Joseph von Lauff
Die Heilige vom Niederrhein
Joseph von Lauff

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Vierzehntes Kapitel

Der erste Pfingsttag!

Er kam mit unendlicher Glorie, um in einem mit Sternen bestickten Königsmantel in den veilchenblauen Abend zu schreiten. »Wir beten an die Macht der Liebe«, jubelten ihm die Engel und Erzengel zu und alle, die den lichten Glanz seines beglückenden Erdenwallens verfolgten.

Die Herzen in der Grafschaft begannen höher zu schlagen.

Und wiederum Pfingstfreude und die Stimme des Wundervogels!

Der zweite Morgen begnadete Heiligenbaum und alles was im Banne des Gnadenortes den Ewigen preisete und Odem und Leben hatte, ihm zu Ehren Psalter und Harfe anzustimmen.

Mit ihm trat Heinrich Verschüren vor den jungen Tag und sein Werk.

Über Nacht war es über ihn gekommen mit dem Brausen des Heiligen Geistes. Es war ein Brausen, das die Lauen aufrüttelte, den Baulustigen die Kelle in die Hand drückte und den Zweifelsüchtigen zurief: »Nicht länger gefeiert! Worauf wartet ihr noch? Die Stunde gebietet. Macht stolze und rechtschaffene Bahn, und ihr werdet die Palme des ewigen Lebens gewinnen.«

Das pfingstliche Leuchten hatte Heinrich Verschüren allen Kleinmut, alle Bedenken und Zweifel der Seele genommen. Er fühlte sich stärker denn je zuvor, zuversichtlicher als noch vor wenigen Tagen, eigenwilliger als er insonsten gewesen, aber auch abgeklärter und vorbedachter gegen alles und jedes, bei dessen Beurteilung er sich lediglich auf die Errungenschaften der Jetztzeit eingestellt hatte.

Sein Werk stand neben ihm, und unbewußt gedachte er des öfteren der aphoristischen Gedankengänge eines klugen Franzosen: »Der Held ist vorausbestimmt. Er folgt einer Sendung. Ich glaube, mir wurde eine solche Sendung gegeben. Die Untergebenen wissen nichts von der Verantwortung, die auf den Füßen lastet. Ein wirklicher Führer öffnet auch seinen Untergebenen die Augen. Die vorderste Linie ist ein geheiligter Ort. Auch sie muß der Feldherr besuchen. Tut er es nicht, so ist er kein Führer. So trete ich denn vor den jungen Tag und mein Werk und hoffe letzteres zum Segen Christi und zum Heile der Welt zu einem gedeihlichen Ende zu führen.«

So der Kaplan, der Dichter und Dramaturg der großen Passion.

Bereits in Gottes lichter Sonntagsfrühe stand er in seiner besten Soutane auf der höchsten Stätte der Freilichtbühne.

Eine zarte Sommerbrise ließ die befransten Bänder seiner seidenen Priesterschärpe gleich zwei schwarzen Schlänglein dahinspielen.

Neben ihm erhob sich sein technischer Adlatus, der Zimmermeister Imanuel Kerskes, aber ›oho‹, in dunklem Bratenrock, gestauchten Korkzieherhosen und mit einem Feiertagsgesicht, das er bereits durch etliche Winnenthaler Edelbranntschnäpse angeglüht hatte.

Er fühlte sich, denn er hatte das Seine geleistet und war mit Recht stolz auf den Einfall gewesen, auf die Posaunenbläser hingewiesen zu haben, die die Aufgabe hatten, den Beginn des jeweiligen Passionsspiels durch dreimaligen Anruf der Umwelt kund und zu wissen zu geben. Noch vor Toresschluß war es ihm gelungen, diese verabsäumte Angelegenheit aufs Tapet zu setzen und sie unter Sparren und Pfannen zu bringen.

Heinrich Verschüren suchte die weite Umgebung sorgfältig ab.

Als er nicht fand, was er suchte, fragte er seinen technischen Beirat: »Na, Meister, wird die Sache mit den Leviten auch klappen?«

»Hochwürden, wenn Imanuel Kerskes etwas anordiniert, dann paßt die Geschichte wie 'n Proppen aufs Krükske.«

»Wo habe ich denn die Leute zu suchen?«

»Hier im weiten Kreis um die Bühne herum. Zunächst an der Mergelgrube hoch oben steht der Ferkelstecher Franz Mengels und tutet die Gegend von Goch und Uedemerfeld an. Welm met de Klompe wartet unten am Eingang und bläst gegen den Rhein zu. Vor uns, nicht weit von der Viehsteg, hab' ich Männe Sappholt placiert. Er nimmt die Straßen nach Klev' unter Betonung. Hundert Schritt hinter uns befindet sich Nöllecke Kunders auf Posten. Seine Posaune langt bis halbwegs Hanten.«

»So?! Und verstehen die Leute wenigstens zu blasen?«

»Und ob, Herr Kaplan! Das sind ausklamüsierte Tenten- und Tanzmusikanten. Wenigstens zwanzig Jahre treiben sich die Kerls auf den Kirmestribünen herum, mit Bombardon und so . . . und da nicht blasen können, Hochwürden?! Die können's ebenso gut wie die Posaunenengel aus der komischen Bibelschrift, die die wenigsten verstehen, und wenn sie sagen, sie hätten's verstanden, so ist's auch bloß 'ne imaginäre Verfassung . . . Ich meine . . .«

»Schön so!« unterbrach ihn Heinrich Verschüren. »Aber wie denken Sie sich die Signale, Herr Kerskes? Sie müssen doch wenigstens einen gewissen kirchlichen Anklang aufweisen, um ihren Zweck zu erfüllen.«

»Das war eben der Casus, Hochwürden, und so wandte ich mich direktemang an die richtige Stelle, an den hiesigen israelitischen Lehrer Herrn Alef Mandelholz, und fragte ihn, ob er die Güte haben wolle, mich in seinem Volkstum etwas belernen zu wollen. – Gerne, Herr Kerskes. – Dann möchte ich wissen, Herr Mandelholz, wie vor Zeiten Ihre levitischen Priesterschaften das auserwählte Volk zu ihren Tempelspielen einladen täten? – Nu, sie taten's mit die großen Posaunen. – In getragener Weise oder mit pläsierlichen Musikantenstückchen? – Keine Musikantenstückchen, Herr Kerskes! Sie werden geblasen haben in getragener Weise von Sion 'ne gemeinsame, große und einzige Note: erst Doucemang, dann stärker werdend mit die Gefühle, um schließlich mit Furioso aus der Donnerwolke wie Jehova herunterzutrompeten. – Das ist es, Hochwürden. So hab' ich's einstudiert, und sie machen's wie die Oberleviten. Besonders Welm met de Klompe. Der muß für sein Fortissimo 'ne besondere Verköstigung haben.«

»Und stehen alle auf Posten?«

»Alle«

»Gut! Es geht jetzt auf neune. Der erste Anruf ist fällig. Die Zeit ruft. Um zehne erfolgt der zweite Appell. Eine halbe Stunde später habe ich vor meine Dichtung zu treten. Mit Gott denn!«

»Mit Gott denn!« bestätigte Imanuel Kerskes.

