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Endlich stieg ein Matrose empor und grüßte Hindostan, das Paradies der Liebe. Die ganze Schiffsgesellschaft jubelte vor Vergnügen. Niemand aber fühlte die Freude, die sich in der Brust der geistreichen Camilla regte. Sie sah die Küste der Freiheit, und obschon sie sogar auch in England frei gewesen war, denn es gibt keine Ketten für eine Sekte, die sich von allen Vorurteilen losgemacht hat, so wurde doch ihr Betragen dort mehr geduldet als gebilligt. Sie war von der Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche zu gewiß überzeugt, um sie den Launen ihrer Landsleute zu opfern; Camilla wünschte sich aber auch den Beifall und die Achtung ihrer Nachbarn zu erhalten. Das Kind, das sie in den Armen trug, würde ihr in England alle Türen verschlossen haben, in Kalekut aber war es eine Empfehlung, ein Paß, von der Natur selbst unterzeichnet. Die Bereitwilligkeit eines verliebten Mädchens ist lobenswürdig, sie bleibt aber doch nur eine Freiwillige. Die Mutter aber ist in Diensten des Staats schon mit Lorbeeren gekrönt. Camilla drückte das Kind der Liebe an ihren Busen und fühlte zum ersten Male vollkommen, wie süß es ist, Mutter zu sein.
Die Schiffe im Hafen zu Kalekut begrüßten den Prinzen und verkündigten seine Zurückkunft nach seiner Mutterstadt. Firnos stieg unter den frohlockenden Zurufen seiner Landsleute ans Land; aber sowohl seine Großmutter als sein Oheim waren zu Virnapor.
Der alte Oberkammerherr machte dem Prinzen seine Aufwartung, um ihm zu seiner Ankunft Glück zu wünschen. Bei dem Anblick Naldors konnte er kaum seinen Augen glauben, so sehr hatten ihn seine Leiden und seine lange Einkerkerung verändert, und doch mußte es der Sohn seiner Schwester Rolida sein. Der alte Hofmann drückte ihn an seine Brust. Naldor erkundigte sich nach seiner Mutter. »Lebt sie denn noch?« ruft er voll freudiger Erwartung aus. Der alte Oheim schwieg; aber die Träne, die ihm ins Auge trat, war hinlängliche Antwort.
Während man anspannte, eilte Firnos nach der Wohnung seiner geliebten Mitila, der er einst vor allen seinen Mitschülerinnen zu Romaran den Vorzug gab und deren Bild ihn so oft während seiner langen Abwesenheit beschäftigt und die Langeweile zweier Seereisen verkürzt hatte. Er war aber nicht so glücklich, sie zu treffen, denn den Tag vorher war sie nach ihrem Muttersitz verreist, wo der Geburtstag ihrer Urgroßmutter Medusa durch ein Familienfest gefeiert wurde.
»Aber, mein teurer Prinz,« sagte der gute alte Hofmann zu Firnos, als er in das Schloß zurückgekehrt war, »bringt Ihr uns denn gar keine Nachricht von Eurer erhabenen Mutter? Muß das Reich die Trauer anlegen? Und soll kein Strahl der Hoffnung uns die Tränen trocknen? Die ehrwürdige Samorina liegt in den letzten Zügen, wenn sie nicht schon jetzt ein Leben geendigt hat, das ihr durch den Verlust so vieler hoffnungsvoller Kinder verbittert wurde. Gestern abend schon brachte uns ein Eilbote die traurige Nachricht, daß sie nur noch wenige Stunden würde leben können. Der Himmel weiß, welche Unglücksfälle noch den Staat bedrohen. Das Volk will durchaus nichts von ihrer Gefahr hören. Vorigen Monat starb auch der Oberpriester von Kalekut. Ihr wißt, wie er von der ganzen Nation geschätzt, beinahe angebetet wurde, und wahrlich, er war auch ihrer Liebe wert. Jetzt verbreitet sich das Gerücht, obschon gewiß ohne allen Grund, daß er auf seinem Sterbebette geweissagt habe: die Samorina werde erst nach der Zurückkunft ihrer Nachfolgerin die Augen schließen. Die Prinzessin lächelt über diesen Gedanken; nichts aber würde den Glauben des Volks daran erschüttern. Aber eilt, mein Prinz, wenn Ihr noch ihren Segen zu erhalten wünscht.« – Firnos und Camilla stiegen in den Wagen.
Bei ihrer Ankunft zu Virnapor gingen die Bürger schweigend und in tiefem Schmerz versunken im Schloßhof umher. Man umringte den Wagen und sah den Kronprinzen. »Es lebe der Prinz Firnos!« rief jede Stimme. Voller Ungeduld und in freudiger Erwartung reißt man den Schlag des Wagens auf. Der Prinz gibt Camilla seine Hand und steigt mit ihr heraus. Man sieht seine stattliche Begleiterin, und jauchzend ruft die Menge: »Es lebe Agalva! Die Weissagung ist erfüllt, die Nachfolgerin kehrt zurück!« Alles drängt sich nun um sie, man küßt ihr Kleid und ihre Hände. Der Prinz kann das vor Freude trunkene Volk seines Irrtums nicht überführen, denn kindliche Pflicht ruft ihn zu seiner sterbenden Großmutter.
Die ehrwürdige Samorina lag in den letzten Zügen. Ihr Sohn, der Kaiser, kniete neben dem Bette. Todesblässe bedeckte ihr Gesicht; aber doch funkelte ihr Auge, und ihre Lebensgeister schienen zurückzukehren, als sie die Stimme des Prinzen hörte; sie ließ sich aufrichten, um ihn zu umarmen.
»Wo ist meine Tochter?« fragte sie, »wo ist Agalva? Hast du keine Nachricht von deiner Mutter?«
Firnos, der durch eine zweideutige Antwort ihre letzten Augenblicke versüßen wollte, antwortete ihr: »Meine Mutter ist nicht mehr in England, sie hat es verlassen, um nach Kalekut zurückzukehren.«
In dem nämlichen Augenblick hörte man das Jauchzen und frohlockende Zurufen des Volkes. Eine alte Kammerfrau eilte nach dem Fenster. »Die Prinzessin Agalva ist da, ich sehe sie selbst, umringt von einer Menge Volkes.«
Firnos erklärte den Irrtum und sagte ihnen, wer es wäre. »Führ' sie hierher,« sagte die Samorina.
Firnos führte Camilla herein. Die Samorina schlingt die Arme um ihren Hals. »Meine Tochter,« sagte sie, »Firnos wollte nicht, daß die Freude mich töten sollte, und verbarg mir deine Zurückkunft. Himmel, vergib mir meinen Unglauben; die Weissagung ist erfüllt! Ich sterbe zufrieden; meine Augen haben meine Nachfolgerin gesehen.«
Ermattet legte sie ihren Kopf auf das Kissen, und – entflohen war ihr Geist.
Der Samorin stand auf, drückte einen Kuß auf die kalten Lippen seiner Mutter, und eine Träne fiel auf die Leiche. Hierauf wendete er sich zu Camilla: »Teuerste Schwester,« sagte er, »in welchem traurigen Augenblick bist du zurückgekommen.«
»Mein Oheim,« sagte Firnos, »bist auch du durch die Ähnlichkeit betrogen?«
Man öffnete jetzt die Vorhänge des Fensters, die man vorher, weil die Kranke nicht zu viel Licht vertragen konnte, zugezogen hatte, und der Samorin wurde nun seinen Irrtum gewahr. Die Fremde war auch noch im Frühling ihres Lebens, sie schien ungefähr so alt, als Agalva war, da sie Hindostan verließ, und ihre Ähnlichkeit mit der Prinzessin war durch die naïrische Kleidung vollkommen.
Der Kaiser war untröstlich, als er hörte, daß die Reise gänzlich fehlgeschlagen war. Er erkundigte sich nach De Grey. »Wie glücklich ist er,« rief er aus, »ihm bleibt doch wenigstens die Hoffnung, seine Schwester zu finden; mir leuchtet aber nicht ein Strahl von Hoffnung. Das Geschlecht der Samora muß erlöschen.« – Mehrere Tage hindurch war Agalvas Tagebuch seine einzige Unterhaltung.
Indessen eilte der Adel aus allen Provinzen nach Hofe, um dem Kronprinzen zu seiner Zurückkunft Glück zu wünschen. Jeder erstaunte über die Ähnlichkeit Camillas mit der kaiserlichen Familie. Das Volk, ohne auf den Unterschied des Alters zu achten, blieb fest bei seiner Meinung, daß es Agalva selbst sei, und Politiker flüsterten sich viel von wichtigen Staatsgeheimnissen ins Ohr. Der Hof hütete sich, diesem Glauben zu widersprechen, denn er fürchtete die Verzweiflung der Nation, wenn keine Samorina an ihrer Spitze stände. Der Verlust einer Bienenkönigin ist nicht so unersetzlich und kann nicht so viel Unheil in dem ganzen Stocke verursachen.
Sobald die geehrte Asche der Samorina in der mütterlichen Gruft beigesetzt war, befahl der Kaiser, die Lustbarkeiten in der Hauptstadt zu vermehren, um die Aufmerksamkeit des Volks von diesem Unglück abzulenken.
Auf einem Hofball zu Virnapor, wo Camilla schon vorher auf alle Tänze versprochen war, wetteiferten die angesehensten Kavaliere, sie das Walzen zu lehren, und indem sie tanzte, konnte man eine Stecknadel fallen hören. Als der Ball geendigt war, führte sie ihr Tänzer, wahrscheinlich ein Naïr, bis in ihre Kammer. Es wäre unter der Würde der Geschichte, den Namen ihres Liebhabers zu erwähnen.
Mit Gleichgültigkeit sah auch Firnos das Glück eines anderen in Camillas Armen, denn ihre wechselseitige Leidenschaft war zu einer vernünftigen Freundschaft übergegangen, die sich auf Hochachtung gründete. Als man die malabarische Küste in der blauen Ferne erblickte, erneuerte sich das Bild Mitilas, mit so vielen Reizen geschmückt, in seinem Gedächtnis, daß seine jugendliche Neigung wieder auflebte. Wie kränkend war aber jetzt ihr Betragen gegen ihn! So viele Wochen waren schon seit seiner Rückkehr verstrichen, und bis jetzt hatte sie ihn nicht besucht. Alle Personen von Stande waren nach Virnapor geeilt, um ihm ihre Aufwartung zu machen; nur seine Schulkameradin, die Gefährtin seiner Jugend, allein war mit der größten Gleichgültigkeit weggeblieben. Ohne sie machte ihm selbst auch der Tanz kein Vergnügen; er tanzte zwar das Menuett und die ersten Tänze mit, keine Schönheit von Malabar war aber vermögend, ihn zum Walzer aufzumuntern.
Einsam kehrt er in sein Zimmer zurück; vom Bilde seiner Geliebten führt ihn die Reihe seiner Gedanken auf die Weiber überhaupt. Die Reize der Liebe erscheinen ihm in ihren entzückendsten Farben. Mit neidischer Ungeduld denkt er sich jetzt die übrigen Kavaliere, die er eben tanzen sah, in den Armen ihrer munteren Tänzerinnen. Keine Dame teilt mit ihm sein Bett. War es nicht empfindsame Schwärmerei, als er den Walzer ablehnte? Muß er deswegen seine Nächte einsam verschlafen, weil Mitila abwesend ist, und kann die Vernunft sich wohl einbilden, daß sie um seinetwillen gleiche Bedenklichkeit machen wird? In diesem Augenblick vielleicht genießt sie die Umarmungen eines Geliebten. Heute ist mehr wert als morgen; kein Naïr darf eine Stunde der Jugend und der Gesundheit in unnützer Enthaltsamkeit verleben.
Ohne Ruhe wirft er sich in seinem geräumigen Bette herum. Die Weite desselben erinnert ihn an seine Einsamkeit; umsonst breitet er seine Arme aus, es eilt keine Dame mit sympathischer Liebe seinen Umarmungen entgegen. Umsonst bittet er um die Gunst des Schlafs, auch dieser ist ihm nicht hold. Er richtet sich wieder auf; er horcht, es herrscht eine allgemeine Stille.
Endlich erinnert er sich, daß Farna den Tanzsaal ohne Begleitung verlassen hatte, da die Zahl der Damen die der Kavaliere übertraf und die Tochter Anoras keinen Tänzer fand. Firnos klingelt, ein Bedienter führt ihn nach ihrem Zimmer. Leise klopft der ungeduldige Jüngling an die Türe. Die Schöne steht auf und öffnet. »Gnädige Frau,« sagt er, »ist es mir wohl vergönnt, hereinzukommen?« Mit einem reizenden Lächeln willigt sie ein. Der Bediente zündet die Lichter an und zieht sich zurück.
