß er immer von Versailles entfernt bleiben wollte. Der Prälat schlug seinen Neffen vor; die Weigerungen des jungen Chevaliers waren umsonst, er hing von der Güte seines Oheims ab, der Pfaff blieb unerbittlich und überließ ihm die Wahl zwischen der Bastille und einer Pension vom Hofe. Der Neffe wurde nun ein Ehemann und französischer Gesandter in London, der Oheim Kardinal und erster Minister von Frankreich.
»Der Gesandtschaftsposten war eine Art von rühmlicher Verbannung; wie glücklich fühlte sich aber der Chevalier, als er in London Lady Luise fand, die alle Grazie und Geschmack seiner Landsmänninnen besaß. Er tanzte mit ihr das erstemal an einem Geburtstagsball bei Hofe. Kein Menuett machte je ein größeres Aufsehen; der König von England stand vom Spieltisch auf, um ihr zuzusehen, und der Graf, ihr Vater, der den Bischof, seinen Oheim, zu Paris gekannt hatte und von den glänzenden Eigenschaften des Chevaliers hingerissen war, lud ihn dringend ein, ihn zu besuchen.
»Dieses war die Quelle, woraus ihre Bekanntschaft entsprang, ihre gegenseitige Zuneigung entdeckte sich bald, und wenn je zwei Menschen füreinander bestimmt waren, so waren es meine Mutter und der liebenswürdige Chevalier. Er war ihre erste, ihre einzige Liebe, und seine Anhänglichkeit blieb bis zu den letzten Augenblicken ihres Lebens ihr einziger Trost. Als der Krieg zwischen den zwei Nationen ausbrach, blieb er in London als Privatmann; denn unterdessen sein gebietender Herr ihm die Ehre antat, seinen Namen in Frankreich aufrechtzuerhalten, bewilligte er ihm gnädigst, gleich tätig zu sein zugunsten Fitz Allans in England.
»Ich wurde in die Westminsterschule getan; jeden Feiertag brachte ich bei dem Grafen, meinem Großvater, zu, wo die große Anzahl der Ausländer, vorzüglich Franzosen, mir bald Geschmack für Pariser Sitten beibrachte. Ich hörte sie sich ihrer bonnes fortunes rühmen; die gemeinen Ausschweifungen meiner Mitschüler hatten mich immer angeekelt. Liebe war in meinen Augen mehr ein Gegenstand der Galanterie als des Vergnügens, und ich wünschte einiges Aufsehen mit einer Frau von Stande in dem, was man in Europa die Chronique scandaleuse nennt, zu machen; ich sah die Ehe, da einmal in einer vornehmen Familie ein Hahnrei sein muß, um das Geschlecht nicht aussterben zu lassen, als ein notwendiges Übel an; da aber Lord Chesterfield mich gelehrt hatte, die Frau eines anderen wie die meinige anzusehen, so entschloß ich mich, meine Freiheit dem Stolz meiner Familie so spät als möglich aufzuopfern; aber leider wurde mir früher, als ich es wünschte, das Ehejoch übergeworfen.
»Der Squire war zum Marschall bei den Wettrennen in der Provinz gemacht. Bei diesen Gelegenheiten zeigt der englische Adel eine Pracht in den Equipagen und Livreen, die die Augen des Fremden umsonst am Hofe suchen. Fitz Allans Wagen, mit sechs Pferden bespannt und einem Gefolge von Bedienten auf den schönsten Rassepferden, war die Bewunderung aller Zuschauer des Wettrennens gewesen, und den Abend darauf trat er mit so vieler Selbstzufriedenheit in das Ballzimmer, als ob er selbst mit eigenen Händen dem Papst eine Ohrfeige gegeben hätte.
»Die Obliegenheiten eines Marschalls sind, daß er die Honneurs des Platzes macht. Ein deutscher Prinz, der damals auf einer Reise durch England begriffen war, wurde bei Tafel an seine rechte Hand gesetzt, und als es zur Pharaotafel ging, setzte Seine Hoheit eine große Summe auf die Karte. Daß der Hauptzug von Fitz Allans Charakter der Stolz war, habe ich bereits schon erwähnt; als Marschall war er nun hier die erste Person. ›Der König‹, pflegte er immer zu sagen, ›ist bloß der erste Edelmann im Lande.‹ Mit einem Wort, bloß um sich nicht den Rang ablaufen zu lassen, ohne jede Leidenschaft für das Spiel, setzte er die Summe doppelt auf die Karte und verlor sie. Seine Halsstarrigkeit und sein Unglück waren beide einander gleich, und er hörte nicht eher auf, als bis er am Ende des Spiels einem benachbarten Baronet, der die Bank hielt, eine ungeheure Summe schuldig war.
»Den Tag darauf verlangte der Baronet seine Bezahlung, der Squire erklärte seine jetzige Unfähigkeit. Viele Boten gingen nun bei dieser Gelegenheit herüber und hinüber, bis sie zuletzt miteinander übereinkamen, die Sache als gute Nachbarn abzumachen und mich mit des Baronets Tochter zu verheiraten.
»Ich wurde sogleich von einer deutschen Universität, wo ich mich befand, zurückgerufen. Als ich aber dem Fräulein vorgestellt wurde, hatte ich alle Mühe, meinen Abscheu zu verbergen, und erklärte geradeheraus, daß ich sie nicht heiraten würde; der Junker bestand darauf, meine Mutter wollte mit beistehen. ›Hol' euch der Teufel mit deinem Gewäsch,‹ sagte er, ›ich dächte, du schwiegest ganz still, denn du weißt wohl am besten, wer die Hand mit im Spiel gehabt hat; aber da ich einmal genötigt bin, ihm ein Vermögen zu geben, so stehe ich dafür, ich will ihm auch eine Frau geben.‹ Diese Anzüglichkeit auf meine Geburt machte den Vorstellungen meiner Mutter ein Ende; sie konnte jetzt nur Tränen für mich vergießen, ich bestand aber schlechterdings auf meiner Weigerung.
»Die ganze Heiratsgeschichte wurde nun beiseitegelegt, und der Junker mußte ernstlich an die Bezahlung seiner Schuld denken. Er sagte Allans Castle Lebewohl und bezog mit seiner Familie ein kleines Häuschen auf einem seiner Güter; ein einziger Bedienter war ihre Begleitung. Der Junker wurde unfreundlich und mürrisch und zankte vom Morgen bis auf den Abend. In den Tagen seines Wohlstandes war seine Zeit zwischen den Hundeställen und der Flasche geteilt; nun, da seine Keller leer und seine Hunde und Pferde verkauft waren, dachten seine Freunde nicht mehr an ihn, und sein einziges Vergnügen war, seine Frau zu plagen.
»Erlaubt mir,« sagte der Brite zu seinen Zuhörern, »Euch auf eine Ungereimtheit oder Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, die aus der Ehe, von welcher Plage Eure Nation glücklicherweise befreit ist, entspringt. Diese Bemerkungen werden Euch noch zufriedener mit Eurem Schicksal machen, und dadurch wird Euch in der Tat kein unwesentlicher Dienst geleistet.