Sein Zimmermannsgesicht, angeglüht durch den Winnenthaler Edelkornbranntwein, blühte auf wie eine dunkelrote Pfingstpäonie.

Er fühlte sich abermals, brachte seine Sirenenpfeife zum Vorschein und trillerte wie ein Regenpfeifer über Hecken und Hegung.

Da wurden die von ihm aufgestellten Leviten lebendig. Drei Alt- und eine Baßposaune gaben alles her, was sie hergeben konnten. Der Ferkelstecher Franz Mengels an der Mergelgrube hub an. Erst Doucemang, dann Fortepiano, dann mit der Sprache Jehovas, als dieser Moses beauftragte, die zehn Gebote in das Lager des auserwählten Volkes zu tragen. Manne Sappholt und Nöllecke Kunders nahmen den majestätischen Ton auf und gaben ihn sinngemäß weiter. Jetzt war Welm met de Klompe an die Reihe gekommen. Seine Baßposaune setzte ein . . . aber wie?! Himmel und Erde erschauerten. Das Doucemang ähnelte Honigseim, das Fortepiano dem ersten Wühlen eines aufkommenden Wetters im Sommerwald, das Fortissimo und Furioso dem Donnern und Brüllen des Behemoths aus der Offenbarung des heiligen Johannes auf Patmos. Besonders das Furioso! Hätte es der Stier von Uri in gleicher Stärke und Meisterschaft wie Welm met de Klompe durch die Schweizer Berge getutet, kein Stein der Veste Zwing Uri wäre auf dem andern geblieben, so gesinnungstüchtig und mit ganzer Lungengewalt unterstützte Welm die musikalische Arbeit seiner Unterleviten, daß ein Anruf zustande kam, würdig der großen Passion, die mit diesem Auftakt bald darauf einsetzen sollte.

Wie ein gewaltiger, tönender, vierzüngiger Riesenvogel schlitterte der Tubaruf zwischen Himmel und Erde, senkte sich tiefer, um sacht verhallend im weiten Gelände zu sterben.

Heinrich Verschüren stand mit gefalteten Händen.

Frohen Auges sah er über die leuchtenden Breiten, über Felder und Wiesenkomplexe bis gegen den Rhein zu, wo weiße Segel, wie liebe Seelen, die sich auf der Reise befanden, zu Tal und zu Berg fuhren.

»Meister«, wandte er sich an Imanuel Kerskes, »das habe ich niemals erwartet. Ihre Leviten sind wahre Leviten. Nun bin ich freudig in Gott und möchte in die Worte ausbrechen, die da lauten:

Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren,
Seine geliebete Seele, das ist mein Begehren.
Kommet zu hauf!
Psalter und Harfen wacht auf,
Lasset den Lobgesang hören . . .

denn der richtige Auftakt wurde gefunden. Der Tag ist uns sicher. Wir lassen uns ihn nicht mehr aus den Händen winden – den heiligen Tag nicht, an dem von dieser Stätte aus das lästerlich erfundene und doch die Menschheit erlösende Signal Jesus Nazarenus Rex Judaeorum aufragen wird. Er ist unser geworden. Aus ihm wurde die Tat geboren . . . die Passion . . . die niederrheinische Leidensgeschichte des Herrn. Gott segne sie, Gott heilige sie, Gott führe sie heute zu einem ersprießlichen Ende.«

* * *

Mit dem ersten Anruf war es wie ein Zucken, ein Sehnen und Suchen, ein Leuchten und hohes freudiges Erregen bis weit in die nächste Umwelt gefahren. Wie auf ein Geheiß wehten die ausgetanen Kirchenfahnen frischer im Wind, raschelten die aufgepflanzten Maibäume zuversichtlicher an Straßen und Wegscheiden, lief es mit flackernden Züngelchen über die Roggen- und Bartweizenparzellen dahin, die in anmutiger Wechselfolge mit den saftgrünen Weiden und Triften der weiten Niederung ihren ganzen Zauber entfalteten. Auf allen Straßen, Wegen und Stegen war rege Bewegung. In bunten Scharen strömte es dem Gnadenort und der Freilichtbühne entgegen, auf Leiterwagen kam es gerappelt, in Autos getutet, in Lederschäschen und Tillburys geknarzt und gehoppelt, und wer die Korngasse absuchte, sah bunte Reihen von Jünglings- und Jungfrauenvereinen, die mit Fahnen und fliegenden Bändern der Freilichtbühne entgegenpilgerten.

Die große Passion streckte ihre Fangarme aus und zog alles an sich, was sich in ihrem Bannkreise bewegte. Von Weeze und Kleve, von Hanten, Rheinberg und dem benachbarten Geldern, von den Ortschaften jenseits des Rheines, von Rees, Dornick und Emmerich holte sie ihre Leutchen herein, um sie der großen Mysterien teilhaftig werden zu lassen. Selbst Holland entsandte seine frommen Schützengilden und Bruderschaften, honette Hotzenplotze mit verschnittenen Polkahaaren, die sich vielfach eine Ehre draus machten, den preußischen Zoll zu umgehen und zum Leidwesen der deutschen Wirtschaften und Ausspannungen auf deutschem Boden nichts hinterließen als niederländische Eierschalen, verwaiste Stullenpapiere, Käserinden und ausgegluckerte Geneverbouteillen, die holländischen ›Gölde‹ aber wieder feinsäuberlich jenseits der Grenze aufs neue in Sicherheit brachten.

Ja, die Passion . . . die Leidensgeschichte des Herrn . . .! Die halbe Kavarinerstraße war auf den Beinen, vornehmlich das Haus ›Pietas‹ unter der großzügigen Leitung Severin Baumanns. Daß die gefeierte Henriette die Rolle der Maria von Magdala verkörpern würde, gab dem rührigen Chef Veranlassung, allen Angestellten der Firma, vom Betreuer des Hauptmagazins und dem ersten Buchhalter bis zum letzten Putzmamsellchen herunter durch Freifahrt und spendierte Einlaßkarten den Eröffnungstag der großen Spiele miterleben zu lassen. In festlichen Gewändern, in geschmalzten Haartollen und gekräuselten Bubiköpfen zogen Männlein und Weiblein gemeinsam von der Stätte ihrer sonst so ernsten Tätigkeit gen Heiligenbaum, um durch Pfingstfreude und lachendes Leben hindurch, den hohen, feierlichen Ernst der großen Passion zu begehen. Der umsichtige Chef, eine satte Zentifolie im Knopfloch, und Fränzchen schlossen sich an, stolz darauf, die Heldin des Tages als stille Teilhaberin in der Firma zu wissen. Ihnen gesellten sich die beiden Grundbesitzer Dores van Laak und Matthieu Thönissen, die sich ihrerseits wieder eine besondere Ehre draus machten, die Frau Margarinefabrikantin Peternella Kleinwater geborene Pistoris unter Schutz und Betreuung zu nehmen.