Kaum blickte der erste Strahl des Morgens über die östlichen Gebirge, als ein Eilbote im Schloßhof von seinem schnaubenden Pferd stieg und in sein Horn stieß. Er brachte einen Brief an Farna. Der Pförtner klopfte an die Tür ihres Zimmers, und Firnos stand auf, um ihm den Brief abzunehmen. Mit zitternden Händen reißt ihn die Baronesse auf, und laut aufschreiend fällt sie ohnmächtig in die Arme des Prinzen.
Durch seinen Beistand erholt sie sich bald wieder und gibt ihm den Brief zu lesen. Er war von Kalekut und enthielt die schreckliche Nachricht, daß ein heftiges Fieber das Leben ihres Sohnes bedrohe. Die Naïrinnen sind die besten Mütter, und Farna zeichnete sich sogar unter ihren Landsmänninnen durch ihre Mutterliebe aus. Kein Augenblick war jetzt zu verlieren, unschätzbar war die Zeit. Sie gab sogleich Befehl zum Anspannen, und Firnos, in der Hoffnung die geliebte Mitila dort zu treffen, erbietet sich, sie nach Kalekut zu begleiten. In einer halben Stunde waren sie schon auf dem Wege dahin.
Der Samorin hatte sich die vorige Nacht sehr bald in sein Schlafzimmer begeben; doch auch ihn, so gut wie seinen Schwestersohn, floh der Schlaf; aber nicht Liebe, sondern andere Sorgen waren die Quelle seiner Unruhe. Camillas Bild schwebte immer vor seinen Augen und blieb tief in seiner Seele eingeprägt. Er hatte sie tanzen sehen, und ihre Ähnlichkeit mit seiner Schwester schien ihm noch weit vollkommener. Die Hoffnung belebte seine Brust, daß sie vielleicht die Tochter wäre, welche Agalva in England verlor; denn keine Europäerin, von Kindheit auf an eine erniedrigende Unterwerfung gewöhnt, selbst auch die über alle ihre Landsmänninnen erhabene Margarete Montgomery, konnte einer Tochter von solchen Geistesfähigkeiten, von solchem Freiheitssinn und von solcher körperlichen Vollkommenheit das Leben geben. Nein, sie muß die Tochter Agalvas sein; sie allein verdient eine solche Mutter, und auch nur Agalva allein konnte die Mutter der geistreichen Camilla sein.
Sobald er die Staatsgeschäfte beendigt hatte (denn keine Familiensorgen konnten den Kaiser verleiten, die Pflichten seines Standes zu vernachlässigen), eilte er in den Garten, um zu überlegen, wie er wohl am schicklichsten der Engländerin seine Gedanken mitteilen könnte; denn obgleich er keinen Grund hatte, zu zweifeln, daß Camilla die Tochter der Montgomery sei, so blieb er doch fest bei dem Entschluß, ihr seine Hoffnungen zu entdecken. Ein Weib von ihrem Geiste konnte sich schwerlich beleidigt fühlen, daß er an ihr eine Nichte zu finden hoffte.
In tiefen Gedanken ging er vor sich hin, und seine Schritte führten ihn unwillkürlich nach einem Monument, das seine Mutter dem Andenken Agalvas hatte errichten lassen. Oft hatte sie sich in diese traurige Stille des Hains zurückgezogen und die Inschrift mit Tränen des mütterlichen Schmerzes gebadet – Aber, Himmel! welchen Gegenstand erblickte er da? Eine weibliche Gestalt stützt sich in einer gedankenvollen Stellung auf den Marmor. Sie wendet bei seiner Annäherung das Gesicht ihm zu, und er erkennt Camilla. Eine Träne hing in ihrem Auge.
»Ja,« antwortete er auf ihre Frage nach seinem Wohlbefinden; »ich bin nicht wohl, doch steht es vielleicht in Eurer Macht, mich zu heilen.«
Camilla erstaunte über diese Einleitung und erwartete nun eine leidenschaftliche Liebeserklärung. Sie fühlte sich zwar nicht sehr zur Befriedigung seiner Wünsche geneigt, aber ihre Freundschaft für seinen Neffen und ihre hohe Meinung von Agalva bewegten sie, mitleidig gegen ihn zu sein. Unbegreiflich blieb ihr jedoch seine Traurigkeit, da sie so wenig dem Nationalcharakter entsprach; denn wie konnte ein Naïr seine Hoffnung aufgeben, ehe er eine abschlägige Antwort erhalten hatte. Ornor, obgleich schon im Herbst seines Lebens, besaß eine schöne Gestalt und einen edlen Anstand; die Blüte der Jugend glühte zwar nicht mehr auf seinen Wangen, aber die Gewandtheit der großen Welt erhöhte die Liebenswürdigkeit seines Umgangs. Camilla blieb aber bei alledem gleich entfernt von Vorliebe und Widerwillen gegen ihn, bis endlich die Dankbarkeit die Oberhand erhielt. Sie schätzte seine guten Eigenschaften und entschloß sich, seine Qualen zu lindern. Mit einem liebevollen Lächeln reichte sie ihm die Hand und war bereit, seine Umarmung zu erdulden.
Der ehrwürdige Fürst merkte ihren Irrtum. »Offenherzigkeit«, sagte er lächelnd, »ist alles, was ich von Euch verlange; nicht Liebe. Nicht als Geliebte, sondern als Schwesterkind laßt mich Euch umarmen, und nie werde ich aufhören, Euch wie ein Oheim zu lieben. Eure glänzenden Eigenschaften, Eure Talente, und mehr noch als alles dieses, Eure täuschende Ähnlichkeit mit meiner unglücklichen Schwester, haben mich schon längst für Euch eingenommen. – Ach, Camilla!« fuhr er mit einer Wärme fort, die sie ganz überraschte; »reißt diesen geheimnisvollen Schleier, der über Eurer Geburt hängt, hinweg. Ich beschwöre Euch, Camilla! bei allem, was heilig ist, beschwöre ich dich! sag' mir: bist du die Tochter von Margarete Montgomery?«
»Mein Gott!« rief die errötende Camilla; »was hat Euren Verdacht erregt? Wer hat Euch gesagt, daß ich nicht ihre Tochter bin?«
»Nicht ihre Tochter!« fiel ihr der Kaiser in die Rede und zeigte auf das Brustbild Agalvas auf dem Monumente. »Das ist deine Mutter! Hat nicht kindliche Liebe dich hierhergeführt, um deine Tränen mit den meinigen zu vereinigen und um diese Einsamkeit mit mir zu teilen? Komm in meine Arme, Tochter Agalvas; ich bin dein Oheim.«
Er drückte sie an seine Brust und bedeckte sie mit seinen Küssen. Camilla konnte in dem Übermaß ihrer Gefühle keine Worte finden, sie brach in eine Flut von Tränen aus.
Endlich wand sie sich aus seinen Armen. »Ihr spottet meiner«, sagte sie, »oder täuschet Euch; denn wie ist dies möglich?«
»Nicht allein möglich, es ist gewiß! Agalva verlor ein Kind in England, und dieses Kind bist du.«
Er zieht sie von neuem an sich und schließt sie noch fester in seine Arme. Tränen der Freude rollen über seine Wangen herab. Sein Kopf ruht auf ihrem Busen. – »Grausame Osva,« sagte er, »du sahest unsere Schmerzen und konntest diese Entdeckung so lange verzögern!« – Mit einem Kuß besiegelte er die Vergebung.
»Wollte doch der Himmel,« antwortete Camilla, »daß diese Beschuldigungen gegründet wären! Könnten wohl meine Wünsche nach einem größeren Glück, oder meine Ehrsucht nach einer höheren Würde streben, als Eure Nichte und die Tochter Agalvas zu sein? Ach! ich muß Euch, um Eure Täuschung zu endigen, alles aufklären; mein Lebenslauf ist reich an sonderbaren Begebenheiten. – Also hört meine Geschichte.«
Diese Einleitung war hinlänglich, jede Hoffnung des Kaisers zu ersticken. Ernst und in sich versunken saß er da, als Camilla in der Erzählung ihrer Geschichte fortfuhr. – »Die ersten Jahre meiner Kindheit schweben vor meinem Gedächtnis wie die undeutlichen Bruchstücke eines Traumes, und ich war schon alt genug, die Kinderstube zu entbehren, als ich erst die Nebel, die über meiner Wiege hingen, durchdringen konnte. Kaum hatte man die zarten Glieder des Säuglings in Spitze und Seide eingewickelt, als das Ungefähr mich von der entnervenden Sorgfalt rettete, mit der man mich unter meinem väterlichen Dache schwach und unbehilflich gemacht hätte. Ein majestätischer Forst unter dem Dach des Himmels wurde mein Spielplatz; auf keinem Teppich, sondern auf dem betauten Grase spielte ich, und bei der Annäherung der Nacht schlich ich mich in das erste beste Zelt, wo ich so glücklich war, Platz zu finden. Der Himmel weiß, wie dankbar ich ihm für die Güte und Weisheit seiner Beschlüsse bin, denn dieser rauhen Lebensart verdanke ich meine Leibesstärke, meine Gesundheit und vielleicht noch manche Eigenschaft, die mir den unschätzbaren Beifall Eurer Majestät erworben hat.
»In einigen Provinzen Englands lebt ein Volk, das sich von den übrigen Einwohnern merklich unterscheidet. Dieses besondere Geschlecht besteht in rauhen Horden, die nicht nur an einer besonderen Gesichtsbildung und Farbe erkennbar sind, sondern auch eine eigene Sprache sprechen, die nur von ihren Mitgliedern allein verstanden wird. Der Wildheit ihrer Vorfahren sind sie beständig treu geblieben. Noch bis jetzt ist man ungewiß, in welchem Jahrhundert ihre erste Niederlassung stattfand, auch weiß man nicht, wie sie, da sie nichts von der Schiffahrt verstehen, über das Meer auf unsere Insel gekommen sind. Man nennt sie Zigeuner und hält sie für Abkömmlinge der alten Ägypter. Sie haben keinen ständigen Wohnort, sondern wandern, wie die wilden Araber, truppweise von Wald zu Wald. Die Männer treiben das Handwerk der Kesselflicker, und die Weiber setzen die Leichtgläubigkeit der Bauern in Kontribution, indem sie sich eine Geschicklichkeit in Zauberei und Wahrsagekunst anmaßen. Schlagen diese Erwerbsmittel fehl, so legen sie sich auf das Stehlen, und der reiche Pächter verflucht die Annäherung dieser lästigen Landstreicher. Zu ihrem Unterhalt brauchen sie indes äußerst wenig, denn da sie abgesagte Feinde der Politur einer gesitteten Lebensart sind, so können sie auch den Luxus derselben sehr leicht entbehren. Das reine klare Brunnenwasser ist ihr Trank, und ihr genügsamer Appetit nimmt mit dem Fleische derjenigen Tiere vorlieb, die ihre Nachbarn mit Abscheu ansehen. Des Nachts plündern sie die Schafhürden, und öfters kehren sie beladen mit dem Aas des wachsamen Hundes und mit dem Schaf, das er beschützte, zurück.
»Die Wohnungen dieser abgehärteten Horden sind so elend als ihre Kost; in der freien Luft geboren, wohnen sie unter dem kargen Schirm eines wankenden Zeltes, dessen Wände von jedem Winde aufgeblasen oder von dem Gewicht des Schnees gebogen werden; und loben die Vorzüge ihrer tragbaren Wohnungen, indem sie im Vorbeigehen über die prächtigen Schlösser des Lords und die gemächlichen Hütten seiner Untertanen spotten. Von ihrer ersten Kindheit an an Hunger, Durst und Strapazen gewöhnt, bleiben sie immer geduldig, stark, behend und gesund; sie marschieren, ohne müde zu werden, viele Tagereisen hintereinander, klettern über die höchsten Mauern, springen über die breitesten Gräben und stürzen sich in den reißendsten Strom. Knaben und Mädchen werden zusammen und auf einerlei Weise erzogen, daher üben die Männer auch keine tyrannische Gewalt über die Weiber, die ihnen an körperlicher Stärke wenig nachstehen.
»Hier freut sich die Liebe ihrer ursprünglichen Freiheit. Ohne Eheketten zu tragen, und ohne dem strengen Urteil der englischen Dezenz unterworfen zu sein, folgen die Weiber der Stimme der Natur, und wenn die Christin sich freier fühlt als die Bewohnerin eines Harems, so genießt die Zigeunerin im gleichen Verhältnis mehr Freiheit als andere Weiber der Christenheit.