»Erstens wird es Euch wohl wundern, daß der Squire, dessen Verwandtschaft mit mir wenigstens sehr zweifelhaft war, sich ein größeres Recht, über mich zu entscheiden, anmaßte als meine Mutter, deren Verwandtschaft mit mir ganz gewiß war; und zweitens, warum meine arme Mutter genötigt war, in einer Hütte für die Torheiten eines Mannes zu büßen, der ein sehr gleichgültiger Gegenstand für sie war. Ihr könnt Euch einbilden, daß da die Ehe eher eine Vereinigung zweier Vermögen als zweier Liebenden ist; wenn nun ein Vermögen erloschen wäre, so möchte das andere für sich selbst sorgen. Keineswegs aber ist dieses der Fall; ein verheiratetes Paar ist wie ein paar Galeerensklaven, die zusammengekettet auf der Donau miteinander arbeiten müssen. Das Geld ist ihr Leben, und sollte eines von ihnen sterben, so muß der andere den leblosen Körper bis zu Ende der Station mit sich schleppen. Meine Mutter würde für den Mann, den sie liebte, mit Freuden gelitten, und Weiber von weniger großmütigem Charakter würden dasselbe getan haben. Sogar auch das Stubenmädchen wollte den Junker nicht verlassen, so erbot sie sich und bestand durchaus darauf, der Familie umsonst zu dienen.
»Der Kummer nagte unterdessen an den Lebensgeistern meiner Mutter, und ihre Gesundheit wurde von Tag zu Tag hinfälliger; der Junker, anstatt sie zu trösten, überhäufte sie mit Kränkungen. Ihre erhabene Denkungsart verbot ihr, alle Unterstützung von dem Chevalier anzunehmen, und der letzte Heller wurde auf meiner Brüder Erziehung angewendet, ich aber mußte mich auf dem Lande langweilen. Meine Mutter war die Güte selbst gegen mich, und auch sogar der Junker hatte mich bis bei der letzten Gelegenheit niemals hart behandelt. Ich haßte das Landleben, und es schien mir eine Strafe meines Ungehorsams zu sein; meine Mitschüler reisten in Europa herum, und jeder Brief enthielt eine Erzählung von ihrer Präsentation an irgendeinem Hofe auf dem Festlande. Endlich schrieb mir einer von meinen Freunden aus der Westminsterschule, daß er mit einer Erzherzogin getanzt hätte; ich ging sogleich zu dem Junker und erbot mich, des Baronets Tochter zu heiraten. Unsere Familie lebte nun wieder in ihrem alten Glanz auf dem Schloß, und die Fräulein Braut wurde aus der Kostschule nach Hause geholt.
»Meine Braut konnte für ein hübsches Mädchen gelten; sie hatte rosige Wangen und weiße Zähne, war stets bereit, auf den ersten Ton der Geige zu tanzen, konnte bei jedem empfindsamen Buch weinen und über ganz und gar nichts herzlich lachen. Sie war Meisterin im Plumpsackspielen, und Blindekuh war ihr eigentliches Element. Ob sie nun glaubte, daß es ihre Schuldigkeit wäre, ihren Mann zu lieben, oder ob die Person eines achtzehnjährigen Jünglings ihr wirklich gefiel, genug, sie tat mir die Ehre an und verliebte sich leidenschaftlich in mich. Ich würde sie recht gern von ihrer Schuldigkeit losgesprochen haben und hatte übrigens noch die Undankbarkeit, mich durch die Ehre wenig geschmeichelt zu finden.
»Der Priester hatte uns eben zusammenverbunden und spielte nun seine Rolle bei dem Hochzeitsschmaus, die Landjunker zogen die Braut mit den Mysterien des Ehestandes auf, als ich mich aus dem Zimmer schlich, in meinen Reisewagen sprang und nach dem Festlande abreiste. Der Baronet hatte mir seine Einwilligung zu einer dreijährigen Reise gegeben, er dachte aber wohl nicht daran, daß meine Abreise schon jetzt vor sich gehen würde. Die Täuschung zog der Braut eine Ohnmacht zu.
»Diese drei Jahre waren die angenehmsten, die ich je verlebt habe; sie gingen vorüber wie ein Traum, die bloße Erinnerung daran hat mir manche glückliche Stunde gemacht. Nie glaubte ich, daß ich ihnen etwas gleichsetzen könnte; doch Kalekut, unter Eurem Schutze, meine teure Mitila, hat in dem Herbst meines Lebens jene Zauberei wieder erneuert, mit welcher Paris meine Frühlingstage vergoldete. – Ich kehrte nach England zurück, die Geschichte meiner Liebschaften überstieg den Glauben meiner phlegmatischen Landsleute, sie hatten gar keinen Gedanken für die entzückende Abwechslung der Galanterie und wußten die Mittelstraße zwischen häuslicher Einförmigkeit und grober Ausschweifung nie zu treffen.
»Die Wiederholung meiner Abenteuer würde Euch, meine Damen, wenig Unterhaltung machen, Ihr würdet immer glauben, ich erzählte die alltäglichen Liebschaften dieser Hauptstadt, und Paris kann man als das Kalekut von Europa ansehen. Die Ehe ist zwar dort gebräuchlich, aber wie ein französischer Autor Montesquieus persische Briefe. sagt: ›Ein Ehemann, der seine Frau ausschließlich zu besitzen wünscht, muß als ein Störer der allgemeinen Glückseligkeit und als ein Wahnsinniger angesehen werden, der das Licht der Sonne mit Ausschluß aller anderen Menschen für sich allein haben wolle. Ein Ehemann, der seine Frau allein liebt, ist ein Mann, der nicht liebenswürdig genug ist, die Neigung anderer Weiber für sich zu gewinnen; der ein Gesetz mißbraucht, um seinen eigenen Mangel an Reizen zu ersetzen, der die Wohlfahrt einer ganzen Gesellschaft seinem eigenen Nutzen aufopfert und der, soviel nur in seiner Gewalt steht, dazu beiträgt, eine stillschweigende Übereinkunft, die zu der Glückseligkeit beider Geschlechter erforderlich ist, umzustoßen.‹«
»Lebt dieser Autor noch?« fragte Mitila. »Er verdient, ein Mitglied der kalekutischen Akademie zu sein, Eure Kaiserliche Hoheit muß ihm ein Diplom dazu verschaffen.«
»Wenn ich nach Europa verbannt würde,« sagte Farna, »so würde ich Paris zu meinem Aufenthalte wählen.«
»Ich bin vollkommen Eurer Meinung,« sagte Fitz Allan, »und wenn auch sogar die Bastille wieder erbaut werden sollte. Man muß sich herablassen, hier das gemeine Sprichwort anzuwenden: ›Das Hemd ist mir näher als der Rock‹, und politische Freiheit ist weniger schätzbar als persönliche Freiheit. Aber nun zur Fortsetzung meiner Geschichte!