War das eine köstliche Fahrt in den sonnigen Pfingstmontagmorgen hinein! Herr Severin Baumann sah das alles und freute sich dessen. Er freute sich der Fahrt, der Schönheit seiner engeren Heimat, des kommenden Spieles, der Triumphe Henriettens und damit indirekt auch der Ehrung seines heimgegangenen Mitkompagnons Joris Jansen, dieses vorbildlichen Mannes, dem er eine unverbrüchliche Dankbarkeit und Treue bewahrte und den er wert und würdig hielt, gelegentlich selig gesprochen zu werden. Aber bei all diesem Gliicksgefühl – ein verdrießlicher Unterton lief mit unter, dessen er so recht nicht Herr werden konnte, für ihn immer aufdringlicher wurde, vornehmlich von dem Augenblick an, wo er den breithingelagerten Hof Op gen Born passierte, unter dem Namen Burginatium vielgenannt und gepriesen, woselbst die VI. Legion (legio VI. victrix, quam oomitata fuit ala equitum) in altersgrauen Zeiten Standquartier genommen und ihren stolzen Aquilifer aufgepflanzt hatte. Hier wehte militärischer Geist, hing was in der Luft, was dem jetzigen Zeitgeist widerstrebte, was sich abkehrte von Friedensgewinsel, von pazifistischen Bestrebungen, von Selbstentmannung und dem widerwärtigen Drange, die Parteiinteressen über die Genesung des Vaterlandes zu stellen. Der harte Schritt des Legionärs war hier noch zu hören, die zuversichtliche Sprache der kurzen Schwerter, das stolze Wort civis romanus sum, die unentwegte Kundgebung eines entschlossenen Volkes . . . Auch ihm kam ein Klingen davon – jetzt, wo er dabei war, sich von den Mysterien der Passion gefangen nehmen zu lassen. Wo führte das hin?! Er mußte unwillkürlich Heribert Kästners und seiner flammenden Darlegungen im ›Blauen Schiffchen‹ gedenken. Einzelne Sätze sprangen ihm zu, traten in grelle Reflexe, rangen sich ihm von der Zunge herunter: »Ich sehe mit offenen und ehrlichen Augen, ich gehe nicht fehl und kann mich nicht irren. Die Spiele sind heilig, aber solche Spiele gehören in blumige Tage. Deutschland verblutet zur Zeit. Sein Herz ist mit Leid und Weh übersättigt bis zum Zerspringen. Es verlangt andere Spiele, Spiele und Arbeit, die einen ehernen Klirr unter den Füßen haben, nach Waffen und Wehren greifen, um das blutleere Reich aus den Saugnäpfen der Vampyre und Nachtschatten, aus der Umklammerung unserer äußeren und inneren Feinde zu hauen, Spiele der Umsicht und Einkehr und der endlichen Selbstüberwindung. Das ist auch Christuswille, und Christus regieret.«

Das war es! und der prächtige Chef mit der satt erblühten Zentifolie im Knopfloch fühlte ein vorwurfsvolles Mahnen unter der Herzgrube. Das bedrückte ihn. Er sah verstört in die Gegend.

Bald mußte Heiligenbaum auftauchen, die geweihte Stätte mit ihrer Freilichtbühne und den fliegenden Zeichen. Und dort wollte er hin . . . zu duldsamem, pazifistischem Treiben, zu Darbietungen, nur für friedsame, glückliche und blumige Zeiten berechnet . . . wo doch bitter nottat, mit umdüsterter Stirn durch die Tage zu schreiten, auf Mittel und Wege zu sinnen, sich der Umklammerung der Nachtschatten, den Saugnäpfen von Vampyren und Empusen zu entziehen?! Vae victis . . .! und dennoch: civis germanicus sum . . .!

Dem Chef des Hauses ›Pietas‹ lief es kalt über den Rücken. Die Darlegungen des jungen, unerschrockenen Sprechers im ›Blauen Schiffchen‹ fielen ihm schwer auf die Seele. Am liebsten hätte er zum Rückmarsch geblasen. Leider zu spät. Das Ziel rückte immer näher und näher. Der Zustrom auf der großen Heerstraße Kleve–Xanten wuchs sich zu nie dagewesenen Ausmaßen aus. Das sonst so stumpfe, wortkarge, geräuschlose Land vernahm den eigenen Herzschlag nicht mehr, so reichbemessen tutete, ratterte, knarzte und lärmte es ihm von allen Ecken und Kanten entgegen. Es ging in der Niederung zu wie in einem ernteschweren Bauerngehöft, das die Speicherratten heimgesucht hatten.

Die ersten Liegenschaften des Gnadenortes kamen in Sicht.

Die Flaggen- und Fahnenzeichen mehrten sich.

Aus den kanadischen Pappelreihen der Landwehr winkte es in bunten Bändern und Schleifen herüber.

Dann – immer mehr Menschen, immer größerer Zuwachs, immer mehr Feier und Andacht.

Schon strömte einem ein Ruch nach geweihten Kerzen, Zichorienkaffee und Marienplätzchen entgegen.

O du gnadenreiches, o du gebenedeites Stück Erde!

Achtung! Was war das?!

Bei der Einfahrt begann es plötzlich in der ganzen Umwelt zu schüttern, mit der Gewalt eines Donnerers zu sprechen.

»Christus!« rief Fränzchen.

Alle sahen sich an.

»Das ist ja . . .

Natürlich war es.

Der Oberlevit Welm met de Klompe brachte mit seinen Unterleviten den zweiten Anruf und tutete sein Doucemang und sein Furioso so gottesgläubig und evangelienkräftig in die zuströmenden Seelen hinein, daß alle nach den Mysterien schrien wie die durstigen Hirsche nach Wasser.

Ja, überhaupt Welm met de Klompe . . .!

Und Heinrich Verschüren erst . . .!

»Dunnerkiel!« erstaunte sich Dores van Laak, »ist je so was erhört worden im Land der Uedemer Knollen und Dickwurze?! Allerhand Achtung! Dieses Kaplänchen von Warbeyen weiß schon Spektakel zu machen. Der kräht gediegener wie mein bester Crève-oeur vom obersten Mistus herunter. Wie lange noch«, und Dores schlug sich auf die strammen Schenkel, daß es knallte wie aus einem herzhaften Drilling, »und unser Vikarius trompetet sich unter Beistand Welms met de Klompe aus seinem Kaplansbarett in 'ne noble Bischofsmütze hinein. Na denn aber auch! Gratuliere, Hochwürden! Da hört bloß!«

Der niederrheinische Oberlevit beschloß den zweiten Anruf mit einem prächtigen Posaunenschnörkel, der sich dreimal überschlug, um dann gesinnungstüchtig in die blühenden Roggen- und Weizenfelder zu trudeln.

Unter diesem biblischen Willekomm triumphierte man ein.

In den Straßen Heiligenbaums kribbelte und krabbelte es mit den Zappelgelenken eines wohlbestandenen Termitenhügels.

Im ›Fröhlichen Landmann‹ stieg man ab, machte sich zurecht, um bald darauf in getragener Stimmung, im Banne des Unbewußten, des Geheimnisvollen, des Unerforschlichen, des Erdenfernen mit den übrigen Menschen zur geweihten Hügellehne zu pilgern – gleichsam zum leuchtenden Kelch des heiligen Gral und zum Tische des hohen Altarsakramentes.

Nur eine kleine halbe Stunde noch, nur noch eine Spanne von zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten – und die Lebens-, Lehr- und Leidensgeschichte des Herrn sollte sich vor den verzückten Blicken entrollen . . . nur noch eine kleine halbe, langsam verrinnende Stunde . . .

Auf zum Kalvarienberg! Auf nach Jeruschalaim . . .!