»Unter diesem Volke verlebte ich meine Kindheit und war schon in meinem neunten Jahre, als die Szene sich veränderte. Bis dahin betrachtete ich immer eine alte Zigeunerin als meine Mutter, die wegen ihres Muts und ihrer Geschicklichkeit im Stehlen und Wahrsagen die Achtung unserer Horde genoß. Auf ihrem Rücken in einem Korb befestigt, um durch mein Schreien das Mitleid der Leute zu erregen, reiste ich mit ihr durch die benachbarten Dörfer, und nie fehlte es uns an Almosen. Als ich älter war, führte sie mich an einen Fluß, der sich durch den Wald schlängelte, zog mich aus, sprang mit mir in den Strom und lehrte mich bis an das gegenseitige Ufer schwimmen. Unter ihrer Leitung brachte ich es so weit, daß kein Kind von meinem Alter mit solcher Geschicklichkeit einen Hühnerhof plünderte, und manche alte Jungfer trauerte über den Verlust ihres Katers, den ich wegzulocken wußte, um bei unserem nächsten Gastmahl aufgetischt zu werden.
»Oft machten wir Kinder eine Jagdpartie in dem Gehege eines benachbarten Junkers. Unsere Schnelligkeit war unbegreiflich. Im Laufen ermüdeten wir die Kaninchen und schlugen sie mit unseren Prügeln tot. Als ich einst von dieser Übung zurückkam, sah ich eine Dame zu Pferde, die mit der alten Zigeunerin in einem ernsthaften Gespräch begriffen war, ein Bedienter in einer prächtigen Livree begleitete sie. Bei meiner Annäherung sagte die gute Alte zu mir: ›Liebes Kind, die Dame ist gekommen, um dich abzuholen; lebe wohl, wir werden uns schwerlich wiedersehen! Aber du wirst glücklicher mit ihr sein: du wirst eine große Dame werden und uns bald vergessen.‹
»›Nein,‹ rief ich aus, ›ich will dich nicht verlassen; hier will ich bleiben und keine Dame werden!‹
»Sie küßte mich, riß sich von mir los und lief so schnell als möglich, bis wir sie nicht mehr sehen konnten. Ich war zu bestürzt, um ihr folgen zu können, wie versteinert stand ich da. Der Bediente setzte mich auf sein Pferd, und in einer halben Stunde war der Wald hinter uns.
»Auf der Chaussee erwartete uns ein Wagen, die Dame verließ ihr Pferd und stieg hinein, der Bediente setzte mich ihr zur Seite und befahl dem Kutscher, nach Hause zu fahren. Unser Stillschweigen wurde nur durch mein Schluchzen unterbrochen. ›Ach, meine Mutter,‹ seufzte ich unaufhörlich. ›Camilla,‹ sagte die Dame, nachdem sie ihre Augen lange auf mich gerichtet hatte, ›Camilla – das ist dein eigentlicher Name – tröste dich! von nun an werde ich deine Mutter sein, da deine wahre Mutter schon längst tot ist.‹
»Bald darauf erfuhr ich auch das Geheimnis meiner Geburt. Mein Vater, Sir William Harford, ein reicher westindischer Baronet, hatte ihre Schwester geheiratet, und ich war das einzige Kind dieser Ehe. Während ihres Aufenthalts in England hatte mich die Zigeunerin bei einem Besuch, den meine Eltern der Schwester meiner Mutter, meiner jetzigen Wohltäterin, auf ihrem Landsitz abstatteten, geraubt. Nachdem jede Nachforschung nach mir fehlgeschlagen war, reisten sie nach Jamaika zurück, wo sie kinderlos starben.
»Nach einigen Stunden hielten wir vor dem Landsitz meiner Tante. Die Pracht und der Bau desselben sprachen laut von dem Geschmack und dem Reichtum der Besitzerin. Sie bestimmte für mich ein Zimmer neben dem ihrigen und befahl den Domestiken, mich als ihre Nichte zu betrachten.
»Fürchtet nichts, gnädiger Herr, für meine nachherige Erziehung und die kommenden Aussichten. Ich war nicht in die Hände einer gewöhnlichen Europäerin gefallen. Cornelia Northcote war keine alltägliche Frau; sie war das echte Gegenstück zu allen ihren Landsmänninnen. Mein Großvater starb gerade, als Cornelia mündig war, und hinterließ seinen drei Töchtern ein beträchtliches Vermögen. Dies lockte natürlich viele Liebhaber herbei. Meine Mutter und meine zweite Tante fanden sehr bald gute Partien; aber Cornelia, von einer ungemeinen Liebe zur Unabhängigkeit und von einem echten Freiheitsgeist beseelt, schlug jedes Anerbieten aus. Da sie die älteste Tochter war, so bekam sie den Familiensitz zu ihrem Anteil, und in den reizenden Hainen desselben rief sie die Musen zu ihrem Beistand und widmete sich jedem Zweig der Wissenschaften. Mit glücklichem Erfolg betrat sie jeden Pfad der Gelehrsamkeit, und das Publikum bewunderte alles, was ihre fruchtbare Feder hervorbrachte. Sie war nicht weniger fähig, eine ausgesuchte Gesellschaft durch ihre Unterhaltung zu belehren, als in den Zirkeln der großen Welt zu glänzen. Der Zutritt zu ihrem Putztisch und zu ihrer Bibliothek machte sowohl den Stutzer als den Philosophen stolz; und eine Menge Bewunderer flatterten in ihrem Gefolge auf den öffentlichen Promenaden. Der Gelehrte bat sie um Erlaubnis, ihr sein neuestes Werk widmen zu dürfen; der Schauspieler bat um ihre Verwendung zu seinem Benefiz, das Parlamentsmitglied wegen irgendeiner politischen Maßregel, und der Lord um ihre Hand, um mit ihm einen Galaball zu zieren.
»Von ihr erhielt ich meine Erziehung, und wo hätte ich wohl eine bessere Lehrerin finden können? Als sie mich unter ihren Schutz nahm, lag ich noch in der rohen Unwissenheit der Natur. Ich konnte weder lesen noch schreiben und war in aller Geistesbildung hinter den Kindern von gleichen Jahren ebensoweit zurück, als ich sie an körperlicher Stärke und Behendigkeit übertraf. Eine Menge Wörter aus der Zigeunersprache machten sogar auch meine Sprache unverständlich; doch Cornelias Ausdauer siegte über jede Schwierigkeit. Bald sprach ich mit Reinheit und besaß hinlängliche Fertigkeit im Lesen und Schreiben. Ich bekam allerlei Lehrmeister, und in kurzer Zeit verstand ich Latein und konnte mich mit meiner Tante französisch unterhalten, das sie fast so gut sprach, wie ihre Muttersprache. Da sie die meisten europäischen Länder besucht hatte, machte sie sich ein Vergnügen daraus, mich mit den verschiedenen Sitten und Gebräuchen des Festlandes bekannt zu machen. Dennoch blieb die Geschichte mein Lieblingsstudium, und die Mathematik behauptete den zweiten Platz.
»Die Winter brachte Cornelia in London zu; Ihr kennt die europäischen Vorurteile. Ein Weiberrock ist das Zeichen der Knechtschaft, und ich freute mich wie ein Galeerensklave, der seine Ketten zerbrochen hat, wenn ich ihn wegwerfen durfte. Cornelia ließ mich wie einen Knaben kleiden, und in dieser Tracht begleitete ich sie in die Gerichtshöfe. Sie machte mich auf die Weisheit unserer Gesetze aufmerksam und flößte mir eine Vorliebe für die englische Verfassung ein. Sie besaß das beste Herz, gleich voll von Menschenliebe und Patriotismus, und doch war ihre Seele fest und unerschütterlich. ›Alles sehen‹, sagte sie, ›ist das beste Mittel, nichts zu bewundern.‹ – Dies war ihr Grundsatz, nach dem sie handelte. Wenn der Richter ein Todesurteil ausgesprochen hatte, mußte ich nicht allein den Verbrecher hinrichten sehen, sondern wir besuchten nachher auch die Anatomie, wenn sein Körper zergliedert wurde. Eine gewöhnliche Mutter in England würde ihrer Tochter auf das strengste befohlen haben, den Anblick eines nackenden Mannes zu scheuen; Cornelia aber dachte anders. ›Warum‹, sagte sie, ›soll das Geschöpf sich schämen zu sehen, was der Schöpfer sich nicht schämte zu machen.‹
»Mit solcher Sorgfalt arbeitete sie an der Ausbildung meines Geistes; um die Vervollkommnung meines Körpers war sie nicht weniger besorgt. Meine zigeunerische Lebensart hatte mir eine Stärke und Behendigkeit gegeben, die ich ohne diese nicht würde erhalten haben. Der Tanzmeister wunderte sich über meine Behendigkeit, und da die Reitkunst eine Lieblingskunst meiner Tante war, so begleitete ich sie immer, wenn sie auf die Parforcejagd ritt; keine Hecke, kein Graben konnte mich dann aufhalten, gewöhnlich war ich die erste bei dem Tod des Fuchses, und der Stolz der Landjunker wurde nicht wenig gekränkt, wenn es nach den Weidgesetzen einem Mädchen zukam, den Fuchsschwanz im Triumph zu tragen.
»Bald nach meiner Ankunft in Northcote Park ging ich einst in dem Garten spazieren, durch welchen sich ein Fluß schlängelte; als ich über eine ländliche Brücke ging, blieb meine Uhrkette an einem Haken hängen und die Uhr fiel ins Wasser. Ohne Bedenken zog ich mich aus, sprang in den Fluß und bekam sie wieder. Die Glocke läutete zur Mittagstafel, ich eilte in den Speisesaal; meine Tante sah mein nasses Haar und war mit meiner Kühnheit sehr unzufrieden; wie freute sie sich aber, als sie erfuhr, daß ich schwimmen konnte. Sie verbot jedermann, sich dem Flusse zu nahen, und begleitete mich den folgenden Tag dahin, um Zeugin meiner Geschicklichkeit zu sein, die sie mich nie zu vernachlässigen bat. Doch mußte diese Übung in England geheim gehalten werden, um kein Aufsehen zu machen. Damals war ich weit entfernt, mir einzubilden, daß das Schwimmen eine Modezerstreuung am Hof Eurer Kaiserlichen Majestät wäre.
»Die Geschichte meiner Entdeckung wurde bald in der ganzen Provinz bekannt, und mit tausenderlei abgeschmackten Vergrößerungen sprach man von der sonderbaren Erziehung, die meine Tante willens wäre, mir zu geben. Bloß um mich zu sehen, ward ihre Einsamkeit oder ausgesuchte Gesellschaft sehr oft von der langweiligen Neugierde ihrer Nachbarn unterbrochen. Man untersuchte mich wie ein unbekanntes Wundertier. Jede Familie in der Gegend, die aus London zu Besuch kam, brachte ihre Gäste gewiß zu uns, um mich als das merkwürdigste Erzeugnis des Landes anzugaffen.
»Obgleich viele Mütter ihre Töchter mitbrachten, es mir also nicht an Gelegenheit fehlte, Bekanntschaft mit meinen jungen Landsmänninnen zu machen, so fand ich doch wenig Vergnügen an ihrem Umgang und konnte unmöglich mit einer von ihnen Freundschaft schließen. Aber, die Wahrheit zu gestehen, auch sie zeigten kein großes Verlangen nach meiner näheren Bekanntschaft. Ihre Unterhaltung war mir zu abgeschmackt, ihre Manieren zu unnatürlich, und ich mußte ihnen ohne Zweifel ebenso unausstehlich vorkommen. Ich war nicht in dem Modejournal belesen, kannte sogar die meisten weiblichen Arbeiten nicht einmal dem Namen nach, konnte weder stricken noch sticken, weder nähen noch säumen. Denn – warum sollte die vornehme Dame ihre eigene Putzmacherin sein? Der Kavalier ist ja auch nicht sein eigener Schneider. Beide Geschlechter brauchen nur so viel von dem Kleiderwesen zu verstehen, um nicht von ihren Handelsleuten betrogen zu werden, und obgleich die wirtschaftlichen Angelegenheiten in das Departement des Weibes gehören, so kann sie doch den häuslichen Geschäften vorstehen und einen Küchenzettel schreiben, ohne mit eigener Hand ein Tischtuch zu bügeln oder einen Pudding zu kochen. Knechtische Beschäftigungen müssen von unedlen Händen verrichtet werden. Die Geistesbildung sei die Beschäftigung der Dame, ebensogut als des Herrn von Stande.