»Bei meiner Zurückkunft nach England fand ich meine Frau wenig gebessert. Bei unserer Verheiratung war sie noch sehr jung, ihr Charakter war noch sehr ungebildet, und weich wie Wachs würde er jeden Eindruck angenommen haben, oder man konnte vielmehr sagen, daß sie noch ganz und gar keinen Charakter hatte. Da sie so lange unter den Landjunkern gelebt hatte, so war sie ein vollkommener Wildfang geworden, und, mit einem Wort, sie war wirklich die nämliche Landkarikatur, von der meine Mutter einst in ihrer Verlegenheit die Außenseite angenommen hatte. ›Hier ist ein Weib,‹ rief der Squire, ›die, Gott verdamm' mich, mehr wert ist, als alle Hofdamen zu St. James.‹ Sie gab mir einen herzhaften Kuß und lief die Treppe hinauf, um den Schwanz eines Fuchses zu holen, bei dessen Tod, wie sie mir im Triumph versicherte, sie selbst dabeigewesen wäre. – O wie sehr bereute ich in diesem Augenblick den Verlust der niedlichen Soupers der Boudoirs und der Parties fines, die ich mit der Frau Baronin, der Frau Marquise und der Frau Präsidentin genossen hatte, Schönheiten, die ich in Nancy kennen gelernt hatte.
»Glaubt nicht, meine Damen, daß meiner Frau Geschmack an der edlen Reitkunst mein Mißfallen an ihr erregt hätte. Weit entfernt davon, entsprang mein Ekel aus ihrem Mangel jedes anderen Geschmacks. Eine Frau, die mit ihren Gedanken immer im Stall ist, ist wirklich eine sehr unschickliche Gesellschaft für das Putzzimmer. Glaubt mir, ich war niemals in meinem Leben so hingerissen, als da ich die Samorina zum erstenmal zu Pferde erblickte. Mit welcher Gewalt bändigte sie das edle Tier, mit welcher Geschicklichkeit lenkte sie jede seiner Bewegungen, welche Würde und Grazie in der Haltung ihres Körpers. Der persische Botschafter begegnete ihr; der hochmütige Mohammedaner, stolz auf die eingebildete Überlegenheit seines Geschlechts, war genötigt, abzusteigen und ihr den Steigbügel zu halten. Und dann die Damen von ihrer Begleitung, jede forderte einen Teil der Bewunderung, die wir ihrer Gebieterin schon gezollt hatten, jede der Ehre würdig, Dido auf die Jagd zu begleiten. – Wachte ich oder träumte ich? Sah ich Penthesilea an der Spitze ihrer Amazonen? oder Katharina von Rußland, wenn sie ihre Leibgarde kommandierte?
»Wie glücklich wäre der Squire mit einem Weibe, wie das meinige war, gewesen, und wie angenehm würde ich mein Leben mit einer Gefährtin, wie meine Mutter war, zugebracht haben (ich sage Gefährtin, denn schon der Name Ehefrau würde sie mir gleichgültig gemacht haben). Die Liebe wird von unseren Dichtern als ein blinder Gott vorgestellt, aber sollte Hymen nicht noch weit eher so dargestellt werden? Hymen, der einen rohen Landjunker mit der artigsten Dame am ganzen Hofe vereinigte und mich, den Zögling Chesterfields, an eine plumpe Bauerndirne fesselte. Glückliches, dreimal glückliches Malabar, wo Kupido seine kleinen kindischen Possen immer treiben kann, wo aber Hymen keinen zum Wahnsinn treibt.
»Die Lage meines Weibes war auch gewiß grausam genug, um einem jungen Mädchen von neunzehn Jahren das Gehirn zu verrücken. Obgleich ohne großes Verlangen, unter die Zahl der Heiligen versetzt zu werden, hatte mich eine bloße Kaprice verleitet, sie so zu behandeln, wie Eduard der Bekenner seine Königin behandelte. Schon vier Jahre war sie eine Frau und doch noch Jungfer. Sie war zu stolz, um sich über diese beleidigende Vernachlässigung zu beklagen. Sie suchte die Einsamkeit, wo sie, den Kopf mit ihrer Hand bedeckend, ihren Ellbogen auf das Knie stützte. Ganze Stunden saß sie unbeweglich in dieser Stellung, das treue Gemälde von Täuschung und Kummer. Schluchzen und erstickte Seufzer waren ihre einzigen Worte, und Tränen träufelten auf ihren wogenden Busen.
»Meine Mutter, meine liebe Mutter sah und bemitleidete ihr Unglück, meine Mutter, die ich eben verlieren sollte und die die Welt noch mit einer großmütigen Handlung verließ. Diese beste der Frauen hatte ihre Kinder immer mehr mit der Vertraulichkeit eines Freundes als mit der Strenge einer Mutter behandelt, genoß aber auch dafür wieder ihr Vertrauen und ihre Anhänglichkeit in hohem Grade. Als sie merkte, daß ihr Ende nahe sei, gab sie uns ihren Segen, und nachdem sie von meinen Brüdern auf das zärtlichste Abschied genommen hatte, befahl sie mir, an ihrem Bette zu bleiben. ›Ich habe‹, sagte sie, ›meine Kinder alle mit einer Unparteilichkeit behandelt, die einer Mutter würdig ist, jedoch bin ich nicht so blind, um nicht zu bemerken, daß deine hervorstechenden Eigenschaften dich eines höheren Grades von Vertrauen würdig machen. Ich vertraue deinem Busen kein gemeines Geheimnis an, ich würde diese Bekenntnisse nie mutwilligerweise tun, aber ich hoffe, sie sollen eine Wirkung auf dein künftiges Betragen haben. Du wirst deine Mutter vor den Schranken des Vorurteils hören anklagen, aber ihr Gewissen spricht sie frei; ich bin keine gute Gattin gewesen, aber ich war eine gute Mutter; die Pflichten einer Gattin hängen von zufälligen Launen der Zeit und des Orts ab, jene einer Mutter sind ihr durch die Stimme der Natur vorgeschrieben. Ich gestehe es, daß ich eine Bekanntschaft mit einem Fremden von Stande gehabt habe; unser Briefwechsel, den du in meinem Schreibtisch finden wirst, wird dir zeugen, wie sehr ich ihn liebte und wie würdig er meiner Liebe war. Unser Glück stand in der Macht meines Mannes; hätte er mich so behandelt, wie du deine Frau behandelst, so würde meine Leidenschaft mich unglücklich gemacht haben. Meine Dankbarkeit gegen den Himmel für diesen gütigen Mann veranlaßt mich, dich, mein Sohn, zu bitten, daß du dieselbe Nachsicht gegen dein armes Weib, deren Glückseligkeit oder Elend von dir abhängt, zeigen möchtest. Gönne ihr deine Gesellschaft nur eine Nacht (dies ist alles, was ich von dir verlange), und dann laß sie nach Belieben über sich selbst verfügen; und versprich mir, nie Rechenschaft wegen ihres Betragens zu fordern. Ich, die ich jetzt an den Pforten der Ewigkeit stehe, jetzt da die Hand des Todes die Vorurteile und die Verblendung dieser Welt hinwegreißt, ich glaube keine übertriebenen Forderungen zu tun, wenn ich dich bitte, daß du einem Mitmenschen erlaubst, Herr über seinen eigenen Körper zu sein.‹
»Nachdem sie diese wahrhaft philosophische Meinung geäußert hatte, wurde ihre Stimme immer schwächer, ihre Kräfte verließen sie, und sie starb ohne Kampf in meinen Armen.