Posaunen, Posaunen – hoch von Sion herunter!

Heinrich Verschüren stand hehr und einsam auf Posten in Erwartung eines Triumphes, den er jetzt schon mit der Sicherheit eines zielbewußten katholischen Priesters mit weißen Händen umklammerte.

Io triumphe! Aber kein triumphus in monte Albano – nein, ein echter, gediegener, langatmiger Triumph, wie ihn ein römischer Feldherr beging, in der Toga praetexta, im Lorbeer, einen elfenbeinernen Stab mit goldenem Adler in der Rechten führend, hinter sich einen Sklaven, der ihm warnend zusprach: »Sieh hinter dich und bedenke, daß du ein Mensch bist«, um ihn so vor Hochmut zu bewahren und vor dem Neide der Götter zu hüten.

Aber Heinrich Verschüren brauchte keinen Betreuer.

Er war sich selber Warner und Mahner genug.

Er stand hier unter dem Schutz und Schirm eines Höheren, eines Unsichtbaren, der ihn stark gemacht hatte, das Werk zu ersinnen, zu schaffen, es in die verschwiegensten Kammern des menschlichen Seelenlebens zu tragen.

Dieses Bewußtsein war bei ihm.

Das machte ihn des Tages und der Stunde froh.

Sein Gesicht leuchtete auf . . . und dennoch: zeitweilig zuckte es um seine eingekniffenen Lippen wehmütig auf. Dann war es ihm jedesmal, als wenn ihm eine kalte, starre Hand über die Herzgrube führe.

»Was soll das? Fort damit! Ich brauche keinen Hahn, mich warnen zu lassen. Meine Schuld decke ich zu. Ich ersticke sie unter Rosen- und Veilchensträußen, wie ein römischer Cäsar es tat oder so mancher, der am Tiber das väterliche Erbgut des großen Apostels behütet. Wer das kleine Übel nicht mitnimmt, um das größere damit aus dem Felde zu schlagen, steht sich selber als Priester im Wege.«

Seine Züge waren wieder eherne Züge geworden.

»Ich will«, sagte er schartig, »sonst wäre ich ein Paragraphenkümmerling, ein Schädling am gesunden Leibe der alleinseligmachenden Kirche, ein durchlöcherter Wächter auf der Bastei von jenseits der Berge, die sie die unüberwindlichen heißen. Gewiß, ich bin auch nur ein Mensch voller Sünden, fleischlichen Begierden und Anfechtungen – aber ich diene . . . Ich diene Gott und der Kirche . . . und damit decke ich zu, was mich sündig umnebelte, um mich letzten Endes sündig zu machen. Das ist keine Sünde, Herr, du wirst mich verstehen und deinem unwürdigen Knecht in Gnaden verzeihen. Amen.«

Und nochmals: Io triumphe!

Er sah auf das buntfarbige Gewühl zu seinen Füßen, auf Bühne und Zuschauerraum, auf die vollbesetzten Tribünen und Bankreihen. Da atmeten keine Larven und Lemuren, keine Schatten und Empusen. Nur Leben, packendes Leben, der heilige Eifer, der großen Mysterien teilhaftig zu werden, wehte ihm zu. Es flüsterte und raunte, rauschte und brauste gegen ihn an. Es fummelte wie in einem wogenden Kornfeld, wie von einer uralten Kultstätte, wie aus einem unergründlichen Geheimnis heraus . . . und während dieses Summelns und Rauschens, dieses Brausens und Sausens . . .

Imanuel Kerskes war bedeutungsvoll an seine Seite getreten.

Heinrich Verschüren sah nach der Uhr.

Er nickte.

»Meister, tut Eure Pflicht!«

Da gab der technische Beirat das letzte Zeichen mit der Trillersirene.

Prompt reagierte Welm met de Klompe und seine Unterorgane darauf . . . und die Fanfaren der Freilichtspiele begannen zu rufen . . .

Der letzte Auftakt! Dann Stille ringsum wie in einer Grabkammer eines vor tausend Jahren verstorbenen Königs.

Noch ein Gongschlag zwischen den Heckengassen, in unmittelbarer Nähe des herodianischen Hauses – und Heinrich Verschüren begab sich als Spielleiter hinter die ersten Kulissen.

»In Gottes Namen denn!«

»Seid mir gegrüßt alle, die ihr kamt, den hohen Tag zu begehen . . .« und die ersten Bilder der großen Passion rollten über die Szene, um in spannender Wechselfolge einzudunkeln, sich aufzulösen, wieder in die Erscheinung zu treten, in Strahlengarben zu leuchten und jählings mit unheimlichem Flackern in Staub und Asche zu fallen. Dumpfe Klänge, verstörte Rufe, unheimliches Schreiten durch verschwiegene Gänge, die uns Arges verhießen. Die dunklen Türen des Synedriums schließen sich lautlos.

Der hohe Rat ist versammelt: so die Hohenpriester Kaiphas und Annas. Ihre Ammonshörner leuchten in einem seltsamen Licht. So die Priester und Leviten Sadok und Amon mit klingenden Schellchen. So die Pharisäer Rabinth und Archelaus Rabbi.

Sie schreien und mauscheln, sie stoßen Trompetenstöße aus wie die Kraniche, wie die rosinfarbigen Flamingos, die die Großen und Kleinen Syrien bewohnen.

»Schweiget!« und Kaiphas legt seinen todschwarzen Bart auseinander. Dieser Bart ist wirklich totenschwarz, sonder Glanz, wie der eines Verstorbenen.

»Hört mich! Ich habe nur dieses zu sagen. Dem Zimmermannssohn aus Nazareth ist das Handwerk zu legen. Er wühlt und wiegelt das Volk auf. Er verheißt Silberbarren, Goldstaub und Ewigkeiten und spendet nur Leimbrocken und Hobelspäne. Pontius muß hinter ihm her. Was meint ihr dazu?«

Und Kaiphas lachte. Aber es war ein häßliches Lachen.

Und wieder das Schreien und Mauscheln, das Trompetenstoßen, wie es die Kraniche an sich haben und die rosinfarbigen Flamingos, die die Großen und Kleinen Syrten bewohnen.

»Er muß!« lärmte Sadok.

»Er kann gar nicht anders«, bestätigt Rabinth.

»Weigert er sich, muß der Kaiser dahinter!« keift Archelaus Rabbi und salbt sein Haupt mit einem Gemisch von Spucke und Liebe.

»Gut«, schmunzelt Kaiphas.

Er hebt seine knöcherne Rechte und tut so, als ließe er zwei beinerne Würfel fallen.

Sie fallen und entscheiden über Tod und Leben des Herrn.

»Gerichtet!« Und ist ein Blutgeruch in der hohen Halle, als käme dieser Blutgeruch von dem nahen Gottesacker Hackeldama herüber.

»Man schmeckt schon den Tod«, freut sich Alchelaus Rabbi. »Kaiphas, deine Würfel sind gut. Heil dir, du weißt schon Kreuze zu zimmern.«

»Heil, Kaiphas!«

Und der Hohepriester lächelt sein grausamstes Lächeln.