»Da meine Unterhaltung diesen gezierten Fräuleins wenig gefiel, so konnten meine Spiele und Leibesübungen noch weniger ihren Beifall erhalten. Wenn ich ihnen unwissend in der ersten schien, so hielten sie mich für roh und ungesittet in den letzten, denn keine traute sich auf das Gras zu treten, um ihre Füße nicht naß zu machen; sie hüteten sich sehr, zu laufen oder irgendeine andere heftige Bewegung zu machen, um ihren Kleidern nicht zu schaden. Viele Mütter getrauten sich sogar nicht, ihre Töchter allein mit mir zu lassen, damit sie nicht von der kleinen Wilden, wie sie mich nannten, unmanierliche oder unsittliche Gewohnheiten erlernten.
»Es ist gar kein Wunder, daß ich auf diese Art für solche Geschöpfe wenig Neigung fühlte und jede Annäherung vermied. Von den Männern faßte ich bald eine bessere Meinung; die Geistesbildung, die körperlichen Vorzüge und Unabhängigkeit derselben waren ebenso viele Empfehlungen für mich. Einst begleitete ich meine Tante auf die Jagd, an welcher auch der Sohn eines Edelmanns, dessen Gut etwas entfernt lag, mit teilnahm. Es war schon spät, als die Jagd vorüber war, und er konnte nicht hoffen, noch bei Tage nach Hause zu kommen; übrigens war auch kein Mondschein und der Weg leicht zu verfehlen. Cornelia lud ihn deshalb ein, zu Northcote zu übernachten.
»Dieser junge Mensch studierte auf der Schule zu Eton und erzählte mir mit vielem Vergnügen seine jugendlichen Streiche. Er entwarf mir ein so vortreffliches Gemälde von dem Institut, der Freiheit, den Beschäftigungen und Zerstreuungen der dortigen Jünglinge, daß ich mit der Natur zürnte, weil ich kein Knabe geworden wäre, und mir kein größeres Glück denken konnte, als ein Etonenser zu sein.
»Ich war mit diesem Gedanken so sehr beschäftigt, daß ich ganz tiefsinnig wurde. Cornelia fragte nach meiner Schwermut und lächelte über den romanhaften Wunsch; konnte aber keine Möglichkeit der Erfüllung sehen. Endlich fiel mir ein, daß ich in meiner männlichen Tracht, zu der ich schon so oft meine Zuflucht genommen hatte, wohl für einen Knaben gelten könne. Meine Tante zeigte mir alle Schwierigkeiten dieses Planes, aber keine Bedenklichkeit konnte mich davon abschrecken. Sie willigte endlich ein, gab mir viele Maßregeln für mein künftiges Betragen, ich warf meinen Weiberrock weg, langte zu Eton an und wurde unter den Schülern aufgenommen.
»Mit Zuversicht wagte ich mich unter vierhundert junge Leute und war überzeugt, daß selbst der Jüngling, der mit mir auf der Jagd gewesen war, mich in meiner neuen Kleidung nicht erkennen würde. Wie glücklich fühlte ich mich in meiner jetzigen Lage! Ich liebte zwar niemand auf der Welt wie meine Tante; ich verehrte sie wie meine Mutter und hatte vor ihr, wie vor einem Freunde, keine Geheimnisse. Dessenungeachtet sehnt sich ein Kind doch immer zu anderen Kindern von gleichem Alter. Ich stand in meinem fünfzehnten Jahre und genoß jetzt ganz die Vorzüge meiner zigeunerischen Lebensart; ich übertraf an Stärke und Mut die gleichjährigen Jünglinge und war gewöhnlich der Anführer bei unseren Spielen. Auch gewann mir der Fleiß in meinen literarischen Arbeiten den Beifall der Lehrer und die Achtung der ganzen Klasse.
»Ein ganzes Jahr war schon verstrichen, daß ich auf der Akademie war, und mein Geschlecht war noch immer unentdeckt geblieben. Es war im Monat Juni, die Sonne brannte mit ungemeiner Gewalt, und die Hitze dieses Sommers war in unserem Klima ganz ohne Beispiel; ich schweifte eben in den Feldern, die an unsere Schule grenzten, herum und lagerte mich endlich, ermüdet von der unausstehlichen Hitze, an das Ufer der Themse … Manche Szenen meines zigeunerischen Lebens gingen vor meinem Gedächtnis vorüber, und der Strom, der vor mir hinrauschte, machte in mir den Wunsch rege, mich hier wie zu Northcote zu baden. Ich vergaß die Ermahnungen meiner Tante; ich sah mich um, und da ich keinen Zeugen wahrzunehmen glaubte, zog ich mich aus und stürzte mich in den Fluß. Doch ach! ich betrog mich. Ein Schüler saß hinter einem Weidenbusch und angelte; aufgebracht darüber, daß ich das Wasser beunruhigt hatte, trat er hervor und entdeckte mein Geschlecht.
»Mein Geheimnis war jetzt in der Gewalt eines sehr egoistischen und verachtungswürdigen Menschen. Seine riesenmäßige Gestalt war ebenso anmutlos, als sein Geist ungebildet und sein Herz jeder großmütigen Empfindung unfähig war. Von der Liebe kannte er nur den physischen Genuß, und seine tierischen Begierden hatten ihn schon oft gereizt, den Mädchen der benachbarten Stadt Vorschläge zu tun; da aber seine Häßlichkeit der Befriedigung seiner Lüste immer im Wege stand, so wurde seine Selbstliebe beständig durch Abweisungen gekränkt. Um so erwünschter war ihm jetzt die Gelegenheit, wo, wie er glaubte, ein Mädchen sich ihm auf Gnade oder Ungnade ergeben müsse. Er nahte sich mir, beschämt und verwirrt stand ich da. Ohne Schonung machte er mich jetzt zum Gegenstand seines plumpen Witzes und seines pöbelhaften Spaßes, und ohne weitere Umstände forderte er zum Lohn seines Stillschweigens die Befriedigung seiner Begierde. Ich schlug sein Anerbieten mit Verachtung ab und stieß ihn mit Abscheu zurück; er geriet in Wut und wollte seine Stärke an mir üben, ich mußte also Gewalt mit Gewalt vertreiben. Abgeschreckt durch den unerwarteten kräftigen Widerstand eines Mädchens änderte er sein Vorhaben: er bemächtigte sich, da ich ganz nackend war, meiner Kleider und wollte mich in dieser Lage verlassen. Was sollte ich tun? Sollte ich dableiben, um mich dem fühllosen Mutwillen jedes Vorübergehenden auszusetzen, und mir durch die Entdeckung meines Geschlechts die Rückkehr nach der Schule unmöglich machen? Bei diesem Gedanken verschwand mein Zorn, meine Tränen fingen an zu fließen, und ich versuchte es, ihm Mitleid einzuflößen; doch alles vergebens, er bestand auf seinen Bedingungen; es blieb mir also keine Wahl übrig, als entweder mich seinen Umarmungen zu unterwerfen oder seiner höchsten Bosheit Trotz zu bieten. Frei von allen Vorurteilen hielt ich zwar die Liebe für das angeborene Recht jedes lebenden Wesens, aber ich fühlte kein Verlangen, die Liebe dieses Satyrs zu befriedigen, dessen Ansehen mir schon Ekel verursachte; ja hätte selbst ein Adonis mir meine Liebe in einem so gebieterischen Ton abgefordert, so würde ihn mein Stolz mit Spott zurückgewiesen haben. Ich versuchte es, mich mit Gewalt meiner Kleider zu bemächtigen, doch mit einer fühllosen Ruhe entfernte er sich damit.
»Vergebens rief ich ihm nach, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Doch das Ungefähr begünstigte mich; in dem nämlichen Augenblick kehrte ein Schüler von ganz entgegengesetztem Charakter über das nächste Feld nach der Schule zurück. Was blieb mir noch zu tun übrig? Er war allgemein und nicht ohne Ursache beliebt, und in der Hoffnung, daß ein großmütiger Jüngling das Zutrauen eines Mädchens, das ihn um Schutz bittet, nicht mißbrauchen würde, rief ich ihn zu Hilfe. Bei der Stimme einer Hilflosen sprang er über die Hecke; mein Verfolger ließ meine Kleider fallen, und ich warf geschwind mein Hemd über mich, um meinem Erretter zu danken. Wie groß war seine Verwunderung, kaum glaubte er seinen Augen; ich, sein Mitschüler: ich, der am besten Ball spielte, war ein Mädchen!
»Mein Befreier besaß zwar nicht die kolossale Größe des anderen; aber Stärke zeigte sich in jeder Sehne, in jeder Muskel; sein Mut war bekannt und sein Mangel an Größe wurde hinlänglich durch seine Behendigkeit ersetzt. Er schlug meinem getäuschten Verfolger vor, ihn nach der Schule zu begleiten, und da dieser es nicht füglich abschlagen konnte, so nahm mein Erretter auf die höflichste Art Abschied von mir und entfernte sich mit dem anderen, dem er, wie ich nachher erfuhr, das Versprechen abnötigte, mein Geheimnis nicht zu verraten.
»Die Verwirrung, in der ich die nächste Nacht zubrachte, und meine Verlegenheit, als ich den folgenden Tag durch eine Reihe Jünglinge ging, um meinen Platz in der Kirche einzunehmen, werde ich nie vergessen. Wenn jemand von ungefähr seine Augen auf mich richtete, so fürchtete ich schon, er wisse mein Geheimnis, und lächelte jemand, so hielt ich mich für den Gegenstand seines Witzes; ich wußte nicht, nach welcher Seite ich meine Blicke wenden sollte. Während des Gottesdienstes blieben meine Augen wie auf den Boden geheftet, und die Schamröte verließ nie mein Gesicht.
»Nach einigen Tagen, als ich fand, daß ich nicht verraten war, sondern mich bloß mit unnützer Furcht gepeinigt hatte, erholte ich mich wieder, und mit meinem Vertrauen wuchs auch meine Dankbarkeit gegen den großmütigen Jüngling, der mich gerettet hatte.
»Doch etwas kränkte meine Eitelkeit sehr; der, dem ich so viel schuldig war, schien mich zu meiden, und ich konnte keine Gelegenheit finden, ihm meine Dankbarkeit auszudrücken oder um seine Freundschaft zu bitten. Ich bemerkte zwar oft, daß seine Augen auf mich gerichtet waren, begegneten sie aber den meinigen, so waren wir beide gleich verwirrt; ich wußte nicht, ob ich dieses günstig für mich auslegen sollte; aber alles vermehrte meine Neigung zu ihm. Seine anmutige Gestalt, seine Geschicklichkeit in jeder Leibesübung, seine ausgezeichneten Talente, besonders aber seine Verschwiegenheit wegen des letzten Vorfalls, sprachen alle laut zu seinem Besten.
»In der Tat, gnädigster Kaiser (da ich hier in Malabar in diesem Punkte aufrichtig sein darf), ich war schon längst vielen Versuchungen ausgesetzt. Stellt Euch meine Lage vor, wie leicht war es, in derselben verführt zu werden. Ein Mädchen, die alt genug war, um aus Euren kaiserlichen Händen den grünen Gürtel zu empfangen, unter einer Menge Jünglinge, von welchen einige alle körperlichen Reize und alle Geistesgaben besaßen, und diese Jünglinge waren meine Freunde, meine Kameraden; ihr Alter war die Morgenröte der Liebe, die als eine verbotene Frucht alle ihre Gedanken beschäftigte und die Würze aller ihrer Unterhaltungen war. Da mehrere kaum den Unterschied unseres Geschlechts von dem ihrigen wußten, so war ihnen jedes Mädchen ein Gegenstand der Neugierde; wenn eine Frau durch den Schulbezirk ging, oder eine Magd Gras wusch, oder eine Dame in ihren Wagen stieg, so versammelte sich eine Menge Jünglinge, in der Hoffnung, ein niedliches Bein zu sehen. Bei ihren Gastmahlen ließ man bei jedem Glase irgendeine Schöne leben, und jedes Lied war eine Lobrede auf ihre Vollkommenheiten.
»In Europa macht man ein Geheimnis aus der einfachsten Sache von der Welt, und Ihr werdet Euch wohl schwerlich eine Vorstellung machen können, von welcher Art die Schönen sind, denen es zukommt, unseren jungen Adel in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen. Schönheit, Talente und Verdienste sind nicht das ausschließende Erbteil irgendeiner Menschenklasse, und wenn sich in Malabar das niedrigste Weib durch eine dieser Vollkommenheiten auszeichnet, so kann ein Prinz ohne Erröten sie der vornehmsten Dame zu seiner Gesellschaft vorziehen, und doch würde man den Kavalier für verrückt halten, der, blind gegen solche Reize und Vorzüge, wie alle Abende in Eurem mütterlichen Saal glänzen, die Gesellschaft seinesgleichen verlassen wollte, um mit einer Küchenmagd umzugehen oder in die Dachstube einer Straßennymphe hinaufzuschleichen.