»Nur sehr wenige Engländerinnen würden diese Gesinnungen meiner Mutter nicht mit Abscheu angehört haben; doch sie war bei ihren Anverwandten in Italien erzogen worden, und stolz auf ihren italienischen Ursprung erklärte sie bei jeder Gelegenheit den Vorzug, den sie den Meinungen und Sitten jenes Landes einräumte.
»Jeder Wunsch meiner Mutter war von jeher Gesetz für mich gewesen. Mit dem Anstand eines türkischen Sultans warf ich meiner Frau das Schnupftuch zu, und zitternd wie eine zirkassische Sklavin bestieg sie unser Hochzeitsbett. Hans und Kasper, Gürge und Töffel, Stallknechte, Kutscher und Vorreiter hielten sie nachher für meine Nachlässigkeit schadlos.
»Ich erwähne die Niedrigkeit dieser Liebhaber keineswegs, um meiner Frau es zum Verbrechen zu machen, sondern bloß um die herabwürdigenden Gefühle meiner Frau, um ihren Mangel an Geschmack zu zeigen. Wenn ein Weib ihre Neigung auf eine so unwürdige Art verschleudert, so ist das ihre Sache, und niemand ist berechtigt, sie deswegen zu tadeln; aber erwägt die Strenge des Schicksals, das mich für meine Lebenszeit an ein Weib von solchen gemeinen Gesinnungen gefesselt hatte.«
»Solche gemeinen Gesinnungen«, sagte Farna, »sind auch in Kalekut nicht unbekannt, obschon wir zur Rechtfertigung unserer Frauen bekennen müssen, daß sie ungewöhnlich sind. Wenngleich hier eine Dame nicht den geringsten Anstand nehmen würde, ihre Neigung für ihren Bedienten zu gestehen, so bringt doch die Gewohnheit, Erziehung und Gelegenheit meistenteils Liebende von gleichem Rang zusammen. Sollte der Hut eines Menschen von geringer Herkunft in dem Vorzimmer einer Frau von Stande hängen, so empfiehlt er sich gewöhnlich durch einige ausgezeichnete Eigenschaften oder durch die Überlegenheit seiner Talente: er ist einer von denen, die die Natur selbst geadelt hat. Ihre Kaiserliche Hoheit die verstorbene Samorina war einem Professor besonders gewogen, und obschon seine Mutter eine Wäscherin war und sein Oheim in dem letzten persischen Kriege als gemeiner Soldat gedient hatte, so billigte doch der ganze Hof ihre Wahl. Er ist ein Mann von dem glänzendsten Witze. Ich will Euch bei ihm einführen, ich war niemals eine halbe Stunde in seiner Gesellschaft, ohne daß ich etwas durch seine Unterredung gelernt hätte.«
»Mit den gewöhnlichsten Zufällen meines Lebens will ich Euch nicht beschwerlich fallen,« fuhr Fitz Allan fort, »sogar meine Liebschaften enthalten nichts Merkwürdiges mehr. Der Freundschaft Eurer edlen Mutter will ich mich nicht rühmen und auch ebensowenig den Verlust ihres unglücklichen Kindes erzählen.
»Meine Frau hatte sechs Kinder gezeugt, zwei davon starben sehr klein, und obgleich ich niemals die geringste Neigung für sie fühlte, so muß ich ihr doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie die Pflichten einer Mutter immer auf das vollkommenste erfüllte. Man hielt sie der Zärtlichkeit, die sie zeigte, als sie eins davon verlor, nicht fähig. Die wilden Tiere haben zwar auch mütterliche Gefühle; doch so roh ihre Sitten auch waren, so war ihr Herz doch weit von Wildheit entfernt.
»Ein reizendes, niedliches, kleines Mädchen von zehn Jahren wurde krank, ihre Krankheit machte die ganze medizinische Fakultät verwirrt, welche, da sie es für etwas anderes hielt, die entgegengesetztesten Arzneien verordnete. Meine Frau verließ ihr Bett nie, und ihre Angst und Sorge zehrten sie so ab, daß sie fast wie ein Skelett aussah. Das Kind starb, doch nichts war fähig, die Mutter von seinem Tode zu überzeugen. Tag und Nacht hing sie über dem toten Körper und erwartete die Rückkehr. Taub gegen die Vorstellungen ihrer Freunde, war nichts als die Krankheit eines anderen Kindes vermögend, sie von der Leiche wegzubringen. Ihr zweiter Sohn war von seiner Schwester mit den Masern angesteckt worden, denn dies war die Krankheit des kleinen Mädchens, was aber zu spät entdeckt wurde, um ihr Leben zu retten. Sie ließ eine Träne auf den leblosen Körper fallen und flog zum Beistand des Sohnes.
»Das Kind, das in Gefahr ist, ist immer der Liebling. Der Verlust des anderen und die Aufmerksamkeit, die sie ihrer eigenen Gesundheit schuldig war, wurden von der zärtlichen Mutter vergessen. Ihr ganzes Dasein schien von der Wiedergenesung des Knaben abzuhängen. Sie reichte ihm die Arznei, die er aus keinen anderen Händen nehmen wollte, und unterdessen die Wärterin in einem Lehnstuhl schnarchte, schloß der Schlaf nie ihre Augen. Sie wachte an seiner Seite und berichtete des Morgens, wenn der Arzt kam, sorgfältig jedes Symptom der vergangenen Nacht. Während vierundzwanzig Stunden gönnte sie sich kaum ein paar Stunden Ruhe; sie verschaffte ihm jedes Spielzeug, sie erzählte ihm jedes Geschichtchen und gab sich alle Mühe, um ihn aufzuheitern.
»Die Landluft wurde als Mittel verordnet, und wir mieteten eine Wohnung außerhalb der Stadt. An einem schönen Sommermorgen, als es gerade vier geschlagen hatte, wurden wir durch einen Pistolenschuß aufgeschreckt; die Bedienten, die die ganze Nacht gewacht hatten, eilten hinaus, um vielleicht jemand aus den Händen der Räuber zu befreien. Bald darauf kehrten sie zurück und holten eine Matratze, auf der sie alsdann einen Jüngling getragen brachten, der in einem Duell verwundet worden war. Er lag noch in Ohnmacht, und da das Zimmer dunkel und sein Gesicht mit Blut bedeckt war, konnte ich seine Gesichtszüge nicht erkennen.