Unter diesem Lächeln verlischt der siebenarmige Leuchter, schleiert das Bild ein, klingt es und ruft es aus Nebel und Dämmerungen: »Gesegnet sei der Herr unsrer Väter! Lobsinget Abraham, Isaak und Jakob, denn ihr Same wird befruchten und bevölkern alle Äcker der Erde. Sie werden uns zufallen wie versprengte Turteltauben und Wüstenhühner. Amen, Sela!« Und siehe: Palm und junge Maien werden vorübergetragen. Die Straßen Jerusalems öffnen sich dem prallen Sonnenlicht. Die Dächer beleben sich. Velarien werden gespannt. Es ist wie ein Summen von Immenschwärmen. Aus allen Teilen des Reiches strömen die Menschen in die vergoldeten Mauern, in die Stadt des ewigen Tempels. Sie kommen von Samaria und Saron, aus der Ebene von Jesreel, vom Jordan, wo die jungen Dirnen Myrrhensträußchen zwischen den harten Brüsten tragen, schön wie Rehzwillinge, die unter Rosen werden, von den steinigen Küsten des Salzmeeres, das Naphthablasen treibt, scheußliche Gebilde, die mit ekelhaftem Geruch an der Oberfläche des bleiernen und toten Wassers zerplatzen.

Immer mehr strömen zu.

Der Aufruhr wächst.

Eine Posaune stößt vom Synedrium her.

Kaiphas erscheint. Mit ihm die Pharisäer Rabinth und Archelaus Rabbi.

»Was treibt ihr, was wollt ihr! Geht nach Hause und verhüllt eure Köpfe mit Asche!«

Ein mächtiger Jude tritt ihm entgegen: »Nein, Rabbi, wir bleiben. Wir wollen ihn sehen. Er steht bereits vor den Toren. Er reitet ein und bringt uns im Messiasrock den verheißenen König der Juden.«

»Hosianna dem Sohne Davids!«

»Gepriesen sei der Gesalbte! Hosianna ihm aus der Höhe!

»Waih geschrien!«

Archelaus Rabbi quäkt auf. Er quäkt wie eine Kindertrompete.

»Ihr Lästerlinge! Ihr seid wie treferes Fleisch. Ich werf's über die Schulter. Ich werf's in den Abtritt. Ihr stinkt wie vermoderte Fische – ihr und euer neuer Messias!«

Das Volk brandet gegen ihn an.

»Ruhe!«

Kaiphas wächst in den Himmel.

»Wartet! und über ein Kleines, ich werde ihn auf das Blutleder bringen, im Namen Jehovas und im Namen des Kaisers!« und der gewaltige Mann läßt seinen Bart dahinwehen wie ein schwarzes Segel, das eine Leiche an Bord führt.

Unter atemloser Stille schreitet er den Stufen des Tempels entgegen.

Viertelstunde um Viertelstunde verrinnt. Ruhige Bilder lösen sich ab. Da wieder . . . es beginnt aufs neue zu flackern. Durch die Tore, die gen Norden führe«, flutet es her: in fröhlichen Farben, mit Ölzweigen, mit Palmwedeln – jubelnd und singend, Männer und Frauen, in hellen Scharen, vornehmen Aussehens, Römer und Römlinge, die der Kaiser in die Provinzen entsandte, um römisches Blut unter die Juden zu tragen, Weiber, die schöner sind denn alle Weiber in jüdischen Landen.

Das aufrührerische Volk stürzt ihnen entgegen, begrüßt sie.

»Gepriesen sei der Gesalbte! Hosianna ihm aus der Höhe!«

Helles Wiehern und Jauchzen empfängt sie.

Sie kommen her vom fernen See von Magdala, wo die römischen Villen stehen und die der Großen in Israel, wo die Sinne eingeschläfert werden, nur von Theorbenklängen und Liebe träumen. Verbuhlte Gestade! Das Meer ist wie Lapislazuli, der Flachs blüht hier in rosigen Farben, die Lilien umkränzen Hügel und Berglehnen mit silbernen Kelchen, die wie Glöckchen tönen, und wie Adlerflaum grüßt die Ferne des Hermon herüber. Fremde von Magdala her!

Die nun einen sich den tobenden Menschen, die den Messias erwarten. Weiber, schön wie der Tag . . . aber die schönste von ihnen . . .

Ihr Haar ist gesponnenes Gold, lichter denn Bernstein, Heller denn die hastigen Schnuppen zwischen Himmel und Erde, und wer sie erschauet, verfällt ihren Reizen. Er vergißt Vater und Mutter, Pflicht und Gewissen, geht durch Sünde und Schande und folgt diesem Weibe.

Sie schreitet in silbernen Kleidern, in klingenden Bändern. Sie geistert einher wie zwischen Oliven und Mondlicht. Ein junger Zenturio führt sie. Er ist ihr Galan, ihr Verehrer. Er befehligt die stolze Kohorte, die bei Magdala am blauen See stationiert ist. Seit Jahresfrist hat sie dort Standquartier bezogen.

Das erregte Volk umschart sie, umjauchzt sie.

»Bei dem Gott unserer Väter, das ist ja . . . das ist ja . . .! Spieglein, Spieglein . . . Maria von Magdala, was willst du in Jeruschalaim?!«

Sie lacht der Menge ins Gesicht, schwingt sich auf einen Stein, breitet die schneeweißen Arme: »Was ihr wollt! Auch ich will ihn sehen. Von wannen kommt er . . .

Ein Jude schreit auf: »Ich glaube vom oberen Tor her. Einreiten wird er mit seinen Jüngern, auf einer Eselin sitzend, im Messiasgewand. Da hört nur . . .! Von dort her müssen sie kommen.«

»Ich höre, ich höre! und will ihn erwarten. Ich will ihn sehen mit eigenen Augen, ihn hören mit eigenen Ohren. Es heißt ja: er kann Berge versetzen, Ströme ableiten, Blinde sehend machen, Tote erwecken. Aus starren Leichentüchern zaubert er Rosen und Nelken, springendes, klingendes Leben – so heißt es. Das will ich wissen, ob der Nazarener die Wahrheit verkündet. Er will sein ein König über den Sternen, ein König der Juden. Spricht er die Wahrheit: ich will knien im Staube, ihm die Füße küssen und salben. Ich will rufen und jauchzen: Hosanna, König über den Sternen, König der Juden! Und meine Seele soll werden wie das Vließ der Lämmer, die auf Gilead weiden, reiner denn die Herzen der Turteltauben, wenn die Feigenbäume Knospen ansetzen und die Reben Gescheine. Hosanna! Hosanna!«

Das Volk brüllte nach: »Hosanna! Hosanna!«

Es rollte gegen die Tempelstufen an, gegen Wechselleute und Makler, gegen Seckelschneider und Händler.

Und wieder kam es unter Gezeter des Weges daher – in lautem Gedränge, mit Fluchen und Würgen, mit dem drohenden Lärmen von Revoluzern, die Jesum verlästerten oder ihn benedicierten mit Psalmen und Psaltern und mit Pauken am Reigen. Als die vordersten die Pharisäer und Schriftgelehrten Rabinth und Archelaus Rabbi.

Hinter ihnen taucht aufs neue das schwarze Segel der Totenbarke auf: der Bart des finsteren Kaiphas.