»Glaubt nicht, daß es meinen Landsleuten so ganz an Geschmack fehlt. Der Fehler liegt an ihnen; da sie aber an keine Verbindung als die Ehe mit Damen von Stande denken dürfen, so müssen sie bei dem Auswurf des weiblichen Geschlechts die Freuden der Liebe suchen. Leider ist die Menge dieser sogenannten Freudenmädchen gewöhnlich nur zu groß; aber doch hier und da, besonders wo die akademischen Gesetze scharf beobachtet werden, ist oft ihre Anzahl so klein, daß man nicht einmal von ihnen körperliche Reize verlangt, sondern ihr Geschlecht allein eine hinreichende Empfehlung ist. Die ekelhaftesten Geschöpfe finden Liebhaber genug, und als ich zu Eton war, fehlte es sogar einer einäugigen Buhlschwester nie an Anbetern.
»Wenn meine Kameraden von diesen Exkursionen zurückkamen, erzählten sie mir ihre Abenteuer, und eine jede dieser Erzählungen erweckte in mir neue Bewegungen. Ein junges Mädchen gibt sich das erstemal nicht sowohl aus Neigung als aus Neugierde. Ich wollte mit der Liebe bekannt werden; denn wenn sie in den Armen eines gemeinen Weibes so anziehend war, wie bezaubernd mußte sie alsdann werden, wenn man an der Geliebten eine gleichgesinnte Freundin, eine standesgemäße Gesellschafterin findet. Amor kann wohl eine blinde Gottheit sein, doch muß er zwischen der Blüte der jugendlichen Gesundheit und den geschminkten Wangen der Buhlerin unterscheiden können und den Umgang eines wohlerzogenen Mädchens der Unwissenheit einer ungebildeten Bauerndirne vorziehen. Ich war schon entschlossen, einem meiner Freunde mein Geschlecht zu entdecken, und überlegte nur noch, welchem ich als Liebhaber den Vorzug geben sollte, als mir der letzte Vorfall meinen Verteidiger in einem so liebenswürdigen Licht zeigte.
»Erst einige Wochen nachher bekam ich eine Gelegenheit, mit ihm allein zu sprechen. Meine schlaflosen Nächte, den Verlust meines Appetits, die Vernachlässigung meiner Studien und die gewöhnlichen Symptome der Liebe will ich gar nicht erwähnen, um die Geduld Eurer Majestät nicht zu sehr zu ermüden. Ich fühlte, wie andere Mädchen in meiner seltenen Lage auch gefühlt hätten.
»Der Lehrer unserer Klasse hatte den Gebrauch, uns jede Woche einen Gegenstand zu bestimmen, über welchen wir lateinische Gedichte machen mußten. Einst gab er uns als Gegenstand zu einer solchen Abhandlung, die Rechte und Fähigkeiten der Weiber zu untersuchen. Sehr natürlich, daß man den europäischen Vorurteilen gemäß nichts anderes von uns erwartete, als einige alltägliche Spottreden und unbarmherzigen Tadel über diejenigen Weiber, welche, ihrer eigenen Würde eingedenk, die Ketten der Gewohnheit zerbrochen und ihre natürlichen Rechte verteidigt hatten, ohne kalt und unparteiisch untersuchen zu dürfen, ob sie recht oder unrecht hatten.
»Da diese Vorurteile bloß allein die Quelle meiner Leiden waren, und ich allein durch sie verdammt war, die Schmerzen einer hoffnungslosen Liebe zu erleiden, weil sie mir verboten, meine Liebe zu bekennen (sonst hätte ich vielleicht jede Schwierigkeit überwunden und wäre in der Erfüllung meiner Wünsche vollkommen glücklich geworden); so entschloß ich mich, gegen solche Vorurteile, die ich so viel Ursache hatte zu verabscheuen, die Blitze des Parnasses zu richten. Um mit mehr Ruhe arbeiten zu können, ging ich in ein benachbartes Wäldchen und musterte in meinen Gedanken alle Beispiele der Männertyrannei, gleichwohl ob es Juden, Heiden, Mohammedaner oder Christen waren, betrachtete ich die Männer in jedem Weltteil als unsere Verfolger (denn damals träumte ich nicht einmal von dem Zufluchtsort, den die großmütigen Naïren den Weibern anbieten). Meine poetische Wut hatte mich schon sehr weit geführt, als plötzlich der Himmel sich trübte, der Donner brüllte und ein heftiger Sturmwind sich erhob. Ich war genötigt, meine Zuflucht in einer Scheuer zu nehmen.
»Kaum war ich darin, so näherte sich mir mein geliebter Singleton, den das Ungewitter auch hereingenötigt hatte. Meine Verwirrung war unbeschreiblich, ich zitterte am ganzen Körper. Als er mich sah, wollte er sich zurückziehen, ich hielt ihn aber bei seinem Kleide fest. Meine Stimme stockte, als ich mit ihm sprach, er schien auch verlegen zu sein, und dies gab mir Mut, fortzufahren. Ich warf ihm vor, daß er mir gar keine Gelegenheit gegeben hätte, ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen.
»›Barry,‹ antwortete er (ich hatte den Namen Barry zu Eton angenommen), ›Sie müssen mein Betragen, das ich mehr aus Delikatesse als aus Neigung beobachtet habe, eher billigen als tadeln. Sie hätten mich vielleicht Ihrer Freundschaft nicht unwürdig gefunden; würde mich aber wohl bloße Freundschaft befriedigt haben? Und da Ihr Geheimnis in meiner Gewalt ist, so wäre jede Liebeserklärung von meiner Seite mehr einer Drohung ähnlich.‹
»Diese Entschuldigung erhöhte meine Meinung von seinem Edelmut und fächelte meine Hoffnungen an; ich konnte sie sogar als eine Liebeserklärung von der feinsten Art betrachten. Unsere Unterhaltung wurde jetzt lebhafter; der Gegenstand des wöchentlichen Gedichtes gab ihm Gelegenheit, mir einige artige Komplimente zu machen (sogar ein artiger Europäer schämt sich nicht, eine Dame in ihrer Gegenwart zu loben). Ich gab ihm zu verstehen, daß ich nicht allein entschlossen wäre, alle Rechte meines Geschlechts zu genießen, sondern daß ich mich auch von allen Vorurteilen meines Geschlechts befreit hätte. – Unsere Bekanntschaft war zwar neu, doch wurde unsere Freundschaft bald alt, und die Liebe, ohne daß Tränen und Gelübde dabei ins Spiel kamen, und ohne daß er auf die Knie und ich in eine Ohnmacht zu fallen brauchte, machte uns beide glücklich. Der Donner brüllte, der Sturm heulte, und unter dem Kampf der Elemente, unter den Schrecken der aufrührerischen Natur hörte ich auf, Jungfrau zu sein.
»Der Zauber dieser Liebschaft dauerte die kurze Zeit, die ich noch zu Eton blieb, unvermindert fort. Wir widmeten uns denselben Studien, wir zerstreuten uns mit den nämlichen Spielen; in Gegenwart unserer Mitschüler waren wir Singleton und Barry; unter uns Eduard und Camilla.
»Ach, nur zu bald wurden wir voneinander getrennt, um uns nie wiederzusehen. Ich war so unglücklich, meine Tante zu verlieren. Während ihrer Reisen durch Frankreich und Deutschland war das edle, vorurteilsfreie Weib immer auf einem gewöhnlichen Sattel geritten; aber die Dezenz in dem freien England verbot ihr dieses. Obgleich sie das Abgeschmackte davon einsah, durfte sie doch nicht wider den Landesgebrauch handeln. Ihr werdet Euch wundern, daß englische Dezenz eine besondere Art von Sätteln für Weiber erfunden hat.«
Camilla gab hier die Beschreibung eines Quersattels.
»Auf diesen unsicheren und ungeschickten Maschinen aufgepackt, sehen die Engländerinnen wie Bauernweiber aus, die mit ihrer Butter und ihren Eiern nach dem Markt reiten. Auf einem solchen Sattel war meine Tante einst auf die Jagd geritten; als sie durch einen engen Weg galoppierte, riß der Gurt entzwei, und da das ganze Gewicht des Körpers auf einer Seite lag, so mußte sich notwendig der Sattel umkehren; sie fiel; aus Dezenz waren auch ihre Röcke gebunden, das Pferd schleppte sie nach und stieß ihren Kopf gegen einen Stein. Ein vertrauter Bedienter holte mich von Eton zurück; aber die edle Frau war schon tot. –
»Meine übrigen Anverwandten wußten nicht, daß ich zu Eton war, man glaubte mich in einer Mädchenschule zu London zu finden.
»Mein Großvater hinterließ drei Töchter; Cornelia war die älteste, Matilda die zweite und meine Mutter die jüngste. Jetzt kam also die Reihe an Matilda, mich zu erziehen.
»Die Northcotes und die Knightleys waren von lange her die zwei mächtigsten Familien in der Provinz, die gewöhnlich ihre Repräsentanten im Parlament aus einer derselben wählte. Nebenbuhler in Alter und Pracht, hatten sie immer die Landedelleute in zwei Parteien geteilt, und eine bestrittene Wahl hatte sie alle beide beinahe zugrunde gerichtet. Um diesen parlamentarischen Fehden ein Ende zu machen, wurde ein Vertrag geschlossen, auf welchen die Ehe das Siegel drücken sollte. Meine Tante Matilda sollte den Erben der Knightleys heiraten. Er wurde gleich von der Universität zurückgerufen; aber zum Entsetzen der ganzen Familie bekannte er, daß er schon verheiratet sei. Aufgebracht über diese Mißheirat enterbte ihn sein Vater auf der Stelle, und da er alle seine parlamentarische Größe auf die Verbindung der zwei Familien baute, so entschloß er sich, Matilda selbst zu heiraten. Eure Majestät wird es kaum glauben, daß sein Anerbieten angenommen wurde, eine Heirat zwischen einem Manne von fünfzig und einem Mädchen von fünfzehn Jahren.«
»Ich verstehe Euch,« sagte der Samorin lächelnd, »und doch hättet Ihr vielleicht die Gefälligkeit gehabt …«
»Einem Mann, der mich mit so vieler Gastfreiheit aufgenommen hat, da es in meiner Macht stand, eine Freude zu machen, die mir – nichts gekostet hätte. Verzeiht meiner Eitelkeit, daß ich mir einbilden konnte, Ihr wäret in mich verliebt, und nehmt diese Erklärung von einem Weibe, das Euch ebenso hoch schätzt, als wenn sie Euer Schwesterkind wäre, nicht übel; obgleich Dankbarkeit mich hätte verleiten können, einen Mann von Euren Jahren als Liebhaber anzunehmen, so hätte doch nichts in der Welt mich so weit gebracht, ihm die ausschließenden Rechte eines Ehemannes einzuräumen. Ein gutdenkendes Weib wird kein Bedenken tragen, einen würdigen Mann glücklich zu machen, ihre Einwilligung ist eine Kleinigkeit. Allein auf ihre natürliche Freiheit um seinetwillen Verzicht zu tun, ist das größte Opfer, das sie ihm bringen könnte, ein Opfer, das seinen Wert gewiß übersteigen würde, da nur ein Eigensinniger ein solches fordern kann. – Aber jetzt wieder zu meiner Erzählung. –
»Matilda willigte gleich ein. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf ihre Brautkleider gerichtet; um andere Überlegungen wegen der Zukunft anzustellen, war sie noch zu jung. Die einzigen Präliminarien, die sie mit ihrem zukünftigen Herrn und Gebieter festsetzte, waren: daß ihr gestattet werden sollte, so vielen Rosinenkuchen zu essen und so viel Rahm zu trinken, als sie nur wollte; und daß sie keiner französischen Gouvernante mehr zu gehorchen brauche.