»Ich zog mich bei der Ankunft des Wundarztes zurück, der ihn bald wieder zu sich brachte, aber nachdem er seine Wunde untersucht hatte, erklärte, daß er nicht mehr lange würde zu leben haben. Ich war in das anstoßende Zimmer gegangen, wo meine Frau das Kind wartete. Als der Verwundete mit seinem Sekundanten allein war, fing er an zu sprechen, und unerachtet seiner schwachen Stimme verstanden wir doch, da die Wand sehr dünn war, jedes Wort.
»›Mein lieber Freund,‹ sagte er, ›du kennst mehr als zu gut die Ursache dieses Unglücklichen Zweikampfes. Die Aufführung meiner Mutter mag auch sein, wie sie will, so ist der Sohn doch verpflichtet, ihre Ehre zu beschützen; mein Gegner hatte die Unverschämtheit, diese anzugreifen, ihren Namen an einer öffentlichen Tafel mit Verachtung auszusprechen und sie zu beschuldigen, daß – doch du weißt ja das Ganze. Ich habe nach meinen Eltern geschickt, ich hoffe, daß sie noch kommen werden, um mir ihren Segen zu geben. Doch um die Gewährung einer Bitte ersuche ich dich ernstlich: du mußt mir feierlich versprechen, niemals die wahre Ursache dieses Duells zu verraten. Es würde meine Eltern nur uneinig machen, und die Folgen könnten schwer auf meine Mutter fallen. Erdenke eine Erzählung und wenn sie auch den Anstrich einer Nichtswürdigkeit hat, sage, wir hätten uns beim Spiel oder beim Billard überworfen. Dann mögen sie mich immer ihres Bedauerns weniger wert halten, und diese Erzählung mag ihre Meinung von meinem Charakter verringern, doch ihre häusliche Zufriedenheit bleibt doch ungestört.‹
»Die Großmut des Fremden setzte mich in Erstaunen; Neugier, Verwunderung und Verzweiflung drückten sich eins um das andere in dem Gesichte meiner Frau aus. Sie zitterte und änderte öfters die Farbe. ›Gott im Himmel,‹ rief sie endlich aus, ›es ist Allan!‹ sprang auf und stürzte in das andere Zimmer. – Es war ihr ältester Sohn.
»Dieses Opfer kindlicher Liebe war auf dem Altar des Vorurteils geopfert worden; er hatte die Universität verlassen, um einen Mitstudenten, der vielleicht unbesonnenerweise auf die Liebschaft seiner Mutter angespielt hatte, zu züchtigen. Da er nicht wußte, daß seine Familie ihre Wohnung verändert hatte, so war zufälligerweise das freie Feld vor unserem Hause zu dem Ort ihres Zweikampfes bestimmt, und er wußte nicht, wem dieses Zimmer, wohin er jetzt gebracht worden war, gehörte.
»Für den Auftritt, der jetzt folgte, ist jede Beschreibung zu arm; ein Maler würde nicht imstande sein, den Schrecken in jedem Gesichte auszudrücken. Das arme Weib, abgemattet durch das lange Wachen, hatte kaum ihres Sohnes Bett erreicht, als sie mit einem Schrei, der bis zum Herzen drang, leblos niederfiel. Der Sohn fährt mit solcher Gewalt empor, daß seine Wunden wieder von neuem aufbrechen. Nichts hält ihn im Bett zurück, er wirft sich über sie und küßt ihre kalten Lippen, und sein Blut träufelt über ihr blasses Gesicht. Unterdessen erwacht das kranke Kind und vermißt seine Mutter, es kriecht in das nächste Zimmer und findet sie, wie es glaubt, tot und in seines Bruders Blut gebadet. Das arme unschuldige Kind, wie groß war sein Schrecken, welche Sprache drückt die Empfindungen der Natur aus? Der Anblick des Todes erschreckte es, es flüchtet, doch der Antrieb kindlicher Liebe behält die Oberhand: es kehrt zurück, zitternd berührt es ihre kalte Hand und wagt sie endlich auch zu küssen.
»Ihre Kammerfrauen sind in ihren Bemühungen, sie in das Leben zurückzurufen, glücklich. Ach! es ist ein Erwachen eines Verurteilten, dessen fliehender Geist von gefühllosen Menschen zurückgehalten wird, um ihm die Qualen des Todes zu verlängern. Sie öffnet ihre Augen mit einem Blick nach ihrem Sohn, einem Blick so voll Zärtlichkeit, Mitleid, Dankbarkeit und Billigung, so vieler teilnehmenden Billigung, als ob ein Engel einen teilnehmenden Märtyrer belohnte. Niemals werde ich dieses vergessen; aber die Wunde des Jünglings hatte nicht aufgehört zu bluten. ›Oh, wie wird mir!‹ rief er auf einmal aus und faßte meinen Arm, um sich zu stützen. Als er von der zweiten Ohnmacht wieder erwachte, sahen wir an der Bewegung seiner Lippen, daß er betete, die Kräfte fehlten ihm aber, es laut zu tun. Wir knieten an seinem Bette nieder, er nahm unsere Hände, küßte sie, und indem er sie zusammenfügte, entfloh sein Geist der irdischen Hülle, ohne daß wir einen Seufzer von ihm hörten.«
Die Baronin Farna war bis jetzt ganz aufmerksam gewesen, aber der Tod dieses braven Jünglings rief auch ihren Sohn in ihr Gedächtnis zurück, ihr Busen hob sich mit einem unwillkürlichen Seufzer, und eine Träne floß über ihre Wange. Die Tochter Anoras war stolz auf ihre philosophische Ruhe gegen die Launen des Glücks, aber die Stimme der Natur konnte sie doch nicht übertäuben. Sie war nahe daran, ihre Schwäche durch ein lautes Schluchzen zu verraten. »Freuet euch des Lebens,« rief sie auf einmal aus, ergriff Firnos beim Arm, drehte sich mit ihm einigemal im Saal herum und nahm alsdann mit einer ruhigen Miene ihren Platz wieder ein. – Fitz Allan fuhr fort:
»Bereitet Euch jetzt, eine Erzählung zu hören, die das Haar auf Eurem Kopf emporsträuben und Euer Blut in den Adern erstarren machen wird Das Maß des Elends war noch nicht voll. Das unerbittliche Vorurteil, von diesem Opfer noch nicht gesättigt, verlangte auch noch, um seinen Triumph vollkommen zu machen, den Selbstmord. Die frühere Erziehung meiner Frau war sehr religiös gewesen, und nach den Grundsätzen der Religion meines Landes war der Ehebruch ein Hauptverbrechen. Der abgeschmackteste Aberglauben und die vernünftigste Moral haben gleiche Gewalt über die Gemüter. Den Pythagoreer, der eine Bohne gegessen oder eine Fliege umgebracht hat, beunruhigt sein Gewissen ebensosehr, als den Bekenner irgendeiner anderen Sekte, der vielleicht einen Mitmenschen umgebracht hat. In der Stunde der Zerstreuung hatte sie ihre Grundsätze vergessen, aber der Anblick der Wiedervergeltung schien sich zu nahen. Zwei Kinder wurden von ihrer Seite gerissen, unter welchen ihr Liebling durch das Strafgericht des Himmels zu büßen schien. Doch der erhabene Erforscher weiß allein, ob der Abscheu vor ihrem Verbrechen oder, was wahrscheinlicher ist, die Furcht vor dessen Strafe ihr das Gehirn verrückte, denn drei Tage hintereinander war sie ganz wahnsinnig, und in den Anfällen ihrer Raserei waren kaum vier Menschen hinreichend, sie zu halten. In einem Augenblick nannte sie mich ihren Tyrannen, bekannte den Bedienten, die bei ihr wachten, mein Betragen von unserer Verheiratung an und machte unsere Kinder durch ihr eigenes Bekenntnis zu Bastarden. Sobald ich zur Tür hereinkam, fiel sie auf ihre Knie, weil sie sich einbildete, mein gezogenes Schwert stehe ihr schon an der Kehle, und brachte durch ihr Mordgeschrei die ganze Nachbarschaft in Aufruhr. Abgemattet durch ihre heftigen Anfälle, sank sie des Nachts in Schlaf, aber kaum hatte die Glocke vier geschlagen, so erwachte sie, lief in das nächste Zimmer, kniete vor dem Bette, wo ihr Sohn entschlummert war, nieder und schrie mit fürchterlicher Stimme: ›Mein Sohn! mein Sohn!‹ und zog hierauf ihr Schnupftuch heraus, um das Blut seiner Wunde zu stillen. ›Ach,‹ sagte sie, ›er stirbt, er ist nicht mehr, mein Fürbitter ist dahin! Mein Mann wird mich nun morden, und warum wollt ihr mich von seinem Körper wegreißen? mein Mann würde doch wohl einiges Mitleid bei dem Anblick fühlen!‹ und nun pflegte sie ihre Hände und Kleider zu küssen, worauf, wie sie sich einbildete, sein Blut gefallen sei.