Rabinth erspäht die Buhlerin vom Galiläischen Meer . . . vernimmt die Rede . . . quiekst auf wie 'ne Kellerratte: »Meimemmelochem! Was seh' ich? Was tu' ich? Sind meine Denare in den Abtritt gefallen? Das ist ja das Weib mit dem vergoldeten Nabel. Senkelt ihr Kirchhofserde ins Maul. Sie verdient es ihres Leibes willen, der eifriger buhlt als 'ne Kamelin vor 'ner Karawanserei in der Wüste. Püh!« Und Rabinth machte ein Gesicht wie das eines bissigen Kanins . . . »Und die will uns den neuen Messias empfehlen und das Volk rebellionieren?! Püh! Man soll sie mit Kokkolskörner vergiften, auf daß sie bäuchlings schwimmt wie 'ne Barbe im Jordan bis ins tote Wasser bei Gomorra und Sodom.«

»Bocher, verfluchter!« Und die Faust des jungen Römers stand hoch über dem Kopfe des Lästerers.

Der Schlag sollte fallen, den Juden in Mus und Minchen verkehren.

»Nicht so!« ruft Kaiphas, »er ist Schriftgelehrter und Hüter des siebenarmigen Leuchters. Du würdest Jehova nur treffen.«

»Dann soll er Wurmsamen fressen und Regenwürmer laxieren.«

»Zenturio!« bebt Kaiphas am ganzen Leibe. »Wer bist du? Was willst du? Stehst du im Dienste des Kaisers, um Israel gegen seine inneren und äußeren Widersacher zu schützen? Oder stehst du nicht im Dienste des Kaisers und bist nur mit dem Weibe erschienen, diesem Aufwiegler, diesem Widersacher unserer Gesetze und Väter, diesem Schakal und Fenek, listiger denn alle Füchse im Karmelgeklüft, die Bolzen zu fiedern? Aber ich sage dir hiermit: Wer sich erhöhet, der soll erniedrigt werden, wer nach einem Zepter greift, dem wird ein Kolbenrohr in die Rechte gegeben, und wem nach der Krone Davids gelüstet, der wird mit Dornen gekrönt. – Zenturio, wisset! Über Jeruschalaim steht ein Gewitter. Mit dem heutigen Tage beginnt es. Auf Golgatha erst verliert es sein Donnern.«

»Du!« hält ihm Maria von Magdala mit Flackeraugen entgegen. »Mann – du aus dem Stamme Levi, aber was wird aus dem neuen Messias, der da steht vor den Toren, der da schon einzieht . . .? Hört nur . . .! Die Messiaswelle bricht schon herüber! Und er selber mitten darunter.«

»Der!« wiehert Kaiphas. »Seine Tage sind fällige Tage, sind Hafte und Engerlinge. Er steht in meinem Blutbuch verzeichnet, und wo sein Name steht, beginnt's schon zu tropfen.«

»Er ist 'n Kaleph!« lamentierte Archelaus Rabbi dazwischen und zerknüllt seine strohgelbe Mütze zwischen den Händen, »ein Auswurf, ein Sodomsapfel vom Salzmeer! Gehst du kapores! Es ist schlimmer als der Falschmünzer Pinnhas in der Gasse zur ›Wiedergefundenen Glasfläsch‹, denn er will selbst den Gott unserer Väter um seine Talente, um seine eigene Gottheit beschummeln. Das Blutleder her! Er muß auf dem Blutleder enden!«

Kaiphas geifert mit zuckenden Lippen: »Er wird sterben am Kreuze!«

Er läßt seinen Totenbart fliegen.

»Sterben am Kreuze!«

Das Weib von Magdala wirft sich steil in die Höhe.

Ihre Preziosen und Ohrengehänge klingeln.

Sie ist schön wie Melitta, furchtbar und hehr wie Astarte, stolz wie die Venus von Paphos.

»Das findet sich, Kaiphas! Du könntest dich irren; denn wenn er nun größer ist als Jehova, dein Gott, mächtiger als die römischen Götter . . .?! Ein neuer König der Juden, der Prophet aller Propheten, ein Menschensucher und ‑finder, der wahre Messias, der wirkliche Herr und Herzog über und unter den Sternen . . . Kaiphas, was würdest du sagen?!« Und ihr Leib erstarrt . . . ihre Augen öffnen sich maßlos . . . sind auf die oberen Tore gerichtet, wo es jubelt und laut wird, hereinbricht mit der Gewalt eines entfesselten Stroms . . . wo der Nazarener erscheint . . . mit seinen Jüngern einzieht, unter Brausen und Rauschen, unter Palmzweigen und gespreiteten Tüchern . . . unter Lichtgarben und Sonnengeflitter . . .

»Der Herr, der Herr . . .

»Tochter Sion . . .!« Hunderte von Kinderstimmchen stoßen vor, umdrängen ihn, umschluchzen ihn . . .

»Hosanna ihm aus der Höh . . .

Maria von Magdala spreitet die Arme.

Vom Volke geleitet, schreitet sie dem Sendling entgegen . . . dem Auserwählten . . . der da kommt im Namen seines himmlischen Vaters . . . der da eintriumphieret . . . der da auf einer Eselin reitet . . . der da das Heil auf den Lippen trägt, den Frieden der Seele und die Vergebung der Sünden . . .

Ihre Stimme tönt wie eine silberne Glocke.

»Rabbi . . .

Der Heiland hält an.

Ihre Stimme fliegt über ihn fort, rüttelt an den Zinnen des Tempels.

»Jesus Nazarenus rex Judaeorum! – Höre mich! – Bist du der, für den du dich ausgibst, so ruf' meinen Namen.«

»Weib du – von Magdala her!«

Eine durchgeistigte Hand hebt sich auf.

»Magdalenenliebe . . .! Magdalenenschmerz . . .! Magdalenentreue . . .! O du – du hast viel geliebet und dir muß viel vergeben werden. Ich sehe: die Sünde will von dir, wird flüchtig wie ein räudiges Tier in der Wüste . . . und ein neuer Stern zieht herauf.«

»Herr, darf ich kommen . . .?!«

»Ich warte auf dich. Auch für dich steht mein Himmelreich offen.«

Maria von Magdala streckte sich wie eine numidische Lanze.

»Rabbi . . .! König über den Sternen . . .

Da sieht sie . . . Es ist, als zerriß ein Blitzstrahl die Szene . . .

Plötzlich taucht es vor ihr auf . . . im Zuschauerraum . . . ganz in der Nähe: mit dem Gesicht eines Richters und Rächers . . . Blut auf den Lippen . . .

»Heribert – du . . .?!«

Mit einem gellenden Schrei, der die Weite wie mit einem blanken Messer durchsenste, bricht sie rücklings zusammen.

»Rabbi . . .

Über sie raste die Menge: »Zum Tempel, zum Tempel . . .

»Der Maloch Hamoves, der Todesengel, zieht über Jeruschalaim!« krächzt Archelaus Rabbi.

Staub und Getöse.

Ein dumpfer Gongschlag kam hoch von der Höhe herunter.

»Pause!«

Gleich darauf . . . Die Andacht des Schweigens senkte sich wie ein Bahrtuch hernieder.

 

Das Freilichttheater stand unter dem Bann des ersten Geschehens.

Heinrich Verschüren hatte sich in sein Regiezimmer zurückgezogen, in einen Sessel geworfen.