»Aus der Art der Bedingungen könnt Ihr Euch leicht vorstellen, daß sie bloß ein Kind war, und werdet Euch wundern, daß es einem Mädchen, das so wenig fähig war, über die Zukunft nachzudenken, erlaubt war, ein solch wichtiges Bündnis zu schließen. Hätte Matilda in Eurem Mutterlande das Tageslicht erblickt, so wäre die Liebe, die Freude ihrer Jugend und die Erziehung ihrer Kinder die Beschäftigung ihrer reiferen Jahre gewesen, und jetzt, von einer zahlreichen Nachkommenschaft umgeben, würde sie voll Vertrauen, die Absicht ihres Daseins erfüllt zu haben, ihrem Sterbetage ruhig entgegensehen. Anstatt dessen wurde ihre Jugend in den kalten Umarmungen eines grauen Gemahls begraben, und sie hatte nicht Mut genug, die Freuden selbst zu genießen, während sie über andere unbarmherzig den Stab zu brechen pflegte. Sie ist jetzt ein unbedeutendes altes Weib, die bei der Entdeckung jeder neuen Runzel erschrickt, obgleich ihre Schönheit nie zu etwas nützt. Sie schreit laut auf bei dem Anblick einer Spinne, besitzt Kräfte genug, ein Hähnchen vorzulegen, und Geist genug, die Honneurs einer Assemblee zu machen.
»Dies ist das Bild Matildas, die jetzt die Vollendung meiner Erziehung unternahm, oder die vielmehr versuchte, mir das wieder aus dem Gedächtnis zu bringen, was ich bei ihrer Schwester gelernt hatte. Alle Bücher wurden mir versagt und man stellte mich an den Stickrahmen, um das Galakleid der Tante zu fertigen. Sogar der freie Gebrauch meiner Glieder wurde mir nicht mehr vergönnt, mein Leib wurde in einer fischbeinernen Maschine zusammengeschnürt und meine Füße in Stelzenschuhe gedrückt, die meinen Gang wackelnd machten. Ich bekam einmal einen derben Verweis, weil ich ohne Handschuhe geschlafen hatte, wodurch meine Hände wieder weiß werden sollten, und wurde eine ganze Woche in meinem Zimmer eingesperrt, weil ich mich beim Lesen einer Abhandlung über Anatomie hatte ertappen lassen. Wenn sich die Gesellschaft von ungefähr mit irgendeinem wichtigen politischen oder historischen Gegenstand unterhielt, worin ich mich zu unterrichten wünschte, so befahl mir meine Tante, zu schweigen, und so oft, der abgeschmackten englischen Gewohnheit zufolge, die Damen sich aus dem Speisesaal zurückzogen, war mein Stolz gekränkt, die Männer bei irgendeinem interessanten Gespräch zu verlassen, um die Weiber von Sammet und Taffet reden zu hören.
»Doch bald eröffnete sich mir eine Aussicht zur Verbesserung meiner Lage, denn diese war so elend, daß jede Veränderung eine Verbesserung sein mußte. Der enterbte Knightley wurde um diese Zeit durch den Tod seiner Frau wieder frei. Das arme Weib verdiente ein besseres Schicksal. Ihre Mutter, die Witwe eines Londoner Kaufmanns, besaß keine andere gute Eigenschaft als ihre mütterliche Liebe; voller Ränke etablierte sie sich zu Oxford in der Hoffnung, daß ihre Töchter unter den dortigen Studenten bald Männer finden würden. Eine davon wurde das Opfer dieser Entwürfe; der Student, den sie anführen sollte, bewies, daß es ihm ebensowenig an Schlauheit als an Geld fehlte; er verführte sie und überließ sie ihrem Schicksal; sie mußte bald mit ihren Reizen ein ekelhaftes Handwerk treiben. Die andere Tochter überwand jede Schwierigkeit, ohne viel Ursache zu haben, darüber zu triumphieren. Knightley ließ sich durch ihre Schmeicheleien überlisten; sie besaß zwar einige gute Eigenschaften, aber ihre Geburt berechtigte sie nicht, nach einer solchen Verbindung zu trachten. Keiner von seinen Anverwandten wollte sie anerkennen, und Liebe in einer Hütte war keine Sache für den jungen Herrn, der an Wohlleben gewöhnt war; seine Leidenschaft machte bald der Kälte und Gleichgültigkeit Platz. Sie trennten sich, doch teilte er den kärglichen Unterhalt, den er von seinem Vater bekam, pünktlich mit ihr. Er ging nach dem Festlande, wo er beständig herumschweifte, bis der Tod seiner Frau seinen Leiden ein Ende machte und er von seinem Vater in Gnaden auf- und angenommen wurde.
»Da Matilda keine Kinder hatte, so fürchtete ihr Gemahl, daß er nach ihrem Tode alle ihre Güter zurückgeben müsse, und die Luftschlösser, die er auf die Verbindung der beiden Familien gebaut hatte, wurden dadurch gänzlich zerstört. Ich war die Erbin der Northcotes, und sein Sohn war wieder frei. Nach einigen Beratschlagungen wurden er und meine Tante einig, unsere Hände zu vereinigen, obschon die nämliche Ungleichheit an Jahren bei unserer Verbindung, wie bei ihrer eigenen stattfand. Wahrscheinlich wären wir dadurch lebenslänglich unglücklich geworden (und wieviel Elend in Europa entspringt nicht aus dieser Quelle), in den Augen eines Patrioten war dies aber eine Kleinigkeit, wenn nur sein parlamentarischer Einfluß dadurch vergrößert wurde. Sein Sohn hatte nichts dawider, und nach meiner Einwilligung gab man sich gar nicht die Mühe zu fragen.
»Ich war auch recht sehr damit zufrieden. Es fehlte meinem Bräutigam nicht an Talenten; er war angenehm und gutmütig, hatte beinahe ganz Europa bereist, und die Kenntnisse, die er auf seinen Wanderungen gesammelt hatte, setzten ihn in den Stand, zu Hause eine Rolle zu spielen. Sein Alter paßte zwar besser für meine Tante, für die er einst bestimmt war, als für mich, doch waren seine Gesichtszüge, obgleich sie die Blüte der Jugend verloren hatten, noch immer sehr interessant. Er präsentierte sich mit Anstand, die Damen waren stolz, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und die Männer hörten ihm mit Achtung zu.
»Die Ehe war nach den Begriffen meiner Tante für unser Geschlecht ein Stand des leidenden Gehorsams. Eines Morgens kam sie auf mein Zimmer, in der Absicht, mir gute Lehren für mein künftiges Betragen zu geben. Wahrscheinlich hatte sie die hier folgenden Regeln aus einem Erziehungsbuche S. Elise, oder das Weib wie es sein sollte. auswendig gelernt.
»– – – ›Wäre dein Bräutigam‹, sagte sie, ›von dem ernsthaften Charakter, wie man von seinen Jahren erwarten könnte, so wollte ich dir von Herzen Glück wünschen. Oh! wie glücklich ist die Gattin, wenn sie einen Mann heiratet, bei dem mit den Jünglingsjahren auch die Jünglingsleidenschaften aufgehört haben! Er hat jedes Vergnügen genossen, jetzt will er Ruhe genießen, und sie soll ihm solche versüßen.‹ Eine herrliche Einleitung für die Ohren eines siebzehnjährigen Mädchens! – ›Aber ich fürchte,‹ fuhr sie fort, ›daß dein künftiger Gemahl mit den Weisheitsjahren nicht auch den Weisheitssinn erreicht hat. Bemühe dich daher, deine Reize immer neu für ihn zu erhalten, daß, wenn er in den Armen anderer geschwärmt hat, er doch stets mit Wollust in die deinigen zurückkehrt. Ergreife jedes Mittel, welches dir jene den Weibern natürliche Koketterie und eine genaue Kenntnis seines Geschmacks und seiner Neigungen an die Hand geben, um seiner Liebe, soweit es in der Natur der Sache möglich ist, neues Leben zu geben. Verschaff' ihm oft Vergnügungen, und daß er dich als die Schöpferin derselben erblicke! Und doch vielleicht, bei alledem, wird dein Gatte dir nicht beständig treu sein; allein nie müssen deine Blicke, dein Betragen, deine Worte ihm den mindesten Verdacht verraten! Nie mußt du ihn einzuschränken suchen, nie dein Betragen gegen ihn ändern und unfreundlich werden. Nein, gib ihm immer die überzeugendsten Beweise deiner Liebe; in deinen Blicken, in deinen Worten, in jeder deiner Handlungen atme stets Liebe. Arbeite in jedem Augenblick deines Lebens an seinem Glück, an seiner Zufriedenheit; dann wirst du stets seinem Herzen teuer sein: wo einmal gegenseitige Achtung stattfindet, da wird Liebe mit Liebe erwidert, und dann kannst du ohne Furcht ihn in den Armen anderer erblicken, in welche ihn bloß Sinnlichkeit führte; wenn er den Gegenstand seiner heißen Begierde mit mehr Entzücken umarmt, so wird er dich dafür mit mehr Innigkeit an sein Herz drücken.
»›Vergißt dein Gemahl sich in deiner Gegenwart so weit, daß er sich, durch Schönheit, Annehmlichkeit oder Sinnlichkeit gereizt, zu diesem oder jenem Weibe hinreißen läßt, oder gibt er ihr durch sein Betragen den Eindruck zu erkennen, den sie auf ihn gemacht hat, so tue nicht, als ob du es bemerktest; dein Ton, deine Laune, deine äußere Stimmung müssen immer dieselben bleiben. Ohne den Schein davon zu haben, wetteifere mit deiner Nebenbuhlerin in der Kunst, dich angenehm zu machen, und besonders hüte dich, weder öffentlich noch allein, deinem Gatten weniger Achtung zu bezeigen oder ihn Gleichgültigkeit sehen zu lassen. – Er ist dein Herr und Gebieter.‹
»Ich biß mich vor Zorn in die Lippen und konnte den Ausbruch meines Unwillens fast nicht länger mehr unterdrücken, als sich zum Glück mein Bräutigam melden ließ, um mir eine förmliche Liebeserklärung zu machen.
»Sobald wir allein waren, sagte er: ›Mein Besuch im Charakter eines Freiers muß dich befremden, liebe Camilla. Ich, der ich bei allen Gelegenheiten die Ehe zu verschreien pflegte, werde mich nicht vor dir auf die Knie werfen, noch mein Gehirn foltern, um dir Gelübde und Beteuerungen zu machen. Ich gestehe aufrichtig, daß ich dich weder liebe noch hasse; liebte ich dich aber auch noch so heftig, so wäre ich darum doch nicht weniger abgeneigt, dich zu heiraten. Ich habe oft in meinem Leben geliebt, ohne zu heiraten, nun will ich einmal das Wagestück unternehmen und heiraten, ohne zu lieben. Als ein Mädchen von Verstand schätze ich dich; ich gebe dir dafür den besten Beweis, indem ich dir bekenne, daß ich dir nicht aus Neigung, sondern meiner Familie zu Gefallen meine Hand anbiete. Gleichgültigkeit ist die sicherste Grundlage zur ehelichen Zufriedenheit, und wenn du gegen mich die nämliche Gleichgültigkeit fühlst, so wirst du meine Hand nicht ausschlagen. In meinen Liebschaften war ich nie der Sklave meiner Geliebten, in der Ehe werde ich nie der Tyrann meiner Gemahlin werden. Ich habe lange deine Ungeduld unter deinem jetzigen Zwang bemerkt; wenn du einen anderen heiratest, so wirst du wie ein Wechselbrief, den dein Vormund endossiert hat, von deinem Bräutigam akzeptiert werden und nur dein Gefängnis wechseln. Wenn du mir aber deine Hand gibst, so darfst du mit deinem Herzen schalten, wie du willst, und während dein Schiff unter der Flagge eines Ehemanns mit deinen Liebhabern handelt, so sei mein Name dein Kaperbrief, um dich zu schützen.‹
»Der Vorschlag war zu sehr nach meinem Geschmack, um ihn nicht anzunehmen. Der Hochzeitstag wurde festgesetzt, und die ganze Provinz sollte gegenwärtig sein. Alle noch so weitläufigen Vettern und Basen der beiden Familien wurden eingeladen, und die Zeremonien sollten mit einer Pracht gefeiert werden, wie sie nur von der vereinigten Macht der beiden Familien zu erwarten war.