»Eines Tages, nachdem sie diese angreifende Szene wieder erneuert hatte, gelang es ihr, ihren Hütern zu entwischen und aus dem Hause zu entkommen. Eine ganze Woche hindurch fragten und suchten wir umsonst nach ihr; endlich berichtete mir mein Haushofmeister, daß sie auf unserem Landsitz, und wahrscheinlich zu Fuß, denn ihre Schuhe wären ganz abgerissen, angekommen wäre. Es ist wahr, sie war niemals so lächerlich delikat, wie ihre Landsmänninnen es im allgemeinen sind, doch glaube ich, war sie noch nie eine Meile in einem Tage zu Fuß gegangen, und nun deren zehn! und bloß um die Familiengruft zu besuchen, worin der Körper ihres Sohnes ruhte. Ich reiste sogleich ab, aber als sie meinen Wagen längs des Parks herkommen sieht, schreit sie: ›Er kommt! mein Mann kommt, um mich zu morden!‹ reißt ein Fenster auf und stürzt sich in den Schloßgraben. Durch einen Fall von hundert Fuß Höhe war ihr Körper fast ganz zerschmettert, in ihren Haaren hing das Gehirn in ganzen Klumpen, und ihre Kleider schwammen in Blut. Dies war das traurige Ende meiner Frau, eines Weibes, die ich zwar niemals liebte; wäre ihr Schicksal auf dem Theater vorgestellt worden, so würde auch der unbefangenste Zuschauer in Tränen zerflossen sein, und sehr gern hätte ich die Hälfte meines Vermögens aufgeopfert, um ihr die Ruhe ihres Lebens wiederzugeben.
»Indessen hatte ich auch den kleinen Knaben, meinen einzig übriggebliebenen Sohn, verloren. Da seine Mutter seine Wärterin gewesen war, und wer ist wohl zu einer Wärterin geschickter als eine zärtliche Mutter? so war er während der letzten Verwirrungen vernachlässigt worden. Eine Nacht hört er ihr entsetzliches Geschrei, und da er sie außerordentlich liebte, kriecht er aus dem Bett und horcht an ihrer Tür. Er war noch nicht völlig von seiner Krankheit genesen und zog sich dadurch eine Erkältung zu; durch seinen Tod blieb mir nur noch von meiner ganzen Familie eine Tochter übrig, die meine Tante an Kindes Statt angenommen hatte.
»Diese gute alte Jungfer war die personifizierte Steifheit. Sie hatte dem Kinde alle die Fehler ihrer Mutter auseinandergesetzt und dadurch verursacht, daß sie gerade den entgegengesetzten Charakter angenommen hatte, denn sie wurde ebenso ekel und delikat, als ihre Mutter ungestüm war. Man hatte sie gelehrt, die Hände vor sich zu legen, wenn sie saß, die Füße auswärts zu setzen und den Kopf in die Höhe zu halten, ihre Antworten überstiegen selten ja oder nein, sie wagte es kaum, jemand gerade in das Gesicht zu sehen, und die unschuldigste Freiheit im Gespräch würde sie hocherröten gemacht haben.