Das Blut rauschte ihm bis in die Schläfen hinein. Die einzelnen Szenen fallen über ihn her mit der Gewalt von brausenden Tobeln. Sieg! Sein Werk! Ja, sein Werk und das Henriettens. Ohne sie wäre ihm das nicht möglich gewesen. Niemals! Ohne sie wäre er auf der Strecke liegengeblieben. Er fühlte: sie büschelte für ihn ein magnetisches Od aus. Nur weiter so . . . und in zwei bis drei Stunden raschelte es ihm wie mit goldenen Lorbeerblättern zwischen den Fingern.

Sie war ihm Wegebereiterin, Lohe und Feuersignal.

Ein Rausch ging über den Mann in der dunklen Soutane.

Aber ihr Schrei . . . der letzte Schrei, kurz vor Schluß des gewaltigen Bildes – hatte dieser in seiner Absicht gelegen . . . hatte er ihn so gedacht und niedergeschrieben . . .?!

Entsetzlich! Noch hing er in seiner ganzen schneidenden Schärfe über der Freilichtbühne, zwischen Himmel und Erde.

Er wurde unruhig. Draußen war rege Bewegung, ein Laufen und Hasten.

Er sah nach der Uhr.

Noch fünf Minuten, und die neuen Szenen, die von Bethanien und die Abendmahlszene mußten ihre Mysterien entfalten. Schon belebten sich die Tribünen und die übrigen Plätze. Die Erwartung stieg mit jeder Sekunde – in allen Herzen, bei allen Frommen und Gläubigen, bei allen, die da harrten und hofften.

Die die Liebe dahier
Um den Heiland vereint,
Trauernd ihm nachzugehen
Bis zur Stätte der Grabesruh.

Ihn hielt es nicht länger. Er hört verworrene Stimmen, das Laufen von hastigen Schritten, die ihm nichts Gutes verkünden.

Als er das Zimmer verläßt und auf eine Seitengasse hinaustritt, stößt er auf Stephan tom Heuvel, bereits im Gewand des Lieblingsjüngers und in tiefer Verstörung.

»Herr Kaplan, wir müssen beginnen.«

»Wo fehlt's denn?«

»Meine Partnerin läßt auf sich warten.«

»Wie, noch immer nicht fertig?«

»Doch, wie mir Frau Anna Berendonk und Fräulein Luischen berichten. Umgekleidet und so . . . aber jetzt: Fräulein Jansen öffnet nicht und hält ihre Türe verriegelt.«

»Was . . .?!«

Heinrich Verschüren erbleicht bis tief unter die Haarwurzeln. Selbst die scharfausrasierte Tonsur nimmt einen bleifarbigen Glanz an.

»So muß ich selber . . .« und hastig treibt es ihn auf die andere Seite der Bühne.

Hier hält er den Schritt an.

»Henriette!«

Keine Antwort erfolgt.

»Im Namen des Herrn – öffnet, bevor es zu spät ist.«

Kein Laut läßt sich hören.

»Henriette . . .!« Nichts! Nur sein eigener Ruf steht wider ihn auf.

Da stößt er das Schloß ab. Es klirrt unwirsch zu Boden. An der Tür fußt er an, als hätten ihn brutale Hände an den grauen Pfosten genagelt.

Er stiert durch Dunst und Verstörung.

»Der du von den Himmeln bist! Oder bist du nicht von den Himmeln?!«

Am Boden Fibeln und Hafteln, Dinge der Hoffart, silberne Kleider, aber erst vom jungfräulichen Leibe gerissen . . .

»Ich von den Himmeln . . .?!«

Sie steht im Magdalenengewand.

Ein Stück ihres Oberkleides hängt noch lässig um Nacken und Schultern. Aus dem düsteren Stoff blüht es mit den Reizen des Weibes. Ihr Haar ist gelöst. Mit krampfhaften Händen strafft sie es über ihren starren Busen zusammen. In diesem Rahmen steht ihr Gesicht, als wenn es etwas Furchtbares schaue.

»Heribert – du?! Oder bist du nicht Heribert Kästner, der da kam, sich an meinen Qualen zu weiden? Nein – jetzt sehe ich erst: du bist Heinrich Verschüren, gesonnen mir eine besondere Freude zu machen. Warum das . . .?!«

Er sucht ihre Hände zu fassen.

Sie stößt ihn von sich.

»Nein, ich bin nicht von den Himmeln gekommen.«

»Aber spielen – das sollst du. Die Passion schreit nach dir.«

»Warum riefst du Heribert gegen mich auf?«

»Später davon. Jetzt heißt es, die Ehre des Tages und die der Barmherzigkeiten in den Schatten Gottes zu retten.«

»Zu spät. Ich kann nicht mehr folgen.«

Der Kaplan stellt sich auf. Ihm ist so, als müsse er die Fäuste erheben, eine Gewalttat begehen. Er hört es brechen und krachen im Gebälk seines Tempels.

»Du mußt! Der Herr wird dir fluchen.«

»Mag es geschehen. Ich habe genug der entsetzlichen Tage. Ich trage die Fingernägel des Grauens . . . des verstörten Geistes . . . des kommenden Todes. Ein verzweifeltes Menschenleben ringt im Fieber, schreit nach Erlösung. Ich kann nicht mehr. Meine Kraft ist zu Ende. Ich bin nicht wert und würdig. Das weißt du. Ihr beide, du und der andre – ihr branntet mir das Stigma zwischen die Schläfen. Ihr habt mich in den letzten Monaten nur durch Totenkammern geleitet. Das fühle ich jetzt erst, jetzt erst in dieser Stunde, von der ich nicht weiß, wie lange sie mich mit ihren Händen umklammert. – Maria von Magdala . . .! Ich bin ihrer nicht wert und würdig, nicht berufen, ihr die Riemen zu lösen. Ihr wurde vergeben. Mir aber kann selbst nicht der Heiland vergeben. Nein – du . . . die Schande, die Schmach! Jetzt sehe ich erst . . . sie steht wider mich auf wie ein Untier. Und die entsühnte Büßerin selber – anspucken würde sie mich, wenn ich es wagen sollte, dem Messias die Füße zu salben. In meiner gepriesenen Reinheit bin ich dennoch unrein geworden. Fort von mir! Ihr Priester, ihr seid Worte aus des Ewigen Munde. Ihr sühnt und versöhnt. Ihr nehmt die Sünden hinweg. Aber wenn es euch paßt: ihr geht über Vater und Mutter, über Weiber wie über die Steine des Feldes. Ihr seid furchtbar, schlimmer als die Richter und Vollstrecker der entsetzlichen Tscheka. Auch – du . . .

Ihr Leib streckte sich. Ein dünner Blutfaden sickerte ihr von den schmalen Lippen herunter.

»Herr, sei mit mir in der Stunde des Todes . . .

Ihr Kopf sank nach vorwärts; wie ein geworfenes Heiligenbild brach sie rücklings zusammen.

Der Kaplan fing sie auf.

»Absolve te!« rief er mit großer, wenn auch erschütterter Stimme.

Stephan tom Heuvel drang ein. Mit ihm die heiligen Frauen Maria Salomea und Maria Kleophä.