»Die Zwischenzeit, die zu unseren Vorbereitungen bestimmt war, war beinahe verstrichen, und von allen gebetenen Gästen war nur Miß Priscilla, die Schwester des alten Knightley, angekommen. Das gute Fräulein hatte sich nie vieler Reize zu schmeicheln gehabt; und erst neulich war sie reich genug geworden, um sie entbehren zu können; denn welche Europäerin ohne Schönheit oder Vermögen darf auf einen Ehemann Anspruch machen? In Malabar kann ein Weib, ohne schön zu sein, leicht einen Liebhaber finden, da die Liebe keine Verbindung ist, und wenn sie auch eine Mißgeburt von Häßlichkeit ist, so braucht sie nur ihrem Bedienten einen besseren Lohn zu geben, um imstande zu sein, zu der Bevölkerung des Mutterlandes beizutragen. Aber wer wird eine Frau aus Mitleid nehmen, und erkauft sich die Frau einen Ehemann mit ihrem Geld, so läuft sie mehr Gefahr, als wenn sie die Arbeit stückweise bezahlte. Es ist, im Vorbeigehen gesagt, eine schreckliche Ungereimtheit in den europäischen Meinungen, daß das Mädchen, das in Not und Elend, um ihren Hunger zu stillen, einen Liebhaber aufnimmt, für ehrlos erklärt wird, indes der Mann von Ehre kein Bedenken trägt, nach Geld zu heiraten und sich auf diese Art lebenslänglich zu verkaufen, und es bei einem Schwiegersohn die beste Empfehlung ist – reich zu sein. Kann es wohl schändlicher sein, sich oder, seine Kinder zu vermieten, als sie lebenslänglich zu verkaufen? Nichts ist schändlich, als was schädlich ist.
»Priscilla war noch unverheiratet; sie hätte zwar in ihrem fünfundvierzigsten Jahre eine Partie treffen können, obgleich sie nicht minder häßlich war, als in ihrem fünfzehnten. Ihr kleiner Brautschatz hatte sich aber unter der Zeit durch Sparsamkeit vermehrt und reizte einen irländischen Glücksritter, ihr seine Hand anzubieten. Glücklicherweise oder unglücklicherweise, wie man will, gab dieser Held einst ihrem Lieblings-Schoßhündchen einen Tritt mit dem Fuß (das menschliche Herz muß immer einen Gegenstand seiner Neigung haben), er bekam seinen Abschied, und sie faßte den Entschluß, nie zu heiraten. Von nun an teilte sie ihre Zeit zwischen der Pflege ihrer Vögel, Katzen und Hunde und den Pflichten einer Religion, die auf das sonderbarste mit vielem heidnischen Aberglauben vermischt war. Sie schnitt sich zum Beispiel nur bei Vollmond die Nägel ab und begrub sorgfältig die Abschnitte davon; um keinen Preis würde sie zuerst mit dem linken Fuß aus dem Hause gegangen sein oder an einem Freitage einen Brief aufgebrochen haben.
»Unsere Familie war eben bei dem Frühstück versammelt, als Briefe von der benachbarten Stadt ankamen. Mein Bräutigam, sein Vater und die alte Jungfer waren alle drei nicht wenig überrascht, als man jedem einen Brief einhändigte, die alle drei von einer Handschrift zu sein schienen, die allen ganz unbekannt war. Ein anonymer Briefsteller unterrichtete sie darin von meinem Aufenthalte zu Eton und meiner Liebschaft mit Singleton. Ohne Zweifel hatte ich diesen Freundschaftsdienst der Bosheit meines dortigen Verfolgers zu verdanken.«
»Das ist sehr wahrscheinlich,« sagte der Samorin; »aber warum beschuldigt Ihr ihn gerade der Bosheit? Mußte es Eurem Bräutigam nicht sehr angenehm sein, daß Ihr auf dieser berühmten Akademie erzogen wart? Was mich betrifft, so konnte ich ein unwissendes Weib nie leiden; aber der Gedanke, ein solches zu heiraten, wäre mir unerträglich. Dieser Mensch muß auch sehr schreibselig sein, da er sich wegen einer solchen Kleinigkeit, wie die Liebschaft eines Schulmädchens ist, so viel Mühe geben konnte.«
»Jeder Naïr«, antwortete Camilla, »würde derselben Meinung sein, aber leider war ich in Europa. Kein Despot wünscht sich aufgeklärte Untertanen, ebensowenig wünscht ein Mann, daß seine Gattin mehr wisse, als ihr Herr und Gebieter von ihr verlangt. Ob meine Erziehung übrigens vorteilhaft für mich gewesen war oder nicht, daran dachte niemand, jedermann dachte nur an meinen Verlust.«
»Welchen Verlust?« fragte der Samorin.
»Meiner sogenannten Tugend. Miß Priscilla fing an, über die Verderbnis der neuen Zeit zu predigen. Der alte Knightley ging auf und ab und schien zwischen der Ehre seiner Familie und seinem Einfluß im Parlament zu schwanken, und Matilda bestimmte, daß ich einen ganzen Monat bei Haferschleim auf meinem Zimmer eingeschlossen bleiben sollte.«
»Ich wünsche Euch Glück,« sagte der Samorin, »denn ich habe irgendwo gelesen, daß in Europa schwangere Weiber diese Diät halten müssen.«
»Ihr irrt Euch,« antwortete Camilla lächelnd, »so war es nicht gemeint. Die gute Dame empfahl mir ihren Haferschleim nicht als Kraftsuppe, sondern als eine Strafe, weil ich einen Liebhaber gehabt hätte, und sie war so sehr daran gewöhnt, mich als ein Kind zu behandeln, daß es mich nicht befremdet hätte, wenn sie mich für dieses Verbrechen in die Trotzecke gestellt hätte.«
»Was gäbe ich darum,« sagte der Samorin, »eine ähnliche Verbrecherin als Nichte umarmen zu können.«
»Mein Bräutigam«, fuhr Camilla fort, »lachte aus vollem Halse und brachte zu meiner Verteidigung ein französisches Epigramm zum Vorschein: daß man einem armen Mädchen einen solchen Verlust nicht zu streng anrechnen sollte, da es äußerst schwer sein müsse, einen Schatz zu bewahren, zu welchem jeder Mann einen Schlüssel habe.
»›Wie?‹ rief Fräulein Priscilla, ›und du wolltest die noch heiraten?‹
»›Warum denn nicht,‹ antwortete er; ›wie sollen denn meine Schulden sonst bezahlt werden? Da ich nun entweder in das Gefängnis oder in die Kirche gehen muß, so ziehe ich die Kirche vor.‹
»Jetzt erst machte ich die schöne Entdeckung, daß er bloß unter der Bedingung, daß sein Vater seine Schulden bezahlen sollte, eingewilligt hatte, mich zu heiraten. Da Miß Priscilla ihm versprach, sie zu bezahlen, so entschloß er sich, ledig zu bleiben, und reiste den Morgen darauf nach Bath, wo er mit der Frau eines auswärtigen Gesandten eine Liebschaft unterhielt.
»Von nun an wurde die Familie einig, mich dem ersten besten Freier zu geben. Er möchte alt, häßlich und unangenehm, er möchte blind oder lahm und allen Übeln unterworfen sein, mit denen das Laster und die Ausschweifungen den Körper strafen können; sein Ruf möchte zweideutig, sein Herz verderbt und sein Kopf verächtlich sein – wenn er nur ein Kavalier und reich wäre, so sollte er angenommen werden; und einem solchen Inbegriff von ekelhaften und niederträchtigen Eigenschaften sollte ich Liebe, Achtung und Gehorsam versprechen?
»Da an alle Hochzeitsgäste Entschuldigungen geschickt waren, so wurden wir eines Abends durch das Gerassel eines Wagens sehr überrascht. Bald darauf hörten wir eine Stimme auf der Treppe: ›Legt sie ins Wasser – kann noch drei Tage leben‹ – und ein kleines dickes Männchen trat herein und war so ganz atemlos, daß es die Komplimente der Gesellschaft gar nicht bewundern konnte. Es war Sir Humfried Carfunkel, das größte Leckermaul in den drei Königreichen, der nach dem entferntesten Teil der Insel reisen wollte, um einem Gastmahl mit beizuwohnen. ›Hoffe, daß ich nicht zu spät komme‹ sagte er, – konnte nicht früher kommen; speiste gestern bei einem Bürgermeister, hörte von der Hochzeit, war nicht eingeladen, wußte aber, daß ich willkommen wäre, habe eine Schildkröte mitgebracht?‹
»Ich verließ das Zimmer, um der Familie Gelegenheit zu geben, meine Geschichte nach Belieben aufzuklären; als ich wieder zurückkam, sah er mich mit seinen Kalbsaugen starr an. Während der Abendtafel war seine Aufmerksamkeit zwischen mir und einer vortrefflichen Taubenpastete geteilt, und er äußerte seine Zufriedenheit mit beiden. Ich schrieb seine Aufmerksamkeit der Sonderbarkeit meiner Lage zu, doch den anderen Morgen erhielt ich eine bessere Aufklärung darüber.
»›Camilla‹ sagte der alte Knightley zu mir, ›ich habe einen Ehemann für dich gefunden.‹ – ›Ich hoffe, daß du nicht etwa einen ausgesucht hast. Jedes Übel kommt von sich selbst.‹ – ›Es ist Sir Humfried.‹ – ›Wie! ich soll Sir Humfried heiraten!‹ rief ich aus. – ›Ja, und das so bald als möglich, ehe der impertinente Briefsteller unsere Entwürfe wieder verdirbt und deine Schande öffentlich wird. Die Ehre unserer Familie fordert, daß du heiraten mußt.‹ – ›Aber einen Fremden? ich kenne ihn ja gar nicht!‹ –,Desto besser; danke dem Himmel, daß er von deinen Streichen noch nichts weiß, sonst würde er dich nicht nehmen. Warum brauchst du ihn zu kennen? Ich kenne ihn nun schon seit fünfzig Jahren; wir waren Schulkameraden.‹ – ›Herrliche Empfehlung für den Ehemann eines siebzehnjährigen Mädchens!‹
»Sir Humfried, an Leib und Seele der Unangenehmste von allen Sterblichen, wurde mir nun vorgestellt, um mir seine untertänigste Devotion zu bezeigen; denn die Europäerinnen üben nicht nur, solange der kurze Zeitraum des Hofmachens dauert, eine Art von Despotismus aus, sondern werden sogar bis zu Göttinnen erhoben.«
»Wie?« rief der Samorin; »die Europäer betrachten und behandeln euch Weiber wie Sklavinnen, und doch lassen sie sich herab, euch den Hof zu machen? Unsere Weiber sind frei, und doch würde sich jeder Naïr einer solchen Handlung schämen. War dieser Sir Humfried nicht ein Kavalier? war er nicht Euresgleichen? In Staatssachen demütigen wir uns vor unseren Oberen, in der Liebe vor niemand. Ihr Europäerinnen seid Tyranninnen, nicht Sklavinnen.«
»Ach nein,« antwortete Camilla, »wir sind doch Sklavinnen, und nur während der Saturnalien des Hofmachens ist es uns erlaubt, unsere Herren zu beleidigen, und dieser Mann, hätte ich ihn geheiratet, würde mich gewiß noch übler als einen Sklaven behandelt haben. Das laute Gelächter, das seinen dicken Wanst bei jeder Gelegenheit schüttelte, setzte ihn in den Ruf des Wohlwollens; aber nach dem Tode seiner ersten Frau wurden dem Publikum die Augen geöffnet, da ihre Kammerfrau überall die Umstände ihres Märtyrertums bekannt machte. Er, der lustige Spaßmacher, der die Seele jedes Trinkgelages und immer mit so vielen komischen Einfällen versehen war, um eine ganze Tischgesellschaft zu belustigen, war zu Hause ein mürrischer Tyrann. Einmal, als er allein mit seiner Frau speiste, stieß sie seine Leibspeise um; in der Hitze schlug er sie, sie war schwanger, brachte ein totes Kind zur Welt und starb. Seit der Zeit hatte er verschiedenen Fräulein den Hof gemacht (wenn Eure Majestät den Ausdruck will passieren lassen); da aber die Ehre ihrer Familie weniger auf dem Spiel stand, so wurde es ihnen erlaubt, ihn abzuweisen. Mein hartes Schicksal, nachdem es mich von einem Selbstmord mit Knightley gerettet hatte (denn was ist eine freiwillige Ehe von seiten des Weibes anders als ein Selbstmord), drohte mir, mich jetzt diesem Ungeheuer, dieser Gestalt des Policinellos mit einem Blaubartsgemüt aufzuopfern.
»Diese schwere unbehilfliche Maschine kam nun in das Zimmer marschiert, fiel mit Gravität vor mir auf das Knie und fing eine Lobrede auf meine Schönheit an, als ob die Schönheit die wesentlichste Eigenschaft an einer lebenslänglichen Gesellschafterin wäre, und erklärte, daß sein Leben nur von meinem Besitz abhinge, obgleich er mich den Abend vorher das erstemal gesehen hatte; kurz, seine Erklärung war ein Gewebe der gewöhnlichen Abgeschmacktheiten. Ich wies ihn auf die höflichste Art ab.