»Ich reiste nach der Landstadt, wo meine Tante wohnte, um meine Tochter nach London zu bringen; wir kehrten zusammen in einer Postkutsche zurück, ohne auf dem Wege ein einziges Mal anzuhalten. Ich hatte so viel auf dem Festlande gelebt, daß ich die übertriebene Delikatesse der Engländerinnen ganz vergessen hatte, und den ganzen Tag gab ich dem armen Mädchen, die ich früh aus dem Bette gejagt hatte, keine Gelegenheit, sich auf eine gute Art entfernen zu können. Eine Verstopfung war die Folge davon. Ich bemerkte drei Tage hintereinander, daß sie immer den Kopf hing und sehr niedergeschlagen schien; ich fragte sie, was ihr fehlte, erhielt aber keine Antwort, sondern sie fing an, heftig zu weinen; ich glaubte, die Trennung von ihrer Gefährtin ginge ihr so nahe, und fragte sie nicht weiter, denn wer konnte sich wohl vorstellen, daß ihre falsche Bescheidenheit so weit gehen sollte, daß sie nicht mal ihren eigenen Vater mit ihrer Krankheit bekannt machen würde. Endlich entdeckte die Kammerjungfer die Ursache; die ersten Ärzte von London wurden nun zur Hilfe herbeigerufen, doch alles war umsonst, ihre Schmerzen waren schrecklich, aber nichts auf der Welt konnte sie anfänglich dahin bringen, sich von einem Wundarzt besichtigen zu lassen. Endlich gestattete sie es, aber viel zu spät, denn alle Hoffnung war nun verloren. Umsonst brachte ich das arme Mädchen in ein mineralisches Bad, sie starb mit der Entschlossenheit einer Heiligen, das letzte Opfer des Vorurteils in meiner Familie.«
»Armes Mädchen,« sagte Mitila; »betragen sich aber alle Damen in Europa gleich abgeschmackt?«
»Keineswegs,« antwortete Fitz Allan, »auf dem Festlande verlangen sie gar nicht solche überirdischen Wesen zu sein, die aller Bedürfnisse der Natur überhoben sind. Ich will Euch, um von dem Tragischen in das Komische überzugehen, ein Beispiel davon anführen. Als ich das erstemal England verlassen hatte, wurde ich im Haag zu einem Ball gebeten, den der französische Botschafter gab. Es war ein ländliches Fest in einem Garten, und ein gewisses Bedürfnis der Natur nötigte mich, hinter einen Busch zu gehen; bald darauf kam auch die Frau vom Hause in derselben Absicht dazu, und ich wollte mich eben aus falscher Scham davonschleichen, als Madame l'Ambassadrice mich aufhielt und mir zurief: › Courage, Milord, pissons ensemble!‹«
Als Fitz Allan diese komische Anekdote, wie er sie auch angekündigt, erzählt hatte, sah er rings um sich, um den Beifall seiner Zuhörer einzuernten. Der Zögling Chesterfields hatte zu viel feine Lebensart, um über seine eigenen Scherze zu lachen, aber er erwartete wenigstens, daß es die anderen tun würden, doch täuschte er sich sehr, denn diese Anekdote, die ihn vielleicht in London zu einem Lügner gemacht hätte, war hier zu alltäglich, als daß sie ein Lächeln in Kalekut hätte erregen können. Fitz Allan bemerkte bald seinen Irrtum und fuhr fort:
»Ich war jetzt ganz kinderlos, von meinen Brüdern war auch keiner mehr am Leben, und zwei weitläufige Vettern, die ich niemals gesehen und um die ich mich niemals bekümmert hatte, waren meine Erben. Sie waren aber Fitz Allans, von derselben Familie und Wappen, und das war alles, was ich verlangte. Ich entschloß mich, ohne Gefährtin vollends durch das Leben zu steuern, und schrieb an den ältesten, daß er nach Allans Castle kommen möchte; aber mein Stolz und nicht meine Zuneigung bot ihm leider diesen Schutz zu spät an, denn da ich ihn, ohne mich um ihn zu bekümmern, immer in einem armseligen Zustand gelassen hatte, so hatte er sich die Nacht zuvor, ehe er meinen Brief erhielt, an Hymens Altar geopfert und als ein blühender Jüngling eine reiche Witwe, die älter als seine Mutter war, geheiratet. Ein Neger, der sich seinem Herrn für eine tägliche Portion Branntwein verkauft, ist wahrscheinlich ein edlerer Mensch, als ein Mann, der sich entschließt, auf so eine Art seinen Lebensunterhalt in dem Schweiße seines Angesichts zu verdienen; doch wünschte ich immer, als ein Edelmann zu handeln, und mein Vetter hatte nichts getan, was diesem Charakter zuwider war. Ich wünschte ihm daher schriftlich zu seiner Heirat Glück, da aber keine Kinder aus einer so ungleichen Verbindung (worüber Ihr Euch wundern werdet, daß eine aufgeklärte Nation sie zugestehen konnte) zu erwarten waren, da ihr hohes Alter den Fitz Allans keine Erben versprach, so wendete ich nun meine Gedanken auf den anderen Bruder. Der junge Mann kam mit Tränen im Auge und bekannte, daß er mit der Tochter eines Kaufmanns heimlich verheiratet sei. Seine Frau kam mit einem Kind auf dem Arm und warf sich zu meinen Füßen. Ihre Gestalt war anziehend genug, aber ich war außer mir vor Wut über eine solche Mißheirat und befahl ihnen, mir aus dem Gesicht zu gehen. Da sie aber sehr arm waren, so schickte ich ihnen manchmal, aber immer durch unbekannte Hände, einige kleine Unterstützungen, fest entschlossen, daß ihre ausgeartete Brut niemals die Güter der Fitz Allans erben sollte.
»Wie Ihr Euch erinnern werdet, hatte mein Vater meine Mutter nur aus Eitelkeit geheiratet, ich heiratete meine erste Frau bloß des Geldes wegen, und nun seht Ihr mich im Begriff, aus Haß zu heiraten; drei gültige Ursachen, um zwei Seelen und Körper miteinander zu vereinigen.
»Von meiner frühesten Jugend an hatte ich die Weiber des Festlandes denen unserer Insel vorgezogen; vielleicht daß Chesterfields Werke mir diesen Geschmack eingeflößt hatten. Gerade zu der Zeit hatten die Schrecken der französischen Revolution ganz England mit dem ersten Adel Frankreichs angefüllt. Unter diesen unglücklich Leidenden war auch die Marquise de Beaumanoir; die Nachricht von ihres Mannes Verurteilung zur Guillotine war eben angekommen, und die Tränen, die sie bei dieser Gelegenheit häufig vergoß, gaben mir eine sehr gute Meinung von ihrer ehelichen Zärtlichkeit. Ich bot ihr meine Hand an, welche sie der Etikette gemäß erstlich ausschlug und nachher annahm. Meine Freunde waren versammelt, um unsere Hochzeit zu feiern, als auf einmal ein Lärm vor meinem Hause entstand und ihr Mann, der die Nacht vor seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis entwischt war, in Begleitung eines Polizeidieners hereintrat und sich ihrer bemächtigte, weil sie in Gesellschaft seiner Juwelen und eines Liebhabers Frankreich verlassen hatte.
»Ihres Mannes Erscheinung rettete mich aus den Händen dieser Sirene, die, wie ich nachher erfuhr, der schwärzesten Untreue und Undankbarkeit fähig war. Wie unglücklich ist das Land, wo die Scheidung nicht das Übel der Ehe endigen kann: war ich in England einmal an dieses Krokodil geschmiedet, so hätte mich nur noch der Tod davon befreien können. – Da die Marquise mich nicht heiraten konnte, so nahm sie mich als ihren Liebhaber an. Einer meiner Besuche wurde aber auf eine sehr unangenehme Art von ihrem Manne unterbrochen, der ganz unerwartet mit noch einem Zeugen in das Zimmer stürzte und mich in einer sehr unzweideutigen Lage mit seiner Frau ertappte. Ich kehrte nach Hause zurück, und bald darauf kam mein Kammerdiener atemlos zu mir. Das Kammermädchen der Marquise, das seine Geliebte war, hatte ihm das schändlichste Komplott entdeckt, das sogar zwei Personen von Stande schmieden, und dessen Ausführung nur die englischen Gesetze allein unterstützen können. Es war nämlich unter dem liebenswürdigen Paar festgesetzt worden, daß er mich in ihren Armen finden sollte, um mich alsdann des Ehebruchs anzuklagen, damit er die ungeheure Strafe erwischte, die tyrannischerweise jedesmal durch die zwölf groben Gesellen zuerkannt wird.