»In nomine patris«, ich glaube, ihr ist kaum noch zu helfen.« – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Dem sonnigen, lichterklaren Pfingstmontag folgte ein dunstiger und wolkenverhangener Abend, ein Abend ohne Glanz und Sternenfeuer.

Die Hügellehne lag grau in grau. Die einzelnen Baumgruppen ballten sich zu düsteren Massen zusammen. Das tiefe Dunkel lagerte sich dicht über die Niederung. Nur über der Gnadenkapelle in Heiligenbaum spreitete sich ein lichtblaues Scheinen wie ein ausgeschnittenes Stück aus dem umflorten Himmelsgewölbe. Mitten darinnen erhob sich ein Glitzern und Leuchten, das stetig an Helligkeit zunahm. Es war der Liebesstein der holden Frau Venus. Bis spät in die Nacht hinein war sein milchweißer Glanz zu verfolgen.

Tiefer dem Rhein zu blenkerten vereinzelte Binnenwasser auf, die sich jenseits des Gnadenortes durch die weite Ebene hinzogen. Sie ähnelten Blinkfeuern, die unvermittelt in die Erscheinung traten, um ebenso jählings wieder zu schwinden.

Die Verstörung des Tages ließ nicht ab. Sie lief bis spät in den Abend hinein. Die meisten Wirtshäuser und Ausspannungen der geweihten Umgebung standen verwaist. Die Gäste hatten sich anderweitig untergetan oder waren heimwärts gefahren. Nur eine Gestalt pilgerte unentwegt von einer Kneipe zur andern, genehmigte sich hier einen westfälischen Korn, dort eine Ruhrperle, weiterhin einen Genever, um an vierter Stelle sich in die Geheimnisse eines Winnenthaler Edelbranntweins zu vertiefen. Der Mann sprach nicht, stand weder Antwort noch Rede. Obgleich jeder Wirt und jeder Budikenbesitzer ihn kannte, wagte es keiner, ihn in eine nähere Unterhaltung zu ziehen. Er mußte zu den versprengten Künstlern des Freilichttheaters gehören, denn die linke Gesichtshälfte war noch nicht abgeschminkt, und an Stelle des regulären Schuhs trug er am rechten Fuß die Sandale aus rotem Saffian eines römischen Prätors. Beim Eintritt stellte er jedesmal einen goldbeknopften, weißgeschälten Stab in die Ecke, um ihn beim Fortgehen wieder pflichtschuldigst mit sich zu führen. So wanderte er ruhelos seines Weges, bestellte sein Deputat, sog es tiefdenkerisch hinter die Binde, ohne dabei Contenance und Verfassung einzubüßen, empfahl sich wortlos, um vom ›Munteren Karnickel‹ zum ›Goldenen Engel‹, von der Estaminet zum ›Weißen Schwan‹ und von diesem wiederum zum ›Munteren Karnickel‹ überzuwechseln, ohne zu schwanken, ohne nur um Haaresbreite von einer schnurgeraden Dielenritze zu weichen. Schnürschuh und Prätorsandale arbeiteten mit der Exaktheit einer Präzisionsmaschine. Wohin der einsame Mann seinen Fuß lenkte, allüberall erregte sein Erscheinen Staunen und Aufsehen. Der wilde Schmerz, der ihm Stirne und Schläfen durchfurchte, führte ihm Mitleid und Erbarmen zu. Bei jedem Schnaps, den er überkippte, wußte ein jeder: das Menschliche im Menschen war hier zu verstehen.

Zuletzt wurde er im ›Fröhlichen Landmann‹ gesichtet.

Dann verloren sich seine Spuren in nebelgrauen Fernen, die weder Anfang noch Ende hatten.

In Heiligenbaum erloschen die Lichter, eins nach dem andern, bis schließlich alle bis auf dreie erloschen.

Das eine brannte noch im Hause mit den verhangenen Fenstern, das zweite im linken Flügel des Pastorats und das letzte hinter den bunten Verglasungen des Hohen Chores in der Gnadenkapelle. Hier flüsterte das ewige Lämpchen:

»Agnus Dei, qui tollis peccata mundi – miserere nobis!
Ora pro nobis, sancta Dei genitrix!
Ut digni efficiamur promissibus Christi.
Oremus . . .
«

Es war die Stimme eines Armseelchens, das da flehte und betete ohn' Unterlaß, inbrünstiglich, mit dem einschmeichelnden Zwitschern eines Rotkehlchens zwischen herbstlichen Lohhecken.

Und dann noch ein Lichtlein . . .! Aber mehrere Rufweiten von Heiligenbaum fort . . . in weltverlorener Einsamkeit . . . auf der Hügellehne . . . in der Freilichtbühne, die jetzt unter dem Himmelreich lag, als wäre nunmehr die Hand des Grauens und des Schweigens darüber gefahren.

Vielleicht der Schein einer Wächterlaterne, ein rasches Licht, bestellt, das verwaiste Anwesen vor unlauteren Fingern zu sichern. Bald tauchte es bei den drei Kreuzen auf, bald auf dem Steilweg zur Kalvarienhöhe, dann für eine Zeitlang zu schwinden, um plötzlich am Hause des römischen Landpflegers aufs neue in die Erscheinung zu treten. Als es hier aufgeisterte, löste sich vom Giebel des größeren Schattens ein kleiner Schatten. Der strebte geräuschlos gen Himmel, schwankte dann ab und glitt wie ein dunkles Federspiel den unwirtlichen Heiden und Kahlschlägen der ferngelegenen Bönninghardt zu.

In Heiligenbaum und den benachbarten Katstellen, die im Banne der Freilichtbühne und der unterbrochenen Passionsspiele lagen, dachte kaum einer mehr an den seltsamen Menschen, der in eifriger Folge alle Wirtschaften vom ›Munteren Karnickel‹ bis zum ›Fröhlichen Landmann‹ zu in brütendem Weltschmerz abgesucht hatte und dann wie ein graues Phantom dahinschwand, als hätte ihn eine ebenso graue Hand aus dem Dasein gestrichen – da plötzlich ein unheimliches Klagen und Seufzen, ein Wimmern und Rufen die nächtliche Stille durchgeisterte.

Das Rufen und Klagen steilte sich auf, wurde zum wilden Geheul.

Ein tanzender Derwisch konnte nicht ärger die Lüfte durchjaulen.

Es kam von der Lehne herunter, marschierte gegen Heiligenbaum an. Es tobte und lamentierte:

»Es geht ein Schrei von Dan bis Berseba,
Die Wüste weint und ihre Steine bluten . . .«

Immer näher und näher, immer lauter und nachhaltiger.

Dazwischen blitzte das Licht einer Glühbirne auf. So heulte er sich durch die Gärten und Felder, so heulte er sich in Heiligenbaum hinein.

An dem schlichten Hause mit dem erleuchteten Fenster und den beiden zugeschnittenen Buchsbäumen verstummte er.

Hier ließ er sich auf der Schwelle nieder und hielt die Wacht bis zum grauenden Morgen.

Da drüben jedoch . . .

Der Wind hebt an.

Er raschelte zwischen den Blättern, er scheitelt die müden Zweige fast schweigend, traurig und stumm auseinander.

Es ist so, als wenn die Geister der Tantaliden, die sonst so freundliche Hügellehne bei Heiligenbaum umwandeln, um bald darauf wieder in das Nichts zu entschwinden.

 


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