»›Ich weiß‹ sagte er, ›daß sogar die Etikette der Liebe verlangt, daß Sie Ihren gehorsamen Diener peinigen und anfänglich seinen Antrag ausschlagen müssen, ob Sie gleich gesinnt sind, ihn nachher anzunehmen. Darf ich aber wohl hoffen, daß ein gewisser Umstand Sie bewegen wird, mein Fegefeuer zu verkürzen?‹
»Ich antwortete ihm: daß kein Fräulein, wenn sie auch gleich für ihn keine Neigung fühlte, so undankbar sein würde, mit dem Glück desjenigen Mannes ihr Spiel zu treiben, der so gut gegen sie gesinnt wäre. Es würde grausam sein, ihm mit falschen Hoffnungen zu schmeicheln, und höchst unklug und vermessen, ihn in einer unruhigen Ungewißheit seines Schicksals zu lassen, indem es dem Eheherrn nie an Gelegenheit fehlen würde, die Leiden des Liebhabers zu rächen. Aber gesetzt, daß ich so mutwillig wäre, welcher besondere Umstand sollte mich wohl zur Umänderung meines Betragens bewegen?
»›Teuerstes Fräulein‹ sagte er, – man kann die Schildkröte nur noch eine Woche halten. Ich brachte sie hierher, um bei der Hochzeit Knightleys eine Rolle zu spielen; sie würde aber auch bei der unsrigen nicht unwillkommen sein.‹
»Seine hochtrabenden Komplimente fingen nun wieder von neuem an. Mein Gesicht hatte die Miene der Venus, in meinem Anstand herrschte die Würde der Juno, in meiner Unterhaltung war der bezaubernde Witz der Minerva. Alle Heldinnen und Halbgöttinnen waren übrigens nicht wert, meine Schleppe zu tragen. Die Geduld verließ mich, ich führte ihn vor den Spiegel und bat ihn, das Schicksal des Vulkan nicht zu vergessen, der die Venus zur Gattin hatte.
»Jetzt war nun die Rede von seinen Gütern, und welcher Verbesserungen sie fähig wären, von seinem Hause zu London, das ich ganz nach meinem Geschmack möblieren dürfte, von seinen Equipagen und anderen Artikeln, die in einem Ehekontrakt viel Platz einnehmen.
»Ich antwortete, daß, wenn von einer Verbindung zwischen Northcote Park und Carfunkel Hall die Rede wäre, so wäre die Beschreibung seiner Güter am rechten Platz. Aber ehe eine Heirat den Ritter Carfunkel und das Fräulein Harford vereinigen sollte, so riet ich ihm mehr auf die Verbesserung seines Herzens, seines Standes und seines Rufs zu denken, und um mich zu bewegen, sein Haus zu beziehen, hätte es weniger einer neuen Möblierung als eines neuen Herrn nötig! – Leider aber fand ich, daß der nämliche Mann, der seiner Gattin sonst kaum erlaubt, ihm ins Gesicht zu sehen, jetzt jede absichtliche Beleidigung von seiner Angebeteten ruhig erduldete.
»Er fiel wieder auf das Knie. ›Die Liebe,‹ sagte er, wahrscheinlich nach irgendeinem Lustspiel, ›heischt mich zu Ihren Füßen knien, und nur die Hoffnung allein soll mich aufstehen heißen.‹ In dem Augenblick läutete man zur Tafel, geschwind stand er auf und führte mich in den Speisesaal.
»Die Familie blieb meiner Weigerung ungeachtet fest bei ihrem Entschluß, daß ich ihn heiraten sollte. Mein Urteil sollte den dritten Tag vollzogen werden. Man schlug dem Bräutigam eine stille Hochzeit vor; aber dieser hielt so viel auf seinen Schildkrötenschmaus, daß er, glaube ich, lieber auf die Braut als auf das Gastmahl Verzicht getan hätte.
»Meine Tante Matilda versuchte es, mich zu trösten, indem sie mir mehrere Fräulein aus der Nachbarschaft nannte, die alle wider ihre Einwilligung hatten heiraten müssen; denn wer sollte auch solche jungen Geschöpfe in Sachen von solcher Wichtigkeit um ihre Einwilligung fragen?
»Fräulein Priscilla erklärte, daß eine solche Metze eher einen Türken als einen Christen zum Mann verdiene, und doch trugen sie kein Bedenken, mit einer solchen Metze einen Mitchristen zu betrügen. Kein ehrlicher Pferdehändler würde den Fehler eines blinden oder keuchichten Pferdes verborgen halten.
»Ein anderes Mädchen in meiner Lage hätte den ersten Tag in Tränen zugebracht, den zweiten ihr Hochzeitskleid bestellt und den dritten sich in ihr widriges, unnatürliches Schicksal gefügt; ich handelte aber wie eine Zigeunerin und ein Etonenser, und bin nun eine Mutter geworden.« (Camilla drückte bei diesen Worten die kleine Marina an ihre Brust.)
»An dem zweiten Abend zerstreute ich einige Kleidungsstücke am Ufer des Flusses, um die Familie in den Wahn zu setzen, daß ich mich ertränkt hätte; packte aber indessen einige Kleidungsstücke zusammen und ging zu Fuß bis zur nächsten Landstraße. Dort begegnete ich einer Postkutsche, ich stieg hinein, und ehe es noch Tag war, kam ich glücklich in London an.
»Ich fuhr nach der Wohnung einer alten Haushälterin, die von einer Leibrente, die sie von meiner Tante Cornelia erhalten hatte, lebte. Ich entschloß mich, so lange bei ihr zu bleiben, bis ich eine feste Entschließung wegen meines künftigen Schicksals gefaßt hätte. Denselben Abend bekam sie Besuch von einer jungen Frau, die schwanger war. ›Tante‹ sagte diese, ›die Stunde meiner Niederkunft rückt heran, hast du noch keine gefunden, die an meiner Stelle dienen will?‹
»Von der Alten erfuhr ich nun, daß ihre Nichte in den Diensten der Mistreß Montgomery war. Ich werde es nicht unternehmen, eine Lobrede auf diese vortreffliche Frau zu halten, die Ihr schon aus der Beschreibung des Kronprinzen genug kennt. Unter anderen guten Eigenschaften war sie auch die gütigste Herrschaft. Sie war der Abgott ihrer Bedienten, und war irgendeine Stelle in ihrem Hause leer, so war die Zahl der Mitbewerber unglaublich. Sie jagte nie das arme Mädchen von sich, die der Stimme der Natur gefolgt hatte; wenn sich das Geflüster der Liebe ungestört in den Sälen und Galerien ihrer Wohnung hören ließ, so wurden die Keller und Gewölbe derselben doch nie von Kindermord entehrt. Weit entfernt, eine Schwangere als eine Verbrecherin zu betrachten, die man ausstoßen müsse, erlaubte sie ihr vielmehr, wenn irgendeines ihrer Weiber in die Lage kam, sich auf einen Monat zu entfernen und eine andere zu stellen, um währenddes ihren Dienst zu verrichten. – Ich fürchtete, daß die Knightleys mich überall aufsuchen möchten, und brannte vor Begierde, mit Mistreß Montgomery bekannt zu werden. Ich entschloß mich deshalb, in die leere Stelle zu treten, zog die Kleidung eines Dienstmädchens an und wurde meinen Dienstgenossen vorgestellt.
»Die ersten Tage waren verstrichen, und ich blieb noch unbemerkt in der Küche. Ich fing schon an, zu fürchten, daß meine Dienstzeit vorbeigehen möchte, ohne daß ich Gelegenheit fände, die Aufmerksamkeit meiner Herrschaft auf mich zu ziehen; doch ein glücklicher Zufall begünstigte weine Wünsche.
»Ihre Kinder bekamen die Blattern; um frische Luft zu genießen, wurden sie in ein Gartenhaus der Vorstadt gebracht, und ich war unter den Weibern, die sie begleiteten. Eine Nacht wurden wir durch ein Feuergeschrei erweckt. Die Hälfte des Hauses stand schon in Flammen; Kinder und Kinderwärterinnen retteten sich in den Garten, als einer von den Knaben ausrief, daß seine kleine Schwester fehle. Die Wärterin war zu beschäftigt gewesen, ihren Putz zu retten, um an das Kind zu denken. Der Hof war voll von Weibern, die wie Besessene hin und her liefen oder wie Bildsäulen versteinert dastanden. Hier Jammergeschrei und da Totenstille. Die männlichen Bedienten hatten den Abend im Bierhause zugebracht und waren noch nicht zurückgekehrt; das Kind schien unvermeidlich verloren, denn die Flammen hatten schon die Treppe erreicht. Im Garten war ein Bassin, worin Goldfische gehalten wurden; unbedenklich warf ich mich hinein, um meine Kleider naß zu machen, lief dann blitzschnell die Treppe hinauf, gerade als sie auf dem Punkt war zusammenzustürzen, warf das kleine Mädchen in ein Bettuch, das die anderen, um sie aufzufangen, ausgebreitet hatten, und rettete mich dann selbst durch einen Sprung auf den Misthaufen.
»Bald erfuhren wir nun auch die Quelle unseres Unglücks. Die Frau des Hauses hatte ihrer Tochter verboten, Romane zu lesen; dies Verbot flößte ihr nur noch mehr Geschmack für dieselben ein, und da sie des Tages über zu streng bewacht wurde, so pflegte sie des Nachts ihrer Leidenschaft nachzuhängen. Sie war über dem Lesen eingeschlafen; das Feuer ergriff die Bettücher, und das Haus wurde ein Raub der Flammen.
»Den anderen Morgen empfing ich den Dank der Mistreß Montgomery. Die zärtliche Mutter hätte sich nie von ihren Kindern getrennt, wenn sie nicht gefürchtet hätte, daß ihr kleinster Sohn, den sie selbst stillte, die Blattern auch bekommen möchte. Sie bot mir ein ansehnliches Geschenk an, das ich aber abschlug; dies Betragen und vielleicht auch etwas in meinem Äußeren verriet ihr, daß ich mehr war, als ich zu sein schien. Sie fragte mich darüber und bekannte mir ihre Mutmaßungen. Ich erzählte ihr meine Geschichte und bat um ihren Schutz. Mit einer unnachahmlichen Artigkeit bot sie mir ihr Haus und ihre Unterstützung an, bis ich mündig wäre.
»›Denke nicht,‹ sagte sie, ›daß Dankbarkeit der einzige Beweggrund dieses Vorschlags ist; mein eigenes Interesse hat sehr vielen Anteil daran, denn wie glücklich wird sich meine älteste Tochter Jeannette in dem Besitz einer solchen Freundin fühlen, und welcher Vorteil für meine jüngeren Kinder, ein solches Muster vor den Augen zu haben?‹
»Ich nahm ihr Anerbieten an, und seit der Zeit hat man mich für ihre Tochter gehalten; nur wenige vertraute Freunde wußten das Gegenteil. Unter ihrem Dache hörte ich zuerst von Eurem Mutterlande sprechen. Anfänglich hielt ich es für eine Art Utopien, das seine Existenz bloß der Phantasie eines Dichters zu verdanken habe, sobald ich aber von der Wirklichkeit überführt war, vereinigte ich oft meine Bitten mit denen ihrer Kinder, um Margarete zu bewegen, uns etwas von Eurer erhabenen Schwester und von den Gebräuchen dieses Reichs zu erzählen. – Urteilet nun, wie untröstlich sie war, als sie von dem Verluste Agalvas hörte, und wie sie sich bestrebte, ihre Schuld gegen die Mutter an den Sohn abzutragen. Ich war für alles aus Malabar so eingenommen, daß ich wahrscheinlich auch das nämliche für den Prinzen empfunden hätte, wenn er auch weniger liebenswürdig gewesen wäre. Meine Anhänglichkeit und Neugierde waren bis auf den höchsten Grad gestiegen. Der Prinz bot mir einen Zufluchtsort in seinem Mutterlande an, und mit Vergnügen entschloß ich mich, die übrigen Jahre meiner Minderjährigkeit hier zuzubringen. Mit nassen Augen schied ich von meiner edlen Beschützerin, um hier einen Schutz zu suchen, den Eure Majestät mir nicht versagen wird.«
Der Samorin dankte ihr für die Mitteilung dieser ihrer Geschichte. Es schmerzte ihn, daß er seine Hoffnungen ganz aufgeben mußte, in einem Weibe von solchen Verdiensten seine Nichte zu finden, die sein Geschlecht bis auf die späteste Nachwelt würde fortgepflanzt haben. Die Rückerinnerung an Agalvas Verlust stürzte ihn in die tiefste Traurigkeit zurück.