Fest entschlossen, daß sie die Früchte ihrer Niederträchtigkeit nicht einernten sollten, reiste ich augenblicklich nach einem Seehafen ab, wo einer meiner Freunde, der als Gesandter an den Kaiser von China geschickt wurde, eben im Begriff war, unter Segel zu gehen. Die Neugierde, ein Land zu sehen, das wir Europäer noch so wenig kennen, verleitete mich, ihn zu begleiten. Ich kam auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung an, als ein heftiges Fieber mich an der Fortsetzung meiner Reise hinderte und der Gesandte ohne mich abreiste. Nach meiner Wiederherstellung schiffte ich mich auf einem indischen Schiff nach Kalekut ein, in der Hoffnung, hier eine Gelegenheit zu finden, meinem Freund nach China zu folgen, aber seit meiner Ankunft in Eurer Hauptstadt ist mir der Gedanke, meine Reise fortzusetzen, niemals wieder eingefallen.
»Wie oft hatte ich nach meiner ersten Einschiffung die romantische Idee bereut, ein Land wie China zu besuchen, wo weder Bälle, noch Opern, noch eine angenehme Vertraulichkeit beider Geschlechter zu finden ist. Ich, der ich so sehr an Paris hänge und die Franzosen jeder anderen Nation vorziehe, obschon das Betragen der Marquise mich in meiner vorgefaßten Meinung etwas kälter gemacht hatte, der ich sogar auch in London unter Ausländern zu leben suchte, was sollte ich in China tun? Ich hätte allenfalls eine Pfeife Tabak mit unserem Faktor in Canton schmauchen können, indessen ein Trupp geschmackloser Tänzerinnen mir mit ihren Schellen die Ohren vollgeklingelt hätten, oder anstatt in dem Boudoir meiner lieben Mitila zu sein, konnte ich vielleicht die Ehre haben, eine tüchtige Bastonade zu genießen, weil ich dem Serail des Kien-Long etwas zu nahe gekommen war.
»Wie soll ich Euch aber mein Entzücken beschreiben, als ich einen Ort wie Kalekut gefunden hatte; ich wußte nicht, ob ich meinen Augen trauen sollte, es schien mir das Eldorado eines Poeten, und ich fürchtete immer, aus dem süßen Traum zu erwachen. Der Abend war schön, ich ging in der Stadt herum, bis ich müde war, und setzte mich dann bei einem Springbrunnen auf einem der öffentlichen Plätze nieder. Indessen stieg der Mond herauf und tanzte auf dem flüssigen Spiegel. Ich verlor mich in Gedanken, bis eine Serenade, von einem glücklichen Liebhaber seiner Geliebten gebracht, mich aus meinen Träumen weckte. Es war Mitternacht vorüber, als ich in das Wirtshaus zurückkam.
»Ich schlief noch, als mein Bedienter in das Zimmer kam und mir die Gräfin von Seringad anmeldete. ›Die Gräfin von Seringad?‹ sagte ich, ›dies ist wahrscheinlich ein Mißverständnis. Sie wird einen anderen Fremden meinen.‹ – ›Nein, nein,‹ sagte er, ›sie fragte nach dem englischen Muttersohn, der gestern angekommen sei‹. Er hatte noch nicht geendigt, als meine teure Mitila schon in das Zimmer trat und mich angelegentlich fragte, ob ich Eure Kaiserliche Hoheit nicht in England gesehen hätte, doch wer hätte es sich träumen lassen, daß sie den Marchese de Roverbella damit meinte. Ich hatte öfters in Frankreich dem Lever einer schönen Dame mit beigewohnt, aber niemals konnte ich wohl die Ehre erwarten, daß eine liebenswürdige Gräfin dem meinigen beiwohnen sollte.«
»Mein lieber Fitz Allan,« sagte Mitila, »hätte ich so wie Ihr die Geschicklichkeit, Komplimente zu machen, so würde ich Eure Gefälligkeit, Euch mit mir auf das Land zu begraben, bis in den Himmel erheben; Ihr, der Ihr so sehr entzückt von der Hauptstadt seid und einen solchen Widerwillen gegen die grünen Felder und die Einförmigkeit des Landes habt.«
»Einem solchen Feste beizuwohnen,« antwortete Fitz Allan, »würde ich Euch bis an das Ufer des Indus oder bis auf die Berge von Tibet begleitet haben. Eure kaiserliche Hoheit muß wissen, daß die Gräfin die Güte hatte, mich zu dem jährlichen Geburtsfest ihrer Urgroßmutter einzuladen. Niemals sah ich eine so rührende Szene, vorzüglich für mich, der ich in England eine hoffnungsvolle Nachkommenschaft nicht meiner Kinder, sondern meiner Kinder Stellvertreter, eins nach dem anderen vor meinen Augen hatte wegschwinden sehen. Denkt Euch nun, was ich dabei fühlte, als ich die ehrwürdige Ältermutter an der Spitze ihrer Nachkommen, von ihren drei Söhnen gestützt, erblickte, indessen ihre Töchter ihr ihre Söhne und Töchter vorstellten; die Enkelinnen stellten wieder ihre Kinder vor, und einige der Urenkelinnen erschienen mit ihren Kindern an der Brust. Nur eine einzige erschien ohne Kind; schon seit einigen Jahren hatte sie den grünen Gürtel empfangen, aber sie war noch nicht mit einem Kind gesegnet worden. Sie allein erschien traurig und niedergeschlagen wie ein unfruchtbarer Stock unter den fruchtbringenden Weinstöcken. Mit welchem Triumph übersah jetzt die ehrwürdige Erzmutter ihre zahlreiche Nachkommenschaft. Mehr als fünfzig setzten sich zu Tische, die ihr Dasein ihr zu verdanken hatten. Zu ihrer Rechten saß ihr Sohn. Unter den Waffen grau geworden, war er als Befehlshaber mit dem Phönix geziert und erzählte seinen Urneffen die Taten des persischen Krieges, indessen sein Schwestersohn, der schon in seiner Jugend zum Dienst unfähig wurde und mit ehrwürdigen Narben geziert in seine mütterliche Halle zurückgekehrt war, mit einem Seufzer auf seine Krücke zeigte und seinem jungen Neffen sein überflüssiges Schwert versprach.«
»Genug, mein lieber Fitz Allan,« rief der Prinz, »Eure Beschreibung macht nur meinen Kummer wieder rege. Unsere Familie hätte Euch einen gleich köstlichen Anblick gewähren können, wäre Eure schon lange verlorene Freundin, wäre meine Mutter zurückgekehrt. Ach! wäre meine Schwester Osva entdeckt, welch einer glücklichen Familie hätte ich Euch können in Virnapor vorstellen. Ich werde in einigen Tagen nach Hause zurückkehren, und Ihr werdet meine Einladung dahin nicht ausschlagen. Mit wieviel Vergnügen wird der Samorin den Freund seiner Schwester in seiner mütterlichen Halle empfangen; und Ihr, meine teure Mitila, da ich Euch jetzt so gleichgültig geworden bin, so werdet Ihr wohl nicht um meinetwillen Virnapor besuchen, aber Ihr werdet es meinem glücklichen Nebenbuhler nicht abschlagen, mich dahin zu begleiten.«
Die zwei Liebenden nahmen die Einladung an.